Mord in Theorie und Praxis

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von Wächter Arthur Messerfein (GRUND)
Online seit 12. 12. 2002
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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht "Grundzüge der Spurensicherung: Gastvortrag von S.U.S.I. - anschließend Übungen".

Dafür vergebene Note: 12

Ein kurzes Krähen eines Hahnes war zu hören, dann ein unmenschliches Husten aus den Hals desselben, als die Sonnenstrahlen langsam über die Stadt krochen. Zwei Stunden zuvor war Art schon aufgestanden. Er war gewöhnt früh aus den Federn zu sein und sich richtig her zu richten. "Gutes Auftreten ist die halbe Miete bei einem Auftritt", pflegte er zu sagen. Gerade hatte er sich den Bart an die Oberlippe genäht und zwirbelte nun seine Bartspitzen, damit sie richtig saßen. Zufrieden betrachtete er sich im Spiegel und nickte. Mit Schwung setzte er sich seinen Zylinder auf, legte den Umhang an und schritt zur Tür. Plötzlich hielt er inne und klatschte sich mit der Hand auf die Stirn. Schnell ging er zu der Kommode zurück und streifte sich die weißen Handschuhe über die Hände. Sofort legte er seine drei Ringe an. Dann öffnete er die Tür und verließ seine Bleibe.

Das Zuhause Arthur Messerfein's befand sich knapp außerhalb der Stadt. Es war ein größerer Wagen, auf dem in großen goldenen Lettern "Der fabulöse Art" gestanden hatte. Allerdings waren diese Letter bereits zur Hälfte verblichen oder hingen in Fetzen hinunter. Außerdem war ein Mann darauf gezeichnet worden. Auch er war verblasst und sein Gesicht schien irgendwie abgeschabt worden zu sein.
Art zog seinen Umhang enger um sich und stapfte durch den neu gefallenen Schnee. Die Stelle bei der Wache war ihm eigentlich zuwider, aber auch Künstler brauchten Geld. Mit einem leisen Seufzer ging er durch das Tor der Stadtmauer und schnurstracks zum Wachegebäude.

"Spurensicherung...", sagte der Mann mit den grauen Haaren vor den Rekruten, "ist ein Tschob, der sehr viel Konzentration und Geduld erfordert."
Art sah missmutig zu, wie Lance-Korporal Sillybos und dessen Sklave Hegelkant sowie Gefreite Alice etwas über Spurensicherung erzählten und rutschte am Stuhl hin und her. Geduld hatte ihn noch nie ausgezeichnet. Gelangweilt zwirbelte er seinen Bart und beugte den Kopf nach unten, sodass der Hut nach vorn rutschte.
"Rekrut Messerfein, schlafen wir schön?", peitschte eine Stimme durch den Raum und Art ließ den Kopf hochschnellen. Feldwebel Steingesicht materialisierte kurz vor seinem Gesicht und sah ihn scharf an.
"Äh... Herr Steingesicht..."
"Das heißt SIR, wie oft eigentlich noch."
"Also... Seur...", Art betonte dieses Wort immer auf eine sehr eigenartige Weise, "Ich habe nur kurz nachdenken müssen und mein Haupt gesenkt, He... äh, Seur."
"Du hast also nachgedacht...", erwiderte Steini, als würde er mit einem Kind sprechen, "Du sollst jetzt nicht nachdenken sondern zuhören, verstehst du?"
"Ja, Seur!", sagte der Fabulöse resignierend und setzte sich wieder aufmerksamer hin.
"Also, wo waren wir?", begann Alice nun und sah noch einmal zu den Utensilien, die sie mitgebracht hatten, "Achja, die Lupe... Die Lupe..."
Art sah, wie die Gefreite die Lupe in die Hand nahm und den Rekruten präsentierte, hörte aber schon nicht mehr zu. Seine Gedanken schweiften in eine längst vergangene Zeit und Pringles kam ihm in den Sinn.

