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RUM übergibt SUSI eine Leiche und schnell stellt es sich heraus, dass es sich um Mord handelt. Auch die Todesursache ist schnell gefunden. Aber kann Pismire danach die Finger von dem Fall und RUM die Arbeit machen lassen?
Dafür vergebene Note: 14
Prolog
"Ihr Götter, ich glaube, so schlecht war mir noch nie in meinem Leben", hauchte die Gestalt, die sich vom nasskalten Pflaster des Platzes der gebrochenen Monde erhob.
DA HASST DU VERMUTLICH RECHT.
Der Mann fuhr herum.
"Meine Güte, du hast mich fast zu Tode erschreckt. Weißt du, dass du da eine ungewöhnliche Stimme hast, guter Mann?"
NEIN UND JA.
"Wie bitte?"
ICH HABE DICH NICHT ZU TODE ERSCHRECKT UND JA, MEINE STIMME KÖNNTE MAN AUCH ALS SEHR, SEHR UNGEWÖHNLICH BESCHREIBEN.
Der Mann blickte nach unten und hielt den Atem an. Bis er merkte, dass da nichts mehr anzuhalten war. Zu seinen Füßen - und auf einmal wurde er unsicher, weil ihm nicht so recht klar war, worauf er stand - lag er: Zusammengekrümmt und mit schmerzverzerrtem Gesicht.
"Oha, so ist das also. Ich bin tot und du", er drehte sich zu der Gestalt im dunklen Mantel um, "bist Tod."
DAS HAST DU BEMERKENSWERT SCHNELL ERKANNT. WENN DU MIR ALSO BITTE FOLGEN WÜRDEST... ICH HABE NICHT IN ALLE EWIGKEIT ZEIT. DAS MEINE ICH NATÜRLICH METPHORISCH. ICH HABE SCHON...
Die Gestalt vor ihm winkte ab. "Ist gut, spar dir den, ach, was auch immer. Ich bin also tot. Tja, kann man nichts machen." Er stutze kurz. "Sollte es mir eigentlich was ausmachen?", fragte er grübelnd.
DAS GEHT GAR NICHT MEHR. LIEGT AN DEN DRÜSEN. KEINE DRÜSEN, KEINE GEFÜHLE.
"Ha", lachte der Mann bitter. "Wem sagst du das. Na, wenigstens etwas." Dann sah er Tod direkt in die Augenhöhlen, während er kurz nachdachte und alles verstand.
"Ich bin also tot, vergiftet wegen etwas, dass ich zu Lebzeiten vermutlich nicht einmal dann begriffen hätte, wenn ich es hätte sehen können. Und das nach diesem Leben. Eins sag ich dir: Auf Reinkarnation kann ich dankend verzichten. Und ich bin sicher, himmlische Gesänge wären auch nicht mein Fall."
AUF BEIDES HABE ICH KEINEN EINFLUSS. DAS LIEGT EINZIG UND ALLEIN AN DIR UND DEINEM GLAUBEN.
"Nun, dann kann es eigentlich nur besser werden. Worauf warten wir hier noch?"
NUR EINE WINZIGE FORMALITÄT.
Die Klinge der Sense durchschnitt die Nacht und trennte den bläulich schimmernden Lebensfaden vom Körper. Eine Seele verblasste mit einem erleichterten Seufzen. Zurück blieb eine Leiche.
Vorspiel
Nachdenklich betrachtete der junge Mann das Gesicht der schlafenden Frau neben ihm, während er vorsichtig liebkosend über ihre Haare strich, die sich auf dem Kissen ausgebreitet hatten. Der Raum war groß und in der Mitte der Nacht nur schwach vom Feuer in einem riesigen Kamin erhellt. Vorsichtig und langsam, um die Schläferin nicht zu stören, schob er sich auf dem Laken neben sie. Im Schlaf tastete sie nach seinem vertrauten Körper und ihr Atem wurde tief und ruhig, als er ihre schmale, kleine Hand ergriff und sie an sein Herz zog. Neben ihr liegend betrachtete er die Geliebte eine ganze Weile, während er immer wieder zart ihre Hand küsste.
Erwachend und noch im Halbschlaf zog sie ihn an ihren Körper.
"Geht es dir besser?, fragte er besorgt.
"Ja, das Mittel hat seine Wirkung getan. Lass uns nicht mehr davon sprechen. Komm unter die Decke", flüsterte sie.
"Ich habe noch Straßenkleidung an", gab er als Antwort.
"Dann zieh dich aus. Schnell." Mit einer fließenden Bewegung hob sie die Decke, während er sich hastig entkleidete und neben sie glitt.
"Es ist gefährlich", murmelte er leise.
"Das war es immer. Und es hat nie jemand bemerkt. Bevor der Morgen kommt, musst du gehen", entgegnete sie. "Aber bis dahin ist dein Platz hier."
"Was ist, wenn..."
Mit einer leichten Bewegung verschloss ihre Hand seinen Mund. "Vater ist noch bis morgen früh auf dem Gildenfest." Sie kicherte. "Du weißt doch wie das ist: Wichtige Gildenpolitik, wichtige Heiratspolitik. Auch mein Bräutigam wird da sein." Ihre Stimme wurde zu einem spöttischen Singsang. "Der ehrenwerte Hirudo Depilarii und sein zukünftiger Schwiegersohn werden sich bis in den frühen Morgen hinein von den anderen Schwachköpfen der Gilde auf die Schulter klopfen lassen und sich gegenseitig erzählen, welche vorteilhafte Verbindung sich aus dieser Heirat ergibt." Sie schnaubte verächtlich, doch als sie des Geliebten ansichtig wurde, wurde ihr Gesicht weich. "Und bis dahin haben wir Zeit."
Er lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Bett, während sie sich an ihn schmiegte. "Aber wie lange noch?"
Beruhigend streichelte sie seine Stirn. "Du weißt, dass sich mit der Heirat zwischen uns nichts ändern wird, durch deine Heirat hat sich doch auch nichts geändert."
Er kicherte leise, während er sie an sich zog. "Vielleicht sollten wir meine Frau und deinen Bräutigam verkuppeln. Das gute Tierchen scheint sich ein wenig zu langweilen in der Nacht."
Sie kicherte ebenfalls. "Du bist diabolisch. Aber die Idee wäre, nun, reizvoll."
Sie begann leise zu lachen. "Leider hat der gute Charles vermutlich wenig für Inzest übrig, Sie ist immerhin seine Cousine."
Ein hysterischen Lachen schüttelte sie beide, bis sie keuchten. Sie versuchten, das Geräusch unter der Decke zu ersticken, was aber nur zu einem anderen Keuchen führte ...
Als sie beide wieder nebeneinander lagen, sah sie ihn an. "Was hast du eigentlich mit ihm gemacht?" fragte sie leichthin.
"Mit ihm? Oh, mit ihm. Nun, nachdem du dich zurück gezogen hattest, habe ich ihn weiter mit Wein abgefüllt. Er war so betrunken, dass er nicht einmal mehr in der Lage gewesen wäre, etwas zu erzählen, abgesehen davon glaube ich immer noch, dass er gar nicht begriffen hat, was er gesehen hat."
Sie zuckte mit den Schultern. "Mag sein, aber wir können uns kein Gerede erlauben", sagte sie kalt. "Und dann?"
"Dann habe ich ihn leise zur Tür begleitet und ihn auf den Heimweg geschickt. Das Gift dürfte längst seine Wirkung getan haben."
"Aber du bist nicht bei ihm geblieben?" - "Natürlich nicht." Er schauderte. "Ich hatte wenig Lust, ihm noch länger beim Sterben zuzusehen. Ihm war schon schlecht, als er ging. Er ist in Richtung des Platzes der gebrochenen Monde getorkelt."
Sie atmete spürbar auf. "Wenn alles gut geht, dann dürfte er kaum weiter gekommen sein."
"So ist es. Mach dir keine Sorgen, mein Herz." Beschützend nahm er sie in die Arme.
Eine ganze Weile später schreckten beide hoch. Am Horizont zeigte sich vage der erste Schein der Dämmerung und vor dem Haus waren in der Stille Schritte zu hören.
"Los, du must gehen. Vater kommt", zischte die junge Frau leise.
Der Mann schreckte hoch, dann grinste er. "Keine Panik mein Herz, ich gehe einfach übers Dach."
In Sekundenschnelle hatte er sich angekleidet und schwang sich aus dem Fenster. Seine Bewegungen ließen darauf schließen, dass er diesen Weg nicht zum ersten Mal nahm. Er warf seiner Geliebten eine Kusshand zu. Dann verschwand er.
Paeonia kuschelte sich zurück in die Kissen und war bald darauf wieder eingeschlafen.
Erster Tag
Pismire fluchte leise vor sich hin, als sein Stellvertreter, Larius, ihn von der Liege in seinem Labor und mitten aus sehr angenehmen Träumen zog, die in erster Linie um seine neue Vermieterin kreisten.
"Was ist denn?", fragte er schlaftrunken.
"Es ist gerade eine Leiche gebracht worden. Vom Platz der gebrochenen Monde. Fähnrich McMillian hätte gerne so schnell wie möglich einen Obduktionsbericht."
Pismire sah den jungen Mann brummig an. "In spätestens einer halben Stunde kommt Clara zum Dienst. Und eine gründliche Obduktion dauert Stunden. Und da weckst du mich?"
Erwartungsfroh sah Larius ihn an und hielt den Bericht von RUM ungerührt in Richtung seines Vorgesetzten.
"Nenn mir einfach nur die Fakten, ja?", knurrte Pismire.
"Männliche Leiche, in festlicher Kleidung, vermutlich menschlich und ohne eine Bescheinigung der Assassinen, mehr steht hier auch nicht." Larius wedelte mit dem Bericht.
"Schon gut. Brüh mir einfach einen Tee auf. Und dann scheuch' Sillybos und Hegelkant los. Sie sollen sich den Ort, wo der Tote gefunden wurde, gründlich ansehen."
Still verfluchte Pismire den Tag, an dem Rince dem zweiten Gerichtsmediziner, Ranobis, so einfach Urlaub gewährt hatte, aus 'familiären Gründen'. Was konnte ein Banshee schon an Familie haben?
Im Labor war der Tote schon auf den Tisch gelegt worden. Pismire begann, die Kleidung des Toten zu begutachten, als er hinter sich die Tür hörte.
"Ah, Obergefreite Bienchen", er drehte sich um, "gut, dass du heute früher zum Dienst gekommen bist."
Der Zombie nickte nur kurz. Auch sie war nicht der Typ, der morgens zum Plaudern aufgelegt war.
"RUM hat diesen Toten gefunden. Und aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund scheint Tricia der Ansicht zu sein, eine sofortige Untersuchung der Leiche müsse in irgendeiner Weise hilfreich sein. Ich habe Sillybos und Hegelkant zum Spurensichern losgeschickt. Ich schlage vor, dass wir uns die Leiche gemeinsam vornehmen. Vier Augen sehen mehr als zwei ..."
"... und deine sind jünger, ja, ich weiß, Sör", beendete Clara den Satz, den sie schon bis zum Überdruss kannte.
Die beiden Gerichtsmediziner begannen vorsichtig damit, die Leiche zu entkleiden. Die Klamotten verpackten sie in große Säcke, an deren Inhalt Lady Rattenklein und Isis später noch ihre Freude haben würden.
"Ziemlich teure Kleidung, Scheff", meinte Clara mit einem Blick auf die edlen Teile, die in den Tüten verschwanden.
"Meinst du?", fragte Pismire.
"Jepp, Sör, da bin ich mir sicher. Neueste und teuerste Mode. Wer hier starb war nicht arm." Clara nickte nachdrücklich. "Zur Not kann Fähnrich Lanfear ja noch einen Blick auf die Sachen werfen."
"Darum können sich Isis oder Lady Rattenklein kümmern. Lass uns nun den Toten gründlich untersuchen. Was fällt dir als erstes auf?"
Clara musterte die nackte Leiche gründlich. Dann versuchte sie die Finger zu bewegen.
"Nun, lange kann er noch nicht tot sein. Ich schätze, drei, vielleicht vier Stunden maximal." Sie schaute zu Pismire.
Dieser nickte bestätigend: "Das denke ich auch."
"Die Todesursache ist eindeutig Ersticken. Gesichtsfarbe und die herausquellenden Augen. Aber er wurde weder erwürgt noch erdrosselt. Er muss ziemliche Krämpfe gehabt haben."
Bienchen pfiff leise durch die Zähne, als sie versuchte, den Mund der Leiche zu öffnen, der fest geschlossen war: "Er hat sich fast die Zunge zerbissen. Und offensichtlich konnte er nicht erbrechen, weil er den Mund nicht aufbekommen hat. Das deutet auf Gift, nicht wahr?"
Pismire nickte.
"Sör, es gibt eine Menge Gifte, die so oder ähnlich wirken. Vielleicht sollten wir uns mal den Mageninhalt vornehmen." Erwartungsfroh setzte sie ihr Skalpell auf dem Bauch an.
"Das machen wir später eh noch", entgegnete der Schamane. "Lass uns erst mal an der Oberfläche weiter machen."
Sie setzten die Untersuchung fort. Als der Zombie den Unterleib des Toten akribisch unter die Lupe nahm, stockte sie kurz, dann begann sie zu kichern.
"Äh, Pismire, da fehlt was."
"Wie bitte?", verwirrt schaute er hoch.
"Nun, dem guten, äh, Mann fehlten die, na, du weißt schon. Da unten", sie deutete grinsend auf den Unterleib. "Die Bömmelmänner halt."
"Im Ernst?", Pismire schaute sie an. "Das ist interessant."
"Tja, wie man's nimmt", meinte Gefreite Bienchen. "Für ihn wohl weit weniger."
Pismire grinste. "Jetzt ist es ihm auch egal. Aber es scheint kein Unfall oder so gewesen zu sein. Schau dir die Narbe an. Das ist sauber genäht worden."
"Aber er sieht gar nicht aus wie ein Eunuch. Und er wirkt auch nicht wie jemand aus dem achatenen Reich", entgegnete der Zombie skeptisch.
"Nun, wenn der Eingriff frühzeitig vor der Pubertät ausgeführt wird, dann muss das nicht heißen, dass der Betreffende fett und schwabbelig wird. Dann wird er nur ziemlich groß, und das ist unser, äh, Mann ja."
"Warum macht man so was denn?", fragte Clara mit Abscheu in der Stimme.
"Ich hab mal gehört, dass in Brindisi kleine Jungen mit schönen Stimmen kastriert werden, damit die Stimme hell bleibt. Sänger mit solchen Stimmen sollen da sehr beliebt sein."
"Na Klasse", meinte Obergefreite Bienchen. "Mord in der Oper."
"Ja, das könnte sein - da wird RUM sich freuen."
Als sie den Mageninhalt untersuchten, fanden sie im Magen des Toten im halb verdauten Abendessen aus einem Wurzelgemüse, das die beiden für Pastinaken hielten, eine Maus.
"Oh", meinte Bienchen, "der Mann kommt wohl aus den Spitzhornbergen."
"Wie kommst du denn darauf?", wollte Pismire wissen.
"Nun, in einigen entlegenen Tälern gibt es den Aberglauben, dass bei Übelkeit das Verschlucken einer Maus Abhilfe leisten kann. Wenn man sie ganz schluckt. Es ist allerdings strittig, ob die Maus tot oder lebendig geschluckt werden muss. Wichtig ist nur, dass sie ganz ist."
