Blutrote Binsen oder: Crystaleye

Bisher hat keiner bewertet.

von Gefreiter Kolumbini (RUM)
Online seit 01. 02. 2003
PDF-Version

Eine ruhige Ausbildung war alles was Inspäctor Kolumbini sich wünschte. Jetzt hat er eine Frau als Ausbilder und muss weiterhin enen Raubmörder aufspüren. Es ist eben nicht alles so, wie man es sich wünscht...

Dafür vergebene Note: 11



Eine Krähe flog hoch über der Stadt, die unter ihren Bewohnern als "Große Wahoonie" bekannt war. Sie lebte schon einige Zeit hier, doch nie zuvor hatte sie solch einen Winter erlebt. Nicht, dass er besonders kalt oder hart gewesen wäre, nein die Ereignisse dieses Winters waren es, was die Krähe so verwirrte. Vor rund zwei Wochen hatte sie durch mehr als nur merkwürdige Umstände ihr Heim verloren und war deshalb nun auf der Suche nach einem neuen schönen Platz für ihr Nest. Doch überall wo sie hinflog verscheuchten sie die "Großen" wieder.
Früher hatte sie auf dem Giebel eines Gebäudes, dass sich in einer Straße befand, welche die "Großen" Betrug - und- Schwindel Straße nannten einen schönen Schlafplatz gehabt. Eines Abends war die Krähe [1] weggeflogen, um sich etwas Essbares zu genehmigen und als sie zurückgekehrt war fand sie ihr Heim nicht mehr vor. Was "Hau-ab" noch mehr verunsicherte war, dass die gesamte Wand plus Giebel einfach nicht mehr existent war.[2]
Deshalb sank sie jetzt immer tiefer und hielt nach einem neuen Nistplatz Ausschau.
Die Krähe landete auf einem Messingschild, dass die Aufschrift "Bachloser Weg" trug.[ * Im Gegensatz zu Morpork gab es in jeder Straße ganz Ankhs gut leserliche Straßenschilder aus Metall, die alle zwei Jahre erneuert wurden. *]
Sie blickte mit kleinen, wachen Augen die Häuser an und entschied sich schließlich für eine große Villa, in deren Dachgebälk genug Platz für ein großes Nest war, als plötzlich ein Schrei die Luft zerriss.

"Iiigooor!", hallte es durch den Bachlosen Weg.
Inspäctor "Fred" Kolumbini war gerade damit fertig sich seine alten gennuanischen Schuhe zuzuschnüren und in 20 Minuten musste er am Pseudopolisplatz sein, um sich bei Oberleutnant Humph MeckDwarf zu melden. Sein Diener kam nach einigen Millisekunden in den Raum.
"Waf ift, Herr", fragte er.
"Wir müssen in 20 Minuten am Pseudopolisplatz sein, Igor. Und wir werden NICHT zu spät kommen", entgegnete Fred. "Bist du fertig?"
"Natürlich, Herr. Ich kann den Keller auch fpäter einrichten. Wir können gleich aufbrechen."
"In Ordnung, Igor. Ich warte unten in der Empfangshalle auf dich."
Kolumbini verließ sein Schlafzimmer und ging die lange Treppe herunter. An einer Stelle duckte er sich und wartete ein dumpfes Pochen ab, bevor er weiterging. Als er unten in der großen Empfangshalle angekommen war blickte er sich um.
In den letzten Wochen war wirklich viel geschehen.

Es war eine Woche nach Silvester.
Befördert , dachte Kolumbini, als er sich in seiner Stammkneipe "Zum Pferdestall" eine Mischung aus Ale, Pils und Zitronenlimonade genehmigte, die unter Wirt und Kunden als "Kutscherbier" bekannt war.
Eigentlich ist es ja gut, aber was mache ich jetzt mit meinem schönen Zimmer in der Kröselstraße? Nun ich muss wohl eine neue Wohnung finden.
Der Wirt Ceneral Humbertolini blickte Fred an. Er wusste, was den Wächter bekümmerte, denn oftmals redete Kolumbini mit ihm über die Sachen, die ihn beschäftigten.
Der Inhaber des Pferdestalls trat auf seinen Freund zu.
"Na, Fred? Immer noch keine neue Wohnung?" fragte er.
"Ja, Humbert. Und spätestens übermorgen muss ich mein Zimmer im Wachhaus räumen", antwortete der frisch gebackene Gefreite verdrießlich.
Humbert hatte Freds Wohnungssuchpläne vielen Leuten anvertraut, [3] doch der einzige, der darauf reagiert hatte war ein ehemaliger Beamter namens Jochen Krause gewesen. Nun reagiert war vielleicht etwas glimpflich ausgedrückt. Herr Krause hatte etwas vor sich hingemurmelt und war aus der Tür gestürmt.
Der Wirt erinnerte sich, wie der ehemalige Beamte noch "Schreiben sie's auf die Rechnung, Herr Humbert" hinter sich gerufen hatte, was nunmehr zwei Tage zurücklag.
Der Gennuaner zapfte zwei Biere und setzte sich zu seinem Freund an den Tisch.
"Du hättest mal Igor erleben müssen, Humbert", lies dieser sich vernehmen. "Er hat geflucht wie ein Rohrspatz. Die ganze Sache sei unerhört, da er die Angeln gerade richtig zum Knarren gebracht habe, meinte er. Nun ich kann ihn nicht von all seinen Traditionen abbringen und die Angeln haben WIRKLICH gut geknarrt." Kolumbini seufzte leise und zuckte mit den Schultern. "Kommt schon, BAM."
Die drei Männer, die auf der kleinen Bühne des Raums standen und sich bisher nicht gerührt hatten, nahmen ihre Instrumente zur Hand und begannen das Lied "Schau immer zur Sonnenseite des Lebens" zu spielen.
Fred lehnte sich zurück und summte den Refrain leise mit.
Als die Schallwellen der letzten Harmonien verklangen klopfte es an die Tür.
Jochen Krause trat herein, erblickte Kolumbini und trat auf ihn zu.
"Gut, dass ich sie treffe, Herr Kolumbini", sagte der steife Mann im grauen Anzug.
"Sie sind doch der Beamte, der an meiner Befreiung beteiligt war, nicht wahr?"
"Genau. Ich glaube, ich habe eine Lösung für ihr Wohnungsproblem gefunden."
"Wirklich? Erzählen sie mir bitte mehr davon, Herr...äh..."
"Krause. Ich habe meine Verbindungen spielen lassen und habe eine Wohnung für sie gefunden. Da allerdings in Ankh Wohnungsnot herrscht und es in Morpork noch schlechter aussieht habe ich ihnen nur eine Möglichkeit anzubieten."
"Und, wenn sie mir die Frage gestatten, wieso tun sie das für mich?"
"Wissen sie, durch die Zerstörung des Bauamts in den Schatten wurde ich in den Vorruhestand versetzt und außerdem hat dieser Arschkriecher Kümmel endlich seine verdiente Abreibung vom Chef bekommen. Er hat immer die netten, freundlichen Klienten bekommen, die niemals murren. Und jetzt hockt er in der Gosse mit nichts weiter als seiner Nickelbrille und seinem grässlichen, piekfeinen schwarzen Anzug."
Herr Krause grinste. Kolumbini hatte nie ein verächtlicheres Lächeln gesehen und irgendwie erschein die gesamte Geste grausam und einfach vollkommen unpassend zu sein.
"Welche Möglichkeit haben sie denn nun gefunden, Herr Krause?"
"Es gibt in ganz Ankh nur ein leerstehendes Haus, dass sie sich vermutlich leisten können. Eine Villa vielmehr. Sie könnten sie für zehntausend Ankh-Morpork-Dollar erwerben."
"Nun, das dürfte gehen. Aber wo befindet sich denn diese ominöse Villa?"
"Im Bachlosen Weg 12."
"Was?"
"Die anderen Häuser sind alle wesentlich teurer."
"Jetzt hören sie mal. Ein Mann, der vor einer Woche versucht hat mich umzubringen hat bis vor kurzem in diesem Haus gewohnt."
"Aber er wurde umgebracht, Herr Kolumbini. Er hat einen Schuss mit einer Belagerungsarmbrust abbekommen, wie ich hörte, und niemand überlebt so etwas."
"Vielleicht haben sie Recht, aber trotzdem ist mir etwas mulmig dabei. Vor allem, weil der Kerl ein Vampir war und Vampire wird man schwerer los, als eine Kakerlakenplage."
"Nun ich dachte mir bereits, dass sie so denken würden und deshalb habe ich einige...Vorsichtsmaßnahmen getroffen."