Arty blickte die Schildkröte fasziniert an. Er war gerade 15 geworden und seine Eltern hatten ihm einen Hut geschenkt, der sich aber plötzlich bewegt hatte. Langsam aber stetig war der Hut Richtung Tischkante gewandert, als Art ihn doch noch hochzog. Eine Schildkröte war zum Vorschein gekommen. Es war nur eine kleine Schildkröte mit grün gesprenkeltem Panzer, aber sofort schloss Arty sie ins Herz. Lange musste er betteln, bis seine Eltern ihm erlaubten sie zu behalten, aber seine Sturheit hatte gesiegt. Jetzt sah er dem Tier zu, wie es in einem Teich zu schwimmen begann. Zehn Jahre hatte er gebraucht, um sie endlich dazu zu bringen das zu tun. Glücklich sah der 25-jährige der Schildkröte beim Schwimmen zu, als er plötzlich vom Direktor gerufen wurde. Schnell holte er Pringles aus dem Wasser und rannte zum Zirkus zurück.
Als er beim Direktor ankam blieb er ruckartig stehen. Der Mann mit dem roten Anzug und dem Zylinder auf dem Kopf sah ihn traurig, aber mit bizarrem Lächeln an, während er zwei Kostüme hochhielt. Erschrocken ließ Arthur Messerfein Pringles fallen und nahm zitternd die Kostüme entgegen.
"Sie starben bei DER Sensation, Art. Der Tierarzt hatte keine Chance mehr ihnen zu helfen. Sie sind total zerschmettert.", das Lächeln des Direktors brannte sich in Art's Gehirn und löste ein eigenartiges Gefühl in ihm aus. Ruhig drückte er die beiden Kostüme an sich und ging rasch, aber ohne zu rennen zu beginnen, wieder Richtung Teich. Pringles drehte seinen Kopf kurz in Art's Richtung und begann ihm zu folgen. [1]...

Am Teich angekommen sah sich der junge Mann die Kostüme an. Sie waren blutverschmiert, aber irgendetwas sagte ihm, dass da etwas nicht stimmte. Trauer überkam ihn und er versuchte das Weinen zurück zu halten, was ihm denkbar schlecht gelang.
Erst am Abend bemerkte er das Fehlen von Pringles und begann nervös zu grübeln, wo er ihn das letzte Mal gehabt hatte. Plötzlich fiel es ihm ein und er rannte zurück...

Am Ziel angekommen fing er sofort zu suchen an. Verzweifelt suchte und suchte er, bis er traurig aufgab und zu dem Wohnwagen seiner Eltern ging. Schon von der Weite her sah er, dass zwei Männer dort standen und trauernd auf den Boden blickten. Murdo, der Pantomime und Felice, der Stangenverbieger waren Freunde seiner Eltern und für Art fast so etwas wie Onkel gewesen. Sie wünschten ihm ihr herzliches Beileid, aber das konnte seine Trauer nicht vertreiben. In dieser Nacht schlief Arthur unruhig und träumte von fliegenden Eltern und sinkenden Schildkröten.


Art schreckte hoch, als Sillybos einen Schrei los ließ: "HEEGEEELKANT!!"
Genervt sah der ehemalige Zirkusartist, wie Hegelkant wieder zurückkam. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der dunkle Mann weg gegangen war. Mit unverhohlenem Desinteresse sah er weiter zu, als plötzlich die Gefreite Alice ein Buch auf den Tisch knallte. Mehrere Rekruten zuckten hoch. Mit einem dünnen Lächeln sah Art, dass auch sie von diesem Vortrag gelangweilt waren und sich nun etwas streckten.
"Gut, zehn Minuten Pause und dann geht es an die Praxis", meinte Sillybos und verließ mit Hegelkant den Saal. Alice folgte ihm, nachdem sie die Werkzeuge eingepackt hatte.

