Von den Aufgaben der Stadtwache von Ankh-Morpork

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von Lance-Korporal Sillybos (GRUND)
Online seit 08. 01. 2003
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Von den Aufgaben der Stadtwache von Ankh-Morpork. Eine Analyse.

Dafür vergebene Note: 12

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort
I. Einleitung
II. Die Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze
III. Die Aufklärung von Verbrechen
IV. Intörnal Affärs
V. Schlusswort
VI. Anhang



Vorwort

Ein Mitglied der Stadtwache von Ankh-Morpork verrichtet tagtäglich die verschiedensten Tätigkeiten. Streife laufen, Berichte schreiben, Labore putzen, Übeltäter verhaften: all diese Aufgaben werden von Wächtern verlangt. Als Philosoph habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, bestehende Richtlinien auf ihre Praxistauglichkeit zu untersuchen. Da ich Mitglied der Stadtwache von Ankh-Morpork bin, hielt ich es für naheliegend, die Aufgaben, die von mir selbst verlangt werden, auch auf ihre Durchführbarkeit zu prüfen.
Die erste Frage, die sich bei einer solchen Untersuchung stellt, ist die Frage nach dem Zweck. Die Tätigkeiten, die ich für die Wache Tag für Tag ausführe, dienen alle einem allgemeineren Zweck, nämlich den "Aufgaben der Stadtwache von Ankh-Morpork". Bei diesen Aufgaben handelt es sich um allgemeine Grundsätze, die zu erfüllen der grundlegende Auftrag der Stadtwache von Ankh-Morpork ist. In diesen Aufgaben ist also der Sinn der Stadtwache und somit auch des Wächterberufs zu sehen.
Es soll nicht Inhalt dieser Arbeit sein, die Intention, die hinter diesen generellen Aufgaben steht, zu untersuchen, denn eine subjektive Absicht, die hinter solchen Richtlinien steht, kann nicht objektiv beurteilt werden. Ich werde daher in diesem Traktat diese allgemeinen Aufgaben der Stadtwache lediglich hinsichtlich ihrer objektiven Durchführbarkeit analysieren und anschließend eine Empfehlung für die praktische Umsetzung geben.


Sillybos,
Lance-Korporal



I. Einleitung.

"Die Ankh-Morpork Stadtwache hat die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wird, und bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen. Die Wächter der Ankh-Morpork Stadtwache haben außerdem Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen um die Verdunkelung der Sache zu verhüten."
"Gesetze und Verordnungen der Städte Ankh und Morpork"


So lautet die Definition der Aufgaben der Stadtwache von Ankh-Morpork. Um diese Aufgaben ob ihrer Praxistauglichkeit zu überprüfen, muss man zunächst einmal analysieren, worum es eigentlich geht, sprich: man muss verstehen, was eigentlich von der Stadtwache verlangt wird.
Dazu unterteile ich die Definition in drei Teile:

1. "Die Ankh-Morpork Stadtwache hat die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wird."
Wie ist dies zu verstehen? "Öffentliche Ordnung" herrscht, wenn in der Öffentlichkeit alles in Ordnung ist. Dies ist der Fall, wenn keine Gesetze gebrochen werden, denn die Gesetze regeln die öffentliche Ordnung. Die öffentliche Ordnung wird durch "eine Gefahr" bedroht, wenn durch das Vorhandensein dieser Gefahr Gesetze nicht eingehalten werden. Die Aufgabe der Stadtwache ist es also, jeden einzelnen Bürger und das Gemeinwesen allgemein vor einer solchen Gefahr zu bewahren. Bleibt nur die Frage: Wie sieht eine solche Gefahr aus? Sie kann eine Person sein, sie kann eine öffentliche Meinung sein, sie kann meinetwegen auch ein Drache oder ein Unwetter sein, also praktisch alles, was dazu führen kann, dass Gesetze nicht eingehalten werden. Eine Gefahr abzuwehren bedeutet also genau, dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Da eine solche Gefahr sehr vielfältig sein kann, ist es zunächst nicht möglich, sie genauer zu spezifizieren. Aus diesem Grund formuliere ich diese erste Aufgabe folgendermaßen um: "Die Stadtwache von Ankh-Morpork hat die Aufgabe, die Einhaltung der Gesetze zu gewährleisten." Dies ist wohldefiniert, denn die Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze beinhaltet sowohl die Abwehr von Gefahren für den einzelnen und für das Gemeinwesen als auch die Wahrung der öffentlichen Ordnung. Im zweiten Abschnitt werde ich die in der Definition genannten "Gesetze" genauer definieren, so dass dann diese Aufgabe in meinen Augen klar und eindeutig ist und somit auch analysiert werden kann.
Wie die "Gefahr" ist auch die "Störung" ein weiter Begriff und eine genaue Definition würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen und ist außerdem zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig, wie ich weiter unten zeigen werde.

