Weise Steine

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von Wächterin Hatscha al Nasa (GRUND)
Online seit 27. 12. 2001
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 Außerdem kommen vor: Venezia KnurblichDyn Amit

In der Unsichtbaren Universität wird ein Gegenstand, der sogenannte Lapis Sapientum, aufbewahrt. Doch plötzlich wird er gestohlen. Die Wache muss nun herausfinden, wer es war und warum.

Dafür vergebene Note: 11

Es herrschte Unruhe in der Unsichtbaren Universität, der größten Zauberschule auf der Scheibenwelt. Die Zauberer rannten durcheinander und rempelten sich gegenseitig an. Ein etwas jüngerer Magier versuchte seine Kollegen zu beruhigen.
"Ruhe, meine Herren, Ruhe!" rief er. Er hatte, im Gegensatz zu den anderen keinen Bart. Seine Körperstatur ähnelte den anderen auch nur wenig, er war nur halb so dick. Er stand auf einem Tisch voller Essensreste.
Die Zauberer achteten nicht auf den Jüngling. Für sie kam Weisheit mit dem Alter.
"Ponder, komm wieder runter vom Podest!" schrie der Erzkanzler über die Menge hinweg. Er war nicht so dick wie seine Kollegen, was daran lag, dass er täglich trainierte. Das Oberhaupt stand direkt neben dem Mann, der versucht hatte, sie zu beruhigen, also hatte er ihn zwangsweise gehört.
Der junge Magier war also Ponder Stibbons. Wacklig gehorchte er Ridcully. Er fiel mehr vom Tisch, als dass er kletterte. Mit einem "Plumps" war er am Boden und rutschte sogleich auf einer weggeworfenen Bananenschale aus.
"Ugh!" sagte ein Orang-Utan empört, anscheinend der berühmte Bibliothekar der Universität.

Dieses Schauspiel bot sich sechs Wächtern, die gerade den großen Saal betreten hatten, dar. Ein Zauberer wankte auf sie zu. Wenn man ihn beschreiben würde, liefe die Fantasie des Lesers Gefahr, zu explodieren. Es soll hier trotzdem ein Versuch gewagt werden: Der Magier war groß, fett und hätte einen Kannibalenstamm etwa ein halbes Jahr ohne Probleme ernähren können, wenn es die entsprechenden Konservierungsmittel gäbe. Auf dem Kopf trug er einen spitz zulaufenden Hut wie jeder im Raum. In der Hand hielt er
einen langen Stock, den Zauberstab.
"Oh, hallo Dekan", sagte einer der Wächter, die in der Tür standen zu ihm.
Dieser erwiderte etwas wie: "Ah, ihr kommt von der Wache, die ich gerufen hatte, oder?"
"Ja", meinte der Sprecher der Gruppe. Genau genommen war es eine sie. Es handelte sich hier um Leutnant Venezia. Zwei der anderen Wächter waren Rekruten, die übrigen die Obergefreite Steinschlag von der Abteilung SUSI, der Lance-Korporal Aragorn von SEALS und der Obergefreite Gash Dhrok von RUM. Die Rekruten hießen Dyn Amit und Hatscha al Nasa.
Mustrum Ridcully kam auf sie zugelaufen. "Was macht ihr denn hier? Wer hat euch gerufen?" schimpfte er ganz außer sich.
"Ähm, Erzkanzler, ich war es", erklärte der Dekan. "Es wurde doch etwas gesto...", wollte er noch sagen, doch Ridcully unterbrach ihn barsch.
"Ach, lass ihn doch ausreden, Erzkanzler", meinte die Ausbilderin süffisant. Das Oberhaupt der Universität starrte sie böse an.
"Erzkanzler, uns mitgeteilt wurde, dass hier ein wichtiger Gegenstand wurde gestohlen. Wir nicht sein doof, du uns wollen nur verheimlichen, was sein weg", sagte Lady Steinschlag.