Art spielte mit seinen Karten, die er immer bei sich hatte und hörte den anderen Rekruten zu, wie sie sich unterhielten. Er hielt sich da größtenteils einfach raus. Der Fabulöse braucht keine Freunde, sagte er sich oft und er praktizierte es auch, in dem er sich einfach kaum mit anderen beschäftigte. Mit einem simplen Trick brachte er den Kartenstapel von der einen in die andere Hand und fächerte ihn kurz auf. Er schloss den Kartenfächer wieder und teilte ihn mit einer Bewegung in zwei Stäpelchen. Erst jetzt sah er wieder hoch und blickte überrascht in die Augen von einer Rekrutin.
"Was machst du da?", fragte sie, "Keine Lust mit uns zu reden?"
Die Frage ignorierend streckte er die Hand haus, fächerte einen der Kartenstapel auseinander und meinte: "Ziehen Sie eine Karte, Fräulein..."
"Arista Crinis ist mein Name."
"Also, Fräulein Crinis", Art nickte, "Ziehen Sie eine Karte."
"Wozu?"
"Tun Sie es einfach", erwiderte er und hob die Karten noch näher zu ihr. Schulter zuckend nahm sie eine Karte.
"Gut, merken Sie sich die Karte bitte und geben sie sie in den Stapel zurück."
Arista sah den Mann vor sich unsicher an, merkte sich die Karte aber und steckte sie zurück.
"Und jetzt?", fragte sie.
"Jetzt", der selbst ernannte Illusionsmagier mischte die Karten kräftig durch und schmiss dann die erste weg, "werde ich Ihnen genau diese Karte zeigen." Er mischte noch einmal, warf dann die unterste weg und fing an den Stapel von oben durch zu zählen. Dann präsentierte er stolz die Karte: "Bitte schön. Das war deine Karte."
Sie sah sie sich an und nickte.
"Gar nicht schlecht. Wie machst du das?", fragte sie verblüfft.
"Das ist ganz einfach, meine Liebe.", sagte Art.
"Elementar, Art", hörten die beiden Wächter plötzlich eine Stimme hinter sich und sie drehten sich um. Art's Gesicht entglitt ihm kurz. Charlie Holm stand in der Tür. Einer der Personen, die ihm überhaupt nicht sympathisch waren. [2] Der ehemalige Mit-Rekrut von Art hatte gerade eine Karte aufgehoben und zeigte sie nun.
"Das Kartenspiel besteht aus 22 Karten mit demselben Bild.", sagte er, "Ein typischer Trick eines Scharlatans."
"SCHARLATAN??? Ich habe mich wohl verhört??", Art war außer sich. Egal welchen Trick er zeigte, dieser verdammte Angeber musste immer alles erklären.
"Nun, es ist ein Sch...", Charlie wurde rüde von Sillybos unterbrochen.
"Schluss mit der Pause, meine Herren und Damen Rekruten. Jetzt geht's ans Eingemachte.", rief der Lance Korporal die Leute zu sich, "Und, Charlie, was willst du hier?"
"Leutnant Pismire hat mich hergeschickt um die Gefreite Alice zu holen, Sir. Sie wird für einen Fall gebraucht", sein Tonfall zeigte, dass er seiner Meinung nach auch gereicht hätte für diesen Fall. Der ältere Mann nickte und rief Alice, die sich dann scheinbar glücklich verabschiedete.

"Gut, also sind wir nun allein für eure Ausbildung verantwortlich", Sillybos sah sich die Rekruten an, die vor ihm standen. Er war mit ihnen in ein leeres Büro gegangen, wo die SUSI-Mitglieder ein Verbrechen simuliert hatte.
"Hegelkant...", sagte Sillybos nur und der Sklave legte sich auf den Boden.
"Hegelkant wird den Ermordeten spielen. Darin hat er mittlerweile Erfahrung. [3] Ich zeig euch nun praktisch vor, wie man richtig nach Spuren sucht. Dann werdet ihr den Raum verlassen und ich stell eine weitere Szene nach. Einer von euch muss dann nach Spuren suchen. Wir machen das jetzt nicht für jeden einzeln, das würde zu lange dauern."
Der Lance-Korporal sah zu seinem Sklaven hinab: "Dreh dich etwas mehr nach rechts, Hegelkant. Nein, das war etwas zu viel. Ja, das ist besser." Dann begann er mit seinen Ausführungen: "Also, als erstes..."
Art sah zu, wie der Vorgesetzte die "Leiche" begutachtete, dann verlor er wieder die Gegenwart aus dem Sinn.