2. "Die Ankh-Morpork Stadtwache hat die Aufgabe, bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen."
Dies ist eine besondere Aufgabe, denn sie geht von einer Voraussetzung aus, nämlich von der Voraussetzung, dass eine "Störung" der öffentlichen Ordnung vorliegt. Dies bedeutet, dass ein oder mehrere Gesetze nicht eingehalten wurden, was wiederum bedeutet, dass die Wache ihre erste Aufgabe nicht ordnungsgemäß wahrgenommen hat. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Stadtwache eine Aufgabe nicht ordnungsgemäß ausführen kann, und für diesen Fall eine weitere Aufgabe definiert, müsste man das dann auch für diese Aufgabe machen und die Folgende usw., was zu keinem Ende führen würde. Dennoch ist diese zweite Aufgabe sinnvoll, wie die Analyse des ersten Auftrags zeigen wird. Inhaltlich besagt die Aufgabe, dass dafür gesorgt werden muss, dass, wo auch immer und von wem auch immer Gesetze nicht eingehalten werden, dieses gestoppt wird und den Gesetzen wieder Geltung verschafft wird. Diese Aufgabe fällt allerdings mit den anderen beiden Aufgaben zusammen, oder andersrum: die Bewältigung dieser Aufgabe zerfällt in zwei Teile, die wiederum Teile der anderen beiden Aufgaben sind. Also stellt sie keine neue Aufgabe dar, sondern ist lediglich ein Bindeglied zwischen der ersten und der zweiten Aufgabe. Aus diesem Grund brauche ich sie auch keiner näheren Untersuchung unterziehen, da eine solche sich bereits aus den anderen beiden ergibt.

3. "Die Wächter der Ankh-Morpork Stadtwache haben außerdem Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen um die Verdunkelung der Sache zu verhüten."
Die dritte Aufgabe besteht also im Prinzip wiederum aus zwei Aufgaben, nämlich zum Einen aus der "Erforschung von Straftaten" und dem "Treffen von Anordnungen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten." Ich habe diese beiden Aufgaben jedoch zusammengefasst, weil die zweite Aufgabe meiner Meinung nach irrelevant ist. Im dritten Abschnitt werde ich näher auf diesen Punkt eingehen. Die Erforschung von Straftaten definiere ich um zu der "Aufklärung von Verbrechen", denn die Aufklärung beinhaltet auch stets die Erforschung, und während die Erforschung die Straftat nicht vollends klären muss, erhebt die Aufklärung den Anspruch der Vollständigkeit, was meiner Meinung nach sinnvoll ist, wenn man keine nur halbgelösten Fälle haben will. Zudem definiere ich Straftat um in Verbrechen, da der Terminus "Straftat" missverständlich ist, denn z.B. ist die "Bestrafung" oder einfach "Strafe" eine Handlung, die als "Straf-tat" bezeichnet werden kann. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, wählte ich den anderen Begriff, der aber inhaltlich äquivalent ist und die "Nichteinhaltung eines Gesetzes" bedeutet.



