Momente

Bisher hat keiner bewertet.

von Spieß Harry (DOG)
Online seit 28. 04. 2002
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: Ikari GernetodMückensturm

Ein Gnom ohne Vergangenheit begeht einen Mord - und das ist erst das Ende!

Dafür vergebene Note: 14

Erinnere dich!

Ein kleiner Gnom kniet auf dem Brustkorb einer Leiche - in der Hand eine scharfe, blutige Schere. Auch auf dem Boden ist Blut, und auf der schmutzigen Kleidung des Gnoms. Wie kommt er hierher? Was ist passiert? Er weiß es nicht. Er weiß nicht einmal, wer er ist. Er weiß, dass er in einem düsteren, verstaubten Keller steht, der nur von einem Fenster knapp unter der Decke spärlich beleuchtet wird. Er weiß, dass er eine blutige Schere in der Hand hält. Und er weiß, dass er jemanden ermordet hat.
Die Leiche unter ihm ist männlich, und ihr Hals übersät von Stichwunden. Sie trägt ein knallbuntes Wams, das so schlecht zu der düsteren Umgebung passt, dass das ganze Szenario noch unwirklicher wird, als es dem Gnom ohnehin schon vorkommt. Aber es ist kein Traum - wenn es einer wäre, wäre er schon lange schreiend und schweißgebadet aufgewacht.
Der Gnom lässt die Schere fallen und steht auf. Eine Weile steht er schweigend, regungslos, und versucht, seine Gedanken zu ordnen.
Der Keller ist vollgestellt mit alten Kisten und Möbeln, die anscheinend schon lange von der Welt über ihm vergessen worden sind. Spinnennetze, so groß wie er selbst, hängen an alten Schränken und verrotteten Tischen. Schemenhaft ist in der Dunkelheit eine Tür zu erkennen, die in einen angrenzenden Raum führt. Er hört Geräusche - sie kommen von über ihm, aus dem Erdgeschoss des Gebäudes (was für ein Gebäude es auch sein mochte). Schreie, Befehle, das Klirren von Schwertern.
Soll er sich verstecken? Oder nach oben gehen? Er weiß es nicht, und bleibt stehen, wo er ist. Oben wird gekämpft, und da er nicht weiß, auf welcher Seite er steht, scheint es das Klügste zu sein, hier unten zu bleiben. Erneut fällt sein Blick auf die Leiche. Auch wenn er sich nicht erinnern kann, so besteht für ihn kein Zweifel, dass er gerade einen Mord begangen hat. Aber warum? Und wer ist das Opfer?
Die Geräusche kommen näher - der Gnom hört, wie mehrere Leute eine Treppe herunter marschieren. Er hebt die Schere vom Boden auf, um sich verteidigen zu können.
Eine Gruppe von uniformierten Menschen mit grünen Abzeichen betritt den Raum mit gezogenen Waffen. Der Blick des Anführers fällt auf auf die Leiche, dann auf den Gnom, der verteidigungsbereit neben ihr steht. "Harry?"
Der Gnom lässt die Schere wieder fallen - Widerstand wäre sowieso zwecklos, die Uniformierten sind eindeutig in der Überzahl.
Harry? Ist das sein Name?
Der Anführer der Gruppe blickt vom Gnom zur Leiche, von der Leiche zum Gnom.
"Harry!" Mit einem spitzen Schrei löst sich eine Frau in einem schwarzen Mantel aus der Gruppe und läuft auf ihn zu.
Der Gnom wendet sich zur Flucht, als er auch schon hochgehoben wird. Er strampelt und versucht, sich loszureißen, als die seltsame Frau anfängt, seine ledrige Haut zu kraulen und dabei beruhigend auf ihn einredet.
Eine vage Erinnerung, oder vielmehr die Erinnerung an eine Erinnerung, ein blasser Schatten also nur, wird wach: Ein Raum voller Leute, eine zärtliche Hand, die ihn krault, das Gefühl von Geborgenheit, wunderschöne braune Augen...
Die anderen stehen um sie herum und schweigen - bis auf einen Mann, der sich vor der Leiche niedergekniet hat und sie untersucht.
"Er ist tot!" murmelt der Gnom, den die anderen Harry genannt hatten. "Ich habe ihn getötet, und ich weiß nicht, warum! Ich weiß gar nichts!"
"Ganz ruhig, Harrylein", flüstert die Frau, die ihn hält, beruhigend, und hört dabei nicht auf, ihn zu kraulen. "Mach dir keine Sorgen, wir bringen schon alles wieder in Ordnung." Der Gnom nickt, und vergräbt sein Gesicht um Umhang der Frau. Nur getragen werden, gekrault werden, sich keine Sorgen machen und an nichts denken...

Der Anführer der Gruppe sagt etwas, was der Gnom nicht versteht (etwas von einem Hirten?), und einer der anderen Uniformierten läuft aus dem Raum; man hört seine Schritte die Treppe hinauf poltern.
Der Gnom schließt seine Augen. Er vertraut diesen Leuten, er vertraut vor allem der Frau, dass sie ihm helfen werden. Jetzt möchte er nur still genießen. Seine Anspannung, die sich in der Zeit aufgebaut hat, die hinter ihm liegt, und von der er nichts mehr weiß, löst sich - winzige Tränen rollen seine Wangen herab und benetzen den Umhang der Frau, die beruhigend auf in einredet.
Wieder Geräusche auf der Treppe. Der Gnom blickt auf und sieht durch tränenverschleierte Augen wie der Mann, der eben hochgelaufen war, zusammen mit einem dicken, weißhaarigen Mann wieder den Raum betritt.
"Er hat sein Gedächtnis verloren!" klärt der Anführer der Gruppe den Neuankömmling auf.
"Tatsächlich? Hm-hmmm." Und zur Frau: "Kannst du ihn mir mal geben?"
Der Gnom klammert sich an der Frau fest: er will nicht von ihr fortgenommen werden.
"Ganz ruhig, Harrylein. Er will dir nur helfen. Ich bleibe bei dir..."
Widerwillig lässt der Gnom sich von dem alten Mann nehmen und halten. Der hebt ihn am Kragen auf Augenhöhe hoch(wie man eine Katze halten würde, von der man meint, dass sie Flöhe hat und kratzt) und schaut ihn eindringlich an.
"Hm-hmmm. Nolans Permanenter Gedächtnisschwund, schätze ich. Ein primitiver, aber wirkungsvoller Zauber. Hm-hmmm, das haben wir gleich... schau mich an, Kleiner, ja?"
Der Gnom sieht dem alten Mann schüchtern in die Augen. Die Luft um ihn herum wird schwer, und er spürt das elektrische Knistern von Magie, als der Mann die Stimme hebt und, von einem merkwürdigen Echo begleitet, befielt: "Erinnere dich!"

Erinnere dich!
Vergiss!


Er zögert nur den Bruchteil einer Sekunde. Unter ihm liegt eine bunt gekleidete Gestalt, die ihn nervös und ein bisschen ängstlich ansieht, und in seiner hoch erhobenen Hand hält er eine Schere. Wieso das so ist, weiß er nicht - aber er sieht, wie der Mann unter ihm Anstalten macht, ihn wegzustoßen, und das reicht. Reflexartig stößt er zu - dem Mann in den Hals. Das Blut spritzt - auf die Kleidung des Mannes, auf ihn selbst, und auf den Boden. Mit einem gurgelnden Geräusch fällt der Mann wieder zurück.
Er stößt erneut zu, und erneut. Die Schere sticht Schlitze in den Hals - in das Fleisch, in die Luftröhre. Mit einem pfeifenden Geräusch atmet der Mann noch einmal ein, dann liegt er still.
Der Gnom hält ein. Er hat einen Menschen getötet... aber warum? Was tut er hier? Wer ist er?

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht in einem dunklen Kellerraum. Schatten um ihn herum zeugen von alten Kisten und Möbeln, die schon wer weiß wie lange hier stehen. Der Staub reicht im teilweise bis an die Knöchel. Von irgendwo über ihm ist Kampfgeräusch zu hören. Verwundert schaut er sich um: Er hat keine Erinnerung daran, wie er hierher gekommen ist. Tatsächlich weiß er gar nichts - nicht einmal sein Name fällt ihm ein.
Er schaut an sich herab: Er trägt schwarze, glänzende Lederkleidung und spitz zulaufende Schuhe. In seinem Gürtel steckt eine scharfe, schmucklose Schere. Seine rechte Hand ist zur Faust geballt - etwas steckt darin.
Der Gnom öffnet die Faust und entfaltet ein zerknülltes und verschmiertes Blatt Papier. Es ist vollgemalt mit Wörtern, Kreisen, Pfeilen und Strichen.



"Ikonographien in der Hosentasche", steht am Rand des Zettels. Der Gnom (oder Sam, wie er laut dem Zettel wohl heißt) klopft seine Taschen ab. Tatsächlich stecken in der linken vier zerknitterte Bilder. Außerdem findet er ein kleines Stück einer Bleistiftmine.
Er schaut sich den Zettel noch einmal an, und schreibt in eine Ecke, in der mehrmals das Wort "Test" steht, noch einmal "Test" daneben. Die Schrift ist dieselbe.
"Und jetzt?" Eine Stimme, aus einem benachbarten Raum hier unten im Keller.
"Wie wäre es, wenn wir einfach abwarten, welche Seite gewinnt?" Eine andere Stimme.
Vorsichtig schleicht der Gnom vorwärts. Hinter einem Stapel aus alten Säcken versteckt liegt eine Tür die in einen Raum führt, der von einem Kellerfenster spärlich erleuchtet wird. Das Licht scheint zwei Menschen ins Gesicht, die der Gnom beide von den Ikonographien kennt. Mit gezogenen Schwertern stehen die beiden voreinander und belauern sich, warten auf den nächsten Zug ihres Gegenübers.
Der Gnom schaut sich die beiden Bilder genauer an: Auf den Rückseiten stehen Namen. Magnifico heißt der eine, Ulli Samtweich der andere.
Zu beiden stehen Informationen auf seinem Notizzettel - die Namen sind dick eingekreist und mit dem Kommentar "Schuld an meinem Zustand" versehen. Bei Magnifico steht "Ist nicht, wer er vorgibt zu sein" daneben.
"Würde ich ja gerne, aber ich habe heute noch andere Pläne", entgegnet Ulli. "Schlafe!"
Plötzlich sackt die andere Gestalt zusammen, und Ulli läuft zu der Tür, durch die Sam gerade schaut. Ohne den Gnom zu bemerken, läuft er an ihm vorbei und aus dem Raum.
Sam zögert kurz, ob er im folgen soll, dann entscheidet er sich, sich zuerst um Magnifico zu kümmern, solange der noch bewusstlos ist. Er zieht sein Schwert und klettert der regungslosen Gestalt auf den Bauch.
Ein paar Ohrfeigen wecken ihn auf - Sam hält ihm die Schere an die Kehle.
Magnifico blinzelt kurz in der Dunkelheit, und scheint außer einem Schemen nichts zu erkennen. "W... was? Harry?"
"Nein, nicht Harry", knurrt der Gnom. "Sam."
"Sam? Wer..."
"Still!" Der Gnom drückt Magnifico die Schere gegen die Kehle. "Sag mir, was hier vor sich geht!"
"Ich... du... Bist du wirklich nicht Harry? Deine Stimme klingt so... wer bist du?"
"Das möchte ich von dir wissen! Gib mir..." die Stimme des Gnoms bricht, "gib mir mein Leben zurück!"
"Aber... Harry, ich bin's doch! Wir sind doch Partner!"
"Ruhe!" Der Gnom denkt an die Worte "Schwindler" und "Nicht, wer er vorgibt zu sein", die auf seinem Zettel unter Magnificos Namen stehen, und hebt die Schere. "Lüg mich nicht an - sag mir, was du mit mir gemacht hast!"