Es klopfte an der Tür, als Arty aufwachte. Der schlaksige junge Mann wälzte sich langsam aus dem Bett und blickte sich murrend um. Warum konnten seine Eltern nicht öffnen? Sein Blick blieb an den blutigen Kostümen hängen und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Seine Eltern waren tot. Langsam kam ihm die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen. Das Pochen an der Türe wurde immer heftiger. Er atmete tief ein und konzentrierte sich, dann ging er zur Tür und öffnete. Vor ihm stand der Direktor. Wieder dieses süffisante Lächeln. Art begann dieses Lächeln zu hassen.
"Art...", der etwa 50jährige Mann nickte im kurz zu und sprach dann weiter, "Mir ist zu Ohren gekommen, dass du deine Schildkröte suchst."
Arthur sah den Direktor an, legte den Kopf etwas schief und nickte.
Der Mann seufzte: "Es tut mir leid..." er streckte die Hand aus und Art blickte darauf. Sein Gesicht erstarrte zu einer Maske, als er den Panzer sah. Er war etwas angekokelt, aber es war eindeutig, der von Pringles.
"Torres hat ihn unabsichtlich erwischt, als er etwas Neues versuchte", meinte der Direktor entschuldigend. Das Lächeln war aber nicht aus seinem Gesicht verschwunden. Torres war der Feuerschlucker des Zirkus. Und auch sein Kassier. Kurz sah Art den kleinen Mann vor sich, wie er sich an seinem Feuer verschluckt. Dann kam sein Gedanke auf Pringles zurück. Er nahm den Panzer, murmelte ein "Danke" und schmiss die Türe zu.

Art ging zur Kommode das gegenüber seines Bettes stand und legte den Panzer darauf. Dann setzte er sich aufs Bett. Er sah sich die Dinge an, die vor ihm lagen: der Panzer seiner Schildkröte und die Kostüme seiner Eltern. Wie eigenartig war es doch... Diese Dinge waren das einzige, was ihm von geliebten Wesen geblieben war. Manche Dinge sind unvergänglich, dachte er. Dann begann er zu weinen. Es sollte das letzte Mal in seinem Leben sein, dass er weinte.


"Ist hier ein Wächter namens Kolumbini?", rief eine Stimme in das Zimmer und Art blickte zur Tür. Ein kleiner Mann stand in ihr. Er hatte eine Uniform an, die ihn als RUM-Mitglied auswies und trug einen schäbigen Mantel darüber. Das Lametta des Abteilungsleiters prangte an der Brust und einige Ribbons waren unbeholfen angebracht worden. Dieser junge Mann war offensichtlich Stolz auf seine Leistungen, aber anscheinend etwas chaotisch.
"Ja, Sir", sagte der angesprochene Rekrut und blickte den Vorgesetzten an. Erst jetzt bemerkte Art, dass der Mann Oberleutnant war. Er hatte die Rangabzeichen an die Mantelschulter genäht.
"Du...", er zeigte nun auf Kolumbini, "Komm mit. Ich hab mit dir was zu besprechen" [4]
"Ja, Sir", erwiderte der Wächter etwas überrascht und ging zur Tür.
"Ich sehe, dass du wieder einmal Hegelkant als Toten benutzt[5]", fragte der Oberleutnant den Lance-Korporal.
"Ja, Sir. Er ist dazu... prädestiniert, sozusagen.", erwiderte Sillybos.
"Ahja", sagte der Mann und grummelte etwas vor sich hin, "Wie du meinst. Dann stör ich nicht länger. Noch viel Spaß." Der Offizier verließ das Zimmer und schloss laut die Tür.
"Wo war ich?", fragte Lance Korporal Sillybos und kratzte sich am Bart, "Achja, beim Schreibtisch."

Acht Jahre später hatte sich aus dem schlaksigen Jungen ein kräftiger Mann ausgebildet. Der Direktor hatte ihn beim Zirkus gelassen, da Art sich bald als perfekter Messerwerfer herausgestellt hatte. Obendrein hatte Art sich voll in die Arbeit gestürzt und trat mittlerweile auch als Verwandlungskünstler und Gelegenheitszauberer auf.

Art kam gerade aus seinem Wohnwagen heraus, den er erst vor drei Jahren bezogen hatte. Der Schriftzug "Der fabulöse Art" war in riesigen goldenen Lettern zu lesen. Darunter prangte groß Arts Gesicht. Stolz blickte er sich den Wagen an. Es war der größte am Areal. So teuer war er dem Zirkus mittlerweile geworden. Murdo und Felice hatten sich um ihn gekümmert, als wäre er ihr eigener Sohn gewesen. Trotzdem hatte er nie viel Gefühl für sie gezeigt, auch wenn die Beiden sich als seine einzigen Freunde herausstellten. Mit einem arroganten Lächeln wanderte Art zum Übungsplatz, wo er – wie immer alleine – seine Messerkunst übte. Es war ein schöner Platz. Weit und breit war nichts zu sehen, außer einer großen Zielscheibe und einem Fluss. Er legte wie üblich den Panzer von Pringles ins seichte Wasser und nahm dann ein Messer zu Hand. Es kam ihm etwas eigenartig vor. Vielleicht schlecht ausbalanciert. Nun, er war zu gut, um sich von so etwas abschrecken zu lassen. Mit nur einem Blick zielte er und warf. Das Messer prallte zwar am Ziel ab, aber das störte ihn nicht besonders. So schlechte Messer waren eben unberechenbar. Er drehte sich um, um ein weiteres Messer aus dem Köcher zu nehmen, als er plötzlich einen stechenden Schmerz im Rücken spürte. Leise stöhnte er auf und griff nach hinten. Ein letzter Gedanke brannte sich in seine Seele: "Das werdet ihr mir büssen." Dann brach er zusammen. Im Fluss breitete sich langsam Blut aus und traf mit der Zeit an einen Schildkrötenpanzer.