II. Die Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze

Dies ist eine noch recht ungenaue Formulierung von mir. Eigentlich ist damit die "Gewährleistung der Einhaltung der im Gesetz festgeschriebenen Regel in dem Gültigkeitsbereich des Gesetzes durch alle Wesen, für die das Gesetz Gültigkeit hat" gemeint.
Ein Gesetz ist eine schriftlich fixierte Regel, die von der gesetzgebenden Gewalt eines Gültigkeitsbereichs bestimmt wurde. Der Gültigkeitsbereich ist in diesem Fall die Stadt Ankh-Morpork in ihren gesetzlich festgeschriebenen Grenzen (die Stadt Ankh-Morpork befindet sich innerhalb dieser Grenzen. Mit innerhalb ist jenes Gebiet gemeint, dass nicht an den Rand der Scheibenwelt reicht.), und die gesetzgebende Gewalt ist der Patrizier.
Das Gesetz betrifft alle strafmündigen Lebewesen, die sich innerhalb dieser Grenzen aufhalten. Strafmündige Lebewesen sind jene Wesen, die aufgrund reflexiven Verhaltens ein eigenes Bewusstsein haben und somit für ihre Handlungen verantwortlich sind. In Ankh-Morpork zählen dazu Menschen, Zwerge, Werwölfe, Trolle, Gnome, Wasserspeier und Untote. (Wobei diese Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, denn es gibt viele Arten mündiger Wesen auf der Scheibenwelt.) Im weiteren Verlauf werde ich diese Wesen Bürger nennen (Das mag zwar nicht mit der exakten Definition von "Bürger" übereinstimmen, aber für diese Arbeit ist es ausreichend).

Die Aufgabe der Stadtwache ist es also, die Bürger zu kontrollieren, ob sie sich an das Gesetz halten oder nicht. Und zwar alle Bürger, wie es in der Aufgabenbeschreibung heißt. Und da keine spezielle Zeitangabe angegeben ist, bezieht sich das für alle Zeit, in der diese Aufgabe gültig ist. Sprich: Jeder Bürger muss jederzeit überwacht werden.
Dies wäre zunächst theoretisch möglich. Denn das Gebiet und die Anzahl der Bürger ist begrenzt und somit endlich, es ist also möglich, zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Bürger zu kontrollieren. Durch zwei aufeinanderfolgende Zeitpunkte erreicht man eine Zeitspanne, die sich endlich ausdehnen lässt. Aufgrund der Vielfalt an Gesetzen und der entsprechenden Anzahl an Verbrechensmöglichkeiten, verbunden mit dem freien Willen der Bürger, bedarf ein Bürger stets die volle Aufmerksamkeit eines Wächters, damit eine vollständige Kontrolle gewährleistet ist. Aus diesem Grund kann ein Wächter immer nur einen Bürger überwachen. Die Wache müsste in diesem Fall also genügend Wächter einstellen, die jederzeit jeden Bürger der Stadt ob der Einhaltung der Gesetze kontrollieren. Und sofern hinreichend viele Wächter vorhanden sind, kann man jedem Bürger einen kontrollierenden Wächter zuweisen, und wenn die Wächter bei ihren Kontrollen keine Fehler machen, so kann auch die Zeitspanne der Kontrolle ausgedehnt werden. Dann wären alle Bedingungen an diese Aufgabe erfüllt, und durch ein Optimierungsverfahren (unter Berücksichtigung der Aufgabe) auch praktikabel umsetzbar.

Allerdings sind die Wächter auch Bürger. Und da die Wächter keine qualitativ andersstufigen Bürger sind (also z.B. in dem Sinne, dass sie sich per definitionem an Gesetze halten), müssten auch noch die Wächter selbst von Wächtern kontrolliert werden. Und diese Wächter wiederum auch usw. Somit ist ein infiniter Regress erreicht, der zumindest hier auf der Scheibenwelt ohne Magie praktisch nicht lösbar ist.

Wie geht man nun mit einer unlösbaren Aufgabe um? Eine logische Antwort wäre: Wenn ich eine Aufgabe nicht erledigen kann, dann mache ich sie auch nicht. Allerdings hat die Praxis gezeigt, dass eine Nichtbearbeitung dieser Aufgabe die anderen beiden Aufgaben um ein Vielfaches verstärkt. Insofern hat die Stadtwache ein Optimierungssystem entwickelt, wonach möglichst oft möglichst viele Bürger unter relativ geringem Aufwand kontrolliert werden. Dies ist eine Verschiebung der Arbeitskraft von Aufgabe Zwei ("Verbrechen aufklären") zu dieser Aufgabe, mit dem Hintergrund, dass dadurch insgesamt weniger Arbeit verrichtet werden müsse. Dies ist oberflächig richtig, was aber daran liegt, dass die zweite Aufgabe bisher auf eine arbeitsintensive und unsinnige Weise erfüllt wird.

Aber welche Verfahrensweise in Zukunft auch angewendet wird, so halte ich dennoch grundlegend fest: Ein Befehl zur Bewältigung dieser Aufgabe, also zur "Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze", braucht ein Wächter nicht auszuführen, da diese Aufgabe objektiv nicht erfüllbar ist. Kein Wächter, der die Einhaltung der Gesetze der Bürger von Ankh-Morpork nicht kontrolliert, kann dafür zur Rechenschaft gezogen werden.



III. Die Aufklärung von Verbrechen

Die zweite Aufgabe der Stadtwache besteht darin, Verbrechen aufzuklären. Um diese Aufgabe zu analysieren, muss man die Verbindung zwischen Stadtwache und Verbrechen genauer durchleuchten.
Wie genau sieht diese Verbindung aus?
Um diese Schnittstelle zu untersuchen, muss man das Verbrechen an sich etwas näher betrachten. Eine verbreitete Definition lautet: bei einem Verbrechen handelt es sich um die Nichteinhaltung eines Gesetzes. Dies ist allerdings eine recht allgemeine Definition, exaktere Abstufungen sind vorteilhaft. Hierzu muss man die Eigenschaften hinzuziehen, die einzelne Verbrechen voneinander unterscheiden. Es gibt neben dem nichteingehaltenen Gesetz zunächst sechs weitere grundlegende Eigenschaften: der Tatort, der Zeitpunkt, der Täter, das Motiv, das Opfer und die Tatwaffe.
Der Tatort liegt notwendigerweise im Gültigkeitsbereich des Gesetzes, das nicht eingehalten wird, denn ansonsten wäre das Gesetz nicht gültig und somit wäre die Tat kein Verbrechen. Gleiches gilt für die Tatzeit, zu diesem Zeitpunkt muss das entsprechende Gesetz gültig sein. Auch hat jedes Verbrechen einen Täter, also eine oder mehrere Bürger, die das Gesetz nicht einhalten. Neben dem nichteingehaltenen Gesetz sind auch diese drei Eigenschaften für ein Verbrechen obligatorisch. Optional hingegen ist das Motiv, denn es ist möglich, dass auch ohne Motiv ein Gesetz nicht eingehalten wird (z.B. durch Unwissenheit). Ob ein Verbrechen ein Opfer hat, hängt stark von dem entsprechenden Gesetz und auch von der Definition eines Opfers ab. (Zwar kann man z.B. bei Verbrechen wie Steuerhinterziehung die Gesellschaft als das Opfer darstellen, aber wenn man dann beispielsweise definiert, dass das Opfer und Täter stets verschieden sind, ist es theoretisch möglich, dass im Gültigkeitsbereich des Gesetzes genau eine Person, nämlich der Täter, lebt und es somit nur einen Täter, aber kein Opfer gibt.) Ebenfalls optional ist die Tatwaffe, womit materielle Hilfsmittel gemeint sind. Viele Verbrechen können ohne Weiteres ohne eine solche Tatwaffe begangen werden (z.B. bei "Das Betreten des Rasens ist verboten").

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Aufklärung eines Verbrechens. Dies ist ein zusätzliches Attribut, das ein Verbrechen erhält, wenn die Hüter des Gesetzes sämtliche Umstände des Verbrechens herausgefunden haben.
Dies möchte ich etwas verdeutlichen. Ein Verbrechen ist ein Verbrechen; ob es aufgeklärt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Es gibt aufgeklärte Verbrechen und nicht aufgeklärte Verbrechen, man kann also die Aufgeklärtheit als eine zusätzliche Eigenschaft des Verbrechens auffassen, ein zusätzliches Qualitätsmerkmal. Hingegen ist eine Verbrechensaufklärung ohne Verbrechen nicht denkbar, also ist die Aufklärung durch das Verbrechen bedingt.

Wie jedes Wesen unterliegt natürlich auch das Verbrechen dem Evolutionsprinzip. Es ist bestrebt, sein Überleben zu sichern und sich fortzupflanzen. Wie bei nahezu allen Ereignissen geschieht dies in erster Linie durch Mundpropaganda und schriftliche Fixierung. Da Nachahmung aber generell weniger Aufsehen erregt und weniger Beachtung findet, sind die Mutationen bei einer Reproduktion relativ hoch, eine identische Reproduktion ist aufgrund der Beschaffenheit von Raum und Zeit natürlich unmöglich.
Unter Fortpflanzung ist bei Verbrechen zu verstehen, dass das Verbrechen nicht auf identische Weise imitiert wird, sondern dass mehr Verbrechen der gleichen Art geschehen (zwei Verbrechen gelten als ähnlich oder von der gleichen Art, wenn sie inhaltlich miteinander assoziiert werden.) und neue Verbrechen mit dem alten in Verbindung gebracht werden. Der Misserfolg des Täters, der bei der Aufklärung des Verbrechens auftritt, spielt für eine erfolgreiche Fortpflanzung keine Rolle.
Die natürliche Zuchtwahl ist von grundlegender Bedeutung für die Evolution des Verbrechens: anhand der qualitativen Unterschiede haben einige Verbrechen eine bessere Überlebenschance als andere. Neben inhaltlichen Unterschieden ist die Aufklärung eines Verbrechens von großer Bedeutung. Denn die Aufklärung eines Verbrechens führt zu einer endgültigen Fixierung in den Akten der Stadtwache, so dass das Überleben gesichert ist. Und da dieses Archiv (im gewissen Sinne als Anregung für neue Verbrechen) für alle einsehbar ist, bieten sich durch die Aufklärung auch der Fortpflanzung ideale Bedingungen.
Damit ist gezeigt, dass die Aufklärung für ein Verbrechen einen unbedingten Evolutionsvorteil bringt.

Welche Konsequenzen hat dies für die Praxis? Es ist einleuchtend, dass ein Verbrechen, um aufgeklärt zu werden, jemanden braucht, der es aufklärt. Diese Aufgabe ist also wohldefiniert und lösbar. Die Aufklärung eines Verbrechens wird von der Stadtwache übernommen. Wie lässt sich diese Aufgabe möglichst effektiv lösen? Da das Verbrechen aus evolutionstechnischen Gründen schon eine Aufklärung von sich aus anstrebt, braucht es lediglich eine Art Vermittler, der diese Aufklärung übernimmt. Die Aufklärung ist also eine Interaktion zwischen Verbrechen und Wächter, die für beide Seiten Nutzen bringt.
Stadtwache und Verbrechen stehen also in einer Art Symbiose zueinander. Für die Stadtwache ist es von Vorteil, wenn sie Verbrechen aufklärt, und, wie oben bewiesen, ist es für das Verbrechen von Vorteil, wenn es aufgeklärt wird. Allerdings ist dieses Symbioseverhältnis gestört durch ein wichtigen Umstand: nämlich durch den freien Willen und somit der Unberechenbarkeit der einzelnen Wächter. Ohne diesen Aspekt wäre durch das Evolutionsprinzip im Laufe der Zeit eine Symbiose entstanden, durch die jedes Verbrechen mit einem Höchstgrad an Effektivität und Schnelligkeit seinen Evolutionsvorteil (nämlich seine Aufklärung) erreichen würde. Durch den freien Willen der Wächter ist das Evolutionsprinzip aber leider nicht anwendbar, und aufgrund der Unberechenbarkeit verfällt das Verbrechen zunehmend in Passivität, so dass die Wächter den Großteil der Aufklärung selbst erledigen müssen.

