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Eine Mordserie gefährdet die Unterzeichnung eines wichtigen Handelsabkommens. Kannst du den Fall lösen?
Dafür vergebene Note: 14
Prolog.
Die Sonne brannte heiß auf das Dach des roten Backsteinhauses. Die Luft war drückend und unbewegt und der gespannte Baldachin über der Veranda bewegte sich kein bisschen. Man hätte denken können dass die Zeit stillstand, aber die Zeit stand nie still. Im Gegenteil, sie war eine der wenigen Konstanten im Multiversum: auch wenn es ab und an einmal Verzerrungen in ihr gab, sie lief trotzdem immer weiter. Und sie machte erst recht nicht halt vor einem einzelnen Menschen, auf einem einzigen Planeten, bzw. auf
einer einzigen Sternenschildkröte, bzw. auf dem Rücken von...Ach, ihr kennt alle die Geschichte, nicht wahr? Ja? Gut. Und eben dieser Mensch saß nun auf einem alten Holzstuhl auf der vorhin erwähnten Veranda. Sein Blick schweifte über die weiten Felder auf denen teils Bäume und teils Sträucher wuchsen. Der Mensch hielt nichts von Monokulturen, sie waren schlecht für den Boden. Man sah dem Mann an dass er stolz war, seine Augen strahlten es aus. Im Gegensatz zu seinem faltigen Gesicht und dem kurzen, weißen Bart sahen die Augen noch genauso aus wie früher. Die Augen sind der Spiegel der Seele und die Seele hatte er noch nicht verloren. Seine Jugend schon. Seine Jugend, ach ja.... Er seufzte ganz leise und nahm einen Schluck aus dem Glas das neben ihm auf dem Tisch stand. Danach holte er eine Zigarre aus der Brusttasche seines Hemdes und zündete sie mit einem Streichholz an. Er hustete. Wieso hatte er nur überhaupt damit angefangen?? Ach verdammt noch mal! Wenn schon alt sein, dann wenigstens mit Genuss! Der alte Mann kicherte glücklich und zufrieden in sich hinein und lies seinen Blick dann wieder über das Land schweifen. Es gehörte ihm. Langsam wurde er nachdenklich. Eigentlich war das hier alles was er sich immer gewünscht hatte...oder etwa nicht? Wehmütig erinnerte er sich an die Vergangenheit...Ankh-Morpork...Er paffte noch mal an der Zigarre und nahm dann den Strohhut vom Kopf und spielte damit herum. Doch es lenkte ihn nicht ab, er blickte wieder in die Ferne, es war eine schöne Zeit, hörte er sich selbst denken. Und er hatte völlig Recht damit.
In diesem Moment betrat eine weitere Person die Szene. Es war ein junger Kerl mit kaffeebrauner Haut die in dem Schatten des Baldachins noch dunkler wirkte. Er setzte sich zu dem Alten an den Tisch und lächelte ihn an.
"Hallo Junior in spe", sagte der Alte und lächelte den Jungen an.
"Grüß dich, Papi in spe", erwiderte dieser und grinste zurück. "Was machst du denn? Du sahst so aus als ob du in Gedanken versunken wärst..."
"Oh, ich schwelgte nur gerade eben in Erinnerungen..."
"In welchen denn??"
"Du bist ganz schön neugierig, mein Junge!" krächzte der Alte und kicherte. Der Jüngling fiel ins Lachen mit ein.
"Tja, so bin ich nun mal."
"Ob es das ist, was meine Tochter an dir so gern hat??" Der Alte setzte ein schelmisches Lächeln auf. "Oder sind es doch eher andere Dinge??"
"Na das musst du sie schon selbst fragen." antwortete der Junge und zwinkerte dem Alten zu", aber sag, an was hast du dich denn gerade erinnert?"
"An meine Jugend, als ich ungefähr so alt wie du war.."
"Hey, das ist interessant! Du hast mir bisher noch nie etwas darüber erzählt..."
"Das ist doch.."
"Ach komm schon! Alle Älteren reden darüber und erzählen sich deine Geschichten! Ich möchte auch endlich eingeweiht werden!"
"Na gut...schließlich gehörst du bald zur Familie, ach was sag, du gehörst jetzt schon zur Familie."
"Stimmt es, dass du früher Wächter in Ankh-Morpork warst??" fragte der junge Mann gerade heraus.
"Oh ja, das ist wohl wahr!" Der alte Mann lächelte leicht verträumt.
"Dann erzähl mir etwas davon, bitte! Was war dein größter Fall?"
"Nun, ich hatte einige Fälle die du sicher interessant finden würdest..."
"Erzähl mir doch von irgendeinem!" bettelte der junge Mann.
"Nun gut, dann hör mir zu...."
Und so erzählte der alte Mann, mit der dunklen Haut welcher vorhin seinen Blick über das weite Land seiner Mangofarm schweifen gelassen hatte, von seiner Vergangenheit als Wächter...
Prolog Ende.
Schweigend ritten die beiden Gestalten durch das kalte Land. Seid zwei Tagen ritten sie nun schon durch diese Tundra die nur abwechselnd von Fichten- oder Kiefernwäldern unterbrochen wurde. Aber die Kälte machte den beiden Männern nichts aus, schließlich kamen sie von hier. Die dicken Pelzmützen verhüllten ihre Gesichter, und die dichten Mäntel ließen auch nicht auf ihre Figur schließen. An ihren Seiten baumelten Degen in Scheiden die mit rot bemaltem Leder überzogen waren, das Zeichen der Palastwache ihres Landes. Die Landschaft war leise; selbst das monotone Geräusch der Pferdehufe änderte daran nichts. Auch die Leute in diesem Land waren nicht laut, denn das konnte hier gefährlich sein.
Trotz der Härte dieses Landes machten die schneebedeckten Bäume doch einen filigranen Eindruck und wiesen eine Schönheit auf wie sie nur die Natur selbst zu erschaffen vermochte. Es war eine schroffe, aber für den geeigneten Beobachter doch wunderbare Schönheit wie man sie diesem kargen Land wirklich nicht zugetraut hätte.
Langsam wurde es dunkel und man konnte die Wolken kondensierenden Atems sehen. Aber die beiden Reiter sprachen weiterhin kein Wort.
Wenige Wochen später...
Es war früher Abend. Lance-Korporal Vintongo lief durch die Straßen Ankh-Morporks. Es war ein unlizenzierter Mord geschehen, eigentlich ein Fall für RUM, doch bei diesem Fall zog man DOG noch dazu. Immerhin handelte es sich bei dem Mordopfer um ein sehr angesehenes Mitglied der Kaufmannsgilde und es bestanden durchaus Verdachte, dass es sich hierbei um eine Sache handelte die mit der Gildenpolitik zu tun hatte. Also hatte man Vinni zum Tatort geschickt um sich die Berichte der anderen Wächter anzuhören und sich selbst ein Bild zu machen, schließlich sollte er diesen Fall übernehmen.
DNT bog jetzt in den Schlummerweg ein. Dort lag das Haus in dem man die Leiche gefunden hatte.
Der Wächter betrachtete kurz die geschmackvollen Säulen die den Vorgarten des hübschen Hauses zierten und schritt dann durch das bogenförmige Tor in die Empfangshalle. Schon dort sah er verschiedene Kollegen von sich herumlaufen. Auch einige Bedienstete des Verstorbenen schritten unentwegt hin und her und schrien die Wächter an dies oder das auf keinen Fall anzufassen und bitte vorsichtig mit dem Teppich zu sein. Die ganze Szene hatte etwas von einem Ameisenhaufen, Abe würde sich hier sicher wohl fühlen,
dachte der Lance-Korporal. Aber er verdrängte den Gedanken an den Ameisenbären schnell wieder, er wollte im Moment gar nicht wissen was dieser tat. Abe wohnte seit kurzem bei ihm und hatte den ganzen Tag nichts anderes im Sinn als entweder irgendwelchen Unfug anzustellen oder eben diesen irgendwelchen Leuten zu verkaufen.
Vintongo schüttelte den Kopf, seufzte leise und schritt dann durch die Halle, bis ihm ein Butler entgegenkam.
"Lance-Korporal Drei Nervöse Tapire Vintongo, Abteilung DOG" sagte Vinni und zeigte dem Mann seine Marke.
"Sie werden schon erwartet," erwiderte dieser und führte DNT eine Treppe hinauf. Daraufhin bog er nach links ab und stellte sich vor der letzten Tür am Ende des Ganges auf. Er bedeutete dem Wächter einzutreten, was dieser auch tat nachdem er sich die teuren Gemälde angesehen hatte, die den Gang schmückten.
Vintongo betrat den Raum und sah sich um. Auf dem Boden waren mit Kreide die Umrisse des Leichnams nachgemalt worden, aber dieser lag nicht mehr dort, stattdessen stand dort Obergefreiter Sillybos und schaute seinem Sklaven Hegelkant dabei zu wie er versuchte irgendetwas unter einer Kommode hervorzuholen. Die Einrichtung des Raumes mochte ein mal recht geschmackvoll gewesen sein, aber jetzt glaubte man, dass man sich im Inneren eines Haufens befand. Überall lagen Bücher, Holzstücke, Glasscherben und verschiedene Dinge die vorwurfsvoll knackten wenn man auf sie trat, herum. Das Bücherregal in der einen Ecke des Raumes war umgestürzt und der große Schreibtisch stand nur noch auf zwei Beinen. Rechts daneben bedeckte ein großer, dunkelblauer Tintenfleck den Teppich.
Jetzt bemerkte Sillybos Vinni.
"Guten Tag Lance-Korporal!" sagte er und salutierte, "na los Hegelkant, begrüß den Lance-Korporal!"
Gehorchend zog der Sklave seinen Arm unter der Kommode heraus, stand auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. "Guten Tag, Herr Vintongo" grüßte er freundlich.
"Hallo ihr beiden," erwiderte Tapire ohne zu salutieren. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt dass es Leute gab die ihm salutieren mussten. "Man hat mich hierher zitiert, weil dieser Mord anscheinend im Aufgabenbereich von DOG liegt. Wor..."
"Gunther Opolus, ein hohes Tier in der Kaufmannsgilde," sagte Clara Bienchen. Die Gerichtsmedizineranwärterin von SUSI, trat ein und salutierte.
"Aha" machte der Lance-Korporal und grüßte.
"Hast du von dem großen Handelsvertrag gehört, den Ankh-Morpork mit Borogravien abgeschlossen hat?" fragte dann Clara gerade heraus.
"Welcher Handelsvertrag?"
"Die Gilde der Goldschmiede und ähnlicher Berufe brauchte eine neue Bezugsquelle für Edelmetalle da die Preise zu hoch wurden und die Kaufmannsgilde kümmerte sich für sie darum. Herr Opolus reiste mehrmals nach Borogravien und sprach dort mit der Regierung, ohne ihn wäre es niemals zu dieser Vereinbarung gekommen."
"Oh" sagte Vintongo verwirrt. Er begriff langsam wieso man DOG hinzugezogen hatte.
"Das er ermordet worden ist wäre eigentlich gar nicht so schlimm, aber leider gibt es da ein klitzekleines Problem..."
"Und das wäre?"
"Der Vertrag ist noch nicht unterschrieben und ein Abgesandter wird in wenigen Tagen in Ankh-Morpork eintreffen um ihn zusammen mit Herrn Opolus zu unterschreiben."
Drei-Nervöse-Tapire seufzte, warum hatte man gerade ihm diesen brisanten Fall übertragen, warum nur?? Er war doch Husky, diesen Detektiv-Kram hätte man ruhig Daemon überlassen können...
Clara fuhr fort. "Seine Schwester, die auch in diesem Haus wohnt kam heute Morgen ins Wachhaus und berichtete dass sie ihren Bruder hier gefunden habe. Offensichtlich hat in diesem Raum ein Kampf stattgefunden, allerdings gibt es sonst nirgendwo im Haus spuren eines Einbruchs. Aus seiner Wunde schließe ich dass er mit einem Degen, einem Florett oder etwas ähnlichem ermordet wurde."
Vintongo nickte und speicherte die Informationen in die Datenbank seines Gehirns ein. "Sillybos? Habt ihr irgendwelche Spuren gefunden?" fragte er dann.
"Nein, abgesehen von einem kleinen, roten Fetzen den.." der Obergefreite schaute Hegelkant durchdringend an, "..Hegelkant gleich unter der Kommode hervorholen wird.." der Sklave ließ sich wieder auf den Boden sinken und versuchte wieder das Ding hervorzuholen, "..leider nichts. Tut mir Leid."
"Verdammt.." sagte der Lance-Korporal leise. Ein wichtiger Mordfall, ganz ohne nützliche Spuren, das war genau das was man sich an einem schwülen Maiabend wünschte...
"Wenn ich etwas hinzufügen dürfte," begann Clara Bienchen, "bisher deutet alles auf seine Schwester als Täterin hin. Sie hat kein Alibi für die letzten 24 Stunden, außerdem muss es jemand gewesen sein der Zutritt zu diesem Haus hatte..."
"Vielen Dank, Clara. Wo kann ich Herrn Opolus’ Schwester finden?"
"Da sie ziemlich am Ende zu sein schien hat man sie zu Leutnant Knurblich zwecks püschologischer Behandlung gebracht. Sie müsste aber inzwischen schon auf dem Weg hierher sein.
"Na gut. Dann werde ich unten auf sie warten."
Die beiden SUSI-Wächter nickten.
"Übrigens, gute Arbeit."
"Danke" sagten Clara und Sillybos im Chor.
"Clara? Würdest du mir einen Gefallen tun?" fragte Vintongo dann.
"Ähm, natürlich..."
"Da du dich anscheinend sehr gut mit den Umständen dieses Handelsvertrags auskennst, könntest du mir doch einen kleinen Bericht schreiben, damit ich genauso viel weiß, okay?"
"Liegt morgen auf deinem Schreibtisch."
"Vielen Dank," sagte der Lance-Korporal und verließ den Raum.
Wieder unten in der Halle angekommen erblickte Tapire schon die Schwester des Ermordeten. Er blieb auf der letzten Stufe der Treppe stehen und starrte sie an. Der Rekrut der sie herbegleitet hatte und etwas weiter hinten stand blickte Vintongo schon verwundert an, da dieser sich immer noch nicht rührte.
Langsam kehrte der Verstand von DNT wieder zurück. Er errötete und näherte sich vorsichtig der jungen Frau. Vintongo fand sie wunderbar. Ihre langen, braunen Haare fielen bis in den Rücken und ihre Augen waren verheult, das weckte eine Art männlichen Instinkt in ihm, was mehr als ungewöhnlich war. Immerhin war das einzigst animalisch-männliche an ihm normalerweise seine Anatomie. Dies soll natürlich nicht heißen, dass Vintongo mehr ins weibliche tendierte, er war eben einfach nicht der typische Ur-Mann.