"Wie er wohl an die Maus gekommen ist?", fragte Pismire verwundert. "In der Verfassung, in der er war, dürfte er wohl kaum der begnadete Mausefänger gewesen sein."
"Auf dem Platz der gebrochenen Monde gibt es einen Tag-und-Nacht-Zwergenimbiss", entgegnete Clara. "Und gegen genügend Geld servieren die jede Art von Nagetieren."
"Nun, das sollten wir dann an RUM weitergeben. Da könnten sie die Person finden, die ihn als letzte lebend gesehen hat. Die Pastinaken weisen übrigens auf das mögliche Gift hin - die Wurzeln von Wasserschierling können dem arglosen Gast auch als Pastinaken serviert werden. Und die Wirkung des Giftes entspricht dem, was wir hier haben."
Der Zombie nickte zustimmend.
Nachdem sie die Obduktion beendet und dem Labor diwärse Proben hatten zukommen lassen, waren mehrere Stunden verstrichen.
"Nun, fassen wir zusammen." Pismire blickte auf seine Unterlagen, während er diktierte: "Eine männliche und menschliche Leiche, zu Lebzeiten ca. 20 bis 23 Jahre alt. Vermutlich aus den Spitzhornbergen - oder zumindest mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut. An körperliche Arbeit gewöhnt und vermutlich in diesem Sommer häufig im Freien gewesen - oder in einem sonnigen Land. Gewohnt barfuß zu gehen. Kurzsichtig war er auch noch, wie die Faltenbildung rund um die Augen beweist - und das Ausprobieren eines Augapfels durch Obergefreite Bienchen." Er seufzte und fuhr fort: "Die Entfernung der Hoden deutet auf eine gezielte Operation hin, vermutetes Motiv: Erhalt der Singstimme durch Kastration vor der Pubertät. Todesursache: Atemstillstand, vermutlich ausgelöst durch eine Vergiftung. Mögliches Gift: Citutoxin, also Wasserschierling, verabreicht in einer Form eines Pastinakengerichtes, dessen Aufnahme vermutlich gestern Abend gegen zehn Uhr erfolgte. Gestorben ist er so gegen zwei Uhr in der Nacht. Plus-minus einer halben Stunde. Die teure und modische Kleidung weist auf ein Essen in guter Gesellschaft hin. Weitere Unterlagen die auf die Identität des Toten hinweisen: Fehlanzeige."
Er klappte seinen Block zu. "Nun, damit darf sich RUM nun weiter beschäftigen. Anhaltspunkte haben sie genug. Mit der Ikonographie sollten sie mal in den Kreisen rund um das Opernhaus umschauen."
Pismire reckte sich und drückte dann die Aufzeichnungen Clara in die Hand. "Du kannst den Bericht fertig machen und dann an RUM weiterleiten. Ich verfrachte mich nach Hause und hau mich auf's Ohr. Wenn irgendetwas wichtiges ist - dann holt mich. Ansonsten: bis heute Abend."
"Ist o.K., Sör", der Zombie salutierte und Pismire begab sich nach heim.
Bereits am frühen Nachmittag begab er sich wieder zum Dienst, weil er neugierig war, was die Untersuchungen von RUM ergeben hatten.
Zuerst schaute er in die Kantine der Wache, wo er auch fündig wurde. Tricia McMillian, die stellvertretende Leiterin von RUM, saß mit Lance-Korporal Dragor Nemod an einem Tisch, einen Teller mit Essen vor sich. Pismire nahm sich einen Kräutertee und ging an ihren Tisch.
"Seid gegrüßt. Was machen die Ermittlungen in dem Fall der Leiche vom Platz der gebrochenen Monde?", fragte Pismire neugierig.
"Nun, zumindest wissen wir nun, wer er war." Fähnrich McMillian schaute von ihrem Essen hoch. "Pertubal Sämisch, ein aufstrebender Stern am Sängerhimmel, der für diese Saison ein Engagement am hiesigen Opernhaus hatte. Die letzten Jahre hat er in Brindisi in einem Konservatorium studiert und dann am dortigen Opernhaus gearbeitet, wo Sänger seiner Art sehr, sehr gefragt sind." Sie wies mit der Hand auf den freien Stuhl vor sich und begann wieder, das Kantinenfutter nach essbaren Zutaten zu durchstöbern. Pismire nippte an seinem Kräutertee und holte ein paar Ziegenkäseplätzchen aus seinem Umhang. "Auch einen?", fragte er.
Tricia rümpfte die Nase. "Äh, nein, danke. Ich", sie schaute auf ihren Teller, "hab damit echt genug." Auch Dragor winkte ab.
"Was habt ihr sonst noch über den Mann heraus gefunden?", fragte Pismire neugierig. "Wo hat er gewohnt und wo war er gestern?"
"Die Leute in der Oper, die wir gefragt haben, wussten es nicht genau. Irgendjemand meinte, Pertubal habe von einem Vetter gesprochen, der schon länger hier lebt und offensichtlich im Begriff ist, zu heiraten. Pertubal hat sein Zimmer im Opernhaus gar nicht erst bezogen, weil er meinte, er habe eine bessere Unterkunft. Vermutlich bei eben diesem Vetter. Nach dem hören wir uns um. Ansonsten war der Mann nur zu den Proben in der Oper. Und das auch erst seit zwei Tagen - solange ist er nämlich in Ankh-Morpork."
"Der Postkutscher meinte, ein teuer gekleideter, groß gewachsener und langweilig aussehender Bursche habe ihn vorgestern abgeholt, konnte aber keine richtig brauchbare Beschreibung abliefern", ergänzte Dragor Nemod den Bericht seiner Vorgesetzten und schaute wieder in sein Notizbuch. "Er hat nicht einmal die Vornamen mitbekommen." Er imitierte die Stimme des Kutschers:"Meine Güte, Mann, da stehen zwei reiche Pinkel und begrüßen sich, Küsschen hier, Küsschen da, und meine Pferde müssen getränkt werden. Und da soll ich mich daneben stellen und Maulaffen feilhalten?"
Mit normaler Stimme fuhr Dragor fort: "Er hat uns nur bestätigt, dass Sämisch in Brindisi eingestiegen ist und sich unterwegs so gut wie gar nicht um seine Mitreisenden gekümmert hat. Zwei von denen habe ich bereits befragt. Die meinten beide, der gute Pertubal habe die ganze Zeit vor sich hin gesummt, dass ihnen die Zähne schmerzten und ansonsten sich mit keinem unterhalten. Ob er bedrückt oder aufgeregt oder sonst etwas war, das konnten sie mir nicht sagen. Beim Zwergenimbiss war die Nachtschicht noch nicht auf der Arbeit, die befragen wir später." Dragor klappte sein Notizbuch zu und widmete sich wieder seinem Essen.
"Wurde er schon als vermisst gemeldet?", fragte Pismire neugierig.
"Hier? In Ankh-Morpork? Bei der Wache?", Tricia schnaubte verächtlich. "Nur dann, wenn der Mann Schulden hat. Und selbst dann fragt man garantiert nicht uns. Nicht mal in der Oper haben sie sich gewundert, dass er heute nicht aufgetaucht ist."
Sie zuckte mit den Achseln. "Der Dirigent meinte nur: "Ach, naja, an den ersten Tagen in Ankh-Morpork drehen die Burschen meist durch. Wenn wir uns um jeden versumpften Sänger kümmern, dann können wir gleich eine Filiale bei euch aufmachen." Vielleicht weiß Rina ja was. Falls es sich um eine Hochzeit in den 'besseren Kreisen' handelt, sollte sie eigentlich davon gehört haben."
"Das ist eine gute Idee", meinte Pismire nachdenklich. "Ihr solltet mal mit ihr reden."
"Hochzeit, Hochzeit...", Leutnant Lanfear runzelte die Stirn. Dann strahlte sie Tricia McMillian an. "Klar, meine Mutter hat mir so was erzählt. Irgendein Kaufmannssohn aus Überwald und Paeonia Depilarii, das wird das Ereignis der Saison. Und so eine romantische Geschichte..."
Sie grinste und fuhr normal fort: "Den Rest hab ich nicht mitbekommen. Wenn meine Mutter auf das Thema 'Hochzeit' kommt, ist sie meist nicht zu bremsen. Und das ganze soll in - ich glaube - drei oder zwei Wochen stattfinden. Aber wieso willst du das wissen?"
"Wir haben da eine Leiche am Hals. Es könnte der Vetter des Bräutigams sein. Pertubal Sämisch."
"Nein, der begabte Sänger?" Wie immer war Rina über die gesellschaftlichen Ereignisse auf dem Laufenden. "Der ist doch gerade erst für die diesjährige Saison an der Oper. Und der ist tot? So ein Mist, und ich wollte schon immer mal einen Kastraten hören."
"Tja", meinte Fähnrich McMillian. "Es sieht ganz so aus. Weißt du zufällig auch noch, wo ich diesen Bräutigam finde?"
Rina zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber das sollte die Familie Depilarii eigentlich wissen. Ihr Haus ist in der Honigtauallee."
Das Haus der Familie Depilarii entpuppte sich als ein richtiggehender Palast - mit steinerner Treppe, Löwen an den Stufen, die Wappenschilde in der gemeißelten Klauen hielten und einem riesigen Portal aus geschnitztem dunklem Holz.
"Echtes altes Geld." Tricia McMillian pfiff anerkennend durch die Zähne.
"Vielleicht nicht ganz so alt", entgegnete Dragor. "Schau dir die Wappenschilde an. Da wurde in den letzten Jahren gemeißelt. Vielleicht hat das Haus mal einer anderen Familie gehört."
Die Wächter benutzten den schweren Türklopfer.
Kurze Zeit später öffnete ein Diener die Tür. Er bedachte die Wächter mit einem Blick, der sie dringend darauf hinwies, dass genau für Leute wie sie der Dienstboteneingang geradezu erfunden worden war, dass er aber dermaßen wohlerzogen sei, dass er selbst gegenüber Wächtern die Höflichkeit zu wahren wisse.
"Sie wünschen, Mä'm?"
"Fähnrich McMillian von der Stadwache und das ist Lance-Korporal Dragor Nemod. Wir hätten gerne mit Herrn Depilarii gesprochen."
Der Blick des Dieners sprach davon, dass nur ein Idiot - was er nicht sei - übersehen könne, dass es sich um Wächter handele, deren Namen im übrigen völlig ohne Belang seien, während er die Worte: "Ich werde sehen, ob der gnädige Herr einige Minuten erübrigen kann.", formulierte. "Wenn die Wächter bitte hier im Vorraum warten könnten."
Er öffnete die Tür ein wenig mehr und brachte die beiden Wächter in einer Art Windfang unter. Dann entfernte er sich.
Als er nach wenigen Minuten, die Tricia und Dragor schweigend in den Vorraum verbracht hatten, zurück kam, hieß er sie mit einer kurzen Verbeugung ihm zu folgen.
Er brachte die beiden Wächter in eine große Halle, von der aus eine steinerne Treppe in die oberen Stockwerke führte.
"Der Herr wird in wenigen Augenblicken zu eurer Verfügung stehen."
Diese kurze Zeitspanne gab Tricia und Dragor Gelegenheit sich umzublicken.
Alles in dem riesigen Raum drückte Alter, Reichtum und Eleganz aus. Tricia überschlug kurz die Kosten für eine derartige Möblierung, eine Summe, die sie dann wiederum auf ihren Sold umzurechnen versuchte und bei einer Dienstzeit landete, die selbst für einen untoten Offizier eine Ewigkeit bedeuten würde. Dann schnaubte sie kurz und sah sich weiter um.
Vor einem riesigen Kamin und einen kleinen Fussmarsch von den Wächtern entfernt, saßen ein Mann und eine Frau in ein Schachspiel vertieft. Schon auf den ersten Blick waren sie als Geschwister erkennbar. Während der junge Mann gut aussah, konnte man seine Schwester nur als Schönheit bezeichnen. Beide hatten die selbe Haarfarbe, ein silbriges Blond, dass im Widerschein des Feuers rötlich wirkte. Während das Haar des Mannes kurz geschnitten war, hatte die junge Frau die Haare in einer altmodischen Frisur, einem tief im Nacken liegenden lockeren Knoten arrangiert. Auch ihrer beiden Kleidung schien nichts mit ihrer Zeit zu tun zu haben, vielmehr wirkten beide wie Bilder auf einer alten Tapisserie. Ihre Hände lagen zur Zeit beide neben dem Brett und schienen sich leicht zu berühren. Beide machten nicht den Eindruck, als ob irgendetwas im Raum sie von ihren Zeitvertreib ablenken könnte.
Das änderte sich auch nicht, als der Diener mit dem Herrn des Hauses wieder erschien.
Wenn es sich bei dem Mann, der mit schnellen Schritten über die Treppe auf die Wächter zueilte, um Herrn Depilarii handelte, dann war er mit Sicherheit nicht für das Aussehen seiner Kinder verantwortlich. Er war ziemlich quadratisch geformt, nicht eigentlich fett, aber von schwerem, gedrungenem Körperbau. Sein Gesicht erinnerte Tricia an einen Hamster, dazu passten der rötliche und gesträubte Backenbart auf den feisten Wangen ebenso, wie die kleinen unsteten Äugen, die die Wächter eindringlich musterten.
"Was will die Wache vom Haus Depilarii?" Seine Stimme konnte unter der jovialen Oberfläche mühsam unterdrückten Ärger nicht verbergen.
"Wir sind auf der Suche nach zukünftigen Schwiegersohn des Hauses Depilarii," entgegnete Fähnrich McMillian in dienstlichem Ton.
"Dann hättet ihr ebenso gut das Gildengebäude der Kaufleute aufsuchen können. Charles ist dort bis zur Hochzeit offizieller Gast der Gilde, wie jeder weiß."
"Finden wir dort auch seinen Vetter, Pertubal Sämisch, den Sänger?" Tricias Stimme wurde zuckersüß.
"Ich vermute. Er ist Charles Gast in der Gilde. Das Opernhaus mit seinen Räumen ist wohl kaum die geeignete Unterkunft für einen Künstler von seinem Format." Das Wort "Künstler" spuckte Herr Depilarii den beiden förmlich vor die Füße.
"Interessant", dachte Tricia, "unter der harmonischen Oberfläche scheint noch etwas anderes zu sein."
"Und im übrigen: Ich bin ein viel beschäftigter Mann, meine Zeit ist knapp bemessen und für Auskünfte solch läppischer Art möge man in Zukunft jemand anderen befragen", sprach's, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand mit dem Satz: "Rubber, die Wächter möchten gehen."
Wieder auf der Straße fluchte Tricia eine Weile über "arrogante Pinsel", "Scheiß-Pfeffersäcke, wofür halten die sich" und ähnliches, während die beiden Wächter zum Gildegebäude der Kaufleute gingen.
Auch dort ließ man sie nicht herein ("Ihr wisst doch, wie das ist, auf dem Gildengelände ist die Wache nicht zuständig, Jungs, äh, Leute"), war aber wenigstens bereit, den "Ehrenwerten Charles Kurzwaren" zu informieren, dass die Stadtwache ihn zu sprechen wünsche.
