In dem kleinen Kabuff, das einmal ein Büro werden wollte, wenn es größer war, raschelte Alberich mit der
Times , die er sich von Charlie geliehen hatte. Ihm gegenüber saß Kanndra, die versonnen eine Fliege beobachtete.
Die Fliege putzte sich gründlich, rieb ihre kleinen Beine gegen ihre Flügel und das Köpfchen. In Gedanken war Kanndra jedoch bei der Kaffeepause, die sie gerade mit Alberich, Johann und Bregs hinter sich gebracht hatte und die inzwischen eine feste Gewohnheit von ihnen war, wann immer es sich einrichten ließ. Araghast hatte immer noch nichts von seiner Faszination für sie verloren. Er schien jedoch überhaupt nicht zu merken, dass Kanndra ihn anhimmelte.
"Eigentlich lebt er nur so richtig auf, wenn er von seinen Abenteuern erzählt", dachte sie gerade, als von hinten eine Stimme dröhnte:
"Störe ich? Wenn ihr nichts zu tun habt, geht gefälligst auf Streife!"
Beide sprangen auf und salutierten, ein wenig zu spät, denn ihr Ausbilder Steingesicht war schon in seinem Büro verschwunden. Die Fliege flog erschrocken auf und begann gegen ein Fenster zu summen.
Dass Geister aber auch so leise sind!
"Eigentlich keine schlechte Idee, mal wieder ein wenig die Beine zu bewegen", meinte Alberich, als sie aus dem Wachhaus traten.
"Wir können bei meinem Vermieter Jovanni vorbeischauen. Er wird dir gefallen, er ist auch ein Zwerg und betreibt eine Pizzeria. Da können wir unsere Mittagspause...au!"
Kanndra rieb sich den Fuß, den sie sich an einem Stein gestoßen hatte.
"Schau mal, der Stein hat ein Gesicht aufgemalt und da hängt auch ein Zettel."
Alberich betrachtete ihn interessiert, las den Zettel und starrte in das aufgemalte Gesicht.
"Gib mal her."
"Schau mir in die Augen!" las Kanndra vor. Sie drehte den Stein um und sah ihm in seine aufgemalten Augen. Nichts passierte.
"Wahrscheinlich ein Kinderspiel", brummte der Zwerg.
"Ja, das denke ich auch", stimmte Kanndra zu und steckte den Stein geistesabwesend in ihre Tasche.
Dann gingen die beiden mit glasigem Blick und hölzern wirkenden Bewegungen zielstrebig in eine bestimmte Richtung.
Bunt. Ich muss die Wache bunt streichen. Und zwar heute nacht. Ja, unbedingt heute nacht.
Farbe. Ich brauche Farbe, und Pinsel.
Die Malergilde. In der Fadenscheinigstraße. Ich muss zur Malergilde.
Alberich will auch Farbe. Er will mir helfen heute nacht.
So viele Leute. Alle wollen Farbe. Ich brauche auch welche...
Ich muss die Wache streichen, heute nacht. Bunt. Ganz bunt.
Hoffentlich ist noch etwas übrig. Farbe...Bei Jovanni war wie immer einiges los. Seine Pizza ist bei Menschen und Zwergen recht beliebt, aber seine Spezialität, die "Steinharte Ofenpizza" entwickelte sich bei Trollen und Wasserspeiern zu einem richtigen Geheimtipp.
Für Kanndra, seine Lieblingsmieterin, hatte Jovanni jedoch immer ein paar Minuten für einen Schwatz übrig.
Als er die Farbe sah, zog er ein böses Gesicht.
"Isch konnte nur diese schrecklische Grün bekomme. Sonst schon alle weg. Dabei isch wollte meine Haus heute nacht bunt streiche. Ganz bunt."
Als sie sich setzen wollte, schlug Kanndra etwas Schweres gegen die Beine und sie holte den bemalten Stein aus ihrer Tasche.
"Den hatte ich schon ganz vergessen."
"Oh, du hast auch so eine gefunden? Meine lag heute morgen vor meine Türe mit eine Zettel: 'Schau mir in die Auge!'" rief Jovanni aus.
"Zeig mal her."