Ridcully wandte sich unwillig ab. "In meiner Universität wird nicht ermittelt!" rief er über die Schulter zurück. Dann verschwand er in der Menge. Er versank regelrecht darin, denn im Gegensatz zu den anderen Zauberern war er schlank. Wenn man genau hinhörte, konnte man ein leises "Flop" hören, und er war weg.
Die Wächter schauten sich verwirrt an. Ein Schlag auf die Schulter ließ Hatscha fast zu Boden sinken. Es sollte wohl ein freundschaftlicher Klaps sein, aber wenn er von einem Orang-Utan ausgeht, kann so was auch mal schwerer ausfallen. Hatscha drehte sich zu dem Bibliothekar um und schüttelte ihm zum Gruß die Hand.
"Hallo, Bibliothekar", begrüßten dann auch die anderen der Gruppe den Neuankömmling.
"Dekan, kannst du uns nicht sagen, was gestohlen wurde?" ermittelte Venezia und gab dem Affen geistesabwesend eine Banane, die sie gerade von einem Tisch genommen hatte.
"Ja, kann ich, aber es wird euch nicht viel weiter helfen."
"Dann sag uns zum Teufel wenigstens, um was es sich handelt!" schrie sie außer sich. Gash versuchte sie wieder zu beruhigen, doch sie schlug die Hand des Obergefreiten zur Seite.
Erschrocken wich der Zauberer einen Schritt zurück. Er war es nicht gewohnt, dass sie solche Wutausbrüche bekommt. "L...La...Lap...Lapi..." stammelte er. Die Wächterin war kurz davor, ihm eine zu scheuern, und die vier anderen konnten sie nur knapp davon abhalten. Der Dekan hob schützend die Hände und brachte das Wort endlich hervor: "Lapis Sapientum!" Er versuchte im Boden zu versinken, was sehr seltsam aussah. Man konnte es mit einem Plätzchenteig vergleichen, der sich weigerte, ausgerollt zu werden.
Die Wächterin beruhigte sich langsam wieder. Gash und Dyn ließen ihre Arme wieder los und sie richtete sich die Uniform wieder zu recht. "Gut, kannst du mir auch sagen, was es damit auf sich hat?"
Der Dekan, sichtlich erleichtert, wurde wieder zur Kugel und antwortete: "Nun, es ist ein sehr wertvoller, magischer Gegenstand, mit dem man..." Doch er kam nicht mehr dazu, zu sagen, was man mit ihm tun konnte, denn der Erzkanzler kam wieder auf die Gruppe zu.
"Seid ihr Idioten von der Wache immer noch hier?" rief er böse.
"Ich doch sehr bitten will!" sagte Steinschlag und sah dem Zauberer starr in die Augen. Er wandte sich zuerst ab.
"Verschwindet von hier, aber sofort!" befahl er, aber bei Weitem nicht mehr so selbstbewusst wie vorher.
Die Wächter gehorchten widerwillig dem Erzkanzler und kehrten der Universität den Rücken zu. Draußen blieben sie stehen.
"Was ist dieser Lapis Sapientum, dass Mustrum ihn so geheim halten will?" fragte Hatscha interessiert.
"Wenn wir das nur wüssten!" Venezia seufzte. Die Obergefreiten Steinschlag und Gash ließen die Schultern hängen.
"Das mir noch nie untergekommen sein, dass Zauberer sein so seltsam und geheimnisvoll", meinte die Lady. Ihr Kollege nickte zustimmend.
"Ich habe auch noch nie etwas von diesem Gegenstand gehört", fügte er hinzu. "Aber die Zauberer tun häufig sehr geheimnisvoll. Außerdem sind sie nicht besonders helle. Ich würde sagen, der Gegenstand ist irgendwas Harmloses."
"Hmm, vielleicht finden wir einen Magier, der uns etwas darüber sagen kann", überlegte Hatscha laut.
"Gute Idee, Hatscha. Damit übergebe ich dir und Dyn Amit den Fall, der mir nicht besonders schlimm erscheint. Aber vorerst nur unter meiner Leitung. Die anderen Wächter werden euch natürlich zur Hilfe stehen, wie zum Beispiel bei der Tatortsicherung. Wenn ihr herausgefunden habt, was der Gegenstand ist, wo er war oder sonst etwas wichtiges, so sagt es mir, ich werde euch die richtigen Personen schicken. Bei der Ermittlung des Räubers könnt ihr euch wen von RUM holen. Wenn ihr aber glaubt, ihr schafft das
auch alleine, könnt ihr das auch versuchen. Wir werden euch trotzdem zur Seite stehen."