Tricia kochte, während sie kurze Zeit später hinter einem Gehilfen hinterher stapfte, der sie in den Besucherraum führte.
Charles Kurzwaren, Erbe des Hauses Kurzwaren aus Wurmhausen in Überwald, entpuppte sich als lang gewachsener, langgesichtiger, langhaariger und unglaublich langweiliger Bursche. "Was die wohl an ihm findet", dachte Tricia nach fünf Minuten mit diesem Mann.
Er habe vor zwei Tagen seinen Vetter von der Kutsche aus Brindisi abgeholt, ihn dann - nachdem er die Unterkünfte der Oper gesichtet habe - kurzerhand in der Gilde untergebracht, aber die meiste Zeit sei Pertubal mit Proben beschäftigt gewesen. Am vorgestrigen Abend sei ein großer Empfang hier in der Gilde gewesen - anlässlich seiner bevorstehenden Hochzeit mit Fräulein Paeonia Depilarii, natürlich - bei dem er seinen Verwandten seiner zukünftigen Frau, seinem zukünftigen Schwager und dem Rest der Verwandtschaft vorgestellt hatte. Wen sein Vetter sonst noch in Ankh-Morpork so kenne? Das entziehe sich leider seiner Kenntnis. In diesen Kreisen, nun, verkehre er selten. Eigentlich sei es auch eine ganz entfernte Verwandschaft und man habe schließlich nur seiner Familienpflicht genüge getan. Den gestrigen Abend? Nun, Herr Depilarii und er seien Teilnehmer bei einem wichtigen Essen in der Gilde gewesen. Seinen Vetter habe er an diesem Tag gar nicht zu Gesicht bekommen.
"Und interessiert es dich denn gar nicht, warum die Wache all diese Fragen hat, Herr?", bemerkte Tricia ein wenig boshaft, nachdem sie den Eindruck hatte, dass der Mann wenig brauchbare Informationen liefern würde.
"Nun, ich weiß nicht", sagte ihr Gegenüber unbestimmt. "Wahrscheinlich werde ich es gleich erfahren."
Tricia zog die Ikonographie des Toten aus der Tasche. "Dein Vetter ist tot. Eine Streife der Wache fand ihn heute morgen auf dem Platz der gebrochenen Monde."
Herr Kurzwaren schaute sie entsetzt an. "Das ist doch nicht möglich."
Aus einem vagen Gefühl von "Rache an den feinen Pinkeln" tischte ihm nun der Fähnrich auch noch den Rest der unerfreulichen Details aus des Obduktionsbericht auf.
"Unsere Gerichtsmediziner meinen, er sei beinahe an seinem eigenen Erbrochenen erstickt und das vermutlich deswegen, weil ihm jemand die Wurzeln von Wasserschierling unter seine Pastinaken gepackt hat. Nach allem was die sagen, war das kein schöner Tod. Die konvulsischen Krämpfe führen dazu, dass man den Mund nicht mehr öffnen kann." Sie schaute Kurzwaren gelassen an.
Dieser war bei ihren Worten erbleicht. "Du meine Güte, wie entsetzlich. Was für ein Skandal, was wird Herr Depilarii davon halten."
"Tja, Herr, wenn das deine einzige Sorge ist, dann noch einen schönen Abend."
Tricia McMillian erhob sich abrupt: "Wenn dir noch etwas einfällt, Herr, dann weißt du, wo du uns findest." Damit stapfte sie aus dem Raum und schmiss die Tür schwungvoll ins Schloss.
Draußen griff sie sich den nächstbesten Gehilfen der Gilde. "In euren Räumen hat ein Mann gewohnt, der nun als Leiche in der Wache liegt. Er wurde vergiftet. Und jetzt komm mir nicht mit Gildenpolitik und Gildengelände. Der Mann war kein Mitglied der Gilde. Er starb nicht auf dem Gildengelände und wurde vielleicht nicht einmal auf dem Gildengelände ermordet, aber wenn es ein Mitglied eurer Gilde war, der das getan hat, dann unterliegt auch er den Gesetzten der Stadt. Sein Zimmer wird sofort versiegelt und in spätestens einer Viertelstunde rückt hier die Wache zur Spurensicherung an. Und wenn ihr die nicht auf's Gelände lassen wollt, dann gibt es Ärger. Und du führst mich jetzt sofort zu dem Raum. Das Versiegeln übernehmen ich." Dann änderte sie ihren Tonfall und sagte zu Dragor:" Geh bitte zur Wache und sorg dafür, dass hier jemand von SUSI erscheint. Ich warte hier so lange."
Dragor grinste und salutierte: "Ist in Ordnung Mäm."
"Einen Moment noch, Dragor", sagte sie und trat mit ihm einen Schritt zur Seite.
"Danach gehst du zu DOG und besorgst alle Informationen, die du kriegen kannst."
Dragor nickte und machte sich auf den Weg.
Eine Viertelstunde später trafen Sillybos und Hegelkant im Gildengebäude ein und wunderten sich ein wenig über den höflichen und geradezu zuvorkommenden Empfang.
Ein Gehilfe geleitete sie in den dritten Stock, wo die weniger eleganten Gästezimmer untergebracht waren. Fähnrich McMillian erwartete sie vor einer verschlossenen Tür.
"Seit ich hier bin, war noch niemand da drin und ich ich habe des Raum nicht betreten. Ihr seid so weit über den Fall informiert?"
Sillybos salutierte: "Ja, einigermaßen. Und wonach suchen wir genau?"
"Wir müssen wissen, wen Sämisch in Ankh-Morpork kannte, ob er jemanden getroffen hat, wie er den gestrigen Tag verbracht hatte. Vielleicht Aufzeichnungen, ach was weiß ich. Zur Zeit kann ich alles gebrauchen."
Sillybos nickte knapp und öffnete die Tür. "Mä'm, der Raum scheint nicht gerade groß zu sein..."
"Oh, wenn du damit meinst, dass du nicht zu dritt hier suchen möchtest, kein Problem. Ich kann mir einen schöneren Aufenthaltsort denken. Und außerdem habe ich bis zum Feierabend noch genug zu tun."
"Den Bericht möglichst schnell, nicht wahr?"
"Natürlich." Tricia grinste. "Am besten schon gestern."
"Nun, Hegelkant, dann schauen wir uns mal gründlich um." Sillybos musterte die karge Einrichtung des Raumes. Es gab nicht viele Möbel: Lediglich ein Bett, einen großen Kleiderschrank, eine Truhe, die offensichtlich nicht zur Einrichtung gehörte, einen Tisch mit einem Stuhl, ein kleines Bücherregal an der Wand, auf dem ein dickes Konvolut von Noten lag und einen Sessel am Fenster.
Im Schrank fanden sie Sämischs Garderobe. Hegelkant befühlte die Stoffe.
"Gute und teure Kleidung, Herr", meinte er. "Und das meiste ist unauffällig und in gedeckten Farben gehalten, aber es gibt auch Kleidung für festliche Empfänge. Im privaten Leben scheint Herr Sämisch eher schlicht gekleidet gewesen zu sein, aber für Empfänge und dergleichen Eitelkeiten der Welt standen im prächtige Gewänder zur Verfügung. Auch seine Wäsche ist von gutem Stoff. Er scheint wohlhabend gewesen zu sein."
"Er muss sehr gut verdient haben", bemerkte Sillybos trocken.
"Ja, Herr, aber um welchen Preis." Hegelkant seufzte mitfühlend.
"Dann wollen wir mal sehen, ob wir etwas über den Menschen hinter dem Sänger erfahren", meinte Sillybos und öffnete die Truhe.
Sie enthielt einige wenige Broschüren über verschiedene Städte und Opernhäuser, ein nicht unerhebliches Quantum an Bargeld in unterschiedlichen Währungen sowie eine saubere Aufzeichnung über Einnahmen und Ausgaben. Dieser konnten die beiden Mitglieder von SUSI entnehmen, dass Pertubal recht regelmäßig einen Teil seiner Einnahmen an seine Familie in den Spitzhornbergen geschickt hatte - ganz so, wie es die dortige Tradition erwartete.
Sie fanden außerdem ein Bündel Briefe seiner Familie.
Sie waren nicht unbedingt sehr aufschlussreich, da sie größtenteils über das Wetter "gutes Wetter für die Bohnen" die Ernte "haben die Bohnen geerntet" und den Viehbestand "die Ziegen geben viel Milch in diesem Jahr" sowie den Gesundheitszustand der Familie "nachdem Opa die ganzen Bohnen gegessen hatte, musste er im Schuppen schlafen" berichteten.
Ein angefangener Brief von Sämisch an seine Eltern bot ebenfalls nicht viel neues. Er berichtete von seiner Ankunft in Ankh-Morpork, dem Opernhaus "es ist eines der prächtigesten der ganzen Welt", der bevorstehenden Hochzeit des Vetters und dass er, Pertubal, der Familie auf einem Empfang vorgestellt worden sei "die junge Frau ist von ekskwisiter Schönheit und ganz freundlicht, ihr Vater hingegen erinneriget an einen bösartigen Hamster und Vetter Charles ist immer in seiner Nähe" und brach dann ab.
Ganz zuunterst in der Truhe fand Sillybos ein kleines Heftchen. Er nahm vorsichtig ein Tuch, damit seine Finger keine Abdrücke hinterlassen konnten, schlug es auf und murmelte: "Volltreffer!"
"Herr?"
"Nun, wir haben eine Art Tagebuch mit Terminkalender gefunden. Lass mal sehen: Ankunft, Opernhaus und Probe, Empfang. Das war vorgestern. Für gestern hat er eingetragen: Probe und Abendessen mit Lady PD. Heute wäre Probe gewesen, sowie auch an den übrigen Tagen in der Woche, und am Abend nichts. Lady PD, hm, dass könnte Lady Paeonia Depilarii sein."
"Fähnrich Tricia McMillian sollte sofort davon in Kenntnis gesetzt werden, Herr", meinte Hegelkant.
"Genau. Hegelkant: Du bringst das sofort zur Wache und benachrichtigst Fähnrich McMillian. Ich werde hier noch weitere Spuren suchen. Sobald du das abgegeben hast, kommst du zurück."
"Ja, Herr."
Als Hegelkant auf die Wache kam, lief er Pismire direkt in die Hände.
"Ah, Hegelkant, habt ihr in der Gilde was gefunden?"
"Ja, Sör, dieses Aufzeichnungen von Herrn Sämisch. Daraus geht hervor, dass er gestern Abend eine Verabredung hatte. Vermutlich mit Lady Paeonia Depilarii. Mein Herr meint, dass Fähnrich McMillian unbedingt davon wissen sollte. Und im Labor - meint mein Herr - sollte das Büchlein auf Fingerabdrücke untersucht werden."
"Hmm, Fähnrich McMillian ist im Zwergenimbiss und befragt die Nachtschicht - oder wollte da hin, und Dragor ist immer noch bei DOG. Am besten kümmere ich mich mal darum." Pismires Miene wurde heiter.
"Äh, Sör, fällt der Fall nicht in die Zuständigkeit von RUM?" fragte Larius, der, während er um die Ecke bog, den Rest des Gespräches mitbekommen hatte.
"Och, schon, aber wie du siehst, sind die ermittelnden Wächter gerade nicht da. Und ich bin mir ziemlich sicher, Fähnrich McMillian hat nichts dagegen, wenn wir ihr ein wenig Arbeit abnehmen."
Larius seufzte: "Leutnant, Sör, hast du denn nicht Dienst?"
"Tja, genau genommen noch nicht. Und wenn was dringendes ist, dann kann Obergefreite Bienchen das genauso gut übernehmen. Außerdem werden wir nicht lange weg sein und vielleicht ist es ja auch notwendig, äh, medizinische Fragen zu stellen..."
"Und außerdem platzt du vor Neugier, Pismire, und willst unbedingt deine lange Nase in die Fälle fremder Abteilungen stecken", ergänzte Larius grinsend.
"Nun, ich würde sagen: Vor Wissbegier. Das ist schon etwas anderes als schnöde Neugier. Uns soo lang ist meine Nase nun auch nicht." Auch er musste grinsen. Dann fuhr er fort: "Hegelkant, bring das ins Labor und bitte Obergefreite Bienchen, die Schicht erst einmal zu übernehmen und für Fähnrich McMillian hinterlässt du eine Nachricht, wo wir sind. Und dann: nichts wie los, Lance-Korporal."
Ergeben und ebenso neugierig folgte Larius seinem Vorgesetzten.
Unterwegs unterhielten sich die beiden Wächter über den Fall.
"Na, das Essen scheint ja dann nicht stattgefunden zu haben", meinte Larius, "denn sonst hätten wir ja nicht nur einen Toten sondern zwei. Außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass auf dem Speiseplan der Familie Depilarii so etwas profanes wie Pastinaken zu finden ist."
"Nun, zumindest war Sämisch passend für ein solches Essen gekleidet. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand sich noch mal schnell den Bauch mit Pastinaken vollhaut, bevor er zu einem Abendessen bei den Depilariis geht. Das ist alles sehr, sehr eigenartig", entgegnete Pismire nachdenklich.
"Aber warum sollte jemand versuchen, Sämisch umzubringen? Der Mann kannte hier doch vermutlich niemanden."
"Vielleicht war Sämisch ja auch nicht das richtige Opfer. Wenn man ein Essen vergiftet - und das mit pflanzlichen Giften - kann es ebenso gut vorkommen, dass die falsche Person stirbt."
Larius schaute den Schamanen mit großen Augen an: "Du meinst, Lady Depilarii könnte das Opfer sein und statt ihrer hat Sämisch zu viel von dem Gift abbekommen?"
"Ja, möglich wäre das schon. Zumindest kann ich mir das auch vorstellen", bemerkte der Schamane. "Wenn du Glück hast, retten wir also eine schöne, junge Frau vor einem bösartigen Mörder. Das ist doch mal was anderes als unsere übliche Arbeit, oder?"
Mittlerweile waren sie vor dem Gebäude der Depilariis angekommen. Auf ihr Klopfen hin öffnete Rubber, der Diener, das Tor. Auch diese Wächter wurden mit dem 'Wofür-gibt-es-eigentlich-den Dienstboteneingang-Blick' bedacht. Doch auch hier blieb der Blick ohne Wirkung.
"Leutnant Pismire und Lance-Korporal de Garde von der Stadtwache." Pismire zückte seine Dienstmarke und zwängelte sich an dem Diener vorbei ins Haus. "Wir möchten dringend mit Lady Paeonia Depilarii sprechen."
"Sör, in welcher Angelegenheit?"
"Erstaunlicherweise in Sachen Mord an Herrn Pertubal Sämisch. Und nun führ uns zu ihr, guter Mann." Pismire schob den Diener ein wenig beiseite, und zog Larius mit ins Haus.
"Ich werde sehen, ob ihre Ladyschaft zu sprechen ist."
"Gute Idee, Mann. An besten kommen wir gleich mit."
Der Diener führte sie in die große Halle, die nun leer war.
"Bitte zu warten", bemerkte Rubber kurz, dann verschwand er in das obere Stockwerk.
"Wenn wir Glück haben, retten wir eine junge, schöne und vor allem reiche Frau", flüsterte Larius seinem Vorgesetzten zu. Dieser nickte nur kurz und musterte die Einrichtung gründlich.
Kurze Zeit später war der Diener zurück.