Kolumbini und Igor trotteten hinter Herrn Krause her.
"Waf meint er wohl mit Vorfichtfmafnahmen, Herr?", fragte der bucklige Diener.
"Ich weiß es auch nicht, Igor", antwortete der Wächter.
Sie schwiegen und folgten dem ehemaligen Beamten lautlos.
Es dauerte eine Weile, bis sie von der Quirmstraße den Bachlosen Weg erreicht hatten und als sie vor der Villa mit der Hausnummer 12 standen, lief Kolumbini ein Schauer über den Rücken.
Die Tür schien vor kurzem erneuert worden zu sein, doch jemand hatte darauf geachtet, dass sie alt genug war um einen rustikalen und gemütlichen Eindruck zu erwecken. Die Person hatte jedoch keine hohe Intelligenz bei der Auswahl der Tür bewiesen, denn sie wirkte eher unheimlich als einladend.
"Ich habe die Tür selbst ausgesucht", verkündete der ehemalige Beamte stolz. "Und der Spruch über der Tür wurde ebenfalls auf meine Anweisungen hin angebracht."
Über der Tür war auf einem Metallschild der Spruch "Semper vide ad paginam solaris vitae" eingraviert worden.
"Herr Humbert nannte einmal den Namen ihres Lieblingsliedes und deshalb dachte ich, dass dieser kleine Scherz vielleicht angemessen sei", fügte der steife Mann hinzu.
Kolumbini und Igor verstanden den Witz, da sie beide gut in Alten Sprachen waren. Freds Eltern hatten ihm einige Grundkenntnisse mit auf den Weg gegeben und als sie starben unterrichtete Igor den jungen Kolumbini weiter.
Krause holte einen Schlüssel hervor, öffnete damit das Unheil verkündende Portal und hielt seine beiden Begleiter im Türrahmen an.
"Moment", sagte der ehemalige Beamte.
Kurz darauf fielen ungefähr 15 Knoblauchzehen an Schnüren hinter dem Eingang herunter und hätten jedem unvorsichtigen Besucher einen nicht gerade wohlriechenden Empfang bereitet.
Die drei Hausbesucher duckten sich und gingen unter ihnen hindurch. Sie befanden sich nun in einer großen Empfangshalle. Von ihr aus führte eine Treppe nach unten.
"Der Keller", erklärte Herr Krause.
Eine Treppe nach oben.
"Zu den Schlafsälen", ließ sich der ehemalige Beamte vernehmen.
"Und", er zeigte auf einen Gang, "dort geht es zum Wohnzimmer, zur Küche und zum Garten. Dieser Herr Viper hat das Haus mittels starker Magie verändert. Ich habe jemanden von der Unsichtbaren Universität kommen lassen um diese Sache zu untersuchen. Sein Thaumometer ist explodiert, weil die Magie immer noch zu stark war. Er hat jedoch einen Zauber gesprochen, der das Haus wieder in seinen vollkommen ursprünglichen Zustand versetzt hat."
Vielleicht sollte ich mehrere Beamte in den Ruhestand versetzen , dachte Kolumbini. Vermutlich gehört mir dann bald halb Ankh und mindestens ein viertel von Morpork.
Die Empfangshalle war beeindruckend. Ohne die vielen "Vorsichtsmaßnahmen" von Herrn Krause wäre sie vermutlich noch beeindruckender gewesen.
Überall waren Knoblauchzehen aufgehängt worden und neben dem Kronleuchter an der Decke hing ein großer Bottich, aus dem es verdächtig tropfte.
"Was ist das?" fragte der Gefreite.
"Weihwasser", erklärte Krause.
So langsam fragten sich Diener und Dienstherr was für einen Chef der ehemalige Beamte wohl gehabt haben musste, dass er sich aufgrund einer vorzeitigen Pensionierung so sehr freute und erkenntlich zeigte. Herr Krause schien ihre Gedanken zu erraten.
"Ich bin ihnen zwei große Gefallen schuld, Herr Kolumbini und ich begleiche meine Rechnungen immer. Der erste ist der günstige Preis für das Haus und der zweite sind die Vorsichtsmaßnahmen. Wenn die Herren mir jetzt bitte ins Obergeschoss folgen mögen."
Der frühere Beamte ging die Treppe hoch und schien einige Stufen bewusst zu meiden.
"Merken sie sich die Kombination gut."
Dann zählte er stumm bis drei.
"Gut. Ducken!"
Sie taten das verlangte und spürten, wie mehrere Objekte dicht über ihren Köpfen hinwegzischten.
"Bolzen", erklärte Herr Krause.
Selbige blieben mit einem dumpfen Pochen im Geländer stecken.
"Was wäre passiert, wenn wir nicht in der richtigen Reihenfolge gegangen wären?" fragte der Gefreite.
"Dann hätten sie keine Gelegenheit gehabt, diese Frage zu stellen, Herr Kolumbini."
Schließlich kamen sie alle drei oben an und Jochen Krause deutete auf vier Türen.
"Besenschrank, Badezimmer, Schlafsaal und ein Raum mit Büroeinrichtungen."
Fred öffnete die einzelnen Türen und blickte in die dahinterliegenden Räume. Allein die "Besenkammer" war fast halb so groß wie sein Zimmer im Wachhaus und die restlichen Zimmer wiesen ungefähr die doppelte oder gar dreifache Quadratmeterzahl desselben auf.
Igors und Kolumbinis Kinnladen klappten bei diesem Anblick nach unten. Herr Krause hätte fast gelächelt, hätte er diese Fähigkeit nicht schon vor vielen Jahren verloren.[4]
"Und nun zeige ich ihnen den Keller, meine Herren", sagte der ehemalige Beamte.

"Daf ift einfach wunderbar, Herr", freute sich Igor eine Viertelstunde später. "Ef ift faft wie fu Haufe."
Er hat Recht , dachte Kolumbini, hier ist es wirklich fast wie zu Hause. Zu Hause...
Das lag nun sechs Jahre in der Vergangenheit.
Vom Büro und Schlafzimmer aus hatte man einen sehr guten Blick über Ankh-Morpork...
10.000 Dollar...Das war fast genau der Betrag, den er noch unter seiner Matratze versteckt hatte. Es war der letzte Teil der 17.000 Dollar, die Fred und Igor durch den Verkauf des sehr verfallenen Schlosses an einen Vampirlord erhalten hatten.
Fast wie zu Hause... Kolumbini ging den Gedanken mehrmals durch.
Er vermisste die Heimat wirklich sehr. Warum mussten sich manche Dinge nur ändern?
Igor rannte mit freudigem Lachen durch die Kellerzimmer.
"In Ordnung", sagte Kolumbini, "Wir nehmen das Haus."

Eine Woche später stand Inspäctor Kolumbini in der Empfangshalle seines neuen Heims und wartete, dass Igor fertig wurde, damit sie endlich zum Pseudopolisplatz und somit zu Freds neuem Arbeitsplatz als Ermittler in der Abteilung R.U.M. gehen konnten. Das Einstellungsgespräch war recht glatt verlaufen, erinnerte sich der Wächter.
Seine Erinnerungen schweiften noch etwas weiter zurück.

Kommandeur Rince saß in seinem Büro in der Kröselstraße über mehrere Ordner gebeugt. Er ignorierte "Mount tedious form-filling" für eine Weile, da er gerade die Akte einer seiner ehemaligen Rekruten, der gerade erst zum Gefreiten befördert worden war, erweiterte.
Kolumbini...In letzter Zeit hatte er diesen Namen sehr häufig gehört. Der Fall seiner mysteriösen Entführung hatte bei den Wächtern seine Runde gemacht.
Rince las:
"Der angeklagte Dimitri Balderski wird für schuldig befunden an der Entführung des Wächters Kolumbini geholfen zu haben und wird hiermit zu einer Kerkerhaft verurteilt, deren Dauer der Kommandeur der Stadtwache entscheiden soll."
Den Namen des anderen Entführers kannte niemand genau, doch Kolumbini meinte, dass er sich selbst "Schwarze Viper" nenne. Weiterhin wurde vermutet, dass dieser ein überwaldianischer Adliger war, der der Spezies Vampire angehörte. Er wurde von einem herabstürzenden Dach erschlagen.
Mehr war über ihn nicht bekannt.
Rince fügte die Informationen über Freds Entführung dessen Akte hinzu.
Kurze Zeit später klopfte jemand an die Tür. Der Kommandeur kannte dieses Klopfen nur allzu gut.
"Herein, Gefreiter Kolumbini", sagte er.
Der Angesprochene betrat mit Igor im Schlepptau das Büro und salutierte zur Begrüßung.
Rince tat dies mit etwas weniger Enthusiasmus und Igor verhaspelte sich immer noch bei den Versuchen.
"Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung", fügte der dickliche Kommandeur hinzu.
"Danke, Herr", antwortete Kolumbini.
"Wie ich erfahren habe, hast du dich bei R.U.M. um den Posten des Ermittlers beworben."
"Ja, Herr."
"Eine gute Idee. Das dürfte sicherlich die beste Wahl sein."
"Danke, Herr. Weiterhin möchte ich mich auch für die Ausbildung bedanken, Herr."
"Hm. Freust du dich auf deinen neuen Arbeitsplatz?"
"Ja, Herr. Sehr sogar. Auch wenn das heißt, dass ich mein Zimmer hier im Wachhaus aufgeben muss."
Rince erinnerte sich. Als Kolumbini in die Wache eingetreten war, gab es nur noch wenige freie Räume und der Schlafsaal war komplett besetzt und deshalb hatte Fred einen Raum als Büro und Schlafsaal bekommen.
"Gut."
"Dann heißt es nun wohl", der ehemalige Rekrut streckte die Hand aus, "Lebwohl, Herr."
Rince grinste.
"Ich glaube, du hast vergessen, dass ich Kommandeur der Wache bin, Kolumbini."
"Nein, aber...", entgegnete dieser sofort.
"Wir werden uns sicherlich noch öfters treffen. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner zukünftigen Karriere, Gefreiter Kolumbini. Auf Wiedersehen."
"Danke, Herr. Bis bald."
Sie schüttelten die Hände und salutierten zum Abschied noch einmal.
"Auf Wiederfehen, Herr", fügte Igor hinzu.
"Auf Wiedersehen, ihr Zwei", antwortete Rince.
Kolumbini winkte ihm im Gehen noch kurz mit der linken Hand über die linke Schulter, was aussah, als wolle er sie jemandem zuwerfen.
Ja , dachte der Kommandeur bei sich, wir werden uns ganz bestimmt bald wiedersehen.

"Herr?"
Fred wurde wieder in die Gegenwart gezerrt.
"Was?" fragte er.
"Wir haben noch fünffehn Minuten um fum Pfeudopolifplatf fu kommen, Herr", antwortete Igor.
"Worauf warten wir dann noch? Hopp! Hopp!"
"Foll ich die Kutsche holen, Herr?"
"Nein, Igor. Ich gehe lieber zu Fuß."
Der Diener stieß einen enttäuschten Seufzer aus, bevor er seinem Herrn folgte.