Meiner Meinung nach ist diese Vorgehensweise nicht sinnvoll. Man beruft sich nicht auf die wunderbare Funktionsweise des Evolutionsprinzip, das bekanntermaßen von sich aus schon Perfektion anstrebt, sondern zwingt durch eine Vielzahl von Meinungen und irrationalen Entscheidungen das Verbrechen in die Untätigkeit und muss selbst den aktiven Teil der Aufklärung übernehmen.
Dabei wäre es viel sinnvoller, sich trotz des eigenen freien Willens um ein Funktionieren des Evolutionsprinzips zu bemühen. Dadurch würde sich im Laufe der Zeit das Verbrechen darauf einstellen können und es könnte Evolution stattfinden, wodurch langfristig ein Höchstmaß an Effektivität erzielt werden würde.
Aber wie soll es gelingen, den freien Willen "auszuschalten"? Indem man selbst passiv wird. Die Aufgabe der Wächter sollte es sein, selbst nichts zur Aufklärung des Verbrechens beizutragen und sich auch nicht darum zu bemühen. Durch die Passivität der Wächter würde das Verbrechen evolutionstechnisch dazu gezwungen sein, sich quasi selbst aufzuklären.
Somit sollte es eigentlich nur noch die Aufgabe der Wächter sein, dem Verbrechen die Möglichkeit zu geben, aufgeklärt zu werden. Denn immer wo ein Verbrechen aufgeklärt wird, gibt es auch jemanden, der es aufklärt. In der Praxis sähe das dann so aus, dass die einzige Tätigkeit der Wächter im Dienst darin bestünde, Berichte über Verbrechen zu schreiben, die infolge des Evolutionsprinzips irgendwie aufgeklärt werden.



IV. Intörnal Affärs

In diesem Abschnitt möchte ich kurz noch auf eine besondere Aufgabe der Stadtwache eingehen, deren Problematik ich in der Betrachtung der ersten Aufgabe kurz erwähnt habe.

Denn auch Wächter sind mündige Bürger und es kann passieren, dass ein Wächter selbst ein Gesetz nicht einhält. Also müssen auch diese Wächter kontrolliert werden. Diese Kontrolle übernehmen die Wächter gegenseitig, wenn ein Wächter also ein Verbrechen begeht, wird dies einer besonderen Abteilung der Wache gemeldet, die dieses Verbrechen dann ahndet. Falls der Täter eines Verbrechens also ein Mitglied der Stadtwache sein sollte, besteht die dritte Aufgabe darin, diesen Täter für sein Verbrechen angemessen und gerecht zu bestrafen. Dies ist die Aufgabe der Abteilung Intörnal Affärs.

Es ist allerdings oftmals nicht einfach herauszufinden, wie eine solche gerechte Strafe aussieht, denn um wirklich gerecht zu sein, muss man alle persönlichen Umstände des Täters kennen und abwägen. In nicht wenigen Fällen spielt hierbei auch eine psychologische Komponente und die persönliche Beziehung zwischen Strafenden und Bestraften eine Rolle.

Ich stelle fest: Die Bewältigung dieser Aufgabe ist möglich, allerdings aufgrund des Anspruchs der Gerechtigkeit in der Praxis oftmals nicht einfach. Häufig wird bei der Bestimmung des Strafmaßes das Verbrechen mit anderen Verbrechen verglichen und die Bestrafung würde (nach Berücksichtigung der persönlichen Umstände) entsprechend oder ähnlich ausfallen.