"Ihre Ladyschaft bittet, dort", er deutete auf Gruppe von Stühlen in der Nähe das Kamins, "zu warten. Sie wird gleich erscheinen." Larius und Pismire wurden von ihm mit einem knappen "Bitte" dorthin geführt. Seine ganze Haltung drückte "Und lasst gefälligst eure schmutzigen Griffel von den Sachen!" aus.
Auf der anderen Seite des Kamins, in dem man problemlos einen Ochsen hätte rösten können, waren zwei Stühle und dazwischen ein Tisch mit einem Schachspiel zu sehen. Die Figuren zeigten ein für schwarz verlorenes Endspiel gegen zwei Springer. Der schwarze König lag noch auf dem Brett. Neben dem Brett standen zwei leere Weingläser.
"Ihr wünscht mit mir zu sprechen?"
Die beiden Wächter drehten ihre Gesichter zur Treppe. Nahezu lautlos glitt eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, die Stufen hinunter, dicht hinter ihr schritt ein junger Mann, seine Hand auf ihre Schulter gelegt.
Der Weg durch den Raum gab Pismire die Möglichkeit die beiden eindringlich zu mustern. Daran, dass es sich um Bruder und Schwester handelte, konnte es keinen Zweifel geben. Und beide waren schön, wenn auch von einer Art melancholischer Schönheit. Vor dem Hintergrund der dunklen Halle hoben sich ihre bleichen Gesichter ab. Auch das Haar hatte einen seltsam farblosen Ton. Die lautlose Art zu gehen ließ Pismire an Geister denken.
Das Haar der jungen Frau war im Nacken zu einem schweren Knoten frisiert, der für ihren schlanken, langen Hals fast zu schwer erschien. IhrGewand war aus weißem, fließendem Stoff.
Pismire, der sich in modischen Dingen so gut wie gar nicht auskannte, fiel auf, dass es keiner zur Zeit gültigen Modelinie entsprach, aber für seine Trägerin wie geschaffen zu sein schien. Ihr Bruder war dunkel gekleidet und während die beiden auf die Wächter zuschritten, hielt er leicht ihre Hand.
"Ich bin Lady Paeonia Depilarii. Und das ist Mundus, mein Bruder." Die Stimme der jungen Frau war leise und melodisch. Sie blickte den alten Mann aus hellgrauen Augen, die unter den schweren Augenliedern matt schimmerten, scheinbar ohne jede Regung an. Ihr Bruder deutete eine höfliche Verneigung an. Die Wächter hatten sich erhoben und erwiderten den Gruß. Mit einer trägen Bewegung forderte der Mann sie zum Sitzen auf. Seine Schwester nahm im Sessel Platz, während er sich auf eine der Armlehnen setze.
"Ich bin Leutnant Pismire, das ist Lance-Korporal de Garde", stellte Pismire sich vor. "Wir haben einige Fragen bezügliche Herrn Pertubal Sämisch."
"Charles Vetter?", die Augen der jungen Frau weiteten sich. "Wir haben schon..."
"...von seinem tragischen Tod gehört", beendete Mundus Depilarii den Satz.
Seine Stimme, nur unwesentlich tiefer als die seiner Schwester, hatte den gleichen müden Tonfall. "Wir haben ihn vorgestern auf einem Empfang in der Gilde kennen gelernt."
"Ich lud ihn zum Abendessen ein. Er schien ein wenig verloren zu sein in dieser großen Stadt."
"Und er nahm die Einladung an?", fragte Pismire.
"Oh ja, er schien sehr erfreut zu sein und da Charles an dem Abend bei einem wichtigen Essen in der Gilde geladen war, erschien es mir nur..."
"...höflich, ihn zu uns zu bitten." Wieder vollendete Mundus den Satz.
"Euch ist bekannt, dass er vergiftet wurde?"
"Ja, schrecklich." Lady Depilarii schauderte. Wie um sie zu schützen neigte Mundus sich vor und legte den Arm um ihre Schulter "Mein Bruder aß nicht mit uns, aber auch mir war ein wenig übel nach dem Essen."
Pismire sah sie aufmerksam an.
"Wie äußerte sich das, wenn ich fragen darf."
"Ich...", sie zögerte ein wenig, "ich erbrach mich heftig. Und ich fühlte mich wie im Fieber. Ich dachte, es läge an dem Wein, den wir tranken."
"Und es gab Pastinaken?", wollte Pismire wissen.
"Pertubal erwähnte, dass Pastinaken sein Leibgericht wären. Ich selbst kannte sie nicht. Deswegen war ich neugierig. Es schmeckte mir nicht und deshalb aß ich auch nur sehr wenig."
"Worüber wurde beim Essen gesprochen?", fragte der alte Schamane.
"Wir plauderten über die unterschiedlichen Themen. Hauptsächlich aber über Musik und die Oper. Meine Schwester und ich lieben die Oper. Und es war wohltuend, einmal nicht über die Gilde, den Handel und solche Dinge reden zu müssen", ergriff nun Mundus das Wort.
"Pertubal war ein angenehmer Gesprächspartner. Und auf dem Empfang der Gilde hatte ich keine Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten." Sie schaute in die Flammen und verstummte.
"Wer wusste von der Einladung?" Pismire neigte sich vor und schaute die Geschwister eindringlich an.
"Charles, mein Verlobter. Und vermutlich auch mein Vater. Und natürlich Rose. Ich weiß nicht, wer sonst."
"Rose?"
"Die Köchin. Sie musste ja wissen, wer kommt und was es zu essen gäbe."
"Wir sollten uns einmal mit Rose unterhalten. Wo finden wir sie?"
"Rubber wird euch den Weg zeigen," meinte Mundus.
Wie immer der Diener gerufen worden war, bei diesem Stichwort kam er aus einem der Nebenräume.
"Die Wächter möchten mit Rose sprechen. Bitte zeig ihnen den Weg in die Küche."
Rubber verneigte sich stumm.
Er ging zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Pismire erhob sich und stupste Larius sanft an, der während der ganzen Unterhaltung in die Betrachtung der jungen Frau versunken gewesen war. Dann verneigte er sich andeutungsweise und die Wächter folgten dem Diener.
Ein verschlungener Weg durch das Innere des großen Hauses brachte sie in die Küche. Unterwegs nutze Pismire die Gelegenheit, auch an Rubber einige Fragen zu stellen. So erfuhr er, dass er, Rubber, den Gast zwar um neun Uhr hereingelassen habe, aber bei dem anschließenden Essen seine Dienste nicht mehr benötigt worden seien. Daher wisse er auch nicht, wann Herr Sämisch das Haus verlassen habe und ob er in Begleitung oder allein gewesen sei. Außer der Familie und der umfangreichen Dienerschaft wohne sonst niemand im Hause. Nur der Sekretär des Herrn, Folio Bessingter, übernachte gelegentlich im Hause, wenn es zu spät geworden sei, zu seiner Frau heimzukehren. Dieser sei gestern Abend natürlich nicht bei dem Gildenessen gewesen. Ob er aber gestern Abend länger im Haus gewesen sei, entziehe sich seiner, Rubbers, Kenntnis. Er sei seit einigen Jahren im Hause und doch, ihre Ladyschaft lasse hin und wieder zu, dass er ihr abends Gesellschaft leiste, was er offensichtlich auch sehr gerne tue.
Die Küche war eine riesige Halle mit zahlreichen Tischen und Herden, und angesichts des bevorstehenden Abendessens herrschte emsiger Betrieb. Eine kleine Armee von Gehilfen und Küchenmädchen schuftete unter dem strengen Blick einer älteren, korpulenten Frau, zu der Rubber sie nun brachte.
"Frau Pfirsich, das sind Leutnant Pismire und Lance-Korporal de Garde von der Wache. Sie möchten mit dir sprechen." Mit unbewegter Miene stellte Rubber sie vor.
"Ja? Was kann ich für euch tun?" Mit einem durchdringenden Pfiff gab sie ein Signal.
Wenige Augenblicke später erschien ein dürrer und offensichtlich magenleidender Koch.
"Portulak, du übernimmst für eine Weile. Und achte darauf, dass Marthe die Gebäcke rechtzeitig aus dem Ofen holt. Nicht wie beim letzten mal. Und nur ein Hauch Salbei an die Sauce."
Zu den Wächtern gewandt sagte sie: "Kommt mit, da hinten können wir in Ruhe reden."
Mit diesen Worten führte sie sie zu einem langen Tisch - offensichtlich der Esstisch für die Küchenmannschaft, der in einer tiefen Nische an der hinteren Wand stand.
Sie ließ sich am Kopfende des Tisches nieder. Auf ein lautes Fingerschnippen erschien ein Küchenhelfer. "Bring uns Tee. Oder etwas stärkeres?"
"Nein, Tee wäre recht", wandte Pismire ein.
"Also Tee. Los, worauf wartest du noch."
Sekunden später erschien Tee mit drei Tassen. Frau Pfirsich schenkte den Tee ein, dann lehnte sie sich zurück.
"Also, was wollt ihr von mir?"
"Es geht um das gestrige Abendessen. Das Pastinakengericht. Wer hat das zubereitet?"
Mit einem misstrauischen Blick musterte Frau Pfirsich die beiden Wächter. "Wieso wollt ihr das wissen?"
"Wieso beantwortest du nicht einfach unsere Frage, Frau Pfirsich?", warf Larius ein.
Ihr Blick pendelte zwischen den beiden Wächtern hin und her, während sie unbewusst die Tasse in ihren Händen drehte.
"Es ist also wahr", sagte sie dann unvermittelt. "Mit dem Essen war etwas nicht in Ordnung. Stimmt's?"
Pismire nickte. "In der Tat. Es enthielt nicht nur Pastinaken. Es war vergiftet."
Frau Pfirsich schnappte nach Luft. "Wasserschierling...", murmelte sie entsetzt.
"Woher weißt du das denn?", fragte Larius misstrauisch.
Sie schnaubte verächtlich. "Weil selbst ein Kind weiß, dass man beim Sammeln von wilden Pastinaken aufpassen sollte, weil die Wurzeln von Wasserschierling fast genau so riechen wie wilde Pastinaken." Sie starrte auf ihre Hände, dann sagte sie entschlossen: "Ich habe das Essen zubereitet."
"Allein?" fragte Pismire und schaute sie an.
"Allein. Gestern war der Herr in der Gilde und wenn er nicht da ist, dann gebe ich in der Regel dem Küchenpersonal frei und koche selbst. Ich habe die Wurzeln eigenhändig geschält und zubereitet." Sie sah den beiden Wächtern an.
"Woher kamen die Zutaten für das Essen?", wollte Pismire wissen.
"Wir bekommen unser Gemüse von "Fröhlichs buntem Gemüsegarten" am "Hier-gibts-alles-Platz 5"
"Werden hier eigentlich häufig Pastinaken serviert?", fragte Larius unvermittelt. "Immerhin ist es nicht gerade feine Küche, oder?"
"Nein", gab Frau Pfirsich zu. "Normalerweise steht Pastinake nicht auf unserem Speiseplan, höchstens auf dem für die Dienerschaft. Aber Onia bat mich, welche zu besorgen, weil das das Leibgericht des Gastes sei. Nun, Künstler haben manchmal seltsame Anwandlungen, sagt man."
"Onia? Wer ist Onia?", wollte Larius wissen.
"Paeonia Depilarii. Ich nenne sie noch immer so. Ich war ihre und Mundus Amme. Und Kinderfrau. Ihre Mutter starb direkt nach der Geburt der Zwillinge. Als sie klein war, konnte sie ihren Namen noch nicht richtig aussprechen. So sehr sie sich auch anstrengte, das "P" brachte sie nicht über die Lippen. Daher nannte sie sich "Onia". Und ich auch." Sie seufzte. "Ich bin schon seit fast vierzig Jahren im Haus. Ich war die Amme und das Kinderfräulein ihrer Mutter, und später habe in dann der Küche gearbeitet, aber als Lady Orestii starb, bat sie mich, auf ihre Kinder aufzupassen. Für mich waren sie wie eigene Kinder. Sie sind immer noch gerne bei mir in der Küche." Als sie den Blick der Wächter sah, fügte sie erläuternd hinzu: "Das hier ist eigentlich das Haus der Familie Orestii. Der Herr hat die Tochter geheiratet und...."
"...somit sein Geld zwar nicht wesentlich vermehrt, aber es geschafft, in die richtig gute Gesellschaft zu kommen."
Mückensturm, stellvertretender Abteilungsleiter von DOG, blätterte in seinen Unterlagen. Dragor Nemod schrieb eifrig mit.
"Bevor er Lord Depilarii wurde, hieß er Egil Schlabuffke. Kein Name, mit dem die Erbin des Familie Orestii so richtig glücklich geworden wäre. Aber mit guten Beziehungen und einer Menge, einer riesigen Menge echten Frischgeldes kann man so einiges erreichen.
"Woher stammt denn das ganze "Frischgeld"?", fragte Dragor neugierig.
"Na, angefangen hat er mit einem Wundermittel gegen Kahlköpfigkeit. Nicht ohne Humor, der Bursche. De-pil-lar-ii ist in der alten Sprache soviel wie 'Glatzkopf'. Damit hat er ein riesiges Vermögen gescheffelt und dann klug investiert. Und wurde unter seinem neuen Namen auch geadelt. Die Familie handelt in seltenen Kräutern, Gewürzen und obskuren Heilmittelchen. Da ist eine Verbindung mit Überwald - wo es jede Menge obskurer Heilmittelchen gibt - eine gute Sache. Und außerdem hat der den runtergekommenen Grundbesitz der Familie Orestii in der Stadt wieder auf Vordermann gebracht. Heute gilt er als einer der reichsten Männer in Ankh-Morpork. Sehr einflussreich in der Gilde. Ein mächtiger Mann. Passt gut auf, dass ihr ihm nicht auf die Zehen tretet. Er gilt nicht als umgänglich."
"Das kann ich mir vorstellen", seufzte Dragor und klappte sein Notizbuch zu. "Wenn euch noch was dazu einfällt... Zur Zeit können wir jede Information gebrauchen."
Auf dem Weg zur Wache waren Pismire und Larius beide in Gedanken vertieft. Aber während Pismire mit den Fakten und dem, was sie bei den Befragungen erfahren hatten, haderte, waren Larius Gedanken mit Lady Depilarii beschäftigt und den Möglichkeiten, die sich für die Zukunft eines Wächters boten, der die reiche Erbin einer bedeutenden Familie aus den Klauen eines heimtückischen Mörders gerettet hatte.
"Die Sache stinkt", meinte Pismire unvermittelt. "Das kann so nicht gewesen sein?"
Larius Gedanken wurden abrupt aus ihren angenehmen Bahnen gerissen. "Wie? Was?", fragte er und schaute seinen Vorgesetzten an.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nach der Einnahme von Wasserschierling kotzt", entgegnete Pismire rüde. "Das ist doch genau der springende Punkt am Citutoxin, dass man sich nicht erbrechen kann. Denk mal an der Zustand von Sämisch. Der hat sich fast die Zunge abgebissen, aber erbrochen hat er nicht."
"Aber du hat doch gesagt, dass man die Wirkung von pflanzlichen Giften nicht so genau vorher sagen kann", versetzte Larius.
"Du kannst nicht genau sagen, wo zum Beispiel die tödliche Dosis liegt. Aber wenn eine Substanz nun einmal den Brechreiz unterdrückt, dann tut sie das bei jedem."