Oberleutnant Humph MeckDwarf saß an seinem Schreibtisch und blickte auf den Papierkram vor sich hinab.
Noch fünf Minuten , dachte er. Dann sollte Kolumbini hier eintreffen. Der Kommandeur meinte ja, dass er immer sehr auf Pünktlichkeit bedacht war.
Humph wartete bis...
Klopf. Klopf.
Der Oberleutnant blickte auf die Uhr, bemerkte, dass der Besucher genau pünktlich war und rief "Herein!".
Ein kleiner Mann betrat den Raum. Er trug einen alten Ledermantel, der ihm etwas zu groß war. Darunter zeigten sich alte, schwarze Hosen und ebenso schwarze, gennuanische Schuhe, sowie ein weinrotes Hemd.
"Und solche Leute nehmt ihr jetzt schon bei euch in der Wache auf?", sagte Murphy, MeckDwarfs Kobold, der in seinem Kopf hauste, sarkastisch.
"Bist du wohl still!" zischte Humph.
Dann trat eine weitere...nun MeckDwarf glaubte, dass man das Wesen als Person bezeichnen konnte in den Raum. Sie hatte einen Buckel und trug alte Bedienstetenkleidung: Eine schwarze Weste, ein gestärktes weißes Hemd, eine schwarze Hose sowie schwarze Schuhe und eine Fliege. Jedoch war die Person durch ein Netzwerk aus Narben furchtbar entstellt.
Der R.U.M.-Abteilungsleiter wusste, um wen es sich handelte. Es war ein Igor.
Die beiden Besucher salutierten zackig beziehungsweise eher unglücklich im Falle des Dieners, was der Oberleutnant erwiderte.
"Hallo, Herr", begrüßte Kolumbini seinen neuen Chef.
"Guten, Tag, Gefreiter. Und das ist dein Diener Igor, nicht wahr?" entgegnete Humph.
"Ja, Herr", antwortete Igor.
"Dir ist klar, dass er nur ein Hilfswächter ist, oder Kolumbini? Er hat nicht die vollen Rechte eines Mitglieds der Stadtwache von Ankh-Morpork..."
"...sondern dient mir nur als Gehilfe und Diener", beendete der Gefreite den Satz.
"Richtig. Wo ist deine Uniform?" fragte MeckDwarf mit einem leicht scharfen Tonfall.
"Ich trage sie, Herr", deutete Kolumbini auf sein weinrotes Hemd.
"Und wo ist deine Dienstmarke?"
Der angesprochene kramte in den Taschen seines MANTELS und zog schließlich ein Lederetui hervor und klappte es vor Humphs Augen auf. In selbigem befand sich eine auf Hochglanz polierte Dienstmarke.
"Ich will nur etwas klarstellen, da ich nicht glaube, dass du es ganz verstanden hast", sagte der Oberleutnant. "Du bist ein Ermittler und keiner von der verdeckten Sorte. Man sollte auf den ersten Blick erkennen, dass du ein Wächter bist."
"Stimmt", fügte Murphy hinzu," wenn man ihn so sieht könnte man denken, er gehört der Bettlergilde an."
Humph ignorierte die Stimme in seinem Kopf und dachte dann daran, dass er ja selbst seinen Ledermantel über der Uniform trug.
"Natürlich weiß ich das, Herr. Deshalb trage ich ja auch dieses...geschmackvolle weinrote Hemd. Glaubest du irgendein Zivilist würde freiwillig in solch einer Kleidung rumlaufen?"
"Nun gut. Ich denke, dass geht in Ordnung. Wenn du bitte kurz den Mantel ausziehen könntest."
Kolumbini wirkte ein wenig nervös, tat jedoch das Verlangte und legte seinen MANTEL für kurze Zeit ab.
Auf der rechten Brusttasche seines Hemdes prangte der Drache, der als Symbol für R.U.M. galt und auf den Schultern hatte der kleine Mann sein Dienstgradabzeichen angebracht.
Nachdem der Abteilungsleiter die Kleidung überprüft hatte zog Kolumbini sein Erbstück mit sichtlicher Erleichterung wieder an.
"Du hast dir einen nicht gerade ungefährlichen Beruf ausgesucht, Gefreiter. Wo hast du deine Waffen?"
Bei diesen Worten löste sich aus einer von Freds MANTEL-Taschen ein Bolzen, der oben in der Decke stecken blieb.
"Was hat es denn mit diesem Kleidungsstück auf sich?" fragte Humph erschrocken.
"Es ist das Ergebnis eines magischen Experiments meines verstorbenen Vaters. Ich selbst nenne ihn den MANTEL. Seltsamerweise scheinen seine Taschen nie voll zu werden. Ich kann fast alles darin unterbringen. Hier sieh, Herr."
Nach diesen Worten holte der halbe Gennuaner eine Teekanne aus der Innentasche seines ominösen Kleidungsstücks und zeigte dem Abteilungsleiter weiterhin seine Armbrust, die er zusammen mit einem Köcher, der zehn Bolzen fasste in einer Außentasche aufbewahrte, um sie möglichst schnell zu erreichen.
"Aha. Nun wenigstens weiß ich nun, dass du Waffen da drin hast. Eine Armbrust und...?"
"Einen Schlagstock, Herr."
"Gut. Ich glaube, dass wäre Alles. Melde dich bei deiner Ausbilderin Myra Schwertschleifer. In einem Monat erwarte ich einen Bericht, wie deine Ausbildung verlaufen ist. Weggetreten!"
Alle drei salutierten und Igor und Kolumbini gingen aus der Tür in die Richtung, in der sie das Büro von Myra Schwertschleifer vermuteten.
Humph bedachte den Papierkram vor sich und stieß einen Seufzer aus.

"Ein komischer Kauf wenn du mich fragft, Herr", flüsterte Igor seinem Herrn zu, als sie durch das Wachhaus gingen und nach dem Büro von Myra Schwertschleifer, ihres Zeichen Dienstälteste Ermittlerin bei R.U.M, suchten.
Im Gang stieß Kolumbini mit einem dürren, jungen Mann, der die Uniform der S.E.A.L.S., sowie ein schwarzes Ledercape trug zusammen.
"Oh Entsch...", wollte Fred sagen, doch als sein Blick auf das Gesicht des Mannes stieß blieben ihm seine Worte im Halse stecken. Es war vollkommen bleich. Nun, Zombies waren in der Wache nichts ungewöhnliches, doch dieser junge Mann wies keinerlei Nähte auf, weshalb Kolumbini vermutete, dass es sich bei dieser Person um ein mehr oder minder lebendiges Individuum handeln musste.
Oder vielleicht ein Vampir?
Damien Gerald Bleicht kannte diesen Blick.
"Nein ich bin kein Zombie und auch kein Vampir", antwortete er automatisch.
"Oh. Entschuldige vielmals. Könntest du mir vielleicht den Weg zum Büro von Myra Schwertschleifer zeigen, Kollege?" brachte der Gefreite hervor.
Damien bedachte ihn mit einem Blick.
Noch nie zuvor hatte Kolumbini einen solchen Blick gesehen. Er war wächserner als eine Kerzenfabrik. Die schwarzen Augenringe untermahlten die Wirkung nur noch besser.
Der Obergefreite zeigte auf eine Tür.
"Da drinnen!"
Dann ging Damien weiter und kümmerte sich nicht mehr um diese ungewollte Begegnung.
Diener und Meister sahen dem bleichen Dürren nach.

Nach einer kurzen Pause rafften sich beide auf, und klopften an die Tür des Büros.
"Herein", schallte eine ganz offensichtlich weibliche Stimme aus dem Raum.
Fred blickte Igor ein wenig ängstlich an, betrat dann jedoch den Raum und wies seinen Diener an vorerst vor der Tür zu warten.
Hauptgefreite Myra Schwertschleifer sah den Mann an, der gerade ihr Büro betrat.
"Oh. Gibt es irgendwelche Probleme bei der Bettlergi...?" Sie unterbrach sich, als sie das weinrote Hemd bemerkte. Das war die Abteilungsfarbe von R.U.M. und außerdem trug kaum ein Bettler solch feine Hemden.
Der Kleine salutierte.
"Gefreiter Kolumbini meldet sich zum Dienst, Ma'am", sagte er.
"Ah mein Auszubildender Ermittler. Und das mit dem Ma'am und dem Salutieren muss wirklich nicht sein, Kolumbini." Die Hauptgefreite lächelte und erntete einen...merkwürdigen Blick von Fred.
Er hatte nie viel mit Frauen zu tun gehabt und diejenigen, die einmal mit ihm gesprochen hatten, waren entweder dienstlich mit ihm verbunden oder Passanten, die ihn aus Versehen angerempelt hatten. Weiterhin hatte Fred sich nie sonderlich um das andere Geschlecht gekümmert. Es war nicht so, dass Kolumbini nicht auf die Reize einer Frau reagierte. Er hatte sogar einen sehr festen Standpunkt zu solchen Sachen: Sie gehörten in private Beziehungen! Wenn eine Frau sich etwas figurbetonend kleidete, so empfand der Gefreite dies als höchst unschicklich.
Offen zeigen konnte er dies jedoch nicht. Jedoch empfand er eine tiefe Abneigung gegen solche Personen. Er führte sozusagen eine innerliche Strichliste, die ihm zeigte, welche Personen sich wie verhalten hatten.
Myra war nicht die Art von Person, die glaubte, dass weniger mehr war und dadurch hatte sie bei dem halben Gennuaner gleich einige Pluspunkte auf dem Konto.
Das Lächeln verwirrte ihn ein wenig. Freundlichkeit war das letzte, was er mit Frauen in Verbindung brachte.
"Äh. Wie sieht's mit Madam aus? Immerhin bist du meine Ausbilderin."
"Na gut, wenn es dich glücklicher macht."
"Mein Diener Igor steht draußen vor der Tür, Madam. Soll ich ihn reinrufen?" entgegnete der frisch gebackene Gefreite mit etwas Unsicherheit in der Stimme.
"Deinen Diener kannst du mir gleich vorstellen. Ich gehe sowieso gleich mit dir raus, um dir dein Büro zu zeigen. Aber lass uns erst noch einige Sachen klären. Was sind die Aufgaben eines Ermittlers?"
"Die Informationen, die er von den anderen R.U.M.-Mitgliedern erhält weiterverarbeiten und somit die Täter ausfindig zu machen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen", antwortete der Angesprochene sofort.
"Und wenn nötig die fehlenden Informationen selbst herausfinden. Vergiss das nicht", ergänzte die Hauptgefreite.
"Ja, Madam."
"In den nächsten vier Wochen werde ich dir die Grundlagen des Ermittelns bei Raub- und Mordfällen beibringen. Hier hast du ein Buch, dass dieses Thema gründlich behandelt. So und nun folge mir zu deinem neuen Büro."
Mit diesen Worten verließen beide den Raum.

"Hier", Myra Schwertschleifer zeigte auf eine Bürotür, an deren Seite sich ein leeres Schild befand.
Wenn Fred daran dachte, dass hier bald "Gefreiter Kolumbini, Ermittler" stehen würde wuchs Stolz in ihm. Er blickte auf das Buch hinab, das Schwertschleifer ihm gegeben hatte. Es war schon so oft gelesen und gebraucht worden, dass man die Schrift auf dem Buchdeckel nicht mehr entziffern konnte. Die Dicke des Schriftstückes warf selbst das heilige Buch Om in den Schatten.
Danach ließ er sich von der Hauptgefreiten sein neues Büro zeigen. Es war klein oder besser gesagt: Es war sehr gemütlich.
Ein Schreibtisch stand am Fenster, damit sich derjenige, der sich dahinter befand getrost darauf verlassen konnte sämtliche Besucher, die durch die Tür kamen sehr schnell zu bemerken.
Das Fenster, wenn man diesen Ausdruck überhaupt verwenden konnte war ziemlich verdreckt.
"Als erstes solltest du hier ein wenig sauber machen, Kolumbini", riet Myra ihrem Lehrling.
"Eine gute Idee. Igor?"
Der Bucklige erschien blitzschnell.
"Ja, Herr?"
"Sei doch bitte so gut und mache hier ein wenig sauber, ja?"
"Felbftverftändlich, Herr", antwortete der Diener sofort.
Myra grinste.
"Gut", sagte sie, "dann kannst du mich ja auf meinem Patrouillengang begleiten Kolumbini." Sie blickte auf die Uhr. "Gleich nachdem wir uns etwas in der Kantine genehmigt haben."

Es waren nicht sonderlich viele Wächter in der Kantine.
Der junge Mann, den Kolumbini im Flur angerempelt hatte und einige andere, die der Gefreite nicht kannte. Myra bot ihm an sich mit an ihren Tisch zu setzen, was er dankbar entgegennahm. Fred war Fremden nicht sonderlich aufgeschlossen und da er mit Myra gezwungenermaßen sowieso viel Zeit verbringen musste nutzte er die Gelegenheit sie vielleicht etwas besser kennen zu lernen.
Das Essen war erträglich fand der Gefreite und Myra erzählte ihm immer wieder Geschichten von alten Fällen.
Er schwieg pflichtbewusst und musterte seine Ausbilderin etwas genauer.
Sie hatte mittellanges, braungoldenes Haar, wies jedoch keine unbedingten Besonderheiten im Gesicht auf.
Eine weibliche Person als Ausbilder und das ausgerechnet für ihn.
Nunja es gab sicherlich schlimmere Dinge.