Dies ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz. Man überlege, was denn Gerechtigkeit ausmacht. Was für den Körper Gesundheit und Krankheit sind, ist für die Seele die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Jeder wird zustimmen, dass Gerechtigkeit etwas Gutes und Schönes ist.
Weiterhin ist auch einleuchtend, dass, wenn jemand etwas aktiv tut, auch jemand etwas passiv erleidet, also wenn jemand schlägt, dann wird auch jemand geschlagen. Und wenn jemand Gerechtigkeit ausübt, dann widerfährt auch jemandem Gerechtigkeit. Und wenn jemand gerecht straft, so erfährt jemand eine gerechte Strafe und somit Gerechtigkeit. Da aber die Gerechtigkeit etwas Gutes ist, widerfährt dem Bestraften etwas Gutes und Schönes.

Eine Definition für den mündigen Bürger ist, dass er egoistisch ist. Dies bedeutet, dass er, wenn er eine Entscheidung trifft, diejenige Entscheidung trifft, die ihm entweder mehr Lust oder mehr Nutzen verschafft. Wenn der Täter (der mündig ist) also vor der Entscheidung steht, entweder gerecht oder ungerecht bestraft werden zu wollen, so wird er die gerechte Strafe auswählen, denn sie ist etwas Gutes. Allerdings müsste man dazu sämtliche persönliche Umstände des Täters kennen, und die weiß nur der Täter selbst. Die logische Konsequenz wäre, dass der Täter sein Strafmaß selbst bestimmt, denn er wird selbst nach dem zuvor Gesagten die gerechte Strafe der ungerechten vorziehen.

Die Agenten der Abteilung Intörnal Affärs werden selbst nicht kontrolliert. Um den in der Analyse der ersten Aufgabe erwähnten infiniten Regress zu vermeiden, werden in der Abteilung Intörnal Affärs nur sehr wenige Wächter eingesetzt, die allgemein als absolut gesetzestreu anerkannt sind und somit selbst keiner Kontrolle bezüglich der Einhaltung des Gesetzes bedürfen.



V. Schlusswort

Nach diesen Untersuchungen stelle ich Folgendes fest: Die erste Aufgabe ("Die Gewährleistung der Einhaltung der Gesetze") ist objektiv nicht lösbar und braucht somit von einem Wächter nicht bewältigt werden. Bei der zweiten Aufgabe ("Die Aufklärung von Verbrechen") sollte es die einzige Aufgabe des Wächters sein, die aufgeklärten Verbrechen niederzuschreiben und zu archivieren. Und bei der dritten Aufgabe ("Gerechte Bestrafung von Verbrechern") sollte sich der Agent lediglich darauf beschränken, den Täter zu fragen, was er denn für eine gerechte Strafe halten würde.
Was das Niederschreiben der Verbrechen betrifft, gebe ich jedoch keine Empfehlung. Ob das ein Wächter allein erledigt, ob es zwei oder drei machen oder ob sich mehrere Wächter dabei abwechseln, bleibt dem Einzelfall überlassen. Allerdings ist es naheliegend, dies nach dem Verbrechen, das aufgeschrieben werden soll, zu entscheiden, denn größere Fälle beanspruchen gewiss mehr Bearbeitungszeit und höhere Aufmerksamkeit. Ich denke, hier kann die Stadtwache auf Erfahrungswerte zurückgreifen, so dass eine Empfehlung meinerseits nicht mehr vonnöten ist.


Anhang

Literaturhinweise:

Gesetze und Verordnungen der Städte Ankh und Morpork

Forum der Stadtwache, 1999-2002

Archiv der gelösten Fälle der Stadtwache von Ankh-Morpork, 1999-2002

Intörnal Affärs Abteilungsbeschreibung, 2001

Archiv Intörnal Affärs, 2001-2002



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