Larius zuckte mit den Achseln. "Das ist dein Metier, Pismire. Ich bin hier nur der einfache Tatortsicherer."
Als sie Pismire Büro erreichten, wartete dort schon Fähnrich McMillian auf die beiden.
"Ah, der Herr Gerichtsmediziner und sein Herr Stellvertreter. Vom Wildern in meinem Bereich zurück?", fragte sie mit zuckersüßer Stimme.
Wenn Pismire verlegen war, dann überspielte er das recht gut.
"Nun, Fähnrich, es ergaben sich einige neue Aspekte und ich dachte mir, es könne ganz hilfreich sein, wenn jemand mit Lady Depilarii spricht, der, äh, über den entsprechenden toxikologischen Hintergrund..."
"Und eine gerüttelte Portion Neugier verfügt", vollendete Tricia den Satz. "Schon gut, Leutnant. Geschenkt. Aber was habt ihr heraus bekommen?"
"Naja, ich bin mir nicht sicher, was wir heraus bekommen haben", meinte Pismire nachdenklich. "An der ganzen Sache ist was faul, Tricia. Da haben wir ein Essen für zwei Personen, dass von irgend jemandem offensichtlich vergiftet worden ist. Und zwar gezielt, denn ich glaube nicht, dass die Firma Fröhlich so unachtsam ist, ihren Stammkunden Wasserschierlingwurzeln zu liefern, zumal die Wurzeln beim genauen Hinsehen. Wasserschierling hat normalerweise Wurzeln, die im Bündel wachsen. Und Pastinaken haben nur eine Wurzel. Außerdem sehen die Wurzeln unterschiedlich aus, wenn man sie aufschneidet. Also: Ein Versehen ist normalerweise ausgeschlossen. Und dann sehe ich einfach kein Motiv für den Mord. Sämisch war neu in der Stadt. Er kannte hier so gut wie niemanden und - außer seinem Vetter - sehe ich auch keine weitere Verbindung zum Haus Depilarii. Und dann die Sache, dass die junge Frau sich nach dem Essen übergeben hat. Das ist eigentlich ausgeschlossen. Und laut der Aussage der Köchin hat sie das Essen ganz alleine zubereitet. Und die kannte Sämisch bestenfalls vom Hörensagen." Er seufzte und zuckte mit den Achseln. "Das macht alles keinen Sinn."
"Wie dem auch sei, Pismire, ich bis seit weit über 12 Stunden im Dienst. Ich brauche dringend Schlaf und wenn man müde ist, dann drehen sich die Gedanken eh' meist nur sinnlos im Kreis. Vielleicht sehen wir den Fall Morgen klarer."
Sie erhob sich und ging mit steifen Schritten zur Tür. "Aber wenn dir auf der Nachtschicht noch was einfällt, dann lass es mich wissen, bevor du dich wieder auf den Weg machst, Pismire."
Pismire nickte. Dann wandte er sich Larius zu. "Ich schick dann Obergefreite Bienchen mal in den wohlverdienten Feierabend. Wir sehen uns morgen."
Zwischenspiel
Als ihr Geliebter an ihr Bett trat, erwachte Paeonia.
"Und?", fragte sie atemlos.
"Es ist vorbei", antwortete er. "Sie schien mich zu erwarten. Und sie hat sich nicht einmal richtig gewehrt. Es war fast so, als sei sie erleichtert." Der junge Mann betrachtete seine Hände und schauderte.
Sie umarmte ihn leicht. "Sie hat es für uns getan. Und sie hätte uns verziehen. Denk nicht mehr daran, es ist jetzt vorbei.
"Ich befürchte, es ist nie vorbei", sagte er mit einem Seufzen, während er sich zu ihr legte. "Diese Wächter werden wieder kommen. Und sie werden wieder Fragen stellen.
"Pah", schnaubte die junge Frau. "Über die brauchst du dir keine Gedanken machen. Lass sie fragen. Wer soll ihnen jetzt noch antworten können?"
Zweiter Tag
Während der nächtlichen Bereitschaft, die zum Glück bis in die frühen Morgenstunden ruhig verlief, grübelte der alte Schamane über seinen Aufzeichnungen, bis ihm die Augen zufielen.
Er hatte vielleicht ein, zwei Stunden gedöst, als ihn ein Klopfen an seiner Tür aus dem Schlummer riss. Er blinzelte aus dem Fenster und erkannte an der geringen Helligkeit, dass es nicht viel später als halb sechs sein konnte. Fluchend stand er auf, und als er die Tür öffnete, stand Fähnrich McMillian vor ihm.
"Es hat einen Unglücksfall im Hause Depilarii gegeben. Wir bringen dir dann die Leiche."
Wer?", fragte Pismire knapp.
"Rose Pfirsich."
"Scheiße!", entfuhr ihm. "Was ist passiert?"
"Keine Ahnung. Eines der Küchenmädchen schaute wohl zum Wecken in Frau Pfirsichs Zimmer und fand sie tot an einem Haken von der Decke hängen. Die Wache wurde sofort verständigt und ich will so schnell wie möglich wissen, was da los ist. Ich hab schon Hegelkant und Sillybos angefordert, die sich das Zimmer ansehen sollen. Und die Leiche bringen wir gerade ins Labor."
Nachdem Pismire die Leiche gründlich untersucht hatte, seufzte er resignierend. "Wir haben einen schweren Fehler gemacht", murmelte er, während er die Aufzeichnungen zum Diktat vorbereitete. "Wir haben uns mit falschen Aussagen abspeisen lassen. Du dumme alte Frau", herrschte er die Leiche der Köchin an. "Du hast uns gestern nach Strich und Faden belogen. Und ich Idiot hab dir geglaubt. Und das hast du nun davon. Du hast versucht, deine kleine Onia zu decken. Und hast geglaubt, dass sie dir nichts tun wird."
"Äh, Pismire, wenn du dann fertig bist, das Opfer zu beschimpfen, könntest du mir dann den Obduktionsbericht zukommen lassen?"
Ohne dass er es gemerkt hatte, war Tricia McMillian in den Raum gekommen.
Pismire fuhr herum. "Ich hab dich nicht kommen hören, Tricia."
"Das hab' ich gemerkt", entgegnete der Fähnrich mit einem leichten Lächeln.
"Redest du so mit allen deinen, äh, Kunden? Patienten? Wie auch immer?"
Pismire kratzte sich verlegen am Kinn. "Die Frau hat uns gestern nach Strich und Faden belogen. Und dafür hat sie mit dem Tod bezahlt. Und ich sehe nur eine Person, die den Mord an Sämisch begangen haben kann - oder zumindest davon gewusst hat: Paeonia Depilarii."
"Das ist eine schwere Anschuldigung. Kannst du das beweisen?", fragte Tricia McMillian ernst.
"Schau dir doch die Indizien an, Fähnrich", knurrte der Gerichtsmediziner. "Die Pastinakenlieferung des Gemüsehändlers war vermutlich einwandfrei..."
"Stimmt", fügte Tricia ein. "Ich war bei Tagesanbruch da. Der Händler schließt es aus, dass Wasserschierling unter den Pastinaken war. Und er ist sich da so sicher, wie man nur sein kann. Immerhin hat er die handverlesene Exemplare selbst ins Haus gebracht."
"Eben. Bei solchen Kunden macht man keine Fehler. Also muss im Haus an dem Essen manipuliert worden sein. Die Kenntnisse darüber, wie Wasserschierling wirkt, sind jedenfalls im Hause vermutlich ausreichend vorhanden."
"Aber die Köchin hat doch ausgesagt, dass sie eigenhändig und allein das Essen zubereitet hat. Und es sieht so aus, als ob sie sich so über ihren Fehler gegrämt hat, dass sie sich heute Nacht erhängt hat. Ich konnte jedenfalls im Zimmer bei oberflächlicher Betrachtung keine Anzeichen für einen Kampf finden."
"Im Zimmer vielleicht nicht", meinte Pismire ruhig, "aber an der Leiche ist eindeutig zu sehen, dass die Frau erst erwürgt wurde und dann in die Schlinge an der Decke gehängt."
"Bist du sicher?", fragte McMillian aufgeregt. "Weil, das ändert nämlich alles."
"So sicher wie man nur sein kann. Die Spuren der Hände des Mörders sind deutlich zu erkennen, wenn man das Seil abgenommen hat. Und ich glaube kaum, dass die Köchin sich aus Scham über ihren Fehler eigenhändig erwürgt und anschließend an der Zimmerdecke drapiert hat", fügte Pismire sarkastisch hinzu.
"Nein, soviel ist dann sicher. Aber was hat Lady Depilarii damit zu tun? Immerhin hat sie selbst davon gegessen."
"Eben, genau das macht mich so sicher. Sie hat Larius und mir erzählt, dass sie selbst davon gegessen hat. Und das sie sich anschließend erbrochen hat. Daraus schließe ich, dass sie hinterher ein Brechmittel genommen hat. Und dafür gibt es nur eine logische Erklärung: Sie wusste, dass sich Gift im Essen befand."
"Und wenn sie das Mittel nur so genommen hat? Ich habe mal gehört, dass es junge Frauen gibt, die nach dem Essen regelmäßig erbrechen, um nicht zuzunehmen", wandte der Fähnrich ein. "Oder der Mörder verabreichte ihr unbemerkt das Mittel, weil sie eben nicht das Opfer war. Und noch was: So, wie ich es einschätze, war sie mit Sicherheit rein körperlich nicht in der Lage, Frau Pfirsich zu erwürgen."
"Dann hatte sie halt einen Komplizen."
"Wer soll das denn bitteschön sei?", fragte McMillian. "Meine Leute haben sich gründlich umgehört über die Familie. Die junge Frau lebt ziemlich zurück gezogen. Sie geht so gut wie nie aus, und wenn, dann nur in Begleitung ihres Vaters oder ihres Bruders. Das nenn ich 'gut behütet'. Und über eventuelle Liebschaften war rein gar nichts zu erfahren."
"Was ist mit dem Sekretär? Oder vielleicht jemand aus dem Haushalt", spekulierte Pismire.
"Ach komm schon", winkte der Fähnrich ab. "Nicht mal im Haushalt der Familie Depilarii kann man nach einem Mord einfach so läuten und die Leiche entfernen lassen. Oder mal eben jemanden zur Köchin schicken, um einen Selbstmord vorzutäuschen." Sie imitierte die junge Frau: "Ach, und Rubber, sorg bitte dafür, dass alles wie ein Selbstmord aussieht. Und dann bring mir bitte eine heiße Schokolade, ich möchte zu Bett gehen."
Sie schnaubte: "Nein, deine Indizien in allen Ehren, aber was glaubst du, wie lange Herr Depilarii zulässt, dass wir auf dieser Grundlage gegen seine Tochter ermitteln, ohne uns jeden verdammten Anwalt dieser Stadt auf den Hals zu hetzen. Und überhaupt, welches Motiv sollte sie haben? Sie kannte den Sänger doch gar nicht."
"Na und? Dann haben wir das Motiv einfach noch nicht gefunden. Vielleicht sollten wir sie hier in der Wache befragen", schnappte Pismire ungehalten. "Wir könnten sie ordentlich in die Mangel nehmen."
"Du spinnst, Leutnant", fauchte Tricia McMillian zurück. "Zehn Sekunden später wären Herr Schräg und sein ganzes verdammtes Konsortium bei Rince, zwanzig Sekunden später fänden wir beide uns Arm in Arm beim Patrizier wieder und was wäre damit gewonnen?"
"Nun, was denn?" fragte Larius gespannt, der unbemerkt während des heftiger werdenden Wortwechsels ins Zimmer gekommen war.
"Kann hier denn verdammt nochmal niemand mehr anklopfen?", schnauzte Pismire seinen Stellvertreter an.
"Oh, wenn der Herr Abteilungsleiter mal ein Hörgerät brauchen, ich kenn da einen Laden, wo die Wache Rabatt bekommt. Wir werden ja alle nicht jünger. Und im übrigen: Ich habe geklopft", entgegnete Larius spitz.
Pismire grummelte wütend: "Was gibt es denn überhaupt?"
"Lance-Korporal Sillybos ist mit seinem schriftlichen Bericht fertig und wollte ihn so schnell wie möglich an Fähnrich McMillian weiterleiten. Und bei RUM sagte man mir, dass du hier bist, Mäm." Larius salutierte und gab Tricia den Bericht, die ihn kurz überflog.
"Danke, Larius. Hier steht, dass er zwischen Laken und Matratze einen Knopf von einem Männerhemd gefunden hat?"
"So ist es. Er hat ihm im Labor abgegeben und Gefreite Isis nimmt ihn sich gerade vor. Soviel wie ich gesehen habe, ist es ein ziemlich teures Stück."
"Wir müssen rauskriegen, wem der Knopf gehört hat", meinte Fähnrich McMillian.
"Das findet sich hinten im Bericht. Lance-Korporal Sillybos hat die Bewohner des Hauses befragt. Der Knopf gehört Mundus Depilarii."
"Und? Gibt es auch einen plausible Erklärung, was der Knopf des jungen Herrn im Schlafzimmer der Köchin zu suchen hatte?", fragte Pismire sarkastisch.
"Mundus Depilarii hat angegeben, ihn vermutlich gestern Abend dort verloren zu haben. Er habe sich Sorgen um Frau Pfirsich gemacht, weil sie so bedrückt wirkte. Aber sie wollte nur kurz mit ihm reden und dann lieber allein sein", fasste Fähnrich McMillian den Bericht, während sie weiter blätterte, zusammen.
"Tja, wie schön, dass wir für alle Fragen immer sofort eine Begründung bekommen", bemerkte Pismire mit undurchdringlicher Miene.
"Ich weiß auch, dass an der Sache was faul ist, Pismire. Aber wir brauchen mehr als nur Vermutungen und Indizien, sonst kommen wir keinen Zentimeter weiter. Wir brauchen das Motiv."
Und mit diesen Worten verließ Tricia McMillian den Raum.
"Tja, wo sie Recht hat, hat sie Recht", meinte Pismire als er mit seinem Stellvertreter allein war.
"Bahnbrechende Erkenntnis, Sör", meinte Larius, der den Stimmungsumschwung seines Vorgesetzten versuchte zu deuten.
"Äh, wie bitte?", schreckte der Leutnant aus seinen Überlegungen auf. "Ich würde mich gerne noch einmal im Haus Depilarii umsehen."
Larius schnitt eine abwehrende Grimasse. "Du weißt doch, was Fähnrich McMillian von Wilderei hält, Pismire. Und vor allem: Mit welcher Begründung willst du denn noch einmal dort hin?"
"Ach, pah, Wilderei", brummte Pismire. "Ich versuche lediglich, ein wenig zur Aufklärung eines Falles beizutragen. Und einfallen wird mir schon noch etwas."
Seufzend zuckte de Garde mit den Schultern. "Oh ja, daran habe ich nun überhaupt keinen Zweifel."
"Wie dem auch sei, ich hatte Bereitschaft und jetzt hab ich erst einmal dienstfrei. Auch alte Leute brauchen ihren Schlaf. Wir sehen uns heute Nachmittag."
"Beginnt dein Dienst denn nicht erst am Abend?", fragte Larius scheinheilig.