Eine Woche ging ins Land, ohne das etwas besonders interessantes passierte. Igor verschwand einmal kurz und führte später als Erklärung an, dass er einen Brief nach Überwald geschickt hatte. Kolumbini bemerkte weiterhin, dass Igor sich anscheinend unten häuslich einrichtete. An der Tür zum Keller hatte er ein Schild angebracht, dass besagte: "Wird gerade renoviert. Bitte nicht betreten!"
Fred begleitete Myra gelegentlich auf Patrouillengänge und las oft in dem Buch, das er von ihr erhalten hatte. Es beschrieb sehr genau die Ermittlungsmethoden berühmter Wächter oder Detektive und enthielt viele, viele allgemeine Tipps. Meistens saß er allerdings in seinem Büro und wusste nicht so recht, was er mit der Zeit anfangen sollte. Die Patrouillengänge waren eine seltene Abwechslung. Sie wurden für Ermittler nur notwendig, wenn es keine neuen Fälle gab und ein Rundgang in der Stadt einen Ausblick auf diese etwas verbesserte.
Der Alltag formte sich wie ein großes, graues und erdrückendes Gewicht über Kolumbini, bis eines Tages...

KLOPF!! KLOPF!!
Kolumbini schreckte auf und blickte aus reiner Gewohnheit sofort auf seine Taschenuhr.
Es war 15:00 Uhr Nachmittags. Er hatte heute Dienstfrei bekommen und beschloss die freie Zeit zu nutzen, um den dicken Wälzer über die Ermittlungsmethoden endlich durchzulesen. Leider war er wohl über dem Buch eingenickt.
Wer klopfte denn um diese Uhrzeit an seine Tür?
KLOPF!! KLOPF!!
Fred befürchtete schon, dass die Tür aus den Angeln fliegen könnte. Er stand auf.
Igor war gerade in der Stadt, um einige Dinge zu besorgen, sonst hätte er sich nicht mit solchen Sachen herumplagen müssen. Fred machte sich auf den Weg zur Tür, wich dabei mehreren Vampirfallen aus [5] und kam schließlich in der Empfangshalle an.
KLOPF!!! KLOPF!!!
"Jaja. Ich komm ja sofort", sagte er.
Die Knoblauchzehen fielen glücklicherweise nur herunter, wenn jemand von außen die Tür öffnete und dann über die Schwelle trat.
Als der halbe Überwaldianer die Tür öffnete erblickte er einen Zwerg und hinter ihm zwei Trolle, die einen Karren schoben, auf dem eine sehr große Kiste stand.
'VORSICHT! ZERBRECHLICHE WARE!' war in Blutroten Warnlettern auf jeder Seite der Kiste geschrieben.
"Ich habe hier ein Paket für einen gewissen Herrn...Moment mal nachsehen..."
Der Zwerg blätterte in seinen Papieren, die er in der Hand trug
"Igor, der hier wohnhaft sein soll", beendete er den Satz.
"Er ist mein Diener, ja", antwortete der immer noch leicht müde Gefreite. "Allerdings ist er momentan außer Haus."
"Wenn sie sein Dienstherr sind, so können sie auch sicherlich dieses Paket entgegennehmen. Hier unterschreiben."
Der Bote deutete auf einen Bogen Papier, an dessen unterem Ende eine gestrichelte Linie eingezeichnet war.
"In Ordnung", sagte Kolumbini, zückte seinen Stift und unterschrieb den Wisch.
Die beiden Trolle luden die Kiste vom Karren und verschwanden.
"Hey!" rief Fred ihnen nach. "Wie soll ich denn bitte die Kiste ins Haus bekommen?"
Doch die Trolle und der Zwerg waren bereits die Straße hinunter verschwunden.
Der auszubildende Ermittler bedachte die Kiste mit einem fragenden Blick, um zu sehen, ob sie vielleicht nicht Lust hätte Beine zu bekommen und sich von selbst ins Innere des Hauses zu befördern.
Dann blickte er mehrmals auf die Kiste und auf die Tür.
Mist! , dachte er. Die Tür war zu klein. Doch die Verbindungstür von Garten und Wohnzimmer war durchaus größer. Kolumbini versuchte die Kiste anzuheben und gab sicherlich ein sehr lustiges Bild dabei ab. Er konnte sie keinen Millimeter bewegen.
Ich glaube, ich warte besser, bis Igor wieder da ist , beschloss er.

Wie sich herausstellte hatte Igor kaum Probleme damit die Kiste ins Haus zu bekommen, da er in der Stadt einen kleinen Handkarren besorgt hatte. Mit ihm ließ sich das Paket leicht anheben und durch die Wohnzimmertür ins Innere der Villa befördern.
"Was zur Hölle hast du da drinnen, Igor?", fragte der Dienstherr.
"Ef ift ein Paket von meinem Grofonkel Igor auf Weidenduschen, Herr. Aber mehr verrate ich nicht. Ef ift eine Überraschung."
Mit diesen Worten brachte Igor die Kiste in den Keller.
Fred wandte sich wieder seinem Buch zu.
Später am Tage bemerkte er, wie Igor an der Tür herumhantierte. Er schien etwas Öl auf die Angeln zu träufeln.
"Was machst du da?" fragte ihn sein Dienstherr.
"Daf ift ein Teil def Paketf, Herr. Ef ift eine fpefielle Mischung auf verschiedenen Ölen und Tinkturen, die dafür forgen, daff die Angeln genügend Roft bilden."
"Du meinst dein Großonkel hat ein Mittel entwickelt, damit Türen besser knarren?"
"Ja, Herr"
"Nimm's mir nicht übel, Igor, aber normalerweise nimmt man doch Öl, damit die Angeln gut geschmiert sind, oder?"
"Daf verwenden nur Leute, die nicht auf die Traditfionen achten, Herr."
"Nun wie du meinst."
"Wenn du dann bitte mit in den Keller kommen könnteft, Herr. Ich habe eine kleine Überraffung vorbereitet."

"Junge!" entfuhr es Kolumbini, als er sich im Keller umsah.
Igor hatte den Raum, der sich gleich neben der Speisekammer befand in ein Labor umgewandelt. An allen Ecken und Enden blubberte es verdächtig in Glaskolben, Röhren führten durch den Raum und verbanden blubbernde Flüssigkeiten mit anderen und hier und dort stiegen kleine Rauchwolken auf, die sich in der Luft gelb, grün oder gar blau färbten, gen Decke schwebten und sich dort verflüchtigten.
Das allgemeine Bild war ziemlich unheimlich, doch Fred war zur Hälfte Überwaldianer und hinzu kam, dass sein Vater ein...Wissenschaftler gewesen war.
Er war einfach nur sprachlos.
"Das sind doch die alten Gerätschaften meines Vaters, oder?" fragte er schließlich.
"Ja, Herr. Der Teil, der nicht bei dem Unfall ferftört wurde", erklärte der Diener. "Ich habe fie von meinem Grofonkel Igor aufbewahren laffen, bif wir wieder Verwendung für fie finden. Ich habe allerdingf noch einige Neuerungen hinfugefügt, Herr."
Igor deutete auf eine Werkbank, auf der Werkzeuge und mehrere...Dinge lagen. Die Sachen, die die Aufmerksamkeit des Wächters erregt hatten waren ein Schlagstock aus dunklem Holz und ein Objekt, dass Ähnlichkeit mit einem Schlagstock hatte allerdings mit Stoff überzogen war.
"Was ist das, Igor?"
"Oh daf war nur ein Ekfperiment, Herr. Ich wollte an diefem Regenschirm nur den eigentlichen Mechanifmuf teften."
"Das ist ein Regenschirm? Er sieht aus wie ein Knüppel mit Stoffüberzug."
"Ift daf nicht die allgemeine Definition einef fufammenklappbaren Regenschirmf, Herr? Auf jeden Fall..."
"Wir funktioniert er, Igor?"
Interessiert hob der Gefreite den Regenschirm hoch und betrachtete ihn von allen Seiten. Der Stoffbezug war nur eine Hülle, bemerkte er. Als er sie abziehen wollte bemerkte er einen kleinen Knopf am Griff des Schirms. Er war rot.
"Was passiert, wenn ich den betätige, Igor?"
"Waf? Auf keinen Fall den roten Knopf drücken, Herr! Nicht, während wir im Hauf find."
"Ach jetzt hör aber mit diesem abergläubischen Gefasel auf. Das glaubt doch niemand mehr, dass es Unglück bringt, wenn man einen Regenschirm im Haus aufklappt."
Fred betätigte den Knopf und Igor reagierte gerade noch rechtzeitig. Er zog die Schutzwände vor den Chemikalien hoch.
Der Mechanismus machte Klick und der Regenschirm raste aus seiner Halterung. Die Stoffhülle verhinderte ein Aufklappen und somit steckte eine ziemliche Wucht hinter dem Geschoss. Er flog Kolumbini aus der Hand, prallte von der Schutzscheibe ab, flog in hohem Bogen durchs Labor und landete in einer recht kompliziert aussehenden Apparatur.
Gläser zerbrachen. Chemikalien vermischten sich. Diener und Dienstherr gingen in Deckung, doch nichts geschah.
Kolumbini stand als erster wieder auf.
"Na bitte, Igor. Was hab ich dir gesagt? Alles reiner Aberglau..." Er konnte den Rest des Satzes nicht zu Ende führen, da eine Explosion von den eben zerborstenen Kolben ausging.
"Allef reiner Aberglaube", äffte Igor seinen Herrn nach, während er sich aufrappelte und im ungewöhnlicherweise größtenteils heilem Labor umsah. "Wenigftenf find die Fachen deinef Vaterf nicht beschädigt, Herr. Und nun fu meinem eigentlichen Ekfperiment."
Der Diener hielt den Schlagstock hoch. An seiner Seite war ein Knopf ins Holz eingearbeitet, den man nur durch genaues Hinsehen bemerkte, da er vollkommen braun war.
"Den braunen Knopf niemalf drücken! Aufer in wirklich dringenden Notfällen! Das Holf ift fiemlich gut verarbeitet, Herr. Diefer Schlagftock ift wefentlich beffer alf deine Dienftwaffe. Ich habe mir weiterhin erlaubt der Kutsche einige...Modifikationen hinfufufügen, Herr."
"Ich habe dir doch gesagt, Igor, dass ich lieber zu Fuß gehe. Ich werde keine Kutsche benötigen."
Der Diener lächelte.
"Wer weif, Herr. Wer weif."

