Zwei Wochen war es nun her, dass Robin in die Wache eintrat. Mit der Zeit gewöhnte er sich an den geregelten Tagesablauf, hatte ein Dach über dem Kopf und langsam meinte er sich schon ein bisschen in Ankh-Morpork auszukennen. Ein bisschen vermisste er seine freischaffende Tätigkeit als Bader schon, aber das durchaus anspruchsvolle Ausbildungsprogramm gab ihm wenig Möglichkeiten in wehmütigen Erinnerungen zu schwelgen. Auch weil sein Ausbilder wenig von seinem früheren Beruf hielt, war er bemüht diese Thema nicht weiter anklingen zu lassen, um so normal wie möglich seinen Dienst zu versehen.
***
Schwungvoll wurde die Tür des Rekrutenschlafsaals aufgerissen.
"Morgen, Männer! Raus aus den Federn!" , rief Oberleutnant Daemon mit einer Stimme die keinen eigentlich Widerspruch zuließ.
"Wasn los?", brummte Robin, schon im Begriff die Decke wieder über seinen Kopf zu ziehen.
"Was wohl! Es ist 06.30 Uhr! Zeit zum Aufstehen! Wir sind hier schließlich kein Erholungsheim, sondern ein Teil der Stadtwache von Ankh-Morpork.", entgegnete Daemon.
[1]Langsam bemühte Robin sich aufzurichten. Es gehörte zwar nicht zum Ausbildungsprogramm, aber gestern Abend fand er die Idee, mit den Anderen im Eimer noch
einen zu heben, ganz gut. Wie immer bei solchen Anlässen kam Rache erst am nächsten Morgen. Ein heftiger Schwindelanfall überraschte ihn, als er sich von seiner Pritsche erhob.
"Übrigens, ich habe ein tolles Mittel für Sie, wenn es Ihnen schwer fällt morgens aufzustehen", sagte Oberleutnant Daemon mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht.
"Und das wäre?", fragte Robin mit dem Gefühl der Hoffnung, dass langsam in ihm aufkeimte.
"Das Zauberwort heißt Doppelschicht! Sie und nefer haben heute zusätzlich noch die Nachtschicht.", rief Daemon durch die schon wieder halbgeschlossene Tür. "Wenn Sie nicht ins Bett kommen, haben Sie wohl keine Schwierigkeiten mit dem Aufstehen, oder?! Wenn Rekrutin nefer den Dienst heute morgen antritt, dann kommt beide zu mir ins Büro und ihr bekommt den Auftrag für heute Nacht.", und mit einem für Robin zu lauten Knall, fiel die Tür in ihr Schloss.
'Super! Doppelschicht! Es genügt nicht, den ganzen Tag zu buckeln! Nein, der Herr Ausbilder muss einen noch in die Nachtschicht pressen!', dachte Robin schimpfend.
Er schlurfte langsam zu seinem Spind in der hinteren Ecke des halbdunklen Schlafsaales und begann sich anziehen; dass leise Kichern seiner Mit-Rekruten überhörte er dabei geflissentlich.
***
"Morgen nefer!", rief Robin der gerade hereinkommenden Mumie zu.
"Tag Robin! Wie gehts dir?"
"Frag nicht! Ich glaube, gestern Abend habe ich mehr 'Lehrgeld' bezahlt, als mir lieb ist!, sagte Robin, gerade dabei den Kaffee bedächtig umzurühren.
"Tja, den Fehler begeht jeder Neue in der Wache mal."
"Na ja, ich werde es überleben. Übrigens, wir beide haben heute Doppelschicht! Wir sollen uns bei Daemon melden." , verkündete Robin, wobei er verächtlich mit dem Kopf in Richtung des Ausbilderbüros nickte.
"DOPPELSCHICHT!", rief nefer empört. "Die wissen wohl nicht, dass ich neben der Wache auch noch ein Privatleben habe! Wer soll den bitteschön mit Getier rausgehen, wenn ich mich hier vierundzwanzig Stunden aufhalte?"
Missmutig machten sich beide auf den Weg nach hinten zum Ausbilderbüro. An der braunen Eichentüre angelangt, klopfte Robin zaghaft an.
"Ja!", rief eine laute Stimme.
Er öffnete die Tür und betrat mit nefer das Büro, in dem sich Fähnrich Lanfear und Hauptmann Daemon gerade bei der morgendlichen Dienstbesprechung befanden. Vor einem mit Papieren überladenen Schreibtisch blieben die Rekruten stehen. Hier und da blitzten aus dem Papierberg auf dem Schreibtisch verschiedene vergessene Kaffeetassen, wie Mahnmale an lange Dienstnächte.
"Guten Morgen Herr Oberleutnant, wir sollten uns bei ihnen melden.", sagte Robin.
"Melden?..... Ach ja! Sie und nefer gehen heute Nacht nach dem normalen Ausbildungsdienst Streife in unserem Bezirk."
"Streife!" riefen nefer und Robin gleichzeitig.
"A... A... Aber, ist das noch nicht zu früh?" entgegnete Robin.
"Für Jeden ist es irgendwann einmal das erste Mal.", erwiderte diesmal Fähnrich Lanfear.
"Sie wurden beide mit Bedacht ausgewählt. Wächter Picardo, weil Sie medizinische Kenntnisse besitzen und nefer, weil Sie untot sind; da kann Picardo wenigstens nicht zu viel anstellen, wenn Ihnen was passiert." brachte Oberleutnant Daemon vor, wobei das Lächeln in seinem Gesicht immer größer wurde. "Scherz beiseite. Wir bekommen immer Beschwerden über eine Gruppe Vandalen, die nachts die Strassen unsicher machen und allen möglichen Blödsinn anstellen. Kümmert euch darum! Morgen früh melden Sie sich wieder hier zur Berichterstattung!"
Fähnrich Lanfear und Daemon wandten sich wieder ihren eigenen Problemen zu. Dies war das Zeichen, dass die Unterhaltung für die beiden Rekruten zu Ende war.
***
"Warum mussten wir noch mal bei dir vorbei?", fragte Robin nefer etwas ungehalten.
"Soll ich meinen Hund etwa die ganze Nacht allein lassen?", entgegnete sie Robin.
Ein kleiner Hund folgte nefer die Treppen aus ihrer Kellerwohnung nach oben. Das Hündchen mit den violetten Augen umkreiste beide schwanzwedelnd, wobei Robin immer wieder darauf achten musste nicht auf ihn zu treten, als dieser immer wieder zwischen ihren Beinen freudig Hin und Her rannte.
"Mein kleiner Süßer wird uns heute Abend begleiten. Aus ihm wird noch mal ein richtiger Wächterhund.", sagte nefer mit verträumten Blick auf Getier
[2]Langsam begannen sie die dunkle Strasse herunterzuschlendern, genau wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt hatten. Es war eine warme Nacht und Ankh-Morpork zeigte sich von seiner besten Seite. Selbst der Geruch des Ankhs, der die Stadt ständig wie eine Käseglocke überdeckte, war heute zu ertragen.
Sie bewegten sich in Richtung der Sirupminenstrasse, immer noch darauf bedacht, den typischen Stil des Streifegehens der anderen Wächter zu imitieren.
"Du musst lockerer in den Knien sein!", riet nefer Robin, der aussah als hätte er einen Stock verschluckt. "Außerdem: Mach einen gelangweilten Eindruck! Du willst doch nicht, dass uns jemand tatsächlich anspricht und wir dann noch helfen müssen."
"Das mit dem Streifegehen werd ich nie hinkriegen!", jammerte Robin, immer noch darauf bedacht den spielenden Getier nicht zu treten.
"Lass uns in die kleineren Seitenstrassen gehen. Dort kommen wir bestimmt nicht in die Gefahr, vielen Leuten zu begegnen.", sagte nefer.
Zwischen zwei hohen Gebäuden bogen sie von Hauptstrasse ab und gingen den schmaleren Weg gelangweilt weiter. Von Zeit zu Zeit erkannten sie unfreundliche Gesichter der Anwohner, die hinter schmierigen Fensterscheiben hervorlugten. Als Robin seinen Blick nach oben über die Dächer schweifen lies, erkannte er plötzlich einige Schatten die, dicht hintereinander, über die Dächer huschten.
"Nefer! Hast du das auch gesehen?"
"Was?", fragte nefer.
"Irgendwer turnt auf den Dächern herum!"
"Ach, bleib ruhig! Das waren nur Schüler der Assasinengilde beim Training. Ich hoffe nur keiner stürzt ab, sonst haben wir das Schlamassel am Hals. Außerdem hab ich keine Kreide dabei, um den Umriss des Abgestürzten auf den Asphalt zu malen."
Bedächtig schlurften sie weiter, als sie am Ende des Weges an der Wand tanzende Schatten erkannten. Der Weg bog nach rechts ab und jemand hatte wohl ein Feuer in einer Tonne entfacht. Das Spiel der Schatten an den dunklen Ziegelwänden sah eigentlich ansprechend aus; wäre da nicht Getier gewesen, der plötzlich mitten in seinem Spiel innehielt. Die verblieben Nackenhaare des untoten Hundes stellten sich auf und ein, für den kleinen Hund erstaunlich kräftiges und tiefes Knurren, entfuhr seiner Kehle.
"Hähähä, ich schreib drüben noch was hin!", lachte eine Stimme.
"Los, mach schnell! Ich glaube ich hab etwas gehört", sagte die zweite Stimme.
"Angsthase, wer soll sich schon um diese Zeit hier rumtreiben?"
"Du meinst außer uns?", erwiderte der Zweite ironisch.
Robin hielt inne, aber nefer packte ihn am Arm stürmte schon um die Ecke.
'Mach einen gelangweilten Eindruck, hat sie gesagt und bei der ersten Gelegenheit stürmt sie los und bringt uns, bzw. im Besonderen mich, in Gefahr!', schoss es Robin durch den Kopf, als er um die Ecke wirbelte.
[3]Beide schlitterten um die Ecke und erkannten zwei schwarz gekleidete Personen, die mit einem Eimer Farbe und Pinsel im Begriff waren die Wand nach ihren Vorstellungen künstlerisch zu gestalten.
[4] Sie trugen schwarze Lederklamotten. und silberne Nieten formten das Wort
'coole Rebellen' auf den Umhängen.
Stagzz war hi........., konnten die beiden Wächter an der Mauer erkennen. Rote Farbe tropfte an den Buchstaben, der Scheibenanziehung zu trotzen versucht, in Richtung des Bodens.
"Halt, im Namen der Stadtwache", rief nefer den erstaunten Gestalten entgegen.
"Was zum Teu....", unterbrach sich der Malende selbst. "He, ihr zwei Wächterchen, es wäre besser für euch, wenn ihr umdreht und so tut als wäre nichts geschehen. Wir wollen doch nicht das jemand zu Schaden kommt!"
"Jerome! Lass uns machen, dass wir wegkommen, dass ist die Sache nicht wert!", jammerte der Zweite.
"Du kannst ihnen ja gleich noch meine Adresse geben, du Idiot. Ich heiße Staggzz!", empörte sich Stagzz. Er warf seinem Kameraden ein wütendes Augenfunkeln zu und näherte sich bedrohlich den beiden Wächtern. "Vielleicht kommen wir heute sogar noch früher zu unserem Frühstück", und sein Mund entblößte ein Paar funkelnde Reißzähne. "Ich mach die lebende Binde fertig und du beschäftigst dich mit dem Dickerchen!"
"Ähh.., n..n..efer?", stotterte Robin. "Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass ich grundsätzlich pazifistisch eingestellt bin!"
"Gutes Timing für das Geständnis, mein Freund.", sagte nefer als sie sich auf ihren Gegner zu bewegte.
Stagzz und sein Kamerad hoben zwei auf dem Boden liegende Holzlatten auf und gingen bedrohlich auf die beiden Rekruten zu.
Nefer zog ihren Knüppel, blickte sich zu Robin um und rief: "Brauchst du eine Extraeinladung, oder soll ich alles alleine machen?"
"Nefer! .....Ich hab meinen Schlagstock vergessen!..."
"Waaas! Genauso gut, hättest du dein Schwert vergessen können!"
"Ähh... Nefer!....", erklang es ein zweites Mal, jetzt jedoch konnte Robin den verlegenen Unterton kaum noch verbergen.
"Du willst doch nicht behaupt......", aber nefer konnte den Satz nicht beenden, weil Stagzz inzwischen seinen ersten Angriff startete. Behände und geschickt wich sie den Schlängen aus und landete den einen oder anderen Treffer. Man musste keine Genie sein um zu erkennen, dass Robin mit leeren Händen eigentlich kein ernstzunehmender Gegner war. Der Zweite, auf ein schnelles Ende hoffend, trat auf Robin zu und schon sein erster Schlag war sozusagen ein Treffer mittschiffs. Benommen sackte er auf das Kopfsteinpflaster. Er hörte wie hinter ihm ein Knurren ertönte und danach das schnelle Kratzen von Krallen auf hartem Untergrund. Getier leitete seinen Angriff ein und versenkte blitzschnell seine Zähne in dem Lederumhang des Angreifers.
"Argh...", schrie der Namenlose und begann sich wie wild um seine eigene Achse zu drehen, um den kleinen, aber sehr kämpferisch eingestellten, Hund abzuschütteln.
Tränen des Schmerzes verschleierten Robins Blick, als er plötzlich einen harten Stoß in seine Rippen spürte. Der Angreifer stolperte über den, immer noch auf allen Vieren kriechenden, Robin und stürzte rückwärts in einen an der Wand aufgestellten Stapel mit Obstkisten.
[5]"Verdammt!", schrie der Zweite und blickte ungläubig auf seine Brust herab, aus der ein grüner Spargel ragte. Ein leises Zischen wurde hörbar als der junge Rowdy zu Staub zerfiel.
Langsam erhob sich Robin und wandte sich nefer zu, die aber anscheinend ganz gut ohne ihn zurecht kam.
Ihr Gegner wandte sich ab und suchte sein Heil in der Flucht. Nefer setzte ihm ein paar Schritte nach, gab ihr Vorhaben jedoch auf, als Stagzz sich mit einem leisen Geräusch in eine Fledermaus verwandelte und über den Dächern der dunklen Stadt entschwand.
Erst jetzt erkannte Robin wo sich befanden. Sie standen vor einem Kellereingang, an dem allerlei verschieden Arten von Kisten und Pappkartons gestapelt waren.
'Schnappers köstlicher frischer Spargel', konnte Robin auf einer noch halbwegs intakten Kiste lesen.
"Schnapper ist wohl der Einzige in der Stadt, der seine Waren unbewacht vor seinem Lagerräumen stehen lassen kann.", sagte nefer lächelnd. "Die Idee, den Vampir mit einem von Schnappers
'frischen' Spargeln zur Raison zu bringen zeugt von Kreativität."
"Na ja, ich sagte, ich bin grundsätzlich Pazifist. Das heißt es gibt immer Ausnahmen
[6]. Übrigens, was hat dein Hündchen am liebsten?", erwiderte Robin, auf den inzwischen wieder schwanzwedelnden Hund blickend, verlegen.
"Knochen, glaube ich. Komm lass uns die Asche mitnehmen und schnell von hier verschwinden, bevor Schnapper auftaucht und uns den Sold von mehreren Monaten abknöpft, weil wir sein Außenlager ein bisschen durcheinander gebracht haben!", brachte nefer hervor.
***
Ein kleines graues Säckchen lag auf dem Schreibtisch des Ausbilders.
"Sachbeschädigung und Angriff auf einen Wächter!", verkündete Robin stolz.
"Der erste Vampir ist uns leider entwischt", ergänzte nefer. "Aber wir haben seinen Namen.
"Stagzz alias Jerome, oder umgekehrt!""Gute Arbeit!", erwiderte Oberleutnant Daemon. "Ihr habt euren ersten Streifengang überlebt und eine Verhaftung durchgeführt. Mir wäre es zwar lieber gewesen, wenn Sie ihren neuen Freund in einem Stück hierher gebracht hätten, aber bei Vampiren ist die Sache nicht so wild. Bringt ihn in eine freie Zelle und führt die Wiederbelebung durch. Ich werde dann nachher die Vernehmung durchführen."
"Danke Sir!", erklang es wie aus einem Mund von Robin und nefer.
"Noch was, Schnapper war heute hier und beschwerte sich darüber, dass jemand sein Lager verwüstet hat. Unglaublich, dass jemand freiwillig auch nur versucht Schnappers Waren zu berühren. Kümmert euch darum! Und lassen Sie sich nichts andrehen!!", sagte Daemon und wandte sich mit einem Lächeln wieder seinen Berichten zu.
***
"Nefer?"
"Ja Robin?", sagte die Rekrutin als sie gemeinsam langsam in Richtung des Zellentraktes gingen.
"Ich hoffe, dass nächste Mal, wenn wir auf Patrouille gehen, begleitet uns Getier wieder!"
"Woher denn auf einmal der Sinneswandel?", wunderte sich die Mumie.
"Ach...., ich glaube, ich mag Hunde! "
[1] Der aufmerksame Beobachter konnte erkennen, dass Oberleutnant Daemon ähnlich müde aussah, wie die Rekruten die er wecken sollte. Das Geheimnis eines guten Vorgesetzten ist jedoch, sich dies nicht anmerken zu lassen. Er hoffte, dass dies heute Morgen funktioniert hatte.
[2] Bei Frauen tritt in solchen Situationen immer der Mutterinstinkt hervor. Das Wort Süßer kam Robin beim Anblick von dem Hund als Letztes in den Sinn.
[3] Besser gesagt, gewirbelt wurde. Es ist beeindruckend, wie viel Kraft in einer 5000 Jahre alten Mumie steckt, obwohl sie nur aus getrocknetem Fleisch und alten, vergilbten Bandagen besteht
[4] Ein Virus, der wohl das ganze Multiversum befallen hatte. In einer anderen Dimension spielte es sich tagtäglich ähnlich ab, wobei der Pinsel durch einen Laserstift, oder einen Kreidestein ersetzten wurde.
[5] Das Wort Obstkisten wird hier in Ermangelung eines besseren Begriffs gewählt. Es handelte sich eher um eilig zusammengezimmerte Brettchen, die aussahen, als hätte sie man eben aus dem Ankh gefischt.
[6] im Besonderen, wenn Robin als Mahlzeit dienen soll!
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