Die Rekruten nickten. "Ja, Ma'am", sagten Hatscha und Dyn wie aus einem Mund und salutierten.
"Viel Glück", murmelte Venezia. "Die Zauberer können ganz schön schwierig sein."
"Keine Angst. Ich hatte schon Kontakt mit ihnen", meinte die Rekrutin, obwohl die Magier nicht gerade ihre Lieblings-Ankh-Morporkianer waren.
Sie kehrten zum Wachhaus zurück. Die Rekruten setzten sich zusammen an einen Tisch und überlegten.
"Wie können wir an einen Zauberer herankommen, der bereit ist, uns etwas zu erzählen?" fragte Dyn.
"Och, das ist wohl nicht weiter schwer. In der Zeit, in der ich hier in Ankh-Morpork bin, hab ich schon so viele Zauberer in den Kneipen gesehen, da wird es nicht schwer, den richtigen zu finden", erwiderte Hatscha gelassen. "Aber was mich eher interessiert, wer könnte den Gegenstand gestohlen haben?"
Sie stand vom Tisch auf. "Komm", forderte sie ihren Kollegen auf. "Wir gehen einen Zauberer suchen."
Dyn erhob sich ebenfalls. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die Straßen der riesigen und stickenden Stadt.
In der Frostgasse wurden sie beinahe überfallen, aber im letzten Augenblick bemerkten die Verbrecher noch, mit wem sie es zu tun hatten. "Entschuldigt bitte, wir wussten nicht, dass ihr es seid. Wir haben auf jemand anderen gewartet", sagte der Anführer wie irre grinsend und verschwand mit seiner Bande.
Die Wächter schüttelten die Köpfe. Dyn zuckte mit den Schultern. "Diebe!", sagte er verächtlich.
"Wir werden es auch mit welchen zu tun bekommen, erinner dich!", meinte Hatscha nachdenklich. "Moment mal - HAAATSCHIE!"
"Gesundheit", sagte Dyn und reichte ihr ein Taschentuch.
"Und ich dachte, ich wär drüber hinweg!"
"Sei froh, so musst du den Gestank nicht ertragen."
"Doch, muss ich leider schon, der ist so schlimm, da hilft der beste Schnupfen nichts."
Dyn grinste hämisch. Plötzlich blieb er stehen.
"Warum gehst du nicht weiter?"
"Weil ich keine Lust habe, gegen das Tor der Universität zu laufen!"
"Sind wir bei der Universität? Wir wollten doch nur einen Zauberer finden... Okay, das tun wir hier bestimmt, aber man wird uns wohl nicht reinlassen", überlegte Hatscha.
"Dann gehen wir am besten zur Geflickten Trommel oder so."
"Ja, da ist garantiert einer von denen. Der Bibliothekar soll öfters dort sein."
"Der Affe? Ja, den habe ich da schon hin und wieder gesehen", erwiderte Dyn. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er keine guten Erinnerungen an die Gesellschaft des Bibliothekars hatte. Geistesabwesend strich er sich über eine kleine Beule am Kopf.
"Ach, er ist eigentlich ganz nett. Ich glaube, wir können ihn fragen", meinte Hatscha.
"Kann er uns denn antworten?"
"Hm... Bist du gut in Pantomime?"
Dyn schaute sie verwirrt an. "Wieso das?"
"Nun, er antwortet, indem er das, was er sagen will, durch Gesten darstellt", erklärte sie. "Drum wäre es hilfreich, wenn du so etwas gut erraten könntest."
"Hm, ich werde mein Bestes geben."

In der Geflickten Trommel war mal wieder eine Schlägerei auf ihrem Höchstpunkt, was bedeutete, dass schon ein paar Schwerverletzte herumlagen, etwa die Hälfte der Einrichtungsgegenstände zerstört war und nur die Minderheit der Anwesenden, also die zähesten und stärksten mit dem Aufeinandereinschlagen beschäftigt war. Unter ihnen, mit einem halben Tisch in der einen Hand, war der Bibliothekar. Es schien, als würde er die Schlägerei mal wieder für sich entscheiden können. Mit dem Tisch schlug er auf einen Mann ein, der wegzurennen versuchte, was ihm aber nicht gelang, da der Affe ihn am Hemd festhielt.
Die beiden Wächter blieben im Eingang stehen. Vorsichtig näherte sich Hatscha dem Orang-Utan.
"Wir brauchen deine Hilfe", sagte sie. Der Bibliothekar sah sie an - man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass er verdutzt war - und ließ den Mann los. Dieser konnte sein Glück kaum fassen und stolperte aus der Kneipe.
"Ugh?", fragte der Affe und war ein wenig böse auf die Wächter, die ihm seine Schlägerei verdorben hatten.
"Ähm, in der Unsichtbaren Universität wurde etwas gestohlen. Es handelt sich dabei angeblich um einen Gegenstand namens Lapis Sapientum. Kannst du uns sagen... was das ist?"
Der Bibliothekar schüttelte den Kopf und nickte dann.
"Ich glaube, du solltest eher fragen, ob er es uns verraten kann. Sagen kann er es bestimmt nicht", half Dyn der verwirrten Wächterin.
"Oh, ja klar, hast ja recht. Also, kannst du es uns verraten?"
Der Affe machte seltsame Verrenkungen, Hatscha konnte keinen Sinn darin erkennen. Doch Dyn schien Pantomime zu beherrschen.
"Ach, es ist ein Stein?", vermutete er. Der Bibliothekar nickte. "Gut."
Da es keinen besseren Ausdruck gibt, soll hier die Bezeichnung Finger die Gliedmaßen an den Händen des Affen ersetzen. Also, er hielt zwei Finger nah beieinander. Hatscha verstand gar nicht, was er damit ausdrücken will.
"Aha, ein kleiner Stein."
Weit ausgebreitete Arme.
"Und doch groß? Hm, groß nicht, mächtig vielleicht?"
Nicken. An den Hals greifen.
"Tödlich?"
Kopfschütteln und nicken.
"So etwas in der Art also. Hm. Gefährlich?"
Starkes Nicken.
"Also ist es ein kleiner, mächtiger und gefährlicher Stein. Aber was macht ihn so mächtig?"
Wieder Seltsame Gesten. Der Bibliothekar machte Bewegungen, als wische er den Boden.
"Hm, eine Sense? Gut. Wer hat eine Sense... Kommandeur Tod!"
Nicken.
"Der Stein ruft also Tod hervor?"
Kopfschütteln. Der Orang-Utan bewegte die Hände, als würde er jemanden verscheuchen wollen.
"Ach, er verjagt also Tod. Hm, das ist äußerst praktisch."
Hatscha grinste. Ja, es kann wirklich Vorteile haben, wenn Tod mal nicht da ist.
"Also, Tod hat gewissermaßen Angst vor diesem Stein." Dyn strich sich übers Kinn um nachzudenken. "Ein äußerst praktischer Gegenstand, wirklich wahr", fügte er dann mit einem bösen Lächeln hinzu. "Aber wer, außer ein paar Wächtern, die alle nichts von dem Stein wissen, sollte Grund haben, ihn zu stehlen?"
Aufgeregt machte der Affe wieder undefinierbare Bewegungen.
"Achso, ja klar, er kann dann nicht mehr kommen, um die Seelen zu holen, ist ja logisch. Das heißt ja dann, dass man gewissermaßen unsterblich ist", schlussfolgerte Hatscha.
"Das gefällt dem Kommandeur aber bestimmt nicht, wenn er nicht seine Arbeit erledigen kann", meinte Dyn.
"Ugh."

Im Wachhaus war nicht viel los. Doch plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Hatscha und Dyn stürmten herein. Danach hing die Tür schief in den Angeln, was die Wächter mit bedauernden Blicken betrachteten. Zwei machten sich gleich daran, sie wieder einzuhängen.
