Eigentlich wollte Bregs nur in Ruhe seine Ausbildung zum Püschologen durchziehen, doch dann bekommt er es mit widerspenstigen Mitnahmemöbeln, einem sinnlosen Einbruch und einem unerwünschten Besucher aus der Vergangenheit zu tun...
Dafür vergebene Note: 13
WARNUNG: Diese Geschichte enthält einen klitzekleinen Spoiler für 'Night Watch'. Es ist nur eine Kleinigkeit aber wen es stört der möge hier bitte nicht weiterlesen.
Geschichten wie diese beginnen normalerweise auf einem Friedhof. Es ist selbstverständlich Nacht und im trüben, diffusen Licht des Mondes wabern Nebelschwaden stimmungsvoll um die Grabsteine. Irgendwo in den kahlen Ästen eines Baumes schreit ein Käuzchen. Fledermäuse zucken über den Himmel. Und der Grabräuber, der dort gerade mit seiner Schaufel über der Schulter und einer schwach funzelnden Laterne in der Hand den Weg vom Tor
[1] herunterkommt, ist geradezu prädestiniert dazu, demnächst eine ziemlich böse Überraschung zu erleben. Aber beobachten wir ihn erst mal, wie er in einen schmalen Nebenpfad abbiegt und schließlich vor einem ganz bestimmten Grab stehen bleibt, dessen Stein die Form einer Faust aufweist die einen Dolch gen Himmel reckt. Zufälligerweise weist dessen Spitze genau in jenem Moment auf die volle Scheibe des Mondes. Der Grabräuber stellt seine Laterne ab und rammt die Schaufel in die weiche Erde. Leider ist er des Lesens nicht mächtig, sonst hätte er den Namen lesen können, der ohne Angabe eines Geburts- oder Sterbedatums die Knöchel der steinernen Faust ziert.
Aber überspringen wir nun einfach mal eine Stunde in der eigentlich nichts wirklich Interessantes passiert, außer dass der Erdhaufen neben dem Grab rapide anwächst und sich unser Grabräuber immer tiefer ins Erdreich vorarbeitet, bis er schließlich auf den Deckel eines halbverrotteten Sarges stößt. Neugierig hackt er mit seiner Schaufel ein Loch hinein...
....und lässt sein Grabwerkzeug plötzlich schreckerstarrt fallen. Eine halbverweste Hand bohrt sich durch das soeben gehackte Loch, greift nach dem Sargdeckel und reißt ihn mit einem einzigen Ruck ab.
[2] Panik überkommt den Grabräuber. Er krallt sich am Rand der Grube fest und seine Füße kratzen verzweifelt an dem senkrechten Erdwall, doch etwas umschließt seinen Knöchel wie eine Eisenklaue und zerrt ihn zurück in die Tiefe. Er kommt hart auf dem Rücken zu liegen und blickt direkt in das bleiche Antlitz des Mondes.
[3] Dann schiebt sich ein männliches Wesen in sein Blickfeld. Hautfetzen hängen an seinem Gesicht herab und der obligatorische dicke, schleimige Wurm kriecht aus einem Nasenloch. Der Grabräuber hat eigentlich nur noch das Bedürfnis zu schreien, bringt jedoch vor Entsetzen kein Wort hervor. Da beginnt der Zombie in einer Wolke scheußlichsten Mundgeruches zu sprechen:
"Wo ist der Hundebelästiger?"
"Ich...ich kenne ihn nicht!" Stammelt der Grabräuber und versucht gleichzeitig, durch die Ohren zu atmen, "Vo-von we-wem re-re-reden Sie da ü-überhaupt?"
Der Untote greift sich an den Hals. Dort hängt ein dünnes Goldkettchen über seinen zerlumpten, schwarzen Kleidern.
"Diese Ratte!!!" Brüllt er plötzlich in die Nacht. "Er hat meinen Schlüssel!!! Verflucht sei er bis in alle Ewigkeit, dieser Sohn einer Näherin!!! Mörder!!! Dieb!!! Na warte nur, die Rache wird kommen und das Schwert wird endlich mein sein!!!"
Drohend und fluchend klettert der Zombie aus der Grube und lässt einen ziemlich verblüfften Grabräuber zurück, der sämtlichen Göttern für sein Überleben dankt, der Grabräuberei für immer abschwört und beschließt, in Viericks ein neues Leben als Schafscherer zu beginnen. Vielleicht wundert er sich auch, warum der Untote dermaßen nach billigem Schnaps stank.
Nun, leider begann die Geschichte nicht so auf diese Weise, sondern um einiges banaler, wie sich später herausstellen sollte.
Bekritzelte Mauern sind in Ankh-Morpork keine Seltenheit. Wenn man die Schmierereien an den Wänden eine Zeitlang aufmerksam liest ist man was das Liebesleben der Teenager der Stadt betrifft immer auf dem neuesten Stand. Außerdem scheint es eine Fülle von Personen zu geben die der Nachwelt mit Sätzen wie 'Bob war hier' unbedingt kundtun müssen, dass sie, nun ja, hier waren. Diverse Verwünschungen und Beschimpfungen sind auch immer ziemlich beliebt. Und mit einer Inschrift aus der letzten Kategorie bekamen wir von der Wache es eines Morgens zu tun, nachdem eine aufgebrachte Frau Willichnicht wieder einmal eine Tirade über den zunehmenden Vandalismus in der Stadt losgelassen hatte. Warum sich die Wache letztendlich doch um solch eine Lappalie kümmerte? Nun,
diese Inschrift prangte groß und rot an der Mauer des Patrizierpalastes und lautete folgendermaßen:
Nun bist du dran, Havelock!!!!! Dieses Mal entkommst du Schwein mir nicht!!!!!
Kopfschüttelnd standen wir von der Frühschicht vor der Mauer und waren mit unserem Rat ziemlich am Ende. Abgesehen davon, dass die fünf Ausrufungszeichen am Ende beider Sätze nicht gerade auf einen besonders stabilen Geisteszustand schließen ließen, konnte meiner Meinung nach nur jemand in Frage kommen der seinem brennenden Wunsch in die Skorpiongrube geworfen zu werden auf anderem Wege nicht genug Nachdruck verleihen konnte. Isis nahm sich mittlerweile die Farbe vor. "Höchstens fünf, sechs Stunden." Teilte sie uns schließlich mit. "Also muss es irgendwann zwischen zwei und drei passiert sein."
"Haben die Palastwächter irgendwas bemerkt?" Wandte sich Cim Bürstenkinn an Claudette.
"Nein." antwortete diese und seufzte. "Aber Palastwächter zeichnen sich was Verbrechen betrifft eh durch eine bemerkenswert mangelhafte Beobachtungsgabe aus."
"Abgesehen davon, dass sie lieber ihre Pike fressen würden als der Stadtwache zu helfen." Brummte Cim und wandte sich darauf an mich. "Und was hält unser angehender Püschologe von der ganzen Sache?"
"Zugegebenermaßen eine der originelleren Arten, Selbstmord zu begehen." Diese Bemerkung konnte ich mir einfach nicht verkneifen." Abgesehen davon: Wer außer Lady Käsedick und Hughnon Ridcully redet den Patrizier überhaupt mit Vornamen an?"
"Frau Kuchen vermutlich." Grinste Claudette. "Nun, ich glaube nicht, dass Frau Kuchen mitten in der Nacht Morddrohungen an Wände pinselt."
Isis blickte auf die Farbpartikel in ihrer Hand.
"Vielleicht kann ich feststellen woher das Rot stammt."
"Wenn du dich dumm und dämlich suchen willst..." Cim winkte uns. Er war nicht gerade bester Laune. "Gehen wir, hier gibt es nichts mehr für uns zu tun. Bleibt nur noch die Frage wer den Kommandeur darauf vorbereitet, dass Vetinari ihn vermutlich sehr bald zu sprechen wünscht."
Warum wendeten sich in solchen Situationen eigentlich immer alle Blicke zu mir? Ich war zwar Püschologe in Ausbildung, aber das hieß noch lange nicht, dass ich besser mit dem Kommandeur klarkam als die anderen. Und wenn man immer die schlimmen Nachrichten überbringen durfte litt irgendwann definitiv das Image. Ich konnte mir schon gut vorstellen, dass Kommandeur Rince immer, wenn er mich sah erst mal dachte: 'Oh nein, was ist denn jetzt schon wieder passiert...' Bloß leider war ich bei den entsprechenden Abstimmungen eigentlich immer in der Unterzahl.
Und so blieb mir nichts anderes übrig, als brummelnd zur Kröselstraße zu schlurfen, wo der Kommandeur derzeit als Ausbilder bei GRUND arbeitete.
Ja, ich war tatsächlich im Begriff, Püschologe bei der berühmt-berüchtigten Abteilung FROG zu werden. Eigentlich war die ganze Idee auf Julius' Mist gewachsen. Als wir wieder einmal bei einer schönen Flasche Rotwein in seiner chronisch ungeheizten Künstlermansarde zusammensaßen und uns über Zukunftsperspektiven unterhielten meinte er, dass Püschologe eigentlich genau der richtige Posten für mich wäre.
"Du kannst zuhören, Bregs." Behauptete er. "Wenn dir jemand nur eine angemessen verrückte Geschichte zu erzählen hat saugst du seine Worte geradezu auf."
"Bist du sicher?" Fragte ich erstaunt. Eigentlich war es bis dahin mein vager Plan gewesen, zu fragen ob der Posten bei DOG für einen Bibliothekarsgildenexperten noch frei war.
"Ja.", antwortete Julius schlicht. "Ich kenne dich nun schon seit acht Jahren und bis jetzt hast du eigentlich immer eine ziemlich gute Menschenkenntnis an den Tag gelegt. Wenn du deinen Zynismus ein wenig zurückschrauben könntest wärst du wirklich der ideale Püschologe."
Ich vermute, Schriftsteller können sich so jede Person in jedem erdenklichen Beruf vorstellen, wenn ihnen danach ist. Ich weiß nicht. Bin ich zynisch? Na ja, wenn
er nicht einmal wüsste welcher Spezies er eigentlich angehört würde er die Welt vermutlich auch ein wenig anders sehen.
An jenem Abend flossen noch eine Menge Wein und tiefsinnige Gespräche über das was eigentlich eine Persönlichkeit ausmacht und so kam es schließlich, dass ich mich nach bestandener Grundausbildung und einem Vorstellungsgespräch bei FROG-Abteilungsleiter Humph MeckDwarf in einem kleinen Büro im ersten Stock des Wachhauses am Pseudopolisplatz wiederfand, zusammen mit einer Papageiin, einem schnarchenden Schwert, meinem Sarg, meiner Schatztruhe, ein paar halbverfallenen Büromöbeln und einem Stapel Bücher die Julius mir als 'sehr püschologisch' empfohlen hatte. Ja, ich hatte vor, erst einmal in meinem Büro zu wohnen. Mein Kellerloch im Lagerschuppen hatte ich, nachdem zum zweiten Mal innerhalb einer Woche der Ankh darin den Pegelstand dreißig Zentimeter überschritten hatte endgültig satt, genau wie meinen gebraucht erstandenen Sarg. Es war einfach irgendwann nicht mehr lustig mitten in der Nacht auf etwas zu liegen zu kommen was sich am nächsten Morgen bei näherer Betrachtung als abgefallener Körperteilrest des Vorbesitzers herausstellte. Aber woher bekam man einen halbwegs vernünftigen und dazu auch noch erschwinglichen Sarg her? Darüber konnte ich mir allerdings später noch den Kopf zerbrechen, erst einmal hatte die Ausbildung Vorrang.
Eigentlich ist die ganze Püschologie eine ziemlich schwammige Angelegenheit.
Soweit ich schließlich herausgefunden hatte gab es auf der Scheibenwelt insgesamt zirka 200 Püschologen. Allerdings resultierten daraus, wie ich sehr zu meinem Leidwesen feststellen musste auch beinahe genauso viele verschiedene Definitionen und Auffassungen der Püsche des Menschen.
[4] Außerdem bestand die Gefahr, das soeben gelernte erst einmal auf die Personen in seiner näheren Umgebung anzuwenden- Seine Kollegen und sich selbst. Ich frage mich wirklich, wie sie es überhaupt in meiner Nähe ausgehalten haben während ich den 'Magischen Hügel' las, den einzigen Roman in meiner Sammlung. Aber die Geschichte von den fünf Zauberern, die ihr durch jahrelanges Kettenrauchen verursachtes Lungenleiden in einem Sanatorium in den Spitzhornbergen auskurierten und dabei eine Menge hochgeistiger Gespräche führten hat mir einfach gefallen. Ganz im Gegensatz zu zum Beispiel der 'Phänomenomenologie des Geistes' von Dr. Püsch. !
Oswald Piepenstengel. Ein derart zäh zu lesendes Buch hatte ich wirklich noch nie in der Hand gehabt. Allein für den Titel hätte der Autor selbst schon mindestens fünf Sitzungen beim Püschologen verdient.
Doch während ich mich noch durch die 20 Gründe warum mehr oder minder humanoide Spezies angeblich nicht in der Lage sein sollen Vernunft zu begreifen quälte, nahte wider Erwarten die Lösung auf mein Möbelproblem in Form eines Kataloges der just an jenem Morgen als wir wegen der Schmiererei am Palast ausrücken mussten vor den Bürotüren sämtlicher Wächter lag. Neugierig blätterte ich ein wenig darin herum- und schlug spontan mit der Faust in die Luft. Dies war genau das, wonach ich immer gesucht hatte! Erschwingleiche Möbel zum selbst zusammenbauen. AEKI, das neue Möbelhaus aus Nichtsfjord, machte es möglich. Natürlich brannte ich darauf, mich sofort ins Einkaufsgetümmel zu stürzen, doch der verrückte Palastmauernbeschmierer versetzte meinen Hoffnungen auf einen freien Nachmittag in absehbarer Zeit ein abruptes Ende.
Zaghaft klopfte ich an die Bürotür des Kommandeurs und hoffte inständig, ihn nicht gerade bei einem Imbiss oder einem Schläfchen zu stören.
"Herein!" Erklang eine unwirsche Stimme.
Ich schluckte. Das klang schon mal gar nicht gut... Mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magengrube schlich ich ins Zimmer und salutierte. Der Kommandeur blinzelte mich ungehalten über den Rand einer aufgeklappten Pappschachtel an. Ich konnte gerade noch den Schriftzug 'Al-Gebras Klatschianische Pizzen' erkennen, bevor Rince sie schnell irgendwo hinter seinem Schreibtisch verschwinden ließ.
"Rühren, Gefreiter. Was ist denn jetzt schon wieder passiert?"Raunzte er und schob Messer und Gabel möglichst unauffällig unter ein paar Akten.
"Lance-Korporal Bürstenkinn von den SEALS schickt mich."
Ich Feigling. Schob erst mal jemand anderen vor um mir nicht den gesamten Unmut des Kommandeurs zuzuziehen.
"Heute Nacht hat jemand eine Morddrohung gegen den Patrizier an die Palastmauer gepinselt. Ich soll Sie schon mal vorwarnen, dass der Sie im Laufe des Tages vermutlich zu sich zitiert."
Der Kommandeur seufzte.
"Das hat mir gerade noch gefehlt." Brummte er. "Noch mehr Arbeit. Als wenn ich nicht schon hier mit den Rekruten genug zu tun hätte. Gefreiter?"
"Ja?" ich salutierte aus reinem Reflex erneut.
"Bestell Atera einen schönen Gruß von mir, ihre Truppe soll sich drum kümmern. Schönen Tag noch."
"Ihnen auch, Sir."
Ich verließ das Büro des Kommandeurs so schnell ich konnte. Nun durften die SEALS die ganze Sache also ausbaden. Sie taten mir jetzt schon leid. Aber andererseits war ich somit offiziell von den Ermittlungen ausgeschlossen. Es schien als würde aus dem baldigen AEKI-Besuch doch noch etwas werden...
Als ich im typischen Wächtergang zum Pseudopolisplatz schlurfte träumte ich mal wieder vor mich hin. Ecatherina hatte mir ein Buch von Sigmund Leid ausgeliehen, der laut Klappentext
der Begründer der modernen Püschoanalühse sein sollte. Nach einigen Seiten kam es mir allerdings so vor, als würde Herr Leid hauptsächlich zwei Theorien vertreten:
1) Sex ist die Ursache aller Probleme.
2) Sex ist allerdings auch die Lösung aller Probleme.
Irgendwie mangelte es der Sache an Logik. Wenn es wirklich so wäre wie von Leid behauptet, würde die totale Enthaltsamkeit der gesamten Scheibenbevölkerung über kurz oder lang das Ende aller Probleme bedeuten. Weil nach gut hundert Jahren abgesehen von ein paar Trollen, Vampiren und Zombies kaum noch jemand leben bzw. existieren würde, der nennenswerte Neurosen entwickeln konnte. Nein, schalt ich mich in Gedanken, du wolltest dir doch den Zynismus abgewöhnen. Obwohl... In einer Broschüre namens 'Wer therapiert den Püschologen?' hatte ich gelesen, dass jeder Püschotherapeut eine Art Prohfäßionälle Dißdantz (oder wie auch immer das geheißen hatte) wahren sollte. Im Klartext, nach Feierabend sollten die Püschen der Klienten im Büro bleiben. Ein sehr hilfreicher Rat. Ich
wohnte in meinem Büro. Irgendwo in meinem Kopf schrie Julius.