Art blickte auf seine Ringe. Er hasste es, wenn er sich an seinen eigenen Tod erinnerte. Es kam ihm noch immer sehr suspekt vor, dass ein Messer so abprallen konnte, dass es ihn in den Rücken traf. Aber das war damals die offizielle Erklärung gewesen. Er war sofort bestattet worden. Zwei Woche später war er plötzlich in einer Holzkiste aufgewacht. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn zu vergraben. Im Gegenteil, sie hatten ihn mitgenommen! Erst später hatte er erfahren, dass Murdo und Felice daran schuld gewesen waren. Sie hatten ihn neben seinen Eltern beisetzen wollen. Mit einem bösen Grinsen schaute Art wieder auf seine Finger. Seinen letzten Gedanken hatte er erfüllt.

Mit einem harten Aufseufzen wachte Art auf. Es war dunkel und eng. Langsam tastete er an den Seiten seines "Gefängnisses" und überlegte. Es war aus Holz und es war eng. Er fuhr mit den Armen hoch und drückte gegen die Holz-Schicht, die über ihm war. Es war kaum Widerstand zu spüren, also drückte er fester und das Behältnis, was ihn gefangen hielt öffnete sich. Mühsam erhob er sich. Irgendwie hatte er das Gefühl ewig geschlafen zu haben. Er blickte in einen klaren Sternenhimmel. Der Mond war halb zu sehen. Bleich hing die Hälfte zwischen den Sternen und schien ihn kalt anzulächeln. Arthur legte kurz den Kopf schief, dann sah er hinab zu der Kiste. Es war ein Sarg. Die Erinnerung traf ihn wie ein harter Schlag. Man hatte ihn getötet! Er sah sich noch einmal genauer um. Erst jetzt bemerkte er, dass er auf einem offenen Wagen stand. Hektisch sah er in den Sarg. Außer ihm war nichts darin gelegen. Mit einem Satz war er vom Wagen gesprungen und rannte durch den Trailer, als er merkte, dass in einem der Wohnwagen noch Licht schien. Leise schlich er sich an und lugte durch eines der kleinen Fenster. An einem kleinen Tisch saßen der Direktor und sein Kassier und tranken Rotwein. Das Kerzenlicht schimmerte in den Gläsern und ließ den Wein richtig erstrahlen. Doch das war nicht das, was Art wirklich interessierte. Auf einem kleinen Tischchen hinter den Beiden lag ein Schildkrötenpanzer einsam und verlassen. Der Messerwerfer kannte diesen Panzer genau! Und es war ihm auch alles ganz klar. Diese beiden hatten ihn ermordet. Er war anscheinend störend für ihre Pläne gewesen. Und dieses permanente Lächeln des Direktors machte ihn noch wütender. Dieser Mann hatte weder Skrupel noch Mitgefühl in seinen Körper. Schnaubend stieß sich Art lautlos vom Wagen ab und lief durch die Wagen bis er seinen alten Wagen fand. Die Tür war zugenagelt worden, aber für ihn war es eine Leichtigkeit die Bretter hinunter zu reißen und ins Innere zu gelangen. Es war nichts verändert worden, also fand er schnell, was er gesucht hatte.

"Herr Messerfein!", eine befehlsgewohnte Stimme riss ihn wieder aus seinen Gedanken und Art schreckte hoch.
"Ähm... Seur?", sah er Sillybos fragend an, der ihm etwas unter die Nase hielt.
"Ich fragte, ob du mir sagen kannst, was das hier ist.", erwiderte der Gastvortragende skeptisch, "Aber anscheinend bist du eher mit träumen als mit unserer Sache hier beschäftigt."
Der Rekrut sah hinunter und betrachtete eine Schale, in der ein Pulver war.
"Puder", sagte er gelassen und blickte wieder den Lance-Korporal an, "Seur."
"Gut, okay, mehr hast du dazu nicht zu sagen?"
Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Art war nie ein Mann der großen Worte gewesen.

Art war nie ein Mann der großen Worte gewesen. Auch jetzt war ihm nicht danach, lange Reden zu führen. Er öffnete die Tür krachend und ging fast gelassen hinein. Er sah, wie der Direktor lächelnd aufstand und die Hand reichte. Auch wie er den Mund bewegt, aber Art hörte nichts. Mit einer Armbewegung wischte er die gereichte Hand weg und er konnte schwache Verblüffung in des Direktors Augen erkennen. Mit einer Bewegung hatte Arthur auch schon eines seiner Messer gezogen und stieß es in den Unterleib des Mannes. Mit einem zufriedenen Grinsen riss er das Messer hoch und sah, wie der Direktor mit Entsetzen auf seinen offenen Bauch starrte. Große Mengen an Blut drangen aus der neuen Körperöffnung. Mit einem hektischen Griff versuchte der Direktor noch, den Bauch zu bedecken, dann fiel er in eine riesige Lache von seinem eigenen Lebenssaft und Innereien. Er lächelte sogar noch, als er tot am Boden lag.
Der Kassier hatte sich das Szenario mit entsetztem Blick wie erstarrt angesehen. Erst nach dem kurzen Todeskampf seines Kollegen fiel ihm ein, dass Art noch immer da war. Langsam hob er den Kopf und sah den bleichen Messerwerfer an. Sein Schnurrbart hing nur mehr schwach an seiner Oberlippe und das weiße Lacken, dass Art derzeit trug war blut bespritzt. Vom Messer in seiner linken Hand tropfte Blut. Mit leerem Blick starrte der Mann auf den toten Direktor. Das Lächeln in Arts Gesicht schien nun dem Lächeln des Zirkuschefs zu gleichen. Aber nur fast, bemerkte der Kassier, das Lächeln in Arts Gesicht war voller Bosheit und Hass verzerrt. Dann bewegte sich Arts Kopf und dem Kassier wurde die Gefahr, in der er sich befand, vollkommen gewahr. Er hechtete an dem ehemaligen Messerwerfer vorbei und versuchte zur Tür zu kommen, als ihn plötzlich etwas traf und sein Kopf nach hinten gerissen wurde. Er taumelte gegen die Tür und griff nach hinten zu seinem Nacken. Er spürte den Griff eines Messers daraus ragen. Leise seufzte er auf und Blutgeschmack breitete sich in seinem Mund aus. Als er ihn öffnete trat schon ein kleiner Schwall der Flüssigkeit heraus und er fiel auf die Knie als müsste er erbrechen.
Art blickte auf den röchelnden Mann hinab. Das war also der Komplize des Bösen gewesen. Etwas enttäuscht musste er feststellen, dass dieser Mann kaum Gegenwehr gezeigt hatte. Eigentlich beide nicht. Nun, sie waren eben schwach. Sie konnten einen Mann nur hinterrücks töten.
"Ich war wenigstens Mann genug, euch von Angesicht zu Angesicht zu morden!", schrie er den Kassier an, der mittlerweile kraftlos den Kopf hängen ließ und nur mehr leise röchelte. Seine Hand krallte sich in das Haar des Mannes und riss den Kopf nach hinten, damit er die Augen des Sterbenden sehen konnte. Er zog das Messer aus dessen Nacken und fuhr noch einmal damit über den Hals des Kassiers. Dann warf er ihn unsanft von sich. Art hob den Kopf und sah zurück zum Kasten, wo Pringles Panzer lag. Sein Blick schweifte vom Panzer zur Leiche des Direktors zur Kerze, die trotz des Tumultes nicht ausgegangen war zurück zum toten Kassier, der bei Arts Beinen lag. Ein Plan reifte in seinem Kopf.


"Nein, nein, Rekrut Awentrus! Sie dürfen die Leiche nicht bewegen!", rief Sillybos leicht irritiert. Der Troll blickte den Spurensicherer unsicher an. Sie waren bereits zu dem Versuch gekommen, in dem die Rekruten einen Fall aufklären sollten und Awentrus hatte die zweifelhafte Ehre gehabt, den ersten Tipp abgeben zu dürfen.
"Aber unter dem Körper etwas liegt und ich wissen will, was.", sagte er und hob Hegelkant über seinen Kopf. Der Sklave wurde an einem Fuß hochgehalten, ertrug es aber mit Fassung. Sein Kopf hing einige Zentimeter über den Boden, wo ein Laken lag.
"Allerdings, da liegt etwas", erwiderte Sillybos und duckte sich so, dass er ihn Hegelkants Augen sehen konnte. "Warum liegt da ein Laken, Hegelkant?"
"Der Boden ist etwas hart, Herr.", gab der Sklave zurück.
"Eine Leiche hat es nicht bequem, Hegelkant!", die Stimme des Philosophen wurde etwas schärfer.
"Ich weiß, Herr. Aber ich dachte..."
"Nein, nein, Hegelkant, dass hatten wir doch schon so oft", meinte der Lance-Korporal resignierend, "ICH denke, DU machst. So geht es, verstehst du? Du siehst ja, was heraus kommt, wenn jemand denkt, der nicht geübt darin ist. Also, wir geben jetzt das Laken weg und machen dann den Lehrgang fertig ohne weitere störende Sachen, die nicht hierher gehören, ja?"
Hegelkant nickte, was in seinem hängenden Zustand etwas komisch wirkte.
"Gut... Awentrus, lass die Leiche runter."
"Sir? Das Laken?"
"Achja", Sillybos hob das Laken hoch und legte es in eine Ecke, "An alle: Dieses Laken ist nicht da. Es existiert gar nicht! Wäre es da, würde es uns bei der Arbeit stören. Und da uns bei unserer Arbeit nichts stören darf, kann es so etwas nicht geben, nicht wahr?"
Die Rekruten um ihn herum nickten unsicher. Keiner wollte dem Mann widersprechen, auch wenn jeder das Laken sah.

Art sah kurz in den Himmel und dann wieder geradeaus. Den Direktor hatte er in dessen Wohnwagen an die Wand mit zwei seiner Messer genagelt. Dann hatte er die Kerze umgeworfen und dafür gesorgt, dass genug Futter für die Flammen anwesend war, um ein richtiges Feuer auch am Leben zu halten. Langsam sah er hinunter und blickte in den Sarg aus dem er auferstanden war. Der ermordete Kassier lag darin. Wie auch beim Direktor zog Art den Ring von dem Finger des Toten und steckte ihn sich selbst an. Der ehemalige Zirkusartist hatte sich seine übliche Kleidung angezogen und den Schnurrbart sicher bei sich am Körper aufbewahrt. Das blut bespritzte Laken zierte nun den Körper des Kassiers. Eine weitere Kerze aus dem Büro des Direktors war in Arts Hand. Er hatte auch hier einige Sachen zusammengetragen, die gut brennen wurden. Keiner hatte ihn gehört, was ihn nicht weiter wunderte. Als Zirkusartist lernte man sogar bei großem Lärm zu schlafen, da man oft jede Minute Schlaf brauchte. Wachen waren aus Kostengründen nie angeschafft worden. Er stellte die Kerze sorgsam zwischen die Strohballen außerhalb des Sarges, machte den Deckel zu und ließ dann die Kerze gegen das Stroh fallen. Er begutachtete kurz, ob sich das Feuer auch ausbreitete und rannte dann zufrieden zu seinem Wagen. Zwei Pferde waren davor gespannt worden. Zugegeben, es war kompliziert gewesen, die Tiere ruhig und leise an den Wagen zu bringen – besonders in seinem jetzigen Zustand wurden die Tiere nervös – aber er hatte genug Geduld bewiesen und es geschafft. Er blickte ein letztes Mal auf den Zirkus-Trailer, dann auf den Schildkrötenpanzer den er behutsam neben sich legte und fuhr dann davon.
Im Büro des Direktors brannte es mittlerweile lichterloh. Eine einzelne Ikonographie war irgendwie aus einem umgeworfenen Kasten gefallen. Es zeigte zwei Artisten und einen Jungen. Auf der Rückseite war stand geschrieben: "Als Erinnerung an unsere liebsten Artisten. Mögen ihre Geister den Frieden finden. Und möge der Schildkrötenpanzer uns immer an das erinnern, was sie für uns getan haben." Die Flammen begannen daran zu lecken, bis am Ende nur noch das Gesicht eines Jungen zu sehen war. Dieser Teil des Bildes überlebte das Feuer auf mysteriöse Weise.