Am nächsten Tag sollten Igor und Kolumbini Myra wieder einmal auf Patrouille begleiten. Bisher war Igor nicht auf die Streifzüge mitgekommen, da er von seinem Dienstherrn immer wieder Aufträge bekommen oder heimlich im Labor herumgewerkelt hatte. Doch jetzt war er schließlich doch hinzugestoßen und, was Kolumbini doch sehr erstaunte, er verstand sich ziemlich gut mit Myra Schwertschleifer. Igors waren eben einfach sonderbar.
Allein die Tatsache, dass ihre Familie sich über ganz Überwald erstreckte und dennoch sämtliche Mitglieder derselben den Namen Igor oder Igorina trugen war höchst merkwürdig.
Auf die Frage, wie Igor sich denn behalten könnte, welcher Igor denn nun Igor war hatte dieser nur geantwortet:
"Ich finde ef auch höchft merkwürdig wie ihr euch Hunderte Namen behalten könnt und wifft fu wem fie gehören."
Danach hatte der Wächter schlicht und einfach aufgegeben, was er zwar nicht gern tat, angesichts der Dickköpfigkeit Igors wohl aber die beste Möglichkeit war.
Kolumbini ging gedankenversunken hinter den Beiden her, bis jemand aus einem Laden mit zerborstener Fensterscheibe gerannt kam und gegen ihn stieß.
Der Mann trug eine schwarze Maske über dem Gesicht und hielt einen Knüppel in der Hand.
Myra schaltete etwas schneller als ihr Lehrling. Sie rannte hinter dem Mann her.
"Bleib du hier und schick jemanden um Verstärkung zu holen!" schrie sie noch über ihre Schulter.
Dienstherr und Diener blickten zuerst sich und dann den Laden an.
"Wir follten beffer mal da drinnen nachfehen, Herr", schlug Igor vor.
"Ja eine gute Idee."
Sie gingen langsam in den Laden hinein. Über der Tür verkündete ein Schild: " E. Stein Juwelier"
"Für was das E. wohl steht?" fragte sich der Wächter nachdenklich.
"Vielleicht für Edel", vermutete der Diener mit einem Lächeln.
"Blödes Wortspiel, Igor. Komm lass uns mal drinnen nachsehen."
Die Schaufensterscheibe war zertrümmert worden und jemand hatte die Vitrinen umgestoßen und ihren Inhalt an sich genommen.
Auf dem Boden lag ein Mann. Vermutlich war es der ehemalige Ladenbesitzer.
Er war tot. Er musste tot sein. Niemand, der einen ganzen Teppich mit seinem Blut getränkt hatte konnte leben.
Einige Bilder hingen an der Wand und zeigten den ehemaligen Ladenbesitzer mit seiner Katze. Familienfotos gab es keine. Zumindest nicht hier.
Dann bemerkte Kolumbini die große, hagere Gestalt. Er konnte sie nicht genau sehen aber soweit er erkennen konnte trug sie einen schwarzen Kapuzenmantel.
"Ah, Herr. Haben sie vielleicht gesehen, wer den Mord begangen hat?" fragte der auszubildende Ermittler pflichtbewusst.
JA. ALLERDINGS.
Die Worte erschienen direkt in Kolumbinis Gehirn und machten nicht erst noch den Umweg über die Ohren. Er kannte diese Art von Stimme. Die Person drehte sich um und der Gefreite blickte in zwei bis auf kleine, blau glühende Punkte leere Augenhöhlen.
Er zuckte unwillkürlich zusammen.
"D-d-d-u-u b-b-bist d-d-er T-o-o-d???", brachte er schließlich heraus.
JA. DU HAST EINE AUSGEZEICHNETE BEOBACHTUNGSGABE, HERR KOLUMBINI, antwortete Tod.
Igor trat vor und versetzte seinem Herrn eine schallende Ohrfeige.
"Danke, Igor. Das habe ich gebraucht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich schon so früh sterbe", wandte sich der Gefreite an Tod.
ICH BIN NICHT WEGEN DIR HIER, HERR KOLUMBINI. ICH BIN WEGEN HERRN EDEL HIER GEKOMMEN. Tod deutete auf die Leiche. MEINE ARBEIT IST JEDOCH GETAN.
Kolumbini bedachte Igor mit einem merkwürdigen Blick, als ob er ihn fragen wollte, ob er das mit dem Namen gewusst habe, doch der Diener zuckte nur mit den Schultern.
"Warte!" hielt Fred den Schnitter an. "Du weißt wer den Mord begangen hat!"
JA DAS WÜRDE ICH BEHAUPTEN. ABER ICH KANN DIR KEINE WEITEREN INFORMATIONEN GEBEN, ALS DIE, DIE DU VOR DIR SIEHST, INSPÄCTOR KOLUMBINI.
"Woher kennst du meinen Vornamen?"
"Er ift der Schnitter, Herr. Er kennt jeden Namen."
"Und warum sehe ich ihn eigentlich?"
MICH KÖNNEN NUR LEUTE SEHEN, DIE DEN OKTARINEN BLICK BESITZEN ODER KURZ VOR DEM ENDE IHRES LEBENSWEGES STEHEN.
"Und warum sehe ich dich dann?"
Tod zuckte mit den Schultern, was bei ihm besonders imposant wirkte.
"Und weshalb siehst du ihn, Igor?"
"Ich habe die Augen einef Faubererf, Herr."
"Igor, ich glaube, du verwechselst da etwas. Man sagt: "Ich habe die Augen eines Adlers." Oder eines Habichts. Aber nich..."
"Äh nein, Herr. Ich habe die Augen einef Faubererf. Mein Grofvater Igor kannte einen Fauberer auf dem Dorf feinef Herrn fiemlich gut. Er vermachte meinem Grofvater feine Augen und fo..."
"In Ordnung, Igor", unterbrach ihn sein Herr" erspar mir die Einzelheiten." Er wandte sich wieder an Tod. "Also du willst uns also nicht sagen, wer das Verbrechen begannen hat?"
GENAU. ICH HELFE DER WACHE NICHT. MIR IST EINE ART SCHWEIGEPFLICHT AUFERLEGT. ICH WIDME MICH VOLL UND GANZ DER PFLICHT. ABER ZU DER FRAGE, WESHALB DU MICH SEHEN KANNST IST MIR ETWAS EINGEFALLEN. JEDER, DER ETWAS MAGISCHES IN SEINEM BLICK HAT KANN MICH SEHEN.
"Aha", gab Kolumbini darauf als Antwort. "Nun das hilft mir nicht viel weiter. Ich habe keine weiteren Fragen mehr an dich du..."
Doch Tod war ohne zu verschwinden einfach nicht mehr da.
"Etwas magisches im Blick", dachte Kolumbini laut. Er hob die Hand und machte Anstalten sich auf sein Glasauge zu klopfen, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss.
"Igor?", fragte er ein wenig ängstlich.
"Ja, Herr?"
"Du hast doch am Anfang meiner Ausbildung ein neues Glasauge besorgt, oder?"
"Äh, ja, Herr."
"In welchem Laden?"
"Äh, nun, weift du, Herr, fämtliche Glafer hatten schon geschloffen aber ich habe durch Fufall doch noch ein Geschäft verbunden, daff Glafwaren verkauft."
"Wo, Igor?" Die Stimme seines Herrn wurde zornig.
"In der Efoterischen Ftrafe in einem Geschäft für magische Utenfilien", antwortete der Diener verlegen. "Ef war daf einfige Geschäft..."
"Lass gut sein, Igor. Bitte geh zu diesem Geschäft und frage, ob mir die Fähigkeit des Oktarinen Blicks durch dieses Glasauge beschert wurde, ja? Ich erwarte dich heute Abend in unserem Haus."
"Fehr wohl, Herr", sagte Igor und humpelte aus der Tür in Richtung Esoterische Straße.
Kolumbini blickte sich am Tatort um.
Es gab keine Merkmale, die auf die Identität des Raubmörders hinwiesen und das bedeutete, dass die ganze Angelegenheit sehr kompliziert wurde.
Fred untersuchte die Leiche etwas genauer. Der Mann war vermutlich durch Blutverlust gestorben. Die Kehle war durchgeschnitten.
Der Gefreite blickte noch einmal genauer hin und zog dann vorsichtig die große Glasscherbe aus der Wunde. Am Kopf des Mannes zeigte sich eine Beule, die inzwischen aufgeplatzt war.
Er könnte also von dem Einbrecher niedergeschlagen worden sein, auf eine seiner Vitrinen gestürzt, dadurch das Glas zerbrochen und sich somit die Kehle selbst aufgeschlitzt haben. Ja das könnte durchaus sein , dachte der auszubildende Ermittler.
Doch dann entdeckte Fred etwas in der Blutlache, die den Teppich getränkt hatte. Es war ein Stück einer Binse, die sich durch die Lache blutrot gefärbt hatte.
Kolumbini hob die rechte Hand über das linke Auge und machte anstallten sich mit dem Zeigefinger auf dasselbe zu klopfen, als Hauptgefreite Myra Schwertschleifer zurückkehrte.
"Halt!", rief sie. "Was machst du denn da? Bist du übergeschnappt?"
"Oh, ja, Madam. Ich sollte besser warten, bis Igor überprüft hat, ob mit diesem Glasauge auch alles in Ordnung ist."
"Glasauge?"
"Ja, Madam", antwortete Kolumbini und klopfte sich auf sein künstliches Sehorgan.
Pling.
"Wo ist Igor eigentlich?"
"Er ist fortgegangen um für mich etwas zu überprüfen."
"Ah. Der Dieb hat mich abgehängt. Er verschwand in einer Gasse und gerade, als ich um die Ecke bog schloss sich eine Art Geheimtür in der Wand, durch die der Dieb verschwand. Ich schicke gleich eine Taube zu S.U.S.I. Sie sollen einen Tatortsicherer hier herschicken."
Die Hauptgefreite bemerkte den Mann am Boden.
"Oh, wir haben es mit einem Raubmörder zu tun."
"Nein, Madam. Der arme Kerl hier wurde nur niedergeschlagen und ist in eine Glasscherbe gefallen, die ihm dann die Kehle aufgeschlitzt hat. Das nennt man Pech. Aber dennoch hat unser Täter Körperverletzung begangen und hat wohl einige wertvolle Gegenstände gestohlen. Aber wie finden wir ihn nur?"
Fred hielt die Binse hoch und erklärte Myra, wo er sie gefunden hatte.
"Sie könnte von unserem Einbrecher stammen", überlegte sie.
"Ein Fischer?" vermutete Kolumbini, dessen einzige Kenntnis von Binsen darin bestand, dass sie am Wasser wuchsen.
"Hm. Pack sie irgendwo hin, wo sie sicher ist. Wir kümmern uns später darum."
Der Gefreite holte eine kleine Tüte aus seinem Ledermantel und steckte das Gewächs hinein.
Dann bemerkte er, dass sein Schuh etwas plattdrückte. Er hob den Fuß an und nahm das, was sich darunter befand in die Hand.
Es war eine Geldbörse, dessen Schnur jedoch gerissen war. Als der auszubildende Ermittler sie öffnete blickte er auf einige Edelsteine und Schmuckstücke.
"Anscheinend hat unser Täter die Beute bereits am Tatort verloren", grinste Myra.
"Sieht ganz so aus."
"Dieser Geldbeutel kommt mir bekannt vor. Komm mit. Es gibt nur einen Händler in dieser Stadt, der so miese Qualität verkauft."

Die Taube war schnell abgeschickt.
Kolumbini und Myra warteten noch eine Weile, bis Lance-Korporal Sillybos mit seinem Sklaven Hegelkant eintraf und machten sich dann auf den Weg zum verruchtesten und berühmtesten Händler der gesamten Stadt.