Jetzt stand er direkt vor dieser wunderschönen Frau und brachte kein Wort heraus. Dabei war dies nicht mal eine Verabredung, er sollte sie lediglich verhören.
Der Rekrut der sie hergebracht hatte, versuchte nun die Situation zu entspannen.
"Ähm, Sir, das ist die Zeugin."
Der Lance-Korporal blinzelte, schaute sich kurz um und stammelte dann los. "Ich, äh, mein Name..." Die Frau lächelte ihn an, was dazu führte dass sein Gesicht eine karminrote Farbe bekam. Endlich schaffte Vinni es sich zu sammeln.
"Ich bin Lance-Korporal Drei-Nervöse-Tapire und ich soll dich verhören." sagte er etwas kleinlaut. Sofort verschwand das Lächeln aus dem Gesicht der jungen Frau. Ein trauriger und besorgter Blick nahm jetzt die Position ein.
"Ähm, gehen wir doch in diesen Raum da," Vintongo deutete auf eine offene Tür und wandte sich schnell um. Er ging voraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wenn er schon nicht mit Frauen umgehen konnte, dann wollte er sich wenigstens beim Verhör nicht beeinflussen lassen.
Er betrat den Raum und setzte sich auf einen mit Schnitzereien verzierten Stuhl. Kurz darauf betrat auch die Schwester von Herrn Opolus den Raum.
Tapire schluckte, jetzt musste er sich zusammennehmen, sie war immerhin eine potentielle Mörderin.
"Nun gut, wie ist dein Name?"
"Vanilla Opolus..." sagte die Frau leise und blickte zu Boden. "Ich habe deinen Kollegen doch schon alles gesagt, Herr Wächter, muss das hier denn wirklich sein?"
"Ja...tut mir Leid, aber es ist notwendig."
Vanilla setzte sich an den Tisch und stützte ihren Kopf auf ihre Hände.
"Wo warst du in der vergangenen Nacht?"
"Ich war hier im Haus."
Der Lance-Korporal zog eine Augenbraue hoch. "Hier im Haus also? Dir ist klar, dass dein Bruder hier ermordet wurde und was das bedeutet?"
Eine Träne rollte ihr über die Wange. Sie nickte nur ansatzweise.
"Ähm...," er schluckte, diese Frage musste kommen: "Hast du deinen Bruder ermordet?"
Sie sagte nichts. Ihr Kopf sank auf den Tisch und sie begann zu schluchzen. "Ich habe ihn nicht umgebracht!! Und Heinrich hat auch nichts damit zu Tun!! Ich schwöre es dir, Herr Wächter!" Ihr Weinen war wirklich herzzerreißend. Vinni hätte sie am liebsten getröstet, aber erstens musste er die Befragung weiterführen und zweitens hätte er es sich sowieso nicht getraut.
"Ähm, entschuldige, aber wer ist denn Heinrich?"
Sie hob kurz den Kopf. "Mein Freund...er....ach, was geht dich das denn überhaupt an!?!"
"Es tut mir Leid, aber du musst mich über die näheren Umstände unterrichten. Die Stadtwache darf keinen Verdächtigen auslassen.."
"Ach! Was soll’s...jetzt ist Gunther ja nicht mehr da....Heinrich ist mein Freund, aber Gunther verbat mir den Kontakt mit ihm...weißt du, als unsere Eltern starben übernahm er die Rolle eines Vaters für mich; und ich wollte ihn nicht böse machen, deshalb trafen wir uns nur heimlich..."
Vintongo seufzte leise, der Fall schien klar, eine tragische Geschichte, aber so was kam vor. Trotzdem hakte er weiter nach.
"Hast du denn nichts bemerkt in dieser Nacht? In Gunthers Zimmer hat doch ein Kampf stattgefunden!"
"Doch...ich hörte ein Rumpeln, aber ich dachte mir nichts dabei! Vielleicht hat er nur eine alte Mappe gesucht oder so was, ich wusste es ja nicht! Außerdem hatte er Besuch, da wollte ich nicht stören! Wäre ich doch nur hochgekommen, dann hätte dieser Mann ihn nicht umgebracht!" sie fing wieder an zu weinen.
"Herr Opolus hatte also Besuch? Und du sagst dieser Gast hat ihn umgebracht? Wer war es denn??"
"Ich weiß es nicht...ich habe mich nie für Gunthers Geschäftspartner interessiert...ich weiß nur dass der Mann einen Degen dabei hatte!"
Tapire runzelte die Stirn. Diese Geschichte klang etwas an den Haaren herbeigezogen.
"Aha...kannst du mir sonst noch etwas sagen?"
Vanilla schüttelte ihren Kopf.
"Okay...dann werde ich jetzt gehen...ähm, auf Wiedersehen..."
Aber sie verabschiedete sich nicht.
Mit einem etwas unguten Gefühl verließ der Lance-Korporal den Raum. Konnte er ihr Glauben?? War ihr schönes, mitleiderweckendes Gesicht denn dazu fähig eine Bluttat einfach so abzuweisen? Er wusste es nicht. Langsam und nachdenklich schritt er zur Tür bis er plötzlich gegen irgendjemanden stieß.
Eine unbekannte Stimme im harschen Ton beschwerte sich auch gleich. "Verdammt noch mal! Könnt ihr blöden Wächter denn nicht aufpassen wo ihr hingeht?!"
Verwirrt blickte Tapire auf. "Äh....wie bitte?"
"Was bist du denn für ein Trottel?? Geh mir jetzt aus dem Weg, ich muss zu meiner Freundin!"
"Deine Freundin??"
"Ja, so was soll’s geben, auch wenn du keine Ahnung davon hast" Der junge Mann schob den Wächter forsch zur Seite und schritt mit langen Schritten weiter.
"Ähm...Halt!!"
Der Jüngling drehte sich um. "Waaas noch?!" fragte er gereizt.
"Bist du zufällig Heinrich?"
"Ja, der bin ich, ab..."
"Dann muss ich mit dir reden! Wenn du mir bitte folgen würdest..." sagte Vinni, lief zu Heinrich und versuchte sich vor ihm aufzubauen.
"Du kannst mich mal, Wächter!!" schrie Heinrich sofort und schlug Vintongo die Faust ins Gesicht. DNT flog zu Boden und rieb sich die Nase, währenddessen flüchtete der Verdächtige wieder nach draußen und verschwand.
"Sie hat doch gelogen..." murmelte Vintongo, richtete sich auf und hielt sich die schmerzende Nase.
Am nächsten Morgen...
Drei Nervöse Tapire saß am Schreibtisch seines Büros und studierte den Bericht den er mittlerweile von Clara Bienchen erhalten hatte. Allerdings ließ ihn eine Frage nicht los: Warum zum Geier hatte er nichts von diesem Handelsabkommen mitbekommen? Es musste in allen Zeitungen gestanden haben, außerdem schien die ganze Stadt Bescheid zu wissen, nur er nicht. Der Lance-Korporal seufzte und las den Bericht weiter.
Früher hatte die Gilde der Goldschmiede, Schmuckhersteller und ähnlicher Berufe ihre Edelmetalle von einem Zwerg namens Klunkar Eisenbart bezogen, der einige unabhängige Minen besaß. Doch als dieser die Preise immer höher trieb beauftragte man die Kaufmannsgilde mit dem Finden einer Alternative. Und so stieß man dann auf Borogravien, die eindeutig beste Wahl. Denn so konnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens gab es dort reichliche Vorkommen an Edelmetallen und zweitens konnte Ankh-Morpork
so seine politische Unterstützung zeigen und dabei selbst noch Geld sparen.
Borogravien lag jenseits von Überwald und zog sich dort weit nach Norden und Osten. Es war weit, es war kalt und es war nützlich. Abgesehen von den hin und wieder stattfindenden Aufständen einiger rebellischer Volksgruppen die in das große Land einverleibt worden waren und dem derzeitigen Konflikt mit Mouldawien ging es dort recht ruhig zu. Herr Gunther Opolus von der Kaufmannsgilde reiste dann mehrmals nach Borogravien um die Verhandlungen zu führen. Er war erfolgreich. Der Abgesandte der den Vertrag unterzeichnen sollte wurde für (vom heutigen Tag aus gesehen) Übermorgen erwartet. Er kam dafür extra nach Ankh-Morpork weil die Unterzeichnung gefeiert werden sollte und die Stadt speziell für diesen Anlass eine Ausstellung organisiert hatte in der man den besten ankhianischen Schmuck bewundern konnte. Hierfür hatte man den bekannten Schmuckhersteller Iberto Verador engagiert. Außerdem waren die beiden persönlichen Leibwachen des Abgesandten schon in der Stadt um die Sicherheit des Quartiers zu prüfen.
Um einige Informationen reicher, legte Vinni den Bericht weg und verließ sein Büro. Irgendwie gab es hierbei viel zu viele Verdächtige....
Verdammte Palastwachen! DNT debattierte nun schon seit zehn Minuten mit einem muskulösen Palastwächter der ihn die ganze Zeit verächtlich anstarrte und seinen Beitrag zur Konversation nur auf das Nötigste beschränkte.
"Jetzt hör mir bitte mal genau zu," begann der Lance-Korporal, "ich muss in den Palast und wichtige Informationen einholen. Man wird dich wegen Behinderung der Ermittlungen verhaften, wenn du mich nicht durchlässt!"
Aber der Muskelprotz lachte ihn aus. "Hör mal Kleiner, entweder verziehste dich jetzt, oder’s gibt was auffe Nase. Alles klar?" Er nahm grimmig seine Hellebarde in die Hand und richtete die Klinge auf den Wächter.
"Hey...das kannst du nicht tun!"
Zum Gegenbeweis schob Vinni’s Gegner die Waffe noch etwas näher an sein Gesicht heran.
"Du kannst es vielleicht doch tun...aber, aber, aber meine Kollegen werden davon erfahren und.."
Die prankenartige Hand der Palastwache packte den Lance-Korporal plötzlich am Hals. "Du willst es wohl nicht kapieren, was??" brüllte er laut. "Du hast kein Recht hier reinzukommen! Und jetzt verschwinde endlich bevor ich dir in deinen kleinen Wächterhintern trete!!" Der Hüne erhob drohend seine Faust und Vintongo befürchtete schon nochmals einen Schlag auf die Nase einstecken zu müssen, als plötzlich, wie vom Schicksal zu Vinnis Rettung gesandt, Drumknott, der Sekretär des Patriziers, erschien.
"Was ist hier los? Was soll der Krach??" Misstrauisch beäugte er die Szene und schaute den Palastwächter und Tapire scharf an.
"So n kleiner Wächterkerl will in den Palast, aber er wird nicht an mir vorbeikommen!" dröhnte der Fiesling, der den Wächter immer noch am Kragen hielt.
Drumknott nickte routiniert und wandte sich dann an Vinni. "Gibt es ein Problem? Ich glaube nicht, dass du nur die nette Innenarchitektur bestaunen wolltest, oder?"
"Ich brauche Informationen," keuchte Vinni, der den Klammergriff ganz und gar nicht angenehm fand. "Es geht um einen wichtigen Fall, die Sache mit Borogravien.."
"Darum geht es?? Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wir haben schon auf jemanden von euch gewartet...Und du," er blickte die Palastwache an, "Lass ihn gefälligst los. Er ist nicht zum Spaß hier."
Widerwillig lockerte der Muskelprotz den Griff, so dass der Wächter sich entwinden konnte. Er rieb sich stöhnend den Hals als er zusammen mit Drumknott in den Palast ging.
"Also du bist derjenige den man auf diesen Fall angesetzt hat?" begann der Sekretär das Gespräch nachdem sie in seinem Büro Platz genommen hatten.
"Ja, deswegen bin ich hier."
"Du sagtest, du bräuchtest Informationen?"
Vintongo nickte. "Ich brauche die Adresse der Unterkunft des borogravianischen Abgesandten. Außerdem würde ich gerne die genaue Ankunftszeit wissen.."
Sogleich nahm sich Drumknott ein leeres Blatt zur Hand und notierte die gewünschten Informationen feinsäuberlich darauf. Dann reichte er den Zettel dem Wächter.
"Beeil dich mit den Ermittlungen. Wir wünschen keine Komplikationen so lange der Abgesandte in der Stadt ist. Verstanden?" Forschend blickte der Sekretär Tapire in die Augen.
"Äh, ja, natürlich."
"Gut."
Die Unterkunft lag an der Ecke Königsstraße-Reitweg und sah eigentlich nicht nach dem typischen Quartier für diplomatische Vertreter aus. Sie lag zwar in einem feineren Viertel auf der Ankh-Seite, allerdings genau an einer großen Kreuzung an der Tag und Nacht beladene Eselskarren vorbeirasselten. Schräg gegenüber lag die Rennbahn und wenn man der Königsstraße folgte, gelangte man schon nach kurzer Zeit zum Deosil- Tor, welches in Richtung Quirm zeigte. Also alles andere als eine abgeschottete Unterkunft. Vielleicht war es Taktik ihn gerade dort unterzubringen – Vintongo wusste es nicht. Er stellte sich einfach vor die Tür des einstöckigen Hauses und klopfte höflich an. Keine Antwort. Er versuchte es noch mal. Aber wieder blieb eine Antwort aus. Hieß es nicht die Leibwachen seien schon in der Stadt um die Sicherheit des Quartiers zu überprüfen? Der Lance-Korporal runzelte die Stirn, "sich bloß nicht verzetteln" sagte er sich und machte sich unbefriedigt auf den Weg zum Pseudopolisplatz.
Er brauchte einen Szenekenner. Jemanden der ihm einige weitere Adressen geben, oder zumindest beschaffen konnte.
"Herein," antwortete Gefreiter Damien G. Bleicht, seines Zeichens Szenekenner bei den SEALS, auf das Klopfen des Lance-Korporals.
Dieser öffnete die Tür und betrat das Büro.
"Guten Tag, Damien."
"Hallo Vintongo, was gibt’s denn?" Normalerweise achtete Damien sehr darauf, seine Vorgesetzten mit "Sir" anzureden und zu salutieren, aber bei Vintongo war das etwas anderes. Erstens verstanden sich die beiden recht gut und zweitens hatte Drei- Nervöse-Tapire sowieso das Gemüt eines ewigen Neulings.
"Ich bräuchte deine Hilfe. Du bist doch Szenekenner, und da dachte ich, du könntest mir vielleicht einige Adressen und Informationen besorgen..."
Die Mundwinkel des Gefreiten zogen sich so weit nach oben wie es seine Selbstbeherrschung zuließ. Für seine Verhältnisse war es ein geradezu freundliches Lächeln. Er empfand es als eine nicht unangenehme Arbeit solche Dinge herauszufinden.
"Über wen brauchst du Informationen?"
"Zum einen wäre da ein Zwerg namens ‚Klunkar Eisenbart’. Anscheinend recht vermögend. Ich brauche seine Adresse und würde gerne Wissen ob er, äh, Dreck am Stecken hat." Solche Redewendungen benutzte der Lance-Korporal normalerweise nicht und er kam sich komisch dabei vor sie zu verwenden. Damien G. Bleicht notierte derweil eifrig mit. "Außerdem benötige ich die Adresse des Goldschmieds Iberto Verador. Also die Geschäftsadresse."
"Mhm.."
"Tja, und dann brauche ich noch Informationen über einen gewissen ‚Heinrich’."
"Ähm Vinni.. Heinrich ist kein sehr ungewöhnlicher Name in Ankh-Morpork. Es gibt Tausende Heinrichs..."
"Ich weiß, aber...versuch es einfach mal bei unlizensierten Dieben oder ähnlichen Verbrechen. Ich glaube er ist nicht gerade reich..." Der Mann musste schließlich irgendetwas verbrochen haben, wieso hätte er den Lance-Korporal sonst niederschlagen sollen?
"Na gut, ich werde schauen was ich herausfinden kann. Ich schick die Ergebnisse dann zu euch rüber, okay?"
"Alles Klar. Vielen Dank für deine Bemühungen."
"Hey, das ist schließlich mein Job."
Vintongo lächelte und verließ dann das Büro des Gefreiten.
Müde schlurfte der Lance-Korporal durch die Straßen von Ankh-Morpork. Es wurde gerade dunkel. Im Moment konnte er sowieso nicht ermitteln, da er die Adressen brauchte um mit den Verdächtigen zu sprechen. Also hatte er sich auf den Heimweg gemacht. Er bog gerade in die Esoterische Straße ein, wo seine Wohnung lag. Er würde sich einen Saft machen, sich sein neues Buch über die okkulten Kräfte von Obst nehmen und einen gemütlichen Abend in dem zerschlissenen Ledersessel verbringen, den er schon beim Einzug übernommen hatte.
Grölender Gesang der plötzlich ertönte, riss ihn aus seiner Vorfreude und ließ seinen Blick vom Boden in Richtung seines Eingangs auffahren. Was er sah verschlug ihm die Sprache.
Er trat näher heran. Vielleicht war es nur eine optische Täuschung die sich verflüchtigte wenn man sich ihr näherte. Genau wie eine Fata Morgana. Die Gewissheit traf ihn hart. Vor dem kleinen, zweistöckigen Haus stand tatsächlich eine Gruppe Männer mit großen Bierkrügen die laut grölten und lachten. Und mitten unter ihnen: Abe, der sprechende Ameisenbär der mittlerweile bei Vintongo eingezogen war. Er hätte sich die Haare gerauft, wenn er sie nicht vor einigen Wochen abgeschnitten hätte. Zornig stellte er
sich vor die Gruppe und blickte sie wütend an.
"Na Vinni, wasch maschn du hiär?" brabbelte Abe los. "Wir feiärn nä kleinä Party hiär. Isch hoffä du hascht niggsch dagägän, häääh??"
"Ich," begann Tapire, musste jedoch dann zwei schwingenden Bierkrügen ausweichen die sich zuprosteten. "Verdammt noch mal, Abe! Was tun all diese...Leute hier?" fragte er den Ameisenbären fast schon verzweifelt.
"Bleib loggär," näselte dieser, "sind n paar kumpälsch, weißtä, sätz dich einfach schu unsch, o-okay?"
Einer der betrunkenen Männer, ein besonders hässlicher mit einem durchgeschwitzten Hemd und einem Vollbart legte dem Wächter den Arm um die Schulter.
"I bin der Pauleh. Wos isn doi Nome?"
"Ich..ääh..mein Name ist Drei-Nervöse-Tapire Vintongo und mir, äh, gehört diese Wohnung..."
"Topüree? Wos für a Püree moanst du?"
Vintongo seufzte. Womit hatte er das nur verdient? Ein Haufen besoffener Idioten belagerten seinen Hauseingang und sangen schmutzige Lieder.
Vorsichtig ging er um die Ecke und öffnete das mit mehreren Sicherheitsschlössern versperrte Gatter des kleinen Stalls, den er schon eingerichtet hatte, bevor er überhaupt zur Wache gekommen war. Er atmete erleichtert auf, als er die beiden kleinen Tapire darin sah, die friedlich ihr Heu und ihr Obst fraßen. Nur die Götter wussten, wo Abe die beiden aufgetrieben hatte, aber es war ein wirklich freudiger Moment gewesen als er sie ihm bei einer kleinen Feier im Büro von Stabsspießin Atera überreicht hatte.
Diese war zwar nicht sehr erfreut über die Tiere in ihrem Büro, aber der in rauen Mengen fließende Alkohol hatte die Abteilungsleiterin der SEALS dann doch wieder milde gestimmt.
Vintongo schloss den Stall wieder ab, ging zurück und zwängte sich an dem fetten, übelriechenden Kerl namens Pauleh vorbei ins Treppenhaus. Das war das erste Mal dass er sich seinen Vermieter, Herrn Fanghio, zurückwünschte. Aber seitdem der alte Mann ein mysteriöses Erbe erhalten hatte, war er nicht mehr aufgetaucht. Der Vorteil daran war, dass sich auch niemand darum scherte ob DNT nun Miete zahlte oder nicht. Er stieg in den ersten Stock hinauf und betrat durch die offenstehende Tür seine Wohnung. Auch
hier hatten diese Leute anscheinend gewütet. Überall standen Flaschen und Gläser herum. Außerdem stieg dem Lance-Korporal der beißende Geruch billigen Whiskeys in die Nase. Verärgert schnappte er sich das letzte noch saubere Glas und schüttete sich etwas von seinem bisher glücklicherweise unangetasteten Orangensaft hinein. Plötzlich klirrte etwas in seinem Schlafzimmer. Erschrocken fuhr Vinni herum und bewegte sich auf die Tür zu und riss sie auf.
"Aaaaaaah!!!" Vintongo schrie auf als er sah was sich dort abspielte. Auf seinem Bett lagen eine Frau und ein Mann...und...Drei-Nervöse-Tapire wagte es nicht einmal das Wort zu denken. Stattdessen starrte er nur erschrocken auf das Geschehen.
"Aaah! Ein Wojör!!!" kreischte die Frau als sie den Wächter bemerkte.
"Verzieh dich, Kleiner! Aber flott!" schnauzte ihn der Mann an.
Genug war genug. Erst wurde ihm sein ruhiger Abend von ein paar dickbäuchigen Hohlköpfen vermiest und jetzt das. Zwei Leute machten Ferkeleien. Auf seinem Bett. Das konnte, nein, das durfte nicht sein. Die Wut suchte ein Ventil. Und sie fand auch eines.
"Raaaaaaaauuuuuusss Hiiiiiiiieeeeeerrr!!!!" brüllte Vintongo plötzlich und das Pärchen fuhr erschrocken zusammen. Sie zogen sich ängstlich an und verließ unter Tapires wütenden Blicken fluchtartig den Raum.
Schnaubend stapfte er ins Wohnzimmer zurück. Abe stand dort und grinste sehr verdächtig. Aber Vinni beachtete ihn nicht und griff nach seinem Orangensaft. Er leerte das Glas in einem Zug und knallte es dann auf den Tisch. Das Grinsen des Ameisenbären wuchs in die Breite.
"Abe, du wirst jetzt verdammt noch mal diese.." Der Angesprochene grinste noch heftiger als Vintongo den Satz mittendrin beendete und sich an die Brust fasse.
"Waaaaas..!?" zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch.
"Oh, das ist nur ein Fräund von mir. Är heißt Härr Bärdruckär und das ist seinä Art dir "Hallo" zu sagän, hähähä." Jetzt brach der Ameisenbär in schallendes Gelächter aus und ging wieder nach unten, während Vintongo keuchend in die Knie gezwungen wurde.
Ein paar Stunden später...
Er hatte keine Ahnung mehr wie er und Abe hierher gekommen waren, aber sie waren da. Die beiden waren am Wachetresen und tranken hier mit Vinnis Kollegen weiter. Der Lance-Korporal wusste nichts mehr von den vergangenen Stunden, aber sicher waren schreckliche Dinge passiert an die er sich besser nicht erinnerte. Eine Stimme riss ihn aus den Gedanken.
"Huch!" sagte Atera plötzlich und sah sich von verwunderten Blicken einiger Kollegen umringt. "Wo ischt denn mein kleiner Henry?" brabbelte sie, stand auf und klopfte ihre Taschen ab. "Isch werd ihn doch wohl nich verlorn ham, oder?" Mit alkoholgetrübtem Blick sah sie sich um, konnte die Kröte aber nirgends sehen. Verwirrt lief sie im Wachhaus herum und stieg dann die Stufen zu ihrem Büro hinauf.
Währenddessen richtete sich Vintongo langsam auf. Er hatte unter einem Schreibtisch geschlafen und versuchte nun seine Augen davon zu überzeugen, dass in diesem Raum nicht alles doppelt existierte. Langsam erhob er sich, bis seine Nasespitze ungefähr auf gleicher Höhe mit der Tischplatte war.
Quark, machte ein kleines, hässliches Monster dass einen besonders widerlichen Grün/Braunton hatte. Vinni rieb sich verwirrt den Kopf.
"Wer bischt du denn?" lallte er das quakende Etwas an, doch es antwortete nur mit einem verachtungsvollen Quaak.
"Isch habs!" platzte es auf einmal aus Vintongo heraus. "Du Bischt ein vetschauberter Printsch, nich wahr?"
Die Kröte blickte ihn aber nur weiterhin desinteressiert an.
"Nuhun, dann muss isch dich wohl küssn, oder?" Er schluckte. Sicher würde ihm der Prinz dankbar dafür sein, dass er ihn aus dieser hässlichen Gestalt herausholte. Tapire griff sich die Kröte, spreizte die Lippen und küsste das Ding leidenschaftlich auf den warzenumrandeten Mund.
"Bei Offler, bei Offler, wenn dem armen Kleinen nun was zugestoßen ist??" vernahm man die Stimme von Atera im Hintergrund. "Nicht auszudenken falls.. Waaaaaaaaaaaaaasss?!? Viiiiinniiii!!!" Kreischte sie plötzlich und stürmte zu Vintongo um ihm Sir Henry zu entreißen.
"Duu....duu..." Sie fand einfach keine passenden Worte für den Groll den sie empfand und so ohrfeigte sie den Lance-Korporal einfach so fest sie konnte, was ihn wieder auf den Boden zurücksinken ließ. Leider blieb ihre Hand an seiner Wange hängen.
Der nächste Morgen war schrecklich gewesen. Vintongo war mit stechenden Kopfschmerzen aufgewacht, die sich wie ein ganzes Abrisskommando in seinem Kopf angefühlt hatten. Irgendwie hatte er sich dann bis zur Boucherie Rouge und in sein Büro geschleppt. Als er dann gegen Mittag vom Quietschen eines besonders lauten Bettes aufgewacht war, lagen auf seinem Schreibtisch schon diverse Nachrichten bereit. Ganz oben auf dem Stapel, befand sich eine Mitteilung von Damien.
Der Lance-Korporal hievte sich müde auf seinen Stuhl und wühlte erst einmal die restlichen Akten, Memos und sonstige Papierfetzen durch. Das war eine Art Ritual von ihm, wenn er die Zeit hatte sich die ganze Post anzuschauen, nahm er immer erst die in seinen Augen unwichtigeren Nachrichten vor und arbeitete sich dann zu den wichtigeren durch. Ein Memo von Mückensturm, der einen Bericht über Vinnis aktuellen Fall wünschte, verschiedene Mitteilungen die Daemon geschrieben hatte, weil er sich ziemlich gelangweilt hatte und noch etwas Werbung. Aber Vintongo hatte im Moment keinen Nerv für diese Dinge und so griff er gleich nach dem Briefumschlag mit der Nachricht von Damien.
Guten Tag,
Ich habe deine Anfrage bearbeitet. Die Ergebnisse sind recht umfassend, deshalb wäre es mir lieber wenn ich sie dir persönlich mitteilen kann. Komm einfach tagsüber in mein Büro.
Gz. Damien G. Bleicht, SEALS Szenekenner.
Etwas später stand Drei-Nervöse-Tapire dann in Damiens Büro und blickte seinen Kollegen erwartungsvoll an.
"Ich habe einige interessante Dinge herausgefunden, als ich mich umgehört habe. Zuerst habe ich hier die Adresse dieses Goldschmieds für dich," der Szenekenner überreichte Vintongo einen Zettel. "Tja, und zu diesem "Heinrich" hab ich leider nicht viel zu berichten. Genauer gesagt, gar nichts. Allerdings scheinst du bei diesem Zwerg ins Schwarze getroffen zu haben...Ich nehme an, du hast von diesem neuen Handelsabkommen gehört?"
Der Lance-Korporal nickte.
"Gut. Dieser Eisenbart war der vorherige Lieferant der Edelmetalle um die es in diesem Abkommen geht."
Tapire jauchzte innerlich vor Freude. Endlich gab es einen Anhaltspunkt.
"Er besitzt einige unabhängige Minen nördlich der Stadt und außerdem noch eine Zwergenkneipe in den Schatten. Als er die Preise für die Ressourcen seiner Minen immer mehr in die Höhe trieb, sah sich die Stadt nach jemand anderem um. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle dass er danach getobt hat. Ich meine, er drehte wirklich durch.."
"Seeehr gut. Endlich kann ich mit meinen Ermittlungen irgendwo ansetzen. Hast du auch seine Adresse?"
Damien nickte und reichte Vinni einen weiteren Zettel hinüber.
"Sei lieber vorsichtig mit dem Zwerg. Er ist unter seinen Leuten ziemlich angesehen und er hat Geld..."
"Ich verstehe. Trotzdem gehe ich gleich los und schau es mir an. Danke für deine Mühe."
"Keine Ursache."
DNT Vinni war noch nie in einer Zwergenkneipe gewesen. Und er wusste schon jetzt, dass dies auch das letzte Mal sein würde. Mit gekrümmten Rücken stand er in der Tür und sah sich um.
Mürrisch blickende, bärtige Zwergengesichter versteckten sich hinter großen Bierkrügen, so dass nur ihre Eisenhelme zu sehen waren. Unter den Tischen, nie außerhalb greifbarer Reichweite lagen die großen, grobschlächtigen Äxte neben den eisenbeschlagenen Stiefeln. In Ankh-Morpork waren die Zwerge einfach am zwergischsten.
Als Vintongo die Tür hinter sich schloss und weiter in den Raum hineintrat, nahm das Gemurmel plötzlich zu und irgendwer warf dem Wächter ein Wort an den Kopf, das dieser nicht verstand. Vorsichtig und unter verächtlichen Blicken trat Tapire an den Tresen und sprach den einzigen Zwerg ohne Helm und Kettenhemd an. Den Barkeeper.
"Ähm, entschuldige," begann er und nahm seinen Helm ab. "Ich, äh..ähm.."
Der Wirt blickte nicht einmal auf. Stattdessen spuckte er nur in einen Bierkrug und putzte ihn dann mit einem öligen, fleckigen Lappen.
"K-könnte ich bitte mit Herrn Eisenb-bart sprechen?" versuchte es der Lance-Korporal etwas lauter. Die Gespräche verstummten plötzlich. Alle Blicke und auch ein paar Äxte richteten sich plötzlich auf ihn. Der Wirt funkelte ihn abschätzend an. Dann drehte er sich um, schlug hart gegen eine Tür hinter dem Tresen und rief etwas auf zwergisch. Eine Stimme antwortete von Drinnen und die Tür wurde geöffnet. Der Barkeeper bedeutete dem Wächter mit einem knappen Kopfnicken hineinzugehen.
Die Tür führte in einen dunklen Gang, der nur von zwei Kerzen die in Wandhalterungen steckten, beleuchtet wurden. Am anderen Ende, vor einer großen Türe, stand ein weiterer Zwerg der einen großen Hammer in den Händen hielt. Langsam schritt Vinni auf ihn zu.
"G-guten Tag, ich bin W-wächter,"
Der Zwerg stampfte plötzlich auf und rief etwas dass sich in DNTs Ohren wie eine über Metall schabende Feile anhörte. Danach schob er den Riegel der Tür weg und öffnete sie. Tapire trat in den nächsten Raum ein.
Die Decke hier war viel höher. Der Lance-Korporal konnte sogar aufrecht stehen. Als er sich gerade streckte und seinen schmerzenden Rücken rieb, traten zwei weitere Zwerge aus den Schatten des nur spärlich erhellten Gewölbes. Ihre Kettenhemden klirrten bedrohlich als die beiden ihre Äxte erhoben und auf Vinni zutraten.
"Ähm, Hallo!" begrüßte er sie, doch er hatte irgendwie das Gefühl, dass die beiden Axtschwinger nichts von Höflichkeiten hielten. Und das stimmte in der Tat, denn plötzlich stießen sie einen Kampfschrei aus und rannten mit erhobenen Waffen auf den Wächter zu. Der erste Schlag verfehlte ihn weit, aber der Zweite stieß mit einem wuchtigen plomb direkt neben Tapires Hüfte gegen die Wand. Mit seinen noch vom Vorabend getrübten Reflexen rannte der Lance-Korporal auf die andere Seite des Raumes und zog sein rostiges Dienstschwert aus der Scheide, das er vorsichtshalber mitgenommen hatte. Schließlich konnte man bei Zwergen nie wissen.
Der erste Zwerg stürmte wieder auf ihn zu und hub so unerwartet mit seiner Axt auf Vinni ein, dass dieser sich nur noch im allerletzten Moment mit einem Sprung zur Seite retten konnte. Doch sofort näherte sich ihm der andere Zwerg und schlug nur knapp neben Vintongos Hüften in den Boden. Drei-Nervöse-Tapires Reaktion war eigentlich keine gezielte Handlung. Irgendein innerer Impuls, vermutlich genetischer Natur veranlasste ihn dazu plötzlich mit dem Fuß zuzutreten und dem Zwerg seinen Stiefel in die kleine, haarfreie Fläche seines Gesichts zu rammen. Der Wächter fragte sich, woher er solche Fertigkeiten besaß, normalerweise floh er vor Kämpfen oder stellte sich ziemlich dumm bei ihnen an. Aber dieses Gefühl, dass er während seiner Bewegung verspürt hatte war völlig neu – und doch zugleich auf seltsame Art vertraut gewesen. War er denn jemals in einer ähnlichen Situation gewesen?
Der jähe Kampfschrei des übrigen Zwerges riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn aufspringen. Nur mit Mühe schaffte er es, den Axtschlag mit seinem Dienstschwert zu parieren, aber die ungeheure Wucht ließ es auseinanderbrechen. Der nächste Schlag folgte sofort und wieder schaffte Vinni es nur mühselig dem sicheren Tod zu entgehen.
Der Zwerg hatte ihn nun in die Türecke gedrängt und trat selbstsicher mit erhobener Axt zum letzten Schlag an. Jetzt gab es keine Ausweichmöglichkeit mehr. Die Zeit krümmte sich zusammen und die Axt näherte sich Vintongo so langsam, als ob sie durch zähen Gummi schnitte. Da war es plötzlich wieder. Der Impuls, der sich dem Wächter vorhin schon bemächtigt hatte, tauchte wieder auf und rette das Lebend es jungen Lance-Korporals. Ein Blitz ungewohnter Agilität zuckte durch Vintongos Körper und ließ ihn mit angezogenen Beinen hochspringen. Die Axt bohrte sich mit gewaltigem Aufschlag in die Tür und im selben Moment war von der anderen Seite ein markerschütternder Aufschrei zu hören. Der Zwerg hinter der Tür war anscheinend dort stehen geblieben. Während DNTs Gegner verzweifelt versuchte seine Waffe aus dem anderen Zwerg und der Tür hinauszuziehen, bemerkte Tapire plötzlich die Kerze die direkt neben der Tür in einer Verankerung hing. Seine einzige Chance nutzend, griff er rasch nach ihr und schleuderte sie ins Gesicht des Zwerges. Diesem entfuhr ein schmerzerfüllter Schrei und im nächsten Moment hatte sein langer Bart Feuer gefangen. Er rannte kreischend und in Panik durch den Raum und stolperte dabei über seinen Kollegen der vorhin schon von Vintongos Impuls ausgeschaltet worden war.
Der Wächter ließ seinen angehaltenen Atem entfahren und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. Aber was nun? Wieder zurück in die Kneipe, wo noch viel mehr Zwerge nur darauf warteten seine Kniescheiben zu zertrümmern? Oder durch die andere Tür in dem Raum, wo auch immer sie hinführen mochte? Er hatte keine Wahl, er musste weiter in dieses Gewölbe eindringen und einen anderen Ausgang finden.
Tapire öffnete die andere Tür und trat hindurch. Ein dunkler, feuchter Schacht mit einer brüchigen Wendeltreppe offenbarte sich ihm. Die Stufen knackten etwas bedrohlich als er hinauf stieg. Die Luke am Ende der Treppe war nicht verschlossen. Vorsichtig hob er sie ein wenig nach oben und stoppte dann abrupt als Stimmen an seine Ohren drangen.
"Verdammt noch mal! Wie soll ich das denn hinkriegen?!"
"Das ist nicht mein Problem. Du tust deine Arbeit und ich bezahle dich. So einfach ist das."
Die Erste kam Vintongo bekannt vor und so öffnete er die Luke noch ein Stück weiter. Jetzt konnte er die Gesprächspartner sehen. Sie saßen direkt gegenüber seines Versteckes an einem Tisch und diskutierten heftig mit Gesten. Der eine war ein Zwerg dessen langer Bart bis zum Boden hinunterhing. Und der andere, es war wirklich ein Volltreffer, war Heinrich. Genau der Mann, der ihn niedergeschlagen hatte, de facto der mutmaßliche Mörder von Herrn Opolus.
"Junge," begann der Zwerg mit tiefer Stimme. "Du kannst es nicht ablehnen. Dir ist doch wohl klar wer der Hauptverdächtige im Fall Opolus ist, oder? Die Wache ist nicht ganz so dumm wie sie erscheint. Und deine Kurzschlussreaktion dürfte die Situation nicht verbessert haben. Also fang jetzt endlich verdammt noch mal an nachzudenken!!"
Der junge Mann grummelte irgendetwas und fuhr dann fort: "Meine Güte, was soll ich denn tun?! Ich kann da doch nicht einfach reinspazieren!"
"Mir ist es egal, wie du das anstellst. Hauptsache du tust es!"
"Oh Mann!"
Der Zwerg ignorierte Heinrichs Wut einfach und erhob sich. "Komm mit, ich will dir was zeigen." Der Mann nickte daraufhin nur und die beiden verschwanden auf der linken Seite aus Vinnis Blickfeld.
"Jetzt oder nie!" fuhr es durch die Gedanken des Wächters und er entschloss sich die Falltür vollends zu öffnen. So leise wie möglich kletterte er hinaus und blickte sich dann hektisch um. Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es recht weit war bis zur Straße. Aber was sollte er nun tun? Die Beiden würden jeden Moment zurückkehren und ihn in handliche Häppchen verwandeln. Er schaute sich nochmals um und – da! An einem Haken an der Wand hing ein schwarzer Kapuzenmantel, offenbar für Menschen geschaffen. Und außerdem ziemlich groß. Heinrich musste ihn wohl getragen haben um unerkannt hierher zu gelangen. Schnell schlüpfte der Lance-Korporal in die extrem weite Kutte und blieb genau in der Position stehen, wo sie hing.
Genau in diesem Moment wurden die Stimmen des Zwerges und Heinrich wieder lauter. Sie kamen aus dem Nebenzimmer zurück und setzten sich, ohne überhaupt einen Blick auf den Kapuzenmantel zu werfen, wieder an den Tisch.
Heinrich lächelte jetzt. "Hättest du mir das früher gezeigt, dann hätte ich nicht eine Sekunde gezögert. Das ist einfach der pure Wahnsinn!"
"Tjahaha," der Zwerg grollte selbstzufrieden, "Was hast du erwartet? Etwa irgendwelches billige Zeugs?! Ich bin schließlich Klunkar Eisenbart, verdammt! Und nicht irgend so ein dahergelaufener Rasenschmuck! Har, har, har!"
Schicksal hatte heute einen humorvollen Tag. Deshalb ließ er ganz plötzlich und ganz lautlos eine kleine Fliege im Raum materialisieren und stattete sie mit genügend Gehässigkeit für ihren Job aus. Diese kleine Fliege flog geradewegs unter die Kapuze des schwarzen Mantels und setzte sich Vintongo auf die Nase. Ganz langsam und mit quälender Boshaftigkeit trippelte sie mit ihren Beinen über DNTs Nase. Und es juckte. So stark hatte ihn noch nie irgendetwas irgendwo gejuckt. Es war die reinste Hölle. Aber er
konnte es nicht riskieren sich zu bewegen. Dann würden sie ihn bemerken und fertig machen! Er musste einfach durchhalten. Um jeden Preis. Aber die Fliege sah das anscheinend anders und führte einen besonders komplizierten Stepptanz auf, während sie das Nasenbein hinunterglitt. Es ging einfach nicht mehr. Keine Chance, auch wenn es seinen Tod bedeuten könnte, er konnte es sich nicht länger verkneifen.
"Haaaaaaatschuuuiii!!!" Das Geräusch kam so plötzlich, laut und überraschend dass Heinrich und Eisenbart vor Schreck zusammenfuhren. Doch der Schock hielt nicht lange an. Klunkar Eisenbart und Heinrich sprangen auf und starrten misstrauisch den Kapuzenmantel an.
"Was bei Offler war das?!"
"Wir werden belauscht, verflucht noch mal!!" knarrte der langbärtige Zwerg und fluchte danach noch mal auf zwergisch weil er seine Axt nicht hier hatte.
"Na los, komm raus, du Spion!" brüllte Heinrich den Mantel an.
Vintongo verfluchte sich selbst. Warum hatte er es nicht aushalten können?! Jetzt saß er in der Falle. Er zuckte nervös mit der Hand und berührte dabei etwas Spitzes. Verwirrt untersuchte er was es war. Zu seiner Enttäuschung war es aber nur eine alberne Spitzhacke wie Zwerge sie in ihre Minen benutzten. Das half jetzt auch nicht mehr. In Gedanken sah er schon ein großes Skelett dass eine Sense schwang. Halt! Genau! Das war seine einzige Chance. Es hörte sich zwar verdammt lächerlich an, aber was blieb ihm anderes übrig. Er griff plötzlich nach der Spitzhacke und trat einen Schritt auf seine beiden Gegner zu, ließ den Kopf jedoch gesenkt, so dass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Dann begann er mit möglichst tiefer und hohler Stimme zu sprechen während er mit der Spitzhacke herumfuchtelte.
"Hohoho!"
"Was z.."
"Iiiich bin der Tohohohoood!! Pflücker von, ähm, Seeeelehen, und so.."
Er erntete nur verdutzte Blicke von Heinrich. Eisenbart allerdings ließ eine Spur Unsicherheit in seinem Blick erkennen.
"Der...Tod??" fragte er unsicher.
"Jaaha! Vertilger von Weeelten und Austrinker von Oooozeaneehen! Jawoohohol!!"
"Meine Güte! Lass dich nicht reinlegen, Klunkar!!"
"Aber was, wenn er wirklich der Tod ist?!"
"Hah! Er ist gleich tot, aber sicher nicht der Tod!" spie Heinrich aus und wollte schon auf Vintongo losgehen, wurde jedoch mit einem energischen Reißen des Zwerges zurückgehalten.
"Bei Agi Hammerklau!" fluchte Eisenbart. "Das ist ER! Verstehst du denn nicht?!" Panik und Hysterie traten jetzt in den Blick des Zwerges. Und wie zum Beweis legte der Tod, bzw. seine schlechte Parodie seine Spitzhacke bedrohlich auf Klunkars Schulter.
"Na..gut.." sagte Heinrich langsam aber widerwillig. Er war noch nicht ganz von der Wahrheit dieses Schauspiels überzeugt.
"Steherblichehe!" Langsam fand Drei-Nervöse-Tapire Gefallen daran. Er grinste breit unter seiner Kapuze.
"I-Ist meine Z-z-Zeit schon ge, gekommen?" stotterte der Zwerg plötzlich.
"Ohoho! Sie wird kommen!"
"Nein!" quiekte Eisenbart.
"Verlasst jetzt dehen Raaauuum, Steeeheherblicheee!"
Ohne zu zögern drehte sich Klunkar um und riss Heinrich an dessen Gürtel mit sich. Er öffnete die Falltür und stieg mit seinem Partner die Treppe hinunter.
Puuuh. Vinni musste erst einmal tief durchatmen. Danach öffnete er das Fenster, hing sich an den Fenstersims und ließ sich fallen.
Wieder auf der Straße kam ihm zuerst der Gedanke ins Wachhaus zu gehen und eine Verhaftung zu veranlassen., aber er entschloss sich dagegen. Vermutlich reichten die Beweise nicht. Außerdem wollte er noch mehr herausfinden. Deshalb beschloss er zuerst diesem Schmuckhersteller einen Besuch abzustatten.
Etwas außer Atem und mit schmerzenden Füßen klopfte er an die Tür des Ateliers. Nach einiger Zeit öffnete ein junger Mann dessen Augen von einem blonden Haarschopf verdeckt wurden.
"Hm?" fragte er gelangweilt.
DNT zeigte ihm seine Dienstmarke. "Lance-Korporal, Drei-Nervöse-Tapire Vintongo von der Stadtwache. Ich hätte gerne mit Herrn Verador gesprochen. Ist er da?"
"Häh? Nee, der is beim dingens, Retrofränohdings. Weißt schon.."
"Was? Ich verstehe nicht..."
"Hachsenweg. Meister Zorgos Laden oder so. Keine Ahnung."
"Na gut," der Wächter seufzte, weil das bedeutete dass er schon wieder die halbe Stadt durchqueren musste und ging von dannen.
Retrophrenologie. Es ist allgemein bekannt, worum es in der Phrenologie geht: Angeblich kann man viel über Charakter, Neigungen und Fähigkeiten einer Person herausfinden, indem man ihre Kopfform untersucht. Für das in Ankh-Morpork verbreitete, logische Denken folgt daraus: Es müsste möglich sein, den Charakter einer Person zu beeinflussen, indem man ihr die richtigen Beulen an den richtigen Stellen zufügt. [...]
(Terry Pratchett & Stephen Briggs, "Die Scheibenwelt von A-Z")
"Meister Zorgo (Retrophrenologe) – Charakter mit Köpfchen" stand auf dem Schild an der Tür des kleinen Hauses im Hachsenweg. Die Tür war nur angelehnt, was wohl bedeuten sollte, dass der Laden geöffnet hatte.
Als Vintongo eingetreten war, erblickte er niemanden. Nur ein alter Holztresen mit einem Stuhl dahinter war zu sehen. Dahinter hing ein etwas überfülltes Bücherregal an der Wand, dessen Titel der Wächter aber nicht lesen konnte. Aus einer Nische drang jedoch helles Licht und so steuerte er drauf zu. Die Nische war in Wirklichkeit der Durchgang zu einem weiteren Raum und was er dort erblickte war ziemlich kurios:
Ein Mann in mittleren Jahren saß in einem großen Ledersessel. Neben ihm stand ein glatthaariger Kerl mit Oberlippenbart der einen weißen Kittel trug und einen kleinen Holzhammer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Auf einer fahrbaren Ablage die neben ihm stand waren viele weitere Hämmer in den verschiedensten Größen und Formen ausgebreitet.
"Ach, weißt du Zorgo, in letzter Zeit mangelt es mir etwas an künstlerischem Temperament..." sagte der Sitzende.
"Ach Gott!" erwiderte Zorgo entrüstet.
"Ja, bei meinem letzten Auftrag habe ich mich total verausgabt. Ach, am besten machst du mich auch noch ein wenig exzentrischer. Ein Mann meines Talents kann sich das schließlich erlauben."
"Na das wär doch was!"
"Und ja, und ja! Was hältst du von einer melancholischen Ader, hm? Oder doch lieber poetische Begabung? Ach, ach, ach!"
"Oooh...ich kann mit meinen Hämmerchen so einiges anstellen! Ich zeig’s dir!" Er unterzog seine Werkzeuge einem prüfenden Blick und griff dann nach einem so kleinen Hammer, dass man ihn vermutlich mit einem Party-Häppchen verwechselt hätte. "Schau her, Iberto, mein Guter!" Mit akribischer Sorgfalt betastete Zorgo den Hinterkopf seines Kunden und tippte ein paar Mal leicht mit dem Hämmerchen dagegen.
"Oh, ja! Oha! Ich merke es schon!"
"Na das ist doch mal was!"
"Ja!" jauchzte Iberto. "Ich fühle wie das Temperament in mir aufflammt!"
"Das ist gewiss!"
"Mehr, Zorgo! Ich will mehr!"
"Ich werde mein Hämmerlein mit Äffäh schwingen, glaube mir!"
"Ähmhähm," Vintongo räusperte sich etwas verlegen. Die Köpfe der beiden drehten sich zu ihm.
"Grundgütiger! Siehst du denn nicht, dass ich beschäftigt bin??" fuhr ihn Zorgo empört an.
"Ähm- entschuldige, aber.."
"Nichts aber!" unterbrach ihn Iberto, "Es geht hier immerhin um meinen Charakter!"
"Ab.."
"Papperlapapp! Jetzt warte gefälligst draußen bis ich Zeit für dich habe, junger Mann! Eine unerhörte Frechheit ist das..."
Als Vinni nach einigen Sekunden immer noch nicht gegangen war blickte der Retrophrenologe verärgert auf.
"Na husch, Na Husch!"
Iberto massierte sich jetzt stöhnend die Schläfen. "Oh, Zorgo! Ich halte das nicht mehr aus! Entweder er oder ich..."
"Hast du nicht gehört??"
"Ich.." es fiel dem Lance-Korporal immer noch nicht leicht vernünftige Sätze zusammenzubringen. Diese Szene war einfach zu dubios. "Ich bin von der Stadtwache."
"Von der Wache? Ach Gott, Junge! Ich kann mir denken dass ihr da ziemlich charakterlos seid, aber warte bitte trotzdem draußen bis ich mit Herrn Verador fertig bin, einverstanden?"
"Ich bin, ähm, beruflich hier."
"Ach, was glaubst du warum ich hier bin??"
"Nun, ich.."
"Ooooh, Zorgo!" fing Herr Verador wieder an, aber Tapire hatte langsam genug.
"Ich bin ein Wächter und muss dich jetzt bitten mich mit Herrn Verador kurz alleine zu lassen. Es geht um Ermittlungen."
"Ehrmittlungen, soso! Iberto, hast du etwa irgendwas böses angestellt?" Meister Zorgo tat erstaunt und blickte Verador mit gespielter Überraschtheit an.
"Ach, Zorgo. Sicher geht es wieder um irgendeinen ignoranten Banausen der nicht die Geduld hat, auf ein echtes Meisterstück zu warten..."
"Nein! Sowas gibt es?!" der Retrophrenologe machte große Augen.
"Herr Verador, es geht um ihre Ausstellung morgen Abend. Wir haben Grund zur Annahme dass sie und/oder ihre Stücke in Gefahr sind."
Die Kinnlade des Schmuckherstellers klappte synchron mit der Zorgos hinunter.
"W-w-w-waaas?!"
"Iberto in Gefahr?! Welch Frevel!"
Herr Verador erhob sich so plötzlich, dass Zorgo vor Schreck seinen Hammer fallen ließ.
"Ich-Ich muss hier weg! Sie könnten jederzeit zuschlagen....Oh mein Gott!" Iberto fing auf einmal an, herumzuhüpfen und hysterisch mit den Händen herumzuwedeln. Dann schritt er auf Vinni zu und packte ihn an den Schultern. "Die Wache! Ihr, ihr müsst mich beschützen! Mit eurem Leben, jawohl!" Er winselte schon fast. "Das ist euer Tschob, nicht wahr??"
"Ja...mehr oder weniger."
Jetzt beruhigte sich Herr Verador wieder einigermaßen und atmete tief durch. "Nun gut, ich werde morgen noch ein paar Sachen zusammenpacken und mich dann in euren Schutz begeben."
Eine Stunde später, in Vintongos Büro...
"Was ist das nur für ein Ding??" überlegte der Lance-Korporal jetzt schon zum wiederholten Male. Bei seiner Rückkehr hatte ein kleiner Beutel von SUSI zusammen mit einer kurzen Beschreibung des Inhalts auf dem Schreibtisch gelegen. Offenbar die einzigst interessante "Spur" den man am Tatort von Herrn Opolus’ Ermordung gefunden hatte.
Es war ein geradezu winziger, knallroter Lederfetzen den man irgendwo zwischen dem ganzen Gerümpel gefunden hatte. Wie sollte ihm dieses Ding nur weiterhelfen? Es konnte von allem möglichem stammen!
Genervt sah der Wächter aus dem Fenster und bemerkte dass die Sonne schon ziemlich tief stand. Er musste sich beeilen, um das Wachhaus am Pseudopolisplatz noch rechtzeitig zu erreichen. Eine der Leibgarden des borogravianischen Delegierten wurde zu einer Art "Stippvisite" erwartet. Das wollte er sich nicht entgehen lassen. Seufzend legte er also den Fetzen wieder zurück in den Beutel und ließ diesen dann vor lauter Eile auf seinem Schreibtisch liegen. Dann verließ er sein Büro.
Mittlerweile hatte es schon zu dämmern begonnen und DNT war sich fast sicher die Leibgarde schon verpasst zu haben. Aber eben nur fast, also spurtete er quer über den großen Platz und rannte dabei beinahe einige Passanten über den Haufen.
Laut schnaufend riss er die Tür zum Wachhaus auf. Zwanzig Köpfe drehten sich synchron zu ihm um, was er jedoch nicht bemerkte. Er trat ein paar Schritte hinein, stützte sich auf die Knie und keuchte vor Anstrengung. Erst nach einigen Sekunden blickte er auf und sah das wütende Gesicht von Kommandeur Rince der neben einem anderen Mann stand. Einer der anderen Wächter die anwesend waren, kicherte los, wurde aber von einem Kollegen mit einem leichten Ellbogenstoß zum Schweigen gebracht. Rince entschuldigte sich kurz bei dem Unbekannten, der vermutlich die Leibwache war, und lief dann zu Vintongo hinüber.
"Wo warst du?!" zischte er, "Die Leibgarden wissen Bescheid und hatten hier den Wächter erwartet, der in diesem Mordfall ermittelt!"
"Es, äh, tut mir Leid, Sir..." murmelte Vinni verlegen und schaute auf den Boden.
"Ach, das kümmert mich nicht! Jetzt komm mit und begrüß ihn gefälligst!"
Der Kommandeur packte den Lance-Korporal am Arm und schleifte ihn hinüber. Dann lächelte er den Leibwächter an.
"Das ist Lance-Korporal DNT Vinni, er kümmert sich um diesen Fall."
Der Mann, einen Kopf kleiner als Vintongo und mit lockigem, röstbraunem Haar ausgestattet trug eine prunkvolle blaue Uniform und einen federgeschmückten Helm unter dem Arm. Er blickte Tapire mit einem geringschätzigen Blick an, lächelte kalt und streckte ihm die Hand entgegen.
"Ich bin Dimitri," sagte er mit unüberhörbarem, harten Akzent, "Persönliche Leibgarde von Herr Jaro und zweiter Hauptmann unserer Palastwache."
DNT schüttelte die Hand des Borogravianers. Nicht nur sein Lächeln und seine Stimme, nein, auch seine Hand war kalt.
"Lance-Korporal Drei-Nervöse-Tapire Vintongo, sehr erfreut" erwiderte er und, nach einem kleinen Anstupsen von Rince, salutierte er auch. Irgendwie fühlte Vinni sich unwohl in der Gegenwart dieses Dimitri. Er strahlte sogar eine eigentümliche Kälte aus. Ob es wohl an dem Land lag, aus dem er kam?
"Ja...und äh, wie gefällt es dir bisher in Ankh-Morpork?" Der Lance-Korporal wollte irgendwie diese peinliche Stille überbrücken indem er es mit Small-Talk versuchte.
"Es ist dreckig und es stinkt." sagte Dimitri schroff, was bewirkte dass Kommandeur Rince die Schultern hängen ließ. Offenbar hatte er sich einen erfreulicheren Kommentar erwartet.
"...also fast wie zuhause!" beendete die Leibgarde dann den Satz und brach in schallendes Gelächter aus. Vintongo und Rince lachten gekünstelt mit, obwohl sie das nicht besonders witzig fanden.
"Ich habe den Besuch wirklich genossen, aber jetzt muss ich wieder auf meinen Posten zurückkehren." sagte Dimitri, nickte den Beiden zu und verließ dann das Wachhaus. Nach einigen Sekunden wandte sich der Kommandeur dann an Vintongo.
"Verdammt noch mal, warum warst du nicht früher da?! Ich musste diesen seltsamen Kerl durch das Wachhaus führen und mir seine komischen Kommentare anhören..."
"Tut mir wirklich Leid, Sir."
"Naja, jetzt ist er ja weg...hm, wie kommst du in diesem Fall voran?"
"Ich arbeite daran, Sir."
"Na gut, aber beeil dich! Diese Leute wollen Ergebnisse bevor sie wieder abreisen!"
"Ja, Sir!"
Der Kommandeur salutierte, Vinni erwiderte es und verließ dann das Wachhaus.
Am nächsten Morgen...
Vinni saß gerade auf dem Rücken eines Tapires und trug einen verflucht schicken Hut während er böse Schurken mit einem langen Seil einfing und dabei dauernd "Yeeehaaaw!!" schrie, als plötzlich eine haarige Klaue aus dem Himmel herunterfuhr und ihn an der Schulter packte.
"Vinni, äy! Wach auf, Mann!"
Die Bilder lösten sich auf und als Vintongo die Augen öffnete blickte er in ein Gesicht dass sicherlich nicht das Schönste war, was man gleich nach dem aufstehen sehen konnte. Abe.
"Man häy! Wie langä willstn noch pännän??"
"Hm? Wasn..."
"Looos, du musst aufstähän! Da war n Kollägä von dir da, irgändwas is passiärt und du sollst da hin!"
Sich den Schlaf aus den Augen reibend richtete sich der Wächter auf. "Was ist los, Abe?"
"Hörst du mir eigäntlich zu, Mann?! Da draußän wurdä ein Värbrächän värübt!"
Der Lance-Korporal murmelte irgendetwas und stieg dann aus dem Bett. "Ein Verbrechen also? Und deshalb reißt du mich aus meinem schönen Traum? Bin ich etwa ein FROG in Bereitschaft?!"
Der Ameisenbär grinste plötzlich breit. "Was hast du dänn gäträumt, hähähä??" Das Lachen war mindestens so dreckig wie der Ankh. Wenn nicht noch mehr.
"Sicher nichts, was dich interessieren würde!"
"Du weißt gar nicht, was mich so alläs intärässiert, hähä..."
"Weißt du was, Abe? Ich will’s auch gar nicht wissen!"
Abe setzte ein künstliches Schmollgesicht auf, was Vinni laut auflachen ließ. "Ist ja schon gut...ähm, was ist nun eigentlich mit dem Verbrechen? Du sagtest ein Kollege von mir war da?"
"Jäpp, das stimmt. Du sollst irgändwohin kommän, die Adrässä stäht auf näm Zättäl. Är sagtä äs sei wichtig..."
"Na gut, ich mach mich kurz fertig und geh dann los. Bis heute Abend..."
"Bis dann..."
Eine halbe Stunde später trat Vintongo mit seiner Uniform aus dem Badezimmer nahm das Butterbrot entgegen dass Abe freundlicherweise zubereitet hatte und öffnete die Tür.
"Tschüss Schatz," Der Ameisenbär zwinkerte.
"Ach, du blödes Vieh!" lachte Vinni und winkte ihm zum Abschied, "Vergiss nicht, die Tapire zu füttern!"
Er hatte den Zettel erst gelesen, als er schon um die Ecke war und er wäre durch den Schock beinahe mit einem übellaunig grunzenden Troll zusammengeprallt, der ihm entgegenkam. Die Adresse auf dem Zettel, war die Adresse von Iberto Veradors Atelier, wo auch seine Wohnung war. Das konnte nur eines bedeuten – es war zu spät den exzentrischen Schmuckhersteller zu beschützen. Vintongo rannte los.
Er betrat hechelnd das Atelier und stützte sich erst einmal gegen die Wand um wieder zu Atem zu kommen. Dann blickte er sich um. Das erste was er sah, war der blonde Bursche der ihm gestern die Tür geöffnet hatte. Der Junge saß kreidebleich auf einem Stuhl in der Ecke. Niemand schien sich um ihn zu kümmern. Als Zweites bemerkte Vintongo Sillybos und dessen Sklaven Hegelkant die sich suchend in dem langen Raum umsahen. SUSI hatte also offenbar schon mit der Arbeit begonnen. Er trat zu den Beiden hinüber.
"Guten Tag, Sillybos. Hallo Hegelkant."
"Guten Morgen, Sir."
Hegelkant nickte nur zur Begrüßung, was ihm einen leicht missbilligenden Blick seines Besitzers einbrachte.
"Was genau ist hier passiert?" wollte der Lance-Korporal wissen.
"Genau deshalb bin ich noch hier. Wir sind schon etwas länger mit der Arbeit fertig, aber man trug mir auf, hier auf dich zu warten, Sir. Ich wusste gar nicht, dass du auch an diesem Fall arbeitest.."
"Es ist derselbe Fall...denke ich."
"Du meinst, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Herrn Opolus und diesem hier?" Der Obergefreite blickte etwas erstaunt.
"Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Ähm, gibt es irgendwelche Hinweise darauf, wie Herr Verador getötet wurde?"
"Ja. Wir, viel mehr Clara, konnten eine tödliche Stichverletzung von einem langen, spitzen Gegenstand feststellen. Wahrscheinlich dieselbe Waffe wie beim letzten Mal als du mich das fragtest, wenn ich das anmerken dürfte."
"Hm...das dachte ich mir schon. Gibt es sonst noch etwas? Spuren, oder so?"
"Nein, tut mir Leid. Ich konnte nichts finden, was irgendwie nützlich aussah. Es gibt auch keine Zeichen eines gewaltsamen Eindringens. Allerdings..."
"Ja??"
"...gibt es noch eine weitere Leiche."
"Was!?! Wieso sagst du das nicht gleich!?"
"Nun, Sir, du hast nicht dana.."
"Schon gut! Konntet ihr die zweite Leiche identitifiziehren?"
"Nein, leider nicht genau. Aber ich meine, aus einer inneren Eingebung heraus, dass ich den jungen Mann schon einmal irgendwo gesehen habe."
"Ist die Leiche noch hier?"
"Ja, ist sie." Sillybos drehte sich um, befahl Hegelkant mit einem Wink die Tür zu öffnen. Der Sklave tat es und die Drei traten in den dahinterliegenden Raum ein. Dort lag, auf einem dunklen Tuch, dass auf einer alten Werkbank ausgebreitet worden war, die Leiche eines jungen Mannes mit kurzen, braunen Haaren. DNT erinnerte sich schmerzlich an die letzte Berührung dieses Mannes. Es war ein harter Schlag auf die Nase gewesen. Diese Leiche dort war Heinrich.
Tapire fluchte. Als ob es nicht schon schlimm genug gewesen wäre, so früh am Morgen schon eine Leiche anschauen zu müssen, nein, diese Leiche war auch noch sein Hauptverdächtiger. Er hatte sich das ganze Komplott so schön zurechtgelegt. Klunkar Eisenbart, der stinksauer darüber war, jetzt keine Geschäfte mehr mit der Stadt zu machen, hatte geplant Gunther Opolus zu ermorden um einen schlechten Eindruck Ankh- Morporks bei dem Abgesandten zu hinterlassen und ihn somit davon abzubringen, das Handelsabkommen zu unterzeichnen. Als er sich Informationen über Herrn Opolus und seine Familie beschaffen hatte, war ihm wohl auch von Heinrich berichtet worden, der einen Groll gegen den großen Bruder seiner Geliebten hegte. Und genau dass hatte er für seine eigenen Pläne ausgenutzt. Er hatte ihn dazu angestachelt den erfolgreichen Geschäftsmann und Diplomaten umzubringen. Zumindest war das bisher Vintongos Theorie gewesen. Aber diese war nun total hinfällig. Zumal Heinrich anscheinend auch !
durch diesen mysteriösen Degen gestorben war. Verdammt noch mal!
"Ich muss dir noch etwas mitteilen, Sir." unterbrach Sillybos Vinnis Gedankengänge.
"Hm?"
"Dieser Mann hier, hatte noch etwas bei sich. Und zwar einen kleinen Dolch und einen großen Sack. In diesem Sack fanden wir eine kleine, wertvolle Brosche, die offenbar von Herrn Verador stammt. Es sieht ganz danach aus, als ob er versucht hätte, die Schmuckstücke zu stehlen und dabei von seinem Mörder überrascht worden war."
"Natürlich!" platzte es plötzlich aus Vintongo heraus. Erst tötete man denjenigen, der den Vertrag zu Stande gebracht hatte und danach versuchte man den Schmuck für die Ausstellung zu stehlen. Also war Heinrich wohl doch darin verwickelt gewesen. Aber wer hatte ihn getötet? Etwa Vanilla? Nein, warum denn auch? Es steckte irgendetwas Komplizierteres hinter dem Ganzen. Oder hatten sich Verador und Heinrich gegenseitig getötet? Nein, das konnte nicht sein. Sie waren beide von dieser langen Stichwaffe tödlich
getroffen worden, genau wie Herr Opolus. Daraus musste folgen, dass der mittlerweile Dreifache Mörder ein noch Unbekannter sein musste. Und Heinrich hatte vermutlich nur von Eisenbart den Auftrag erhalten, den Schmuck zu stehlen. Endlich wurde das Bild wieder etwas klarer...
"Sir?" fragte Sillybos, der schon seit einer halben Minute fragen schaute.
"Äh, was?" stotterte Drei-Nervöse-Tapire.
"Was wolltest du sagen?"
"Hm? Ähm, nichts, ist schon gut. Ich muss los, ihr habt gute Arbeit geleistet!" sagte Vinni und rannte schon los. Ihm war etwas eingefallen. Was hatte die Schwester von Herrn Opolus ausgesagt? Er hatte an demselben Abend Besuch gehabt? Von einem Mann mit Degen?
Auf halbem Weg zu dem Haus, das mittlerweile nur noch Vanilla Opolus gehörte, musste der Wächter stehen bleiben. Er hatte Seitenstechen. So konnte das doch unmöglich weitergehen. Heute war schon der zweite Tag an dem er von Ort zu Ort rannte oder lief. Die Ermittlungen wurden langsam ungesund. Konnte sich die Stadtwache denn keine eigenen Eselskarren leisten, mit denen man durch die Stadt fahren konnte?? Er drehte schnaufend seinen Kopf und erblickte dann plötzlich einen Laden, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Genauer gesagt war es kein Laden, sondern eine Bar. Eine Saftbar, besagten die gelben Lettern, die auf einem langen Holzbrett geschrieben standen. Sie stand etwas abseits des allgemeinen Geschehens direkt an der Stadtmauer. Wie war so etwas möglich?? Eine Saftbar in Ankh-Morpork?! Vintongo beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Es war einfach zu unglaublich. Zu schön um wahr zu sein...
Wie im Traum wankte er zu der Bar hinüber und öffnete zögerlich die Türe. Ein bunter Farbendschungel blendete ihn daraufhin, als ob er in ein großes Konfetti-Fass gestiegen wäre. Als er wieder normal sehen konnte, bemerkte er die grellgelben Papierfrüchte die überall verteilt waren und die farbenfrohen Bilder an den Wänden. In der Mitte des Raumes stand ein von kleinen Palmen umgebener, durchsichtiger Tresen auf dem verschiedene Dekorationen herumlagen. Dahinter stand ein grinsender Kerl in einem Hawaiihemd der eine Sonnenbrille mit riesigen Gläsern und einem neongrünen Gestell trug. Auf seinem Kopf saß ein zerfledderter Strohhut. Aber am kuriosesten war eindeutig das strahlende, unnatürlich breite Grinsen das sein Gesicht zierte.
Ziemlich verdattert lief der Lance-Korporal auf ihn zu und setzte sich auf einen der gepolsterten Barhocker.
"Hey, hey, heeey!" freute sich der seltsame Mann hinter dem Tresen.
Vintongo konnte nichts sagen. Was war das nur für ein Ort? Und was war das für ein seltsames, sich drehendes Ding in der Ecke, das ihm ständig angenehm kühle Luft entgegenblies?
"Willkommen im Land der Tausendundeins Früchte!"
Tapire riss erstaunt die Augen auf. "Tausendundeins!?!"
"Ja, Mann, wie ich schon sagte...Tausendundeins!"
"Aber, aber..."
"Was darf’s denn sein, Kumpel?"
"Was es sein darf?"
"Was willst du trinken?"
"Ich, ich..." Die Augen des Wächters glänzten auf eigentümliche Weise und er sagte mit fester aber verträumter Stimme: "Mangos...ich möchte einen Mangosaft."
Etwa eine halbe Stunde später...
Nach einer kleinen Erfrischung hatte der Lance-Korporal die Saftbar wieder verlassen und sich auf den Weg zu seinem eigentlichen Ziel gemacht. Als es ihn wenige Wochen später noch einmal nach Säften gelüstete, fand Vintongo allerdings nur eine leere Stelle an der Mauer, die dort schon immer gewesen war.
Mittlerweile war DNT an dem Haus der nun ziemlich kleinen Familie Opolus angekommen. Er wollte gerade den eulenförmigen Türklopfer benutzen als ein entsetzlicher Schrei die Fensterscheiben des Anwesens zum Zittern brachte. Erschrocken zuckte Vintongo zusammen und versuchte die Tür einzutreten, aber er schaffte es nicht. Wieder ein gellender Schmerzensschrei, doch die Tür war einfach zu massiv. Er musste weit Anlauf nehmen und sich mit voller Gewalt dagegen werfen um sie auch nur in Bewegung zu bringen. Das Schreien war jetzt in ein gequältes Quieken übergegangen. Die junge Frau musste irgendwo im Erdgeschoss angegriffen werden, denn sonst hätte man sie nicht so gut hören können. Noch einmal versuchte es der Lance-Korporal. Er nahm noch mehr Anlauf als beim vorherigen Versuch und sprang schon an der Schwelle der kleinen Treppe ab, die zu dem großen Portal hinaufführte. Mit lautem Gebrüll in bester Lianenschwinger- Manier krachte er gegen die Tür und wehklagte erst einmal laut, wegen den Schmerzen die der Aufprall in seiner Schulter verursacht hatte. Aber die Rechnung war aufgegangen: Das Schloss riss sich aus seiner Verankerung und gab somit den Weg nach innen frei.
Vinni rappelte sich aus und stürmte mit den schlimmsten Erwartungen hinein, doch gerade als er die erste Tür auf der linken Seite öffnete klirrte es unnatürlich laut und als er endlich im Raum war sah er nur noch die zersprungene Fensterscheibe. Und daneben, auf dem Boden, lag die blutüberströmte Leiche der schönen, jungen Frau die er noch vor wenigen Tagen verhört hatte. Das Blut in DNTs Adern gefror und er starrte den Leichnam mit entsetzt aufgerissenen Augen an. Wäre er vor einigen Wochen noch schreiend in die Knie gesunken, so reagierten mittlerweile seine Wächter-Reflexe auf die sich schnell entfernenden, rasselnden Geräusche jenseits des zersplitterten Fensters und er nahm die Verfolgung auf. Nur geleitet vom Klicken und Klacken des mutmaßlichen Mörders bog er um die Ecke des Hauses und sah nur noch einen dunklen Stiefel über der Hecke verschwinden. Er versuchte zwar ebenfalls hinaufzuklettern, aber er schaffte es nicht. Entmutigt und von den Dornen des Heckengestrüpps zerkratzt ließ er sich auf den Boden sinken. Das durfte einfach nicht wahr sein! Dieses bemitleidenswerte Ding – einfach ermordet! Von einem skrupellosen Terroristen. Und genau das war der Kerl. Jemand, der seine politischen Ziele mit Gewalttaten durchsetzen wollte. Oder war er nur ein Söldner, der für den Profit einiger Leute im Hintergrund agierte? "Ach, zum Teufel damit!" schrie Vintongo, stand auf und trat wütend gegen die Hecke. Alle Verdächtigen und Zeugen wurden getötet und er konnte absolut nichts
dagegen tun. Sichtlich frustriert marschierte er wieder auf die Straße um seine Kollegen über den Mord zu informieren.
Nachdem ihm auf der Straße niemand begegnet war, war Vintongo ins Wachhaus marschiert. Was sich ihm dort bot, war ein reines Manifest des Chaos.
Überall rannten Wächter herum und schrieen sich gegenseitig hitzige Anweisungen zu oder trugen Waffen hin und her. Und inmitten dieses Gebildes, das wie ein betrunkener Ameisenhaufen wirkte, saß Kommandeur Rince mit grimmigem Blick auf einem Stuhl und starrte ins Nichts. Verwirrt tappte der Lance-Korporal hinein und kratzte sich am Kopf.
"Du!!" Rince fuhr plötzlich hoch und zeigte auf ihn. Vinni näherte sich daraufhin dem Kommandeur und hatte dunkle Vorahnungen.
"Habe ich dir nicht gesagt, dass du den Fall schnell zu Ende bringen sollst?!?" Rince war nun völlig außer sich. "Verflucht noch mal!"
"Aber was ist denn los?? Ich.."
"Wir haben eine Morddrohung erhalten." sagte Hauptmann Ohnedurst mit ruhiger Stimme, dessen plötzliches Auftauchen den Lance-Korporal zusammenzucken ließ.
"Eine Morddrohung??"
"Sie wollen mich umbringen, verdammt!" fuhr Rince dazwischen.
"Sie drohen damit ihn umzubringen, falls das Abkommen heute Abend tatsächlich unterzeichnet wird."
"Bei den Göttern..." damit hatte Tapire nun wirklich nicht gerechnet. "Was sollen wir denn bloß tun?" Ratlosigkeit machte sich in dem jungen Wächter breit und das machte ihn in Gegenwart des Kommandeurs und eines Hauptmanns ziemlich verlegen.
"Finde diesen mysteriösen Degenmann!!" Der Kommandeur kreischte nun fast und Vintongo wunderte sich, dass er sich so gut über den Fall informiert hatte.
"Ich werde mein Bestes geben, Sir."
"Das will ich hoffen, Lance-Korporal!"
"Und ähm, Sir?"
"Was ist denn noch??"
"Was werden wir unternehmen? Sollen wir versuchen die Leute davon zu überzeugen, dass Abkommen woanders zu unterzeichnen oder es zu verschieben?"
"Hah! Wenn das so einfach wäre...Vetinari will unter keinen Umständen einen schlechten Eindruck auf den Borogravianer machen. Und deshalb wird er sich sicher nicht davon überzeugen lassen, die Unterzeichnung zu verschieben oder dergleichen."
"Deshalb," meldete sich der Hauptmann wieder zu Wort, "Wird FROG für Rinces Sicherheit sorgen. Die restlichen Abteilungen werden ihren normalen Aktivitäten nachgehen. Aber ihr, die DOGs, werdet bei der Unterzeichnung anwesend sein und aufpassen dass nichts schief geht. Mückensturm ist schon unterrichtet. Ich glaube er möchte vorher noch eine Einsatzbesprechung abhalten."
Vintongo nickte ernst, salutierte den beiden Vorgesetzten und verließ dann das Wachhaus in Richtung Boucherie Rouge.
Fast die gesamte Abteilung DOG hatte sich mittlerweile in Mückensturms Büro eingefunden. Vor dem Großen Kamin war eines von seinen berühmt-berüchtigten Mind- Maps aufgehängt worden und gleich daneben hing ein Gebäudegrundriss der mit einigen farbigen Punkten markiert war.
"Guten Abend, Vinni." sagte der Abteilungsleiter, als der Angesprochene als letzter den Raum betrat. "Nun ja, die Einleitung, um was in dem Fall geht, war dir ja sowieso schon bekannt. Da du ja jetzt da bist, können wir uns ans Eingemachte machen." Er zog einen langen, dünnen Zeigestab unter seinem massiven Schreibtisch hervor und deutete auf den Gebäudegrundriss. "Dies hier ist das Gebäude in dem der Einsatz stattfinden wird. Ein großes Anwesen, direkt am Hide Park. Es gibt drei Eingänge." Er deutete mit
dem Stab auf drei rote Punkte an den Außenwänden. Hier," die Stabsspitze zeigte auf die Südseite," ist der öffentliche Eingang, durch den die Gäste hineingehen. Dort werden Daemon und Ikari postiert sein, natürlich als Gäste verkleidet, schließlich wollen wir die ganzen wichtigen Leute nicht verunsichern. Auf der Ostseite befindet sich der Personaleingang. Hatscha wird dort sein, als Dienstmädchen. Außerdem gibt es auf der Nordseite noch einen Hinterausgang, den Dyn im Auge behalten wird. Draußen wird Pigeon warten und die Kommunikation zwischen euch koordinieren. Hierfür haben wir uns extra diese kleinen Dinger ausgeliehen." Er klopfte mit der Faust gegen eine große Holzkiste die neben seinem Schreibtisch stand, was von einem leisen Quieken beantwortet wurde. "Kommunikationsdämonen," sagte der Fähnrich nicht ohne Stolz. "Harry wird auf dem Dach sein und das Geschehen von dort beobachten. Bleiben noch ich und du," er blickte Vintongo an, "Wir werden drinnen sein und direkt während der Unterzeichnung zugegen sein, für den Fall dass sich die Verbrecher unter den Gästen befinden oder die Leibwache des Abgesandten irgendwie verhindert ist. So, irgendwelche Fragen?"
Dyn Amit meldete sich. "Dürfen wir uns zwischendurch was vom Büffeh holen?"
Die Augen des Abteilungsleiters verengten sich zu kleinen Schlitzen und funkelten den Gefreiten böse an.
An diesem Abend, bei der Feier zur Unterzeichnung des Handelsvertrags...
Vintongo hatte nicht damit gerechnet, so viele Reiche, Adelige und Würdenträger bei der Vertragsunterzeichnung anzutreffen. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass sie in einem kleinen Kreis stattfand – aber da hatte er weit gefehlt. Man hatte ein großes Fest organisiert und alle möglichem Leute eingeladen, die dem Abend mehr Glanz verleihen konnten. Sogar Lord Vetinari, der Patrizier, war höchstpersönlich anwesend um das Abkommen anstelle von Herrn Opolus zu unterzeichnen. Das ganze erinnerte mehr an einen großen Gala-Abend als an das Unterzeichnen eines Handelsabkommens.
Mückensturm und Drei-Nervöse-Tapire standen gerade an dem sogenannten "Büffeh" und luden sich die Teller voll. Während der Fähnrich sich allerlei Meeresgetier hinaufschaufelte, bediente sich der Lance-Korporal an dem frischen Obst, das in großen Schalen bereitlag. Hätten die beiden hier nicht beruflich zu Tun gehabt, dann hätte es durchaus ein ganz netter Abend werden können. Aber unter den gegebenen Umständen war mit Allem zu rechnen. Daran musste Vintongo immer denken. Nahezu alle Leute die er befragt hatte waren umgebracht worden und das beunruhigte ihn.
Ein lautes Knacken riss Vinni aus den Gedanken. Sein Abteilungsleiter versuchte die harte Schale eines purpurroten Hummers mit den Zähnen zu knacken.
"D’s g’ht g’nz nf’ch – D’s’s H’mm’rb’st’ck st v’ll’g nn’t’g" erzählte er mit vollem Mund wobei er immer wieder von ekligen Knacklauten unterbrochen wurde, wenn eine der Brustplatten des Hummers von seinem Kiefer zermalmt wurde. Als sich das bleiche Gesicht des Patriziers in Mückensturms Richtung drehte und ihn mit einem dem typischen Vetinari-Blick bedachte, schluckte der Fähnrich aber die Trümmer des Meerestieres hastig hinunter und schaute betreten zu Boden.
"Bäh," machte Oberleutnant Daemon und versuchte die graublauen Rauchschwaden, die von Ikari Gernetods Zigarette in sein Gesicht trieben, mit einem angeekelten Händewackeln zu vertreiben. "Musst du denn immer dieses abscheuliche Kraut qualmen??" beschwerte Daemon sich und unterstrich seine Abneigung mit einem kleinen Huster aus der Rubrik "rhetorische-Hilfsmittelchen".
"Na hör mal! Ich muss es doch ausnutzen, mal mit dir unterwegs zu sein, wenn es nicht regnet. Du scheinst das anzuziehen. Ich habe mich schon immer gefragt wie es wohl aussehen würde, wenn dauernd eine kleine Wolke über deinem Kopf schwirren würde..." erwiderte der Hauptgefreite und kicherte.
"Sehr lustig. Vielleicht sollte ich mir mal eine anschaffen und dich von ihr mit Blitzen beschießen lassen, wenn du solche Bemerkungen machst."
"Wenn du mich danach wieder zusammennähst.." grinste Ikari, der heute anscheinend bester Laune war.
In diesem Moment fuhr eine wunderbar beschmückte Kutsche vor und die kleinen Grüppchen die außer den beiden Wächtern noch draußen standen stockten in ihren Gesprächen und wandten sich zu dem Gefährt um, vor das zwei prächtige Hengste gespannt waren. Der Kutscher sprang vom Kutschbock hinab und öffnete die Tür. Die erste Person die ausstieg, hatte lange, schwarze Haare die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Der Mann trug eine dunkelblaue Galauniform mit goldenen Kordeln an der Brust und eine weiße Hose mit schwarzen Lederstiefeln. An seiner Hüfte hing ein langer Degen in einer knallroten Scheide die durch das schummrige Licht das von Drinnen kam nur noch leuchtender aussah.
Danach stieg ein junger Mann in einem dunklen Anzug aus der Kutsche. Eine Locke seiner gekräuselten, blonden Haare hing ihm lässig ins Gesicht und formte zusammen mit seinem verschmitzten Lächeln die pfiffige Ausstrahlung eines intelligenten, jungen Adeligen. Nach ihm verließ noch ein kleinerer, rothaariger Mann das Gefährt, der dieselbe Galauniform und denselben Degen wie der Erste trug. Würdevoll stolzierte das Trio auf das geöffnete Portal des Anwesens zu.
"Das sind sie..." raunte Daemon Ikari zu. "Jetzt geht es los..."
Gefreite Hatscha al Nasa war grantig. Ihr gefiel es nicht, den ganzen Abend lang am Personaleingang herumstehen zu müssen und sich dumme Bemerkungen anzuhören. Missmutig trat sie gegen einen kleinen Stein, der kein Mitgefühl für sie zeigte und es auch noch fertig brachte völlig unbeeindruckt da zu liegen.
Genau in diesem Moment trat ein Kellner zu ihr nach draußen und kippte eine fast leer gegessene Platte mit Häppchen in eine der großen Tonnen.
"Na Süße, was machst du hier draußen? Schon Dienstschluss?"
Die Wächterin brummte irgendetwas was der Angestellte nicht verstand.
"Na komm, sei nicht so traurig. Ich werde dich trösten wenn ich mit der Arbeit fertig bin."
Hatscha hatte langsam genug. Es war nicht mehr lustig.
"Oha, du bist aber ein kaltes Fräulein. Na was soll’s? Ich werde dich schon zum Auftauen bringen, hihi.."
Nein, es war ganz und gar nicht mehr lustig.
"Wir schnappen uns ne Flasche Wein – die Reichen haben sowieso mehr als genug davon – und machen es uns bei mir zu Hause gemütlich. Na, was hältst du davon?"
Der Kellner war nicht unattraktiv und er sah es eigentlich als eine zusätzliche Belohnung für seine Arbeit an, danach immer noch eines der Dienstmädchen mit nach Hause zu nehmen. Meistens klappte es auch, aber heute, ging es sprichwörtlich in die Hose.
Hatscha packte den jungen Kerl an den Schultern, er dachte schon sie wollte ihn küssen, und rammte ihm mit dem ganzen Missmut den sie den Abend über aufgebaut hatte, das Knie an die Stelle-die-man-immer-umschreibt. Wimmernd sank der gescheiterte Aufreißer zu Boden. Jetzt war sie ein klein wenig besser gelaunt.
Harry gefiel der Job. Hier oben auf dem Dach gab es nicht viel zu Tun. Außerdem musste er nur Alarm schlagen falls jemand versuchen sollte, von hier oben einzudringen. Die Luft war angenehm warm und ab und zu strich eine erfrischende Brise sanft über das Dach der Villa. Sollten die anderen doch nachher ihre wilde Verfolgungsjagd bekommen, wenn sie das unbedingt wollten. Er würde es sich hier oben gemütlich machen und ein wenig die Seele baumeln lassen. Hungrig und durstig durchstöberte er die Tasche, die
er mitgebracht hatte und zog erst eine kleine Kaffeekanne mit Fingerhut-Tasse und dann eine Gnomen-Keksdose heraus. Der Gnom schenkte sich seelenruhig einen Kaffee ein nahm sich einen Rosinenkeks. Ja, so gefiel ihm die Arbeit. Er saß da, war wachsam und ließ es sich gut gehen. Das war die Essenz des Oberservierens. Nein, er verbesserte sich: Es war die Quintessenz...
Gefreiter Dyn Amit lugte verstohlen um die Ecke. Er wusste, dass er seinen Posten nicht verlassen durfte, aber er musste dem äußerst verdächtigen Rascheln in den Büschen auf der anderen Seite auf jeden Fall nachgehen. Was wenn sich dort die Verbrecher verborgen hielten und in diesem Moment den obligatorischen Fehler begangen hatten, den jeder Verbrecher einmal in seiner Karriere begeht? Wie ein lebendiger Schatten schlich er an der Wand entlang und hechtete dann mit einem plötzlichen Aufschrei in den Busch hinein. Genau wie der Agent in dem Klicker den er vor einiger Zeit gesehen hatte.
"Amit. Dyn Amit." hauchte er mit eisiger Gelassenheit ins Nichts und fuchtelte verwegen mit seinem rostigen Dienstschwert in der Luft herum. Dann zog er den kleinen Kommunikationsdämonen aus der Tasche, den alle DOG-Mitglieder bekommen hatten und hielt in sich an die Lippen.
"Krikkel-Krakkel," Ohne richtiges Rauschen war es einfach nicht authentisch, fand der Gefreite. "Hier spricht Dunkler Geist der schwarzen Nacht, alles Rottscher. Owah und Ende."
Pigeon wurde langsam wahnsinnig. Warum hatte Mückensturm sich nur diese bescheuerten Kommunikationsdämonen ausgeliehen?? Warum hatte er nicht auf ihre zuverlässigen Tauben vertraut? Sie konnte es einfach nicht verstehen. Jetzt kam schon wieder einer dieser kleinen Plagegeister angeflitzt und blieb abrupt vor ihr stehen.
"Zwei grüne Eichhörnchen an Gänseblümchen – Die Nüsse sind heruntergefallen."
Bevor sie auch nur daran denken konnte, den Code zu entschlüsseln hüpfte schon der nächste dieser winzigen Mistkerle über den Ersten und überbrachte seine Botschaft.
"Krikkel, Krakkel. Hier spricht Dunkler Geist der schwarzen Nacht, alles Rottscher. Owah und Ende." quiekte er.
Womit hatte sie das nur verdient? Grummelnd versuchte sie herauszufinden was ihre Kollegen da versuchten ihr mitzuteilen.
Mücke und Vinni beäugten den Abgesandten und seine beiden Leibwachen äußerst interessiert. Jaro, so der Name des Delegierten, wechselte gerade einige Worte mit einer Gruppe von Gildenoberhäuptern. Darunter auch Herr Boggis und Herr Witwenmacher. Die Anspannung stieg in den beiden Wächtern. Falls die Gegner des Abkommens noch etwas geplant hatten, für diesen Abend, dann musste es langsam geschehen. Lord Vetinari hatte sich bereits an dem kleinen Tisch niedergelassen, auf dem der Vertrag unterzeichnet werden sollte. Jetzt wandte sich auch Jaro von den Würdenträgern ab und trat, gefolgt von seinen beiden Leibwachen, auf den Tisch zu. Gleich war es soweit.
Irgendetwas lenkte Vintongos blick auf die leuchtenden, roten Scheiden der Schwerter. Die Leibgarde des Borogravianers sah wirklich imposant aus. Sicher würde es niemand wagen sich diesen stattlichen Kämpfern zu stellen. Dieser Jaro musste eigentlich ziemlich gut geschützt sein. Und wieder musste Tapire auf die roten Schwertscheiden schauen. Er konnte den Blick einfach nicht von ihnen abwenden. Irgendetwas schrillte ganz hinten in seinem Kopf und versuchte ihn auf etwas aufmerksam zu machen. Das Rot war wirklich satt. Genauso satt wie der Lederfetzen den ihm die Kollegen von SUSI geschickt hatten.
Vintongo zuckte zusammen. Konnte das sein? War es möglich dass die beiden Leibwachen...?? Bei den Göttern! Das war es! Deshalb gab es keine Spuren zum Mörder von Herrn Opolus und den anderen Leuten. Eisenbart war es nicht, so viel stand für Vintongo fest. Es mussten die beiden Leibwachen sein. Die perfekte Tarnung.
Aufgeregt schüttelte er Mückensturm der seinerseits erschrocken zusammenfuhr.
"Was ist denn?!"
"Sie sind es!!"
"Was? Wer ist was??"
"Die Leibgarde des Abgesandten!"
"Was ist mit der?? Was stammelst du hier für Dinge, Vintongo?" Die Stirn des Fähnrichs legte sich in Falten.
Derweil setzte sich Jaro hin und rückte sein Jackett zurecht.
"Sie waren es! Sie haben die Leute umgebracht!!" Der Lance-Korporal versuchte gleichzeitig zu flüstern und zu schreien, aber das Ergebnis war nur ein heiseres Keuchen.
"Wa-wa-was sagst du da, Mann?!"
"Bei der Leiche von Herrn Opolus hat Sillybos einen fetzen rotes Leder gefunden. Es ist genau dasselbe rot wie das der Schwertscheiden!"
"Vinni, bist du dir da ganz sicher?" Der Abteilungsleiter blickte DNT streng an.
"Ja, ich könnte es schwören! Überleg doch mal: Es ist die perfekte Tarnung. Deshalb führten auch keinen Spuren zum Mörder!"
Lord Vetinari nahm den Federhalter in die Hand, tauchte ihn in das Tintenfass und hinterließ seine Unterschrift auf dem Vertrag. Dann reichte er ihn an den Borogravianer weiter.
"Verdammt..." hauchte Mückensturm. "Aber was sollen wir tun?? Wir können sie jetzt nicht einfach verhaften..."
Jaro nahm das Schreibutensil in die Hand und hielt es über das Blatt.
"Verdammt, verdammt!!" fluchte der Fähnrich und zog eine kleine Armbrust aus seinem Anzug. Er ging nie ohne sie aus dem Haus.
Der Abgesandte setzte zum Unterschreiben.
Plötzlich zerschnitt ein lautes Zischen die Luft.
Ein weiteres folgte kurz darauf.
Dann zwei laute Schmerzensschreie gleichzeitig.
"Ich frage mich, ob hier heute Abend wirklich noch irgendwelche Verbrecher auftauchen..." überlegte Ikari laut.
"Ich rechne auch nicht damit. Der Vertrag müsste doch langsam unterzeichnet sein, oder?"
"Jaaaaaaaaaargh!!!"
"Was zum...?!" war das einzige was Daemon noch hervorbringen konnte, bevor er über den Haufen gerannt wurde.
Die letzten Sekunden waren ziemlich unbefriedigend gewesen für Lord Havelock Vetinari, dem Herrscher Ankh-Morporks. Zuerst hatte eine Leibwache, der kleine Rothaarige, den folgenschweren Fehler begangen seinen Degen zu ziehen und dem Abgesandten die Hand mit dem Federhalter abzuschlagen. Und als ob das nicht schon ungünstig genug für den Leibwächter gewesen wäre, hatte die aufgetrennte Pulsader des Delegierten auch noch die Kleidung des Patriziers mit Blut bespritzt. Danach kam von irgendwoher ein Armbrustbolzen geflogen und bohrte sich dem Übeltäter in die Schulter. Nachdem der Patrizier den Kopf gewandt hatte, sah er zwei Männer auf sich zurennen und den Verletzten überwältigen. Fähnrich Mückensturm und ein weiterer, dessen Name nicht wichtig genug war um Vetinari in diesen wenigen Sekunden einzufallen. Sie verhafteten also den Einen, aber der andere war nach draußen geflohen. Havelock war verstimmt.
Schnaubend nahm Vintongo die Verfolgung auf, so wie Mückensturm es befohlen hatte. Der hagere Mann, mit dem Pferdeschwanz war nach draußen gerannt und hatte zwar keinen beträchtlichen, aber dennoch nicht zu unterschätzenden Vorsprung vor dem Lance-Korporal. Auf dem Weg nach draußen wäre er beinahe noch über den am Boden liegenden Daemon gestolpert, der ihm irgendetwas zurief, was er nicht mitbekam. Er musste ihn kriegen. All diese Morde durften nicht ungestraft bleiben. Was auch immer der Grund gewesen war, warum dieser Mann versucht hatte die Vertragsunterzeichnung zu verhindern, er durfte nicht straflos davonkommen. Das war Vintongo der Stadt schuldig. Das war er den Leuten schuldig.
Die Leibgarde sprang zu der Kutsche mit der sie eingetroffen war, macht eines der Pferde los und schwang sich hinauf. Er riss die Scheuklappen hinunter und ritt dann mit einem lauten Schrei los.
Vintongo spurtete hinterher und befreite das andere Pferd von der Kutsche. Nur mit Mühe erklomm er den Rücken des Tieres und wollte gerade die Verfolgung fortführen als ihn jemand rief.
"Vinni!!!"
Verwundert drehte der Lance-Korporal den Kopf. Aus dem Anwesen kam Ikari zu ihm hinausgerannt. Er trug den Degen in der feuerroten Scheide, den die andere Leibgarde verloren hatte.
"Nimm das mit," keuchte der Zombie und überreichte DNT die Waffe. Dieser nickte nur und ritt daraufhin los.
Er sah die Konturen des anderen Reiters nur undeutlich in der dunkeln Nacht vor sich, aber seine Stadtkenntnis sagte ihm, dass er die Königsstraße hinunter in Richtung Deosil-Tor ritt. Er wollte offenbar die Stadt verlassen. Wenn er nicht oft pausierte, könnte er in einer Woche schon Quirm erreichen, dachte Vinni und hoffte dass er den Leibwächter nicht so lange verfolgen musste.
Das Geräusch der klappernden Hufe wurde langsam zu einem bestimmenden Rhythmus. Es war wie eine Jagd, fand Tapire. Ein kleiner Flimmer Erinnerung an sein Leben vor der Wache keimte in ihm auf, aber er verdrängte ihn sofort wieder. Das konnte er im Moment einfach nicht gebrauchen. Langsam näherte er sich dem Borogravianer. Doch in diesem Moment tauchten die Umrisse des Deosil-Tors aus dem Schleier der Nacht auf und warfen einen dunklen Schatten auf den Verfolgten. Drei-Nervöse-Tapire konnte nichts anderes
machen, als einfach hinterher zureiten. Woher wusste er überhaupt wie man auf einem Pferd ritt?? Egal, es ging nun darum den Mann einzuholen. Jetzt hatte auch der Wächter das Tor passiert und die Weiten der Sto-Ebene füllten sein Blickfeld bis zum Rand hin. Ganz schwach nur sah er die Silhouette des anderen Reiters vor sich in der Dunkelheit. Aber auch wenn die Chancen gering waren, diesen Mörder, oder zumindest Mordkomplizen, noch einzuholen, er durfte nicht aufgeben.
Er verfiel wieder dem Rhythmus der galoppierenden Hufe und beugte sich so weit nach vorne, dass ihm die wehende Mähne des Hengstes übers Gesicht strich. Weiter, immer nur weiter. Ausgedehnte Kohlfelder zogen nun an den Seiten vorbei und sahen im blassen Mondlicht wie grausige Schlachtfelder aus, die mit den Schädeln toter Soldaten überhäuft waren. Unter normalen Umständen hätte sich der Lance-Korporal gefürchtet, aber im Moment gab es nur das Ziel.
Die Flucht war eine Kunst. Wenn man vor jemandem oder etwas flieht, so sollte man es bedingungslos tun und sich nicht um das "wohin?" kümmern. "Weg von hier" musste die Devise lauten. Und auf gar keinen Fall sollte man sich dabei nach hinten umdrehen um zu sehen was für einen Vorsprung man hatte.
Ungefähr so hatte es einmal jemand ausgedrückt, der das Fliehen ziemlich perfektioniert hatte. Und dieses Mal sollte er recht behalten.
Seine Tarnung war aufgeflogen. Aber das war nicht schlimm. Er konnte es immer noch verhindern. Doch zuerst musste er diesen Wächter abschütteln. Er blickte nach hinten um zu sehen ob er es schon geschafft hatte und riss dabei die Zügel mit sich. Das Pferd scherte erst aus und bäumte sich dann auf. Schreiend stürzte er zu Boden. Verdammt, jetzt musste er den Wächter töten...
Vintongo hörte den Schrei mit dem sein Gegner zu Boden geworfen wurde und versuchte das Pferd dazu zu bringen, schneller zu reiten. Jetzt konnte er nicht mehr entkommen. Es gab nur die Straße und die Kohlfelder.
Als er angekommen war, rappelte sich die Leibgarde gerade auf und DNT nutzte den Moment um von seinem Pferd abzuspringen und den Feind zu überraschen.
Leider sprang er zu unkoordiniert und so streifte er den Borogravianer nur an der Schulter und kam hart auf den Kohlköpfen zu landen. Wut, Furcht und Anspannung verliehen ihm aber ungeahnte Kräfte. Er stand fast sofort wieder auf und zog den Degen aus der Scheide. Sein Gegner tat dasselbe. Erst jetzt erinnerte Vinni sich daran, dass er eine absolute Niete im Schwertkampf war.
Die Leibgarde atmete schwer, aber das Mondlicht ließ die Zähne des Mannes aussehen wie das Gebiss eines Tigers der sich jeden Moment auf seine Beute stürzen würde.
Es zischte und Vintongo schaffte es gerade noch den ersten Stoß zu parieren. Jetzt holte ihn die grausige Realität vollends ein. Er hatte schon mehrere Male geglaubt sterben zu müssen, aber niemals war er sich derart sicher gewesen. Das fahle Mondlicht tauchte die ganze Szene in eine düstere Atmosphäre und die Kohlköpfe waren nun wirklich die nackten Schädel der Toten. Die von Schnecken zerfressenen Löcher zeigten sich dem Lance-Korporal wie die leeren Augenhöhlen eines Totenkopfes. Heute Nacht würde er nur ein weiterer leer blickender Schädel werden, der dem darauffolgenden Kämpfer die grauenhafte Todesbotschaft überbringen würde.
Der nächste Hieb zerfetzte den Ärmel seines schwarzen Anzuges und entblößte den ungeschützten Arm des Wächters. Sollte man nicht einen furiosen Abgang haben, wenn man schon starb? Genau dieser Gedankengang zuckte durch Vinnis Gehirn und gab ihm die Kraft sich nicht mit gesenktem Haupt dem Tod hinzugeben. Er erhob seinen Fuß und trat seinem Widersacher so fest er konnte in den Bauch. Einmal im Leben wollte Vintongo sadistisch sein. Aber die schiere Wut brachte keinen Erfolg. Sein darauffolgender Stich ging
nämlich daneben und zerhackte einen der runden Kohlköpfe. In Vinnis Ohren klang das Geräusch wahrhaftig so, als ob er menschliche Knochen gespalten hätte. Doch der Rivale hatte nicht mehr Glück. Auch sein Konterhieb zerlegte einen der surrealen Kohlkopf-Schädel. Einen kurzen Moment sahen sich die beiden Kämpfer in die Augen. Und zu Vintongos Verwunderung spiegelten sich in den Augen der Leibgarde die gleiche Furcht, Wut und Qual, die er selbst fühlte. Sein Gegner zögerte einen Moment zu lange und Drei-Nervöse-Tapire nutzt es aus. Er musste es ausnutzen. Es war schon lange zu spät für Kompromisse. Und so hieb der Wächter dem Borogravianer auf die Hand, so dass dieser den Degen fallen lassen musste.
Mit einer kalten Endgültigkeit in den Augen ließ der langhaarige Mann sich auf den Boden sinken und blickte Vintongo abschätzend an.
Aber Vinni konnte nur laut schnauben und seinen Degen drohend an den Hals seines Rivalen halten. Doch dann endlich konnte er sich zu einer Frage durchringen.
"Warum?" Die Töne hallten weit in die dunkelblaue Nacht hinaus und zerfaserten dann in ihre kleinsten Bestandteile. Der Mann antwortete nicht. Er blickte mit seinen tiefen, dunklen Augen zum Mond empor und eine einzelne Träne rann seine Wange hinunter. Er schluckte.
"Für mein Volk." sagte er in klarem, festem Ton. Aber der Lance-Korporal verstand nicht und konnte nur fragend dreinblicken.
"Ich habe das alles für mein Volk getan. Ich habe die Leute ermordet, nicht Dimitri. Er hätte nur Jaros Leben beenden sollen. Ich hingegen war der Mörder der anderen Leute."
"Was soll das heißen...’für dein Volk’?" Tapire fiel es schwer die Fassung zu bewahren.
"Sie kamen in unser Land und sagten es gehöre nun ihnen. Und wir wären nun die Untertanen des Zaren. Sie töteten viele junge Männer und schändeten unsere Frauen."
Vintongos Hand verkrampfte sich. Er sah dem Mann direkt in die Augen und er wusste, dass es keine Lügen waren, die er ihm erzählte.
"Dann vergriffen sie sich an unseren Göttern. Den Wäldern, den Bergen und den Seen. Und jetzt wollten sie den Bergen ihr Leben nehmen. Ihr nennt es "Gold" oder "Silber", aber für uns ist es die Lebensader des Berges. Verstehst du? Wie würdest du dich fühlen, wenn Fremde zu dir kämen und alles zerstören würden, sogar deine Götter?"
Die Worte klangen durch die Finsternis und berührten Vintongo. Es tat ihm leid, alles tat ihm Leid. Das einige unschuldige Leute in Ankh-Morpork das Leben verloren hatten, dass das Volk dieses Mannes solche Leid hatte ertragen müssen und auch die Soldaten die hier auf dem vermeintlichen Schädelfeld gefallen waren, taten ihm Leid.
"Ich bitte dich nur um eines. Lass mich sterben. Ich habe versagt und Schande über mein Volk gebracht. Es ist nicht recht Bluttaten mit dem Blut Unschuldiger zu sühnen."
Vintongo hatte die Entscheidung bereits getroffen und nickte jetzt ernst.
Der Mann langte langsam nach seinem Degen und stand dann auf. Er hielt ihn sich mit der Spitze gegen den Bauch. Sein Gesicht nahm nun ein verträumtes Lächeln an.
"Ich war eine Art Rebellenführer, gegen die Borogravianische Herrschaft. Weißt du wie sich mich nannten?"
Eine gespannte Pause entstand und Vinni überlegte sich fieberhaft irgendwelche passenden Namen.
"Der Tiger von Borogravien." sagte er und rammte sich den Degen in den Bauch.
Vintongo verließ das Kohlfeld. Es war wieder eines. In der Ferne hörte er schon die Rufe seiner Wächter-Kollegen die ihn suchten.
Der Fall war zu Ende.
EPILOG.
Der alte Mann drückte seine Zigarre aus und leerte den letzten Rest seines Glases. Er blickte zu seinem künftigen Schwiegersohn hinüber. Er war eingeschlafen. Der alte Mann seufzte und zog sich seinen Strohhut tiefer ins Gesicht.
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