Kaffeeprobleme

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von Chief-Korporal Rettich
Online seit 07. 11. 1999
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Diesmal handelt es sich um ein internes Problem. Jemand leert immer unerlaubterweise die Kaffeekasse.
Was zu viel ist, ist zu viel!

Dafür vergebene Note: 15

Es war ein friedlicher Sommertag in Ankh-Morpork. Der Ankh verbreitete seinen bekannten Wohlgeruch in den Strassen der Stadt und ein unsichtbarer Beobachter hätte mit viel Phantasie vielleicht sogar Vöglein zwitschern gehört. Obwohl das recht unwahrscheinlich ist.
Auf jedenfall war die Atmospähre in der Stadt entspannt. Einige Bürger fächelten sich kühle Luft zu und tranken immens beeindruckende Drinks. Unter ihnen waren die Wächter. Ankh-Morpork hatte den Atem des Verbrechens angehalten, und die Wächter genossen diesen Umstand mit Kübeln von exotischen Getränken.
"Weisst du,"sagte Korporal Atera,"das sind die Momente, die einem das Untotsein versüssen."
Sie schlürpfte mit ihrem Strohhalm (es war wirklich ein Strohhalm) und lehnte sich zurück. Es war eine gute Idee, eine Art Erholungslounge auf dem Dach des Wachhauses zu errichten.
"Ahhh."
Selbst Sir Henry liess es sich gutgehen, Atera hatte ihn in eine alte Badewanne gesetzt und nun planschte die Kröte fröhlich vor sich hin.
Atera beuget sich herunter und streichelte ihr Haustier liebevoll. Sir Henry genoss die Aufmerksamkeit und spritzte eine kleine Wasserfontäne in Ateras Gesicht. Die kicherte daraufhin amüsiert.
"Du kleiner Bengel, du."
Rettich hatte ihre Rüstung abgelegt und lag in kurzen Hosen und kurzarmeligen Hemd auf einen selbst zusammengebauten Liegestuhl.
Sie blickte zu Atera rüber, die sich gerade die untote Haut mit Speiseöl einrieb.
Es war ein Bild für Götter. Ein Zwerg, der sich sonnt und sich den Bart um den Kopf gewickelt hatte, um keinen Sonnenstich zu kriegen, und ein weiblicher Zombie, der sich mit Sonnenöl einrieb, um nicht aus Versehen die blasse Hautfarbe zu verlieren. Vielleicht war es nicht unbedingt ein Bild für Götter, aber auf jedenfall war es bemerkenswert.
Rettich schluckte den Rest ihres Drinks. Enttäuscht drehte sie den Krug auf den Kopf. Ein letzter Tropfen floss heraus und verdampfte augenblicklich auf dem heissen Pflaster.
Die Zwergin seufzte.
"Ich geh mal und hol mir einen neuen Drink aus der Küche. Soll ich dir was mitbringen?", fragte sie.
Atera blickte zu ihr rüber.
"Ja, bring mir noch ein wenig Schweinschmalz, ich will meine Haare einfetten, die werden so leicht brüchig, wenn sie Sonnenstrahlen ausgesetzt werden. Und einen Drink."
Rettich nickte und wollte die Treppe runter gehen.
"Warte," rief Atera," hol doch bitte Tod. Ich glaube, ein wenig Sonne und Erholung würde ihn nicht schaden. Er hatte in letzter Zeit viel Stress."
"Ok."
Als Rettich in der Küche ankam, traf sie einen völlig verstörten Schnitter.
"Was ist denn mit dir los?"
"SIE IST LEER."
"Was?" fragte Rettich verwundert und schaute sich um.
"DIE KAFFEEKASSE. SIE WAR NOCH SO JUNG UND UNSCHULDIG. WER KöNNTE SöTWAS BARBARISCHES TUN?"
Die Zwergin zog die Augenbraün hoch.
Tod erhob sich schwerfällig und nahm mit knochigen Händen die leere Blechdose vom Küchentisch. Ein schmutziger Aufkleber mit der Aufschrift 'Kafehkasse' prangte darauf, doch die Kasse war schon durch soviele Hände gegangen, dass der Aufkleber schon am Verfallen war.
Tod wiegte die Dose deprimiert in seinen Händen.
"Ich wusste gar nicht, dass du eine so...äh...intensive Beziehung zu unserer Kaffeekasse aufgebaut hast."
Der Kommandeur straffte sich.
"DU VERSTEHST NICHT, RETTICH. ES GEHT HIER NICHT UM MICH ODER SONSTWEN. JEMAND HAT DIE KASSE UNERLAUBT ENTLEERT. JEMAND AUS DER WACHE!"
"Ich sehe. Lass mich raten, nach den Gesetzen der narrativen Kausalität soll ich jetzt nach dem Übeltäter suchen."
"SO HABE ICH MIR DAS VORGESTELLT."
"Und dabei von einer peinlichen Situation in die nächste laufen?"
"UNTER UMSTÄNDEN."
"Und falls es mal nicht peinlich ist, werde ich einfach in eine gefährliche Situation gebracht, nicht wahr?"
"WENN DU ES SO AUSDRÜCKST. JA, DAS IST MÖGLICH."
"Ich werde durch die halbe Stadt vergeblich wandern, um nähere Bekanntschaft zu einigen Verrückten, Untoten, Mördern etc. zu schliessen?"
"ICH SEHE, RETTICH. DU HAST DAS PRINZIP VERSTANDEN. ALSO SPUTE DICH!"
"Vergess es."
"ICH BITTE UM VERZEIHUNG?"
"Such dir jemanden anderen. Die Sonne scheint und ich habe wirklich besseres zu tun, als irgend jemanden zu suchen, der diese verdammte, rostverseuchte Dose entleert hat. Tschüss, ein Drink mit Palmwedel erwartet mich."
"ABER..."
Doch die Zwergin war schon durch die Tür verschwunden, wobei sie bemerkenswertes Geschick bewies, denn im Vorbeigehen nahm sie noch mehrere fertige Drinks mit, die auf der Diele standen.