"Würstchen! Heiße Würstchen!" hallte es durch das Stimmengewirr am Hier-gibt’s-alles-Platz. "Holt sie euch so lange sie noch heiß und knackig sind!" pries die Stimme weiterhin ihre Produkte an.
Ermittlerin und Lehrling drängten sich durch die einzelnen Menschentrauben, bis sie schließlich vor dem Mann standen, der lauthals seine Ware feilbot.
Wenn man diesen Händler ansah geriet man ins Grübeln, ob in der Evolutionsgeschichte der Menschheit nicht doch Nagetiere einen Platz gehabt hatten.
"Heiße Würstchen, die Wächter? Nur 1 Ankh-Morpork-Dollar pro Stück und damit treibe ich mich selbst in den Ruin", sagte Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper.
"Guten Tag, Ruin", begrüßte Myra den rattenartigen Händler.
"Guten morgen, Frau Schwertschleifer. Ein heißes Würstchen gefällig? Mit Brötchen? Nur..."
"Nein, danke", unterbrach die Hauptgefreite ihn. "Mein Kollege und ich wollten dich nur etwas fragen. Ist dies hier deine Ware?"
Sie hielt ihm den kaputten Geldbeutel vor die Nase.
"Äh, nein. Meine Ware geht nie kaputt. Sie hält ein Leben lang."
"Ich frage dich noch einmal. Ist dies deine Ware?" Myra legte etwas mehr Freundlichkeit in die Stimme.
"Ja. Ja. Es könnte meine Ware sein, aber was auch immer es ist ich war es ganz bestimmt nicht!"
"Keine Angst, Ruin. Wir wollen nur wissen, wer kürzlich einen dieser Geldbeutel von dir gekauft hat. Bitte."
"Ich habe so viele Kunden. Meint ihr, ich kann mich an jeden einzelnen erinnern?"
"Hat dir jemand einen Geldbeutel gestohlen?"
"Nein, das hätte ich mitbekommen."
"Wie wäre es mit einem Ankh-Morpork Dollar um dein Gedächtnis etwas aufzufrischen?" fragte die Hauptgefreite in einem verräterischen Tonfall.
"Ach solch einen Geldbeutel? Den haben nicht viele Leute gekauft. Um ganz genau zu sein war's nur einer. War sogar heute. Ungefähr 1,70 groß, dürr um nicht zu sagen abgemagert und ziemlich bleich im Gesicht. Seine Klamotten schienen auch nicht die neusten zu sein. Aber er war du... äh ich meine intelligent genug einen meiner hochwertigen Geldbeutel zu kaufen. Nur 2 Ankh-Morpork-Dollar pro Stück und damit treibe ich mich selbst in den Ruin, das könnt ihr mir glauben."
"Hat er dir seinen Namen genannt?" hakte die Ermittlerin weiter nach.
"Nein. Und ich habe ihn nicht danach gefragt."
"Danke, Ruin. Auf Wiedersehen."
"Auf Wiedersehen, die Wächter!"
"Tschüss, Herr Schnapper", verabschiedete sich auch Kolumbini, der die ganze Zeit über stumm in seinen Notizblock geschrieben hatte.
"Sind das die üblichen Methoden?" fragte er seine Ausbilderin, als sie über den Platz schlenderten.
"Nein. Aber jeder Wächter entwickelt seine eigenen Methoden. Du wirst deine noch entdecken, Kolumbini, keine Angst."
"Jetzt haben wir zwar eine Beschreibung des vermutlichen Täters, aber das hilft uns nicht viel weiter. Wie viel Uhr haben wir denn gerade?"
Fred blickte auf seine Taschenuhr. "Momentan dürfte niemand da sein. Weißt du, Madam, ich kann am besten nachdenken, wenn ich irgendwo gemütlich sitze und meine Pfeife rauche oder einen Tee trinke. Darf ich dich auf einen Drink im Pferdestall einladen, Madam?"
"Gerne", antwortete Myra.

Der Laden war alt.
Sehr alt sogar. Der derzeitige Inhaber hatte ihn von seinem Vater übernommen, obgleich er seinen Vater wie die Pest gehasst hatte, was auf Gegenseitigkeit beruhte.
Wir waren noch seine letzten Worte?
"Und das Zaubererweichei soll den Laden übernehmen. Ich hoffe, er verreckt an den verdammten Schulden!"
Und gegen den letzten Willen seines Vaters wagte niemand eine Auflehnung.
Erst recht niemand, der wusste, dass man die Verstorbenen irgendwann wieder sah.
Also hatte der Achte Sohn seines Vaters den Laden übernommen und ihn auf magische Utensilien umgestellt.
Die Schrift am Schaufenster verkündete nun: "Dunkelkrähes makische Utänsilien führ Jädermann".
Doch David Dunkelkrähe nahm mit diesem Laden weniger ein, als er sich erhofft hatte. In die Esoterische Straße verirrten sich sowieso nur selten Leute.
Ab und an kam mal jemand vorbei, um ein hübsches Geschenk zu kaufen, um kurz darauf ohne irgendeinen Einkauf getätigt zu haben wieder aus dem Geschäft zu verschwinden.
Klingelingeling , ertönte die Ladenglocke, die direkt über der Tür befestigt worden war und anzeigte, wann ein neuer potentieller Kunde das Geschäft betrat.
Dunkelkrähe blickte ein wenig genervt auf und sah zu dem Mann, der gerade mit neugierigen Blicken, die ihn sofort als einen Neuling auswiesen die Ware begutachtete. Der Fremde trug eine Kordhose, sowie alte Lederschuhe und ein Jackett, das schon wesentlich bessere Zeiten gesehen haben musste. Auf dem Kopf prangte eine Batschkappe in grau. Sie war flach und erinnerte ein wenig an eine Baskenmütze nur, dass sie nicht so formlos auf dem Kopf saß.
Dunkelkrähe kannte diese art von Leuten. Es waren Bauern, die von der ländlichen Provinz in die Stadt kamen. Dieser Herr hier war höchstwahrscheinlich kurz vor der Rente.
Er nickte David Dunkelkrähe zu und sagte:
"Tach!"
Auch das noch, dachte der Zauberer. Der Kerl hat sogar noch einen ländlichen Dialekt.
"Guten Tag, werter Herr, was kann ich für sie tun?" entgegnete der Ladeninhaber in seinem freundlichsten Tonfall, den er für solch eine Person reserviert hatte.
"Bäcker mein Name. Ich han da so en, wie sahnt ma dann, ei jo genau. Lichterkett gekaaft und die is jetzt kaputt gegange."
"Aha. Nun, Herr Becker..."
"Äh, nene Bäcker. Net Becker."
"Ah, ja. Nun gut, Herr Bäcker was haben sie denn nun genau für ein Problem mit ihrer Lichterkette?"
"Ei die geht net mehr. Han ich ihne doch gesahnt."
"Äh, ja. Nun wieso geht sie denn nicht mehr?"
"Ei du lieve Gott! Wenn ich das wüsst dann müsst ich sie ja net frahn. Ich weiß nur eins. Da is en Birn durchgebrannt und seit dem gehen die annern aah net mehr. Un die Tapet hat ne annere Farb."
"Ah. Ein Birnchen ist durchgebrannt und das Oktogen ist ausgetreten und hat eine Veränderung im morphischen Feld ihrer Tapete verursacht."
"Ei, jo. Wie ich gesahnt han." Herr Bäcker gestikulierte wild mit den Armen.
"Und es Hilde hat gesahnt ich söllt mich doch mo erkundiche. Ich sahn noch da wird irchend was...wie sie halt gesahnt han. Do so."
"Nun, Herr Bäcker da kann ich ihnen nicht viel helfen. Ich kann ihnen nur eine neue Lichterkette mitgeben. Und die Tapete wird sich irgendwann wieder zurückverwandeln."
Dunkelkrähe ließ das "In ca. zehntausend Jahren" vorsichtshalber weg.
"Ei jo is gut. Ich sahn das dann so auch em Hilde un dann is gut. Jo dann Glück auf!"
Mit diesen Worten verschwand der merkwürdige Mann aus dem Geschäft.
"Komischer Kauz", murmelte Dunkelkrähe in seinen Bart.

Eine dampfende Tasse Tee stand vor Kolumbini und Myra musterte ihm mit einem verwunderten Blick. Fred hatte den Tee aus einer Teekanne gegossen, die er in der Innentasche seines MANTELS mit sich führte.
Danach hatte er etwas Milch und Honig hinzugefügt, die er bei dem Wirt bestellt, obgleich er der Hauptgefreiten erklärt hatte, dass seine Tasche auch noch diese Sachen enthielt.
Myra hatte sich ein Wasser bestellt, da sie es für stärkere Getränke noch zu früh hielt.
Kolumbini hob erneut die Hand doch seine Ausbilderin hielt ihn in Mitten der Luft an.
"Nana", tadelte sie ihn.
"Jaja. Ich sollte warten, bis Igor ein Ergebnis hat. Also. Welche Beweise haben wir? Eine Glasscherbe, die dem Opfer in der Kehle gesteckt hat. Eine Geldbörse, die vom Täter stammt und in der sich die Beute befindet. Und weiterhin ein Stück einer von Blut verschmierten Binse. Herr Schnapper hat uns eine Beschreibung des Mannes gegeben, der den Geldbeutel bei ihm gekauft hat, was noch nicht heißen mag, dass dieser auch unser Täter ist, da er den besagten Geldbeutel auch vom Käufer gestohlen haben könnte. Diese Binse passt irgendwie nicht ins Bild. Um diese Jahreszeit gibt es an keinen Stellen der Stadt irgendwelche Wasserpflanzen. Wo könnte sie also herstammen?"
Der auszubildende Ermittler schlürfte an seinem Tee.
Myra erblickte eine Tür, die anscheinend in ein Hinterzimmer führte.
"Was ist da?" fragte sie den Wirt.
"Das, gnädige Frau, ist der Hobbyraum. Ich vermiete ihn an Kartenspieler, Kegler und Billardspieler. Möchten sie vielleicht einmal reinschauen?"
"Billard hört sich gut an. Wie wär's, Kolumbini? Eine kleine runde Billard um für etwas Ablenkung zu sorgen?"
"Gerne, Madam. Aber ich habe nur einige male gespielt. Mit Humbert, Arthur, Marcello oder Bertollini."
"Und immer gewonnen", fügte Arthur, der das Vampirmitglied der Band war, hinzu.
"Na wir werden sehen", sagte Myra.
Der Hinterraum war düster beleuchtet. Er war recht groß und bot einer Holzbahn, die für Kegler zur Verfügung stand, einem Tisch für Kartenspiele, oder ähnliches, sowie einem Billardtisch Platz.
Myra hatte den ersten Stoß. Eine ihrer Kugeln verschwand in einem der Löcher.
Dann war Kolumbini an der Reihe. Er legt den Anstoßstock an, zielte, stieß zu und versengte drei Kugeln mit einem mal.
"Anscheinend liegt mir dieses Spiel", sagte er verlegen. "Allerdings ist es die einzige Sportart, die ich wenigstens etwas beherrsche."
Die Ermittlerin sagte nichts. Sie blickte nur stumm aufs Spielfeld und versuchte eine weitere Kugel zu versenken, was leider scheiterte.
Fred wollte gerade zu einem Stoß ansetzen, als er ein Kitzeln in der Nase verspürte und nieste. Die weiße Kugel flog in hohem Bogen vom Tisch, durch die Tür zur Kneipe durch und gegen die Nase von Bertollini, der in der Tür gestanden hatte um das Geschehen zu beobachten.
Das Riechorgan des Bandmitglieds fing sofort an zu Bluten und Bertollini rannte mit lauten Flüchen quer durch die Kneipe und tropfte dabei etwas Blut auf den Boden.
"Pass doch auf!" schrie Humbert, der nicht mitbekommen hatte, was passiert war und nur sah, wie eines der Bandmitglieder gerade seinen Boden versaute.
"Entschuldige, Humbert", ertönte es von Kolumbini. "Es tut mir furchtbar Leid, Bertollini. Ich wollte das wirklich nicht es war ein Versehen."
"Fred", klagte der Wirt, "sieh dir doch nur den Boden an. Die Binsen wurden erst vor kurzem geliefert und jetzt sind sie blutrot. Das macht keinen guten Eindruck auf die Gäste."
"Binsen?" wiederholte der Wächter erstaunt.
"Ja Binsen. Ich habe sie von einem Kerl erhalten, der sie aus südlicheren Regionen mitgebracht hat. Die alten waren schon dreckig."
"Du benutzt Binsen als Bodenbelag?" fragte Fred ungläubig.
Es war eines jener Dinge, die man nie wahrnahm, da sie einfach immer da waren.
"Ja und nicht nur ich. In fast jeder Kneipe ist das so. Zum Beispiel in der Geflickten Trommel. Allerdings habe ich gehört, dass sie seit vielen Jahren dieselben haben. Müssten ziemlich vertrocknet aussehen."
Kolumbini zog eine kleine Tüte aus seinem MANTEL, entleerte sie und hielt den Inhalt Humbert unter die Nase.
"So wie diese hier?" hakte er nach.
"Ja so wie diese ungefähr. Bis auf das Blu... äh, nun das Blut könnte durchaus auch sein. Aber wo hast du sie her? Du gehst doch wohl nicht in andere Kneipen deine Kutscher trinken, oder?"
"Nein, Humbert. Wo denkst du hin? Ich muss jetzt los. Es gibt da etwas, dass Hauptgefreite Myra Schwertschleifer und ich überprüfen müssen. Madam! Komm, ich glaube, ich weiß, wo wir nach unserem Mörder suchen müssen."
"'nd 'as ist mit meiner 'ase?" brachte Bertollini undeutlich hervor.
"Schau immer zur Sonnenseite des Lebens!", entgegnete die restliche Band automatisch.