Ein wenig verlegen räusperte sich Pismire: "Och, da ist doch sicher noch ein wenig Papierkram liegen geblieben, oder?"
"Es sind deine Ohren, die Fähnrich McMillian dir lang ziehen wird."
"Eben."
Zuhause angekommen begab Pismire sich in seinen Schuppen, den er seit einiger Zeit bewohnte und rollte sich auf einer spartanischen Liege in seine Decken, um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Aber so sehr er sich auch bemühte, seine Gedanken kreisten immer wieder um den Mord an der Köchin, den er - da war er sich mittlerweile mehr als sicher - hätte verhindern können, wenn er ihre Aussage eher in Zweifel gezogen hätte und vor allem nicht so begriffsstutzig gewesen wäre.
Nach einiger Zeit fiel er in einen unruhigen Schlaf, aus dem bereits um die frühe Mittagszeit herum wieder erwachte.
"Es hilft alles nichts", sagte er zu sich selbst. "Schlafen kann ich immer noch, wenn der Fall gelöst ist." Mühsam stand er auf und begann mit einer gründlichen Wäsche und einer ebenso gründlichen Rasur.
Mit einem Kräutertee in der Hand trat er auf seine Veranda, riskierte einen strafenden Blick auf seine Ziege, die mit lammfrommen Gesicht einen der Sträucher seiner Vermieterin niederweidete und machte sich dann auf den Weg zur Wache.
In der Kantine war keiner der ermittelnden Wächter zu finden, auch bei RUM traf er weder Tricia McMillian noch Dragor Nemod an. Endlich traf er Lance-Korporal de Garde in seinem Büro, der sich mit Sillybos und Hegelkant über den Fall unterhielt.
"Wisst ihr, ob es in dem Fall was Neues gibt?", fragte Pismire seine Mitarbeiter.
"Tricia McMillian ist zur Ankh-Morpork-Times gegangen um deren Klatschreporterin zu befragen", erwiderte Sillybos.
"Was verspricht sie sich davon?", fragte Pismire gespannt.
"Ich glaube, sie möchte wissen, was auf dem Empfang in der Gilde so passiert ist. Ob überhaupt was passiert ist. Die "Times" hat jedenfalls am nächsten Tag einen Artikel über den Empfang gebracht. Allerdings ohne Ikonographien. Du weißt ja, die Gilden sind da machmal heikel. Und die Alternative wäre, sich einmal durch die gesamte Gästeliste zu arbeiten, was noch Wochen dauern kann", meinte Larius.
"Ihr habt doch Mundus Depilarii befragt, oder?", wandte sich der Leutnant an Sillybos und Hegelkant.
"Ja, Herr, das habt mein Herr. Und auch sehr gründlich und gewissenhaft, wenn ich so sagen darf", entgegnete Hegelkant.
"Oh; keine Frage, keine Frage", beschwichtigte ihn Pismire. "Es muss doch sehr früh gewesen sein, als ihr ihn befragt habt, oder?"
"Ja, Sör", bestätigte Hegelkant.
"Warum war er dann schon auf?", fragte Pismire gespannt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der junge Herr Depilarii zusammen mit dem Küchenpersonal seinen Tag beginnt, oder?"
"Nun, er wurde von dem Lärm und der Aufregung im Haus geweckt. Außerdem habe er schlecht schlafen können, weil er sich um die Frau Pfirsich Sorgen gemacht habe. Immerhin ist sie ja auch seine Amme und sein Kinderfräulein gewesen", erklärte Sillybos, "und er war wirklich bekümmert."
"Ach ja, er hatte sie ja noch am Abend in ihrem Zimmer besucht, weil er besorgt war, nicht wahr?", fragte Pismire. "Worüber haben sie da genau gesprochen?"
Der Lance-Korporal errötete leicht: "Nun, ich habe ihn natürlich nicht nach dem genauen Wortlaut der Unterhaltung gefragt, Sör. Nur so allgemein meinte Mundus, dass sie sich die Schuld für den tragischen Unfall geben würde, aber nicht länger mit ihm darüber habe reden wollen und er deswegen auch dann gegangen sei."
"Ich will genau wissen, was die beiden gesprochen haben. Vielleicht hat sie etwas gesagt, dass uns weiter bringt", meinte Pismire und griff nach seinem Umhang.
"Wir sollten wenigstens Fähnrich McMillian davon ihn Kenntnis setzten", meinte Larius, während er sich erhob.
"Kümmer dich darum und dann komm nach", entgegnete sein Vorgesetzter.
Kurz vor dem Haus der Depilariis hatte Larius den alten Mann eingeholt.
"Ich hab Fähnrich McMillian eine Nachricht hinterlassen, hoffentlich reicht das", meinte Larius und schaute seinen Vorgesetzten an.
Pismire antwortete nicht und so schritten die beiden den Rest des Wegen stumm zum Hause Depilarii.
Der arrogante Diener schien sich immer noch nicht mit der Anwesenheit der Wache im Haus anfreunden zu können, aber außer einem säuerlichen Gesicht machte er keinen weiteren Kommentar, sondern führte sie in den Salon.
Mundus und Paeonia saßen in zwei eng aneinander gerückten Sesseln in der Nähe des Kamins, offensichtlich in ein Buch vertieft.
Die Stimme des Dieners riss sie aus ihrer Versunkenheit.
"Herr, diese Wächter wollen zu Euch."
Mundus blickte auf und fragte mit gleichgültiger Stimme: "Was ist es denn diesmal, Leutnant?", wobei er die Rangbezeichnung so gelangweilt wie möglich aussprach.
"Ich hab noch ein paar Fragen zu Rose Pfirsich", entgegnete der alte Mann kurz angebunden.
Päonia griff sich mit leidender Stimme an die Schläfe. "Das alles ist so traurig. Ich möchte mich zurückziehen, Leutnant, wenn es an mich keine Fragen gibt."
Pismire nickte und warf Larius, der gerade den Mund öffnen wollte, einen eindringlichen Blick zu. Mundus sah seiner Schwester nach, als diese sich erhob und zur Treppe schritt. Erst als sie seinem blick entschwunden war, wandte er sich den beiden Wächtern zu.
Pismire holte Sillybos Bericht aus seinem Umhang.
"Lance-Korporal Sillybos, der heute vormittag mit dir gesprochen hat, schreibt, dass du gestern Abend noch ein Gespräch mit Frau Pfirsich geführt hast", begann er.
Bejahend nickte der junge Mann und deutete auf den Sessel neben sich.
"Danke, ich stehe hier ganz gut", entgegnete der Schamane, als er das Angebot ablehnte. "Worüber habt ihr beide gesprochen?"
"Das habe ich doch heute morgen schon alles gesagt. Rose wirkte bedrückt und als ich hörte, dass es ihr nicht gut ging und sie sich hingelegt hatte, ging ich zu ihr. Sie war aufgeregt wegen des Verhörs am Nachmittag und machte sich Sorgen wegen ihres Rufs als Köchin und gab sich die Schuld an der Vergiftung von Sämisch."
Pismire, der während der junge Mann gesprochen hatte, Sillybos Bericht im Auge behielt, nickte fast unmerklich.
"Genau das hast du ja heute morgen schon berichtet. Aber wie waren ihre genauen Worte?"
Mundus zuckte leicht mir den Achseln. "Ihre genauen Worte? Ich weiß nicht, was das soll, Leutnant."
"Nun, vielleicht gibt uns das Aufschluss über ihre Gemütsverfassung", merkte Pismire an.
Mundus verdrehte die Augen. "An die genauen Worte erinnere ich mich nicht mehr."
"So ein schlechtes Gedächtnis, Mann?" Der Schamane schaute skeptisch. "Du warst so besorgt, dass du dich abends ans Bett der Köchin setzt und bist dann so unaufmerksam, dass du dich nicht einmal an einen ihrer Sätze erinnerst?"
"Und wenn es so ist?", fragte Mundus zurück. "Was liegt schon daran, was Rose genau gesagt hat?"
"Die Frau ist tot. Wie es aussieht, hat sie sich erhängt. Und dann finden wir deinen Knopf und stellen fest, dass du bisher der letzte bist, der mit ihr gesprochen hat. Und da interessieren wir uns natürlich schon für ihre letzten Worte. Und von daher wäre ich schon sehr an dem genauen Wortlaut interessiert." Er holte einen Bleistift und einen Notizblock aus seinem Umhang. "Es wird dir doch hoffentlich nicht zu viel Mühe machen, ein wenig dein Gedächtnis zu befragen und uns das Ergebnis aufzuschreiben, oder?", sprach's und reichte Mundus die Sachen. "Lance-Korporal de Garde und ich haben noch eine Frage an das Küchenpersonal, Herr. Keine Bange, wir kennen den Weg." Pismire drehte sich um und machte sich auf dem Weg, während Larius ihm folgte.
Die Stimmung in der Küche war bedrückt und Larius bemerkte, dass das eine oder andere Küchenmädchen rotgeränderte Augen hatte. Offensichtlich war Frau Pfirsich nicht unbeliebt gewesen.
Zielstrebig steuerte Pismire auf Portulak, den zweiten Koch des Hauses Depilarii zu. Er stand an einem der Herde und war offensichtlich mit der Zubereitung von Gemüse beschäftigt. Verglichen mit seinem heutigen Aussehen war er gestern noch das blühende Leben gewesen – und da hatte er nach Larius Eindruck schon das Aussehen eines magenkranken Wiesels gehabt.
Pismire baute sich hinter ihm auf und wartete auf eine günstige Gelegenheit zum Gespräch.
"Ich hab gleich für dich Zeit", meinte der Koch und fügte hinzu, "ihr könnt euch ja da hinten an den Tisch setzten.
Pismire und Larius nahmen dort, wo sie am Vortag gesessen hatten, Platz. Einige Zeit verging. Auch heute war hektische Betriebsamkeit in der Küche, aber Larius schien es so zu sein, als sei die Stimmung gedämpft und ihm schien es so, als sei nicht nur Trauer im Spiel.
Nach fast zehn Minuten, die die beiden Wächter mit dem Beobachten des Küchenpersonals verbracht hatten, kam der Koch an den Tisch.
"Ich hab nicht viel Zeit. Oberflächlich sah es ja immer so aus, als ob Rose nur rumgestanden und kontrolliert hat, aber wenn sie fehlt, dann merkt man erst, wie viel davon abhängt", meinte er nachdenklich. "Aber das interessiert die Wache sicher nicht, oder?"
Pismire zuckte leichthin mit den Schultern und verzichtete auf eine Antwort, Larius saß da und hatte Notizblock und Bleistift bereit.
"Es geht noch einmal um das Pastinakengericht für Herrn Sämisch. Frau Pfirsich hat uns gestern gesagt, dass sie das Gericht eigenhändig und allein – ohne weitere Hilfe durch anderes Personal - zubereitet hat." Portulak nickte bestätigend.
"Ja, wenn nichts großes ansteht, dann kocht...", er korrigierte sich, "kochte Rose sehr gerne auch selbst. Sie konnte nicht nur den Betrieb in einer so großen und anspruchsvollen Küche beaufsichtigen, sie konnte auch sehr gut kochen. Und vorgestern war kein großes Diner zu machen, da Herr Depilarii im Gildenhaus gegessen hat."
"Aber es war doch ein Gast im Haus, oder?", fragte Larius scheinheilig.
Portulak sah kurz zu ihm hin.
"Mag sein, aber das Haus macht schon einen Unterschied zwischen offiziellen Essen und eher privaten, äh, Einladungen."
"Und Sämisch war?" Pismire schaute den Koch an.
"Die junge Herrin hatte wohl spontan den Einfall dazu. Sie hat das mit Rose besprochen. Und Pastinaken sind ja auch ein eher schlichtes Essen." Er wirkte ein wenig gereizt und Pismire fragte sich, woher sein Stimmungsumschwung kam.
"Nun zu dem Abend des Essens", begann der Leutnant.
"Darüber kann ich nichts sagen, ich hatte Ausgang", entgegnete der Koch.
"Wer war dann da?", fragte Pismire.
"So weit ich weiß, hatte die junge Herrin verfügt, dass das gesamte Küchenpersonal frei haben konnte. Wisst ihr, wir hatten in der letzten Woche im Zusammenhang mit der Verlobung der jungen Herrin sechs offizielle Diners, einen Empfang für die Familie und noch einen großen Empfang mit Ball für die Nachbarschaft und gute Freunde. Könnt ihr euch auch nur im entferntesten ein Bild davon machen, was dann in einer Küche wie dieser los ist? Wir haben von Frau Pfirsich bis zum jüngsten Spülgehilfen die letzten zwölf Tage fast rund um die Uhr gearbeitet. Und danach ist an einfach fertig. Wer noch gehen konnte hat seine Familie besucht und der Rest hat einfach Schlaf nachgeholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand freiwillig noch einen Fuß an dem Abend in die Küche gesetzt hat", erklärte er.
"Weißt du das oder vermutest du das, Herr Portulak?", mischte sich Larius ins Gespräch ein.
"Ich kann ja mal rumfragen", meinte er und erhob sich. Mit lauter Stimme rief er in die Küche: "Äh, hallo? Bitte mal herhören. War jemand von euch vorgestern Abend noch in der Küche?"
Aufmerksam beobachteten Larius und Pismire die Reaktionen, die in der Regel aus einem müden Abwinken, gemurmelten Nachfragen nach der geistigen Gesundheit des Urhebers dieser Frage oder einem schlichten: "Ich bin doch nicht bescheuert, Mann." bestanden. Hinten, an einer Spüle hörte man ein zaghaftes: "Ich, aber nur kurz, warum?"
Pismire erhob sich. "Komm doch mal her, Mädchen."
Eine grau gekleidete Gestalt hob sich vom Hintergrund der Küche ab und kam zögerlich auf die beiden Wächter zu. Sie schien nicht viel älter als zwölf Jahre zu sein und knickste verlegen, als sie vor Pismire stand.
"Setz dich einfach hier hin", meinte Larius und schob ihr einen Stuhl hin.
"Äh, sonst noch was?", fragte der Koch.
"Vielleicht später noch", entgegnete der Wächter und entließ ihn mit einem Dank.
Das Spülmädchen war mittlerweile hochrot geworden, da ein großer Teil der Augen ihrer Kollegen und Kolleginnen auf ihr ruhte und drehte verlegen an den Rändern ihrer fast bodenlangen Schürze.
"Keine Angst", versuchte Pismire ihr die Angst zu nehmen. "Wir sind beide Wächter der Stadtwache. Ich heiße Pismire, der junge Mann da ist Larius de Garde. Es handelt sich um ein, zwei ganz einfache Fragen zu dem Abend, wo ihr eigentlich alle frei hattet."
Die Kleine starrte noch immer verlegen auf den Stuhl und knickste nervös. "Ich, äh, danke, ich ...." murmelte sie leise.
"Du darfst dich ruhig setzen", meinte Pismire. "Sonst muss ich noch die ganze Zeit zu dir aufschauen und bekomme Genickstarre."
Das Mädchen kicherte verlegen, knickste noch einmal und ließ sich dann auf der äußersten Kante des Stuhl nieder. Die normale Arbeit in der Küche begann wieder.
"Du arbeitest also hier in der Küche?", fragte Larius um das Eis zu brechen.
Sie nickte so eifrig, dass ihre beiden Zöpfe an der Seite ins Schaukeln gerieten.
"Und als Spülhilfe?", half er ihr weiter und blickte dabei auf ihre rissigen und roten Hände.
Wieder eifriges Nicken.
"Und du kannst eigentlich nicht reden, oder?", zwinkerte er ihr zu.
Verlegen starrte das Mädchen auf ihre Hände. "Kann ich doch", sagte sie fast unhörbar.
"Dann sag uns einfach, wie du heißt."
Von der schüchternen Person, die auf den Namen Zeldis hörte, erfuhren die beiden, dass die eigentlich nur kurz noch einmal am frühen Abend in die Küche gekommen war, weil sie – mit Erlaubnis von Rose – einen Napf mit Suppe für ihre kranke Grossmutter mitnehmen wollte, bevor sie ihren freien Abend bei dieser verbringen durfte. Außer Rose und der jungen Herrin, sei niemand mehr in der Küche gewesen. Und das sei nicht ungewöhnlich gewesen, dass die junge Herrin in der Küche Hand anlege, weil die ja eigentlich da aufgewachsen sei – so hätten ihr die anderen erzählt – und wo sie doch keine Mutter mehr habe und eigentlich Rosie sie aufgezogen habe sei das ja auch kein Wunder. Und sie hätte aber gehört, dass der Herr das nicht gerne sehe und deswegen sei die junge Herrin ja auch nur da, wenn ihr Vater weg sei und der junge Herr Mundus sei auch manchmal in der Küche aber nicht so oft, weil ein junger Mann von Stand da ja auch eigentlich nichts verloren habe, aber auch er sei von der Köchin aufgezogen worden und möge sie sehr gerne. Einmal in Fahrt gekommen hätte die kleine Zeldis sie vermutlich auch noch mit weiteren Geschichten aus der Küche versorgt, wenn Pismire ihr nicht bestimmt aber freundlich das Wort abgeschnitten und die immer wieder errötende zurück an ihre Arbeit geschoben hätte.
Ein weiteres Gespräch mit Portulak ergab, dass Frau Pfirsich den ganzen gestrigen Tag über schwer bedrückt gewesen sei aber mit niemandem habe reden wollen. So richtig konnte er sich nicht vorstellen, wie es ihr entgangen sein konnte, dass es sich um Wasserschierling und nicht um Pastinaken gehandelt habe, weil sie eigentlich auf keinem Gebiet in der Küche jemals irgendetwas nicht gewusst habe. Seiner Vermutung nach war die ganze viele Arbeit in der letzten und vorletzten Woche irgendwie Schuld daran, dass Rose so unaufmerksam gewesen sei.
Mit diesen Informationen versehen verließen die Wächter das Reich der Töpfe und Pfannen und begaben sich – von einem widerstrebenden Rubber geführt – in das Reich der Pflanzen. Mit anderen Worten, Pismire hatte es sich auch noch in den Kopf gesetzt, einen Blick in den Garten der Familie zu werfen und ein paar Worte mit Sam Hortulus, dem ersten Gärtner der Depilariis, zu wechseln.
Dieser entpuppte sich als umgänglicher älterer Mann, dessen Nase eine Neigung zu Wein und dessen Bauch einen Neigung zu gutem Essen nicht leugneten. Auch schien seine Laune durch die unerfreulichen Vorfälle der letzten Tage ebenso wenig gedämpft zu sein wie sein Mitteilungsbedürfnis. Wenn sie es zugelassen hätten, dann hätten sie die gesamte Geschichte des Hauses, seiner Bewohner, ihrer Vorlieben und Abneigungen aus der bedeutsamen Sicht von ihm, Sam Hortulus, erhalten. Immerhin sei er bereits sein fast fünfzig Jahren im Haus.
"Naja", meinte er auf Nachfrage, "natürlich nicht im Haus. Ich habe immer schon im Garten gearbeitet, aber auch dabei erfährt man ja eine Menge und als Gärtner, also als Fachmann für Leben und Wachstum, so zu sagen, erfährt man eine Menge und macht sich natürlich auch so seine Gedanken."
Pismire schwankte zwischen dem Bedürfnis, nur einige Informationen aus ihm herauszubekommen und dem Wissen, dass er damit seinen Zeugen eventuell verärgern und zum Verstummen bringen konnte. Letzteres hätte Larius, der mit dem Gelaber von dem alten Schwätzer mittlerweile Seiten um Seiten seines Notizblockes füllte, sich dringend gewünscht.
"Ja, die junge Herrin, ein seltenes Gewächs, wenn ich ma' so sagen darf", brachte der alte Schwätzer hervor, während er sich erneut seine Pfeife stopfte und sich weiter auf seinen Spaten stützte.
"Sie ist häufig hier im Garten gewesen, schon seit sie", er deutete eine Höhe von knapp einem Meter an, "so groß war. Uns so ein hübsches Ding. Immer ein wenig blass, aber so, ja, wie soll ich sagen, vornehm. Und ihr Bruder hat immer auf sie aufgepasst. Ist ja auch verständlich, wo sie doch Zweilinger sind." Und auf ein nachfragenden Hochziehen der Augenbrauen von Larius redete er weiter: "Na, Zweilinger, manche sagen auch Zwillinge, aber mein Vater hat die immer Zweilinger genannt, ein Ausdruck, der ...", träge floss der nimmer versagenden Strom seiner Rede weiter.
Larius Handgelenk schmerzte und verwünschte im Stillen den geschwätzigen alten Mann und seinen Vorgesetzten, der sich das Gelaber scheinbar interessiert anhörte.
Nach scheinbar endlosen Erzählungen über Pflanzen und Heilkräuter, bei denen die beiden Alten ausgiebig Gebrauch von alt-morporkianischen Ausdrücken machten, von deren Bedeutung Larius eben so wenig Ahnung hatte wie davon, wie er sie schreiben sollten, war der Gärtner auch noch bereit, einen Rundgang durch den Garten zu machen. Ergeben in sein Schicksal schlappte Larius hinterher, froh, wenigstens nicht mehr mitschreiben zu müssen. Und im Geiste machte er eine Notiz, bei passender Gelegenheit, einen Stenodämon aus dem kargen Bütt-scheh der Abteilung für sich zu beantragen, wenn Pismire ihn hier schon als Protokollanten missbrauchte.
Das meiste, was er in der nächsten halben Stunde zu sehen bekam, sah eh für ihn gleich oder zumindest verdächtig nach Pflanze aus. Die Führung durch Hortulus endete im Bereich der giftigen Pflanzen, von denen im Garten eine erhebliche Menge zu besichtigen war.
"Immerhin handelt es sich bei Herrn Depilarii um einen bedeutenden Händler von Kräutern", erläuterte der Gärtner. "Das wird zwar alles nicht zum Verkauf angebaut, erinnert den Herrn aber gerne an die Wurzeln – hehe – seines Reichtums."
Im hinteren Teil des Gartens fand sich sogar ein eigens angelegter künstlicher Teich nebst Sumpflandschaft und Ufer, damit auch die aus feuchten Gegenden stammenden Pflanzen gute Wachstumsbedingungen hatten.
An einem der Beete stutzte Pismire. "Ah, der Wasserschierling", meinte er und deutete auf eine Gruppe von Pflanzen. "Und fünf so schön gewachsene Exemplare."
"Fünf?" Hortulus stutzte: "Du musst richtig hinsehen, Herr. Es sind sechs."
Gespannt kam Larius näher. "Nein", meinte er, "Leutnant Pismire hat recht. Falls das da der Wasserschierling ist, dann sind da fünf Exemplare."
"Das kann nicht sein. Außer mir hat in diesem Teil des Gartens niemand etwas verloren – immerhin handelt es sich um recht gefährliche Gewächse, und ich weiß, dass ich sechs Stauden gepflanzt habe."
"Was ist hier los?" Unbemerkt hatte sich Hierudo Depilarii den dreien genähert.
"In deinem Garten fehlt eine Wasserschierlingstaude, Herr", meinte Pismire gelassen, während er sich umdrehte. "Und zwei meiner Spurensicherer werden sich ganz gründlich hier nach Spuren umsehen." Immerhin wurde ein Gast deines Hauses mit Wasserschierling vergiftet. Und dem würde ich gerne ..."
"Wer zum Henker hat dir erlaubt, in meinem Garten herum zu schnüffeln?", fuhr Depilarii ihn an.
"Dazu brauche ich keine Erlaubnis, Herr", entgegnete Pismire ruhig. "Genau so wenig, wie meine Spurensicherer deine Erlaubnis brauchen, das Beet und das umliegende Gelände hier gründlich zu untersuchen. Ich nehme doch mal an, dass nur die Mitglieder deines Hauses Zutritt zum garten haben, oder?", fragte er scharf.
Depilarii lief dunkelrot an vor Zorn, als er ein bestätigendes Knurren von sich gab.
"Dann bitte ich dich zu veranlassen, Herr, dass meine Leute Zutritt zu deinem Garten bekommen. Ich werde sie zu dir schicken. Und: Du solltest dir Gedanken darüber machen, welchen Klatsch dein Küchenpersonal so verbreitet. Eine junge Dame namens Zeldis konnte mit interessanten Spekulationen über das Leben der Familie Depilarii aufwarten." Mit einer knappen Handbewegung schnitt er jegliche Äußerung von Larius ab.
Die Gescihtsfarbe von Depilarii spielte ins Purpurfarbene.
"Rubber", brüllte er gut vernehmlich. Sekunden später eilte der Diener auf die Gruppe zu. Er schien bereits in Rufweite gewesen zu sein. In der Hand hielt er einen Packen Zettel.
"Der junge Herr läßt dir dieses geben", meinte er und reichte dem Leutnant das Konvolut, das Pismire in seinem Umhang verschwinden ließ.
"Das Küchenmädchen Zeldis verläßt auf der Stelle das Haus. Ihre Sachen und ihr Lohn werden ihr nach Hause gebracht, aber sie geht sofort. Und begleite die Wächter nach draußen. Auch sie möchten gehen." Nur mühsam konnte der schwergewichtige Kaufmann seine Wut unterdrücken.
Pismire deutet eine knappe Verbeugung an. Larius stapfte wütend hinter ihm her.
Draußen auf dem Platz vor dem Haus drehte Larius sich um fuhr Pismire an: "Was sollte das denn? Bist du verrückt, äh, Sör? Die Kleine hatte dir doch gar nichts getan, macht brav ihre Aussage, hat uns eventuell geholfen und du sorgst dafür, dass sie gefeuert wird."
"Eben", meinte Pismire knapp. "Was ist denn aus dem letzten Mitglied der Küchenmannschaft geworden, dass uns geholfen hat?"
Larius sah ihn mit großen Augen an: "Du meinst, dass sie in Gefahr ist?"
"Davon gehe ich aus. Du wirst dich zum Hinterausgang begeben. Wenn sie kommt, dann läßt du sie nicht aus den Augen, bis sie zu Hause angekommen ist. Dann schickst du Nachricht zur Wache. Ich sorge von da aus dafür, dass eine Wache an ihren Haus abgestellt wird. Ich will nicht noch einen Tote riskieren."
Larius salutierte knapp und eilte zum Hinterausgang, während Pismire sich zur Wache begab.
Als er dort dort eintraf, wartete schon Tricia McMillian auf ihn in einem Büro. "Bevor du wieder zu weitschweifigen Erklärungen, was denn nun unbedingt wieder so wichtig war, dass du dich selbst bemühen musstest, ausholst, spar dir den Atem. Du erzählst mir deins, ich dir meins," bemerkte sie trocken, bevor der Pismire etwas sagen konnte. Dieser berichtete ihr seine Erlebnisse im Haus Depilarii, nachdem er eine Wache für Zeldis arrangiert hatte.
"Klingt vernünftig, das mit dem Küchenmädchen", meinte die stellvertretende Abteilungsleiterin von RUM, bevor sie ihren Teil berichtete.
"Ich war erst bei der "Ankh-Morpork-Times" und dann beim Sekretär, Folio Bessingter. Besser gesagt, bei seiner Frau. Von der "Times" haben wir wenigstens die vollständige Gästeliste bekommen. So als Notnagel", meinte sie mit einer Grimasse, "wenn wir gar nichts finden, dann nehmen wir uns die Herrschaften alle mal einzeln vor."
Sie blätterte in ihren Notizen. Bei der "Times" hab ich mit einem Fräulein Petrulla von Sermon gesprochen. Typ ältliche Benimmdame, aber auf Klatsch aus, wie ein Zauberer auf Nikotin. Mann, die hat vielleicht ein Schandmaul. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dann hätte sie mich mit Gerüchten über die besseren Kreise versorgt, bis mir und Dragor die Bleistifte ausgegangen wären. Aber egal. Sie hat sich hauptsächlich in der Nähe von Herrn Depilarii senior aufgehalten. Es geht nämlich das Gerücht um, dass er demnächst mit einer spektakulären Partie sein Witwerdasein beenden möchte. Und die romantische Liebe mit Überwald sei ja nun eh schon ein abgegrastes Feld, wie sie meint. Die junge Frau habe den ganzen Abend zurückgezogen mit ihrem Bruder in der Ecke gehockt, während ihr langweiliger Bräutigam sich im Mittelpunkt gesonnt habe. Außerdem sei Paeonia Depilarii - nach der offiziellen Vorstellungsrunde - ziemlich schnell von dannen gezogen - sorgsam von ihrem Bruder behütet - weil sie die ortsübliche Migräne geplagt habe. Scheint eine Spezialität der jungen Dame zu sein, meint Fräulein von Sermon. Die schmeißt regelmäßig jeden Ball nach einer knappen halben Stunden aus lauter "Empfindsamkeit". Außerdem scheinen sie derartige Anlässe zu langweilen. Das stille Wasser hat nämlich andere Interessen."
Sie brach ab als sie sah, wie Pismire förmlich vor Neugier zu platzen schien. "Und welche sind das?", fragte er gespannt.
Der Fähnrich grinste. "Nicht das, was du jetzt vielleicht denkst. Es ist ein ernsthaftes junges Ding. Sie schreibt. Sie hat bereits - allerdings unter Pseudonühm was veröffentliche."
Innerlich seufzte Pismire, der an langweilige und schwülstige Lyrik oder schlechte Romane dachte.
Wieder musste der Fähnrich grinsen, weil sie seine Gedankengänge richtig vermutete. "Auch da liegst du falsch. Die junge Dame schreibt über Heil- und Giftpflanzen. Sie hat ein "Compendium der Heilpflanzen der Sto-Ebene" veröffentlicht. Das ist nicht das, was du ihr zugetraut hättest, nicht wahr?"
Pismire rutschte ein fröhliches "Bingo" raus, als er den Satz hörte.
Tricia Miene drückte Bedenken aus. "Auch das reicht nicht, Leutnant", meinte sie abwehrend. "Wir brauchen ein Motiv und einen möglichen Helfer."
Pismire stimmte ihr zu: "Gibt es da denn keine Hinweise?", fragte er. "Irgendetwas, was dieser Frau von Sermon zu Ohren gekommen ist?"
"Fräulein von Sermon, bitte. Darauf hat sie mich mehr einmal als deutliche hingewiesen. Und was das angeht, ist die junge Dame ihrer Ansicht nach sauber. Da ist kein Liebhaber weit und breit zu sehen. Zumindest ihrem Kenntnisstand nach. Und damit kommen wir zu dem Gespräch mit Christine Bessingter, geb. Kurzwaren," meinte Tricia McMillian hintergründig.
"Äh, Kurzwaren wie Kurzwaren?"
"Kurzwaren wie Charles Kurzwaren. Ja, über diese zarten Bande gehört die Ehefrau des Sekretärs demnächst noch enger zur großen und glücklichen Familie Depilarii - Schrägstich - angeheiratet. Sie ist eine Cousine dritten Grades von Charles. Und ihre Schwester Carmilla ist die Frau von Mundus Depilarii. Bessingter hat eine Zeit als Beauftragter von Depilarii in Überwald gelebt und sich von dort eine Frau mitgebracht und die guten Handelskontakte so verfestigt. Und eins kann ich dir sagen, Pismire, Christine Bessingter hasst die junge Frau Depilarii wie die Beulenpest. Falls sie jemals in dieser Ehe glücklich war - jetzt ist sie es nicht mehr. Und die Schuldige ist ihrer Ansicht nach "diese bleiche kleine Schlampe." Tricia blätterte in ihren Aufzeichnungen. "Und das war noch der netteste Ausdruck. Den Rest zitiere ich hier lieber nicht", meinte sie nachdenklich.
"Wieso?", fragte der alte Schamane angespannt.
"Es gibt da nichts greifbares", meinte McMillian langsam, "nur dieses Gefühle, dass der eigenen Mann eine andere Frau anschmachtet. Und dass sie ihn gewähren läßt." Wieder schaute sie in die Unterlagen. "Sie sehen sich sogar ein bisschen ähnlich", meinte sie dann. "Gleicher Teint, gleiche Haarfarbe. Folio hat versucht, seiner Frau die Freuden langer Haare zu predigen - allerdings vergebens."
Sie zitierte noch einmal: "Mit ihren Worten gesprochen: "Auf einmal dreht Folio völlig durch und wollte, dass ich meine Haare wachsen lassen sollte. Und dann kam er auch noch mit den abgelegten Klamotten von der farblosen Schlampe angedackelt. Ich hätt ihn am liebsten durch die Tür geprügelt.". Aber dann hatte sie wohl doch Angst, ihn zu verlieren." Tricia faltete die Zettel zusammen. "Eine komplizierte Lage. Aber für den Abend des Mordes hat sie ihm ein handfestes Alibi gegeben. Er war - erstaunlicherweise - zu Hause."
"Und das glaubst du?", fragte Pismire skeptisch.
"Natürlich glaub ich das nicht ohne Beweise. Halt mich nicht für naiv, Mann", fauchte der Fähnrich. "Das Alibi kann die halbe Nachbarschaft bestätigen, weil die Familie Bessingter erst einen lautstarken Krach und dann eine noch lautstarkere Versöhnung hatte. Und glaub mir: Dragor und ich habe allen Nachbarn, die wir kriegen konnten, befragt.
Pismire hob beschwichtigend die Hände. "Entschuldige bitte, Fähnrich, so war das nicht gemeint. Und wenn es so wirkte, dann entschuldige ich mich."
"Schon in Ordnung", knurrte die junge Frau. "Dieser Fall geht uns beiden auf die Nerven, Pismire."
"Da hast du Recht", bestätigte der alte Schamane ihre Worte. "Ich weiß, dass ich mich eigentlich in deine Ermittlungen reinhänge, aber nicht deswegen, weil ich dich für unfähig halte, es ist Neugier", fügte er erklärend hinzu. "Was machen wir nun?", fragte er ratlos.
"Ich mach Feierabend", meinte Tricia. "Und morgen sehe ich weiter. Vorher ist der Bericht von Sillybos eh nicht fertig. Und ich bezweifele, dass sie was finden. Vergiss nicht: Es hat in der letzten Nacht geregnet. Ich habe zur Zeit nichts in der Hand, was mir weiterhelfen kann. "Der Morgen ist klüger als der Abend?", hast du das nicht mal gesagt?", fragte sie abschließend und erhob sich mit steifen Gliedern.
"Ich sag viel, wenn der Tag lang ist", meinte Pismire mit einem leichten Lächeln, "und ich hab mehr Tage gesehen."
Larius und die Spurensicherer trafen fast gleichzeitig in Pismires Büro ein und weckten ihn.
"Wo wart ihr so lange", fragte der Abteilungsleiter seine Leute.
"Nun", meinte Sillybos ruhig, "wir haben den Garten so lange untersucht, bis wir nicht einmal mehr mit Salamandern was hätten finden können. Aber im Boden waren nach dem Regen keine Spuren mehr zu sehen. Der Garten ist andererseits so gut abgeschirmt, dass niemand von außen eindringen kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Und da waren keine."
"Ich hab bei Zeldis gewartet, bis FROG fertig war, das Haus gründlich zu sichern. Mittlerweile sitzt Malachit neben ihr. Damit dürfte sie mehr als geschützt sein", berichtete Larius.
"Gut, gut", beschwichtigte Pismire die beiden. Dann erzählte er ihnen von seinem Gespräch mit Fähnrich McMillian.
"Mehr haben wir zur Zeit nicht", fügte er noch hinzu. "Und ich werde Kommandeur Rince morgen bitten, dass ein Werwolf zu der Untersuchung hinzugezogen wird. Vielleicht finden wir dann mehr."
Sillybos und Larius nickten müde, Pismire registrierte das und meinte: "Für heute ist eh Feierabend. Ruht euch aus, morgen machen wir weiter."
Er saß noch längere Zeit wach in seinem Büro und brütete über den Fakten des Falls. Er wurde müder und hatte den Eindruck, dass sich alles vor seinen Augen drehte. Mit einem Mal schreckte er hoch: "Wir haben sie vergessen, die Frau von Mundus."
Er wurde wütend auf sich selbst. Wir hatte er das übersehen können? Er hoffte nur, dass es noch nicht zu spät sei.
Endspiel
"Nun wird alles gut!" Paeonia Depialarii kuschelte sich enger an ihren Geliebten.
"Ich weiß es nicht, mein Herz. Diese Wächter, sie machen mir Angst", entgegnete er.
Sie hauchte ihm leicht über die Stirn, um seine Angst zu verscheuchen: "Lass nicht zu, dass du in Angst versinkst."
"Ich habe Angst", wiederholte er. "Aber es sind nicht nur die Wächter. Ich habe Rose erwürgt. Und ich hab gehört, dass irgend so ein Mädchen aus der Küche heute befragt wurde. Wer weiß. was sie weiß! Wir werden nie sicher sein." Er schauderte.
Sie zog seinen Kopf auf ihre Brust. "Lass dir das Herz nicht schwer werden... Wir überstehen auch das."
Sie drängte ihren Körper an den seinen und spürte seine Erregung. Und wie schon so häufig gab er seinem Drängen nach. Für beide versank die Welt.
Sie hörten die schweren Schritt im Flur nicht, die sich dem Zimmer näherten. Erst der kräftige Tritt, der die verschlossenen Tür aufsprengte ließ sie hochfahren.
"Raus aus deiner Schwester, du widernatürliche Brut", keuchte Hirudo Depilarii entsetzt, als er mit schnellen und schweren Schritten den Raum durchmaß, ein Kurzschwert in der rechten Hand. Hinter ihm glitt eine Frau ins Zimmer und verschloss die Tür und lehnte sich von innen dagegen, während sie mit kaltem Blick die Szene musterte.
Mit einem kräftigen Griff in Mundus Haare zog er ihn aus dem Bett. "Bedeck dich, Schlampe", zischte er seine Tochter an.
Er ließ sich in einen Sessel neben dem Bett sinken und voller Ekel glitt sein Blick über seine Kinder. Paeonias Blick glitt rastlos durch den Raum, so als ob noch ein Ausweg zu finden sei. Mundus rappelte sich mühsam vom Bettvorleger hoch und tastete instinktiv nach der Hand seiner Schwester. Mit einer entschlossenen Geste hielt sein Vater ihm das Kurzschwert unters Kinn. "Nicht in meiner Gegenwart, du Schwein." Er spie auf den Boden.
Die Frau, die an der Tür stand, kam mit zögernden Schritten durch den Raum. Sie vermied es, ihren Mann und ihre Schwägerin anzusehen und ließ sich auf der Armlehne neben ihrem Schwiegervater nieder. Mit einer vorsichtigen Bewegung zog Paeonia das Betttuch über ihren Körper.
"Wirst du uns der Wache übergeben?", fragte sie kalt.
Depilarii ließ das Schwert sinken. Mundus kniete auf dem Bettvorleger und schaute zu ihm hoch, ohne dabei seine Frau anzusehen.
"Was hatte der Sänger euch getan?", fragte Depilarii mit müder Stimme.
"Er hat uns auf dem Gildenfest beobachtet", entgegnete seine Tochter.
"Bei allen Göttern, der Busche war blind wie eine Fledermaus", fuhr Depilarii sie mit wütender Stimme an. "Und ihr zwei widerlichen Viecher konntet nicht einmal bei einem offiziellen Anlass eure geilen Pfoten voneinander lassen?" Mit schwerer Hand verpasste er seinem Sohn eine Ohrfeige. Paeonia senkte den Blick.
"Blind wie ein Fledermaus", murmelte Depilarii leise und lachte bitter. "Blind wie wir alle."
"Zieht euch sofort an. Ihr begleitet mich. Das muss ein Ende haben", sagte er und erhob sich mit einer energischen Bewegung
Letzter Tag
"Wir sollten uns den beantragten Werwolf als Trumpf aufbewahren", meinte Fähnrich McMillian, während sie mit Pismire auf dem Weg zum Haus Depilarii noch einmal über ihr Vorgehen sprachen.
"Ja", stimmte dieser ihr zu. "Das ist eine gute Idee. Vielleicht bekommen wir ja auch so ein Geständnis von der jungen Dame."
"Damit rechne ich eigentlich nicht," meinte Tricia. "Aber mal sehen."
Sie hatte den Türöffner kaum berührt, als Rubber ihnen öffnete. "Fähnrich McMillian und Leutnant Pismire werden erwartet." Seine Miene blieb ausdruckslos bei diesem Satz.
Er führte die beiden in ein Zimmer hinter der großen Halle, wo Hirudo Depilarii an einem großen Tisch saß und Papiere durchsah. Hinter seinem Stuhl stand eine hochgewachsene Frau mit dunklem Haar und markanten, knochigen Zügen. Ihr Arm lag leicht auf der Rückenlehne hinter Depilarii.
Dieser wies auf zwei Stühle, die vor seinem Tisch standen.
"Nehmt Platz", sagte er, um Freundlichkeit bemüht.
"Wir wollten eigentlich mit deiner Tochter sprechen, Herr", eröffnete Pismire das Gespräch, nachdem sie sich gesetzt hatten.
"Das wird nicht möglich sein", meinte Depilarii und massierte seinen Nasenrücken.
Bevor die Wächter etwas sagen konnten, fuhr er fort: "Heute morgen um fünf Uhr ist ein Schiff meiner Flotte zum Kontinent XXXX ausgelaufen. Mundus und Paeonia befinden sich an Bord. Der Kapitän hat eindeutige Befehlte von mir. Sie werden den Boden Ankh-Morporks niemals wieder betreten. Hier sind ihre Geständnisse." Er übergab den beiden zwei versiegelte Umschläge.
"Sie sind vor Zeugen unterzeichnet worden. Und von meinem Anwalt beglaubigt. Das dürfte ja wohl ausreichen."
"Und das wars dann für dich, Herr, ja?", fragte Pismire erbost.
"Ja, das wars dann für mich. Oder glaubst du, dass ich ein Interesse habe, in aller Öffentlichkeit die Beischlafgewohnheiten meiner entarteten Kinder zu diskutieren?", entgegnete Depilarii mit vor Wut flacher Stimme.
Pismire hielt den Atem an. Tricia Blick glitt zwischen Depilarii und seiner Schwiegertochter hin und her. Weder sie noch Pismire hatten mit diesem Motiv gerechnet.
"Ich kann euch versichern, dass sie diesen Kontinent nicht verlassen werden." Er stütze die Stirn auf seine geballte Faust und schloss die Augen. Carmilla Depilarii neigte sich vor und legte die Hand zärtlich auf seine Schulter.
"Es ist hier nichts mehr für euch zu tun. Den Rest habt ihr ja schriftlich", meinte sie mit leiser, fester Stimme. "Alles weitere ist eine Angelegenheit der Familie."
Pismire erhob sich: "Du hast deine Kinder vor dem Gesetz in Sicherheit gebracht", meinte er. "Wir werden sehen, ob du damit durchkommst."
"Ich habe keine Kinder." Mit diesem Satz waren sie entlassen.
Auf dem Weg zur Wache gingen die beiden Wächter größtenteils schweigend nebeneinander her.
"Er wird damit durchkommen, Pismire", meinte Tricia McMillian gelassen. "Ich bin mir sicher, dass der Patrizier längst davon weiß. Und vermutlich diesen Schritt auch billigt. Oder wenigstens akzeptiert."
Pismire knurrte nur. "Wir waren ja so blind", meinte er ärgerlich.
"Ja, aber nicht nur wir", kam als Antwort.
Epilog
"Alles in allem ein eigenartiger Fall", meinte Larius nachdenklich, während er sich Wein einschänkte.
Die Wächter, die an diesem Fall beteiligt gewesen waren, saßen auf Pismires Veranda, wohin er sie zur Entschädigung für die Arbeit oder um seine Wildereien wieder gut machen zu können oder aus anderen und für keinen nachvollziehbaren Gründen eingeladen hatte.
Es war ein milder Frühherbstabend, es regnete erstaunlicherweise nicht, und der Tisch an dem sie saßen, war reichhaltig mit verschiedenen Schüsseln und Getränken gedeckt.
"Sieht, äh, lecker aus, Pismire", meinte Tricia und beäugte misstrauisch die verschiedenen Gerichte. "Doch nicht etwa selbst gekocht?", fragte sie sicherheitshalber nach.
"Doch", meinte Pismire mit einem gewissen Stolz. "Ich übe mich gerade in der Kunst des Kochens."
Hastig zog Dragor Nemod die Hand von der Schüssel, nach der er gerade gegriffen hatte, zurück. Auch Sillybos und Hegelkant schauten vorsichtig auf dem Tisch herum und entschieden sich dann für eine Art Salat.
Lediglich Clara Bienchen ließ sich nicht abschrecken und entnahm Proben aus verschiedenen Schüsseln, während ihr Kaninchen zu ihren Füßen saß und vorsichtig die Umgebung beäugte.
Um die Stille zu brechen und aus einem Gefühl von Mitleid gemischt mit Loyalität heraus griff Larius zu einer der Schüsseln, in der sich eine Art Wurzelgemüse befand. "Sieht ja echt prima aus. Sind das Schwarzwurzeln?"
"Nein", meinte Pismire während er sich aus einem Krug ein Glas Wein einschenkte, "das sind Pastinaken. Meine Vermieterin hat mir netterweise erlaubt, welche aus ihrem Garten zu holen. Ich dachte, wo wir soviel damit zu tun hatten, wäre es irgendwie passen."
Man hörte ein vernehmliches Schlucken in der Stille, während Clara Bienchen erneut feststellte, dass das Leben als Untote erhebliche Vorteile haben konnte. "Die sehen lecker aus. Ich vermute mal, dass außer mir keiner will oder?", meinte sie und langte nach der Schüssel.
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