[5]"Bregs! Versuch nicht immer, zu wirklich allem einen blöden Kommentar abzulassen."
Jaja, recht hatte er. Irgendwie rutschte mir eigentlich immer genau im falschen Moment eine garantiert makabere, bissige oder sonst wie unpassende Bemerkung heraus. Ich fragte mich ob eine nüchterne Weltsicht unter Menschen mit Vampirblut in den Adern eine weit verbreitete Krankheit war.
SEALS-Chefin Atera schien mir auch nicht gerade begeistert von der Aussicht zu sein, die nächsten Tage mit der Jagd auf einen vermutlich selbstmörderisch veranlagten Schmierfink zu verbringen.
"Manchen Leuten ist einfach nicht zu helfen.", seufzte sie. "Und wir dürfen es dann wieder ausbaden. Und was hält unser zukünftiger Seelenklempner davon?"
"Ich weiß es auch nicht, Ma'am." Ich entschloss mich zur Ehrlichkeit. "Abgesehen davon, dass es schnellere und weniger aufwendige Methoden gibt sich umzubringen kann ich rein gar nichts damit anfangen. Ein Verrückter vielleicht. Das würde zumindest die vielen Ausrufungszeichen erklären." "Soso." Atera lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück. "Das ist ja auch nicht gerade viel."
"Äh, Isis wollte sich die Farbe vornehmen." Beeilte ich mich zu sagen.
Oh jemine. Falls es irgendwann mal eine Wache-Meisterschaft in der Disziplin 'Wie vielen Vorgesetzten ich innerhalb von 6 Stunden den Tag versaut habe' geben sollte, würden meine Chancen auf einen Platz zumindest unter den ersten fünf vermutlich gar nicht so schlecht stehen. Ich begann zu überlegen, ob ich Humph wirklich um den freien Nachmittag bitten sollte. Wer wusste was ihm an jenem Tag bereits über die Leber gelaufen war...
"Die Mühe hätte sie sich gar nicht zu machen brauchen." Erklärte der Stabsspieß. "Es sei denn, es macht ihr Spaß, sämtliche Farbenverkäufer der Stadt abzuklappern. Rote Farbe bekommt man so ziemlich überall."
Ich zuckte nur mit den Schultern. Was hätte ich auch antworten sollen?
"Ach ja, und wenn dir zufällig Cim über den Weg laufen sollte, bestell ihm bitte, dass ich ihn sofort hier sprechen möchte."
"Ja, Ma'am."
Ich nahm dies als Zeichen, dass ich entlassen war. Was für ein Tag. Und es war erst halb zehn...
"Drei" zählte ich missmutig, als ich die Treppe hinaufstapfte und meine Bürotür hinter mir zuknallte. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war hatte Cim nicht gerade begeistert auf den Befehl,
sofort bei seiner Chefin zu erscheinen, reagiert. Ich konnte es ihm allerdings nicht verdenken. Wenn ich die nächsten Tage mit offensichtlich fruchtlosen Ermittlungen verbringen müsste wäre mir auch nicht gerade nach Jubeln und Trillern zumute.
Seufzend sah ich mich in meinem Büro um. Meinen Sarg und meine Schatztruhe hatte ich nebeneinander an die Wand unter dem Fenster gequetscht, dekoriert mit einigen Bücherstapeln. An einem Haken an der gegenüberliegenden Wand schnarchte Magnarox metallisch rasselnd vor sich hin, während Havelock ihren Schnabel an der Schreibtischplatte wetzte. Nein, hier drin musste sich einiges ändern damit man sich richtig zu Hause fühlen konnte. Angefangen bei einem neuen Namen für meine Papageiendame. Vernünftige Vögel hießen Lora, Lady Jane oder meinetwegen auch Käptn Zunder, aber ganz bestimmt nicht Havelock Vetinari II. Das Dumme ist bloß, ich bin wahnsinnig einfallslos wenn es um Namensgebung geht.
Also ein weiterer Tag über Püschologiebüchern. Beziehungsweise über dem AEKI-Katalog wie ich im Nachhinein gestehen muss. Mich wunderte, dass in Ankh-Morpork bis jetzt noch niemand auf die Idee von preiswerten Mitnahmemöbeln zur Selbstmontage gekommen war. Da hatten die Nichtsfjorder eine echte Marktlücke entdeckt. ich begann, mir eine Liste zu machen, was ich alles brauchen würde. Ganz oben stand der halbe freie Tag.
Der allerdings erst einmal begann wie der vorherige.
Mach dich auf dein Ende Gefasst, Havelock!!!!!!!
Verkündete die Inschrift dieses Mal und befand sich zur Abwechslung auf der anderen Seite des Palastes.
"Na wunderbar." Stöhnte Cim und entnahm dem Ikonographen das frischgemalte Beweisbild. "Und wieder will niemand was gesehen haben."
"Zwei Ausrufungszeichen mehr als gestern." Mühsam verkniff ich mir ein Grinsen. "Wollen wir wetten wie viele es morgen sind?"
Die Blicke des Restes der Frühschicht teilten mir mit, dass ich soeben auf dem Weg zum Großen Fettnapf der Peinlichkeiten einen weiteren großen Schritt gemacht hatte.
"Tschuldigung." Murmelte ich verlegen. "Aber der Kerl muss wirklich die Unterhosen auf dem Kopf tragen."
Claudette lächelte gequält.
"Solange er nicht auch noch Ahahahahahahaha!!!!! drunterschreibt..."
"Wie ich gehört habe soll Vetinari den Kommandeur ziemlich in die Mangel genommen haben."Schaltete sich Isis ein, die bis jetzt schweigend auf die bekritzelte Mauer gestarrt hatte.
"Ja, und dann hat Rince dasselbe mit Atera und mir gemacht." Cim verzog das Gesicht. "Und wir haben rein gar nichts in der Hand. Selbst wenn wir uns jeden Verrückten dieser Stadt einzeln vornähmen wären wir in einem Jahr noch nicht schlauer. Es
muss einfach irgendwo einen Hinweis geben, wir haben ihn bloß noch nicht gefunden."
"Träum weiter, Cim." Entgegnete Claudette bissig. "Wir haben den Boden unter der Mauer fünfmal abgesucht. Keine Fußspuren, keine Kippen, keine verräterische Fährte aus roten Farbtropfen. Nichts."
"Dann legen wir uns heute Nacht auf die Lauer." Kündigte Cim in einem Anfall von Entschlossenheit an. "Ich kriege den Kerl, so wahr ich Cim Bürstenkinn heiße!"
Claudette seufzte nur leise und verdrehte die Augen. Ich dankte Humph heiß und innig,
dass er mich bei FROG aufgenommen hatte. Eine kalte, neblige Herbstnacht in irgendeinem klammen, unbequemen Versteck konnte ich wirklich gut missen.
Als ich am Mittag das Wachhaus verließ wartete Hermione bereits in ihrem Eselskarren auf mich. Ich könnte an dieser Stelle eine Menge über Hermione Vanderby erzählen aber ich versuche mal, mich kurzzufassen: Mimi, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, war wunderschön, kupferhaarig, von Beruf Schauspielerin und (zum Leidwesen vieler Männer) die Verlobte von Julius Herr. Ich hatte keinerlei Probleme gehabt sie zu überreden mir mit ihrem Eselskarren auszuhelfen, ganz im Gegenteil: Sie hatte ich vorgenommen, Julius endlich einen erschwinglichen Heizofen für seine Mansarde zu schenken. Diese Maßnahme konnte ich nur begrüßen- Ich weiß nicht wie oft ich mir in diesem Eishaus von einer Dachwohnung schon die Zehen abgefroren habe. Julius vertrat zwar die Meinung, daß ungeheizte Wohnungen zum Image eines Bohämiänn gehörten
[6] aber weder Mimi noch mir war viel daran gelegen, eines Tages tragisch von der Schwindsucht dahingerafft zu werden wie es unter Künstlern immer wieder mal Mode gewesen war. Wer weiß, vielleicht sollte ich zur Übung mal ein püschologisches Gutachten über den morporkianischen Durchschnittskünstler aufstellen...
"Hallo Bregs!" Begrüßte Mimi mich. "Bereit zum Sturm auf die Lagerhallen?"
Ich klopfte vielsagend auf meinen Katalog und grinste auf eben jene meine leicht angespitzten Eckzähne vollendet zu Geltung bringende Weise die Kanndra grundsätzlich an die Decke brachte.
"Bereit zum Gefecht, Ma'am."
"Das freut mich."
Ich kletterte zu ihr auf den Karren und lehnte mich auf dem Beifahrersitz zurück.
"Und, schon was neues in Hinsicht auf die Palastschmierereien?"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Soweit ich weiß nicht. Der Fall gehört jetzt den SEALS. Ich hab zur Zeit eh andere Sorgen. Wusstest du schon, dass Männer und Frauen angeblich von zwei verschiedenen Schildkröten stammen sollen?"
"Pah." schnaubte Mimi abfällig. "Wer denkt sich denn so was aus?"
"Siehst du, mit so was darf ich mich in Moment amüsieren. Aber was soll's... Mir tun eigentlich eher Atera und ihre Truppe leid. Der Fall ist einfach nur bescheuert."
"Also ich glaube, es ist ein Rächer aus dem Schattenreich, der vom blinden Io dazu auserwählt wurde, die schwarze Seele des Patriziers endgültig zu vernichten. Und zu diesem Zweck schreibt er als erste Drohungen diese Botschaften mit dem Blut der unschuldig in der Skorpiongrube zu Tode gequälten Opfer." Mimi seufzte theatralisch.
Ich fiel vor Lachen fast vom Sitz. "
Das ist gut." Japste ich. "Aus welchem Eddie Wollas war das noch mal?"
"Der schwarze Herrscher. Eins seiner besten finde ich."
Mimi riss ruckartig an den Zügeln. Vor uns hatte sich wieder einmal einer der typischen Ankh-Morpork-Staus gebildet. Mit anderen Worten, vier Karren hatten zur gleichen Zeit versucht, eine Kreuzung zu überqueren, mit dem Resultat, dass vier Zugtiere Stirn an Stirn mitten auf der Kreuzung standen während sich die Karrenlenker in ohrenbetäubender Lautstärke darüber stritten, wer hier nun wem die Vorfahrt genommen hatte.
"Na wunderbar." seufzte Mimi. "Hoffentlich schaffen wir es noch bis Ladenschluss."
Der leuchtend blau-gelb gestrichene Klotz des AEKI-Möbelhauses war bereits von weitem zu sehen. Erstaunlich, dass der Stadtrat ein dermaßen hässliches Ding überhaupt genehmigt hatte. Aber für Lord Vetinari und den Gildenrat spielten ästhetische Kriterien vermutlich keine große Rolle wenn sich eine Aussicht auf eine ziemliche Menge Steuereinnahmen bot.
Mimi lenkte den Eselskarren in das geschäftseigene Parkhaus. Auch dieses Prinzip war völlig neu für mich: Abgesehen von Hobsons Mietstall war mir noch nie ein eigenes Gebäude für das Abstellen von Fortbewegungsmittel begegnet. Und ich muss sagen, es war rappelvoll mit Gefährten aller Preisklassen und Farben. Mimi musste bis in den dritten Stock fahren um noch eine freie Parkbucht zu finden. Dort angekommen hängte sie dem Esel einen Futtersack um und gemeinsam betraten wir die schöne neue Möbelwelt aus Nichtsfjord.
Die Halle war mindestens so groß wie der Thronsaal des Patrizierpalastes. Überall an den Wänden standen hohe Regale die mit mehr oder weniger rechteckigen Päckchen beladen waren. Dazwischen schob sich die halbe Bevölkerung der Stadt durch die Gänge. AEKI schien wirklich einen Nerv getroffen zu haben.
"Hilfe." War alles, was ich angesichts dieses Tumults herausbrachte.
Mimi seufzte.
"Wir hätten es uns eigentlich denken können."
"Vorsicht!"
Ich schaffte es gerade noch, Mimi beiseite zu ziehen, als Haufen-Hubert fröhlich vor sich hinsummend mit seinem Einkaufswagen vorbeiwalzte, auf dem etwas lag, das verdächtig nach den Einzelteilen eines großen Holzkarrens aussah.
"Handwagen TRANSPORTA." Kommentierte Mimi. "Soll angeblich Lasten von bis zu 1000 Kilo aushalten."
Ich sah auf meine Liste.
"Also, ich brauche den Schreibtisch TYRANN, den Sarg TORSO, den Bürostuhl VESTMANNAEYJARKAUPSTADUR, das Bücherregal HORST und den Papageienkäfig MEISE."
"Vestmanna...was?", fragte Mimi entgeistert. "Die geben den Möbeln Namen..."
"Wieso?", fragte ich zurück. "Wie heißt dein Ofen denn?"
"Im Prospekt stand Kaminofen MOLLOTOFF."
"Wer weiß, was das alles bedeutet.", grinste ich.
Mimi gab mir einen Rippenstoß.
"He, ich denke, du bist mal in Nichtsfjord gewesen. Da muss doch wohl wenigstens ein bisschen von der Sprache hängengeblieben sein."
"Du bist lustig." Ich trat einen Schritt zur Seite um einem ein dickes Paket schleppenden Schnapptopf Donnerstoß auszuweichen. "Ich war gerade mal drei Tage dort und das einzige Wort das ich behalten habe ist Smörrebröd."
"Was ist Smörrebröd?" wollte Mimi wissen.
"Smörrebröd," erklärte ich und griff nach einem leeren Einkaufswagen, "ist ein ganz schlichtes Butterbrot."
"Oh."
Das Gedränge war so groß, dass man kaum zu den Regalen durchkam. Mehr als einmal mussten wir ausladenden Möbelstücken ausweichen die von ihren Käufern rücksichtslos durch die Halle geschoben wurden. Langsam füllte sich auch unser Wagen: Mein Sarg, Mimis Ofen, der Papageienkäfig, das Regal und der Schreibtisch waren schon in beinahe krimineller Weise darauf gestapelt worden. Nun fehlte nur noch der Stuhl.
"Wie bitte?"
Entgeistert starrte ich in das Fach mit den Stuhlbeinen. Zwei übriggebliebene Exemplare schienen mich höhnisch anzugrinsen. Na wunderbar. warum passieren solche Sachen immer mir? Mimi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Lach du nur." Knurrte ich. "Du brauchst ja auch die nächsten Wochen nicht auf einer Wahooniekiste zu sitzen."
"Schon gut." Meinte Mimi. "Ich weiß auch nicht warum die ihre Beine nicht in Vielfachen von vier ausliefern."
Ich schnitt eine frustrierte Grimmasse.
"Sieh mal, es sind noch jeweils zwölf Sitzflächen und Lehnen da. Warum also nur noch zwei Stuhlbeine?"
"Vielleicht haben irgendwelche Vollidioten die nicht zählen konnten aus Versehen sechs mitgenommen. Wie dem auch sei, vielleicht wissen die an der Kasse wann die neue Lieferung kommt." Seufzend schnappte ich mir die beiden letzten Exemplare, balancierte sie zwischen der Ofenklappe und dem Sargdeckel und gemeinsam stemmten Mimi und ich uns gegen den mittlerweile ziemlich schwer zu lenkenden Einkaufswagen und bugsierten ihn vorsichtig Richtung Kasse.
Doch dort lauerte auch schon die nächste Pleite des Tages.
"Es tut mir leid," erklärte das Fräulein spitz in einem Tonfall aus dem ich entnehmen konnte, daß es ihr nicht das geringste bisschen leid tat, "Wir erwarten die nächste Lieferung in frühestens sechs Wochen. Bis dahin- Tja, da müssen Sie sich woanders beschweren."
Komisch. Diverse Püschologen hatten es fertiggebracht, ganze Bände über Liebeskummerund seine Nebenwirkungen zu schreiben. Aber es gab keine einzige noch so dünne Broschüre über Möbelfrust. Vielleicht sollte ich mich selbst mal daran machen: 'Frustrierende Erfahrungen in Selbstbedienungsmöbelhäusern und wie man damit umgeht' von Araghast Breguyar. Klang doch gar nicht schlecht. Bloß wie ging man mit akutem Möbelfrust um?
Mimis Ellenbogen riss mich aus meinen Gedanken.
"He, du Brummbär." Lächelte sie aufmunternd. "Schon wieder sonst wo?"
Ich grinste kläglich.
"Och, eigentlich dachte ich gerade daran, für meine Ausbildung etwas über das Frustpotential von Möbelhäusern zu schreiben."
"Reg dich nicht auf." Mimi gab mir einen Klaps auf den Rücken. "In ein paar Wochen lachst du drüber."
"Ja." Brummte ich. "Wenn ich die Beine habe. Keine Sekunde eher."
"Weißt du was, ich glaube, du liest in letzter Zeit zu viel über Püschen" lachte Mimi. "Was du brauchst sind keine Stuhlbeine sondern ein wenig Abwechslung."
Doch als wir vor Mimis Eselskarren standen wurden die Stuhlbeine schlagartig in den hinteren Bereich meines Kopfes gedrängt. Stattdessen glitt mein besorgter Blick von der Ladefläche des Karrens zu dem Paketberg auf unserem Einkaufswagen und wieder zurück.
Mimi starrte ebenfalls.
"Das passt nie und nimmer da rauf." Stellte sie fest.
Man muss schon ziemlich ungewöhnlich aussehen um in einer Stadt wie Ankh-Morpork überhaupt aufzufallen. Doch wir erfüllten dieses Kriterium spielend: Kein anders Fahrzeug wies einen Esel auf dessen Rücken ein Ofenrohr festgebunden war. Der gesamte Karren war dermaßen überladen, dass ich froh war, einen Großteil der SEALS mit dem Schmierereien-Fall beschäftigt zu wissen. Nicht auszudenken wenn wir zum Beispiel Atera in diesem Zustand begegnet wären. Deshalb sah ich mich immer wieder ängstlich um, als wir uns dem Pseudopolisplatz näherten.
Mimi parkte vor dem Opernhaus und gemeinsam lösten wir meine Pakete aus den Verschnürungen, die sie während der Fahrt auf dem Karren gehalten hatten. Vereinzelte Regentropfen begannen auf das Pflaster zu klatschen.
"Soll ich dir noch beim Reinbringen helfen?" Bot Mimi an und betrachtete besorgt den Himmel.
Ich winkte ab.
"Sieh lieber zu, dass du den Ofen nach Hause bekommt bevor Julius was merkt. Du hast eh schon ganz schön was gut bei mir fürs Mitnehmen."
"Dazu sind Freunde doch da." Lächelte Mimi und warf das Ofenrohr auf die Ladefläche. Der Esel wieherte erleichtert. "Und vor allem lass dich mal wieder länger bei uns blicken als nur ein paar Minuten. Deine Ausbildung ist nicht dein ganzes Leben!"
Sie schwang sich auf den Kutschersitz und schnalzte mit der Zunge. Auf der Ladefläche schepperten die Teile des MOLLOTOFF-Ofens als der Karren davonfuhr. Missmutig schielte ich auf den Haufen sperriger Päckchen neben mir. Nun galt es, den ganzen Kram mit möglichst wenig Aufwand ins Wachhaus zu schaffen.
Fünfzehn Minuten, sieben Märsche quer über den Platz und zurück, einen Haufen jetzt hier nicht druckfähiger Flüche und zwei eingeklemmte Finger später stapelten sich meine Einkäufe in der Wachstube und ich gönnte mir nach der Anstrengung erst mal einen Kapputtschino.
"Und, erfolgreich gewesen?" Fragte Claudette, die gerade Tresendienst schob, und verschaffte sich einen Überblick über meine neuen Möbel.
"Och, so einiges." Ich nahm einen tiefen Schluck. "Vor allem einen neuen Sarg. Der alte war eh nur ein Kompromiss. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Kaufe niemals eine gebrauchte Schlafstätte, auch wenn sie noch so günstig sein mag."
"AEKI verkauft auch Särge?" Fragte Claudette ungläubig.
"Sie verkaufen auch Zwergen-, Gnomen- und Trollmöbel. Wenn du den Katalog haben willst sag einfach Bescheid."
"He, Bregs!" Claudette hielt die beiden unseligen Stuhlbeine fragend hoch. "Wo sind denn die anderen zwei? Unterwegs vom Karren gefallen?"
"Frag nicht." Ich schnitt eine Grimmasse. "Kommen wir zu den Schattenseiten von AEKI..."
"Und die wären?"
Ich begann, an meinen Fingern abzuzählen.
"Erstens ist der Laden chronisch überfüllt, zweitens muss man dauernd aufpassen, nicht irgendwelche Einkaufswagen oder Möbelteile sonst wohin gerammt zu bekommen und drittens dauert eine Nachbestellung fehlender Teile mindestens sechs Wochen. Ich weiß auch nicht. Irgendwas scheint da Stuhlbeine zu fressen."
Ich beschloss, das Thema zu wechseln bevor ich noch zum kompletten Jammerknochen mutierte. "Und, wie geht es der Inschrift?"
Claudette zog einen Flunsch und zuckte mit den Achseln. "Vergiss es." Sagte sie nur. "Cims Laune ist bereits unter dem Gefrierpunkt und Gralon hat heute Mittag sämtliche bekannten Farbengeschäfte abgeklappert, aber zwecklos. Und Cim besteht wirklich darauf, dass wir uns heute Nacht am Palast auf die Lauer legen."
"Weißt du was, ihr tut mir wirklich leid."
Ich stellte meine Tasse in die Spüle und griff nach den Sarg-Seitenwänden. "Ich würde sagen, Tee mit Rum hält warm."
Und unter Claudettes gequältem Lächeln begann ich, das schwere Paket die Treppe hinaufzuschleifen während der Regen gegen die Fensterscheiben trommelte.
In meinem Büro war es bereits dämmerig.
"So, Havelock, da bin ich wieder!" Rief ich und wuchtete die Sargwände ins Zimmer. Eigentlich war das immer der Moment an dem meine Papageiin kreischend aus irgendeiner Ecke hervorgeschossen kam, sich auf meiner Schulter niederließ und an meinem Ohrring knabberte. Doch dieses Mal geschah nichts.
"Havelock?"
Keine Antwort.
Das kam mir äußerst komisch vor. Ich tastete in meiner Hosentasche nach Streichhölzern und entzündete die Kerze auf meinem alten Schreibtisch. Der Raum wurde in flackerndes, dimmes Licht getaucht. Mein Vogel saß vollkommen ruhig auf der Fensterbank und starrte wie hypnotisiert nach draußen in den Regen. Ich trat zu ihr und strich ihr über das Gefieder.
"Was ist los mit dir? Du bist doch nicht krank?"
Havelock schnarrte leise und flatterte auf meine Schulter. Dort vergrub sie ihren Kopf in meinen Haaren und zwickte mich in den Nacken. Ich schüttelte leicht den Kopf und wandte mich in Richtung Treppe. Was war bloß mit dem Vogel los...
Doch dann bemerkte ich es.
Irgendwas stimmte hier nicht.
Es war so ungewöhnlich...still.
Das leise, metallisch rasselnde Schnarchen, das für mich bereits dermaßen zur allgemeinen Geräuschkulisse gehörte, dass ich es gar nicht mehr bewusst wahrnahm- es war fort.
Ich drehte mich um.
Der Haken an dem Magnarox eigentlich immer hing wenn ich es nicht gerade mit mir herumtrug, war leer.
Und ein leichter Geruch wie von ranzigem Fusel hing in der Luft.
"Geklaut?" Fragte Claudette verwundert. "Bist du dir da wirklich sicher?"
"Wenn sich jemand mein Schwert ausgeliehen hätte, hätte er oder sie mir mindestens einen Zettel hingelegt." erwiderte ich. "Und eine Quittung der Diebesgilde hab ich auch nicht gefunden."
"Aber unlizenzierter Diebstahl? Hier im Wachhaus? Hier kommt doch keiner ungesehen die Treppe hoch." Claudette schien es nicht glauben zu wollen.
"Wer sagt, dass er durch die Tür gekommen ist?" Entgegnete ich. "Er kann genauso gut durchs Fenster geklettert sein."
"Diebstahl?" Isis schloss die Tür zum SUSI-Keller hinter sich. "Wo?"
"Bregs' Schwert ist weg." Klärte Claudette sie auf.
"Wie?" Isis klang verwundert. "Ich frag mich wer Magnarox freiwillig klauen würde... Ein Wunder, dass du es mit dem Ding überhaupt aushältst."
"Oh, das erste ist gar nicht so abwegig." Warf ich ein. "Es sind schon drei Menschen wegen dieses Schwertes gestorben."
"Was, wirklich?" Staunte Claudette.
Ich nickte.
"Verrückt, oder? Sie haben sich gegenseitig umgebracht. Na ja, manchen Leuten ist halt nicht zu helfen. Aber trotzdem verstehe ich nicht, dass sich jemand die Mühe macht bei mir einzubrechen nur um diese Nervensäge von einem Schwert zu stehlen. Die achatene Fingerfalle und meine klatschianischen Dolche hat er nicht mal angerührt."
"Wenn dich dieses Schwert so nervt," hakte Isis nach, "Wieso verkaufst du es dann nicht und besorgst dir ein anderes?"
"Weil es ein Erbstück eines guten Freundes ist." Klärte ich sie auf. "Genau wie der Papagei."
"Lass mich das ganze mal angucken." Bat die Mumie und strebte der Treppe zu wobei sie die beiden- nein, ich rede nicht mehr darüber- aufhob.
Ich schulterte den Sargdeckel und folgte ihr.
"Also, hier hing es bis heute Mittag." Ich wies auf den leeren Haken.
"Hmmm..."
Isis wandte sich zum Fenster und öffnete es. Ein kalter Sprühregen wehte von draußen herein.
"Also wer es auch immer war, er war auf jeden Fall kein Anfänger." Teilte sie dem Sturm mit. "Der Griff hat nicht einen Kratzer."
Ich barg die Kerzenflamme schützend in meiner Hand und leuchtete die Scharniere ab. Auch sie schienen unbeschädigt zu sein. Die ganze Sache wurde immer seltsamer. War dies etwa irgend so ein Püschotest? Havelock flatterte von meiner Schulter und machte sich auf dem Fußboden zu schaffen.
"Bregs, kannst du bitte mal hierhin leuchten?"
Isis wies auf eine Stelle auf dem Fensterbrett. Ich hielt die Kerze näher heran.
"Siehst du?"
Triumphierend wies die Mumie auf einen Kratzer im Lack.
"Hier muss er hängen geblieben sein, vermutlich mit dem Schwert. Aber ansonsten hat er wirklich professionell gearbeitet. Hast du schon mal auf dem Fußboden geguckt, ob die Gildenquittung nicht vielleicht doch nur runtergefallen ist?"
Ich verneinte und ließ mich auf die Knie nieder. Doch alles was ich sah war Havelock, die an etwas Undefinierbarem herumpickte.
"Jaja, du hast gut knabbern." Seufzte ich. "Dir hat ja auch nicht gerade jemand dein Erbstück geklaut."
Havelock hüpfte über den Fußboden und flatterte auf mein Knie. Das sonderbar geformte Ding in ihrem Schnabel tanzte auf und ab.
Ich griff danach.
"Was hast du denn da schon wieder gefunden?"
Es fühlte sich merkwürdig weich an.
"Isis?"
"Was ist?"
"Bring mal die Kerze her. Ich habe Havelock gerade was ziemlich komisches abgenommen."
Isis schloss das Fenster und brachte die Kerze.
"Oh je." War ihr einziger Kommentar als sie den Gegenstand in meiner Hand näher betrachtete.
Ich musste ebenfalls schlucken. Auf meiner Handfläche lag, teilweise verwest aber noch identifizierbar, ein menschliches Ohr. Isis hob es hoch und betrachtete es von allen Seiten.
"Scheint von einem Zombie zu stammen." stellte sie fachmännisch fest und wies auf die zerfetzte Abrisskante. "Anscheinend wurde es mit Gewalt abgetrennt."
Ich lächelte schwach.
"Vermutlich ist Havelock auf den Einbrecher losgegangen und hat ihn ins Ohr gebissen. Das macht sie immer. Aber warum sollte ein Zombie mein Schwert klauen?"
Isis drehte das Ohr weiterhin in ihren Fingern.
"Erstaunlich." Kommentierte sie. "Ein so großes Ohr ist mir wirklich selten untergekommen. Guck mal hier."
Sie legte die Abrisskante an ihren Zeigefinger.
"Ein ganz schönes Segelohr muss das gewesen sein."
Ich seufzte.
"Am Besten, ich sage Humph Bescheid. Das kann doch nicht angehen, dass hier jeder einfach so in ein Wächterbüro einbrechen kann. Könnt ihr von SUSI so ungefähr herausbekommen seit wann das Ohr beziehungsweise die dazugehörige Person schon tot ist? Ich weiß zwar nicht was mir das weiterhilft aber wer weiß..."
"Also, versuchen können wir es." Erklärte Isis und steckte das Korpus Delikti ein.
Ich stand vor meinem Chef und salutierte.
"Was kann ich für dich tun Gefreiter?"
Humph sah kurz auf und widmete sich dann wieder seinen Akten.
Ich holte tief Luft und bereitete mich seelisch und moralisch darauf vor, die nächste schlechte Nachricht dieser Woche zu überbringen.
"Als ich vom Möbel kaufen zurückkam habe ich festgestellt, dass jemand in mein Büro eingebrochen hat." erklärte ich.
Der Leutnant blickte abrupt von seinen Papieren auf.
"Oh. Und was wurde gestohlen?"
"Mein Schwert." Erklärte ich.
Humph sah mich an.
"Das sprechende da?" fragte er.
Ich nickte.
"Isis hat sich das Ganze angeguckt und sie meinte, es wäre ein Profi gewesen. Allerdings habe ich keine Gildenquittung gefunden."
"Hmmm..." Humph rieb sich nachdenklich das Kinn. "Ein Profi und kein Gildenmitglied... das gefällt mir ganz und gar nicht. Keiner hat bei uns einzubrechen. Kannst du dir vorstellen was der mit dem Schwert will?"
Ich verneinte und grinste schief.
"Keiner der Magnarox einmal kennengelernt hat würde es freiwillig klauen... Aber wir haben etwas gefunden."
Und ich erzählte meinem Abteilungsleiter von dem abgebissenen Zombieohr und dem Gestank von billigem Schnaps. Irgend etwas daran schien ihn zu amüsieren. Jedenfalls versuchte er krampfhaft, ein Lächeln zu unterdrücken.
[7] Ich fragte mich, warum. Mir war gar nicht nach Lachen zumute. Aber Havelocks Ohrbiss schien ihn zu interessieren.
"Und, kann der Vogel reden?" Fragte er schließlich.
Ich schüttelte den Kopf.
"Reden schon, aber er besitzt keine besonderen Fähigkeiten, falls Du das meinst, Sir"
Humph seufzte und stand auf.
"Also kein potentieller Zeuge."
Er wanderte nachdenklich auf und ab.
"Das Ganze gefällt mir immer weniger. Hast du gerade einen Fall an dem du arbeitest, Gefreiter?"
"Eigentlich bin ich gerade mitten in meiner Püschologenausbildung." erklärte ich und dachte im Stillen: Was nicht heißen soll, dass ich gegen einen Fall etwas einzuwenden hätte...
Humph nickte.
"Und du willst alleine an dem Fall arbeiten?" Fragte er und sah mich streng an.
Trotz meiner an diesem Tag schon ziemlich strapazieren Frustrationsschwelle jubelte ich innerlich. Endlich eine Abwechslung von der Phänomenomenologie des Geistes und Sigmund Leid! Aber ob ich allein an dem Fall arbeiten wollte? Ich zuckte mit den Achseln.
"Ich weiß nicht." Erklärte ich schließlich. "Erst mal brauche ich überhaupt eine Spur. Am Besten ich warte erst mal auf die Ohranalühse von SUSI und sehe dann weiter."
Humph ließ sich wieder in seinen Schreibtischstuhl fallen.
"Hmmm... gut." Kommentierte er und blätterte wieder in den Papieren auf seinem Schreibtisch. Dann hob er die Stimme.
"Hör zu, ich möchte nicht, dass du alleine irgendwelche gefährlichen Sachen unternimmst. Sobald du eine wirkliche Spur hast schnappst du dir Val und Kamikhan und
dann erst wirst du das richtig verfolgen, hörst du?"
Ich nickte nur.
"Gut, das will ich hoffen." Humph lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Na dann mach dich auf und such dein Schwert. Aaaber... Sollte ich allerdings erfahren, dass es nichts tragisches ist und ein wichtiger Fall für FROG reinkommen, werd ich dich abziehen und RUM darauf ansetzen."
Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen, dass ich hoffte, dass dieser Fall nicht eintreten würde...
Die letzte Nacht im alten Sarg...
Ich lag wach und starrte an die Innenseite des Deckels. Was für ein Tag. Erst die Stuhlbein-Pleite und dann auch noch ein Einbruch den ich mir absolut nicht erklären konnte. Ein besoffener Zombie, dem Fuselgeruch nach zu urteilen. Was wollte ein Zombie mit Magnarox? Wenn er ein Schwert haben wollte, warum machte er sich dann die Mühe, ins Wachhaus einzusteigen und das Fenster eines Wächterbüros auf ziemlich professionelle Weise zu knacken? Nichts an dem Fall machte Sinn. Selbst wenn Isis und Co das Ohr datieren konnten, was würde mir das weiterhelfen? Ich war so ratlos wie die SEALS im Palastmauerfall. Die taten mir eh in jenem Moment mal wieder leid. Während ich im Warmen und Trockenen lag, lauerten sie rund um den Patrizierpalast dem verrückten Schmierer auf. Ich wettete immer noch mit mir selbst, dass, falls morgen wieder eine Drohung auftauchen sollte, sie mindestens neun Ausrufungszeichen aufwies. Irgendwie hatte Sigmund Leid trotz seiner ausschweifenden Spekulationen übe!
r das Liebesleben diverser Spezies doch recht- Verrückte gab es immer und überall. Bloß die Methoden zur Kompensierung ihres Wahnsinns unterschieden sich.