Kanndra untersuchte die beiden Steine und als sie sie mit den Gesichtern zueinander drehte, passierte etwas seltsames: die Gesichter lösten sich auf.
Nach ein paar Sekunden waren sie verschwunden.
Jovanni, Alberich und Kanndra lief ein Schauer über den Rücken und sie schauten sich verwundert an.
"Was wollen wir eigentlich mit der ganzen Farbe?" wunderte sich Kanndra.
"Ich habe so ein dunkles Gefühl, das ich damit unbedingt heute nacht die Wache streichen wollte", entgegnete Alberich.
Kanndra grinste: "Das hätte sie auch nötig. Aber in Blau, Rot, Gelb und... Rosa?"
Dann wurde sie wieder ernst: "Ich glaube, diese Steine haben uns hypnotisiert.
Damit kenne ich mich ein wenig aus. Wenn man Voodoo betreibt muss man sich manchmal in Trance versetzen, also sich selbst hypnotisieren."
"Hüp... was? Du kannst Voodoo?"
Alberich schaute Kanndra misstrauisch an.
"Ja", gab sie ein wenig verlegen zu.
"Aber ich möchte es nicht an die große Glocke hängen, weil sonst jeder, dem mal der große Zeh juckt, mich verdächtigt. Dabei würde so etwas ich natürlich nie machen. Jedenfalls nicht aus Spaß."
Alberich sah schon etwas erleichterter aus.
"Wer sollte uns denn hüpwasweisich, damit wir die Wache streichen?"
"Wenn wir nur Rosa gekauft hätten, hätte ich ja Vico im Verdacht", lachte Kanndra.
"Aber wir sind auch nicht die Einzigen. Jovanni war auch betroffen, und ich glaube mindestens die halbe Stadt war heute morgen bei der Malergilde versammelt, erinnerst Du Dich?"
"Du hast recht, war da nicht eine Prügelei? Deshalb habe ich ein blaues Auge!"
"Und was ihr jetzt wolle mache?" fragte Jovanni.
"Auf jeden Fall sollten wir noch mal zur Malergilde gehen. Wenn mich nicht alles täuscht, steckt die dahinter. Jedenfalls haben sie bestimmt noch nie soviel Farbe wie heute morgen verkauft."
"Stimmt. Bis heute hatte ich noch nicht mal eine Ahnung, dass es überhaupt eine Malergilde gibt", sagte Alberich.
"Bunt. Alles muss bunt sein. Diese grauen Mauern eprimieren mich."
"Wie Du meinst, Herr...Graf."
David Pinselfein, Oberhaupt der Malergilde, wagte seinem Berater nicht zu widersprechen. Immerhin war der ein Vampir und bei Vampiren war er lieber vorsichtig. Wenn sie sich zu sehr aufregten, könnte es sein, dass sie davon durstig wurden. Und dann wollte David möglichst weit weg sein.
Bis vor kurzem hatte er mit seinen zwei Mitgliedern noch ein beschauliches Leben in der wenig beachteten Gilde geführt, von der die meisten Bürger von Ankh-Morpork noch nicht einmal ahnten, dass sie existierte. Doch dann stand
eines Tages dieser Vampir mit dem außergewöhnlichen Geschmack vor der Tür und verkündete, er wäre von nun an Davids "Unternähmensberater" und habe schon einen Plan, wie die Gilde an viel Geld käme. Gleich darauf hatte Graf Fitti angefangen sämtliche Farbvorräte aufzukaufen und anschließend diese bunten Steine in der Stadt verteilen lassen. Damit wollte er jeden, der einen fand, hypnotisieren. Derjenige würde dann den Drang verspüren, unbedingt Farbe kaufen zu müssen, um das Gebäude, vor dem der Stein gelegen hatte in der Nacht bunt zu streichen.
Und nun hatten sie den Salat. Nämlich nur noch einen Eimer Farbe und noch mindestens fünfzig Leute, die diesen unbedingt haben wollen.
"Morgen wird mein Plan vollendet sein. Heute nacht streichen alle ihre Häuser und dann wird sie bunt sein. Die ganze Stadt bunt. Ahh, herrlich."
"Aber wir müssen etwas unternehmen. Die Leute verwüsten sonst unser Gildenhaus."
Graf Fitti wischte den Einwand mit einer ungeduldigen Geste zur Seite.
"Ruf die Wache. Ich habe Kopfschmerzen und brauche meine Pillen. Wo Johnny nur bleibt?"
Johnny Dauerbreit versorgte den Grafen regelmäßig mit kleinen Pillen. David hatte den leisen Verdacht, dass diese nicht ganz unschuldig an der Geschmacksverirrung des Vampirs waren.
DOG war schon vor Ort, als Alberich und Kanndra ankamen.
" Ich möchte bloß mal wissen, warum die alle plötzlich so scharf auf Farbe sind", murmelte Fähnrich Mückensturm missgelaunt.
"Das liegt an den Steinen, Sir."
"Was für Steine? Das musst Du mir erklären, Rekrutin."
Nachdem Kanndra erzählt hatte, was ihnen geschehen war, fügte sie an: "Ich bin sicher, dass die Malergilde etwas damit zu tun hat, Sir."
"Gut, das finden wir heraus. Ich werde denen mal auf den Zahn fühlen. Ihr beide helft den Ansturm hier aufzulösen und geht dann zurück zur Wache. Verstanden?"
Kanndra fand es ungerecht, dass DOG jetzt den Fall übernahm, schließlich waren Alberich und sie im wahrsten Sinne des Wortes über ihn gestolpert. Außerdem war es praktisch ihr erster richtiger Fall. Sie schluckte ihre Enttäuschung herunter und salutierte.
"Ja, Sir!"
Dann rief sie laut: "Also, jeder, der Farbe bekommen will, bitte in eine Reihe stellen und seinen bemalten Stein bei einem Wächter abgeben."
So waren die anwesenden Leute schnell aus der Hypnose erweckt und gingen ihres Weges. Doch was war mit denen, die ihre Farbe schon bekommen hatten? Die Wache konnte ja nicht die ganze Stadt nach irgendwelchen Steinen abklappern.
Nun, das war ja nicht mehr ihr Problem.
Der Nachmittag war schon fortgeschritten, als Kanndra in Steingesichts Büro gerufen wurde.
Dort erfuhr sie, dass das Gildenoberhaupt David Pinselfein gerne Auskunft gegeben hatte über die Pläne seines "Unternähmensberaters", mit denen er eigentlich nie einverstanden gewesen war.
"In Deiner Personalakte steht, dass Du die Gestalt wechseln kannst. Stimmt das?" wechselte der Feldwebel überraschend das Thema.
"Nun, Sir, eigentlich erzeuge ich eher die Illusion, eine andere Gestalt zu haben."
Plötzlich war Kanndra verschwunden und an ihrer Stelle stand ein Troll im Raum.
Steingesicht fiel vor Schreck eine Akte aus der Hand.
"Das nächste Mal warnst Du mich besser vor."
"Ja, Sir."
Der Troll salutierte und verwandelte sich wieder in Kanndra.
"DOG ist der Meinung, Du könntest vielleicht helfen."
Der Ausbilder räusperte sich und schaute in die Akte, die er vom Boden aufgehoben hatte.
"Dieser Graf bekommt regelmäßig kleine Pillen von einem Johnny Dauerbreit geliefert. Da dieser -hmm- momentan nicht aufzufinden ist, dachten wir, Du könntest seine Rolle übernehmen und rausfinden, wie man die Hypnose aufhebt. Sonst bekommen wir morgen wohl möglich alle Augenschmerzen, haha."
"Dazu muss ich wissen, wie Johnny aussieht."
"Wir haben eine Ikonographie in unseren Akten. Und hier sind noch ein paar getrocknete Froschpillen. Die Zauberer waren der Meinung, sie wurden die Wirkung der anderen Pillen aufheben."
"Yo, brassa, haben sie Dich auch verhaftet?" wurde Kanndra von dem Vampir empfangen.
Er gab wirklich einen merkwürdigen Anblick ab, wie ein zu groß geratener Schmetterling. Allerdings wirkte sie in ihrer momentanen Erscheinung als Johnny Dauerbreit auch nicht gerade besser.
"Stell Dir vor, sie wollen, dass ich die Hypnose aufhebe. Ha! Nie! Das würde ja unseren großartigen Plan vereiteln."
"Äähh, Yo. Aber Du könntest es, wenn Du wolltest?...Brassa?" Kanndra hoffte, die
richtigen Worte gewählt zu haben. Es war gar nicht so einfach, sich richtig auszudrücken, damit der Graf keinen Verdacht schöpfte.
"Klar, ich brauche nur an Grau zu denken und dann dreimal mit den Fingern zu schnippen. Hast Du meine Pillen dabei?"
Kanndra lächelte. Mehr brauchte sie nicht wissen.
"Nee, aber anderes Zeug. Haut voll rein."
Während der Vampir sich die getrockneten Froschpillen in den Mund stopfte, nutzte Kanndra die Gelegenheit und griff nach ihrem Amulett. Dann begann sie eine bestimmte Melodie zu summen.
"He, was soll das?" Graf Fitti wurde misstrauisch, doch dann entspannte sich seine Miene wieder und er summte die Melodie mit. Kanndra hielt das Amulett hoch und ließ es vor seinen Augen hin- und herpendeln.
"Du bist völlig entspannt und fühlst Dich wohl. Denk jetzt an die Farbe Grau."
Als sie sicher war, das er völlig unter Hypnose stand, ließ sie ihn dreimal mit den Fingern schnippen und weckte ihn anschließend wieder auf.
"Was? Wo bin ich? Und warum trage ich so schreckliche bunte Kleidung? Ich verlange sofort einen schwarzen Anzug und einen Sarg! Ich bin müde."
Der Graf schien wieder ein normaler Vampir zu sein.
Die Stimmung in der
Geflickten Trommel war schon recht ausgelassen, als Kanndra ihre Geschichte öfters wiederholen musste. Besonders einen bestimmten Teil.
"Und Du hascht Schteingeschicht wirklisch einen Schreck eingejagt?" freute sich Alberich etwas zu laut.
Kanndra kicherte.
"Er isch gansch weiß geworden. Hihihi."
"Ich - hick- wusste nich, dass Geissster so schreckhaft schind" amüsierte sich auch Araghast.
"Ich weiß gar nicht, was daran so lustig ist. Ich hätte mich auch erschreckt" verteidigte Carisa, die wohl als einzige noch nüchtern war, den Feldwebel.
Kanndra kicherte noch immer, verschwand plötzlich und an ihrer Stelle erschien eine üppige Blondine in Kettenhemd und mit Bart.
"Nee, so." Jetzt stand ein halb nackter Zwerg an der Stelle.
"Mist, mir fehlt wohl ein wenisch die Koscher... Konsche...Dings."
Normalerweise trank Kanndra nicht sehr viel, weil sie wusste, dass es ihre Fähigkeiten beeinflusste. Aber heute hatte Johann eine Runde Knieweich ausgegeben und danach nahm das Unheil seinen Lauf.
Die anderen konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen, nur Carisa schüttelte den Kopf.
"Ich bringe Dich jetzt nach Hause, Kanndra und dann suche mir ein nettes, und vor allem ruhiges Dach."
"Du bisch ne eschte Freundin, Car -hick- rischa. Bisch dann, Jungsch!"
Am nächsten Morgen sahen die Häuser in Ankh-Morpork genauso aus wie immer.
Die Malergilde verpflichtete sich, das Geld für jeden Eimer Farbe, der ihnen gebracht wurde zu erstatten. Wahrscheinlich würde sie dabei Verlust machen, aber David Pinselfein war froh, endlich wieder seine Ruhe zu haben. Er erklärte sich sogar bereit, beide Wachhäuser zu streichen.
[1]Graf Fitti nahm sich einen der besten Anwälte der Stadt und wurde nicht nur keines Verbrechens für schuldig befunden, sondern bekam aufgrund der Tatsachen,
dass er bei der Begehung der Tat, die keine war, unter Drogen stand und das kein nennenswerter Schaden entstanden war, mildernde Umstände.
Johnny Dauerbreit blieb unauffindbar.
Unter den Rekruten hatte sich eine Kopfschmerzepidemie ausgebreitet.
[1] Sobald sich die Wächter auf eine Farbe geeinigt haben. Vicos Antrag auf Rosa wurde einstimmig abgelehnt.
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