Igor stand vor der Ladentür und blickte ins dreckige Schaufenster hinein.
Ein älterer Mann kam aus dem Geschäft und murmelte irgendetwas vor sich hin, als er die Straße hinunterschritt.
Igor betrachtete das Schild an der Ladentür etwas genauer. Der Schriftzug stimmte aber das Bild war irgendwie...falsch.
Auf dem rechteckigen Pappschild waren einige sehr attraktive junge Damen zu sehen und darunter befand sich der Schriftzug "Wir müssen draußen bleiben".
Der Diener tat die Sache als Scherz ab und betrat das Geschäft.
Klingelingeling, ertönte es über ihm.
"Guten Tag, werter Herr. Was kann ich für sie tun?"
Hinter dem Tresen stand ein Zauberer. Er war ungewöhnlich dürr und hatte einen zotteligen schwarzen Bart, sowie schwarze Haare, die beide etwas angesengt waren.
Sein Hut war dunkelrot und die Robe glänzte rotweinfarben. Er trug eine Nickelbrille, aber schien dies aus reiner Gewohnheit und nicht, weil er einen Sehfehler hatte zu tun.
Das Geschäft war voll mit allerlei magischen Alltagsgeräten. Ikonographen und magische Lichterröhren waren nur zwei Beispiele.
"Guten Tag, Herr Dunkelkrähe. Ich habe vor einiger Feit etwaf bei ihnen gekauft."
"Ach sie sind doch Herr Igor, nicht wahr?"
"Ja, Herr Dunkelkrähe."
"Sie haben...Moment lassen sie mich überlegen! Sie haben eine kleine Kristallkugel als Schlüsselanhänger von mir gekauft. Und sie wollten, dass ich eine Pupille mit Iris vorne drauf male."
"Genau. Ich wollte fie fragen, waf paffiert wäre, wenn ich fie nicht alf Schlüffelanhänger fondern alf etwaf anderef verwendet hätte?"
"Als was?" fragte David Dunkelkrähe und die Fröhlichkeit wich schlagartig aus seinem Ton.
"Alf Glafauge."

"Ein hübsches Türschild", meinte Kolumbini, als er und Hauptgefreite Myra Schwertschleifer vor der Geflickten Trommel standen.
Besagtes Schild war eine Trommel, die von mehreren Flicken zusammengehalten wurde.
Drinnen erwartete sie kein besonders schöner Anblick.
Die Kneipe war spärlich beleuchtet und es stank stark vermodert. Die Binsen auf dem Boden waren Heimat für eine Wanzenpopulation, die bald in die Hunderttausender gehen würde.
Die Gespräche waren mit einem Mal verstummt, als die Wächter eintraten.
Langsam gingen die Zeiger auf Richtung Abend zu und die Kundschaft der Trommel wurde mit fortschreitender Uhrzeit immer verruchter.
Derzeit war Stufe 2 erreicht, was bedeutete, dass es erst später Nachmittag war. Allerdings befanden sich bereits einige Stufe 3 Leute an den Tischen und sieh sahen es gar nicht gerne, wenn Wächter diese Taverne betraten.
Der momentane Wirt war ein gewisser Herr Dunelm. Misstrauisch beäugte er die Neuankömmlinge.
Die Frau war ganz klar eine Wächterin. Sie trug die Uniform von R.U.M. und war Dunelm wohlbekannt. Doch der Kleine Mann wirkte merkwürdig. Er trug einen Ledermantel und darunter eine schwarze Hose, sowie ein rotweinfarbenes Hemd.
Vermutlich war er ein Informant von der Bettlergilde.
"Was gibt es denn, Frau Schwertschleifer?" fragte der schmierige Wirt. Jeder, der schon etwas länger in Kneipen rumhing kannte Myra Schwertschleifer. Als die Kunden den Namen hörten wandten sie sich wieder ihren Getränken zu.
"Hallo, Dunelm. Gefreiter Kolumbini hier und ich müssen dich etwas fragen", begrüßte Myra ihn.
Besagter Gefreiter war gerade in die Knie gegangen und hatte eine der Binsen aufgehoben, was mehrere Wanzen erschreckt und zur Flucht veranlasst hatte.
"Ja, Hauptgefreite, das sind die Binsen", sagte er.
"Was macht der Kerl da?" schrie Dunelm empört. "Meine schönen Binsen. Liegen da schon seit Ewigkeiten, um zu reifen."
"Keine Angst", entgegnete Kolumbini und legte das Gewächs wieder an seinen Platz. "Ich musste nur eine Kleinigkeit überprüfen."
Dunelm fand, dass er irgendwie einen glasigen Blick hatte.
"Dunelm, wir müssten erfahren, ob dir ein Mann folgender Beschreibung kürzlich begegnet ist: Ungefähr 1, 70 groß, dürr und ziemlich bleich im Gesicht. Er trägt ältere Klamotten", unterbrach Myra das Gespräch der Beiden.
"Wieso sollte ich dir Auskunft geben?" schnappte der Wirt zurück.
Die Ermittlerin zog ihr Schwert und grinste breit. Unter den Gästen trat Bewegung ein.
"Deshalb", sagte Myra und flüsterte zu Kolumbini: "Halte die Gäste irgendwie in Schach."
"Äh", entgegnete der Gefreite.
"Du packst das schon", machte ihm seine Ausbilderin Mut.
Fred beschloss seinen neu angefertigten Schlagstock zu ziehen. Dann trat er auf die Gäste zu.
"Dies ist ein Schlagstock", erklärte er den Zuschauern. "Glaubt mir es tut verdammt weh, wenn man ihn auf die Nase bekommt also bleibt lieber wo ihr seid und kommt nicht auf dumme Gedanken. Bleibt einfach ruhig sitzen und wartet, bis wir diese Sache geklärt haben, dann kommt niemand zu Schaden."
Kolumbini hörte, wie Messer aufgeklappt und Schwerter aus Scheiden gezogen wurden.
"Äh und ich muss darauf hinweisen, dass dies ein besonders gut angefertigter Schlagstock ist. Er hat einen Knopf, den man nicht drücken soll. Nur unter sehr gefährlichen Umständen."
Die Gäste lachten und Fred bemerkte, dass er den Regenschirm ausgepackt hatte. Nun es war zu spät diese Tat zu bereuen.
"Sehr lustig, Wächter! Wie wäre es, wenn ich dir mein speziell angefertigtes Klappmesser in den verdammten Bauch ramme? Es hatte eine spezielle Anfertigung, die man bei uns verdammt scharfe Klinge nennt", sagte der vorderste Schläger, der zernarbt war und ein hämisches Grinsen zur Schau trug.
Kolumbini gab auf.
Er betätigte den Auslöser.

"Sind sie irre? Wollen sie mir etwa sagen, dass dort draußen jemand mit einer Kristallkugel in seiner Augenhöhle rumrennt?" schrie David Dunkelkrähe die bucklige Gestalt vor sich an.
"Ja, Herr Fauberer. Genau daf wollte ich ihnen fagen."
Die Erinnerung kroch in Davids Gehirn zurück.
"Ein kleiner Mann mit Ledermantel?"
"Ja genau daf ift er."
"Ich habe ihn vor einigen Wochen im Kasino Saturnalien gesehen."
"Könnte ef fein, daff mein Herr durch diefef Glafauge einen Oktarinen Blick bekommen hat?"
"Ja, das könnte durchaus passiert sein. Aber besorgen sie ihrem Herrn so schnell wie möglich einen Ersatz für dieses Ding. Ich gebe ihnen die Adresse eines guten Glasers, Herr Igor. Ich würde mich freuen ihren Herrn einmal untersuchen zu können."
"In Ordnung, Herr Dunkelkrähe. Vielen Dank. Ich werde meinem Dienftherrn bescheid geben."
Mit diesen Worten verließ der bucklige Diener den Raum.
"Kristallauge", murmelte David Dunkelkrähe und lachte leise.

Nach einer Weile legte sich die Staubwolke in der Trommel und der Blick auf einen großen Haufen von Ohnmächtigen Personen wurde frei.
Kolumbini trat auf den Hügel zu und zog seinen Regenschirm aus dem Durcheinander.
Der Kampf hatte nur kurz gedauert.
Myra und Dunelm standen mit offen stehendem Mund an der Bar.
Die Hauptgefreite brachte sich schneller wieder unter Kontrolle und richtete ihr Wort an den Wirt.
"Woher bekommst du deine Binsen?" fragte sie.
"Ich habe schon seit Ewigkeiten keine mehr bekommen", antwortete der Inhaber der Trommel sofort. Eine solche Vorführung, wie er sie eben erlebt hatte konnte eine Meinung schlagartig ändern. "Aber neulich kam ein gewisser Thomas Hinz zu mir, der sehr genau auf eure Personenbeschreibung passt. Er hat versucht mir neue Binsen anzudrehen. Hatte in der gesamten Stadt keinen Erfolg und sei nun vollends Pleite. Pflanzen seien das einzige, womit er sich gut auskenne. Der Kerl wohnt in der Schmutzgasse 10 in den Schatten."
"Vielen Dank, Dunelm. Das ist alles, was wir wollten."
Der Haufen rührte sich und beide Wächter rannten wie von der Tarantel gestochen davon.