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht auf einer Treppe, die hinab in die Dunkelheit führt. Jede der Stufen ist so hoch wie er selbst.
Unten in der Finsternis hört man Stimmen: Zwei Leute, die miteinander reden.
Er hat einen Zettel in der Hand - zerknüllt und voll mit Diagrammen und Wörtern.
Er liest die Worte, zieht dann ein paar zerknickte Bilder aus seiner Hosentasche. Ein Stück einer Bleistiftmine steckt dazwischen. Versuchsweise schreibt der Gnom ein Wort an den oberen Rand des Zettels - die Schrift stimmt überein.
"Meine Leute haben das Haus umstellt!" meint eine der Stimmen aus dem Keller ruhig.
"Und ich habe meine Leute an den Eingängen. So schnell kommt hier keiner rein." antwortet die andere.
"Das nennt man wohl 'Patt'."
Von oben sind auf einmal Schreie zu hören, Kampfgeräusche. Der Gnom springt die Treppe schnell herunter. Unten ist es dunkel - nur schemenhaft sind die Umrisse von Möbeln und Kisten zu erkennen. Die Stimmen kommen aus einem anderen Raum, direkt neben diesem. Er schleicht vorwärts...

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht in einem hohen, protzig und geschmacklos verzierten Korridor. Ein Blumentopf mit einer künstlichen Pflanze, die wohl wertvoll aussehen soll, aber nur kitschig ist, verbirgt ihn. Im Korridor liegt ein Mann auf dem Boden vor einer offenen Tür - ein zweiter läuft den Gang nach links herunter und flieht eine Kellertreppe herunter, die eine Verlängerung des Flures bildet. Gleichzeitig kommt ein anderer Mann um die Ecke gebogen.
"Enrico, wo bleibst..." Er sieht die bewusstlose Gestalt am Boden liegen. "Enrico?" Er läuft zu ihr und kniet vor ihr nieder. "Was ist passiert? Wo ist er hin?"
Der Gnom bemerkt einen Zettel in seiner Hand. "Du leidest an ständigem Gedächtnisverlust", steht darauf. Darunter sind mehrere Namen, mit Kommentaren versehen. Auch der Name "Enrico" steht dort - darunter: "Freund".
Wenn diese Leute Freunde sind, dann können sie ihm sicher erklären, was mit ihm passiert ist. Er entscheidet sich, aus seinem Versteck zu kommen, und geht zu den beiden Männern hin.
"Ich habe ihn gesehen! Er ist dort den Keller herunter gelaufen!"
Der Mann, der bei Enrico kniet, blickt auf und sieht ihn erstaunt an: "Was, du? Was machst du denn hier?"
"Ich weiß nicht... anscheinend habe ich mein Gedächtnis verloren. Kannst du mir vielleicht..."
"Klar, später." Der Mann sieht sich gehetzt um. "Keller, sagst du?" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, läuft er los und zieht im Laufen sein Schwert.
Der Gnom zögert kurz und schaut auf die bewusstlos am Boden liegende Gestalt, dann folgt er so schnell er kann dem anderen die Kellertreppe herunter. Er möchte Antworten, und dieser Mann scheint sie zu haben.

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht in einem hohen, protzig und geschmacklos verzierten Korridor. Ein Blumentopf mit einer künstlichen Pflanze, die wohl wertvoll aussehen soll, aber nur kitschig ist, verbirgt ihn. Eine Tür im Korridor steht offen.
Er ist irritiert, schaut sich um und schaut an sich herunter. Was geht hier vor?
Aus der Tür vor sich kommen zwei Personen heraus. Sie sehen ihn nicht.
"Er will dich als Geisel, um sich im Notfall freien Abzug zu verkaufen", meint die eine. "Raus kannst du nicht, weil seine Leute die Eingänge bewachen - versteck dich im Keller!" Der Mann deutet den Korridor herunter auf eine Treppe, die nach unten führt.
"In Ordnung - danke." Der andere will losstürmen, aber der erste hält ihn auf: "Warte. Schlag mich nieder, sonst wird er misstrauisch." Er zieht sein Schwert und reicht es, den Knauf voran, seinem Gegenüber.
"Aber..."
"Na los, mach schon! Er kommt sicher gleich, um nach mir zu suchen - wenn er Verdacht schöpft, dann bin ich dran!"
Der andere zögert noch kurz, dann holt er mit dem stumpfen Ende des Schwertes aus.
"Danke", wiederholt er und schlägt zu. Mit einem leisen Seufzer geht der andere zu Boden.
Der Gnom sieht, wie die Gestalt zur Treppe läuft...

Erinnere dich!
Vergiss!


Ein Gnom steht vor einem großen Gebäude mit einem reich verzierten Portal. Er fragt sich, was für ein Gebäude das ist, und merkt, dass er sich nicht erinnern kann - an gar nichts. Ihm fehlt jede Erinnerung an sein bisheriges Leben.
Er hält einen Zettel und einen Stift in der Hand - gerade hat er anscheinend das Wort "Wächter" auf den Zettel geschrieben. Wieso? Er weiß es nicht. Aber der Zettel sagt ihm, was mit ihm los ist: "Ständiger Gedächtnisverlust" steht groß auf dem Stück Papier.
Gerade grübelt er noch über dem Wort "Wächter", und warum er es aufgeschrieben hat, als er mehrere uniformierte Gestalten mit grünen Abzeichen sieht, die sich im Gleichschritt dem Gebäude näheren. Das sind eindeutig Wächter - und auf seinem Zettel steht, dass er vor ihnen auf der Flucht ist.
War es das, was er schreiben wollte? "Wächter sind hier"? Er weiß es nicht, und streicht das Wort wieder durch. Dann läuft er schnell um eine Ecke des Hauses, bevor die Wächter ihn bemerken. In relativer Sicherheit betrachtet er den Zettel eingehender: Über dieses Gebäude steht etwas darauf. Die Beschreibung des Portals passt zu der, die dort unter "Beschwörergilde" steht.
Was hat er getan, dass die Wächter ihn verfolgen? Ist er ein Verbrecher? Laut seinem Zettel befinden sich die Personen, die für seinen Zustand verantwortlich sind (ein Mann namens "Ulli Samtweich" und ein "Magnifico") in der Gilde, also muss er dort herein.
Er hört, wie der Anführer der Wächter gleich um die Ecke Kommandos gibt: "Verteilt euch! Überwacht alle Ausgänge!"
Wenn er sich in das Haus hereinwagt, dann könnte er in der Falle sitzen - aber das Risiko muss er eingehen, wenn er herausfinden möchte, was hier vor sich geht.
Bevor die Wächter um die Ecke biegen, läuft er weiter um das Haus herum, bis zur Rückseite. Er hofft, irgendwo einen Eingang zu finden; eine Möglichkeit, in das Haus einzudringen. Und das, bevor die Wächter an dieser Seite des Hauses sind. Die Rückseite ist verwildert und ungepflegt - die Gilde legt anscheinend nur auf das Aussehen des Eingangsbereichs wert. Eine kleine verschlossene Holztür inmitten von Unkraut und Gestrüpp bildet den Hintereingang, schmucklose Fenster lassen Sonnenlicht ins Innere des Gebäudes.
Eines der Fenster ist kaputt - die Scheibe ist eingeschlagen. Darunter wächst ein kleines Gebüsch, wie geschaffen für einen Gnom, um daran hochzuklettern. So schnell er kann, erklimmt er den Strauch und achtet nicht auf die Kratzer und Schrammen, die die Dornen ihm zufügen. Oben angekommen springt er durch das Fenster in den Raum dahinter.
Der Raum ist in Wirklichkeit ein Abort - klein und schmutzig, wie alle Örtlichkeiten in öffentlichen Gebäuden im gesamten Multiversum. Die Tür, die aus dem Raum heraus führt, ist glücklicherweise nur angelehnt: der Gnom läuft zu ihr und schaut durch den Spalt.
Auf der anderen Seite befindet sich ein hoher, menschenleerer Korridor; so kitschig und geschmacklos verziert, dass man auch ohne Kunstverstand merkt, dass wer immer ihn eingerichtet hat, zwar kein Geld hatte, aber darauf bedacht war, es sich nicht anmerken zu lassen. Bemalte Gipssäulen flankieren den Gang zu beiden Seiten, und Gewächse in so einem schrillen Grün, dass sie unmöglich echt sein können, stehen in regelmäßigen Abständen in großen Blumenkübeln.
Schritte sind zu hören. Zwei Männer kommen den Korridor heruntergelaufen - der Gnom versteckt sich hinter der Abort-Tür und schaut vorsichtig heraus.
"Die wollen uns nur Angst machen. Kein Wächter wird es wagen, auf Gildengelände vorzudringen. Und wenn doch, dann kommen sie trotzdem nicht so leicht rein", sagt einer der Männer gerade. "Meine Jungs sitzen an den Eingängen. Und wenn alle Stränge reißen, dann habe ich ja noch unseren Gast."
"Boss? Sie sind da!" Ein anderer Mann läuft dem Duo entgegen.
"Schön, dann geht es ja bald los. Was machen die Scharlatane?"
"Arnold und Sylvester haben ihnen klar gemacht, dass sie sich benehmen sollen. Von denen droht keine Gefahr, Boss."
"Sehr gut." Er wendet sich die andere Person, die als einzige in der Gruppe nicht nach einem brutalen Schläger aussieht. "Wieso seid ihr nicht alle so vernünftig wie du, Enrico?"
"Ich befolge nur die Anweisungen des Gildenvorsitzenden, Großer Mumpitz."
Der mit "Großer Mumpitz" angesprochene lächelt. "So ist es richtig. Geh und hole den Gefangenen, ja? Ich muss ein paar Verteidigungen aufbauen." Er drückt Enrico ein Schlüsselbund in die Hand.
Enrico dreht sich um und läuft den Korridor in die Richtung herunter, aus der er gekommen war; Mumpitz und der dritte eilen in die andere Richtung weiter.
Der Gnom zögert kurz - der Name "Enrico" steht auf seinem Zettel. Laut seinen Notizen ist er ein Freund. Von einem Mumpitz andererseits weiß er nichts. Sicher kann Enrico ihm weiterhelfen und ihm sagen, was hier vor sich geht.
Kurz entschlossen läuft er in die Richtung, in die Enrico gegangen ist.
Der Korridor macht einen Knick, und der Gnom sieht Enrico eine Tür öffnen und den Raum dahinter betreten. Er läuft ebenfalls zur Tür und will gerade hereingehen und sich bemerkbar machen, als er Enricos Stimme hört: "Keine Sorge, Herr Magnifico, ich bin ein Freund."
Magnifico? Der ist laut seinen Notizen einer der Übeltäter, die ihm das Gedächtnis geraubt haben. Aber Enrico steht doch auf seiner Seite?
Nicht wissend, ob er Enrico vertrauen kann oder nicht, versteckt sich der Gnom hinter einer Topfpflanze die bei der Tür im Korridor steht. Er will erst einmal abwarten, bevor er sich jemandem anvertraut - erst will er sicher sein, wer auf seiner Seite ist - und welche Seite das überhaupt ist.

Erinnere dich!
Vergiss!


Er beobachtet, sicher hinter einer Säule versteckt, eine Gruppe von Männern, die sich in einer großen Halle unterhalten.
Einer, dem Gebaren nach der Anführer, spricht zwei besonders muskulöse Männer an: "Arnold? Sylvester? Ihr trommelt die Scharlatane hier im Haus zusammen und sorgt dafür, dass sie keinen Blödsinn machen. Der Rest kommt mit mir mit - ich glaube zwar nicht, dass es so weit kommt, aber für den Fall der Fälle sollten wir die Eingänge besetzen."
Der Gnom ist verwirrt: Was macht er hier? Was ist passiert?
Die Männer im Korridor laufen los, verteilen sich.
Der Gnom klopft seine Taschen auf der Suche nach einem Hinweis ab: Er findet einen Notizzettel, einen Fetzen eines Stadtplans und vier Ikonographien.
Von den Bildern erkennt er den Mann, der eben gesprochen hat, wieder: Laut seinem Bild heißt er "Ulli Samtweich". Der Zettel klärt ihn über seinen Zustand auf.
Er zögert: Was soll er machen? Dieser Ulli ist laut seinen Notizen an seinem Gedächtnisschwund schuld. Soll er ihn zur Rede stellen?
"He!" zischt auf einmal eine Stimme von hinten. Der Gnom fährt herum und sieht einen bunt gekleideten Mann, der sich ihm unbemerkt genähert hat. Er weicht zurück und tastet nach einer Schere, das in seinem Gürtel steckt. Er kennt diesen Mann von seinen Bildern: Er heißt Enrico. Aber seine Notizen sagen ihm nicht über ihn - er weiß nicht, ob er ein Freund oder ein Feind ist.
"Keine Sorge, ich bin ein Freund!" meint der Mann beschwichtigend, als hätte er die Gedanken des Gnoms gelesen. "Bist du nicht der Gnom, von dem Samtweich geredet hat?"
"Ich... ich weiß es nicht." Der Gnom bleibt auf Distanz, hält die Schere angriffsbereit. "Ich weiß gar nichts..."
"Du wurdest verzaubert. Hör zu: Du bist ein Wächter. Glaub mir einfach, ja? Deine Kollegen rücken gerade an - lauf schnell zu ihnen, damit sie dir helfen!"
"Ein Wächter? Aber..."
Schritte, eine Stimme: "Enrico! Wo bist du?"
"Keine Zeit! Merk es dir einfach, ja? Schreib es dir auf!" Enrico hebt den Gnom auf und läuft mit ihm zu einem großen Portal, das in einem Torflügel merkwürdigerweise ein kindskopfgroßes Loch aufweist. Durch dieses Loch lässt er den Gnom fallen, als schon eine Person die Halle betritt.
"Enrico, was machst du da?"
"Ich wollte das Hauptportal verriegeln, o Großer Mumpitz", entgegnet Enrico.
"Sehr gut. Gut mitgedacht." Die Stimmen werden leiser, mehr kann der Gnom nicht verstehen.
Er richtet sich wieder auf und schaut auf seinen Notizblock. Kann er Enrico trauen? Er ist sich nicht sicher, aber an was, wenn nicht an seine Menschenkenntnis, soll er noch glauben? Und diese sagt ihm, dass Enrico nicht gelogen hat.
Groß schreibt er das Wort "Freund" unter Enricos Namen. Und damit er es nicht vergisst, schreibt er "Wächter" unter seinen...

Erinnere dich!
Vergiss!


"Der Gnom ist keine Gefahr mehr", sagt eine Stimme. "Dafür habe ich gesorgt."
Er lauscht an einer Tür in einem langen und hohen Korridor. Wem gehört die Stimme? 'Der Gnom...' Er ist ein Gnom, oder? Er weiß praktisch nichts über sich, aber er weiß, dass er ein Gnom ist. Geht es um ihn? Gefahr für wen?
Er hält einen Zettel und eine Bleistiftmine in der Hand. Laut dem Zettel heißt er Sam, und leidet unter ständigem Gedächtnisschwund. Ist er deshalb keine Gefahr mehr? Sind die Leute auf der anderen Seite der Tür dafür verantwortlich?
"Ikonographien in der Hosentasche", steht auf dem Zettel. Tatsächlich stecken vier Bilder in seiner linken Tasche, die verschiedene Gesichter zeigen. Eines davon muss seines sein - denn sein Name steht hinten drauf.
Schritte, ein Mann kommt den Korridor heruntergelaufen. Der Gnom versteckt sich hinter einer Topfpflanze auf der anderen Seite der Tür. Der Mann bleibt vor der Tür stehen.
"Boss! Boss!"
"Ja, was ist denn?"
"Die Wächter sind unterwegs!"
"Verdammt. Wo sind die Jungs?"
"Warten vorne am Eingang auf Anweisungen."
Schritte, die Tür öffnet sich. Eine Gestalt verlässt den Raum - er erkennt sie von einer der Ikonographien wieder, sie heißt Ulli Samtweich.
Durch die geöffnete Tür kann er eine andere Gestalt auf einem Stuhl sitzen sehen. Sie heißt Magnifico, auch von ihr hat er ein Bild.
Ulli schließt die Tür ab und eilt mit dem Mann den Korridor herunter.
Der Gnom zögert kurz und macht auf seinem Zettel einen Kreis, der Ulli und Magnifico einschließt. Daneben schreibt er: "Schuld an meinem Zustand." Dann steckt er den Zettel und die Bilder ein und eilt den beiden hinterher. Er will Ulli abfangen und zur Rede stellen.
Sie laufen durch den Flur in eine große Halle, wo mehrere unsympathisch aussehende Schlägertypen auf sie warten. Er versteckt sich hinter einer Säule und beobachtet; wartet auf einen geeigneten Moment, um Ulli alleine zu erwischen...

Erinnere dich!
Vergiss!


Der Korridor, in dem er steht, ist lang, hoch, und grauenhaft protzig. Was ist das für ein Ort? Und wer ist er?
Sein Blick fällt auf einige Stücke Papier in seiner Hand, die ihm die zweite Frage zumindest ansatzweise beantworten. Sein Name ist Sam, und er leidet an Gedächtnisschwund.
Aber was macht er hier? Will er aus dem Gebäude raus, oder ist er gerade hereingekommen? Sind hier Freunde oder Feinde? Sein Zettel schweigt zu diesen Fragen.
Unschlüssig schaut er in die eine und in die andere Richtung, als er Schritte hört. Instinktiv versteckt er sich hinter einer künstlichen Pflanze, die hier im Flur steht.
Die Schritte kommen näher, biegen um die Ecke. Der Gnom kennt die Person, die jetzt an einer Tür direkt gegenüber von seinem Versteck stehen bleibt. Auf einem seiner Zettel ist ein Bild von ihr: Sie heißt Ulli Samtweich.
Samtweich schließt die Tür auf. "Hallo, 'Magnifico'!" sagt er, den Namen eigenartig betonend.
Sam kann das Innere des Raumes nicht sehen, da Samtweich den Blick versperrt. Aber der Name Magnifico sagt ihm etwas: Auch der steht auf seinen Zetteln.
Samtweich tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Vorsichtig verlässt der Gnom sein Versteck, um an der Tür zu lauschen.
"Was willst du?" fragt eine andere Stimme, wahrscheinlich die von Magnifico.
"Nur ein bisschen mit dir reden. Wie lange wird es dauern, bis deine Leute kommen um nach dir zu suchen? Und werden sie es wagen, auf Gildengelände einzudringen?"
Schweigen ist die Antwort.
"Keine Antwort? Ist vielleicht auch besser so - lügen kannst du nämlich überhaupt nicht. Ich wusste sofort, dass du kein echter Beschwörer bist."
Der Gnom schaut auf seine Notizen. Wenn er Ullis Aussage richtig versteht, dann befindet er sich wohl gerade in der Beschwörergilde. Ulli scheint ein Mitglied der Gilde zu sein, Magnifico jedoch nicht. Er tastet seine Hosentaschen noch einmal ab und findet ein Stückchen einer Bleistiftmine, mit dem er einen Pfeil von Ulli zur Gilde zieht. Unter den Namen "Magnifico" schreibt er: "Schwindler - ist nicht, wer er vorgibt zu sein" und malt ein dickes Ausrufezeichen daneben.

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht in einem kleinen, unangenehm riechenden Raum. Der Geruch und diverse andere Kleinigkeiten und Ausstattungsmerkmale (wie ein abgenutztes Exemplar der Fachzeitschrift "Die Näherin" [1]) deuten darauf hin, dass es sich um einen häufig genutzten Abort handelt. Er hat eine Tür (geschlossen), und ein Fenster (zerbrochen). Das Fenster ist zu hoch, als dass er es erreichen könnte.
Er schaut sich verwundert um. Was macht er hier? Wie kommt er hierher?
Sein Blick fällt auf seinen Handrücken, und kurz darauf kramt er in seinen Hosentaschen. Ein zerknüllter Zettel mit Notizen, ein Fetzen eines Stadtplans, vier Bilder sowie eine Bleistiftmine sind das Resultat.
Er liest den Zettel, und versteht, wieso er sich an nichts erinnern kann. Aber was macht er hier? Und wie kommt er hier wieder raus?
Außer der Tür und dem Fenster gibt es keine weiteren Ausgänge. Da die Tür geschlossen ist, folgert er, dass er den Raum durch das Fenster betreten hat - aber um ihn auf diesem Wege wieder zu verlassen, ist es zu hoch. Auch der Türgriff erscheint von seiner Perspektive aus unerreichbar, es sei denn...
Er schaut sich noch einmal um. Der unvermeidbare... äh... Abort-Kasten steht dezent in einer Ecke, und auch er ist zu hoch, um auf ihn herauf zu klettern (und auch, wenn die Höhe gereicht hätte, hätte der Gnom diesen Ausgang aus dem Raum nur als allerletzten Ausweg nutzen wollen). Gegenüber von dem Kasten befindet sich ein Tischchen, auf dem ein Eimer Wasser zum Händewaschen steht. Daneben hängt ein schmutziges Handtuch an einem Haken, das fast bis zur Erde reicht. Der Gnom stellt sich darunter und streckt einen Arm aus: Tatsächlich kann er das untere Ende des Tuchs erreichen.
Er steckt die Zettel wieder ein packt das Tuch mit beiden Händen. Langsam und vorsichtig klettert er daran hoch. Von oben aus ist es nur noch ein kleiner Sprung, und er steht auf dem Tischchen neben dem Eimer.
Von hier aus kann er den Türgriff erreichen - wenn er es schafft, so weit zu springen. Er nimmt Anlauf und...
...klammert sich am Griff fest, der unter seinem Gewicht nachgibt. Geschafft! Die Tür öffnet sich.
Er lässt den Griff los und fällt auf den Boden. Schnell kommt er wieder auf die Beine und schaut durch die Tür: Auf der anderen Seite befindet sich ein menschenleerer Korridor.
Ohne zu wissen, in welche Richtung, und was ihn erwartet, nimmt der Gnom die Zettel aus seiner Hosentasche und marschiert los. Sobald er jemanden findet, will er ihn um Hilfe bitten.

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht auf einer relativ leeren Straße, in der Hand einen Fetzen Papier.
Er schaut ihn sich an: Es ist ein kleines Stück eines Stadtplans. Keiner der Straßennamen kommt ihm bekannt vor. Was macht er hier?
Schmaler Weg, Breiter Weg, Pseudopolisplatz... keiner der Orte sagt ihm etwas. Er schaut sich um. Mehrere Fußgänger laufen geschäftig durch die Straßen, keiner nimmt von ihm Notiz. An einer Hauswand ist ein Straßenschild befestigt: SCHMALER WEG steht darauf. Das ist immerhin ein Anfang - aber wer ist er? Vielleicht hat er etwas bei sich, dass ihm diese Frage beantworten könnte...
Er klopft seine Hosentaschen ab und findet einen vollgekritzelten Zettel. "Veilchengasse -> Dort komme ich her" steht darauf, und "Du leidest an ständigem Gedächtnisverlust".
Die Veilchengasse ist auf seiner Karte eingezeichnet. Ein paar Minuten später hat er auch das Portal der Beschwörergilde gefunden, das auf seinem Notizzettel beschrieben steht: Es ist befindet sich an einem schmucklosen, kastenförmigen Gebäude und versucht anscheinend, diese Schmucklosigkeit durch gnadenlose Protzigkeit wettzumachen.
Was auch immer mit ihm passiert ist, die Antwort muss hier zu finden sein. Das Portal hat einen Türklopfer, aber der ist leider viel zu hoch für ihn. Er muss einen anderen Weg in dieses Gebäude finden.
Er umrundet das Grundstück und betrachtet die Rückseite. Es gibt eine schlichte, hölzerne Hintertür, aber die ist fest verschlossen.
Ein Fenster fällt ihm auf, unter dem ein kleiner Strauch wächst. Das Fenster ist geschlossen, aber das ist ihm in seinem Zustand egal: Er kann hinterher immer noch erklären, wieso er es kaputt gemacht hat.
Kurzentschlossen greift er nach einem der unteren Zweige des Strauchs und beginnt, zum Fenster zu klettern. Dornen kratzen ihm die Haut und die Kleidung auf, aber nach kurzer Zeit ist er oben angekommen und steht auf dem Fenstersims. Auf der anderen Seite kann er einen kleinen, schmutzigen Abort sehen.
Er nimmt seinen Hut ab und steckt seine Hand hinein. Dann holt er aus und zertrümmert mit einem kräftigen Schlag das Fenster. Klirrend fallen die Scherben auf das Sims und in den Raum im Inneren. Der Gnom setzt sich seinen Hut wieder auf und springt...

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht am äußeren Rand eines belebten Platzes. Vor ihm steht ein Mann mit einem Bauchladen, der umständlich und langsam ein äußerst komplex gefaltetes Blatt Papier öffnet.
Verwundert sieht er sich um - er hat keinerlei Erinnerung.
"Entschuldigung?" fragt er den Mann. "Was mache ich hier?"
"Du wolltest einen Stadtplan kaufen, um den Weg zur Veilchengasse zu finden", klärt der Mann ihn freundlich lächelnd auf und greift nach einer Schere.
"Seltsam... anscheinend habe ich mein Gedächtnis verloren", murmelt der Gnom.
"Ja, du hast gesagt, dass du Probleme mit dem Erinnern hast. Deswegen wolltest du den Plan haben."
Der Gnom schaut auf einen Zettel, den er in der Hand hält. "Veilchengasse..." murmelt er. "Gut, dann gib mir den Plan."
"Kleinen Moment noch..." der Verkäufer schneidet mit der Schere ein Rechteck aus einer Seite heraus. "So, hier ist die Strecke vom Pseudopolisplatz bis zur Veilchengasse und noch ein Stück mehr drauf. Das macht dann 40 Cent." Er faltet das Rechteck handlich zusammen.
Der Gnom kramt in seiner Tasche und findet ein paar Münzen. 40 Cent zählt er ab und gibt sie dem Händler.
"Und hier ist deine Karte. Es war mir eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen! Viel Glück bei der Suche nach deinem Gedächtnis."
Der Gnom betrachtet die Schere, dann seinen Notizzettel. Wenn er verfolgt wird, wie es auf dem Zettel steht, braucht er eine Waffe. "Kannst du mir die Schere verkaufen?"
"Meine Schere? Die brauche ich eigentlich selber, das ist ein Arbeitsgerät."
"Ich zahle dir..." der Gnom zählt seine Münzen. "Einen Dollar und 28 Cent, mehr habe ich nicht."
"Gemacht!" Die Schere und das Geld wechseln die Besitzer.
Der Händler verschwindet im Gewühl des Platzes. Der Gnom steckt die Schere in seinen Gürtel und macht sich, die Karte in der Hand, auf den Weg zur Veilchengasse.

Erinnere dich!
Vergiss!


"Beschwörergilde, Veilchengasse."
Diese Worte, mit Bleistift auf einen Zettel geschrieben, stechen dem Gnom ins Auge. "Du leidest an ständigem Gedächtnisverlust" und "Die Wache ist hinter mir her" sind die weiteren Informationen, die ihm der Zettel mitteilt.
Er schaut sich um: Aus einem großen Gebäude am Rand des Platzes, auf dem er steht, tritt eine uniformierte Gestalt und schaut sich suchend um. Der Gnom - Sam - drückt sich um eine Ecke und taucht im Gewühl des Platzes unter.
Was ist mit ihm passiert? Wenn er den Zettel richtig deutet, dann liegt die Antwort auf diese Frage in der Veilchengasse.
"Zwischen Breitem und Schmalem Weg" steht auf dem Zettel - aber weder der eine noch der andere sagt ihm etwas.
Anscheinend ist er ein Krimineller, der von der Wache verfolgt wird - das heißt, er darf niemandem vertrauen und muss vor allem Wächtern aus dem Weg gehen. Was er braucht, ist...
"Hallo, Kleiner!" spricht ihn eine honigsüße Stimme von hinten an. "Möchtest du ein Würstchen-im-Brötchen? Jetzt ganz neu: Gnom-Saiz! Ist sogar 4 Cent günstiger als das Original, und damit treibe ich mich selbst in den Ruin!"
Der Gnom dreht sich um und sieht einen lächelnden Mann mittleren Alters mit Bauchladen, der ihm ein winziges Brötchen, in dem ein noch winzigeres Würstchen steckt, entgegenhält. Das Würstchen sieht aus wie ein Stückchen Knorpel, das jemand in Wurstpelle eingewickelt hat, und das "Brötchen" scheint ein Brotkrumen zu sein, der beim Taubenfüttern liegengeblieben war, weil er selbst den Tauben zu hart war.
"Nein danke."
"Nicht? Na gut, soviel zur Diversiefikazion." meint der Verkäufer enttäuscht. "Kann ich dir sonst vielleicht etwas anbieten?"
"Hast du Karten?"
"Natürlich! Poker, Leg-Herrn-Zwiebel-rein, und ganz neu und speziell für Gnome: Drachenpoker mit den autorisierten 'entschärften' Knurblich-Regeln!" Der Verkäufer holt ein winziges Kartenspiel aus einem Fach seines Bauchladens.
"Nein, ich meine eine Karte der Stadt."
"Ach so. Ja, die habe ich auch - aber leider nur im Menschenformat. Wenn ich gewusst hätte..."
"Ich brauche nur den Weg von hier zur Veilchengasse."
"Veilchengasse? Aber die ist gleich um die Ecke. Sie liegt zwischen..."
"Ja, das weiß ich. Aber ich habe ein Problem mit meinem Gedächtnis. Wenn ich jetzt losgehe, habe ich wahrscheinlich auf halber Strecke vergessen, wie ich dorthin komme."
"Ehrlich? So schlimm?" Etwas Undefinierbares funkelt in den Augen des Verkäufers auf. "Du willst also nur ein kleines Stück der Karte haben, ja? Aber zahlen musst du auf jeden Fall für die ganze."
"Klar." Der Gnom wühlt in seinen Taschen und fördert ein paar Münzen zutage. Dollar und Cent sind es - er kennt ihren Wert. Anscheinend hat er doch nicht alles aus seinem Leben vergessen.
Der Verkäufer holt ein seltsam gefaltetes Papier aus seinem Bauchladen - "TMSIDR-Schnappers patentgefalteter Stadtplan" steht darauf. "Das macht dann 40 Cent."
Ohne zu zögern sucht der Gnom zwei 20-Cent-Münzen aus seinem Vorrat und zahlt, auch wenn der Preis ihm als absoluter Wucher erscheint. Der Verkäufer steckt das Geld ein, klappt dann den Plan auf und beginnt umständlich und langsam, ihn auseinanderzufalten.

Erinnere dich!
Vergiss!


Mit einem Sprung bringt er sich vor den Rädern eines Eselskarrens in Sicherheit. Wenige Zentimeter von ihm entfernt poltern die Räder durch eine Pfütze und spritzen ihn von oben bis unten voll mit Marktplatz-Dreck[2].
Er steht am Rand eines großen, betriebsamen Platzes, hinter sich eine Hauswand und vor sich ein hektisches Getrampel aus Hufen, Füßen und Rädern. Ein Blick auf den Zettel in seiner Hand sagt ihm, was mit ihm los ist und wieso er sich an nichts erinnern kann.
In einem Versuch, sich zu orientieren, dreht er sich um und sieht die Aufschrift auf dem Gebäude hinter sich: WACHHAUS, PSEUDOPOLISPLATZ.
Der Name des Platzes steht auf seinem Zettel: Bullen soll es hier geben, die ihm irgendwie weiterhelfen können.
Von seinem Platz aus sieht er Esel, Pferde, Menschen, Zwerge und Trolle, aber keine Bullen. Vielleicht können ihm die Leute im Wachhaus weiterhelfen?
Er betritt das Gebäude vor sich durch die offene Tür.
Der Vorraum des Wachhauses ist einfach und zweckmäßig eingerichtet: Das einzige, was ins Auge fällt, ist ein großer Schreibtisch gegenüber der Tür, auf dem zusammengesunken eine menschliche Gestalt liegt und leise schnarcht.
Neben ihr liegt eine kleine Glocke auf dem Tisch, an der ein Schild hängt mit der Aufschrift "Bitte klingeln, wenn Schreibtisch nicht besetzt oder Rekrut schläft".
Der Gnom springt auf einen Stuhl, der an der Besucher-Seite des Schreibtisches steht, und von dort auf den Tisch selbst, greift die Glocke mit beiden Händen und schwingt sie. "BIMMELIMMELIMMELIMM!!!"
Der Rekrut schreckt auf und fegt dabei diverse Papiere vom Tisch: "Ja, Herr Kommandeur, Sör!"
"Äh... Entschuldigung", meint der Gnom, "mein Name ist Sam, und ich suche die Bullen."
Der Wächter schaut sich irritiert um und fokussiert dann seinen Blick auf den Gnom, der vor ihm auf dem Schreibtisch steht. Langsam begreift er, dass es ausnahmsweise nicht Kommandeur Rince war, der ihn aus purer Gehässigkeit geweckt hat, sondern ein Besucher. Er ist noch nicht lange bei der Wache, aber er hat schon gelernt, wie man mit ungepflegten Gestalten in Schlapphut und Lederjacke umzugehen hat, die das Wort 'Bullen' benutzen. Dass die Gestalt in diesem Falle nur 25 Zentimeter groß ist, ist ein unwichtiges Detail.
"So? Wo kommst du her?"
"Von der Beschwörergilde." So stand es zumindest auf seinem Zettel.
"Beschwörergilde?" Der Rekrut horcht auf. "Lauf nicht weg, ich bin gleich wieder da!" Der Wächter springt von seinem Stuhl auf und läuft zu einer Treppe auf der anderen Seite des Empfangsraumes.
Der Gnom zögert nur kurz, und folgt dem Wächter dann schnell und leise nach oben. Er kommt gerade rechtzeitig oben an, um zu sehen, wie der Rekrut durch eine Tür geht. Er huscht zu ihr und blickt vorsichtig in den Raum: Dort sitzt ein unglaublich fetter Mann hinter einem Schreibtisch und schaut den Rekruten unwirsch an.
"Was ist denn los, Rekrut?"
"Sör, gab es nicht heute einen Einsatz bei der Beschwörergilde?"
"Ja, die DOG haben zwei Ermittler geschickt, um einen eventuellen FROG-Einsatz vorzubereiten. Wieso?"
"Unten sitzt ein schmutziger Gnom, der sich Sam nennt. Er sagt, er kommt von der Gilde und möchte die Bullen sprechen."
"Verdammt. Wahrscheinlich haben sie unsere Leute gefangen genommen und wollen sich jetzt freikaufen. Halte ihn unbedingt fest! Ich sage Mac Bescheid, dass er sein Team fertig macht."
Und an eine Person außerhalb des Sichtfeldes des Gnoms gewandt, fährt er fort: "Entschuldige, Schatz, aber die Pflicht ruft. Ich zeige dir ein anderes Mal den Rest von meiner Arbeit, ja?"
Der Gnom hat genug gehört. So schnell er kann, springt er die Treppe wieder herunter ins Vorzimmer und läuft aus dem Wachhaus heraus. Erst nachdem er einige Meter Sicherheitsabstand zwischen sich und das Gebäude gebracht hat, bleibt er stehen.
Von den Wächtern kann er anscheinend keine Hilfe erwarten. Er zieht seinen Zettel aus der Tasche und schreibt "Die Wache ist hinter mir her" an den Rand. Hat er mit der Gilde zusammen ein Verbrechen begangen? Wenn ja, dann kann ihm jetzt wohl nur die Gilde weiterhelfen. Der Pseudopolisplatz hat sich jedenfalls als Fehlschlag erwiesen - hier sind weit und breit keine Bullen zu sehen. Er kreuzt die Adresse durch. Also auf zur Gilde...

Erinnere dich!
Vergiss!


Er steht auf einer großen Straße. Vereinzelte Sonnenstrahlen brechen durch den bewölkten Himmel - eine Vorhut, die das Territorium auskundschaftet, bevor die Sonne ihre komplette Invasionsstreitmacht schickt und die Wolken zum Rückzug zwingt.
Große Pfützen auf dem Boden, in denen das Wasser teilweise knietief steht (also etwa 5 cm), zeigen, dass es vor kurzem geregnet hat.
Pferdewagen poltern über das Kopfsteinpflaster, geschäftige Schritte eilen in beide Richtungen. Keiner nimmt Notiz von dem kleinen Gnom, der irritiert und orientierungslos am Straßenrand steht. Was ist passiert?
Instinktiv klopft er seine Taschen ab und findet einen Zettel. Etwas von "ständigem Gedächtnisverlust" steht darauf - und: "Bullen Pseudopolisplatz: Hilfe - Platz der Zerbrochenen Monde, dann links"
Diese Ortsangaben sagen ihm in etwa soviel, als ob sie auf dem Mond liegen würden. Hat er diesen Zettel geschrieben?
Er schreibt das Wort "Test" in eine Ecke, die Schrift stimmt mit der, in der die restlichen Worte geschrieben sind, überein.
Neben den Namen, die auf dem Zettel stehen, sind diese Bullen und die Beschwörergilde seine einzigen Hinweise. Er steckt den Zettel weg und spricht eine Passantin an: "Hallo?" Und etwas später: "Nein, hier unten!"
Die Frau, eine ältere Dame mit einem Gehstock, schaut herab: "Oh, hallo, kleiner Mann! Kann ich dir helfen?"
"Ich suche den Pseudopolis-Platz."
"Da bist du schon fast, kleiner Mann. Lauf einfach diese Straße weiter runter, dann kommst du direkt darauf."
"Danke. Kannst du mir vielleicht auch sagen, wo die Beschwörergilde liegt?"
"Ja, da hast du Glück, die kenne ich. Liegt gar nicht so weit von hier; drüben in der Veilchengasse. Das ist zwischen dem Breiten und dem Schmalen Weg."
Der Gnom hat wieder seinen Zettel gezogen und schaut ihn sich an: Veilchengasse... diese Adresse hat er bereits aufgeschrieben, zusammen mit dem Hinweis: "Dort komme ich her". Er kringelt Veilchengasse und Beschwörergilde ein und schreibt die Wegbeschreibung der alten Dame dazu.
"Du kannst sie gar nicht übersehen, das Haus hat ein riesiges, verziertes Portal."
Auch diese Information schreibt der Gnom sich auf. "Danke." Er steckt den Zettel ein und macht sich auf den Weg zum Pseudopolis-Platz.

Der Platz ist voll von trampelnden Füßen, brüllenden Stimmen, flinken Diebesfingern und heruntergekommenen Gestalten - manchmal alle vier Dinge in ein und derselben Person. Wenn es hier Bullen gibt, dann sieht er zumindest keine.
Er zieht noch einmal den Zettel aus der Tasche...

Erinnere dich!
Vergiss!


Ein Gnom steht auf einer Straße - seine Lederkleidung ist durch den Regen vollkommen durchnässt. Ein paar Schritte von ihm entfernt läuft ein Junge von ihm fort, die Jacke über den Kopf gezogen.
"He!" ruft der Gnom.
Der Junge dreht sich um: "Was ist denn noch, Mann?"
"Ich weiß nicht", zögert der Gnom. "Anscheinend habe ich mein Gedächtnis verloren."
"Das hatten wir doch schon..." der Junge runzelt die Stirn. "Moment, schon wieder? Mann, das ist ja stark."
"Wieso schon wieder?" fragt der Gnom nach, der das nicht sonderlich stark findet.
"Du hast gerade eben mit mir gesprochen und gesagt, dass du dein Gedächtnis verloren hast."
"Habe ich das?" Dem Gnom läuft es eiskalt den Rücken herunter - sein Zustand scheint schlimmer zu sein, als er dachte. "Hast du etwas zu schreiben?"
"Klar, Mann." Der Junge holt einen Schreibblock aus seiner Tasche und reißt ein gnomengerechtes Blatt ab, das er der durchnässten Gestalt gibt. Von einem Bleistift bricht er ein kleines Stück der Mine ab.
"Du leidest an ständigem Gedächtnisverlust", schreibt der Gnom auf den Zettel, und versucht, das Stück Papier vor dem Regen zu schützen. "Du kennst mich nicht, nein?" fragt er dann den Jungen.
"Nein, Mann."
"Habe ich über noch etwas anderes mit dir geredet?"
"Über die Beschwörergilde."
Das Wort 'Beschwörergilde' landet auf dem Zettel. "Komme ich von dort?"
"Keine Ahnung, Mann. Hör mal, am besten gehst du zu den Bullen, die können dir vielleicht helfen."
"Die Bullen? Wo finde ich die?"
"Am Pseudopolisplatz, zum Beispiel."
"Der Gnom schreibt 'Bullen - Pseudopolisplatz: Hilfe' auf das Stück Papier. Wo ist das?"
"Hier die Straße runter bis zum Platz der Zerbrochenen Monde, dann links."
Der Gnom notiert sich die Wegbeschreibung. "Danke."
"Kein Problem, Mann." Nach einem letzten prüfenden Blick läuft der Junge los und der Gnom steckt den Zettel ein. Der Regen hat inzwischen etwas nachgelassen, und die ersten zaghaften Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken.
Etwas anderes ist in der Tasche, in die er den Zettel gesteckt hat: Vier verschmutzte Portrait-Bilder, jedes auf der Rückseite mit einem Namen versehen, und keines kommt ihm bekannt vor.
Er geht ein paar Schritte und betrachtet sein Spiegelbild in einer Pfütze. Verschwommen blickt ihm eines der Gesichter von den Portraits entgegen. Der Name auf der Rückseite dieses Portraits ist zwar ziemlich verschmiert und undeutlich, aber gerade noch zu lesen: SAM.
Er hat einen Namen - zwar ist es für ihn der Name eines Fremden, aber es ist ein Anfang. Er ist nicht mehr ein Niemand ohne Vergangenheit, er ist ein Jemand, der seine Vergangenheit suchen kann.
Er schreibt auf seinen Notizzettel: "Ikonographien in der Hosentasche". Darunter kommen die Namen von den Bilder-Rückseiten, und unter 'Sam' in Großbuchstaben: "DAS BIST DU!!!"
Er steckt die Bilder ein und will auch gerade den Zettel wegstecken, als ihm noch ein Gedanke kommt. An der nächsten Straßenkreuzung hängt ein verschmutztes Straßenschild an der Wand und teilt ihm mit, dass er sich in der Veilchengasse befindet. Auch diesen Namen notiert er sich - zusammen mit dem Hinweis "Dort komme ich her".
Dann steckt er den Zettel in seine Tasche: Ein Anfang ist gemacht. Wenn er jetzt noch diesen Pseudopolisplatz und die Bullen findet...
Zuversichtlich macht er sich auf den Weg.

Erinnere dich!
Vergiss!


Ein Gnom steht im strömenden Regen und schaut sich um. Wer ist er? was macht er hier? Weit und breit ist niemand zu sehen, die Straße, neben der er steht, ist verlassen. Im Matsch sind Spuren: Anscheinend ist er einige Schritte gegangen. Er verfolgt die Fußabdrücke zurück und landet an einer Hauswand.
Unter einem hohen Fenster liegen vier kleine Stücke Papier, vom Regen durchgeweicht. Er hebt sie auf: Es sind vier Portraitbilder, alle haben einen Namen auf der Rückseite. Sonst gibt es hier keine Spuren.
Wie kommt er hierher? Das Fenster ist die einzige logische Erklärung. Hatte er einen Unfall und ist auf den Kopf gefallen?
Er beschließt, um das Haus herum zum Eingang zu gehen. Unterwegs klopft er seine Taschen ab, aber bis die Bilder, die er gerade gefunden hat, und ein paar verschieden große Münzen sind sie leer.
Schritte hinter ihm: Ein Junge kommt angelaufen, die Jacke über den Kopf gezogen. Er läuft schnell, will aus dem Regen.
"Hallo!" Der Gnom springt auf die Straße.
Der Junge schaut sich um, sieht niemanden.
"Hier unten!"
Der Junge sieht nach unten, sein Blick fällt auf den Gnom.
"Oh, hallo, Mann. Was gibt's?"
"Ich... ich glaube, ich habe mein Gedächtnis verloren. Kannst du mir sagen, was das hier für ein Gebäude ist?"
"Das? Das ist die Beschwörergilde."
"Danke. Und an was für einem Ort bin ich hier?"
"Das ist die Veilchengasse in Ankh-Morpork. Du hast ehrlich dein Gedächtnis verloren?"
"Ja, ich erinnere mich an gar nichts."
Der Junge betrachtet den Gnom fasziniert. "Mann, das ist ja stark!"
Der Gnom, der das nicht sonderlich stark findet, geht nicht weiter darauf ein. "Ich gehe dann mal zur Gilde. Danke für deine Hilfe!"
"Kein Problem, Mann." Der Junge sieht noch einmal skeptisch auf den Gnom, zuckt dann mit den Achseln und wendet sich zum gehen.

Erinnere dich!
Vergiss!


"Was für eine Gilde?" fragte Harry nach.
"Die Beschwörergilde. Das sind die mit den zersägten Jungfrauen." Fähnrich Mückensturm nahm seinen Kaffeebecher vom Schreibtisch, was Harry, der sich gerade gemütlich daran gelehnt hatte, dazu zwang, sich einen anderen Sitzplatz zu suchen. Er entschied sich für den Aktenstapel des Abteilungsleiters, der inzwischen eine ansehnliche Höhe erreicht hatte.
"Du meinst diese gescheiterten Zauberer, die sich ihren Lebensunterhalt mit Illusionen, Feuerwerk und Taschenspielertricks verdienen?"
"Genau die. 'Beschwörergilde' ist der offizielle Name - frag mich nicht, wieso, denn mit Beschwörungen haben die nun wirklich nichts zu tun. Inoffiziell nennen sie sich lieber 'Scharlatansgilde'".
Der Gnom rutschte ein wenig auf seinem Platz, da ihm die Ecke einer Mappe in den Rücken stach. "Scharlatansgilde?"
"Die eigentliche Bedeutung von 'Scharlatan' war früher nicht, wie heute, 'Schwindler' oder 'Hochstapler'", erklärte Mückensturm, während er seinen Becher wieder absetzte, "sondern 'Gaukler' oder 'Unterhaltungszauberer'. Und als solche verstehen sich die Gildenmitglieder."
Harry warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen herrschte das typische feucht-kalte Ankh-Morpork-Wetter, und der Nebel war so dick, dass die gesamte Fakultät der Unsichtbaren Universität verglichen mit ihm wie ein Grüppchen gertenschlanker Knaben gewirkt hätte.
Ein knisterndes Feuer im Kamin (das war eines der Privilegien, die Mückensturm als Abteilungsleiter hatte) gab sein bestes, um die durch die Ritzen dringende Feuchtigkeit zu vertreiben, aber noch war nicht klar, welche der beiden Seiten den Sieg davontragen würde.
Harry schöpfte sich aus dem Becher des Fähnrichs[3] einen Fingerhut voll Kaffee nach und trank einen Schluck. Er kannte die Regeln seines Jobs, und wusste, was jetzt kommen würde. "Und ich soll bei diesem Sauwetter die Gilde observieren, nehme ich an?"
Mückensturm lächelte. "Nein, diesmal nicht. Nachdem du immer sagst, dass du lieber verdeckt ermitteln würdest, dachte ich mir, wir setzen dich dieses Mal als Ermittler ein."
Der Gnom sah auf. Jedes Mal, wenn er als Observierer eingesetzt worden war, hatte er sich eine mehr oder weniger starke Erkältung geholt. Verglichen damit schien ihm die Tätigkeit als Ermittler geradezu traumhaft.
"Als Ermittler? Das ist ja... danke! Worum geht es denn?"
Mückensturm wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als es klopfte und der Hauptgefreite Ikari Gernetod den Raum betrat.
"Ah, Ikari", begrüßte der Fähnrich ihn. "Gut, dass du kommst. Ich wollte Harry gerade euren Auftrag erklären."
Der Zombie setzte sich auf den Besucherstuhl und Mückensturm fing an: "Erinnert ihr euch an Ulli Samtweich?"
"Den von der Samtweich-Bande?" fragte Harry nach. "Na klar. Die haben vor knapp einem Jahr eine Serie von unlizensierten Raubüberfällen begangen und sind untergetaucht, bevor RUM sie schnappen konnte, oder?"
"War dieser Ulli nicht ein Zauberer, der von der Universität geflogen ist?" ergänzte Ikari.
"Genau. Man ging davon aus, dass die Diebesgilde (oder aber die Assassinen, da die Bande auch zwei Morde auf ihrem Konto hatte) sich um sie gekümmert hat."
"Und das war ein Irrtum?" vermutete Harry, stolz auf seine Kombinationsgabe.
"Vielleicht. Ein Mitglied der Beschwörergilde hat uns kontaktiert: Die Gilde hat vor zwei Wochen einen neuen Vorsitzenden gewählt. Anscheinend ging da nicht alles mit rechten Dingen zu - der jetzige Vorsitzende ist laut unserer Kontaktperson durch Manipulationen und Einschüchterung an die Macht gekommen."
"Aber das ist doch Gildenangelegenheit?"
"Das schon, aber unser Informant ist sich ziemlich sicher, dass es sich bei dem neuen Vorsitzenden um eben diesen Ulli Samtweich handelt."
"Oh."
"Genau. Es könnte sein, dass er und seine Bande die Gilde infiltriert haben, um vor den Nachstellungen der anderen Gilden sicher zu sein."
"Wenn die komplette Bande sich bei der Gilde verschanzt hat, dann ist das doch eher ein Fall für FROG, oder?"
"Eigentlich schon, aber wir müssen vorsichtig und diplomatisch vorgehen. Das heißt, wir müssen zu hundert Prozent sicher sein, dass Samtweich und seine Leute in der Gilde sitzen, bevor wir das Gelände stürmen."
"Können wir ihnen nicht draußen auflauern?"
"Nein. Laut unserem Informanten ist der Vorsitzende seit seiner Wahl nicht mehr aus dem Gildengebäude gegangen. Er und seine Vertrauensmänner wohnen dort und lassen sich von den anderen Gildenmitgliedern versorgen. Das erhärtet natürlich unseren Verdacht, aber es ist noch kein Beweis."
"Wer ist unser Informant?"
"Er nennt sich Enrico. In der Gilde sind sämtliche Mitglieder einander nur unter ihren Künstlernamen bekannt. Der neue Vorsitzende nennt sich 'der Große Mumpitz'.
Enrico hat Angst, dass jemand herausbekommt, dass er die Wache informiert hat. Er sagt, der Große Mumpitz und seine Leute haben sämtliche Gildenmitglieder eingeschüchtert. Aber er hat uns eine Ikonographie von sich zukommen lassen, falls ihr ihn kontaktieren müsst."
Der Abteilungsleiter reichte ein kleines Portrait herum, das einen hageren jungen Mann mit dunklen Haaren und grünen Augen zeigte. Er blickte schüchtern in Richtung Ikonographie-Dämon, der zu diesem Zeitpunkt anscheinend leicht angetrunken war (jedenfalls war das Bild reichlich unscharf). Den Namen 'Enrico' hatte der Fähnrich in gestochenen Druckbuchstaben auf die Rückseite geschrieben.
"Und das hier ist Ulli Samtweich." Eine zweite, etwas ältere Ikonographie wanderte über den Tisch. Sie zeigte einen untersetzten, pausbäckigen blonden Mann mittleren Alters und war anscheinend von einem Überwachungs-Dämon aufgenommen worden. Die Hälfte des Gesichts lag im Schatten und das Bild war körnig und fleckig - ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass es sich um die Vergrößerung eines anderen Bildes handelte.
Beide Bilder hatten ein auch für Gnome handhabbares Format (in unsere Welt hätte man von "Passbildgröße" gesprochen).
"Ikari, du und Harry werdet euch als Gildenmitglieder aufnehmen lassen, um den Großen Mumpitz zu Gesicht zu bekommen und zu identifizieren. Du warst UU-Zauberer, das sollte als Qualifikation hoffentlich reichen. Und Harry ist dein Assistent.
Euer Auftrag lautet, euch Gewissheit zu verschaffen, ob der Große Mumpitz wirklich Ulli Samtweich ist, und euch dann sofort bei den FROG zu melden. Eine Eingreiftruppe, angeführt von Leutnant MeckDwarf, steht bereit. Die FROG werden vom Obersten Hirten der Universität begleitet, falls es zu magischem Widerstand seitens Samtweich kommt. Noch Fragen?"
Die Wächter schüttelten ihre Köpfe.
"Gut, dann an die Arbeit!"

Kurz darauf waren Harry und Ikari auf dem Weg zur Gilde. Der Zombie trug ein abgenutztes, papageienbuntes Kostüm und einen schwarzen Zylinder; Harry, für den die Auswahl im DOG-Kostümfundus eher gering war, begnügte sich mit Lederjacke, Lederhose und einem Schlapphut.[4]
Der Nebel hatte inzwischen (glücklicherweise) nachgelassen, und war (unglücklicherweise) in einen lästigen Nieselregen übergegangen[5]. Der Gnom hatte sich auf der Schulter seines Kollegen in dessen Umhang gewickelt, um nicht nass zu werden.
"Ich bin Magnifico", meinte der Zombie. "Ich finde, der Name klingt schon mysteriös. Und du?"
"Hm?" Der Gnom schreckte aus seinen Gedanken, die sich um heißen Kaffee und warme Kaminfeuer drehten.
"Dein Künstlername!"
"Oh... äh... Sambo?"
"'Magnifico und Sambo'... ja, das klingt gut."
Der Regen wurde stärker, und Harry nahm den Zylinder vom Kopf seines Kollegen um sich darunter trocken zu halten.
"Siehst du", klang seine Stimme gedämpft durch den Hut, "das ist der Grund, weshalb ich lieber ermitteln als observieren möchte. Immer, wenn ich draußen bin und observiere, fängt es an zu regnen."
"Aber ermitteln ist auch nicht so leicht, wie man glaubt", widersprach Ikari und zog sich den Umhang zum Schutz über den Kopf. "Man muss ein guter Schauspieler sein; immer auf der Hut, nicht enttarnt zu werden. Außerdem braucht man viel püschologisches Geschick..."
"Ja, klar. Keine Sorge, das schaffe ich schon. Kannst du nicht schneller gehen? Dein Zylinder ist auch nicht so ganz wasserdicht."
Der Zombie beschleunigte seinen Schritt und wenige Minuten später standen die beiden Wächter am Tor zur Beschwörergilde. Die Gilde hatte ihren Hauptsitz in einer ehemaligen Lagerhalle, und genauso sah das Gebäude auch aus - bis auf den Eingang: Das Wappen (eine Frau und eine stilisierte Säge) hing über einem großen Tor, das so geschmacklos protzig verziert war, dass keiner, der wirklich wohlhabend war, sich auch nur in seiner Nähe blicken lassen würde. Zwischen Tor und Wappen waren in großen vergoldeten Lettern die Worte "NUNC ILLE EST MAGICUS"[6] eingelassen.
Ikari setzte seinen Zylinder wieder auf, und wiederholte, was er dem Gnom schon mehrmals gesagt hatte: "Die Scharlatane sind Meister im Prahlen und Blenden. Manche sind gescheiterte UU-Zauberer und beherrschen tatsächlich ein wenig Magie, aber die meisten haben einfach nur eine große Klappe und schnelle Finger. In dieser Gilde sitzen die Leute, die bei Kindergeburtstagen als 'Zauberer' auftreten. Also benimm dich entsprechend, ja? Und denk dran: Ich bin Magnifico, ein reisender Unterhaltungszauberer aus Quirm, und du bist Sambo, mein Assistent. Ich war früher an der UU, und wir sind gerade erst nach Ankh-Morpork zurückgekehrt. Jetzt wollen wir Gildenmitglieder werden. Alles klar?"
"Das haben wir schon dreimal durchgekaut", seufzte Harry. "Reicht es nicht langsam?"
"Ich will nur sichergehen. Immerhin ist dies dein erster Einsatz als Ermittler." Ikari betätigte den Türklopfer.
Ein geschnitzter Wasserspeier-Kopf über dem Klopfer öffnete seine Augen und fragte mit tiefer, hallender Stimme: "Wer begehrt Einlass in diese Hallen?"
Ikari sah den Kopf verdutzt an, fasste sich aber schnell. "Ich bin Magnifico aus Quirm, und dies ist mein Assistent Sambo. Wir wollen Mitglieder werden."
"So tretet denn ein..." der Kopf schloss seine Augen und das Tor schwang schwungvoll nach innen auf.
Auf der anderen Seite befand sich eine große Halle mit geschnitzten Säulen und Marmorstatuen, die ganz sicher nicht aus Marmor bestanden. Ein schmächtiger Bursche, der seine geringe Körpergröße durch Plateausohlen und ein gewaltig aufgebauschtes Kostüm wettzumachen versuchte, stand an der Tür und begrüßte die beiden Wächter.
"Seid willkommen! Ich bin Luciferius, Wächter des Großen Portals." Bitte folgt mir, ich führe euch zu unserem Sekretär.
Während Ikari dem Scharlatan folgte, drehte Harry sich auf dessen Schulter um, als das Portal zuschwang. Die Rückseite des Tores bestand nur aus nackten Holzbrettern - und einem Wasserspeier, der am rechten Torflügel in einiger Höhe festgeschnallt war und seinen Kopf durch ein Lock steckte.
"Ein echter Wasserspeier?" fragte der Gnom erstaunt.
Luciferius blieb stehen und drehte sich um. "Ja. Wir haben drei angestellt, die Schichtdienst machen. Ihre Gesichter sind angemalt, damit sie nach Holz aussehen."
"Und die Stimme?"
"Das war ich. Siehst du den Schlauch mit dem Trichter dort in der Wand? Der sorgt für den notwendigen Hall. Der Wasserspeier muss nur den Mund bewegen. Genial, oder?"
"Genial", stimmte Harry zu, und zeigte dem Scharlatan einen Vogel, nachdem der sich wieder umgedreht hatte.
Sie wanderten durch eine Reihe von Türen und Korridoren, die so geschickt gestaltet waren, dass die Gruppe trotz der relativ geringen Grundfläche des Hauses mehrere Minuten brauchten, um ans Ziel zu kommen. Luciferius klopfte an und öffnete die Tür.
Das Innere des Raumes war gestaltet wie das typische Arbeitszimmer eines Zauberers[7] - komplett mit Totenschädel, ausgestopfter Krähe und tropfenden Kerzen. Ein hagerer Mann mit einem langen, weißen (und definitiv falschen) Bart saß hinter dem Schreibtisch und sah auf, als die Tür sich öffnete.
"Ah", krächzte er, "Kundschaft! Was führt euch zu Mysticus, dem Chefsekretär dieser ehrenwerten Gilde?"
"Wir wollen Mitglieder werden", entgegnete Ikari.
"Mitglieder?" fragte Mysticus mit normaler Stimme nach. "Moment, wo habe ich denn die Antragsformulare..." Er kramte in einer Schublade seines Schreibtisches. "Wie nennt ihr euch?"
"Ich bin Magnifico, mein Assistent hier heißt Sambo", stellte Ikari sie vor.
Der Sekretär notierte sich die Namen. "Referenzen? Erfahrungen?"
"Studium an der Unsichtbaren Universität, Aschenbecherhalter des Dozenten für imaginäre Oktarinphysik."
Mysticus sah auf. "Welcher Abschlussjahrgang?"
"Zwoundsechzig."
Der Sekretär wandte sich seinem Bücherregal zu und zog einen dicken Folianten heraus. "Echter Name?"
"Gernetod, Ikari."
Mysticus legte den Wälzer auf den Tisch und blätterte ihn durch. Es war eine Sammlung von Jahrbüchern der Universität, mit Ikonographien von allen Absolventen.
Der Finger des Chefsekretärs wanderte die Bilder entlang und blieb bei einem stehen, das über der Bildunterschrift "Gernetod, I." einen sehr vergilbten[7a] jungen, langhaarigen Mann zeigte, der selbstbewusst in den Ikonographenkasten blickte. Der Sekretär verglich das Bild mit dem lebenden (bzw. untoten) Exemplar vor sich. "Gut, das sollte ausreichen", meinte er und füllte ein paar Zeilen in den Antragsformularen aus. "Unser neuer Vorsitzender hat die Anzahl der Neuaufnahmen stark eingeschränkt, aber Zauberer nehmen wir natürlich immer. Er holte einen Ikonographenkasten aus seinem Schreibtisch. "Noch zwei Bilder für die Ausweise." Er klopfte gegen den Kasten und der Dämon steckte seinen Kopf heraus.
"Sagt Wahoonie!" kreischte er.
"Wahoonie!" wiederholten Gnom und Zombie gehorsam. Der Pinsel des Dämons fuhr schneller über die Leinwand, als das menschliche (oder gnomische) Auge wahrnehmen konnten.
"Ein neuer Vorsitzender?" fragte Ikari beiläufig, während der Dämon die Bilder fertigstellte.
"Ja", entgegnete der Sekretär kurz. "Seit einigen Wochen."
Ikaris Ermittler-Gespür sagte ihm deutlich, dass sein Gegenüber noch mehr dazu sagen könnte.
"Wie heißt er?" fragte er, bemüht, mehr aus seinem Gesprächspartner herauszukitzeln.
"Er nennt sich 'der Große Mumpitz'", entgegnete Mysticus.
"Klingelingeling!" kreischte der Dämon in diesem Moment und winkte mit zwei kleinen Papierschnipseln aus seinem Kasten.
"Die Bilder sind fertig!" rief der Sekretär, froh über den Themenwechsel. Er nahm die Bilder vom Dämon und betrachtete sie.
"Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du beim 'I' und nicht beim 'O' von 'Wahoonie' malen sollst?" Kopfschüttelnd drehte er die Bilder um und schrieb die Namen 'Magnifico' und 'Sambo' auf die Rückseiten.
"So, die sind für eure Ausweise. Die und die Formulare nehmt ihr mit zu Mumpitz."
"Mumpitz? Der neue Vorsitzende?"
"Ja. Er möchte gerne selbst das letzte Wort haben, was neue Mitglieder angeht."
Ikari zwinkerte Harry zu. "Wir freuen uns darauf, ihn kennen zu lernen."
"Sein Büro ist gleich gegenüber", meinte der Sekretär und drückte Harry die kleinen Bildchen in die Hand. Eines zeigte ein Portrait des Gnoms, das andere eines von Ikari, die beide ihre Lippen zu einem 'O' formten.
Ikari setzte Harry mitsamt den Bildern auf die Schulter, nahm den Zylinder in die eine und die Anträge in die andere Hand und verließ das Büro.
"Lass dir nichts anmerken!" flüsterte er ihm draußen zu. "Wir identifizieren ihn und verschwinden dann, so schnell es geht."
"Gibst du mir noch einmal kurz das Bild?" zischte der Gnom zurück.
Ikari kramte aus seiner Tasche die Bilder von Ulli und dem Informanten und drückte sie dem Gnom in die Hand, der sich noch einmal Samtweichs Gesicht einprägte und die Ikonographien dann in seiner weiten Tasche verschwinden ließ.
Die Tür des Vorgesetzten war erstaunlich schlicht gehalten - offensichtlich befanden sie sich jetzt in dem Teil des Gebäudes, der nicht für Besucher, sondern nur für Mitglieder gedacht war.
Ikari klopfte an.
"Herein!" rief eine tiefe Stimme.
Der Zombie öffnete die Tür und trat, mit seinem Kollegen auf der Schulter, ein.
Mehrere Dinge passierten beinahe gleichzeitig: Die Wächter erkannten Ulli Samtweich, der hinter dem Schreibtisch saß, und jemand schlug hinter ihnen die Tür zu.
Harry drehte sich auf Ikaris Schulter um und sah einen bewaffneten Mann, der ihnen den Weg nach draußen versperrte.
"Hallo, Wächter!" grüßte Samtweich lächelnd. "Setzt euch doch. Ihr müsst schon früher aufstehen, um einen Zauberer hereinzulegen."
Ikari sah sich schnell um. Direkt unter der etwa drei Meter hohen Decke war ein kleines, offenes Fenster in der Wand. Er packte den Gnom von seiner Schulter, ignorierte dessen Aufschrei und warf ihn in Richtung Fenster, bevor Ulli oder sein Kumpan reagieren konnten.
Harry flog gegen einen der hölzernen Flügel des Fensters und klammerte sich daran fest, während sich unter ihm der Bewaffnete auf Ikari stürzte und ihn zu Boden warf. Der Gnom zappelte mit den Beinen, um den Flügel zum Schwingen zu bringen. Er hing an der dem Fenster zugewandten Seite, das heißt, er musste den Flügel zuschwingen lassen um nach draußen zu gelangen.
Ulli hatte inzwischen sein Schwert gezogen und lief zum Fenster, als der Flügel mit einem letzten Schwung gegen den Fensterrahmen stieß und Harry sich erst die Finger einklemmte und dann mit einem Aufschrei draußen im strömenden Regen landete.
"Na gut", rief der Zauberer von unten hoch, "dann eben anders!"
Ohne etwas tun zu können musste Ikari mit ansehen, wie sich oktarine Funken von den Fingerspitzen des Magiers lösten und aus dem Fenster flogen. Samtweich blickte nach draußen, dorthin, wo der Gnom stand, und brüllte: "Vergiss!"
Harry richtete sich oben gerade wieder auf und lief los um die FROG zu alarmieren, als sich die Welt um ihn herum verlangsamte. Die Luft knisterte, die Regentropfen pulsierten rötlich und aus dem Fenster, durch das er geflohen war, hallte unnatürlich laut ein Wort:

Vergiss!



Nachtrag:


[1] "15 blutjunge Näherinnen verraten ihre Tricks!!! Neue aufregende Nähmuster!!!"

[2] Ein Drittel Schlamm, ein Drittel Pferdemist, und ein Drittel wirklich Ekelhaftes.

[3] Ein Geschenk der DOG zu Mückensturms kürzlicher Wiederwahl als Abteilungsleiter. Der Aufdruck lautete "Der TOLLSTEN Oma der Welt!" (Viel Geld war nicht zusammengekommen bei der Sammlung, und den Becher hatte Schnapper im Sonderangebot)

[4] Um genau zu sein, sind alle Gnomenkleider im DOG-Fundus Überreste der Original-Ausrüstung der Puppenstube. Als das Gebäude noch der Käuflichen Zuneigung diente, wurde Harrys Büro für äußerst... ähem... spezielle "Puppenspiele" genutzt. Später, nachdem der Gnom die Puppenstube zu seinem Büro erklärt hatte, entsorgte er die Puppen und die allzu verfängliche Kleidung (jedenfalls hat er das immer behauptet, und niemand hat je das Gegenteil bewiesen), und legte den Rest in weiser Voraussicht zum Kostümfundus. Auch dieser Rest ist jedoch bei weitem keine Alltagskleidung - allerdings verzichtete Harry für diesen Einsatz auf die zum Lederkostüm gehörende Peitsche.

[5] Eine alte Redewendung sagt, dass in Ankh-Morpork mehr Wasser in der Luft ist, als im Fluss. Und tatsächlich gibt es nur wenige wirklich trockene Tage in der Stand - und diese statistisch gesehen interessanterweise meistens dann, wenn ein gewisser llamedosianischer Oberleutnant im Urlaub ist.

[6] Frei übersetzt: Das ist wahre Magie!

[7] Okay, zugegeben: Das Arbeitszimmer des Erzkanzlers hat einen Billardtisch in der Mitte und die Köpfe von seltenen oder sogar ausgestorbenen Tieren an den Wänden, und das des Quästors ist von innen gepolstert und enthält keine Möbel mit spitzen Kanten (und schon gar kein offenes Feuer). Aber von diesen Ausnahmen abgesehen sieht es tatsächlich aus wie das.. äh... eines Zauberers, der viel Wert auf Tradition und Angeberei legt.

[7a] Aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verblichenen




Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Cim Bürstenkinn

06.05.2002 23:48



Also anfangs wollte ich Dir ja einen Abzug geben, weil ich wegen "Momente" um 2 Ubahnstationen zu weit gefahren bin, und dann beinahe meinen HNO-Termin verpasst hätte.
Später mußte ich mir widerwillig eingestehen, daß diese Tatsache wohl mehr für als gegen Dich spricht.
Vor allem die erste Hälfte ( und ich meine die ersten Seiten) waren packend und ur spannend. Das Information-Passing von Absatz zu Absatz ist größenteils sehr gelungen.
Leider hat sich der Effekt ab der Mitte ein wenig verbraucht. Was mir auch gefehlt hat, war die Quintessenz.
Irgendwann fragt man sich: Warum erlebst Du alles rückwärts? Ist das Teil von Pismires Gegenzauber`? Ist das Teil des Fluches? UNd leider sind darauf keine Antworten mehr gekommen.
Es war ein schönes Experiment, aber irgendwie ist der Höhepunkt verloren gegangen.
Zumindestens ich, habe noch auf eine Pointe gewartet, auf einen Punkt bei dem angelangt, man nur mehr mit offenem Mund und großen Augen weiterlesen kann. Der ist leider nicht mehr gekommen.
Und dann: der letzte Absatz : der Längste, und ich verstehe immer noch nicht, warum Du ihn nicht als ersten genommen hast, denn eigentlich beginnt die Geschichte wirklich dort.
Der "Schluß": Auch wenn man den ersten Absatz als letzten nimmt, ist er kein wirklicher Schluß, sondern nur eine sehr ausführliche Mitte.
Eingedenk der Tatsache, daß der Anfang ja nicht Anfang sein durfte, wird das noch deutlicher.

aja: das Bild:
ICh war auch schon versucht sowas einzubinden, hab es aber sein lassen, weil ich mir nicht sicher war, wie gut das dann im Single-Archiv kommt.
Nachdem ich aber glaube, daß dieses Grafik zum Verständnis nicht unbedingt nötig (wenngleich hilfreich) war, nahm ich es als willkommene Erweiterung.

Dennoch Frage: ist das ein impliziter Aufruf die Missionen grafisch zu untermalen?

Unterm Strich ein gelungenes Experiment, und man sieht den Erztechniker, der gerne in Schleifen denkt.

lg, Cim.

Von Daemon Llanddcairfyn

07.05.2002 07:00

Hoioi Harry.

Was soll ich sagen? Man könnte den Harry den ganzen Tag knuddeln, für das, was er so schreibt. Ich fand es absolut genial und finde tatsächlich nichts, was zu bemängeln wäre.
Das Cim nicht erkennt, dass zwischen den Äbsätzen immer ein 'Erinnere Dich' und ein 'Vergiss' steht und der Zauber dort immer treppenstufenweise aufgehoben wird, ist ja nicht deine Schuld ;o)@Harry :oP@Cim
Am Genialsten fand ich, dass seitenlang die Angst da ist: Was hat der gnom nur angestellt? Was wird nun? Und dann kommt auf der vorletzten Seite raus, dass er 'nur' nen Zombie erwischt hat. (Was war ich erleichtert.)
Der Effekt des 'schon wieder alles Vergessen habens' nutzt sich tatsächlich die letzten 3-4mal ab, aber nicht so stark, dass er langweilig wird, was ganz bestimmt am Stil des Autors liegt.
Im Endeffekt eine sehr gute Geschichte, die mancher bestimmt mehrmals lesen mußte, um komplett durchzusteigen, die das aber auch wert war.
Allerdings sehe ich nach diesem 'Durchbruch' ab sofort wahrscheinlich jede Menge Grafiken in Missionen, und wie das bei mir als ASCII - Version - Ausdrucker enden soll, weiß ich nicht.

- dae

btw: Du solltest Post von Toky haben?!

Von Cim Bürstenkinn

07.05.2002 13:12

Quote:


Das Cim nicht erkennt, dass zwischen den Äbsätzen immer ein 'Erinnere Dich' und ein 'Vergiss' steht und der Zauber dort immer treppenstufenweise aufgehoben wird, ist ja nicht deine Schuld ;o)@Harry icon_eek

Von Atera

07.05.2002 15:13

Ja, ich mußte sie mehrmals lesen diese Geschichte, zweimal, um alles mitzubekommen. Könnte eventuell an der späten Uhrzeit gelegen haben (o;

Also ich kann dem Cim teilweise zustimmen, eine ausführliche Kritik von mir kommt hoffentlich noch, aber ich will nur kurz was sagen:
*deutet auf Harry*
Der Kerl hat ein besonderes Talent. Ich kanns nicht oft genug sagen. So schnell so viel und vor allem so gut zu schreiben.
Ein Talent, ja, ich hoffe, du verwöhnst uns auch weiterhin mit deinen Geschichten.

Von Daemon Llanddcairfyn

07.05.2002 17:49

Huch, war doch nciht SO bös gemeint. Ich hatte es halt so verstanden, dass der Zauberer den Vergiss-Zauber sehr stark gemacht hat und De rHirte ihn immer wieder Stück für Stück in die Vergangenheit abbauen mußte, deswegen immer die Absätze drin, bis zum Zeitpunkt, an dem der Zauber ausgesprochen wurde.

Nu sei mir nicht böse *liebguggt*

Von Humph MeckDwarf

07.05.2002 18:58

Öhm, also, ich glaub nicht, dass es allzu viel zu sagen gibt. Die Single war einfach mal spitze. Und es war wirklich spannened zu wissen, was wirklich passiert war...

Also, ich hab ja Memento nicht gesehen (das ist ja der Film, der die Vorlage zur Single lieferte...), ABER meiner Meinung nach ist diese Rückwärtsschreiberei eher ein Stilmittel. Trotz allem hats Harry ja erklärt mit diesem Vergiss-Erinnere Dich, zumindest hab ichs auch so verstanden.
Das es ab der Mitte etwas abgenutzt ist, stimmt schon, aber trotzdem will man ja wissen, wie alles begann (außnahmsweise mal nicht, wies weitergeht ;))

Von Humph MeckDwarf

07.05.2002 19:04

btw: Ist der Oberste Hirte der UU Pismire? Oder hat Cim das wirklich falsch verstanden? Schließlich hat der Hirte ja gezaubert, und nicht Pis...

Von Harry

07.05.2002 20:27

Hm... Pismire habe ich nirgendwo erwähnt, oder?
Auf jeden Fall war der Gedanke und die Motivation für die Rückwärts-Handlung die, dass einerseits der Vergessens-Zauber mir immer wieder das Gedächtnis geraubt hat, andererseits der Erinnerungs-Zauber jetzt die Erinnerung genauso stückweise zurückholt, und die Handlung praktisch Harrys zurückkehrende Erinnerung darstellt. Deshalb sowohl "Erinnere Dich" als auch "Vergiss" zwischen den Absätzen.
Und wenn ich mit dem Anfang angefangen hätte, Cim, wo wäre die Spannung geblieben? :)Jedenfalls muss ich zugeben, dass ich den dramaturgischen Aufbau (und auch den Titel) von dem (übrigens ziemlich guten) Film 'Memento' *werb* abgeguckt habe.

Von Cim Bürstenkinn

07.05.2002 21:50

Ups. Pismire hab ich mir zusammengereimt. Sorry, das mit dem obersten Hirten hab ich überlesen, und hab mich zusehr auf einen zauberkundigen alten Mann fixiert.

Und nochmal: Ich fand die Mission auch sehr cool, und Stilelemente zu verwenden ist ja kein Abgucken.

Dennoch finde ich, daß dieses Forum nicht nur zum "Lobhudeln" da ist, sondern primär den Leuten Feedback geben soll.
Wenn ich hierbei so kritisch war, daß der konstruktive Gedanke verloren gegangen ist, tut es mir leid.
Aber ich denke Harry kann ja durchaus nachvollziehen, daß ich auch sehr gut bewertet habe.

lg, Cim.

Von Harry

08.05.2002 20:09

Keine Sorge, jede Kritik ist immer willkommen (vielleicht klappt's ja doch noch irgendwann mit dem Goldenen Ribbon...).

Und ich wollte mich noch mal offiziell entschuldigen, wenn ich durch die Grafik die Büchse der Pandora geöffnet habe - ich habe sie eingebaut, gerade weil sie erstens nicht von essenzieller Wichtigkeit ist (die Story kann man auch so lesen, d.h. in der ASCII-Version; ich habe mich bemüht die wichtigen Sätze der Zeichnung immer auch im Text zu erwähnen), und weil sie zweitens doch irgendwie ziemlich zur Atmosphäre beiträgt, wie ich finde. Wenn das jetzt für andere Ermutigung ist, ihre Singles in Comic-Form zu schreiben, dann peitscht mich ruhig aus :)

Von Rince

09.05.2002 16:16

Also ich fand die Mission sehr geil. Nachdem ich das Prinzip vertanden hatte konnte ich schon mitfiebern.
Mir war schon klar, dass ab dem Zeitpunkt wo Harry das Gedächtnis geraub wird die Geschichte aus sein muss und der Part bis dahin in einem zusammenhängenden Stück kommen muss. Hat also absolut gepasst, war logisch, spannend und mal was anderes.
Großes Lob!

Achja, und dass Harry sich danach gleich selber bei IA angezeigt hat rundet die ganze Sache noch ab :)

Von Daemon Llanddcairfyn

17.05.2002 13:27

Da hat Ikari ja nochmal Glück gehabt ;o))

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung