Die erste Stunde

"WO willst Du hin?", rief die Frau.
"Mya.", Daemon seufzte, "Ich habe es bereits erklärt. Ich gehe für einige Zeit in die Kröselstraße, um Rekruten auszubilden."
"Wa Rum?", die Näherin sah ihn böse an.
"Hör mal.", der Oberstleutnant stellte seine beiden Taschen auf den Boden und ging zu ihr, "Die jungen Leute müssen doch lernen, in dieser Stadt zu überleben..." Mya bekam große Augen.
"Von Dir?", fragte sie.
"Hey.", machte Daemon. Er räusperte sich, "Wie auch immer. Ich werde jetzt gehen.", er nahm die Taschen wieder auf, "Und bleibt von meinem Büro weg!", rief er ihr über die Schulter zu. Die Näherin gab sich nicht einmal die Mühe, das Klappern der Ersatzschlüssel zu verhindern.

***

"Ah. Daemon.", Rina winkte ungeduldig, "Immer nur rein."
"Ähm.", sagte Daemon und sah sich in dem Durcheinander aus Akten um, vor dem er recht verloren mit seinen Taschen noch in der Hand dastand, "Ja."
"Okay, okay. Ich habe hier eine Menge zu tun in dem ganzen Chaos. Wieso sagt mir hier eigentlich keiner der Ausbilder, was seine Rekruten den ganzen Tag machen?", sie sah auf, "Hier, das ist der Schlüssel für dein Büro und hier, ", sie reichte ihm einige Aktenblätter, "sind deine ersten Rekruten."
"Ähm.", wiederholte Daemon.
"Was denn noch?", Rina sah von einem großen Stoß loser Blätter auf.
"Was habe ich eigentlich zu tun?" Die Abteilungsleiterin verlor die Kontrolle über einen Teil der Blätter, die daraufhin über die Schreibtischkante auf den Boden rutschten und sich auf dem Boden zu einigen anderen, bereits dort liegenden gesellten.
"Was?", fragte sie ungläubig, sie raffte den Rest der Zettel zusammen, "Du erklärst den Rekruten alles, begleitest sie auf ihren ersten Schritten und machst jeden Tag eine Ausbildungsstunde. Sachlich ausgedrückt.", sie seufzte, als sie das neue Durcheinander sah.
"Und was mache ich wirklich hier?", fragte der Oberstleutnant.
"Du bringst gefälligst so viele von den Leuten durch, wie's geht."

***

Die Rekruten standen in kleinen Gruppen beisammen, als Daemon mit einer langen Tasche den Schlafsaal betrat.
"Alles klar.", murmelte er und fuhr monoton fort: "Aufgrund der etwas schlechten Wetterlage werden wir die heutige Ausbildungsstunde hier stattfinden lassen.", die Rekruten unterhielten sich weiter. Der Oberstleutnant hob die Stimme, "Zwar sind wir nicht aus Zucker gemacht, aber wir wollen ja nicht unnötig nass werden, später werden wir vielleicht einen Spaziergang zur unsichtbaren Universität machen.", das Murmeln der Anwesenden wurde lauter, als sie versuchten, die Stimme des Ausbildenden zu übertönen, und ihn gleichzeitig bestmöglich zu ignorieren, "Das Thema heute lautet, ", er kramte einen Zettel aus seiner Hosentasche, "Umgang mit magischen Gegenständen.", er sah auf und bemerkte das offenkundige Desinteresse der herumstehenden Rekruten. Er zuckte mit den Schultern, kniete sich neben die längliche Tasche, die er mitgebracht hatte, öffnete sie, griff hinein und erhob sich. Er holte kurz aus und warf den kleinen Gegenstand. Surrend schoss er durch den Raum, prallte klongend, klirrend, krachend und sirrend von Wänden, Helmen, Schilden und Trollen ab. Die Rekruten warfen sich zu Boden und hielten die Köpfe unten, während Daemon ruhig im Raum stand. Schließlich hob er die geöffnete Hand und die Kugel sauste hinein [1].
"Dies.", begann er sachlich, als die ersten Liegenden vorsichtig zu ihm schauten, "Ist ein goldener Rotz.", er drehte die kleine, goldene Kugel zwischen seinen Fingerspitzen, "Er ist für ein Spiel hergestellt wurden, dessen die Zauberer sich ungefähr 2 Tage lang erfreuten, bevor sie merkten, das Besen eher etwas für Hexen sind. Seitdem treffen wir zumeist bei Überfällen auf sie, wo sie als Waffe eingesetzt werden.", er sah die Rekruten an, die ihm jetzt aufmerksam zuhörten, "Der goldene Rotz ist nur ein Spielzeug.", mit einem weiteren ruhigen Blick steckte er die Kugel in seine Hosentasche [2], "Unser Thema heute lautet: 'Umgang mit magischen Waffen'. Mein Name lautet Daemon und ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass sich Jeder bewusst wird, warum wir von solchen Dingen die Finger lassen."

***

"Das hier.", die Rekruten hatten sich um einen eilig herbeigeschafften Tisch versammelt und betrachteten den kleinen Gegenstand darauf, "Ist ein magischer Ring.", der Oberstleutnant schritt um Ring, Tisch und Lernende herum, "Nichts Besonderes, nicht wahr?", er griff einen der Rekruten von hinten an die Schultern und sprach ganz nah an dessen Ohr, "Aber was, wenn ich euch sage, dass dieser Ring ganze Nationen zerstört hat, ganze Gebirge geebnet und einen der größten Kriege der Scheibenwelt entfacht hat, nur, weil ihn sein Finder ohne nachzudenken aufgesetzt hat?", er langte an den Rekruten vorbei, die so weit wie möglich vom Tisch zurückgetreten waren, und nahm den Ring in die Hand, "Außerdem macht er seinen Träger unsichtbar.", fügte er hinzu und schob den Ring auf seinen Finger. Mit großen Augen sahen ihn die Wächter an. Der Oberleutnant grinste.
"Ihr glaubt nicht wirklich, dass ich so einen Ring hier herumzeige, oder?", er schüttelte den Kopf, "Ich will nur sagen: Wenn ihr in Ankh-Morpork irgendwas findet, das total harmlos aussieht: Lauft!"

***

"Genauso.", fuhr er fort, "Sieht es mit Dingen aus, die euch nützlich erscheinen könnten. Ihr solltet gerade in der Umgebung der unsichtbaren Universität immer auf das Schlimmste gefasst sein.", er griff in seine Tasche und holte ein großes Schwert heraus, "Schwertunterricht wird sicher noch Jemand mit euch machen.", vermutete der Oberstleutnant, "Aber was, wenn ich euch sage, dies hier sei ein magisches Schwert?"
"Ich würde fragen, ob das wahr ist.", grinste einer der Rekruten. Daemon kniff die Augen zusammen.
"Wie heißt Du, Rekrut?", fragte er.
"Äh.", schluckte der Angesprochene, "Nerviar. Lagan Nerviar."
"Bist einer von meinen Jungs, richtig?", fragte der Oberstleutnant.
"Ja, Sir." Daemon nickte.
"Nun. Probier es aus.", er gab dem Wächter das Schwert in die Hand.
"Nun, ich hatte ein paar Schwertübungen in der Gilde. Nicht viel, aber ich denke...", er nahm eine Angriffshaltung ein und holte mit dem Schwert aus. Die Klinge blitzte auf, fuhr in die Höhe und leuchtete.
"Ah ja.", Daemon trat zu dem Rekruten, der hilflos am Schwertgriff hing und versuchte, den Arm wieder herunter zu nehmen, "Das Schwert versucht, sich und seinen Träger zu präsentieren, eine häufige Reaktion solcher Waffen. Wer allerdings versucht, mit einem gefundenen Schwert zu kämpfen und sich auf einmal in derselben Situation wiederfindet, wie unser junger Freund hier.", er löste Lagans Hand vom Griff und nahm das Schwert vorsichtig herunter, "Der sieht alt aus. Andere magische Schwerter haben noch schlimmere Eigenschaften: eine Sorte versucht ständig, sich in Steine zu bohren und Könige zu erwarten, eine Andere zieht den Träger automatisch zum nächsten Drachen, um diesen zu erschlagen, was bei den heutigen Umständen ein ganz schön langer Lauf sein dürfte. Ihr seht also:", er packte das Schwert wieder in die Tasche, "Es hat einen Sinn, dass wir euch mit eigenen Waffen ausstatten, auch, wenn sie nicht immer neu, scharf oder nützlich sind."

***

"So, mal sehen, was ihr bisher behalten habt.", er zog einen alten Hut hervor, "Dies ist ein nach unserem Wissen völlig ungefährliches Artefakt. Natürlich kann man sich nie ganz sicher sein, aber ich möchte trotzdem, dass ihr versucht, herauszufinden, was er tut.", er legte den Hut auf den Tisch und trat zurück. Die Rekruten sahen ihn eine Zeitlang an.
"Normalerweise trägt man Hüte auf dem Kopf.", vermutete Lavendula.
"Ja, aber bei einem magischen Hut könnte uns das den Kopf wegblasen.", gab Robin zu bedenken.
"Der Chef meinte, es ist ungefährlich, sicher hat das schon mal Jemand ausprobiert.", warf Lagan ein.
"Aber bestimmt nicht auf seinem eigenen Kopf.", grinste Rurik.
"Das bringt uns jetzt aber auch nicht weiter.", maulte Lavendula.
"Ich weiß was.", Robin wandte sich um und ging zu Daemon, "Sir.", salutierte er. Daemon winkte fahrig mit der Hand an seiner Stirn vorbei.
"Rekrut Picardo?"
"Ich bitte um die Erlaubnis, zur Unsichtbaren Universität gehen zu dürfen, um dort in der Bibliothek Nachforschungen über den Hut anstellen zu können." Daemon sah ihn nachdenklich an.
"Weißt Du, wie lange es dauern würde, dort hinein zu kommen und das richtige Buch zu finden?"
"Wenn es wichtig genug wäre, dürfte das keine Rolle spielen."
"Na gut.", der Ausbilder holte einen Zettel hervor, "Das hier sind die Angaben, die Du nach etwa 3 Tagen intensiver Suche finden würdest. Guter Ansatz. Weitermachen." Robin kehrte zu den anderen Rekruten zurück und las mit ihnen den Zettel.
"Das ist alles?", fragte Rurik. Er griff nach dem Hut und setzte ihn sich auf den Kopf. Besorgt sahen die anderen ihn an. Nach einer Weile der Stille tönte ein Wort durch den Raum.
"Merkwürdig.", kommentierte Zerwas das geschehen, als Rurik den Hut abnahm.
"Was hat das nur zu bedeuten?", Lavendula betrachtete den Hut.
"Vielleicht ist es ein Ort in Lancre?", sagte Robin, "Ich glaube, ich habe mal davon gehört."
"Und was hat das mit Rurik zu tun?", fragte Lagan.
"Keine Ahnung. Hier steht, der Hut sei einfach in der UU aufgetaucht. Vielleicht stammt er sogar aus einer anderen Dimension."
"Nun?", trat Daemon zu den Wächtern, "Habt ihr rausgefunden, was der Hut tut?"
"Nun, er ruft ein Wort, wenn man ihn aufsetzt. Scheinbar soll Rurik nach Lancre gehen , oder so.", sagte Lagan.
"Oder wo immer dieses Hufflepuff liegt.", fügte Lavendula hinzu. Der Ausbilder nickte.
"Das ist genau das, was die Zauberer auch herausgefunden haben. Merkwürdigerweise ruft er bei allen Zauberern Hufflepuff, obwohl er wohl mehr als nur dieses eine Wort kennt.", er packte den Hut wieder ein.
"So, das war es für heute, ich hoffe, ich habe euch den nötigen Respekt vor magischen Dingen beigebracht, so dass ihr im Dienst Vorsicht walten lassen werdet [3], ansonsten würde es mich freuen, wenn ich trotzdem nach eurer Ausbildung den Einen oder Anderen nach eurer GRUND-Ausbildung als Experte für magische Angelegenheiten zur DOG ziehen sehen könnte." Er nahm die Tasche und verließ den Schlafsaal.

Die Rekruten sahen sich verwirrt an.
"Das war es schon?", fragte Lavendula.
"Ich dachte auch, es würde länger dauern.", meinte Zerwas.
"Zumindest haben wir etwas gelernt.", sagte Robin zufrieden.
"Ja.", bestätigte Rurik, "'Paß gefälligst auf, wenn der Ausbilder reinkommt.'"

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[1] Daemon vertraute hier Jemanden, dessen Name nicht genannt wird, die aber manchmal zur Stelle ist, wenn man sie benötigt. Gnädigerweise sorgte sie dafür, dass die Vorstellung des überlegenen Ausbilders nicht durch dessen plötzliche Bewusstlosigkeit oder seine stark schmerzende Hand beeinträchtigt wurde.

[2] Leider vergaß er über die Ereignisse des Tages, dass er ihn dort aufbewahrt hatte und beim abendlichen Umziehen kam es zu einem höchst unerfreulichem Erlebnis

[3] Es tat wirklich sehr weh, als er abends die Hose ausziehen wollte.