Allerdings sollte ebenjene Nacht nicht gerade erfreulich enden. Ein lautes Hämmern auf den Sargdeckel riss mich abrupt aus dem Schlaf. Ich blinzelte. Was war denn nun schon wieder los? Da hörte ich auch schon Cims Stimme.
"Bregs! Bist du da drin?"
"Was ist denn?" Rief ich zurück, stieß den Deckel auf und blickte direkt in die Nasenlöcher des Lance-Korporals.
"Du glaubst es nicht." Seufzte dieser und ließ sich auf den Fußboden fallen.
"Was soll ich glauben? Dass ihr den Schmierer erwischt habt?"
Cim schnitt eine Grimasse.
"Vergiss es. Wir lagen die ganze Nacht am Palast auf der Lauer und als wir heute Morgen zum Wachhaus zurückkamen, rate mal, was dort an der Wand des Opernhauses stand."
"Was hat er diesmal geschrieben?" Fragte ich.
"Der Tag der Abrechnung ist da, Havelock. Mit neun Ausrufungszeichen."
"Au weia."
"Und natürlich hats wieder mal keiner gesehen. Also langsam reichts mir. Wenn wir nicht bald irgendwas finden..."
"Was dann?"
"Ich weiß es nicht." Cim schlug frustriert mit der Hand auf die Sargkante. "Und jetzt wurde auch noch dein Schwert geklaut?"
Ich nickte.
"Der zweite völlig sinnlose Fall diese Woche."
Es klopfte an der Tür.
"Herein!" Rief ich und setzte mich auf. Isis kam herein, in der Hand eine Tüte.
"Clara und ich haben das Ohr untersucht." kam sie ohne Umschweife zur Sache. "Also, der Einbrecher war schon mindestens fünfundzwanzig Jahre tot. So genau kann man das leider nicht mehr bestimmen, aber es dürfte schon hinkommen. Außerdem wurde er in einer Substanz die wir als Bärdrückers Leckertropfen identifizieren konnten geradezu mariniert."
"Hmmm..." Ich überlegte. "Vor fünfundzwanzig Jahren wurde ich gerade erst geboren. Und ich kann mich nicht daran erinnern es mir in meinem Leben irgendwann mal mit einem Zombie verscherzt zu haben. Aber trotzdem Danke. Vielleicht hilft es ja irgendwann doch noch weiter. Obwohl ich allerdings noch nicht die geringste Ahnung habe wie.."
"Die Wächter im Büro- ratlos." unkte Cim und wandte sich zum Gehen. "Also was wetten wir? Morgen elf Ausrufungszeichen?"
Wer nicht glaubte, dass der vorige Tag noch eine Steigerung erfahren konnte hatte sich gründlich getäuscht. Anderthalb Stunden nachdem mich Cim so unsanft geweckt hatte saß ich in einem Haufen wild durcheinanderliegender Möbelteile und war gründlich frustriert.
[7a]Nachdem ich schon mal wach war, hatte ich mich an das Zusammenbauen meiner Möbel gemacht. Beziehungsweise hatte ich es vorgehabt. Und mich der allgemeinen Logik entsprechend auf die Suche nach der Montageanleitung gemacht und sie schließlich im allerletzten Paket in der untersten Ecke gefunden. Von der langen Suche genervt hatte ich sie aufgeschlagen und schon der allererste Abschnitt hatte mir das metaphoriche Äquivalent der berühmten Faust in die Magengrube gerammt. Er lautete folgendermaßen:
Zum Zusammenbau des Sargs TORSO beachten Sie bitte die folgenden Hinweise:
-Folgen Sie unbedingt den Instruktionen der Montageanleitung!
-Packen Sie die einzelnen Teile auf keinen Fall vor dem in der Anleitung angegebenen Moment aus!
Es war wieder eine jener Situationen in denen ich glaubte, dass sich die Logik endgültig von der Scheibe verabschiedet hatte. Warum hatten sie nicht einfach eine Anleitung in jedes Paket gesteckt? Konnte das denn so schwer sein? Irgendwer da oben auf Cori Celesti schien es in den letzten Tagen überhaupt nicht gut mit mir zu meinen... Ich stand auf, setzte mich an meinem alten, wackeligen Schreibtisch auf die Wahooniekiste und stützte den Kopf in die Hände. Was die Aussicht allerdings auch nicht gerade verbesserte- auf meinem aufgeschlagenen Exemplar von 'Warum Männer nie zuhören und Frauen den Eselskarren nicht vernünftig einparken können' lag die Tüte mit dem Ohr, die Isis mir vorhin vorbeigebracht hatte. Ich kippte sie aus und entfaltete den Bericht. Er gab eigentlich nichts neues her, außer dass die Größe auch Clara Bienchen erstaunt zu haben schien. Mit dem Fall war es wie mit den Einzelteilen meiner Möbel: Ich wusste einfach nicht wo ich anfangen sollte. Und dabei hatte ich immer gehofft, dass mein erster richtiger Fall eine aufregende Sache werden würde, mit Verhören, nächtlichen Einsätzen und allem drum und dran. Charlie Holm hätte nun sicher behauptet aufgrund der vielen Eddie Wollas-Romane sei meine Phantasie eh ein wenig überzogen. Ich konnte mir richtig vorstellen wie er das Ohr mit seinem Vergrößerungsglas genau untersuchte, sich das Kinn rieb, 'Elementar mein lieber Bregs, elementar' murmelte und anschließend eine Viertelstunde lang die seltsamsten Schlüsse zog. Was nicht unbedingt bedeutete, daß irgendeiner davon auch stimmte, aber wenigstens fiel ihm in solchen Situationen etwas ein. Im Gegensatz zu mir, der ich mich damit begnügte, anwechselnd auf den leeren Haken, das Ohr und das Brettergewirr auf meinem Fußboden zu starren.
Ich hatte mir nie vorstellen können, dass es einmal soweit kommen würde, aber ich vermisste Magnarox. Die Klinge war frech, wehleidig und manchmal ziemlich nervig gewesen, aber irgendwie war sie während der letzten drei Jahre zu einem Teil meines Lebens geworden. Es war schon beruhigend, in akuten Gefahrensituationen ein drei Fuß langes, scharfes Stück Metall in Reichweite zu wissen. Ich war kein besonders herausragender Schwertkämpfer, aber allein die Tatsache, dass einem eine deutlich sichtbare Waffe am Gürtel hing konnte schon gewisse Unannehmlichkeiten ersparen... Havelock flatterte auf die Tischplatte und pickte mich in den Arm. Ich sah auf. "
Recht hast du." Bemerkte ich. "Erst mal das Chaos hier beseitigen, dann sehen wir weiter."
Mir kam eine Idee. Plötzlich Wuste ich, wie ich meine Möbel zusammenbekommen konnte.
Eine Minute später klopfte ich an die Tür von Dennis Schmieds Büro.
Das war wirklich eine der schönsten Seiten an der Wache: Wenn man ein Problem hatte, gab es fast immer jemanden der es lösen konnte, zumindest wenn es gewisse handwerkliche Fähigkeiten betraf. Innerhalb von anderthalb Stunden hatte Dennis nicht nur meine neuen Möbel aufgebaut
[9] sondern auch die alten fachmännisch zerlegt. Nun stapelte sich mein gesamtes Hab und Gut auf dem neuen Schreibtisch und Havelock rüttelte vergeblich an den Stäben ihres Käfigs in den ich sie zum Eingewöhnen schon mal hineingesetzt hatte.
"Dennis," seufzte ich glücklich, "Du kannst dir gar nicht vorstellen wie dankbar ich dir bin."
"Och, da nicht für." erklärte Dennis in seiner direkten Art und wischte sich die Hände an seiner Hose ab. "Aber falls du mal zufällig im 'Eimer' vorbeikommst..."
Ich grinste.
"Abgemacht."
"He, das bewahrst du immer noch auf?"
Dennis hielt das zerknitterte, mit Würstchenfett beschmierte Programmheft der Fuhsball-Scheibenmeisterschaften hoch.
"Natürlich." Erwiderte ich. "Das ist eine Trophähe! Von so was trennt man sich nicht! Dieses Programmheft und ich, wir haben zusammen ziemlich viel mitgemacht."
"Hehe," lachte Dennis. "Kanndra scheint ja ziemlich schnell über Danisahne hinweggekommen zu sein nachdem raus war, dass er betrogen hatte. Jedenfalls hat sie seitdem nicht mehr von ihm geredet. Sie ist jetzt auch bei FROG, oder?"
Ich nickte.
"Sie ist jetzt Späherin. Auch gerade in Ausbildung."
"Aah, die Fingerfalle." Dennis sah sich weiter in meinen Erinnerungsstücken um. "Nein, ich kenne die Geschichte wie sie auf Rinas Lanfears Finger festsaß. Und was ist das hier für eine Ikonographie? Scheint schon älter zu sein. Warum bewahrst du ein Iko von fünf Assassinen auf?"
"Einer von ihnen war ein guter Freund von mir." Erklärte ich. "Das Bild wurde gemacht bevor er einen kleinen Unfall mit einem Sumpfdrachen hatte der ihn ein Bein gekostet hat."
"Autsch." Dennis verzog das Gesicht. "Das klingt ja gar nicht nett...
war ein guter Freund?"
"Ja, leider war." Bestätigte ich ein wenig traurig. "Er starb vor über drei Jahren bei einem Unfall in Ecalpon. Unter anderem war auch ein vieldeutiger Puzuma darin verwickelt."
"Oh." Dennis wirkte erstaunt. "Das tut mir leid."
"Er hat mir Magnarox vererbt." Bei der Erwähnung der Klinge machte sich meine gute Laune langsam aber sicher wieder aus dem Staub.
"Hast du eigentlich schon eine Spur?" Wollte Dennis wissen.
Ich hielt ihm die Tüte mit dem Ohr unter die Nase.
"Igitt." Kommentierte Dennis nur.
"Das ist alles." Erklärte ich ihm.
"Wie bei dem Schmierfink." Seufzte Dennis. "Glaub mir, Bregs, ich kann langsam keine rote Farbe mehr sehen." Er klemmte sich sein Allzweck-Taschenmeser hinter den Gürtel."Wie dem auch sei- der Spinner ruft. Und wenn wir ihn kriegen bekommt er drei Wochen T.M.S.I.D.R.-Schnapper-Diät." Ein hinterhältiges Grinsen schlich sich auf seine Lippen als er sich zum Gehen wandte.
"Viel Glück noch!" Rief ich ihm hinterher.
"Ebenfalls!" Kam seine Antwort aus dem Flur.
Ich warf die Ohrtüte auf den Schreibtisch. Mit einem leisen Platschen landete sie genau auf dem alten Ikonographenbild, das Dennis auf einem Stapel Bücher abgelegt hatte. Meine Gedanken schweiften ab, als ich das Regal mit diversen Büchern voll zuräumen begann. Jorge. Bevor ich die Ikonographie gesehen hatte ich ihm mir nie anders als den fülligen, einbeinigen Schiffskoch mit der Neigung zu Flüchen und Kautabak vorstellen können. Assassine war er gewesen. Doch das hatte ich, wie die meisten Sachen über ihn, erst nach seiner Begegnung mit Kommandeur Tod erfahren.
Ich konnte nicht anders- nachdem ich einen Stapel noch leerer Akten ins oberste Fach befördert hatte schob ich die Tüte von der Ikonographie und sah sie mir noch einmal genau an. Das Bild war schwarzweiß und an den Rändern schon ziemlich vergilbt. Die fünf frischgebackenen Assassinen blickten stolz in die Linse. Über ihnen hing ein Spruchband mit der Aufschrift 1868.
Ich kannte die Namen von allen. Der kleine, feiste mit dem breiten Grinsen. Der spiddelige mit dem Milchgesicht. Der große, schlanke mit dem schwarzen Pferdeschwanz und dem durchdringenden Blick. Der blonde mit den Kaninchenzähnen. Der gelackte Schönling mit den Segelohren. Und bis auf einen waren sie alle tot.
Und die Ursache war mir am Tag zuvor gestohlen worden.
Irgend etwas in meinem Kopf schrie verzweifelt nach Aufmerksamkeit. Der gelackte Schönling mit den...
Langsam glitt mein Blick von der Ikonographie zu der Tüte mit dem abgerissenen Ohr.
Das Etwas rammte mir seinen metaphorischen Ellenbogen in die Hirnwindungen.
Vor meinem geistigen Auge erschien Isis wie sie das Ohr an ihren Finger legte und über die Größe staunte.
Das Etwas schlug mit aller Macht zu.
Und plötzlich war alles sonnenklar.
Und in meiner Erinnerung hörte ich wieder jene kühle Stimme mit dem leicht ironischen Unterton wie sie mir berichtete, was damals, vor mittlerweile gut dreißig Jahren, wirklich passiert war:
"Wir waren fünf, die wir im Jahre 1968 die Abschlussprüfung der Assassinengilde überlebten. Jorge Di Aguila, Bernicio Cassawar, Jonathan Ferrero, Martinus von Brodelschwingh und ich. Und so hielt das damalige Gildenoberhaupt, Professor Follett, es offenbar für eine gute Idee, uns fünf auf eine Gruppe barbarischer Helden anzusetzen, die ein Herrscher, dessen Namen ich jetzt nicht nennen will, gern aus dem Weg haben wollte. Also begaben wir uns auf eine kleine Reise und entdeckten unsere Klienten schließlich in einem Wäldchen an einem Lagerfeuer. Nun, wir waren zu fünft und sie waren zwölf. Ich plädierte dafür, den Auftrag sauber mit vergiftetem Wildbret zu erledigen, wurde aber leider von meinen Kollegen überstimmt. Aber um es kurz zu machen: Wir inhumierten sie, wenn auch ziemlich stillos, in einer Art Überraschungsangriff. Gerade als wir die Gildenquittung an den nächsten Baum genagelt hatten und eigentlich schon auf dem Rückzug waren hörten wir plötzlich eine Stimme, die sich lauthals darüber beschwerte, immer noch in den sterblichen Überresten ihres früheren Besitzers zu stecken. Neugierig geworden sahen wir nach, denn wir waren uns ziemlich sicher, alle unsere Klienten vorschriftsmäßig inhumiert zu haben. Unter diversen Leichenteilen fanden wir schließlich die Klinge . Erstaunlicherweise kam es bereits schätzungsweise eine halbe Minute später zum ersten Streit um die Waffe. Woraufhin ein zweites Mal ziemlich schlechter Stil gezeigt und unser Freund Magnarox einfach mitgenommen wurde. Dieses führte wiederum dazu, dass sich meine vier Kollegen während der gesamten Heimfahrt eigentlich nur darum zankten, wem das Schwert denn nun eigentlich gehören sollte. Kurz vor den Mauern Ankh-Morporks mischten sich bereits die ersten Inhumierungsdrohungen in den Streit und ich begriff, dass ich etwas unternehmen musste, um nicht mit vier Leichen im Gepäck zum Gildenhaus zurückzukehren. Ich verstehe ehrlich gesagt immer noch nicht, was die anderen an dieser hypochondrischen und chronisch Leute beleidigenden Klinge überhaupt so begehrenswert fanden, dass sie sich deswegen die Köpfe einschlagen wollten. Vermutlich sahen sie darin eine Art Statussymbol.
Da entwickelte ich die Idee mit den Schlüsseln. Das Schwert kam an einen sicheren Ort, der mit fünf Schlössern verschlossen war, von deren Schlüsseln wir jeder einen erhielten. Starb einer von uns, so sollte sein Schlüssel an einen anderen weitergegeben werden und der letzte der noch lebte sollte die Klinge schließlich bekommen. Ja, fünf Schlösser, Araghast. Die anderen verlangten, dass ich mich an der Sache beteiligen sollte. Und so geschah es dann auch.
Zwei Jahre später starb Ferrero auf ziemlich unerklärliche Weise bei einem Auftrag. Sein Tod galt als Berufsunfall, aber mein Mitrauen war geweckt. Jemand wie Jonathan stürzte nicht einfach kopfüber in einen Kamin. Aber die Leiche war zu verrußt und verstümmelt als man sie fand, als dass man an ihr noch die Spuren äußerer Gewaltanwendung feststellen konnte. Allerdings war der Schlüssel verschwunden. Fünf Monate darauf kam Martinus von Brodelschwingh bei einem Eselskarrenunfall ums Leben. Er war auf offener Straße einfach überfahren worden. Wieder wurde es als Unfall deklariert und wieder fehlte der Schlüssel. Blieben noch zwei Verdächtige: Jorge Di Aguila und Bernicio Cassawar. Doch zum Ermitteln fehlte mir in jenen Wochen die Zeit, denn du weißt ja, die ganze Aufregung in den letzten Tagen Lord Winters und die ganze Geschichte mit den Barrikaden. Und danach erforderten andere Dinge meine Aufmerksamkeit und, ich muss sagen dummerweise, habe ich mich nicht weiter um die Schlüsselgeschichte gekümmert. Bis Jorge Di Aguila eines Nachts in seine Wohnung zurückkehrte und direkt auf einen Sumpfdrachen trat, dessen Detonation ihm das Bein abriss. Nach dem Vorfall verließ er die Gilde und fuhr zur See, wo er dir begegnete. Doch das ist eine andere Geschichte. So blieben Cassawar und ich. Und eines Nachts, auf dem Dach von Bärdrückers Whiskeydestille, stellte ich ihn zur Rede. Er stritt die Morde nicht etwa ab, noch versuchte er sich zu verteidigen, nein, er legte es darauf an, mich vom Dach zu stürzen. Doch leider, und das war schon immer seine Schwäche gewesen, war er zu langsam. Als er merkte, dass er mich auf diese Weise nicht tot bekam, zog er sein Messer, und ich muss zugeben, dass es mich beinahe erwischt hätte, wenn ich die Klinge nicht mit dem Arm pariert hätte. Es war wirklich ein Kampf auf Leben und Tod: Entweder er oder ich. Doch am Ende verlor er das Gleichgewicht und fiel in einen der Whiskeybottiche, wo er ertrank. Ich verwischte alle Spuren des Kampfes und untersuchte die Leiche. Tatsächlich, an Cassawars Halskette hingen die beiden fehlenden Schlüssel neben seinem eigenen. Ich nahm sie an mich und verschwand. Interessanterweise wurde der Tote erst fünf Tage später gefunden als jemand bei Bärdrückers sich über die ungewöhnlich schwärzliche Farbe des Whiskeys gewundert hatte. Auf mich fiel nicht der geringste Verdacht. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, sich nicht anmerken zu lassen, dass einem nur wenige Tage zuvor zwanzig Zentimeter Stahl durch den Arm gerammt worden waren. Cassawar wurde beerdigt und ich setzte mich für einige Monate nach Überwald ab. Und so vergingen die Jahre und die Schlüssel lagerten unbeachtet in einem Kästchen in meinem Schreibtisch. Bis du kamst."
Ja. Bis ich, Araghast Breguyar, vor mittlerweile drei Jahren den letzten Schlüssel nach Ankh-Morpork zurückbrachte um den letzten noch lebenden Absolventen des Jahrgangs 1968 zu suchen, als Anhaltspunkte nichts als eine alte Ikonographie, die letzten Worte meines Freundes und einen ziemlich seltsamen Spitznamen. Und ich werde nie den Moment vergessen, als die fünf Schlüssel in die fünf Schlösser einrasteten und sich das Versteck im hohlen Grabstein langsam öffnete. Und erst recht nicht den Moment als Magnarox nach langer Zeit zum ersten Mal wieder an die frische Luft kam und eine ellenlange Schimpftirade auf die Fünf die es eingesperrt, die Kälte in seinem Versteck und die Welt im allgemeinen losließ. Der letzte Assassine hatte leise gelacht.
"Nimm es, Araghast." Hatte er gesagt. "Ich wollte es eigentlich nie haben. Jorge wäre der eigentliche letzte gewesen. Aber da du sein Erbe bist sollst du es bekommen."
Tja, da sah man mal wieder die Ironie des Schicksals. Am Ende bekam derjenige den Preis, der ihn eigentlich gar nicht haben wollte.
Und nun hatte sich Bernicio Cassawar wieder aus seinem Grab erhoben. Er war in mein Büro eingedrungen und hatte Magnarox gestohlen. Für einen Assassinen, selbst für einen Untoten, war es natürlich ein Leichtes gewesen, mein Fenster zu knacken.
Und mir wurde auch plötzlich sonnenklar, was er mit meinem Schwert vorhatte...
Es klopfte.
"Herein!" Rief ich und lehnte die Ikonographie gegen den Kerzenhalter.
Kanndra trat ein und sah sich um.
"Ich hab von Dennis gehört, dass deine neuen Möbel endlich stehen..."
Sie starrte mich an.
"Was ist los mit dir? Du grinst wie jemand der mindestens neun Ausrufungszeichen benutzt."
Kanndra," verkündete ich, "Ich weiß, wer Magnarox geklaut hat. Und ich weiß auch wer für die Morddrohungen an der Palastmauer verantwortlich ist."
Kanndras Augen wurden noch größer.
"Wirklich?" Fragte sie verblüfft.
Irgendwer da oben in Würdentracht schien etwas gegen Theatralik zu haben, denn genau diesen Moment nutzte mein AEKI-Regal, um unter dem Gewicht meiner Bücher laut krachend einzustürzen.
Zwei Stunden später
Der Archivar der Assassinengilde musterte mich missmutig über den Rand seiner Brillengläser hinweg.
"Das Sterberegister?" Fragte er ungläubig.
"Ja." erklärte ich. "Ich suche einige Informationen über den Tod eines Assassinen namens Bernicio Cassawar."
"Hmmm..." Der Archivar schien zu überlegen.
"Bernicio Cassawar?" Hakte er nach.
"Genau der." Bestätigte ich und seufzte innerlich. Warum hatte Humph nur ausgerechnet mich hier hingeschickt? Nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, war er sogleich zum Kommandeur gelaufen und hatte ihn überredet, den Schmiererei-Fall FROG zu übertragen. Und nun durfte ich mich mit einem schnöseligen Archivar herumschlagen, der anscheinend der Meinung war, dass selbst ein Verwaltungsangestellter der Assassinengilde das Recht hatte, auf alle möglichen anderen Personen herabzusehen.
"Und wozu benötigst du die Informationen?" Bohrte er weiter nach. "Eigentlich ist sein Tod eine Gildenangelegenheit in die die Wache ihre Nase nicht hereinzustecken hat."
"Nun, es besteht der Verdacht auf unlizenzierten Mord." versuchte ich, an den Gildenkodex zu appellieren.
Der Archivar sah mich mitleidig an.
"Mein lieber Wächter," sagte er mit süffisantem Ton in der Stimme, "Dir ist doch bewusst, das Bernicio Cassawar bereits vor dreißig Jahren verstarb?"
"Eben darum geht es." Verteidigte ich mich. "Irgendwie wurde er wieder ausgegraben und nun steht er als Zombie unter dem Verdacht des geplanten unlizenzierten Mordes."
"Soso." Kommentierte der Archivar und verschränkte die Arme. "Und was willst du nun genau über ihn wissen?"
"Wo er begraben wurde."
"Ahja."
Der Archivar verschwand zwischen den hohen Regalen der Gildenbibliothek und ich hoffte inständig, daß er nicht geradewegs in Lord Witwenmachers Büro marschierte und sich über allzu neugierige Wächter beschwerte die die Frechheit besaßen, ein wenn auch verstorbenes Gildenmitglied eines unlizenzierten Verbrechens zu beschuldigen. Doch offenbar hatte ich Glück: Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit einer dünnen Akte in der Hand zurück und warf sie auf sein Lesepult.
"Da, nimm." Sagte er in einem meiner Meinung nach ziemlich überheblichen Ton. "Aber wehe du stiehlst irgendein Blatt oder tropfst Kaffee drauf."
Vorsichtig schlug die erste Seite auf. Es war das Aufnahmeformular Cassawars in die Gildenschule. Ich blätterte weiter und überflog diverse Zeugnisse und Prüfungsergebnisse, bis ich schließlich zu den Aufträgen gelangte. Dort stand es. Inhumierung barbarischer Helden im Auftrag König Venantius' von Sto Kerrig, erfolgreich ausgeführt, datiert auf den 27. August im Jahre 1968. So ging es dreieinhalb Jahre weiter, bis schließlich auf der letzte Seite der Akte kurz und knapp folgender Eintrag zu finden war: Tod am 10. März 1972 durch Ertrinken in einem Whiskeybottich in Bärdrückers Brennerei. Begraben auf dem Berengar-Friedhof Nähe Deosiltor.
Der Berengar-Friedhof. Genau dort war auch Magnarox versteckt gewesen.
Vorsichtig schloss ich die Akte und verließ die Bibliothek der Gilde. Jetzt musste ich nur noch Cassawars Grab finden und nachsehen ob es geöffnet worden war.
Es war Nacht auf dem Berengar-Friedhof und im trüben, diffusen Licht des Mondes waberten Nebelschwarden um die Grabsteine. Irgendwo in den kahlen Ästen eines Baumes schrie ein Käuzchen. Fledermäuse zuckten über den Himmel. Mit schlurfenden Schritten wanderte ein Grabräuber den Weg vom Tor herunter, über der Schulter eine Schaufel und in der Hand eine schwach leuchtende Laterne. Nach zirka hundert Metern bog er in einen schmalen Nebenpfad ab und blieb schließlich vor einem ganz bestimmten Grab stehen. Der Stein war in Form einer Faust gemeißelt worden, die einen Dolch gen Himmel reckte, dessen Spitze genau in jenem Moment auf die volle Scheibe des Mondes wies. Der Grabräuber stellte seine Laterne ab und rammte die Schaufel in die weiche Erde. Wäre er des Lesens mächtig gewesen, hätte er den Namen lesen können, der ohne Angabe eines Geburts- oder Sterbedatums die Knöchel der steinernen Faust zierte:
CASSAWAR
Langsam wanderte der Mond auf seiner Bahn über den Himmel. Nach einer Stunde Arbeit hörte der Grabräuber in dumpfes Geräusch aus seine Schaufel auf etwas Hohles stieß- den Deckel eines halbverrotteten Sarges. Begierig hackte er mit seiner Schaufel ein Loch hinein...
....und ließ sein Grabewerkzeug plötzlich schreckerstarrt fallen.
Eine halbverweste Hand bohrte sich durch das soeben gehackte Loch und riss den Sargdeckel mit einem einzigen Ruck ab. Panik überkam den Grabräuber. Er krallte sich am Rand der Grube fest und seine Füße kratzten verzweifelt an dem senkrechten Erdwall, doch etwas umschloss seinen Knöchel wie eine Eisenklaue und zerrte ihn zurück in die Tiefe. Er kam hart auf dem Rücken zu liegen und blickte direkt in das bleiche Antlitz des Mondes. Doch da schob sich ein männliches Wesen in sein Blickfeld. Hautfetzen hingen an seinem Gesicht herab und der obligatorische dicke, schleimige Wurm kroch aus einem Nasenloch. Der Grabräuber hatte nur noch das Bedürfnis zu schreien, brachte jedoch vor Entsetzen kein Wort hervor. Da begann der Zombie in einer Wolke scheußlichsten Mundgeruches zu sprechen:
"Wo ist der Hundebelästiger, dieses Schwein?"
"Ich...ich kenne ihn nicht!" Stammelte der Grabräuber und versuchte gleichzeitig, durch die Ohren zu atmen, "Vo-von we-wem re-re-reden Sie da ü-überhaupt?"
Der Untote griff sich an den Hals. Dort hing ein dünnes Goldkettchen über seinen zerlumpten, schwarzen Kleidern.
"Diese Ratte!!!" Brüllte er plötzlich in die Nacht. "Er hat meinen Schlüssel!!! Verflucht sei er bis in alle Ewigkeit, dieser Sohn einer Näherin!!! Mörder!!! Dieb!!! Na warte nur, die Rache wird kommen und das Schwert wird endlich mein sein!!!"
Drohend und fluchend kletterte der Zombie aus der Grube und ließ einen ziemlich verblüfften Grabräuber zurück, der sämtlichen Göttern für sein Überleben dankte, der Grabräuberei für immer abschwor und beschloß, in Viericks ein neues Leben als Schafscherer zu beginnen...
Ich wettete, dass Eddie Wollas es auch nicht besser hinbekommen hätte. Ein Auftakt wie er im Buche stand, dachte ich, als ich im Wächtergang in Richtung Deosiltor schlenderte. Dramatisch, unheimlich, stilvoll- wie es sich für die Auferstehung eines Assassinen gehörte. Ganz anders als sein Tod- In einem Bottich von Bärdrückers Fusel elendig zu ersaufen gehörte nicht gerade zu meinen liebsten zehn Millionen Wegen zu sterben. 'Berengar-Friedhof' murmelte ich vor mich hin, als ich mich durch das Gedränge auf dem Bürgersteig schob. Ich fragte mich, ob es irgendwo etwas umsonst gab, denn viele Leute schleppten Kisten, Koffer und Pakete mit sich herum. Einem Handwagen ausweichend schob ich mich in einen kleinen Laden und drängelte mich zum Tresen durch.
"Kann ich dir irgendwie helfen?" fragte die Frau hinter der Kasse und nahm einen Schluck aus einer Tasse, deren Inhalt wie ein klatschianischer Basar roch.
"Können Sie mir vielleicht sagen, was da draußen los ist?" Stöhnte ich. "Hier kommt man ja kaum noch vorwärts!"
Die Ladenbesitzerin seufzte.
"Es ist schrecklich. Seit ein paar Tagen kommt man hier überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Alle rennen sie zu diesem neuen Möbelhaus. Eine Frechheit ist das!"
Sie stemmte die Hände in die breiten Hüften und warf mir einen Blick zu, aus dem ich das 'und was tut die Stadtwache dagegen?' schon geradezu herauslesen konnte.
AEKI. Natürlich. Das erklärte alles.
"Nun, in ein paar Tagen hat sich das Ganze bestimmt wieder beruhigt." erklärte ich mit einem gewissen Quäntchen Sarkasmus in der Stimme. "Wenn die Leute erst mal die Nase voll davon haben, dass ihr Regal alle drei Stunden zusammenbricht... Aber was ich eigentlich fragen wollte: Wie komme ich von hier aus zum Berengar-Friedhof?"
Die Frau schnaubte und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Da kommst du leider ein paar Monate zu spät, junger Mann." erklärte sie. "Sie haben sie alle ausgegraben, jawohl. Sogar meinen armen Großvater. Und nun liegen sie alle in der Krypta. Vergiss es. Der Friedhof existiert nicht mehr."
"Existiert nicht mehr?" Hakte ich nach. "Warum hat man ihn aufgelöst?"
"Sie brauchten Platz für ihren verdammten Möbelladen."
"Na wunderbar." Höhnte Humph, als ich ihm Bericht erstattete. "Räumen einen Friedhof und graben dabei einen Verrückten aus, mit dem
wir uns nun wieder herumschlagen dürfen. Er könnte überall sein!"
"Reg dich nicht auf, Humph." Spieß Ecatherina Erschreckja, Stellvertretende Abteilungsleiterin und Schwester meines Vorgesetzten, gab ihm einen Rippenstoß. "Was kann der arme Gefreite denn dafür?"
"Nichts." Humph knirschte mit den Zähnen. "Aber das ändert nichts an der Sachlage. Wir haben nur einen Namen, ein Ohr und eine uralte Ikonographie. Und diese Stadt hat mehr Kellerlöcher als Aborte. Da könnten wir Jahre suchen! Gefreiter?"
"Ja?"
Ich nahm Haltung an.
"Hol Charlie, Gold Moon, Kanndra und Valdimier her. Lagebesprechung in zehn Minuten."
Warum hatte ich bloß das Gefühl, dass dieser Fall immer hoffnungsloser wurde? Kaum hatte man eine Spur, löste sie sich auch schon wieder in Luft auf. Und meine schöne Theorie für Cassawars Auferstehung konnte ich auch vergessen. In der harten Realität gab es leider keinen Platz für schaurige Romantik. Wahrscheinlich war Casawar ganz profan von ein paar Arbeitern ausgegraben worden die den Auftrag hatten, die Gräber zu räumen. Was mich allerdings ein wenig wunderte war die Tatsache, dass sein Körper, nach dem Zustand des Ohres zu schließen, für dreißig Jahre im Grab noch ziemlich intakt zu sein schien. Vermutlich hatten Bärdrückers Leckertropfen als eine Art Konservierungsmittel gewirkt. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Zombie mit gezogenem Schwert auf den Patrizier vorrückte und musste dabei wider Willen grinsen, als die Situation an meinem geistigen Auge vorbeischwebte: Ein wütend herumbrüllender, ohrloser Cassawar, ein völlig gelassener Vetinari und ein Schwert, das beiden pausenlos Beleidigungen an den Kopf warf.
"Was gibt's da zu grinsen, Bregs?"
Valdimier van Varwald, frisch gebackener leichter Armbrustschütze und ebenfalls Fuhsball-Meisterschafts-Veteran, rammte mir seinen spitzen Ellenbogen in die Seite.
"Äh, nichts." Stammelte ich, aus meinen Gedanken gerissen. "Ich habe mir nur gerade Magnarox' Reaktion darauf vorgestellt, plötzlich einen alten Bekannten wiederzusehen. Ich soll dir übrigens vom Chef ausrichten, dass wir uns gleich in seinem Büro zur Lagebesprechung treffen."
"Oh. Gibt es endlich eine vernünftige Spur?"
Ich warf ihm einen düsteren Blick zu.
"Eher genau das Gegenteil."
Die Karte der Stadt lag ausgebreitet vor uns auf Humphs Schreibtisch.
"Also wenn ich richtig verstehe," der Oberleutnant wies mit seinem Bleistift auf ein grünes Fleckchen in der Nähe des Deosil-Tors, "Liegt hier jetzt AEKI."
Ich bejahte.
Wir beobachteten schweigend, wie Humph den ehemaligen Friedhof mit hastigen Strichen einkreiste und in großen Blockbuchstaben 'AEKI' darüberschrieb.
"Kehren Zombies eigentlich zum Ort ihres Todes zurück?" Fragte Gold Moon nachdenklich.
Allgemeines Achselzucken.
"Ich weiß nicht," erklärte Eca schließlich, "Wenn ich in einer Whiskeydestille gestorben wäre, würde ich auf keinen Fall dorthin zurückkehren. Andererseits...," sie rieb nachdenklich ihr Kinn, "Hat man von dort aus einen guten Blick auf den Palast."
Sie sah mich an.
"Was würde unser angehende Püschologe denn über Cassawars Verhalten vermuten?"
Warum wurde mir diese Frage in letzter Zeit eigentlich von so ziemlich jedem gestellt? Hatte meine Meinung denn so viel Gewicht? Oder wollte man nur testen ob ich langsam in der Lage sei eine differenzierte Analühse vorzunehmen...
Ich versuchte es mit der Flucht nach vorn.
"Also wenn er wirklich vorhat, den Patrizier zu töten," begann ich ausweichend. Wo blieben nur die Inspirationen wenn man sie brauchte?
'Was dann?' schienen mich die Blicke der übrigen zu fragen.
"Äh, ich nehme sogar stark an, dass er es versuchen wird."
Fieberhaft dachte ich nach. Was faselte ich mir da eigentlich zusammen? Mein erstes Täterprofil und dann gleich so ein schwammiges Geseiere. Der Kram der in den ganzen Büchern stand half mir in diesem Moment überhaupt nicht weiter. Sigmund Leid, warum hattest du dich nicht mal zur Abwechslung mit püschopathischen Zombies statt mit Beziehungen aller Art befasst?
"Öhm, und nach den Theorien Doktor Püsch. Oswald Piepenstengels der sich eingehend mit den Abgründen der Seele auseinandergesetzt hat..."
Meine Stimme erstarb unter dem Blick den mir der Oberleutnant zuwarf. Er kam um den Tisch herum und packte mich bei den Schultern.
Jetzt ist es aus und ich muss zurück zu GRUND, dachte ich nur und wünschte mir von ganzem Herzen, klein genug zu sein um im Rohrpostsystem zu verschwinden.
Doch Humph schrie mich wider Erwarten nicht an. Er sah mir nur tief in die Augen.
"Jetzt mal ohne die ganzen Bücher und abstrusen Theorien irgendwelcher verrückten alten Männer: Was denkst du wirklich?"
Ich atmete tief durch und versuchte mir vorzustellen, wie ich handeln würde wenn ich nach dreißig Jahren plötzlich ausgegraben würde, voller Wut auf denjenigen der mich getötet und somit in den Besitz dessen gekommen war, was ich am allermeisten auf der ganzen Welt begehrte.
"Wenn ich Cassawar wäre," erklärte ich schließlich vorsichtig, "würde ich zusehen, dass ich das Schwert bekomme und meinen Mörder bei der nächstbesten Gelegenheit damit in Stücke hacken. Selbst wenn ich mir meinen Tod selbst zuzuschreiben habe: Das ist für mich im Augenblick vollkommen unwichtig. Denn ich will einfach nur das was mir meiner Meinung nach zusteht."
"Na siehst du." Humph gab mir einen leichten Stoß auf die Schulter und ich glaubte, den Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht zu sehen, "Es geht doch, wenn du mal an was anderes als an das denkst was zwischen zwei Buchdeckeln steht. Also," wandte er sich an alle, "Ich werde mich jetzt zum Palast begeben und Zwischenbericht erstatten. Und wenn ich wiederkomme, erwarte ich Vorschläge für unsere Vorgehensweise."
Er griff seinen Mantel und eilte los.
Schließlich brach Kanndra das Schweigen.
"Und wo war Magnarox jetzt eigentlich die ganzen Jahre über versteckt bevor ihr es rausgeholt habt?"
"Das ist es ja eben." Seufzte ich. "Es war ebenfalls der Berengar-Friedhof. Also keine Chance Cassawar da aufzulauern."
"Moment mal." rief Charlotta plötzlich. "Eca, du meintest doch vorhin, dass er in einem Bottich Whiskey ertrunken ist?"
Diese nickte.
"Laut Bregs steht es in seiner Akte."
Sie sah mich fragend an.
"Ja, das stimmt. Er wurde vom Dach gestoßen, fiel in den Bottich, schlug sich dabei wahrscheinlich unterwegs irgendwo den Schädel ein und ersoff elendig. So hat es mir Vetinari jedenfalls erzählt und ich sehe keinen Grund, weshalb er lügen sollte." Erläuterte ich.
"Schon gut, schon gut." Sagte Charlotta beschwichtigend. "Alles was ich wissen wollte ist ob er wirklich in Bärdrückers Leckertropfen mariniert worden ist."
Sie wandte sich zur Tür.
Eca verstand.
"Du meinst, du willst dich mal umschnüffeln?"
Charlotta lächelte.
"Das Aroma von dreißig Jahre altem Whiskey bekommt man nicht alle Tage in die Nase."
Und sie war verschwunden.
"Und was machen wir jetzt so lange bis die anderen wiederkommen?" Fragte Val.
Ich sah in die Runde.
"Versteht jemand von euch zufällig was von eingestürzten Möbeln?"
Das stundenlange Warten auf Nachricht von Humph oder Charlie begann mich langsam mürbe zu machen. Das Angebot, zur Unterhaltung eine auf Vermutungen basierende Zusammenfassung der Unterhaltung unseres Abteilungsleiters mit dem Patrizier zu geben war leider einstimmig abgelehnt worden. Und so saßen wir abgesehen von ein paar halbherzigen Versuchen das eingestürzte Regal wieder aufzurichten mehr oder weniger tatenlos in meinem Büro herum. Nach einer halben Stunde verabschiedete sich auch Eca, mit der vagen Erklärung, dass sie einen wichtigen Termin wahrzunehmen hatte. Wir übrigen spekulierten eine Weile herum worum es sich dabei wohl handeln könnte, um anschließend wieder in dumpfes Brüten zu verfallen. Und wie es immer so kam, begaben sich meine Gedanken auf eine Reise. Zurück an den Tag an dem Jorge Di Aguila starb.
Die 'Sonne von Herscheba' hatte zwei Tage zuvor an den Docks von Ecalpon festgemacht und die neue Fracht bereits an Bord genommen. Jorge und ich machten noch einen kleinen Abschiedsbummel durch die Straßen der Stadt als mein Freund plötzlich von seinen Füßen gerissen und gut fünfzig Meter weit längs durch die Straße geschleudert wurde, direkt vor die Räder eines zufällig vorbeikommenden Eselskarrens.
[10] Jorge lebte noch, als ich ihn schließlich erreichte.
"Bregs," flüsterte er und ein Blutrinnsal lief aus seinem Mundwinkel.
"Ich bin hier, Jorge!" Rief ich und griff seine Hand.
"Du musst...mir einen Gefallen tun."
Das Sprechen fiel ihm ziemlich schwer. Ich vermutete, dass er kaum noch einen heilen Knochen im Leib hatte.
"Nimm Havelock...und den...Schlüssel...und geh...nach....Ankh-Mor...pork."
"Welchen Schlüssel?" fragte ich eindringlich.
Doch mein Freund schien schon Kommandeur Tod hinter sich stehen zu sehen. Jedenfalls starrte er geradewegs durch mich hindurch.
"Gib ihn...dem...Hundebelästiger...und sag ihm...dass er den...verdammten Schatz..." Jorge röchelte noch einmal und bewegte sich nicht mehr.
Hundebelästiger. Ankh-Morpork. Schlüssel. Man hörte immer wieder von dramatischen letzten Worten, aber diese hier schienen einfach keinen Sinn zu machen. Vor allem von was für einem Schlüssel redete er da?
Ich kam mir richtig mies vor, als ich seine Habseligkeiten durchsuchte. Viel war es nicht. Ein paar Kleider, ein Futteral mit Messern und Dolchen verschiedenster Größen, einige alte Briefe und eine Zigarrenkiste. Als ich sie öffnete hatte ich schon ein leicht mulmiges Gefühl. Jorge hatte mir nie etwas über seine eigene Jugend erzählt und war immer ausgewichen wenn ich danach gefragt hatte. Was würde dabei wohl zu Tage gefördert werden?
Ein wenig enttäuscht war ich schon als der Inhalt des Kästchens vor mir auf den Planken lag. Im Stillen hatte ich mindestens eine anständige Schatzkarte erhofft, eine von der Sorte mit Brandlöchern drin und einer Menge geheimnisvoller Runen die bis auf irgendeinen uralten Mann mit Wohnsitz mitten in der Wüste niemand mehr entziffern konnte. Doch es hatte lediglich einen kleinen, silbernen Schlüssel an einem Goldkettchen, eine vergilbte Ikonographie und den Zahn eines Sumpfdrachen enthalten. Da mir nichts besseres einfiel nahm ich das Bild, ging zum nächsten Bullauge und hielt es dort ins Licht- Vielleicht war die Schatzkarte ja abikonographiert worden oder befand sich auf der Rückseite. Doch auch dort wurde ich enttäuscht. Fünf junge Assassinen sahen mich von dem Stück Leinwand an. Aber einer von ihnen kam mir ziemlich bekannt vor- jünger, weniger füllig und vor allem noch im Besitz beider Beine, aber trotzdem so vertraut wie der wurmstichige Schiffszwieback: Jorge Di Aguila. !
Soso, Assassine war er also gewesen. das erklärte auch sein Geschick mit diversen Klingenwaffen, von dem er mir einiges mitgegeben hatte. Und nun wollte er, dass ich nach Ankh-Morpork reiste, dort einen Mann namens Hundebelästiger fand, ihm diesen Schlüssel gab und einen Schatz hob oder so ähnlich. Verrückt. Angefangen damit, wer hieß schon freiwillig Hundebelästiger...
Der Rest der Geschichte war schnell erzählt: In der Stadt angekommen begab ich mich zur Assassinengilde und wurde nach einigen Querelen schließlich zum Gildenoberhaupt vorgelassen, der bei der Erwähnung des Wortes Hundebelästiger vor Lachen beinahe aus seinem Schreibtischsessel gefallen wäre.
"Also wenn du den Hundebelästiger suchst," lachte er, "Dann würde ich es beim Palast versuchen."
"Öhm..." Fragte ich vorsichtig, "Hat der sogenannte Hundebelästiger denn auch einen richtigen Namen, Herr? Ich meine nur, ich kann doch schlecht am Palast anklopfen und fragen ob dort jemand arbeitet der den Spitznamen Hundebelästiger hat."
Lord Witwenmacher lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte.
"Jaja, der gute Hundebelästiger. War immer ein wenig komisch. Und trotzdem hat er Karriere gemacht. Wer hätte das gedacht. Sein richtiger Name lautet Havelock Vetinari."
Ich konnte mir gerade noch ein 'Aber so heißt doch Jorges Papagei!' verkneifen. Na ja, es hätte auch schlimmer kommen können. Jorge hätte den Vogel auch Hundebelästiger getauft haben können...
"Aber warum Hundebelästiger, wenn Sie mir diese Frage gestatten?" Hakte ich nach.
"Mein lieber Junge," Der Gildenpräsident sah mich geringschätzig an, "Wenn du mal ein brindisianisches Wörterbuch in die Hand bekommst, schlag mal unter Vetinari nach."
Ich habe bis heute nicht aufgehört mich zu wundern woher Assassinen bloß ihren ständigen Nachschub an Arroganz bezogen...
"He Bregs!"
Kanndra kniff mich in den Arm.
"Der Chef ist wieder da."
Ich blinzelte. Humph stand in der Tür und sein Gesichtsausdruck sah gar nicht glücklich aus.
"Und, was hat er gesagt?" Wagte Gold Moon als erste zu fragen.
Der Oberleutnant seufzte nur.
"Kommt am Besten alle rüber zu mir. Ach ja, und Araghast?"
"Ja, Sir?" Ich sah auf. "Räum bitte mal dein Büro ein bisschen auf. Hier sieht es aus als ob ein Sumpfdrache hochgegangen wäre."
Humphs Bericht von seinem Besuch beim Patrizier trug auch nicht gerade dazu bei, unsere Stimmung zu heben. Vetinari schien die bisherigen Ermittlungsergebnisse mit der üblichen hochgezogenen Augenbraue zur Kenntnis genommen und seinen Gewohnheiten entsprechend kommentiert zu haben. Ich fragte mich, wie jemand bloß dermaßen gelassen bleiben konnte während in der Stadt ein Verrückter herumlief der ihn bei der nächstbesten Gelegenheit in kleine Stücke hacken würde.
"Wetten, dass er es schon längst gewusst hat?" Knurrte der Oberleutnant in seinen Kapputtschino. "Bestimmt wusste er schon längst Bescheid. Das tut er irgendwie immer. Fragt mich nicht warum. Und ich durfte mich mal wieder lächerlich machen."
Der leere Becher knallte auf die Schreibtischplatte.
"Also, FROGS, was unternehmen wir nun?"
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Charlotta trat ein. Ein befriedigtes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
"Charlie!" Rief Humph. "Wo kommst du denn jetzt noch her?"
Das Lächeln im Gesicht der Werwölfin wuchs in die Breite.
"Ich glaube," Sie machte eine Kunstpause.
"Ich glaube, ich habe unseren Wandpinseler gefunden."
"Wo?" Fragten wir mehr oder weniger gleichzeitig.
Charlotta setzte sich auf die Schreibtischkante, schenkte sich einen Kapputtschino ein und begann mit ihrer Erzählung.
"Ich muß zugeben, zuerst hatte ich nicht die geringste Ahnung wo ich anfangen sollte. Also habe ich einfach ein wenig in der Gegend um den Palast herumgeschnüffelt. Doch das Dumme ist, Bärdrückers Brennerei liegt gleich nebenan und somit hat dort so ziemlich alles einen leichten Fusel-Stich. Daraufhin hab ich es in der Nähe des Wachhauses versucht. Und siehe da, da war sie. Rostigorange-stechend, die Spur von uralten, ranzigen Leckertropfen. Sie war ziemlich intensiv und somit gut zu verfolgen. Und ratet mal, wo ich schließlich gelandet bin."
Wir übrigen sahen uns nur an und zuckten mit den Schultern. Da kam fast jeder Ort in Ankh-Morpork in Frage.
"Ihr erinnert euch doch ganz bestimmt an dieses ganz bestimmte neue Möbelhaus." triumphierte Charlotta. "Die Spur führte durch eine Roste die man übrigens ziemlich leicht hochklappen kann und anschließend in die Verkaufshalle. Tja, der gute Cassawar scheint doch noch nicht so ganz von seinem Grab loszukommen."
Schon wieder AEKI. Litt ich langsam unter Verfolgungswahn? Oder hatte es Zufall mal wieder auf mich abgesehen?
Humph nickte seiner Halbschwester dankbar zu.
"Chief-Corporal Gold Moon?"
"Ja?" Die Elfe trat vor.
"Heute Abend legst du dich mit Kanndra, Val und Bregs im Möbellager auf die Lauer. Die ersten beiden brauchen praktische Erfahrungen und unser Püschologe sollte mal für ein paar Stunden von seinen Büchern ferngehalten werden. Meldet auch beim Pförtner, der lässt euch rein."
"Und du kommst nicht mit?" wollte Gold Moon wissen.
"Nein, ich würde ja gerne, aber ich habe noch einiges zu erledigen."
Als wir das Büro verließen wunderte ich mich über die vielen leeren Kisten die draußen auf dem Flur standen. Irgend etwas bahnte sich an. Ich hatte bloß nicht den leisesten Schimmer was. Erst verdrückte sich Eca und dann hatte Humph plötzlich eine Menge zu tun. Na ja, ich würde sehen... Erst mal, und das war viel wichtiger, gab es endlich einen richtigen Außeneinsatz. Und wer konnte es schon sagen, wenn wir Cassawars Versteck fanden bekam ich vielleicht sogar Magnarox zurück...
Und so stand ich schließlich zum zweiten Mal innerhalb zweier Tage in diesem hässlichen blau-gelben Klotz von einem Gebäude nach dessen ersten Besuch ich eigentlich nur noch Ärger gehabt hatte. Ach AEKI, bevor ich von dir gehört hatte war meine Welt noch in Ordnung gewesen. Vielleicht sollte ich doch weiterhin aus Wahoonie-Kisten leben- Sie waren zwar weder formschön noch tat das leuchtende Orange mit dem sie angestrichen waren meinem Auge besonders gut aber wenigstens konnte man sich darauf verlassen, dass sie nicht chronisch zum Einstürzen neigten. Mit vereinten Kräften hatten wir das Regal zwar wieder halbwegs zusammenbekommen aber ich wollte nicht darum wetten, dass es wenn ich nach dem Einsatz zurück in mein Büro zurückkehrte noch stand.
Nach einigem Hin und Her hatte der Pförtner uns schließlich den Schlüssel überlassen und wir machten uns auf die Suche nach einem geeigneten Versteck. In der Dunkelheit wirkten die hohen, teilweise halbleeren Regale wie gigantische Skelette, die sich zur Decke reckten. Irgendwie entschädigte mich das ein wenig für die sich leider nicht bewahrheitete Friedhofstheorie.
Gold Moon hob die Hand.
"Es ist am Besten wenn wir uns jetzt aufteilen." Wisperte sie. "Kanndra und Bregs, ihr übernehmt die Zubehörabteilung und Val und ich werden uns mal bei den Wohnzimmermöbeln umsehen. Wenn ihr etwas Verdächtiges bemerkt, gebt ein Signal mit euren Leuchtdämonen. Und denkt daran: Keine Solotouren!"
Wir nickten, klopften einmal kurz auf den Frosch an unseren Uniformen und schlichen los.
Stille senkte sich über die Halle. Es war ein Gefühl, als ob man einfach von der Außenwelt abgeschnitten worden wäre. Draußen auf den Straßen tobte das allabendliche Chaos, doch das verwaiste Möbelhaus schien ein Kosmos ganz für sich allein zu sein. Ich hatte einmal eine Geschichte von einem Mann namens Stefan König gelesen, in der ebenfalls ein auf einem alten Friedhof erbautes Haus vorgekommen war. Dort waren nach einiger Zeit die Bewohner nach und nach völlig durchgedreht und Verstorbene waren aus dem Grab zurückgekehrt. Oder waren die Zombies verrückt geworden und die Bewohner verstorben? Egal, jedenfalls hatte es mich drei schlaflose Nächte gekostet, das Buch durchzulesen. Und irgendwie weckte die große AEKI-Halle in ihrem momentanen Zustand da gewisse Erinnerungen...
Mittlerweile waren wir zu den Teppichen vorgedrungen. Meterhohe Rollen lehnten an den Wänden und ähnelten verdächtig vermummten Gestalten.
Plötzlich blieb Kanndra abrupt stehen und packte mich am Arm.
"Da zwischen den Teppichen..." hauchte sie, "Da hat sich was bewegt!"
Angestrengt starrte ich in die Dunkelheit. Doch alles blieb ruhig. Im Prinzip hätte
jeder Teppich irgendjemand sein können. Zu Kanndra gewandt schüttelte ich den Kopf.
"Ich seh nichts. Aber besser einmal zuviel Alarm als zu wenig. Kritisch könnte es werden wenn es hier auch gleichzeitig nach uralten Bärdrückers Leckertropfen riechen würde"
Selbst im Stockdusteren konnte ich noch erkennen wie Kanndra grinste.
Die Haushaltswarenabteilung förderte das Gefühl von Sicherheit auch nicht gerade. So viele Winkel und Nischen und hohe Geschirrstapel, und überall konnte ein verrückter einohriger Zombie lauern. Wirklich erstaunlich, dass die Leute hier tagsüber mit ihren überladenen Einkaufswagen nicht mehr Schaden anrichteten. Hier rückten Begriffe wie 'Wie ein Troll im Porzellanladen' in eine höhere Dimension vor.
Doch auch zwischen dem Geschirr und den Handtüchern blieb es regungslos und totenstill.
[11] "Ich weiß nicht..." flüsterte Kanndra nach einer Weile. "Ich habe trotzdem das Gefühl, dass uns jemand verfolgt. Ich meine, ich sehe niemanden und höre auch nichts aber trotzdem... Ich fühle es einfach. Da ist jemand!"
Ihre Hand glitt zu dem Dolch den sie am Gürtel trug.
Ich konzentrierte mich erneut und versuchte zwischen den Regalen und Mustermöbeln etwas auszumachen- irgendwas in der Art einer vermummten Gestalt mit Kapuze. Doch so sehr ich mein armes verbliebenes Auge auch strapazierte: Ich konnte niemanden erkennen. Andererseits konnte man sich auf Kanndras Instinkte eigentlich immer verlassen. Und ich kannte nur eine Person die dermaßen unsichtbar werden konnte dass sie quasi mit den Schatten verschmolz...
"Eca?" rief ich flüsternd. "Bist du das?"
Keine Antwort.
Ich sah Kanndra fragend an. Diese hob plötzlich einen Arm.
"Da ist es wieder. Es kommt...näher."
Ein kaum wahrnehmbares Scharren verkündete mir, dass sie ihren Dolch gezogen hatte.
Ich schnupperte. Die Luft war mit den Aromen von frischem Holz und Putzmitteln angereichert, doch nichts davon entsprach meiner Vorstellung von dreißig Jahre altem, billigem Whiskey. Warum hatte Humph uns bloß nicht Charlotta mitgeschickt. Doch sie sollte ihm bei irgendwas helfen.
"Riechst du was?" Flüsterte Kanndra.
Ich schüttelte den Kopf.
"Keinen Bärdrücker."
Kandra seufzte.
"Was meinst du, Bregs, sollten wir uns nicht einfach irgendwo auf die Lauer legen? Wenn wir hier durch die Gänge toben sieht uns jeder."
"Na, mich sieht jeder. Du könntest dich in Mäusegestalt prima anschleichen. Nur ich halbes gar nichts, ich schaff noch nicht mal eine Fledermaus..."
"Pssst!" unterbrach Kanndra meine kleine spontane Identitätskrise.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund.
"Tut mir leid."
"Komm, wir verschwinden."
Kanndra nahm mich am Arm und zog mich in Richtung Kleinmöbelabteilung. Bei einem im Schatten einer Nische liegenden Regal hielt sie inne und wies auf ein freies Fach.
"Du gehst da rauf." Flüsterte sie. "Ich werde mich ein wenig...verwandeln."
Sie griff nach ihrem Amulett und konzentrierte sich. Eine Sekunde später saß eine kleine, dunkelgraue Maus an der Stelle wo sie eben noch gestanden hatte.
Ich begann, das Regal zu erklettern. Merkwürdig... Irgendwie kam mir die ganze Ecke ziemlich bekannt vor. Unten die kleinen rechteckigen Pakete und hier gähnende Leere... Doch, es war sogar sehr vertraut... Der Ort an dem der Möbelfrust begann. Das Fach in dem die Beine des Schreibtischstuhls VESTMANNAEYJARKAUPSTADUR aufbewahrt worden waren. Ich legte mich flach auf den Bauch und spähte vorsichtig über den Rand. Die Maus alias Kanndra saß mir schräg gegenüber neben einem Stapel Tischplatten. Eigentlich war unser Beobachtungsplatz optimal- zwei lange Gänge kreuzten sich nur wenige Schritte von unseren Verstecken entfernt. Möglichst leise zog ich zwei meiner Dolche und hielt sie griffbereit. So, nun mochte kommen was wolle... Ich fragte mich wie es Val und Gold Moon bei den Sofas und den Betten ergangen war. So ein schön weiches Bett als Lauerposten hatte schon etwas für sich, denn nach schätzungsweise einer Viertelstunde wurde es langsam unbequem auf dem harten Metall. Draußen !
schienen die Wolken aufgelockert zu sein denn das Mondlicht, das durch die Oberlichter fiel tauchte unsere Gangkreuzung in ein unwirkliches, silbriges Licht.
Ich weiß nicht wie lange wir reglos auf der Lauer gelegen hatten als sich plötzlich etwas rührte.
Leise, kaum wahrnehmbare Schritte kamen von rechts den Gang herunter, immer wieder innehaltend. Ich sah hinüber zu der Maus. Ihre Schnauze zuckte einmal kurz, als wollte sie mir zu verstehen geben, daß sie es ebenfalls gehört hatte. Schleichen...und Stehen bleiben. Schleichen....und Stehen bleiben. Wer auch immer sich dort im Anmarsch befand verstand eine Menge von der Kunst des sich leise Bewegens. Ich tippte auf Gold Moon.
Doch dann roch ich es.
Es ist nicht leicht, den Geruch dreißig Jahre alten Fusels zu beschreiben, doch eines soll hier erwähnt werden: Wirklich erstaunlich, dass Charlie beim Verfolgen der Spur nicht die Nase abgefallen war...
Soso, Cassawar befand sich also im Anmarsch. Irgendwie wurde mir schon ein wenig mulmig. Was war, wenn ich im entscheidenden Augenblick niesen musste oder, noch schlimmer, der Regalboden ganz plötzlich nachgab? Eigentlich fürchtete ich mich nicht im Dunklen. Man musste nur die Überzeugung verinnerlichen, dass die Finsternis nichts schrecklicheres enthielt als einen selbst. Nur wenn man wusste, dass sie zusätzlich noch einen püschopathischen Zombie mit einem scharfen Schwert enthielt sah die Sache schon ganz anders aus...
Und da schob er sich auch schon um die Ecke und der Fuselgeruch betäubte mich beinahe. Ich hielt die Luft an um nicht laut zu husten. Cassawar sah aus wie ich ihn mir vorgestellt hatte: Ein mottenzerfressener Zombie mit einem fehlenden Ohr. An seinem Gürtel, in seiner Scheide, hing Magnarox. Ich konnte gerade noch erkennen, dass es geknebelt worden war, als Cassawar urplötzlich nur einen halben Meter von mir entfernt stehen blieb.
Mir blieb fast das Herz stehen. Hatte er mich vielleicht doch bemerkt? Ich schielte zu Kanndra hinüber. Die kleine Maus drückte sich so weit wie möglich in den Schatten.
Doch dann bemerkte ich den Grund für das plötzliche Innehalten des Zombies. Drüben auf der anderen Seite des Ganges,
[12] nur ein kleines Stück neben meiner Kollegin, stand, wie aus dem Boden gewachsen, eine hochgewachsene Gestalt in einem schwarzen Kapuzenmantel. Ich blinzelte. Wie war das nur möglich? Wie kam es, dass wir beide rein gar nichts bemerkt hatten? Dann fiel es mir wieder ein: Kanndras Gefühl des Verfolgtwerdens. Bloß warum sollte außer uns und Cassawar noch jemand zu nachtschlafender Zeit durch in leeres Möbelhaus schleichen, wenn nicht der Pförtner? Und vor allem, wer war überhaupt in der Lage, sich dermaßen lautlos zu bewegen und quasi mit den Schatten zu verschmelzen und hieß nicht Ecatherina Erschreckja? Fragen über Fragen...
"Woher wusste ich, dass du kommen würdest?" schnarrte der Zombie und eine Wolke fürchterlichen Modergestankes waberte durch den Gang. Ich bildete mir ein, die Kanndra-Maus ihre Schnauze rümpfen zu sehen.
"Ach ja?" Fragte der Mann mit der Kapuze leicht spöttisch. "Wie interessant. Woher wusste ich bloß, dass du hier anzutreffen sein würdest? Es war doch klar, Cassawar. Wo hättest du auch sonst hinsollen? zurück zur Gilde vielleicht? oder in den Schatten untertauchen? Nein, Cassawar. Du warst immer sentimental gewesen. Manchmal auch ein wenig
zu sentimental. Und nun hast du das Schwert. Bist du nun zufrieden mit dir? Nachdem du zwei Menschen deswegen umgebracht hast? Und nun am liebsten die heiß ersehnte Klinge ziehen und mich auch noch hinterherschicken würdest?"
"Ha, du bist doch verrückt, hierher zu kommen." Kommentierte der Zombie abfällig. "Wo du doch genau weißt, dass ich dich hier und sofort umbringen werde."
"Ich bin nicht hier um mich umbringen zu lassen sondern um der Sache endlich ein Ende zu bereiten." erklärte der Unbekannte. "Dreißig Jahre sind eine lange Zeit, mein lieber Cassawar. Eigentlich genug Zeit um endlich mal zu Verstand zu kommen."
"Ich bin zu Verstand gekommen." Die Stimme des Zombies klang ganz ruhig. Vermutlich hatte er soeben die Skala der einzelnen Stufen des Wahnsinns gesprengt, die Oswald Piepenstengel in seinem Buch so anschaulich mit diversen Diagrammen dargestellt hatte. "Und mein Verstand sagt mir, dass du jetzt sterben wirst."
Mit einem Geräusch, dass sich am allerbesten als 'schrrinnnnk' näherungsweise beschreiben lässt zog er Magnarox aus der Scheide.
Ich umklammerte meine beiden Messer. Was sollte ich jetzt bloß tun? Mich auf den Zombie stürzen? Verstohlen schielte ich die Gänge hinauf. Wo blieben Val und Gold Moon?
"So? Bist du dir da wirklich so sicher?" Der Mann in Schwarz warf seinen Umhang zurück und zog ebenfalls eine langes, schlankes Schwert. Die Klinge war geschwärzt.
Cassawar antwortete nicht. Er griff einfach an. Während er schon das Schwert schwang konnte ich gerade noch wahrnehmen wie der Knebel aus Magnarox' Drachenknauf fiel.
"He, was ist denn..." beschwerte sich die Klinge als sie mit voller Wucht herumgewirbelt wurde. Und nun ging alles ziemlich schnell. Cassawar schlug in blinder Wut auf seinen Gegner ein, doch dieser wusste jeden Hieb aufs meisterhafte zu parieren und allmählich wurde der Zombie zurückgedrängt und näherte sich wieder Kanndra und mir.
"Au!" Beschwerte sich Magnarox lauthals als Schlag auf Schlag erfolgte. "Das tat weh, du Flasche! Kannst du nicht mal ein bisschen vorsichtiger... He! Das gab garantiert ne Scharte! Und du bist schuld! Jawohl!"
So ernst die Situation auch war, ich musste mir auf die Lippen beißen um nicht lauthals loszuprusten. Magnarox konnte selbst die dramatischsten Geschehnisse gnadenlos ins Lächerliche ziehen.
Doch plötzlich wendete sich das Blatt. Der Mann mit der Kapuze machte einen Ausfallschritt nach hinten- und stolperte über Kanndra, die sich, immer noch in Mausgestalt, langsam aus ihrer Ecke herausgepirscht hatte. Die Späherin mochte zwar die Illusion jeder beliebigen Gestalt erzeugen- Der Umfang ihres realen Körpers blieb jedoch immer derselbe.
Wie in Zeitlupe sah ich den Unbekannten fallen. Der Zombie setzte nach. Als der Fremde auf den Boden schlug rutschte ihm die Kapuze vom Kopf. Cassawar holte aus...
Vor Schreck glitten mir die beiden Dolche aus den Händen. Ich sah direkt in die kalten, blauen Augen Lord Vetinaris. Cassawar stach zu.
Ich machte mich fertig zum Sprung. Aus den Augenwinkeln sah ich Kanndras morphisches Feld flackern. Doch in diesem Moment zischte die geschwärzte Klinge durch die Luft und riss einen tiefen Schnitt in den Schwertarm des Zombies.
"Bernicio Cassawar!" Schrie ich und stürzte mich aus meinem Regal. "Sie sind verhaftet!"
Der Aufprall war hart und irgend etwas kollidierte ziemlich schmerzhaft mit meinem Schienbein. Magnarox schlitterte aus Cassawars Hand und verschwand irgendwo unter einem Modelltisch als wir beide zu Boden gingen. Doch ich hatte die Körperkraft eines Zombies gnadenlos unterschätzt. Mit einem einzigen Ruck warf er mich ab, zuckte nicht einmal, als Kanndra ihm mit ihrer Mini-Armbrust einen Bolzen in die Kehle feuerte, fegte die Späherin mit einer einzigen Handbewegung in einem Stapel Korbsessel und griff hinter sich. Als er sich umdrehte, hielt er zwei längliche, zirka einen halben Meter lange Stangen in der Hand.
Lord Vetinari stand regungslos mitten im Gang, sein Schwert erhoben. Cassawar ließ seine beiden Schlagstöcke bedrohlich kreisen.
"Ha." Lachte er. "Wächter. Was Besseres ist dir nicht eingefallen? Du lässt nach, Hundebelästiger."
Der Patrizier antwortete nicht.
"Tja." Die beiden Knüppel wirbelten weiter herum. "Na dann: Zweite Runde."
Und er griff an.
Das Schwert mit der schwarzen Klinge zuckte vor, so schnell, dass ich es nur noch als Schemen wahrnehmen konnte. Ein Arm fiel herab und kam direkt vor mir zu liegen. Die Hand hielt immer noch einen der improvisierten Knüppel umklammert. Ich griff danach und meine Kinnlade klappte herunter. In meiner Hand hielt ich eines der Beine des Bürostuhls VESTMANNAEYJARKAUPSTADUR.
Kanndra griff nach meinem Arm und zog mich auf die Beine. Im selben Moment huschte ein schwarzer Schatten hoch über uns vorbei.
"Val!" Schrie Kanndra. "Hier sind wir!"
Die Fledermaus machte auf der Stelle kehrt und landete in einem Sturzflug auf dem Boden. Ein Plopp und Val stand vor uns.
"Was ist denn hier..." Begann er und verstummte.
Der zweite Arm Cassawars fiel klappernd zu Boden, ebenfalls ein mittlerweile ziemlich mitgenommenes Stuhlbein umklammernd.
Ich krabbelte in die Dunkelheit unter den Regalen. Wo war Magnarox? Ein leises Schimpfen brachte mich schließlich auf die richtige Spur.
"Eine Frechheit! Erst darf ich mich mit dieser Assassinenklinge anlegen und dann schmeißt man mich einfach weg! Wo bleibt da die Dankbarkeit? Aber nein, ich bin natürlich nur ein Gebrauchsgegenstand..."
"Psssst!" flüsterte ich. "Ich bins, Bregs."
"Soso, du bists." Ätzte die Klinge. "Na das wird ja auch mal Zeit, dass du mich vor diesem Verrückten rettest. Der ging mir langsam wirklich auf den Keks mit seinem ständigen Rachegefasel."
Glücklich ergriff ich mein Schwert und kroch zurück. Meinem Blick bot sich folgendes dar:
Kanndra und Val standen wie erstarrt vor den Korbsesseln und starrten gebannt auf das was sich auf der Gangkreuzung ereignete.
Bernicio Cassawar stand seiner Arme beraubt und somit hilflos mitten im einem Fleck aus Mondlicht, an seiner Kehle das Schwert des Patriziers.
"Pah!" Rief er und trippelte auf seinen Fußspitzen auf und ab. "Ich habe immer noch Beine. Und irgendjemanden finde ich schon der mir die Arme wieder annäht. Du kriegst mich nicht tot, Havelock. Nicht so leicht. Und warte nur, eines Tages werde ich wiederkommen, da kannst du dir ganz sicher sein. Und dann hol ich mir diesen Erben von Jorge gleich mit!"
Die Schwerthand Vetinaris zuckte. Cassawars Kopf flog in hohem Bogen von seinen Schultern und rollte über den Gang. Dünn lächelnd schob der Patrizier das Schwert zurück in die Scheide und wandte sich zu uns um.
"Und bevor ihr die einzelnen Teile dieses Mannes jetzt an verschiedensten Stellen im Ankh versenken werdet möchte ich noch einmal klarstellen, dass dies hier heute Abend niemals passiert ist."
Er nickte mir zu und war verschwunden.
"He!" Kam eine Stimme aus der entgegengesetzten Richtung. "Ist alles in Ordnung? Hat Val euch gefunden?"
"Gold Moon!" Rief Kanndra erleichtert.
"Ja, alles klar." Meldete sich Val zu Wort. "Die ganze Sache ist zwar ein wenig...in Stücke gegangen, aber wir haben ihn."
"Ah, sieh an." Die Elfe trat aus den Schatten. "Und Magnarox ist auch wieder da. Na dann ist ja alles gut."
Ich entfernte Magnarox' Scheide nicht ohne Mühe vom Gürtel des sich immer wild um sich tretenden Torsos und nahm sie an sich. Dann strich ich über die Klinge meines Schwertes.
"Nicht weiter aufregen." Beschwichtigte ich es. "Morgen besorge ich einen neuen Wetzstein und dann wird alles wieder gut..."
Verwundert zog ich die Hand zurück und hielt Magnarox ins Mondlicht. Die Spitze war blutverschmiert. Bloß mit wessen Blut? Val schied auf jeden Fall aus. Kanndra schien mir auch unverletzt zu sein. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich es gemerkt hätte, wenn Cassawar mich mit Magnarox erwischt hätte. Blieb nur noch... Ich sah es vor mir. Vetinari am Boden und Cassawar mit dem Schwert zustechend...
"Igitt." Drang Gold Moons Stimme in meine Gedanken. "Der stinkt ja wirklich total widerlich nach ranzigem Fusel!"
Langsam verschwand AEKI aus unserem Blickfeld als wir uns auf dem Weg zurück zum Wachhaus machten. Cassawars Einzelteile hatten wir gefesselt und auf einen Einkaufswagen verfrachtet und schoben ihn nun durch die Straßen, den Kopf selbstverständlich geknebelt, da er akut zum Ausstoßen diverser Flüche neigte.
Ich dachte nach. Wenn Vetinari sich wirklich verletzt zurückgezogen hatte war ich derjenige der die Sache zu ende bringen musste. Bloß wie? Ich konnte doch nicht einfach Cassawar stehlen und seine Einzelteile sonst wo versenken. Aber irgendwas musste ich tun. Für Jorge. Für alle Toten des Jahrgangs 1968.
"Bregs?"
Kanndra war ein Stück zurückgefallen und hatte sich an meine Seite gesellt.
"Warum hast du die beiden Stuhlbeine mitgenommen?"
Ich lächelte grimmig.
"Beweismaterial. Sie sollten als Tatwaffen verwendet werden, da hab ich sie konfisziert."
"Aha." Selbst im Dunklen konnte ich Kanndra grinsen sehen.
"Weißt du," flüsterte ich ihr zu und schob mich von hinten an den Wagen heran, der von Val gezogen wurde, "Ich werde gleich für einige Minuten verschwinden. sag den anderen, ich hätte gemerkt, dass der Kopf weg sei und ich unsere Strecke noch mal abgehen würde um zu gucken ob er irgendwo liegt." Mir war eine Idee gekommen, wie ich meinen Auftrag doch noch erfüllen konnte. Cassawars Kopf lag einladend oben auf dem Haufen von Gliedmaßen. Gold Moon unterhielt sich mit Val und war dadurch abgelenkt.
Schnell beugte ich mich vor, ergriff den Kopf und ließ stattdessen meine beiden kostbaren, konfiszierten Stuhlbeine auf die Ladefläche gleiten. Cassawar protestierte erstickt.
"Und du glaubst wirklich, das geht gut?" Fragte Kanndra entsetzt. "Weißt du überhaupt was du da tust?"
Ich nickte.
"Das bin ich Jorge schuldig."
"Na dann viel Glück." Kanndra klang nicht so überzeugt. Ich winkte ihr noch einmal zu und drückte mich in einen Torweg, den Kopf fest umklammert.
Was tat ich da eigentlich? So sicher wie ich mich vor Kanndra gegeben hatte war ich gar nicht. War ich wirklich so skrupellos geworden, jemanden einfach den zersetzenden Kräften des Ankh zu überlassen? Der Mann war ein mehrfacher Mörder aber... Nachdem es sich eine kleine Auszeit genommen hatte kehrte mein Gewissen mit voller Kraft zurück. Ich eignete mich einfach nicht zum eiskalten Mörder. Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen die kalte Mauer. Warum war eigentlich immer alles so kompliziert? Ich hob Cassawars Kopf an den Haaren auf Augenhöhe und sah ihn wütend an.
"Du bist an allem schuld." Sagte ich laut. "Warum konntest du nicht einfach Ruhe geben? Leute wie du sind es, die uns Wächtern das Leben erst richtig schwer machen. Jetzt mal ganz ehrlich: Was fandest du eigentlich so toll an Magnarox, dass du dafür zwei Männer getötet und den dritten zum Krüppel gemacht hast? Was für einen Sinn hatte das alles?"
Ich kam mir plötzlich wahnsinnig lächerlich vor, in einer dunklen Einfahrt irgendwo in der Nähe der Dolly Sisters stehend und mich mit dem Kopf eines untoten Mehrfachmörders unterhaltend. Genau. Was für einen Sinn hatte das Ganze eigentlich?
Bernicio Cassawar starrte nur wortlos zurück.
"Also wenn du nun deine Plauderei mit dem Schädel beendet hast, dann lass uns den Ganzen endlich ein Ende setzen." erklang eine Stimme direkt an meinem Ohr.
Erschrocken fuhr ich herum.
Vetinari lehnte direkt neben mir an der Mauer.
"Ich bin soweit." Krächzte ich heiser, klemmte mir den Kopf Cassawars unter den Arm und folgte dem Patrizier schweigend hinaus in die fast ausgestorbenen Straßen.
Eine einzelne Laterne tauchte die sentimentale Brücke in ein diffuses, unwirkliches Licht. Vetinari lehnte sich über die Brüstung und taxierte für eine Weile stumm die schmierige Oberfläche des Ankh.
"Gib mir den Kopf, Araghast." Forderte er schließlich.
Ich gehorchte.
Der Patrizier entfernte den Knebel aus Cassawars Mund und hielt ihn über das Geländer.
"Nun, Cassawar, was denkst du jetzt?" Fragte er mit einer Gelassenheit in der Stimme, als würde er hinter seinem Schreibtisch im rechteckigen Büro sitzen. "Glaubst du jetzt immer noch an eine Rückkehr? Ist dir jetzt immer noch nach Mord zumute?"
"Das wagst du nicht, Havelock." Schnaubte der Zombie. "Nicht vor dem Jungen. Er hätte es nicht getan, nicht wahr?" Wandte sich Cassawar an mich. "Er würde mich nicht im Ankh versenken. Er hätte noch einen Sinn für Gnade. Während du, Hundebelästiger, du bist ein eiskaltes Monster. Ein herzloser Schlächter!"
"Nicht mehr als du selbst, Casswar." Erklärte Lord Vetinari mit sanfter Stimme. "Nicht mehr als du selbst auch."
Und er ließ den Kopf fallen.
Es gab ein schlürfendes Geräusch als er die Kruste des Flusses durchschlug und langsam versank.
[13] Der Patrizier wandte sich zu mir. Für einen Augenblick glaubte ich, einen Anflug des Schmerzes über sein ansonsten völlig ausdrucksloses Gesicht huschen zu sehen.
"Alle Geschichten enden irgendwo, Araghast." Sagte er leise. "Und so gut wie gar keine endet für alle Beteiligten glücklich. Aber manchmal muss einfach getan werden was getan werden muss. Und jetzt hätte ich gern eine ehrliche Antwort von dir. Hättest du den Kopf losgelassen?"
"Nein, Herr." Antwortete ich der Wahrheit gemäß. "Ich glaube, ich hätte es nicht gekonnt. Er war ein Mörder, aber trotzdem..."
"Jorge hätte ähnlich geantwortet." Der Patrizier blickte nachdenklich über den Ankh. "Er war nie ein besonders guter Assassine gewesen. Er hatte zu viele Skrupel, genau wie du. Aber er war einer der wenigen ehrlichen Menschen denen ich je begegnet bin. Selbst die Begierde auf das Schwert hat ihn nicht zu einem Mörder gemacht. Wie ich gehört habe hat er sogar seinen Papagei nach mir benannt."
"Das hat er, Herr."
Vetinari hielt plötzlich etwas Glänzendes in der Hand.
"Nimm es und tu damit was du willst." Sagte er und ließ es vor meiner Nase hin- und herpendeln. Es war eine Schnur an der fünf silberne Schlüssel hingen. "Ich brauche es nicht mehr. Es ist Vergangenheit. So wie sie fast alle es sind die diese Schlüssel einst besaßen."
Er ließ sie in meine Hand fallen.
"Äh, erlaubt Ihr mir noch eine Frage, Herr?" Stotterte ich. "Ich meine, ich habe gesehen, wie Cassawar mit dem Schwert auf Euch eingestochen hat und hinterher habe ich Blut an der Klinge gefunden. Seit Ihr schwer verletzt?"
Vetinari winkte ab.
"Es ist nur ein Kratzer. Du hast doch bestimmt gemerkt, dass Cassawar viel zu sehr außer sich war um noch einen vernünftigen Stich auszuführen."
Ich nickte. Doch insgeheim war es mir klar, dass der Patrizier es herunterspielte. Er war blaß, sogar sehr. Und seitdem er sich über das Brückengeländer gebeugt hatte, hatte er die linke Hand nicht wieder von der rechten Seite genommen.
Lord Vetinari legte einen langen Zeigefinger auf seine Lippen.
"Und vergiss nicht," sagte er, "Offiziell ist das alles hier natürlich niemals geschehen."
Er nickte mir noch einmal zu, zog sich die Kapuze über den Kopf und verschwand in der Dunkelheit.
Ich blickte unschlüssig auf die Schlüssel in meiner Hand.
Was sollte ich damit anfangen? Sie waren nutzlos. Die dazugehörige Geschichte war abgeschlossen. Ich schloss meine Faust um das glitzernde Häufchen, holte aus und warf es so weit ich konnte fort auf den Ankh.
"Ich hoffe, du verstehst mich, Jorge." murmelte ich und stützte nachdenklich meine Ellenbogen auf das Geländer. Warum hatte alles so enden müssen? Vetinari hatte Cassawar ohne mit der Wimper zu zucken getötet. Kühl, leidenschaftslos und präzise. Ein echter Profi. Wenn er nicht in die Politik gegangen wäre hätte er es bestimmt weit gebracht in der Assassinengilde. Ich erinnerte mich, in einem der vielen Püschologiebücher etwas über die sogenannten Elemente des Verbrechens gelesen zu haben. Je mehr von diesen Charakterzügen ein Mensch besaß, desto wahrscheinlicher wurde er zu einem Mörder. Sie hatten beide einen Teil davon besessen, Cassawar und Vetinari.
Tief in Gedanken wandte ich dem Fluss und der Vergangenheit den Rücken zu und schlurfte durch die nächtlichen Straßen zurück zum Wachhaus.
Mittlerweile ist die Kerze heruntergebrannt und vor mir liegen drei vollgeschriebene Hefte. Ich weiß nicht warum ich das Ganze aufgeschrieben habe, außer um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Vermutlich ist das der Grund weshalb so viele Menschen Tagebücher führen. Magnarox hängt wieder an seinem Haken und schnarcht leise vor sich hin. Es ist fast, als wäre es nie weggewesen. Die Ikonographie der fünf Assassinen habe ich über meinem Sarg aufgehängt. Ich weiß, es mag ein wenig seltsam erscheinen, aber es ist nun mal das einzige Bild das ich von Jorge besitze. Ein wenig Angst habe ich doch. Was ist wenn IA mitbekommt, dass der Kopf nicht verlorengegangen ist sondern ich ihn gestohlen habe? Hoffentlich halten Kanndra und Val dicht. Die beiden konfiszierten Stuhlbeine lehnen an der Wand. Das eine hat während des Kampfes ein paar ziemliche Scharten abbekommen. Mal sehen, was sich da noch so machen lässt. Aber bevor ich das letzte Heft nun schließen, diese wahrliche Geschichte aus dem Grab beenden und mich in meinen neuen Sarg begeben werde kann ich mir einen Schlusskommentar doch nicht verkneifen.
Ich bin froh dass ich nicht mit mir selbst gewettet hatte: Als ich nach beendetem Einsatz hierher zurückkehrte war das Regal natürlich wieder zusammengebrochen.
Ich habe gehört, richtig zusammengenagelt und ein wenig schön angestrichen sollen Wahooniekisten auch ziemlich gut aussehen...
ENDE
Dank geht an Humph für das Durchspielen des Gespräches und Cim, der dafür verantwortlich ist dass die Geschichte von Magnarox hier überhaupt in voller Länge erzählt wird. Und ich hoffe seine Exzellenz kann es verschmerzen, dass er auch mal was auf die Nuss bekommen hat, keine Angst, er wird nicht dran sterben, sondern in der nächsten Single wieder quicklebendig mit von der Partie sein;) Abgesehen davon dass man eh keine Pterry-Charaktere morden darf.. *fg*
[1] Das übrigens angemessener Weise aus reich verziertem Gusseisen besteht und in genau der richtigen Tonlage grausig quietscht
[2] Der Leser mag sich dramatisch anschwellende Musik nach Belieben vorstellen
[3] Oder wie schlechte Horrorautoren das auch immer auszudrücken belieben
[4] Von Abhandlungen über die Püschen anderer Spezies ganz zu schweigen
[5] Hier will ich noch mal eben klarstellen, dass er nicht wirklich in meinem Kopf saß. Ich bin allein unter meiner Schädeldecke. das Ganze ist nur eine Mättaffer.
[6] Ich habe das Wort im Lexikon-seltsamer-Wörter-die-einem-die-Tränen-in-die-Augen-treiben nachgeschlagen und herausgefunden, dass ein Bohämiänn ein Mensch ist der in ungeheizten Wohnungen hockt weil er der Meinung ist, dass das seinem Künstler-Image förderlich sei
[7] Du weißt warum, Humph, ich hab's zensiert obwohl Tery auch gelacht hat...(Anmerkung der Autorin)
[7a] zum wievielten Mal innerhalb der letzten paar Tage eigentlich...
[9] abgesehen natürlich von dem ganz gewissen Sitzmöbel das ich nicht mehr erwähnen will...
[10] Zwei Minuten später wurde auch der Puzuma gefunden- er klebte an der meterdicken Stadtmauer und war gleichzeitig ziemlich flach und ziemlich tot.
[11] Was allerdings nicht viel heißen musste, auch Zombies konnten sich im wahrsten Sinne des Wortes totenstill verhalten
[12] Nur für eventuelle Besserwisser: Hier ist definitiv NICHT der gleichnamige Fluss in Indien gemeint ;)
[13] Ich mag gar nicht daran denken was darauf folgte...
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