Jemand kam die Treppe hoch.
"Und? Hast du die Drinks?" fragte Atera während sie ihren Kopf um 180 Grad zur Tür drehte. Sie war schließlich ein Zombie, bei ihr waren solche Verrenkungen kein Problem.
Rettich schaukelte heran. Auf einem alten Schild hatte sie die Drinks plaziert und versuchte nun vorsiuchtig (schließlich wollte sie keinen Tropfen verschwenden) das improvisierte Tablett zu balancieren.
"Ja."
Sie sprach sogar vorsichtig.
Atera stand auf und nahm ihr das Tablett ab. Sie stellte es auf dem Boden, wobei ihr aus Versehen ein Finger in einen der Drinks fiel.
"Upps." Die Untote fischte den Finger schnell wieder raus, bevor er sich mit dem Alkohol vollsog.
"Dein Drink.", kommentierte Rettich.
Sie nahm den Becher und nippte daran.
"Wo ist Tod?"
"In der Küche. Er trauert um den Inhalt der Kaffeekasse."
"Der Kaffe...oh ja, ich sehe."
Rettich hatte plötzlich den Eindruck, dass Atera versuchte, sich hinter ihrem Glas zu verstecken. Die Zwergin blickte mißtrauisch in ihr Gesicht. Atera strich sich scheinbar geistesabwesend eine Strähne aus dem Gesicht.
"Schönes Wetter, nicht wahr.", sagte sie.
Rettich's Augen wurden zu einem schmalen Schlitz.
"Rettich, guck nicht so. Ich habe dir mehr als einmal gesagt, du sollst diesen Blick nicht bei mir anwenden!"
Der Chief-Korporal blieb unbeeindruckt.
"Weisst du über den Verbleib des Geldes?", fragte sie.
Atera drehte unschuldig ihre Daumen bis einer abfiel. Rettich hob den Daumen auf und gab ihn ihr zurück.
"äh...danke. Ein Toast?", fragte die Untote und hob demonstrativ ihr Glas.
"Ich möchte kein geröstetes Weissbrot. Ich mein's ernst!"
"Ein Trinkspruch. Auf die Wache!", versuchte es Atera nochmals.
Doch Rettich reagierte nicht. Stattdessen stellte sie ihr Glas ab, nahm Atera's und stellte es ebenso weg. Dann drückte sie den Zombie mit für einen Zwerg sanfter Gewalt auf einem Stuhl. Atera wiedersetzte sich nicht. Wozu auch? Wann immer Rettich im Einsatz war, eins war klar, nämlich dass Widerstand wirklich zwecklos ist. Sie unterstrich diese Aussage am liebsten mit der blankpolierten doppelschneidigen Axt in der Hand.
"Wo ist das Geld?", wiederholte sie.
"Ich weiss nicht worüber du redest."
"Du weisst es genau! Wo?"
"Ich höre nichts, ich höre nichts, lallalala."
Atera hielt sich die Ohren zu und summte laut vor sich hin. In ihr rechtes Ohr hatte sie ihren vorher verlorenen Daumen gesteckt, das andere Ohr wurde mit den verbleibenden Händen bedeckt. Rettich holte ihre Axt hinter ihren Leigestuhl hervor und trennte Atera's Hände ab. Die blickte erstaunt auf ihre Hände, die nun plötzlich vor ihr auf dem Boden lagen .
"Das war so...unhöflich!", sagte Atera sauer. Sie versuchte mit ihren Zehen die abgetrennten Gliedmassen zu sammeln.
"Tut mir leid, ich nähe sie nachher wieder an."
"Du hättest mich töten können!", rief der Zombie empört.
"Du bist schon tot!"
Atera blickte Rettich böse an. Den Schweiss von der Stirn wischend fuhr Rettich fort.
"Warum hast du das Geld gestohlen?", fragte sie.
"Ich habe das Geld nicht gestohlen!", antwortete Atera. Ihre Stimme klang ehrlich.
"Wer dann?"
"Rettich, bitte ändere deinen Ton. Ich fühle mich wie in einem Verhör."
Sie blinzelte in die Sonne.
"Entschuldigung. Wer hat das Geld, bitte?"
"Sir Henry!"
"Sir Henry? Atera, bitte, mach dich nicht selbst lächerlich. Was sollte die Kröte mit höchstens 2 Dollar machen?"
"Es bewachen."
Atera zeigte mit einer Bewegung ihrer Nase (schließlich hatte sie im Moment keine Finger zur Verfügung) auf das Schwimmbecken ihres Haustiers. Sir Henry merkte die plötzliche Aufmerksamkeit und quakte vergnügt. Er sprang aus dem Wasser und hüpfte seinem Herrchen entgegen.
"Braver Junge.", sagte Atera.
Zu Rettich sagte sie:
"Schau bei Sir Henry's Schlafplatz nach. Dort müsstest du das Geld finden."
Rettich untersuchte das Becken, bis sie schließlich eine handvoll Münzen fand. Sie fischte die Münzen raus und kehrte enttäuscht zurück. Die Münzstücke plazierte sie direkt vor Atera's Füsse.
"Warum?", fragte der Chief-Korporal traurig.
"Du denkst doch wohl nicht, ich hätte das Geld gestohlen?", erwiderte Atera erschrocken.
"Was soll ich denn bitte denken?"
"Nähe mir bitte erst wieder meine Hände an, ok?"
"In Ordnung."

Wenige Minuten und zwei Rollen Garn extra-stark später...
Die Untote massierte sich sanft die Nahtstellen ihrer Handgelenke.
"Folge mir."
Rettich blieb keine Wahl und folgte Atera. Sie führte die Zwergin direkt in die Rumpelkammer der Wache.
"Und wehe, du sagst jemanden etwas davon!", mahnte sie.
"Verschwiegenheit ist mein Nachname.", antwortete Rettich.
"Ich dachte immer, es wäre Sensenschmied. Wie auch immer, Rettich Verschwiegenheit, schau dir das an."
Atera kramte aus einer Kiste ein rechteckiges Kästchen hervor. Vorsichtig klappte sie den Deckel hoch und hob ein hölzernes Miniaturschwein hervor.
"Ein Schwein?! Was soll denn das?!"
"Ts, ts," mahnte der Zombie," keine Geduld, die Zwerge von heute. Dies ist..."Atera machte eine dramatische Pause"..das erste 'Kaffeekassen-Miniatur-Ferkel-mit-Schlitz-im-Rücken'."
Sie nahm demonstrativ eine kleine Münze und warf sie in den Spalt im Rücken, den Rettich erst jetzt bemerkte.
"Ich habe es selbst gebaut. Es hat mich viele Stunden und einige Finger gekostet.", sagte Atera stolz und tätschelte das hölzerne Schwein.
"Es sollte eine Überraschung werden. Ich wollte heimlich das Schwein mit der Blechdose austauschen, aber plötzlich hörte ich Tod und ich wollte vermeiden, dass er mich sieht wie ich gerade das Geld aus der Dose nehme. Er hätte das falsch verstehen können."
"Ich verstehe..."
Rettich klopfte Atera mit aller Vorsicht auf den Rücken.
"Komm, wir erklären es ihm."

"EIN 'KAFFEEKASSEN-MINIATUR-FERKEL-MIT-SCHLITZ-IM-RÜCKEN'? ERSTAUNLICH..." "Abschließbar. So das niemand sich wirklich am Geld vergreift. Du kannst sogar die neue Kasse beschriften-diesmal richtig.", schlug Rettich vor. "Jeder Idiot weiss doch, dass 'Kafehkasse' ohne h geschrieben wird."
"DU HAST RECHT. HIER, üBERNIMM DU DIE EHRE.", antwortete Tod und übergab das Schwein an Atera. Sie nahm einen kleinen Pinsel und strich vorsichtig 'Kafekasse' auf den Bauch des Schweines.
"Sehr gut.", lobte Rettich.
Tod übernahm die Münzen und warf sie mit grossen Augen durch den Schlitz.
"Faszinierend....", sagte er zu sich selbst.
Rettich schubste Atera an.
"Ich glaube, wir lassen ihn mal lieber allein.", flüsterte sie.
Atera nickte und beide Wächter schritten leise aus dem Raum. Ein Drink erwartete sie.
Tod bemerkte das Fehlen der beiden nicht. Noch immer blickte er wie ein kleines Kind auf das Sparschwein und warf die letzte Münze ein. Nach kurzer Zeit kramte er aus seiner eigenen Tasche weitere Münzstücke.
"WIRKLICH FASZINIEREND."




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