Indionora James auf der Suche nach dem Heiligen Grill

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von Leutnant Venezia Knurblich (FROG)
Online seit 29. 10. 2002
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Venezia wollte doch eigentlich nur für zwei Wochen zu ihrer Familie nach Hause fahren, dann ist sie ein halbes Jahr weggeblieben... wo verdammt noch mal hat die Gnomin blos gesteckt?!?

Dafür vergebene Note: 12

Irgendetwas stimmte nicht. Nein, irgendetwas stimmte ganz und gar nicht...
Langsam richtete Venezia Knurblich sich auf und blickte sich in einer vollkommen fremden Umgebung um.
Drei Dinge fielen ihr auf:
Erstens, ihr Kopf schmerzte und das Zentrum dieses Schmerzes konnte sie ganz klar an ihrem Hinterkopf lokalisieren.
Zweitens, der Boden, die Decke und die Wände des Raumes, in dem sie sich befand bestanden aus Holzplanken. Langen, gebogenen Holzplanken, an denen über ihr an einer Schnur eine Öllampe angebracht war.
Und drittens, die Welt bewegte sich. Nicht so, als würde ein Erdbeben sie erschüttern, sondern eher in einem ruhigen, gleichmäßigen Takt, hin und her, hin und her, nur die Lampe an ihrer Schnur blieb von dieser Bewegung unberührt.
Ähnlich zäh wie Käsefondue schlichen diese Informationen durch den Verstand der Gnomin, schaukelten im Takt des Bodens hin und her und suchten irgendwo Halt, um sich vernünftig zu ordnen.
"Aha!", murmelte Venezia, als alle drei Dinge nach mehreren blödsinnigen Anläufen endlich ihren Platz gefunden hatten.
Der Schmerz am Hinterkopf hing bestimmt eng mit der großen Beule zusammen, die sie dort ertasten konnte und war mit Sicherheit die Erklärung dafür, dass sie sich nicht erinnern konnte, jemals einen Ort wie diesen betreten zu haben.
Überhaupt konnte sie sich an viele Dinge nicht erinnern, zum Beispiel an ihren Namen. Sie war sich sicher, so etwas einmal besessen zu haben, in dem Leben vor der Beule am Kopf, in der Zeit vor der großen Leere, aber nun war er weg, und mit ihm überhaupt alles, was irgendwie mit ihrer Person zusammenhing.
"Naja, was soll's, ich habe glaub ich dringendere Probleme als einen fehlenden Namen", kommentierte die Gnomin ihren Gedankengang und wendete sich dem nächsten zu.
"Holzplanken und ein schaukelnder Boden, das macht doch sehr den Eindruck als befände ich mich auf einen Schiff. Und in Ermangelung einer Tür, eine Klappe in der Decke ungefähr 3 Meter über meinem Kopf zählt nicht, und aufgrund des Fehlens irgendwelcher Güter wie einem Bett, Gepäck und anderen Dingen, die man so eigentlich auf einem Schiff hat, nehme ich an, nicht auf einer Luxuskreuzfahrt zu sein, sondern mich eher in Gefangenschaft zu befinden. Das passt auch besser dazu, niedergeschlagen worden zu sein
Ich kann mich zwar nicht erinnern, jemals eine Kreuzfahrt gemacht zu haben, aber ich bin sicher, dass man so was freiwillig antritt und nicht mit Gewalt dazu gezwungen werden muss."
Venezia war inzwischen aufgestanden, ging in dem Raum hin und her und teilte ihre Gedankenwelt der Luft mit, die sich zwar als guter Zuhörer, jedoch als schlechter Gesprächspartner für einen vernünftigen Dialog erwies.
"Und im Übrigen finde ich es sehr peinlich, dass ich nur Unterwäsche anhabe!" Die Gnomin stemmte die Hände in die Hüften und schaute an sich herunter, nur eine kurze Leinhose und ein Hemd bedeckten ihren Körper, sie war sich sehr sicher, dass das nicht die Kleidung war, die sie normalerweise trug.
"Hallo? Ist da wer? Hört mich jemand?", rief sie zu der Luke hoch.
Und tatsächlich, nach wenigen Sekunden bekam sie eine Reaktion; die Luke wurde geöffnet, erst einen Spalt breit, dann weiter. Eine Gestalt beugte sich über das Viereck blauen Himmels. Fasziniert starrte Venezia das Gesicht an, es war Wetter gegerbt, die Augen von der Farbe eines trüben Aquariums lagen tief in den Höhlen und wurden von gigantischen schwarzen Augenbrauen überdacht, das schlecht rasierte Kinn konnte man, so wie es aussah, bestimmt als Sandpapier verwenden, wenn zufällig nichts anderes zur Hand war, die fettigen langen schwarzen Haare bedeckten das ganze Bild nur deswegen nicht ganz, weil ein rotes schmuddeliges Kopftuch sie halbwegs bändigte, und als wenn das noch nicht ausreichen würde, um dieser Person metaphorisch "Schurke" auf die Stirn zu schreiben, zog sich einmal quer durch das Gesicht von der Stirn bis hin zum Kinn eine rote verkrustete Narbe, als hätte ein moderner Künstler dort erste Gehversuche gemacht.
Das Gesicht starrte zurück.
"James! Indionora James! Endlich bist du wach. Ich dachte schon, Big Bob hätte zu fest zugeschlagen."
Der Mund des Mannes weitete sich langsam. Zuerst hielt die Gnomin es für ein Zähnefletschen, entschied sich dann aber, nicht ganz ohne Überraschung dafür, dass das der armseligste und erfolgloseste Versuch eines Lächelns war, den sie je gesehen hatte.
Naja, immerhin hatte sie jetzt einen Namen, da in dem Raum außer ihr niemand war, konnte mit Indionora James ja nur sie gemeint sein.
"Öhm, ja. Offensichtlich nicht", gab sie zurück und ärgerte sich innerlich maßlos darüber, dass ihr nichts Schlagfertigeres eingefallen war.
"El Vitalco, der Käptn, möchte dich sprechen. Ich lasse jetzt einen Eimer herunter, mit dem ich dich hochziehen werde, aber mach keine Dummheiten! Damit du's weißt, wir befinden und auf hoher See, mehr als 100 Meilen von der nächsten Küste entfernt, und dieses Schiff ist verdammt schwer zu steuern, also solltest du auf die Idee kommen uns alle zu überwältigen und, so unwahrscheinlich das ist, sogar erfolgreich sein, wirst du unweigerlich mitsamt Schiff über den Rand fallen, also lass es und hör dir lieber an, was der Käptn dir vorschlagen will."
Mit einem kurzen Nicken deutete Venezia an, dass sie verstanden hatte.
Kurz darauf schepperte ein Blecheimer neben der Gnomin auf den Boden, eine Schnur führte von dem Henkel hoch zu dem Stück Himmel.
Seufzend kletterte Venezia in das nicht ganz Vertrauen erweckende Gefäß, ließ sich in die Höhe ziehen und von dem sie dort empfangenden Schurken zu El Vitalco führen.

Als ihr Begleiter die Tür zu einem gemütlichen Raum mit einem Tisch, mehreren Stühlen drum herum und diversen Schränken gefüllt mit diversen Dingen (der Gnomin drängte sich der Gedanke auf, dass bestimmt keiner der hier hausenden Leute in ein Geschäft gegangen war um diese Dinge ehrlich zu erwerben) öffnete, realisierte sie zwar, dass sich in dem Raum weitere zwei Personen befanden, ihr Hirn stellte ihr jedoch für den Augenblick nur das Fassungsvermögen zur Verfügung, die in der Ecke des Raumes sitzende Gestalt in die geistige Kartei von "Gestalten die Schuld sind, dass ich mich in dieser unschönen Lage befinde" einzutragen, was wahrscheinlich daran lag, dass diese Person, nun ja, über sehr viel Person verfügte.
Der Mann dort glich eher einem kleinen Gebirgszug als einem Mann und aus irgendeinem Grund drängte Venezia sich der Gedanke auf, dass grau zur Farbe seiner Haut besser gepasst hätte als Schweinchenrosa. Hinter den Beinen dieses Dings hätte sich locker eine kleine Armee von normal gewachsenen Leuten verstecken können und Hände so groß wie Servierteller ruhten locker auf den Knien.
Schweißperlen glänzten überall auf der sonnenverbrannten Haut und die Gnomin fühlte sich von kleinen von Fettrollen fast bedeckten dunklen Schweineaugen angestarrt.
Die andere Person bombardierte die Gnomin in der Zwischenzeit mit wunderbar blumigen langen Sätzen mit Wörtern, die manchmal unverhofft miteinander kollidierten dass sie beinahe Funken sprühten, ob der Auslastung des kleinen Gnomengeistes mit dem großen Menschen blieb der Sinn Venezia allerdings verschlossen.
"Na, wenn du nicht Big Bob bist, dann fress' ich meine Unterwäsche", sprach die Gnomin das Kleingebirge in der Ecke an.
Bewegung, langsam und stetig wie eine Gletscherwanderung, ergriff von der großen Fleischmasse, die in Ermangelung eines besseren Ausdrucks Gesicht genannt werden soll, Besitz und erodierte zu einem Lächeln.
Zackig nickte Big Bob, was etwas merkwürdig aussah, da das Gesetz der Trägheit seinen Tribut forderte was dazu führte, dass die vielen Kinnrollen der Bewegung nicht hinterher kamen und mit einem leichten Klatschen gegeneinander schlugen.
Ein Räuspern riss Venezia aus ihrer Faszination und ihr Hirn meldete ihr aus den Tiefen des Unterbewusstseins, dass es nicht das Erste gewesen war.
Sie drehte sich zu der Geräuschquelle um und ihr erster Gedanke war: "Dieser Mann sollte die Werbung für Zahnpflegemittel für sich entdecken", und dann, nur Sekundenbruchteile später: "Er hat eindeutig zu viele schlechte Klicker gesehen!".
El Vitalco war groß, schlank und in eine Blau-Weiß-Kombination bestehend aus Gehrock, Strumpfhose und einer ganzen Menge Rüschen gekleidet. Schnallen, so kompliziert verziert, dass einem schwindelig wurde, wenn man zu lange draufstarrte, zierten die schwarzen Lackschuhe die so glänzten, dass Venezia ihr Gesicht darin sehen konnte. Die perlweiße Zahnreihe, bei welcher die Person offensichtlich großen Wert legte, sie immer zu zeigen, wurde, wenn man endlich von dem Strahlen nicht mehr geblendet wurde, gut sichtbar von einem Bartzipfel am Kinn und zweien an der Oberlippe eingerahmt und passte eigentlich recht hübsch in das feine mit leichten Rougespuren betonte Gesicht. Die schwarzen Haare waren im Nacken mit einer blauen Schleife, wie sie kleine Mädchen gerne tragen zusammengebunden und ergossen sich darunter in weiten Locken über die Schultern der Person.
"Ah, ist sie wach, große 'eldin mit wunderschöne Name Indionora James!" Mit einem breiten Lächeln und einer ausladenden Armbewegung deutete der Mann auf einen der gepolterten Stühle um den Tisch herum.
Venezia nahm wahr, dass auf ihm noch mehrere feste Kissen lagen, so dass sie von dort aus sogar an den Tisch heranreichen konnte.
Sofort machte sie sich daran, die Sitzgelegenheit zu erklimmen und auch ihr Gegenüber setzte sich.
"Ist es mir eine große Ehre, so wunderbare Person zu empfangen in meine 'eim! Meine unbedeutende Name ist El Vitalco und isch bin wegen meine bescheidene Fä'igkeiten Kapitän über Mannschaft von diese Schiff!" Erwartungsvoll lächelnd schaute er die Gnomin an, als müsse sie eine Reaktion von sich geben.
Irritiert schaute Venezia zurück. Irgendetwas an der Art, wie diese Person redete, kam ihr seltsam vertraut vor. Diese hörbaren Ausrufezeichen am Ende eines jeden Satzes ließen irgendwo in ihrem Geist ein Bild entstehen, vorhanden, jedoch gerade so weit weg, dass sie es nicht ganz erfassen konnte.
"Ah, bin isch ein wenig, wie sagt man, vertäuscht, 'habe isch doch ge'ört, dass ist große 'eld Indionora Jones so wunderbare Partner für gute Gespräch!" Mit einem Blick als hätte die Gnomin ihm seinen Lolly geklaut blickte er sie an.
"Oh ja, tut mir leid, aber mein Kopf ist ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem unterhalte ich mich nicht besonders gerne in Unterwäsche!"
Erschrocken riss El Vitalco die Augen auf und sein Mund formte sich zu einem kreisrunden O. Mit einer Bewegung wie einstudiert legten sich die Spitzen einer manikürten Hand über dieses O und der Mann legte den Kopf leicht schief.
"Oh, was für eine furschtbare Fauxpas! Isch bin ungetröstet! 'abe isch doch extra machen lassen Kleidung für große 'eld!" Ohne Hinzusehen gab er der einzigen Person im Raum an der Tür, dessen Namen Venezia noch nicht kannte, einen Wink und dieser verschwand unauffällig.
"Isch muss sagen, war gute Tarnung für große Indionora James sich verstecken in Wache von Stadt! Wir 'aben lange suchen gemusst! Aber nun ist vorbei Zeit von Verstecken! Nun ist zurück Indionora James! Zurück für finden den 'eiligen Grill für El Vitalco!" Wieder zog sich ein breites Grinsen über das Gesicht des Käptns.
Venezia war verwirrt. Das war an diesem Tag ja nun offensichtlich nichts besonderes, aber nun war sie verwirrter als jemals zuvor. Was sollte das heißen, die Wache irgendeiner Stadt war eine gute Tarnung? Was für eine Wache? Was für eine Stadt? Und warum Tarnung, was hatte sie verbrochen, dass sie sich irgendwo verstecken musste? Wer bei allen Dämonen der Niederhöllen war sie?!? Und was zum Geier war ein heiliger Grill?
In Ermangelung einer vernünftigen Antwort lächelte sie einfach nur neutral.
Ihr Gegenüber wollte gerade wieder in einen Wort- und Gestenschwall ausbrechen, als die Tür der Kajüte sich erneut öffnete und der eben heraus geschickte Seemann wieder hereinkam.
Auf einen Wink von El Vitalco trat er an den Tisch und legte einige Kleidungsstücke vor die Gnomin: Ein bequem aussehendes Paar fester Lederstiefel, eine braune Hose aus unbearbeiteten Leder, ein fester Gürtel mit diversen Taschen, ein weißes grobes Leinhemd, eine Weste aus dem gleichen Material wie die Hose auch und einer Menge Stauraum in einer Menge kleinen Öffnungen und...
"Ein breitkrempiger Lederhut?!?", fragte Venezia verblüfft.
"Aber natürlisch, das ist doch eine wichtige Accessoire für disch! Isch bin stolz sagen zu können dass wir auch 'aben eine Peitsche extra machen lassen in deine Größe! Seit der 'übschen Geschichte die zu tun 'at mit der Beschaffung des Knäckebrots der Götter wissen wir alle, wie wischtig so eine Peitsche ist!"
"Oh ja, natürlich. Eine Peitsche. Sonnenklar." Die Gnomin runzelte die Stirn. "Aber dann kannst du mir bestimmt auch erklären, was verdammt noch eins ich mit einer Peitsche soll."
Jetzt war es der Käptn, der sie mit einem irritierten Blick bedachte. "Alors, man braucht doch eine Peitsche, um sich zu schwingen über Abgrund, wo unten Spitzen, Krokodile oder Lava sind!" Zweifelnd schaute er die Gnomin an. "Oder nischt?"
"Naja, ausprobieren muss ich das nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss, aber warum nicht? Du wirst sicher Recht haben. Aber wenn ich die Herren jetzt heraus bitten dürfte? Es ist schließlich nicht besonders höflich, einer Dame beim Umziehen zuzusehen."
"Ah nein! Wir werden alle drehen Gesischt zu Wand, damit du bist ungestört, aber, so sehr es geborene Kavalier in mir schmerzt, kann isch nischt zulassen dass du bist alleine, immer'in sollten wir nischt vergessen, dass du bist Gefangene!" Mit einem entwaffnenden Lächeln stand der Mann auf und drehte der Gnomin seinen Rücken zu, die immer noch unbekannte Person an der Tür tat es ihm gleich. Nur Big Bob starrte weiterhin an einen Fleck an der Decke, als könne er dort den Sinn des Lebens entschlüsseln, wenn er nur lange genug so sitzen blieb.
"Na dann eben nicht", seufzte die Gnomin, krabbelte auf den Tisch und stieg in die merkwürdige, aber dennoch bequeme Kleidung. Dem Hut schenkte sie noch einen langen zweifelnden Blick, bevor sie sich auch endlich dazu durchringen konnte, diesen auf ihrem Kopf zu platzieren.
"Fertig", kommentierte sie das Ganze und versuchte mit einem kritischen Blick so viel wie möglich von der Kleidung an ihrem Körper zu erfassen. Sie wusste zwar nicht mehr, was sie üblicherweise trug, aber dass dieser Hut nicht dazugehörte, dessen war sie sich sicher!
El Vitalco drehte sich wieder um, gab ein entzücktes Quieken von sich und betrachtete die Gnomin mit leuchtenden Augen.
"'übsch, überaus 'übsch! Nun endlisch passt du in das Bild, dass isch von dir 'abe seit isch 'abe disch gesehen als isch war kleiner Junge in Gennua!"
Venezias linke Hand griff in einer Bewegung, die ihr seltsam vertraut vorkam an die rechte Seite ihres Gürtels und hielt da inne. Sie legte den Kopf schief und schaute einen Moment lang nachdenklich auf die Tischplatte, auf der sie stand.
"Hier fehlt was", teilte sie El Vitalco mit und zeigte auf die Stelle an ihrem Gürtel, auf der ihre Hand ruhte.
"Oui, die Peitsche!"
"Nein."
"Nein?!"
"Ich weiß nicht, was es ist, aber ich bin mir sicher, dass es sich nicht um eine Peitsche handelt."
Jetzt runzelte auch der Kapitän die Stirn und schaute sie an. Dann hellten sich seine Gesichtszüge wieder auf und er lächelte strahlend.
"Ah, isch weiß!"
Wieder drehte er sich zu dem Mann an der Tür und sagte zu ihm etwas in einer Sprache, die der Gnomin zwar unbekannt war, in ihr allerdings Assoziationen hervorrief von kleinen pausbackigen Kindern die glücklich in bunten Kleidern über eine sonnen beschienene Blümchenwiese hüpften, kleine flauschige Häschen waren auch dabei, bevorzugt rosa.
Wieder verließ der Mann den Raum um kurz darauf mit einem Säbel in Gnomengröße in einer hübschen Scheide wiederzukommen. Nein, nicht EINEM Säbel, IHREM Säbel.
Laut hörbar rastete ein Mosaiksteinchen in Venezias Hirn an der richtigen Stelle ein.
"Ja genau, das ist er! Das ist der Gegenstand, den ich meine."
"Du 'attest ihn bei dir in deine Tarnung! Isch muss geste'en, dass isch nie ge'ört 'abe Geschichte von diese Säbel. Ist eine große Artefakt, ne'me isch an?!"
"Öhm na ja, so ähnlich. Er hat auf jeden Fall eine sehr bewegte und lange Geschichte. Aber ich bin mir sicher, die möchtest du nicht hören. Irgendwie will die nie jemand hören, glaub ich."
In dem Moment flog die Tür auf und eine Person, die nur aus Muskeln und Tattoos zu bestehen schien hinderte die Sonne daran, den Raum durch die Öffnung zu fluten.
"Käptn, Land in Sicht. Wirrr nehmen Kurrrs auf die Dschungelküste", erklang eine Stimme von der Person die irgendetwas von einem brennenden Dornenbusch hatte.
El Vitalco schaute den Mann an wie etwas, was einem üblicherweise unter den Schuhsohlen klebte, wenn man über die Wiesen eines kleinen Parks geschlendert war, in dem eine Armee alter Leute täglich ihre kleinen Köter Gassi führten.
Rote Flecken bildeten sich auf seinen Wangen, als er aufsprang und den Mann wütend anfunkelte. "Verschwinde, 'usch, 'usch!", versuchte er ihm entgegenzubrüllen, aber es klang eher, als hätte man einer jungen Katze auf den Schwanz getreten.
Trotzdem schien es seine Wirkung nicht zu verfehlen, die Gestalt in der Tür schien ein wenig in sich zusammenzusinken, murmelte leise ein "Tschuldigung" und war wieder verschwunden.
El Vitalco richtete kurz seine Haare, nahm wieder Platz und setzte ein Lächeln auf, als sei nichts geschehen.
"Pardon für diese kleine Unterbreschung! Gutes Personal ist schwer zu bekommen, sie sind alle unge'obelt und dumm!"
Venezia nickte zustimmend. Sie hatte zwar keine Ahnung, aber in Anbetracht dessen, dass Land in Sicht war und sich dementsprechend demnächst eine Möglichkeit zur Flucht bieten würde, wollte sie so kooperativ wie möglich erscheinen.
"Bon, dann sollten wir jetzt wirklisch kommen zu geschäftliche Seite von unsere Begegnung!" Der Kapitän beugte sich verschwörerisch über den Tisch, hob und senkte die Augenbrauen und flüsterte dann: "Isch will dass du mir beschaffst auf große Abenteuer mit viele Gefa'ren mäschtige Artefakt das wird genannt 'eilige Grill!"
Er richtete sich wieder auf und entgegen aller Naturgesetzte die Venezia einfielen wurde sein Lächeln noch breiter und strahlender.
"Und isch", mit einer Handbewegung deutete er auf seine Person, um seine Worte zu unterstreichen, "werde sein deine Praktikant!"
In Venezias Hirnwindungen tauchte irgendwo aus dem grauen Schleier das Wort Rekrut auf, biss sich hartnäckig fest und platzierte sich dann ebenfalls mit einem "Klick" an einer ihm offensichtlich vorgedachten Stelle.
Die Gnomin wusste auf einmal wieder, dass sie schon einmal Personen in irgendetwas ausgebildet hatte, und der Begriff "Helden" schien für diese Personen nicht so ganz unpassend zu sein.
"Na, was sagst du zu meine brillante Plan?!", riss der Käptn sie aus ihren Gedanken.
"Öhm ja, hört sich gut an. Was auch immer ein heiliger Grill ist und wo auch immer wir den finden, so machen wir's."
"Bon, dann sollten wir uns jetzt vorbereiten für Expedition in unwegsame und tödliche Dschungel. Wenn anlegt unsere Schiff wir müssen bereit sein!" Er schob der Gnomin ihren Säbel herüber, den er immer noch in der Hand hielt, beobachtete noch, wie sie ihn routiniert an ihrem Gürtel befestigte, stand dann auf und verließ in Begleitung des Türstehers den Raum.
Venezia lehnte sich gemütlich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und grinste. Wenn ihre Herren Entführer sie an Land frei herumlaufen ließen, und das mussten sie ja zwangsläufig, wenn sie El Vitalco ausbilden sollte, dann würde das mit der Flucht ein Kinderspiel werden. Aber das hatte Zeit, irgendwie hatte sie an dieser skurrilen Geschichte ein wenig Gefallen gefunden und wer weiß, vielleicht würde ihre Erinnerung im Laufe dieses Abenteuers ganz zurückkehren, dann würde sie sogar wissen, wohin sie nach einer geglückten Flucht gehen konnte.

Seit Stunden waren sie nun schon im Dschungel unterwegs und Venezias Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt. Was so lustig begonnen hatte, gipfelte gerade in einer Katastrophe. Erst einmal hatte es noch eine halbe Ewigkeit gebraucht, bevor sie überhaupt aufbrechen konnten, El Vitalco hätte am Besten anfangen sollen sich fertig zu machen, bevor überhaupt die Küste in Sichtweite war, so lange hatte er gebraucht.
Als erstes hatte er sich umgezogen, ein hübsches khakifarbenes Kostümchen kleidete ihn nun, mit weichen braunen Stiefeln und einer sandfarbenen Strumpfhose. Auf seinen frisch gewaschenen und glänzend gekämmten Haaren thronte ein runder heller Hut mit kleinen Löchern drin, daran hing wie ein Schleier ein Netz um ihm das Viehzeug vom Leib zu halten. Warum man sich allerdings frisch schminken musste um durch den Dschungel zu stapfen war Venezia ein Rätsel.
Dann, als er endlich so weit gewesen war, kamen auf einmal die Leute, etwa ein Dutzend kleine braungebrannte Gestalten, die sich irgendwo im Inneren des Schiffes aufgehalten haben mussten, die Gnomin hatte sie vorher nicht gesehen. Sie trugen Kisten und Kästchen, Körbe und Krüge, und vier von ihnen hatten eine Sänfte geschultert, aus hübsch verziertem, dunklem Holz, mit quietschbunten Kissen und Decken ausgestattet.
Nachdem El Vitalco erst noch eine Viertelstunde philosophiert hatte, ob die Farbe der Vorhänge ihn nicht etwas blass erscheinen ließen und sich dann doch endlich dazu durchringen konnte, sein Gefährt zu besteigen, ging es dann nach stundenlangen Warten doch endlich los.
Aber das lange Warten und die Schlange von Menschen, die sich jetzt durch den Urwald wälzte waren bei Weitem nicht das Schlimmste.
Die Gnomin hatte es sich anfangs auf dem Dach der Sänfte gemütlich gemacht, warum auch sollte sie laufen, wenn dieses Ding doch eh durch den Dschungel getragen wurde. Doch schon bald zog sie selber laufen und die damit eingehenden Blasen an den Füßen vor, denn El Vitalco jammerte!
Es hatte irgendwann nach etwa 20 Minuten angefangen, und hatte seitdem zwar die eine oder andere kurze Unterbrechung erlebt, war aber niemals ganz abgerissen. Er jammerte über die Wärme, die Feuchtigkeit, die Fliegen, den Wind, das helle Licht, dann hatte er Hunger, dann Durst, der Weg war ihm zu weit, die Sänfte schaukelte zu dolle, ihm war langweilig und gerade eben ließ er sich lautstark darüber aus, dass ihm ein Fingernagel abgebrochen war.
Venezia bewunderte die stoische Ruhe, mit der ihre Begleiter das ertrugen, sie selber war kurz vor dem Siedepunkt und obwohl sie sich am Anfang des Trecks eingereiht hatte und somit wie Position erreicht hatte, an der sie am weitesten von der Sänfte entfernt war, war das Gejammer doch bis hier hin deutlich zu vernehmen.
Und wenn nicht bald irgendetwas geschehen würde, was dem Einhalt gebieten konnte, dann würde hier ein Unglück geschehen, dessen war sie sich sicher!
Vielleicht gibt es irgendwo am Rande des Pantheons einen geringen Gott, der extra für kleine Gnominnen die ihr Gedächtnis verloren hatten verantwortlich war, vielleicht hatte aber auch die Lady einen guten Tag und schaute gerade in die richtige Richtung. Wie dem auch sei, Venezias Bitten wurde erhört: Vor ihnen im Dickicht raschelte es laut und vernehmlich.
Reflexe, die so lange geschult wurden, dass sie sich jetzt aus dem Unterbewusstsein der Gnomin heraus Gehör verschafften ließen sie sofort nach ihrem Säbel greifen, innehalten und aufmerksam lauschen.
"Wie sieht das aus?! So kann isch nie wieder ge'en unter Leute! Meine 'and ist versaut!" drang aus Richtung der Sänfte an das Ohr der Gnomin.
"Scht!", zischte sie dem nächsten Träger zu, welcher diesen Laut an die Reihe hinter sich weitergab, so dass er irgendwann auch die Sänfte erreichte. Es hatte keinen Effekt.
"Nun isch muss abschneiden alle Nägel von Finger! Was für eine Tragödie!", jammerte El Vitalco weiter.
Das war der Zeitpunkt, an dem der Gnomin endgültig der Kragen platzte. Mit einigen schnellen Schritten erreichte sie die Sänfte, schwang sich hoch, riss die Vorhänge beiseite, sprang El Vitalco auf den Schoß, packte seine Hand und bog die Finger in einen ungesunden Winkel auf seinen Handrücken.
"So, nun hörst du mir mal genau zu, du Scheißkerl! Wenn ich sage Scht! was meinst du, heißt das dann für dich?"
"Au!" gab der Käptn gequält von sich, seine Unterlippe zitterte und Tränen schossen ihm in die Augen.
Venezia drückte die Finger ein wenig fester zusammen.
"Nein, au war definitiv die falsche Antwort. Versuchs noch mal."
Eine Träne kullerte aus El Vitalcos rechtem Auge und zog eine Spur von Kajal über seine Wange.
"Isch... isch weiß nischt!", brachte er gequält hervor.
Die Sänfte wurde unsanft abgesetzt, aber Venezia nahm diese Bewegung nur am Rande wahr.
"Dann heißt das", brüllte sie los, "dass du deine verdammte Klappe hältst und zwar sofort!"
Nun verabschiedete sich auch vom linken Auge eine Träne mitsamt der Schminke.
Kläglich nickte er.
"Prima, dann können wir uns ja jetzt wichtigeren Dingen zuwenden", brummte die Gnomin, ließ seine Hand los, drehte sich um, zog den Vorhang beiseite und stockte.
Entweder waren die Träger verdammt fix, hatten sich merkwürdig bemalte und mit Federn geschmückte Masken und dazu passende bunte aber dennoch primitive Kostüme angezogen und sich schnell noch ziemlich spitz aussehende Holzspeere geschnitzt, oder bei den Personen die bedrohlich die Sänfte umstellten handelte es sich um andere Leute welche die Träger in die Flucht getrieben hatten. Die zweite Alternative schien der Gnomin ob der wie schnell weggeschmissenen Kisten und Kästchen, Körbe und Karaffen wahrscheinlicher.
"Na toll!", begrüßte die Gnomin ihre Gegenüber.
El Vitalco brach in klägliches Schluchzen aus.
Einer der Maskierten, dessen Bemalung ein bisschen an einen überfahrenen aber dennoch böse guckenden Tiger erinnerte trat vor.
"Aksa binal Eshu eshu?", bellte er.
Venezia schaute ihn einen Moment lang zweifelnd an, dann nickte sie. "Eshu, eshu. Genau."
"Trati gehuatl ghatti buhu!", teilte der Tiger ihr mit und zeigte erst auf die am Boden liegenden Gegenstände dann in die Richtung aus der sie gekommen waren und in die wahrscheinlich auch die Träger geflohen waren.
Auf gut Glück nickte die Gnomin wieder. "Ja, das waren ghatti, und ihr habt buhu gemacht."
"Du sprichst ihre Sprache!?" fragte El Vitalco erstaunt und vergaß sogar das Schluchzen.
"Nein", wisperte die Gnomin zurück. "Ich habe keine Ahnung, was sie sagen, ich bin nur gut im Raten."
"Die Peitsche! Benutz deine Peitsche!" zischte El Vitalco und deutete verschwörerisch mit seinem Kinn auf Venezias linke Seite.
"Oh, ja klar!", fauchte die Gnomin und fuhr zu El Vitalco herum. "Prima Plan, ich ziehe jetzt eine Peitsche mit der ich nicht mal umgehen kann, greife etwa 20 Leute an die mit spitzen Speeren bewaffnet sind und stranguliere mich dabei wahrscheinlich selber, wenn ich nicht vorher perforiert werde. Vielleicht lachen sie sich ja tot!"
Der Kreis der Bewaffneten um die Sänfte zog sich enger und der Tiger brüllte etwas, von dem Venezia zwar kein Wort verstand, was für sie jedoch vom Tonfall her verdächtig nach: "Hände hoch und mitkommen, Widerstand ist zwecklos" klang.
Naja, schlimmer als mit einer Heulsuse mitten im Dschungel zu sitzen kann's ja nicht kommen", murmelte die Gnomin, hob ihre Arme, hüpfte aus der Sänfte und begab sich in die Gewalt der Wilden.

Es hatte nicht lange gedauert bis man sie und El Vitalco entwaffnet und mit Lianen verschnürt hatte. Wenigstens musste sie nicht, wie der Käptn, selber laufen, der Tiger hatte sie sich unter den Arm geklemmt und nachdem sie zehn Minuten lang das Gewimmer von El Vitalco hatte ertragen müssen schien das den Wilden auch zu viel zu werden und sie hatten dem Mann einen Knebel verpasst, so dass die Reise jetzt fast angenehm war.
Fasziniert betrachtete die Gnomin aus ihrer erhöhten Position die merkwürdigen Gestalten um sich herum. Ein jeder von ihnen trug die Maske und die Bemalung irgendeines Tieres, sie alle waren klein (nun ja, zumindest im Verhältnis zu einem normalen Menschen, so weit Venezia das beurteilen konnte), drahtig und braungebrannt. Die bunte Kleidung die sie trugen schien ausschließlich aus primitiven Mitteln die man in der Wildnis auflesen konnte zu bestehen, geschmückt waren sie mit bunten Steinen und Federn.
Aber irgendetwas störte dieses Bild erheblich. Jahrelange Erfahrung versuchte in Venezias Kopf ihre Aufmerksamkeit zu erringen, leise klopften Indizien an ihre Hirnwindungen und im Unterbewusstsein leuchtete eine Fehlermeldung nach der nächsten auf.
Die Gnomin starrte angestrengt auf die Gestalten und versuchte den Quellcode ihrer umherschwirrenden Gedanken zu entschlüsseln, doch alles, was sie erreichte waren tränende Augen und Kopfschmerzen von der Konzentration.
"Na dann eben nicht", murmelte sie, schloss die Augen und hob die Hände um sich ein wenig die Schläfen zu massieren. Sehr plötzlich tauchten mehrere klare Bilder vor ihrem inneren Auge auf, die deutlich auf die Dinge hinwiesen, die sie störten.
"Die Hände!" entfuhr es ihr und sie riss die Augen wieder auf, um die Hände dieser Personen näher zu begutachten (das war nicht besonders schwer, eines dieser Exemplare hatte sich immerhin direkt um ihre Hüfte geschwungen).
Ja, genau das war es! Diese Leute hatten feine Hände mit sauber manikürten Fingernägeln, von der Arbeit, die damit einhergeht, wenn man mitten im Dschungel lebt, war nichts zu sehen. Die Gnomin war sich sicher, dass keine dieser Gestalten jemals in ihrem Leben Holz für Speere geschlagen geschweige denn dieses zurechtgeschnitzt hatte.
Wieder klickte es und ein Mosaiksteinchen rastete ein. Ja, genau! Sie hatte lange bevor sie... was auch immer gemacht hatte mit ihrer Familie im Wald gelebt, auch sie hatten ihre Kleidungsstücke selber machen und auch färben müssen, aber Farben wie diese hier hatten sie nie gehabt. Es war sicher vollkommen unmöglich mit einfachen Mitteln derart bunte Kleidung zu fertigen!
"Das ist ja schön und gut, aber was hat das zu bedeuten?", kommentierte sie ihre Gedankenfolge. Niemand antwortete.

Das sanfte Geschaukel des Getragenwerdens und die immer gleich grün bleibende Landschaft mussten die Gnomin in einen leichten Schlaf versetzt haben, denn als sie das nächste Mal die Augen aufmachte, schien der Trupp an seinem Ziel angekommen zu sein.
Mitten im Dschungel öffnete sich eine beeindruckend große Lichtung, dessen Zentrum von einem großen flachen Stein mit merkwürdigen Verziehrungen dominiert wurde, zu dem drei Stufen heraufführten. Auf diesem Plateau knieten noch etwa zwei Dutzend weitere der verkleideten Gestalten, ihre Köpfe waren allesamt zwei großen bunt geschmückten Sitzgelegenheiten zugewandt, die mit zwei Personen besetzt waren, welche unterschiedlicher nicht hätten sein können; der erste Unterschied betraf das Geschlecht, jedoch war das eigentlich nicht das, was einem zuerst ins Auge fiel. Wo sie von Körperfülle und auch von ihrer Präsenz her einem englischen Dreimaster unter königlicher Flagge glich, ähnelte er eher einem indianischen kleinen Kanu, wo sie eine unheimliche Fülle von Haaren hatte, die zu einer Frisur aufgerichtet waren, welche jeden Barbier in den Selbstmord getrieben hätte, hatte er bis auf ein paar graue Büschelchen überhaupt keine Behaarung mehr vorzuweisen, wo sie offensichtlich einer Kindergartengruppe mit Fingerfarben ihr Gesicht als Spielwiese zur Verfügung gestellt hatte war alles, was seine furchtbar langweilige Visage schmückte ein kleiner Zwickel, durch den seine Augen etwa so groß wie Kuchenteller waren.
"Herrin, verzeiht, wenn ich Unwürdiger die Aufmerksamkeit Eurer Heiligkeit mit meiner unwürdigen Stimme auf mich ziehe, jedoch kann ich mich glücklich schätzen zu melden, dass wir neue Opfer gefunden haben, mit dessen Opferung Ihr Eure Heiligkeit noch weiter in der Gunst der Götter aufsteigen lassen könnt", meldete der Tiger und ließ sich vor dem Dreimaster auf den Boden fallen.
"Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!" brauste Venezia auf. "El Vitalco, hast du das mitbekommen? Dieser Sohn einer ankh-morporkianischen Straßenkatze spricht unsere Sprache!"
"Schweig, Unwürdige!", donnerte der Dreimaster und erhob sich zu einer beeindruckenden Größe, eine Bewegung, die ein wenig mit der Wanderung eines Gletschers im Zeitraffer verglichen werden kann, auch das Knacken ihres Korsetts rief ähnliche Assoziationen hervor. Unweigerlich rutschten die, die direkt vor ihr knieten ein Stückchen zurück.
"Ich werde dich den dunkelsten aller Götter opfern, deinen Körper in siedendem Öl baden, deine Haut abziehen, deinen Kopf auf einen Pfahl spießen und deine Augen zum Frühstück verspeisen. Mit Meerrettichcreme!" Es wirkte wie auswendig gelernt, als wenn eine Operndiva auf der Bühne ihren Text intonierte.
"Naja, solange du mich nicht mit deinem Busen zerquetschst ist ja alles in Ordnung", gab Venezia zurück.
"Verdammt, wer hat denn diese furchtbaren Schauspieler eingestellt?" fuhr der Tiger dazwischen und riss sich seine Maske vom Gesicht.
"Schauspieler?" donnerte der Dreimaster. "Herbert, hast du das gehört? Man lässt uns gar nicht echt opfern, das sind nur Schauspieler! Was für eine bodenlose Unverschämtheit!"
Jetzt erhob sich auch das Kanu, er reichte dem Dreimaster bis etwa an die Brust.
"Reg dich nicht so auf, Klothilde... bitte. Du weißt doch, dein schwaches Herz..." piepte er, nahm die Hand der Frau und tätschelte die dicken Finger unbeholfen.
"Schauspieler!", regte diese sich weiter auf. "Wir bezahlen ein Vermögen für diese Reise und man präsentiert uns Schauspieler!"
"Ah, Verzei'ung, Mademoiselle, dass isch muss unterbreschen eine so wunderbare Frau wie Sie, aber die Gnom ist nischt Acteur, ist Indionora James, große Frau von Abenteuer und gele'rt", schaltete sich jetzt auch El Vitalco ein, der sich offensichtlich von seinem Knebel befreit hatte.
"Indionora?" Der Dreimaster wandte sich jetzt dem Käptn zu, offensichtlich ein wenig besänftigt von seinem Kompliment, denn ihre Stimme glich jetzt nicht mehr einem kompletten Blechblasinstrumentenkonzert sondern nur noch fünf bis sechs Hörnern. "Merkwürdig, da wo wir herkommen ist das ein Hundename."
"Nun ja, vielleicht sollten wir jetzt zum Hotel zurückgehen. Da können Sie beide sich einen Drink genehmigen, natürlich auf Kosten des Hauses. Und ich bin mir sicher, dass Sie mit dem Geschäftsführer etwas aushandeln können, was Sie den ganzen Ärger vergessen lässt", wandte sich der demaskierte Tiger an Dreimaster und Kanu, dann drehte er sich zu Venezia und El Vitalco um und fuhr in einem weniger schmeichelhaften Tonfall fort: "Und ihr beide seid gefeuert! Ich habe noch nie in meiner Karriere als Unterhalter so schlechte Schauspieler erlebt!"
Auch die anderen "Eingeborenen" hatten sich inzwischen demaskiert und rauschten jetzt in Begleitung ihres Anführers und der Touristen in den Dschungel davon.
"'otel? 'at er gesagt 'otel?" fragte der Käptn überrascht.
"Öhm... ich glaube schon... aber überhaupt... kannst du mir erklären, was das jetzt war und was das Ganze soll?" Venezia kletterte auf einen der Throne und futterte erst einmal ein paar der geschälten Weintrauben, die dort auf einem kleinen Tablett lagen.
"Ah no, isch 'habe keine A'nung. Aber isch werde gucken ge'en was sie meinen mit 'otel." Ein seltsames Glitzern war in die Augen von El Vitalco getreten, als er dem inzwischen verschwundenen Trupp in das Dickicht folgte.
"Mon Dieu, was ist das?" hörte Venezia ihn nicht weit entfernt rufen. Genervt verdrehte sie die Augen. Gerade saß sie gemütlich, was war denn nun schon wieder los?! Schnell steckte sie sich noch eine Weintraube in den Mund, dann folgte sie ihrem Begleiter.
Der Anblick, der sich ihr bot, als sie bei ihm angekommen war entlockte auch ihr einen bewundernden Pfiff; sie standen auf einer Klippe, ein schmaler Weg führte hinunter zu einer riesigen Hotelanlage. Ein Schwimmbecken mit einer Rutsche dominierte die grün-grüner-am-grünsten-Gartenanlage und hinter dem Prachtbau erstreckte sich das Meer mit einem weißen Strand und vielen bunten Sonnenschirmchen über genauso bunte Liegen.
"Weißt du was? Lass uns vergessen die Suche nach 'eilige Grill und ge'en da runter um zu machen Urlaub unter Palmen!" El Vitalco wollte sich gerade auf den Weg machen, da unterbrach die Gnomin ihn mit einem entschiedenen: "Nein!"
"Pardon, isch verstehe nischt... 'ast du gesagt nein?" Überrascht blickte er sie an.
"Ja genau, du hast schon ganz richtig verstanden. Ich bin hier irgendwo im wiewunderländischen Nichts, du hast mich entführt, um den heiligen Grill zu finden, also finden wir jetzt auch den heiligen Grill!"
Sie packte den Käptn am Hosenbein und fing an, ihn wieder in Richtung des Dschungeldickichts zu ziehen.
Einen Moment sah es so aus, als wolle er widersprechen, dann überlegte er es sich doch anders und die beiden machten sich wieder auf den Weg, das Abenteuer um den heiligen Grill fortzusetzen.



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