Es dauerte eine Weile bis Myra Schwertschleifer und Gefreiter Kolumbini die Schmutzgasse gefunden hatten. Sie befand sich am Rand der Schatten, wo es noch nicht ganz so gefährlich war, wie in ihrem Kernstück.
Es war schäbig und dreckig. Jemand schien den gesamten Schmutz der Stadt genommen und ihn auf diese kleine Gasse abgeladen zu haben.
Die Türen hingen schief in den Angeln und die einzigen Lebenszeichen waren die Ratten, die über die Straße huschten.
Haus Nummer 10 sah aus, als würde es beim nächsten Windstoß zusammenfallen.
Es war der trostloseste Ort, den Kolumbini jemals gesehen hatte.
"Wenn ich mir das hier so ansehe, weiß ich zumindest das Motiv des Täters", teilte der Wächter seiner Ausbilderin in leicht traurigem Tonfall mit.
"Ja. Trotzdem. Wir müssen den Kerl suchen und verhaften. Er hat einen Menschen auf dem Gewissen."
Der Gefreite nickte betrübt.
Die zwei Wächter betraten langsam und mit gezogenen Waffen das Haus.
Eine lange Treppe führte in die verschiedenen Stockwerke.
Als Kolumbini einen Fuß auf das alte Holz setzte knarrte es und brach schließlich.
"Ähh", machte er und richtete einen fragenden Blick auf Myra.
Die nächsten Stufen hielten jedoch ihr Gewicht.
Die Wohnungen schienen alle verlassen zu sein. Die Türen waren sämtlich kaputt und in den Wohnungen schimmelten die Wände durch.
Doch bei einer Wohnung war die Tür noch ganz und außerdem verschlossen.
Kolumbini klopfte an.
Ein kleines Mädchen öffnete die Tür.
"'allo", begrüßte sie die Wächter. "Wer seid ihr?"
"Ich bin Myra und das da ist..."
"Der sieht lustig aus", sagte das Mädchen.
"Kolumbini, mein Name."
"Das klingt nach was mit Eiern", entgegnete das Kind.
Freds Blick deutete zwei Sachen an: Erstens, dass er sich in Kindern bisher sehr getäuscht hatte und zweitens, dass dieses spezielle Kind gleich eine Ohrfeige bekommen würde.
"Ist dein Pappi da?" ergriff Myra das Wort, bevor der Gefreite etwas sagen konnte.
Das Mädchen nickte und führte die beiden Wächter in die Wohnung.
Nun Wohnung war vielleicht etwas übertrieben. Es waren drei Zimmer. Zusammen vielleicht 20 Quadratmeter.
Küche, Schlafzimmer und ein anderer Raum. In der Küche war ein kleiner verrosteter Kanonenofen mit alten verrosteten Töpfen aus denen es gefährlich nach alten Bohnen roch.
Das Schlafzimmer bestand aus mehreren Strohsäcken, die jemand in einer großen Obstkiste untergebracht hatte.
An der einen Wand hing ein Bücherregal und die Bücher darin wiesen darauf hin, dass es der Familie nicht immer schlecht gegangen war. Es waren Werke wie: Die Flora Ankh-Morporks, oder Berühmte Nutzpflanzen der Sto-Ebene und ihr Anbau. Anscheinend war jemand im Haushalt, der ein sehr nahes Verhältnis zu Büchern hatte. Ansonsten wären sie sicherlich bereits verkauft worden, um wenigstens etwas Essen zu kaufen.
Im anderen Zimmer hatte sich die Familie versammelt. Mutter, drei Kinder und der Vater. Es stank, wie es eben stinkt, wenn mehrere Leute, die in letzter Zeit häufig Bohnen gegessen hatten, zusammen in einem engen Raum sitzen.
Die Mutter saß Gedankenverloren auf einer alten verschimmelten Couch. Das jüngste Kind, es mochte noch nicht einmal 1 Jahr sein saß auf einem gesprungenen Nachttopf.
Es machte laut PLING und die Mutter griff in die Schüssel, holte einen Pfirsichkern daraus hervor und steckte ihn dem Kleinen als Schnuller wieder in den Mund.
Die beiden anderen Kinder starrten die Wächter ängstlich an und der Vater selbst zitterte am ganzen Körper. Niemand sagte etwas.
Bis Thomas Hinz selbst das Wort ergriff.
"Ich wollte den Mann nicht töten. Ich wollte ihn nur bewusstlos schlagen. Bitte erhängen sie mich nicht", brachte er den Tränen nahe hervor.
"Keine Angst, Herr Hinz", beruhigte ihn Kolumbini. "Am besten, sie kommen mit zum Wachhaus und dann werden wir da in aller Ruhe drüber reden, in Ordnung?"
Der verstörte Mann nickte leicht.
"Nehmt ihr unseren Pappi jetzt mit?" fragte das Mädchen, dass ihnen die Tür geöffnet hatte die Wächter.
"Keine Angst. Wir bringen euren Pappi bald zurück" versuchte Fred das Kind zu beschwichtigen.
Er wechselte einen besorgten Blick mit Myra und führte den Mann schließlich aus der Wohnung in Richtung Wachhaus.
Die Frau hatte nichts gesagt. Sie blieb auch weiterhin stumm.

Einige Wochen später legte Kolumbini Humph MeckDwarf seinen Ausbildungsbericht vor.
"In Ordnung, Kolumbini", lobte ihn der Oberleutnant, nachdem er ihn durchgelesen hatte. "Du hast deine Ausbildung gut und in allen Einzelheiten beschrieben. Du kannst dich nun als vollständig ausgebildeten Ermittler betrachten."
"Danke, Herr", entgegnete Fred.
"Myra Schwertschleifer meinte, dass du sicher ein erfolgreiches Mitglied unserer Abteilung werden würdest."
"Danke, Herr."
"Wirklich ein ziemliches Glück für diesen Thomas Hinz. Aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen."
"Ja, Herr. Wirklich ein verdammtes Glück, Herr."
"Und das ihr ihm am Tatort angetroffen und bis nach Hause verfolgt habt, obwohl er nicht der Täter war. Das nenne ich Pech für euch."
"Ja, Herr. Wirklich Pech. Jeder irrt sich eben mal. Er hat die Leiche entdeckt und glaubte, dass wir ihn für den Täter hielten und da Madam Schwertschleifer und ich auch unsere Waffen gezogen hatten war das Wegrennen sicherlich verständlich."
"Nur schade, dass ihr den wahren Täter nicht gefunden habt."
"Ja, Herr. Wirklich schade."

Es war ruhig im Pferdestall.
Jochen Krause und Fred saßen zusammen an einem Tisch, doch ihre Unterhaltung war nicht lange gewesen. Humbert wusste, dass der Wächter und der ehemalige Beamte nicht gerade die gesprächigsten Leute waren.
"Ich sag ihnen, Herr Kolumbini. Einen guten Gärtner zu finden ist heute gar nicht mal so einfach", brach Herr Krause schließlich das Schweigen.
"Glaub ich ihnen gerne. Ein Gärtner findet wirklich nicht gut Arbeit. Ein Bekannter namens Thomas Hinz sucht einen Platz als Gärtner und hat bisher in der ganzen Stadt keinen Platz gefunden."
Keiner von beiden bemerkte zunächst die Verbindung.
"Jaja. Wirklich verdammt schwer einen guten Gärtner für unseren Garten zu finden", murmelte der Beamte.
Dann kroch ein Gedanke in Freds Gehirn.
"Ich habe da so eine Idee, Herr Krause", grinste er.

Kolumbini stand an seinem Schlafzimmerfenster und blickte über Ankh-Morpork, als er darüber sinnierte, was in den letzten Wochen und Tagen so alles geschehen war.
Sein neues Glasauge hatte Fred noch nicht eingesetzt. Er glaubte, dass ein magischer Blick durchaus Vorteile haben konnte.
Thomas Hinz hatte er einen neuen Job bei Herrn Krause als Gärtner beschafft. Manchmal waren Verbindungen wirklich etwas wunderbares, fand der Ermittler.
"Kann ich noch etwaf für dich tun, Herr, bevor ich fu Bett gehe?" fragte sein Diener.
"Nein, danke, Igor. Für heute brauche ich nichts mehr. Ich danke dir, dass du bei der Zeugenbefragung ein wenig geholfen hast."
"Keine Urfache, Herr. Der arme Mann hat mir auch fehr Leid getan."
"Ich hoffe, dass ich nie so ende wie die Familie Hinz."
"Oh, da bin ich ganf ficher, Herr. Ich habe immer etwaf Geld auf die hohe Kante gelegt."
"Da bin ich ja beruhigt. Wie viel?"
"Daf eine oder andere, Herr. Ich habe mir nie die Mühe gemacht daf Biffchen Geld fu fählen."
"Gut, gut."
"Dann wünffe ich dir eine gute Nacht, Herr."
"Danke, Igor. Ich dir auch."
Kolumbini blickte wieder über das nächtliche Ankh-Morpork. Neulich hatte er den Dachboden entdeckt und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er noch nicht das ganze Haus gesehen hatte. Wenn er daran dachte wie er hier lebte und dann an das kleine Apartment der Hinzes...Die Welt war manchmal schon wirklich etwas seltsam. Doch Herr Hinz hatte es abgelehnt zu ihm zu ziehen. Es war wohl der Stolz ihrer Gesellschaftsschicht. Wenn man ganz unten ist, gibt es nichts mehr, das man einem wegnehmen könnte außer dem Stolz und folglich gaben die Leute, die ganz unten in der Gesellschaft standen auf diesen besonders acht.
Arme und Reiche...In dieser Stadt gab es mehr als genug von beidem.
"Gute Nacht, Bürger Ankh-Morporks", murmelte Kolumbini. "Von welchem Stand ihr auch sein möget."



[1] Einen richtigen Namen hatte sie nicht. Krähen machten sich sowieso keine Gedanken um irgendwelche Namen, doch diese spezielle Krähe erinnerte sich daran, dass einige "Große" sie "Hau-ab-du-scheiß-Vogel-oder-ich-schieß-dich-ab" gerufen hatten.

[2]  Natürlich verwenden Krähen in Wirklichkeit nicht solche Formulierungen, allerdings hält es der Autor für Notwendig die Worte "Kräh" und "Krah" ein wenig zu deuten und auszuschmücken.

[3] Obgleich im Pferdestall fast immer nur ein Kunde anwesend war, so gab es doch sehr viele von ihnen, die alle ihre festen Uhrzeiten hatten. Humbertolini fragte sich manchmal, ob sie vielleicht einen Zeitplan erstellt hatten, damit sie sich nicht trafen.

[4]  Nun das stimmte nicht ganz. Herr Krause war zwar jahrelang Beamter gewesen, doch Beamte hatten Humor. Er mochte zynischer sein als alles andere, aber sie hatten welchen. Und Beamte konnten lächeln. Es mochte das grausamste und verachtendste Lächeln im gesamten Multiversum sein, doch man konnte es als Lächeln bezeichnen.

[5] Warum sollte man etwas entfernen, dass funktionierte und außerdem gegen Einbrecher half, dachte sich Kolumbini immer wieder.




Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung