Konkurrenz belebt das Geschäft, Teil 1

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von Obergefreiter Sillybos (SUSI)
Online seit 30. 04. 2002
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Die Näherinnengilde bekommt Konkurrenz von der Gilde der Wäscherinnen und Mägde. Ein Kriminalstück in vier Akten. Pause nach dem zweiten Akt.

Dafür vergebene Note: 13

Es spielen (bis zur Pause)



FRAU PALM Präs. d. Näherinnengilde

FRAU WEDEL Präs. d. Gilde für Wäscherinnen und Mägde

PRIESTER DES GOTTES LUPANAR

GLÄUBIGER DES LUPANAR

TRAGEVIEL Textilwarenhändler

BIETNURGUT Textilwarenhändler

RINCE Kommandeur der Wache

PISMIRE AbtLtr SUSI

OG SILLYBOS Spurensicherer

HEGELKANT sein Sklave

K JOHANN ZUPFGUT Tatortsicherer

OFW ANGIE LEFAY Szenekennerin

OG LADY RATTENKLEIN Laborantin

OG CLARA BIENCHEN Gerichtsmedizineranwärterin

LAURETTA Erste Angestellte von Frau Wedel

PINSELHEBER Maler

NÄHERIN

ANGESTELLTE

BOTE

RÄUBER



Akt I




Akt I, Szene 1



Frau Palm sitzt in ihrem Büro in der Näherinnengilde. Es klopft.

FRAU PALM: Herein!

Ein Bote tritt ein.

BOTE: Guten Tag, gnädige Frau, ich bringe Ihnen Neuigkeiten.

FRAU PALM: Ah, der Bote. Sehr gut. Gute oder schlechte Neuigkeiten?

BOTE: Das vermag ich beileibe nicht zu beurteilen, gnädige Frau. Ich bin ja nur ein Bote.

FRAU PALM: Jaja, sicher, egal. Nun sprich!

BOTE: Jawohl, gnädige Frau. Es gibt da ein Etablissement in der Myrtenstraße...

FRAU PALM: Ja? Und weiter?

BOTE: Nun, in diesem Etablissement geht man einem ähnlichen Gewerbe nach wie Sie...

FRAU PALM: Einem ähnlichen?

BOTE: Um genau zu sein: dem gleichen.

FRAU PALM: erregt. Konkurrenz? Für uns?

BOTE: Nun ja, gnädige Frau...

FRAU PALM: Aber das ist verboten! Wir haben das Monopol!

BOTE: Dazu kann ich nichts sagen, gnädige Frau. Ich bin ja nur ein Bote.

FRAU PALM: Konkurrenz! Ich fasse es nicht! Gerade jetzt, wo die Nachfrage mit dem besseren Wetter steigen wird, gerade jetzt glauben wohl alle, sie könnten mal eben das große Geld machen. Ha! Die wissen ja gar nicht, was das für eine harte Arbeit ist, die wir hier leisten.
Wendet sich an den Boten. Weißt du, wie hart unsere Arbeit hier ist?

BOTE: Ich weiß nicht, gnädige Frau, ich bin ja nur ein Bote.

FRAU PALM: trotzig. Ts. Nichts weißt du. Sonst noch was?

BOTE: Äh, ja, gnädige Frau. Es gibt da eine neue Religion im Tempel der Geringen Götter...


FRAU PALM: Eine Religion?
BOTE: Ja, gnädige Frau. Die Gläubigen des Lupanar. Sie halten Ihr Gewerbe für sittenlos und haben es sich zur Aufgabe gemacht, die käufliche Zuneigung mit allen Mitteln zu bekämpfen.

FRAU PALM: Auch das noch!
BOTE: Es tut mir leid, gnädige Frau.

FRAU PALM: Auf dein Mitleid kann ich verzichten, du bist ja nur ein Bote.
Sie hält kurz inne.
Warum rede ich überhaupt mit dir? Verschwinde!

Bote geht ab.



Akt I, Szene 2



Gilde der Wäscherinnen und Mägde, Büro von Frau Wedel. Sie steht am Fenster und schaut hinaus. Dann holt sie eine kleine Gießkanne und gießt ein paar Blumen auf der Fensterbank. Aus dem Flur dringt geschäftiger Lärm.

FRAU WEDEL: ruft. Lauretta!

Lauretta kommt herein.

LAURETTA: Sie haben gerufen?

FRAU WEDEL: Was macht ihr denn da draußen eigentlich? Ich wollte doch nicht gestört werden. Und euer Lärm stört mich.

LAURETTA: Die Plakate sind soeben geliefert worden, gnä' Frau.

FRAU WEDEL: Was?? Ihr solltet mich doch umgehend informieren!

LAURETTA: Ja, gnä' Frau, aber Ihr sagtet auch, Ihr wolltet nicht gestört werden, und da dachte ich...

FRAU PALM: Und da dachtest du, da dachtest du. Du bist nicht hier um zu denken, sondern um zu arbeiten. Ich könnte mich ja schon wieder aufregen... aber egal. Ich will jetzt die Plakate sehen!

LAURETTA: Einen Moment, gnä' Frau. Sie ruft hinaus. Bringt die Plakate hierher! Und den Maler auch!

Eine weitere Angestellte führt Pinselheber das Zimmer von Frau Wedel. Die junge Frau hält eine Papierrolle im Arm, Pinselheber präsentiert ein Plakat. Frau Wedel hat sich in Erwartungshaltung an ihren Schreibtisch gesetzt.

PINSELHEBER: Ah, Frau Wedel, sicher warten Sie schon sehnsüchtig auf die Plakate –

FRAU WEDEL: etwas gereizt. Allerdings!

PINSELHEBER: – und aus diesem Grunde muss ich ihnen natürlich eine gute Entschädigung anbieten, ja, Frau Wedel, die haben Sie sich aber auch redlich verdient. Und nun halten Sie sich fest: ich werde Sie entschädigen! Mehr noch, das wird nicht nur eine einfache Entschädigung, nein, ich verbinde es gleichzeitig mit einem super Angebot exklusiv für Sie, Frau Wedel! Ich biete Ihnen nicht nur ein, nicht zwei, auch nicht drei, nein, ich biete Ihnen gleich vier verschiedene Werbeplakate exklusiv für Ihr Gewerbe –

FRAU WEDEL: verärgert. Ich hatte auch vier verschiedene bestellt. Und jeweils zehn Stück.

PINSELHEBER: – alle vier sind von bestechender Qualität, und nicht nur das, nein, sie bekommen jedes der Plakate, ja, wirklich jedes, in zehnfacher Ausführung. Das macht dann satte vierzig Plakate für Sie, Frau Wedel. Ich fürchte, Ankh-Morpork wird noch mehr Häuser bauen müssen, wenn Sie die alle aufhängen wollen. Wenn ich Ihnen die Plakate einmal zeigen dürfte...

Er heftet das Plakat, das er in den Händen hält, an die hintere Wand. Dann nimmt er von der Angestellten einzeln die anderen Plakate und hängt sie daneben.

PINSELHEBER: Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Diese Plakate schreien geradezu nach Ihrem Gewerbe. Wenn ich ein solches Plakat sehe, dann sage ich mir: 'Hey, tolle Qualität!' und 'Ich brauche Zuneigung, und ich will jeden Preis dafür zahlen.' Also, Frau Wedel, bessere Plakate werden Sie auf der ganzen Scheibenwelt nicht finden, und ich will verdammt sein...

FRAU WEDEL: Ja, ganz hübsch. genervt. Und nun raus hier! Ich will von Ihrem Gesülze nichts mehr hören! Meine Angestellten werden die Rechnung begleichen. Und wegen der Verspätung zahle ich nur 80 Prozent.

PINSELHEBER: Bei allem Respekt, Frau Wedel...

FRAU WEDEL: Ich sagte: 80 Prozent. Und jetzt raus hier!
PINSELHEBER: Ja, gnä' Frau.

Pinselheber und Angestellte ab. Frau Wedel begutachtet zufrieden die Plakate.

LAURETTA: Wo sollen wir die Plakate aufhängen, gnä' Frau?

FRAU WEDEL: überlegt. Hm. Das müssen wohlausgesuchte Orte sein. Das ist das A und O bei der Werbung.

LAURETTA: Woran dachten Sie da?

FRAU WEDEL: Ich weiß noch nicht genau. Aber ich werde mich persönlich darum kümmern.



Akt I, Szene 3



Tempel der Geringen Götter. Ein Priester des Lupanar und ein Gläubiger sitzen in Korbstühlen.

GLÄUBIGER:
Nun sind es derer also schon zwei.

PRIESTER:
Ob ein, ob zwei, das ist einerlei,

Die Tendenz ist wichtig, sie steigt an.

Die Moral wird, wie man sehen kann,

täglich aufs Neue untergraben!

Es spricht der Große Gott Lupanar:

So höret endlich auf zu klagen,

Die Zukunft wird mir nun offenbar.

Gekommen ist die Zeit zu Handeln,

vorbei ist die Zeit zu Predigen,

Ankh-Morpork wird zum Guten wandeln,

Der Sünden wir uns entledigen.

GLÄUBIGER:
Sie wollen Taten sprechen lassen?

Wir zwei werden sehr schnell verblassen,

wenn wir allein gegen die Gilden

unsere Fäuste stur erheben.

Denn wir dürfen uns nicht einbilden,

dass Ankh-Morpork wird mit uns streben.

PRIESTER:
Blödsinn! Du irrst, mein treuer Lakai!

Der Große Lupanar steht uns bei.

Und ich spür 's, Ankh-Morpork ist bereit,

und wartet bloß auf unser Zeichen.

Zum Anfang nur sind wir zwar zu zweit,

Doch schnell finden wir unsresgleichen:

Ankh-Morpork ist genauso empört

Über das, was auch uns so stört.

Gläubige werden uns umscharen

Und bestreiten in wenig' Tagen

Die moralische Revolution.

GLÄUBIGER:
Meister, zweifelt an meinen Sinnen

doch nennt man diese Institution

Bedacht 'Gilde der Näherinnen',

als 'Käufliche Zuneigung' anstatt.

PRIESTER:
Ach, die sind doch alle im Bilde!

Ein jeder weiß, was es auf sich hat

Mit dieser Näherinnengilde!



Akt I, Szene 4



Wachhaus Pseudopolisplatz. Obergefreiter Sillybos lernt die Theorie von SUSI, Hegelkant steht mit einem Buch daneben und fragt ihn ab.

SILLYBOS: Was hat es eigentlich mit der Näherinnengilde auf sich, Hegelkant?

HEGELKANT: Ich weiß nicht, Herr. Sie wird in diesem Buch nur jedes Mal als Sonderfall aufgeführt.

SILLYBOS: Aber es sind doch nur Frauen, die nähen. Was soll denn daran so besonders sein?

HEGELKANT: Ich weiß nicht, Herr. Vielleicht geschehen dort besonders viele Verbrechen?

SILLYBOS: Hegelkant, ich bitte dich. Wir reden hier doch schließlich nur von Näherinnen.

HEGELKANT: Ja, Herr. Ich habe wirklich keine Ahnung, Herr.

SILLYBOS: Tja, Ankh-Morpork ist schon eine seltsame Stadt.

HEGELKANT: Da kann ich nichts zu sagen, Herr. Ich wohne noch nicht lange hier.

SILLYBOS: Ich ebenfalls nicht. Aber mach dir nichts draus, wir werden es schon noch herausfinden. Frag weiter.

HEGELKANT: Ja, Herr. Das grundsätzliche Verhalten beim Entdecken einer Straftat hätten wir – bis auf die Näherinnengilde – abgehakt. Kommen wir nun zu den Ausnahmen: Was müssen Sie tun, wenn das Wachhaus gestohlen wurde?

SILLYBOS: Ich melde den Diebstahl des Wachhauses meinem Abteilungsleiter.

HEGELKANT: Das ist richtig, Herr. Und wenn die Abteilungsleitung auch gestohlen wurde?

SILLYBOS: In dem Fall melde ich den Diebstahl des Wachhauses und den Verlust der Abteilungsleitung irgendeinem Vorgesetzten.

HEGELKANT: Ja, Herr. Äh, bis auf...?

SILLYBOS: Bis auf? Wieso, wem darf ich es denn nicht melden?

HEGELKANT: Sie melden es irgendeinem Vorgesetzten bis auf den Kommandeur.

SILLYBOS: Und warum dem nicht?

HEGELKANT: Der hat schon genug um die Ohren.

SILLYBOS: Wie bitte? Was ist denn wichtiger als der Verlust des Wachhauses?

HEGELKANT: Ich weiß nicht, Herr. So steht es hier in der Vorschrift.

Sillybos schnappt Hegelkant das Buch aus der Hand und liest.

SILLYBOS: Tatsächlich: 'Der Kommandeur hat schon genug um die Ohren.' Unglaublich.

HEGELKANT: Ob das so gemeint ist, wie es da steht, Herr?

SILLYBOS: Es klingt zumindest ziemlich eindeutig.

HEGELKANT: Wer mag diese Regel aufgestellt haben?

SILLYBOS: Das, Hegelkant, kann ich dir leider nicht sagen.



Akt I, Szene 5



Büro des Kommandeurs. Rince sitzt an seinem Schreibtisch und blättert in einem Stapel Papier. Es klopft.

RINCE: Herein.

Oberfeldwebel Angie LeFay tritt ein und salutiert.

RINCE: Was gibt’s denn?

ANGIE LEFAY: Ich wollte nur fragen, ob Sie schon meinen Bericht gelesen haben, Herr Kommandeur?

RINCE: Der Bericht? Ja, der Bericht! Sicher habe ich ihn gelesen. Er blättert unauffällig, aber eifrig weiter. Das war doch so ein allgemeiner Bericht zur Lage, oder?

ANGIE LEFAY: Äh, sozusagen, Herr Kommandeur.

RINCE: hört auf zu blättern und kratzt sich am Kopf. Ich habe in letzter Zeit so viele Berichte gelesen. Äh, hilf mir am Besten ein bisschen auf die Sprünge, falls ich was überlesen haben sollte.

ANGIE LEFAY: Ja, ich weiß schon, Herr Kommandeur. Also: Ich habe erfahren, dass es rumort in der Branche der käuflichen Zuneigung. Es hat sich eine Art Konkurrenz zur Näherinnengilde entwickelt. Das ist im Moment Gesprächsthema Nummer eins in Ankh-Morpork, und dementsprechend klingelt bei denen auch die Kasse.

RINCE: Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist bekannt. Was sagt denn DOG dazu?

ANGIE LEFAY: DOG verhält sich ruhig. Sie haben schließlich selbst darauf bestanden, dass DOG die Näherinnengilde nur in Absprache mit Ihnen behandelt. Außerdem haben die im Moment einen heiklen Fall bei der Assassinengilde und können nur wenig Leute abstellen.

RINCE: Stimmt, da war doch was. Er schaut auf seinen Aktenstapel.Aber solange der Konkurrenzkampf fair abläuft, halten wir uns da raus.

ANGIE LEFAY: Es gibt aber noch weiteres Konfliktpotential, Herr Kommandeur. Es gibt eine neue Religion, die die käufliche Zuneigung mit allen Mitteln bekämpfen will. Sie sitzt im Tempel der Geringen Götter.

RINCE: Solche Leute lassen einen aber auch nie in Ruhe. Naja. Sobald die was tun, werden wir was tun. Schlafende Hunde soll man schließlich nicht wecken. Ich fürchte zwar, dass wir da noch was zu tun bekommen, aber vorerst sitzen wir das aus.

Rince lehnt sich zurück und gibt Angie LeFay ein Zeichen. Angie LeFay ab.



Akt I, Szene 6



Bekleidungsgeschäft in der Gänsetorstraße. Trageviel, der Besitzer des Ladens, rückt in seinem Schaufenster einige gewagte Gewänder zurecht. Frau Wedel tritt auf mit einem Plakat unterm Arm. Sie bleibt interessiert vor dem Schaufenster stehen.

TRAGEVIEL: Guten Tag, werte Dame. Kann ich ihnen behilflich sein?

FRAU WEDEL: Och nichts. Ich schau nur ein bisschen.

TRAGEVIEL: Wie Sie wünschen.

Er kümmert sich wieder um seine Kleider, sie bewundert weiter die erotischen Gewänder im Schaufenster.

FRAU WEDEL: Was soll das Rote da kosten?

TRAGEVIEL: Oh, eine ausgezeichnete Wahl. Es kostet auch nur 21 Ankh-Morpork-Dollar.

FRAU WEDEL: Ein bisschen viel, finden Sie nicht?

TRAGEVIEL: Aber ich bitte Sie. Das Kleid ist jeden Dollar wert.

FRAU WEDEL: Wenn ich es mir so betrachte, dürfte das Material kaum mehr als einen Dollar wert sein.

TRAGEVIEL: Nun ja, bei einem solchen Kleid kommt es ja nicht unbedingt darauf an, was es verhüllt, sondern vielmehr was es nicht verhüllt.

FRAU WEDEL: Wie meinen Sie das?

Trageviel flüstert ihr etwas ins Ohr.

FRAU WEDEL: Das dachte ich mir bereits. Sagen Sie, könnte ich die Kosten steuerlich absetzen?

TRAGEVIEL: Tja, ich weiß nicht. Ich glaube ja kaum, dass Sie es zu beruflichen Zwecken brauchen...

Frau Wedel flüstert ihm etwas ins Ohr.

TRAGEVIEL: Oh, ich verstehe. Doch, in dem Fall denke ich schon, dass sie es von der Steuer absetzen können.

FRAU WEDEL: Sehr schön. Ach, dürfte ich vielleicht dieses Plakat in ihrem Laden aufhängen?

Sie zeigt Trageviel das Plakat.

TRAGEVIEL: Ihren Beruf in allen Ehren, werte Dame, aber einen solchen Laden führe ich nicht. Was sollen denn meine Kunden denken?

FRAU WEDEL: Ich weiß nicht. Was sollen Ihre Kunden denken?

TRAGEVIEL: Ich bin ein ehrbarer Geschäftsmann. Mit Ihrem Gewerbe habe ich nichts zu tun.

FRAU WEDEL: Und trotzdem verkaufen Sie solche Kleider?

TRAGEVIEL: Ja, aber nur für den privaten Gebrauch.

FRAU WEDEL: Hm. Und wenn ich ihnen nun nicht nur ein solches Kleid, sondern gleich zwanzig Exemplare abkaufen würde? Vielleicht sogar ein Dauerauftrag?

TRAGEVIEL: Hm. Das ist natürlich etwas anderes. Aber kommen Sie doch herein.

Sie gehen in den Laden. Kurze Zeit später kommen Sie wieder heraus.

FRAU WEDEL: Was halten Sie von dieser Stelle?

TRAGEVIEL: Ja, da wird sich das Plakat gut machen.

Frau Wedel befestigt das Plakat zwischen dem Schaufenster und der Tür.

FRAU WEDEL: Und die Lieferung kommt in drei Tagen?

TRAGEVIEL: Ich versuche es bis übermorgen.

FRAU WEDEL: Drei Tage reichen. Wenn Sie später kommen, zahle ich nicht den vollen Preis für die Kleider.

TRAGEVIEL: Ich werde mein Bestes tun.

FRAU WEDEL: Das will ich hoffen. Ich werde sie erwarten.

Frau Wedel ab. Trageviel begutachtet das Plakat.

TRAGEVIEL: So schlimm sieht’s ja gar nicht aus. Im Gegenteil, das dürfte vielleicht sogar noch ein paar Kunden zusätzlich anlocken.

Er verschwindet wieder in seinem Laden. Auftritt Gläubiger des Lupanar. Entsetzt bleibt er vor dem Plakat stehen.

GLÄUBIGER:
Was seh' ich? Ein Plakat sittenlos?

Anbei ein Kleid, das ein Fetzen bloß?

Welch ein Frevel und welch ein Grauen

Muss mein Auge sich hier anschauen!

Meinen Lebtag sah ich so was nicht:

Die Welt entbehrt der Guten Geister

Wir brauchen mehr Moral und mehr Licht,

sogleich werd' ich's melden dem Meister.

Gläubiger des Lupanar ab.



Akt II




Akt II, Szene 1



Tempel der Geringen Götter. Der Priester den Lupanar steht vor einem Altar und vollführt einige Rituelle Gesten. Gläubiger des Lupanar stürmt herein.

GLÄUBIGER:
Meister, ich sah ein empörend Ding!

An einem Laden öffentlich hing

Ein Plakat größter Eindeutigkeit

Für käufliche Zuneigung werbend.

Daneben sah ich ein schlüpfrig Kleid

Viel enthüllend und nichts verbergend.

Sofort zu Ihnen eilte ich dann,

um Sie zu fragen: was liegt nun an?

PRIESTER:
Wir stehen vor der Sünden Abgrund,

Mit Entsetzen sehen wir hinab.

Er dreht sich um und hebt prophetisch die Hände.
Doch der Große Gott gibt uns nun kund:

Hört, meine Söhne, brecht nun nicht ab.

Schreitet voran, zum Kampfe bereit!

GLÄUBIGER:
Deren sind viele, wir nur zu zweit...

PRIESTER:
In uns ist Gottes Macht geflossen,

Lupanar macht uns tapfer und stark.

Wir sind wenig, aber entschlossen!

GLÄUBIGER:
Doch bin ich erschüttert bis ins Mark

Angesichts der feindlichen Lage.

Nicht nur gegen Gilden kämpfen wir,

das wär' mir beileib nicht zu vage.

Sie sind nicht unser Rivale hier:

Nein, ganz Ankh-Morpork heißt unser Feind,

Man hat sich nun gegen uns vereint.

Die Gilden sind beliebter denn je.

PRIESTER:
Der Gefahr, die auch ich durchaus seh',

müssen wir klar ins Auge sehen:

Wir werden indirekt vorgehen.

Gegen den Feind, den wir hassen,

werden wir Taten sprechen lassen.



Akt II, Szene 2



Büro des Kommandeurs. Rince sitzt an seinem Schreibtisch und tut, was ein Kommandeur halt so tut. Da platzt der Textilwarenhändler Bietnurgut herein.

BIETNURGUT: erregt. So was gibt's doch gar nicht! Ein Unding! Unmöglich so was! Wo kann man sich hier beschweren?

RINCE: Nun mal ganz ruhig, ja. Schon mal was von anklopfen gehört? Wer sind Sie, was wollen Sie und wer hat Sie zu mir geschickt

BIETNURGUT: Mein Name ist Bietnurgut, ein ehrbarer Geschäftsmann, der sich noch nie hat was zuschulden kommen lassen, und ich will mich beschweren....

Obergefreite Lady Rattenklein kommt herein gelaufen.

LADY RATTENKLEIN: Es tut mir Leid, Herr Kommandeur, ich wollte ihn aufhalten, aber er hat mich quasi einfach über den Haufen gerannt.


RINCE: Ist schon gut, ist ja nicht so schlimm. Zu Bietnurgut. Scheint ja was Wichtiges zu sein, wenn Sie so aufgeregt sind.

BIETNURGUT: Das will ich meinen! Ich fuhr also mit meinem Eselkarren ganz ruhig durch die Talgstraße, um einen Kunden zu beliefern, da bricht mir auf einmal der ganze Wagen zusammen! Ja, die Achse ist gebrochen! Wie soll ich denn unter solchen Umständen meine Arbeit machen? Unmöglich!

RINCE: ruhig. Ja, aber was haben wir damit zu tun?

BIETNURGUT: Wie bitte, da fragen Sie noch? Das war ein verdammter Anschlag, jawohl! Die Straße war eben und trocken und der Karren war wie neu. Es muss sich dabei um einen Anschlag handeln. Sabotage! Die Sie nicht verhindert haben!

RINCE: Moment, Moment, immer mit der Ruhe. Wir sehen uns die Sache mal an. Wenn es sich wirklich um ein Verbrechen handelt, dann werden wir das schon herausfinden. Guten Tag.

BIETNURGUT: Das will ich auch stark hoffen. Die Schuldigen müssen gefunden werden!

RINCE: Wir kümmern uns darum, das versichere ich Ihnen. Guten Tag!

BIETNURGUT: Und wehe nicht! Dann melde ich's der Gilde, und dann haben Sie nichts mehr zu lachen! Guten Tag!

Bietnurgut ab.

LADY RATTENKLEIN: Und nun?

RINCE: seufzt. Kümmert ihr euch darum, ihr bei SUSI habt ja im Moment sowieso nicht so viel zu tun. Falls ihr was findet, müssen wir mal sehen, wie wir dann mit der Sache weiter umgehen.

LADY RATTENKLEIN: Wegen solchen Lappalien werden wertvolle Ressourcen verschwendet.

RINCE:Du sagst es. Ich habe schließlich schon genug um die Ohren.



Akt II, Szene 3



Hauptfeldwebel Pismire sitzt in seinem Büro am Schreibtisch und blättert in einigen Akten. Es klopft.

PISMIRE: Herein.

Sillybos tritt ein und salutiert. Hegelkant grinst freundlich.

SILLYBOS: Sie haben uns rufen lassen, Sir?

PISMIRE: Guten Morgen, ihr zwei! Was macht die Ausbildung?

SILLYBOS: Sie läuft ganz gut, Sir. Auch wenn ich einige Ausnahmeregelungen als unlogisch einstufe.

PISMIRE: Jaja, die Ausnahmen. Aber so ist das nun mal mit den Vorschriften, da setzt sich irgendjemand hin und schreibt so was auf, ohne großartig darüber nachzudenken.

SILLYBOS: beiseite. Das kann man leider von so einigen geschriebenen Texten behaupten.

PISMIRE: räuspert sich. Aber jetzt geht es nicht um Ausnahmen, sondern um einen konkreten Fall. Für mich sieht es nach Routine aus, aber für euch ist es eine gute Gelegenheit, um die praktische Arbeit von SUSI näher kennen zu lernen.

SILLYBOS: Wenn sie meinen, Sir.

PISMIRE: Es geht um Folgendes. Ich habe gerade einen Bericht bekommen, dass am Rande der Schatten ein Eselkarren mit einem Achsbruch liegen geblieben ist. Johann Zupfgut hat die Stelle in der Talgstraße bereits gesichert. Ihr geht jetzt dorthin und untersucht den Wagen, findet raus, wie es zu dem Achsbruch kommen konnte. Also ob es ein normaler Unfall war oder ob vielleicht nachgeholfen wurde. Etwas in der Art. Ihr versteht schon. Noch Fragen? Nein? Gut, dann an die Arbeit!

Sillybos und Hegelkant ab.



Akt II, Szene 4



Gilde der Wäscherinnen und Mägde, Eingangshalle. Lauretta erscheint, und prüft die Halle ob ihrer Ordnung. Es läutet.

LAURETTA: öffnet die Tür Ja, bitte?

FRAU PALM: Bin ich hier richtig bei der 'Gilde für Wäscherinnen und Mägde'?

LAURETTA: Das sind Sie, gnä' Frau. Aber kommen Sie doch herein.

Frau Palm tritt ein und sieht sich kritisch um.

FRAU PALM: Soso, sieht ja ganz gemütlich hier aus. Nicht schlecht, nicht schlecht, muss ich ja zugeben. Sie prüft einige Ecken genauer. Aber beim genaueren Hinsehen gibt es auch hier die üblichen Unachtsamkeiten.

LAURETTA: Womit kann ich Ihnen dienen, gnä' Frau?

FRAU PALM: Ich wünsche die Dame des Hauses zu sprechen.

LAURETTA: Wie Sie wünschen. Ich werde Frau Wedel holen.

Lauretta ab.

FRAU PALM:beiseite.
Ich gebe ja zu, es ist durchaus beeindruckend, was ich hier sehe. Diese Konkurrenz könnte mir gefährlich werden, wenn sie sich etablieren sollte. Schätze, ich muss den Versuch schon im Keim ersticken.

Frau Wedel tritt auf.

FRAU WEDEL: Ahh, Frau Palm, wenn ich recht sehe. Es ist mir eine Ehre, eine so bekannte Persönlichkeit in meinen bescheidenen Gefilden begrüßen zu dürfen.

FRAU PALM: Frau Wedel, nehme ich an? Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, es ist für mich immer eine Freude, wenn junge Unternehmer versuchen, in Ankh-Morpork Fuß zu fassen.

FRAU WEDEL: Setzen wir uns doch. Lauretta!

Sie setzen sich. Lauretta kommt.

FRAU WEDEL: Möchten Sie etwas trinken?

FRAU PALM: Haben Sie Seetraubenwein?

FRAU WEDEL: Lauretta, zweimal Seetraubenwein.

Lauretta ab.

FRAU WEDEL: Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?

FRAU PALM: Ich will offen zu Ihnen sein, Frau Wedel.

FRAU WEDEL: Das ist sehr anständig von Ihnen.

FRAU PALM: Ich bin hier, um zu überprüfen, ob hier genau das vor sich geht, was ich vermute. Nämlich, dass Sie versuchen, mir Konkurrenz zu machen.

Lauretta bringt zwei Gläser mit Seetraubenwein.

FRAU WEDEL: hebt ihr Glas. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen. Prost!

Sie trinken.

FRAU PALM: Und wie ich sehe, habe ich mit meiner Vermutung durchaus Recht.

FRAU WEDEL: Und wenn dem so wäre?

FRAU PALM: Es ist verboten, dass zwei Gilden für eine Berufsgruppe existieren.

FRAU WEDEL: Eine Berufsgruppe? Ich wüsste nicht, was Mägde mit Näherinnen zu tun haben.

FRAU PALM: Mägde
?
FRAU WEDEL: Ich beschäftige Wäscherinnen und Mägde.

FRAU PALM: Ha! Wo auf der Welt gibt es denn noch Mägde?!

FRAU WEDEL: wird energischer. Ach ja? Aber es gibt in Ankh-Morpork auch nur zwei Nadeln für fast 1000 sogenannte Näherinnen!

FRAU PALM: wird ebenfalls energischer Und Wäscherinnen? Es ist bestimmt über 100 Jahre her, als in Ankh-Morpork das letzte Mal irgendwas gewaschen worden ist. Es hätte ja sowieso keinen Zweck!

FRAU WEDEL: Und wenn schon! Mir ist kein Gesetz bekannt, dass zwei Gilden der gleichen Berufsgruppe verbietet.

FRAU PALM: So ein Gesetz gibt es bestimmt, Sie haben es nur nicht gelesen, Sie ausländische Möchtegern-Unternehmerin!

FRAU WEDEL: Falls es ein solches Gesetz gäbe, hätte ich es bestimmt gelesen, Sie arrogante Endlos-Laufmasche!

FRAU PALM: Das glaube ich kaum, wo sie doch gar nicht lesen können, Sie ungebildete Analphabetin!

FRAU WEDEL: Bestimmt besser als Sie, Sie dumme Gans!

FRAU PALM: Sie haben noch nicht die Intelligenz, ein Unternehmen zu führen! Sie niederträchtige Henne!

FRAU WEDEL: Dafür bin ich hübscher als Sie! Sie fette Schnepfe!

FRAU PALM: Sie gehässige Schlange!

FRAU WEDEL: Keifende Vettel!

FRAU PALM: Jetzt reicht 's! So was muss ich mir nicht bieten lassen! Wir sehen uns beim Patrizier!

Frau Palm verlässt energisch den Raum und knallt dir Tür zu.



Akt II, Szene 5



Talgstraße, Ankh-Morpork. Ein Eselkarren liegt mit Achsbruch am Straßenrand, eine markierte Zuschauerfreie Zone wird von Johann Zupfgut streng bewacht. Auftritt Sillybos und Hegelkant.

SILLYBOS: grüßt. Grüß dich, Johann,. Wie sieht's aus?

JOHANN: grüßt zurück. Hallo Sillybos und Hegelkant. Hegelkant grinst freundlich. Tja, nicht viel los hier. Warum auch? Wen interessiert schon ein liegen gebliebener Eselkarren?

SILLYBOS: Das ist wahr. Ich denke, wir kommen hier auch schon alleine zurecht. Wenn du willst, kannst du schon zurück gehen, ist ja auch bald Feierabend.

JOHANN: Wenn du meinst, von mir aus gerne. Hier wird nicht mehr viel passieren.

Johann Zupfgut ab.

SILLYBOS: Da ist ja der Wagen. Geht zu dem Karren und begutachtet ihn. Tja, von hier aus betrachtet sieht es tatsächlich nach Achsenbruch aus. Was meinst du, Hegelkant?

HEGELKANT: Ja, Herr. Es war bestimmt nicht beabsichtigt, dass die Räder in einem rechten Winkel zueinander stehen.

SILLYBOS: Es könnte sich natürlich um ein außergewöhnliches Design handeln. In letzter Zeit sieht man öfters die seltsamsten Konstruktionen, auch bei Eselkarren. Und doch scheinen sie zu funktionieren. Naja, die meisten zumindest.

HEGELKANT: Aber warum sollte dann der Besitzer dann einen Achsenbruch melden?

SILLYBOS: Ein guter Einwand. Na gut, wir gehen also davon aus, dass es sich um einen Achsenbruch handelt. Dennoch sollten wir auf Nummer sicher gehen.

HEGELKANT: Herr?

SILLYBOS: Schauen wir uns einfach mal die Achse genauer an.

Er geht zum Heck des Karrens und versucht mit aller Kraft, die Ladefläche hochzuheben. Es gelingt ihm nicht.

SILLYBOS: Hegelkant! Komm her und hilf mir!

HEGELKANT: Ja, Herr. Ich werde mein bestes tun.

Beide heben mit vereinten Kräften die Ladefläche hoch.

SILLYBOS: Gut, Hegelkant. Bleib so. Ich sehe mir das mal genauer an. Er kriecht unter den Karren. Nicht loslassen!

HEGELKANT: ächzt. Ja, Herr.

SILLYBOS: Ah ja, nun sehe ich klarer. Ziemlich dunkel hier... Aber wenn ich mir die Achse genauer angucke... oder anfühle... Hegelkant, schreib mal mit, was ich dir jetzt diktiere.

HEGELKANT: ächzt. Aber Herr –

SILLYBOS: Hegelkant, tu was ich dir sage. Schreib jetzt mit!

HEGELKANT: Ja, Herr.

Er lässt den Wagen auf Sillybos krachen und holt seinen Block hervor.

SILLYBOS: schreit vor Schmerzen auf. Aaargh! Hegelkaaant!

Hegelkant sieht skeptisch zu seinem Herrn unter dem Karren und schreibt dann etwas auf seinen Block.

SILLYBOS: ruft verärgert. Hegelkant, hilf mir sofort hier raus! Sofort!

Hegelkant lässt nach kurzem Zögern seinen Block fallen und eilt dann seinem Herrn zu Hilfe. Mühsam rappelt sich Sillybos schließlich auf.

SILLYBOS: hält sich das Kreuz. Hegelkant... was weißt du über Befehle?

HEGELKANT: Äh, Befehle müssen befolgt werden.

SILLYBOS: Was noch?

HEGELKANT: Äh, Sie müssen vor der Ausführung geprüft werden auf... äh... Durchführbarkeit, Rechtmäßigkeit... äh.

SILLYBOS: Auf jeden Fall darf ein Befehl nicht ausgeführt werden, wenn der Vorgesetzte körperlichen Schaden nimmt.

HEGELKANT: Auch wenn der Befehl von dem Vorgesetzten selbst stammt?

SILLYBOS: überlegt kurz. Auch dann, Hegelkant. Gerade dann. Philosophen denken immer, auch bei Befehlen. Ein Philosoph ist quasi über das Denken definiert.

HEGELKANT: grinst. Cogito, ergo sum.

SILLYBOS: Eben. Und wehe, du hörst auf damit. Bedenke nur die Konsequenzen!

HEGELKANT: Ja, Herr.

Sillybos geht wieder um den Wagen herum und sieht ihn sich von allen Seiten an. Hegelkant hebt derweil seinen Block auf.

SILLYBOS: Also Hegelkant, schreib mit: Bei dem Unfall handelt es sich nicht um einen Achsenbruch, sondern um eine gezielte Manipulation der Achse durch ein sägeartiges Werkzeug...

Hegelkant schreibt.

SILLYBOS: .... bei der die linke Seite der Achse von der rechten absichtlich getrennt wurde...

HEGELKANT: schreibt und blickt dann hoch. Herr?

SILLYBOS: Wie ich sagte, Hegelkant.

HEGELKANT: Ja, Herr. Er schreibt.

Sillybos untersucht die Ladefläche genauer, schaut noch mal unter den Wagen und schaut noch mal ganz genau hin und findet schließlich einen zerknüllten Zettel. Er liest ihn.

SILLYBOS: diktiert. Des Weiteren lag unter dem Wagen hinter dem rechten Rad eine Rechnung, ausgestellt von einem gewissen Trageviel, adressiert an die Näherinnengilde. Rechnungsgegenstand sind zehn rote Gewänder.

HEGELKANT: Dann wohl eher von der Näherinnengilde, adressiert an Herrn Trageviel.

SILLYBOS: Du hast vermutlich recht. Hier steht's anders, das ist aber wahrscheinlich fehlerhaft eingetragen worden. Wir sollten das überprüfen. Vermutlich gehört die Rechnung dem Besitzer des Wagens. Ich habe da so eine Intuition, dass die Näherinnengilde was mit diesem Vorfall zu tun hat.

HEGELKANT: Sollten wir nicht vorher zurück und Bericht erstatten, Herr?

SILLYBOS: Dadurch ginge wertvolle Zeit verloren, Hegelkant. Die Näherinnengilde könnte wichtiges Beweismaterial verschwinden lassen. So etwas nennt man Verdunkelungsgefahr.

HEGELKANT: schaut zur tiefstehenden Sonne. Ach, ihr meint, weil die Wache nach Feierabend nicht mehr ermittelt?

SILLYBOS: Im Prinzip ja, Hegelkant. Indirekt schon.

Beide ab.



Akt II, Szene 6



In den Schatten. Auftritt Sillybos und Hegelkant.

SILLYBOS: Ich frage mich, warum die Näherinnengilde bloß an einem so unwirtlichen Ort untergebracht ist.

HEGELKANT: Wirklich eigenartig, Herr.

SILLYBOS: Was weißt du über diese Gilde, Hegelkant?

HEGELKANT: Nicht viel, Herr, ich bin noch nicht lange in Ankh-Morpork. Ehrlich gesagt, weiß ich fast gar nichts über sie.

SILLYBOS: Oh, das macht nichts. Ich teile schließlich ein ähnliches Schicksal. Aber wie ich aus Gesprächen mit anderen Wächtern mitbekam, ging es dort in der Vergangenheit schon häufiger drunter und drüber.

HEGELKANT: Obgleich es nur Näherinnen sind?

SILLYBOS: Schon. Aber in dieser Umgebung...

HEGELKANT: Wo sie's gerade erwähnen, Herr. Diese Umgebung... und Ihre Uniform....

SILLYBOS: überlegt kurz und schaut Hegelkant mit großen Augen an. Hmm....

Auftritt Räuber. Er springt aus einem Schatten und stellt sich mit gezücktem Messer den beiden in den Weg.

RÄUBER: Halt, Wächter! Dein letztes Stündlein hat geschlagen!

Sillybos und Hegelkant schauen sich kurz an.

SILLYBOS: Aber ich bin gar kein Wächter.

RÄUBER: Ha! Mir kannst du nichts vormachen. Ich erkenne deine Uniform.

SILLYBOS: Aber das ist es ja! Gerade deshalb kann ich ja gar kein Wächter sein. Kein Wächter würde sich mit seiner Uniform in die Schatten trauen.

RÄUBER: etwas verwirrt. Nein?

SILLYBOS: Aber nie im Leben. Die sind doch alle getarnt.

RÄUBER: misstrauisch. Hmm.

SILLYBOS: Getarnt. In zivil.

RÄUBER: Aber vielleicht bist du auf dem Weg zu einem Kostümfest?

SILLYBOS: schaut ihn fragend an. Ein Kostümfest?

RÄUBER: Vielleicht bist du ein Wächter in zivil und hast dich als Wächter verkleidet, weil du auf ein Kostümfest willst.

SILLYBOS: Äh, und was wäre dann?

RÄUBER: Das würde bedeuten, dass du ein Wächter bist.

SILLYBOS: Oh. Nun, in dem Fall kann ich dich beruhigen. Ich gehe nämlich zu keinem Kostümfest.

RÄUBER: überlegt. Hmm. Du könntest blöffen.

SILLYBOS: Hör mal, ich werde dir jetzt todsicher beweisen, dass ich kein Wächter bin.

Sillybos zeigt dem Räuber seine Dienstmarke.

SILLYBOS: Da siehst du's. Hast du schon mal einen Wächter gesehen, der in den Schatten seine Dienstmarke zeigt?

RÄUBER: überrascht. Ähm, nein.

SILLYBOS: Und glaubst du, ich würde in zivil als Wächter verkleidet auf ein Kostümfest gehen und meine Dienstmarke dabei haben? Dann würde doch jeder merken, dass es gar kein Kostüm ist.

RÄUBER: kratzt sich an der Stirn. Da ist was Wahres dran.

SILLYBOS: Also wenn du nichts dagegen hast, würden wir jetzt gerne unseren Weg fortsetzen. Schönen Tag noch!

Sillybos und Hegelkant ab. Der Räuber schaut ihnen kurz nach und geht dann, in Gedanken versunken, in eine andere Richtung ab.



Akt II, Szene 7



Näherinnengilde. Neben der großen Eingangstür hängt das Wappen der Gilde. Auftritt Sillybos und Hegelkant.

HEGELKANT: Hier muss es sein, Herr. Habt Ihr das Wappen gesehen?

SILLYBOS: 'NIL VOLVPTI, SINE LVCRE'. Ich sag's dir, Hegelkant, mit der Gilde hier stimmt was nicht.

Sillybos betätigt den Türklopfer. Eine leicht bekleidete Dame öffnet. Sillybos und Hegelkant sind sichtlich überrascht.

SILLYBOS: Oh, verzeihen Sie, äh, junge Dame. Ich hätte gerne die Präsidentin Ihrer Gilde gesprochen.

NÄHERIN: schaut Sillybos prüfend an.
Frau Palm empfängt nicht jeden.

SILLYBOS: Es tut mir sehr Leid, Sie zu stören, aber es handelt sich hierbei um eine polizeiliche Untersuchung.

Sillybos zeigt seine Dienstmarke.

NÄHERIN: Wenn ihr denn unbedingt wollt... wartet hier.

Die Näherin schließt die Tür hinter sich.

SILLYBOS: Hast du gesehen, wie wenig sie anhat, Hegelkant? Dies ist bestimmt keine sehr reiche Gilde. Obwohl sie Näherinnen sind, können sie sich nicht mal Stoff für eigene Kleider leisten.

HEGELKANT: Und bei uns in Klatsch tragen die Frauen viel zu viele Kleider. Sogar mehrschichtig übereinander. Sie tragen außerdem ein Kopftuch und verschleiern ihr Gesicht. Und dabei ist es dort viel wärmer als hier. Wenn ich daran denke, wie die Armen Näherinnen hier frieren müssen... Glaubt Ihr, dass die Frauen in Klatsch die Kleider aus Ankh-Morpork haben, Herr?

SILLYBOS: Das würde Sinn machen. In Klatsch gibt's zu viele Kleider und hier offenbar zu wenig. Das ist eine Folge des modernen Wirtschaftsgefüges, Hegelkant. Die Näherinnen hier müssen für die Frauen von Klatsch produzieren, obwohl sie selbst viel bedürftiger sind.

HEGELKANT: Wenn ich mal wieder in Klatsch bin, werde ich verlangen, dass die Frauen ihre Kleider nach Ankh-Morpork zurückschicken.

Die Tür öffnet sich wieder, und Frau Palm erscheint.

FRAU PALM: Ja, bitte?

SILLYBOS: Sind Sie die Präsidentin der Näherinnengilde?

FRAU PALM: Wer will das wissen?

SILLYBOS: Mein Name ist Sillybos und ich bin von der Stadtwache von Ankh-Morpork. Ich führe eine polizeiliche Untersuchung durch.

FRAU PALM: Ist das wieder so ein Vorwand, um ungestört in meinen Etablissements herumstöbern zu können?

SILLYBOS: Aber ich bitte Sie! Ich würde nie –

FRAU PALM: Na denn ist es ja gut. In dem Fall: ja, ich bin Präsidentin dieser Gilde. Ich heiße Frau Palm.

SILLYBOS: holt seinen Notizblock heraus.: Also gut, Frau Palm. Ich muss Ihnen leider ein paar Fragen stellen. Kennen Sie einen Herrn Trageviel?

FRAU PALM: Woher sollte ich ihn kennen?

SILLYBOS: Er ist Kunde bei Ihnen.

FRAU PALM: Das ist gut möglich, aber meistens frage ich unsere Kunden nicht nach ihrem Namen.

SILLYBOS: Warum nicht?

FRAU PALM: Weil es nicht interessiert. Solange die Kunden zahlen, ist mir der Name ziemlich egal.

SILLYBOS: Das ist mehr als verwunderlich, Frau Palm. Denn ich habe hier eine Rechnung über zehn rote Gewänder, ausgestellt auf den Namen "Trageviel".

Sillybos zeigt Frau Palm die Rechnung.

FRAU PALM: liest das Papier. Stimmt, der neue Kleiderhändler. Ja, den kenne ich. Gut möglich, dass er auch bei uns Kunde war.

SILLYBOS: nimmt die Rechnung wieder an sich. Naja, davon können wir ja wohl ausgehen, dass er Kunde war. Warum kennen sie ausgerechnet ihn?

FRAU PALM: Aber er ist Kleiderhändler. Das ist doch was anderes.

SILLYBOS: Ach. Haben Sie auch andere Kunden als Kleiderhändler?

FRAU PALM: Aber natürlich. Die wenigsten meiner Kunden sind Kleiderhändler.

SILLYBOS: schaut leicht verwirrt. Hmm. Warum ist dem so?

FRAU PALM: Es gibt viele Gründe, warum die Leute zu mir kommen, und ich wüsste nicht, warum sie nur Kleiderhändler betreffen sollten. Jeder hat schließlich so seine Bedürfnisse.

SILLYBOS: Aber was wollte Herr Trageviel mit den zehn Kleidern.

FRAU PALM: Na, er will sie mir verkaufen. Ich warte schon seit
einer Woche darauf.

SILLYBOS: komplett verwirrt. Wie, Moment mal. Sie kaufen Kleider? Warum? Und warum von einem Händler?

FRAU PALM: Na, das ist unsere Arbeitskleidung. Wir können uns ja schließlich nicht um alles kümmern.

Sillybos schaut etwas ratlos zu Hegelkant rüber, der aber grinst nur verlegen.

SILLYBOS: nimmt wieder Haltung an und räuspert sich.Ähem, gut. Fürs erste wär's das, Frau Palm. Wir werden uns wieder bei Ihnen melden.

FRAU PALM: Wollen Sie mir denn nicht zumindest sagen, was mit Herrn Trageviel passiert ist?

SILLYBOS: argwöhnisch. Das werden Sie noch früh genug erfahren, Frau Palm.

FRAU PALM: Wie Sie meinen. Guten Tag, die Herren.

Frau Palm geht wieder ins Gildenhaus und schließt die Tür.

SILLYBOS: Der Fall wird für mich immer undurchsichtiger. Für mich steht nur eines fest: bei der Gilde hier ist etwas faul, und zwar ganz gehörig. Die scheinen ja kein großes Vertrauen in die eigene Arbeit zu haben, wenn sie nicht mal ihre eigene Arbeitskleidung nähen.

HEGELKANT: Ich kann mir da auch keinen Reim drauf machen, Herr. Und ich versuche es mit aller Vernunft, Herr. Cogito ergo sum.

SILLYBOS: Das sagtest du bereits, Hegelkant. Es ist schon spät, wir sollten nun unseren Bericht abliefern. Wendet sich zum gehen.

HEGELKANT: Und wenn wir uns nun geirrt haben, Herr?

SILLYBOS: Wie meinst du das?

HEGELKANT: Vielleicht haben wir einen Denkfehler gemacht. Es wäre doch nur menschlich, Herr. Errare humanum est.

SILLYBOS: überlegt. Ich persönlich würde es mal mit einer Kombination versuchen: Erro ergo hominus sum.

HEGELKANT: Ich irre, also bin ich Mensch?

SILLYBOS: Ja, Hegelkant. Das passt.



Akt II, Szene 8



Büro von Pismire. Pismire legt einige Akten auf einen Stapel und lehnt sich zufrieden zurück.

PISMIRE: Und wieder ist ein Tag um. Jetzt muss nur noch Sillybos mit seinem Bericht kommen, und dann ist auch schon wieder Feierabend.

Es klopft.

PISMIRE: Ja, bitte?

Obergefreite Clara Bienchen betritt den Raum und salutiert.

CLARA: Soeben kam da ein Bericht, Sir...

PISMIRE: stöhnt. Hat das nicht Zeit bis morgen?

CLARA: Ich weiß nicht, Sir. Es geht darum, das anscheinend verschiedene Werbeplakate einer neuen Gilde mit schwarzer Farbe beschmiert worden sind. Und die Schaufenster von einigen Bekleidungsgeschäften auch.

PISMIRE: Dann hat es Zeit bis morgen. Im Dunkeln können wir sowieso nicht viel erkennen. Und Sillybos ist auch noch gar nicht von dem Eselkarren zurück. Wobei ich schon sagen muss, dass er ganz schön trödelt.

CLARA: Naja, so ist er halt. Dafür ist er auch sehr gründlich.

PISMIRE: Aber ich denke, für heute können wir Feierabend machen. Seinen Bericht kann ich auch morgen lesen. Während er sich die Plakate anschaut.

Plötzlich springt die Tür auf und Rince platzt herein. Pismire nimmt sofort Haltung an, Clara salutiert zackig.

RINCE: Ah, gut, ihr seid noch hier. RUM schlägt gerade Alarm, Ihr müsst schnell zur Messingbrücke kommen, dort hat es einen Todesfall gegeben, ohne Quittung, ohne alles! RUM braucht Spurensicherer, Gerichtsmediziner und Tatortsicherer.

PISMIRE: Äh, ja, Moment. Gerichtsmediziner okay, aber Johann hat schon Feierabend, und Sillybos ist noch nicht zurück.

RINCE: Ich schätze, auf den Tatort muss dann wohl RUM aufpassen. Aber das Untersuchen können die nicht.

CLARA: Was ist denn das für eine Leiche? Worauf muss ich mich denn einstellen?

RINCE: Ein Mensch, mittlere Größe. Sein Name ist Trageviel, er ist Kleiderhändler. Ist auf den Ankh gefallen und hat sich vermutlich das Genick gebrochen. Aber das wirst du dann sicher genauer rausfinden können.

Sillybos und Hegelkant betreten das Büro durch die noch offene Tür. Sillybos salutiert, Hegelkant grinst freundlich.

PISMIRE: Hallo Sillybos und Hegelkant. So langsam wird es eng hier drinnen.

RINCE: Dem stimme ich zu. Naja, ihr wisst, was ihr zu tun habt. Ich will nicht weiter stören.

Rince ab.

SILLYBOS: zu Pismire. Sir, ich habe hier den Bericht für den Achsbruch, aber es gab da ein paar Ungereimtheiten...

PISMIRE: Leg ihn mir hin, Sillybos, es gibt leider noch was zu tun. Auf dem Ankh bei der Messingbrücke liegt eine Leiche, die untersucht werden muss. Ihr geht jetzt dorthin und untersucht den Tatort, Clara, du gehst mit und untersuchst die Leiche. Vergesst die Ankh-Spezial-Ausrüstung nicht. Und Sillybos, nimm auch deinen Vergrößerungsdämonen mit, den hast du vorhin vergessen.

SILLYBOS: Äh, ja, Sir, aber wir wüssten schon gern...

CLARA: Ich erkläre es euch unterwegs.

Clara, Sillybos und Hegelkant ab.



--- Pause ---




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