"Also, Rekrut Messerfein, was denkst du?"
"Ermordet, Seur.", erwiderte Art. Er kniete neben Hegelkant und sah sich die "Leiche" an.
"Und wie kommst du darauf, wenn ich fragen darf?", fragte der Lance-Korporal, der hinter ihm stand und Notizen machte.
"Ein Messer im Rücken ist schwer selbst anzubringen, Seur."
"Zugegeben, das ist eine logische Erklärung. Kannst du vielleicht ein Motiv erkennen, durch das, was hier im Raum ist?"
"Rache", erwiderte Art. Der Tonfall gefiel Sillybos nicht. Er war irgendwie... hart.
"Äh, wie kommst du darauf?", fragte er vorsichtig.
"...", Art sah den Wächter sprachlos an, aber fing sich schnell wieder. Dann zuckte er mit den Schultern, "War geraten, Seur."
"Lieber Rekrut, wir raten hier nicht, sondern suchen Fakten, klar?", sagte der ältere Mann, sah aber zweifelnd drein. Dan erklärte er: "Nun, da es keiner von euch bemerkt hat, obwohl einige von euch nah dran waren... Das Wort Mord kommt ja leicht von euren Lippen... Es war Mord, das stimmt. Aber es war Raubmord. Das hat keiner bemerkt. Seht ihr die helle Stelle dort an der Wand? Dort hing einmal ein Gemälde. Und den hellen Kreis am Schreibtisch bemerkten auch nur wenige, und wenn zogen sie falsche Schlüsse daraus." Sillybos sah Awentrus noch einmal genau an, "Hätte das Ding – übrigens eine goldene Statuette – das dort gestanden hatte nämlich als Mordwaffe hingehalten, wären höchstwahrscheinlich Wunden am Hinterkopf der Leiche zu sehen gewesen. Andere Stellen kommen für Morde mit stumpfen Waffen nicht wirklich in Frage. Und bei einfachem Mord wäre sie auch noch irgendwo da gelegen, was nicht der Fall war. Also: Raub, gepaart mit Mord. Genannt: Raubmord. Und somit wird das an welche Abteilung weiter geleitet? Na?"
"RUM", sagten ein paar Rekruten gelangweilt wie aus einem Mund.
"Genau, alle Spuren und möglichen Ergebnisse unserer Arbeit kommen zu RUM und die ermitteln das dann. Damit sind wir fertig meine Damen und Herren! Hegelkant, du darfst aufstehen." Ächzend stand der Sklave auf [6] und die Wächter verließen den Raum. Ein vergessenes Laken in einer Ecke blieb zurück und hätte es denken können, hätte es wohl gedacht: "Warum existier ich nun eigentlich nicht?"

Arthur kam nach diesem eher ereignislosen Tag zuhause an und warf sich auf das kleine Sofa, das in den Wohnwagen passte. Diese Ausbildung war Nerven zerreibend und vollkommen langweilig. Allerdings war er glücklich, nicht allzu viel arbeiten zu müssen, es war schließlich nur eine Arbeit für Zwischendurch. Das einzige was ihn wirklich interessierte, waren Gesetze. Damit hatte er sich vorher nie auseinander setzen müssen. Schließlich war er im Zirkus nur wenigen Gesetzen ausgesetzt gewesen. Er überlegte, was man wohl mit diesen Gesetzen alles machen könnte und lächelte. Dann schloss er den Tag, in dem er sich hinlegte.

[1] Eigenartig, wie Tiere sich manchmal zu ihrem Herren verhalten. Sie schließen sie offensichtlich genauso ins Herz wie umgekehrt

[2] Obwohl man eigentlich sagen könnte, dass ihm kaum eine Person sympathisch ist

[3] siehe Charlie Holms Mission "Eine Studie in Babyblau"

[4] zu lesen in der nächsten Humph MeckDwarf-Single

[5] siehe auch: "Eine Studie in Babyblau" von G Charlie Holm

[6] Er hatte durch die Landung, die das "Lass ihn runter, Awentrus" entstanden war, einige blaue Flecken und einen verrissenen Hals mitgenommen




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