Die beiden Neuankömmlinge rannten weiter bis zu Venezias Büro. Kurz darauf lag diese Tür ihn Trümmern, als sie ins Zimmer platzten, ohne sich die Arbeit zu machen, sie zu öffnen.
"Oh, was habt ihr gemacht! Könnt ihr nicht vorsichtiger sein?", rief sie empört.
"Tschuldigung", sagten sie leise und scharrten verlegen mit den Füßen am Boden.
Aus dem Versammlungsraum drang leises Gekicher herein, durch keine Tür gehindert.
Die Ausbilderin richtete einen vernichtenden Blick auf die beiden. "Also, was wollt ihr?"
"Ähm, wir haben jetzt herausgefunden, was der Lapis Sapientum ist", sagte Dyn aufgeregt.
Auf einmal sah Venezia ihn interessiert an. Sie saß vollkommen aufrecht da. "So?" Die Tür war vergessen, doch nicht für allzu lange.
"Ähm, also, beim Lapis Sapientum handelt es sich um einen Stein", erklärte Dyn.
"Um einen kleinen Stein", warf Hatscha ein.
"Stimmt. Um einen kleinen Stein. Der sehr mächtig ist."
"Und in was besteht seine Macht?", fragte Venezia über den Tisch gelehnt. Die Erläuterung interessierte sie und machte sie gleichzeitig ein wenig unruhig. Man sollte Zauberer niemals etwas Mächtiges anvertrauen, dachte sie.
"Nun, er verscheucht Tod, sobald er seinen Einsatz hätte...", sagte Dyn mit immer leiser werdender Stimme.
"Dann wird der Besitzer des Steines ja dadurch gewissermaßen unsterblich!", rief die Ausbilderin. Jetzt bereute sie, dass sie die nicht mehr existierende Tür vergessen hatte. Aus dem Gemeinschaftsraum konnte man ein aufgeregtes Gemurmel hören, das immer lauter wurde.
"Aber das könnte gefährlich werden, wenn Tod von seinem Tschob abgehalten wird! Er könnte schlechte Laune bekommen", fügte sie etwas leiser, aber noch genauso erschrocken hinzu. Die beiden Rekruten nickten.
"Ihr solltet unbedingt herausfinden, wer der Dieb ist! Tod kann ganz schön ungemütlich werden, wenn er schlecht gelaunt ist. Ich schicke Obergefreite Lady Steinschlag in die Universität. Sie wird sich den ehemaligen Aufbewahrungsort einmal ansehen und uns dann mitteilen, was sie erfahren hat. Ihr beide werdet den Auftrag weiterhin verfolgen, das werdet ihr garantiert schaffen, es hat schon schlimmeres gegeben", überlegte Venezia und zeigte dann auf die Stelle, wo einst die Tür war und jetzt nur noch Trümm
er lagen. Sie seufzte. "Und holt mir noch einen Handwerker, der die Tür richtet."
Die beiden salutierten und verließen das Büro.

"Aber du kannst hier doch nicht einfach so hereinplatzen und verlangen, dass...", rief eine bekannte Stimme empört.
"Das ich sehr wohl können, Erzkanzler", sagte Obergefreite Steinschlag und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Nun musste sich auch Ridcully eingestehen, dass ein Troll so etwas verlangen konnte.
"Herr, lasst sie doch! Sie will doch nur helfen", meinte eine zaghafte Stimme aus dem Hintergrund, man hätte sie überhören können, wäre es nicht so leise gewesen.
"Hm, du bist doch Herbert Zotter oder so, nicht wahr?", fragte der Erzkanzler verdutzt. Eine dürre, schlaksige und junge Gestalt trat aus der Menge der Zauberer hervor. Ihre Brille funkelte kurz, als sie ins Licht trat. Es war der Albtraum aller Magier, der Feind aller hohen Wesen an der Unsichtbaren Universität. Es war ein Student.
"Ich bin Harald Zottel, Student von unrealistischen, unbekannten und uralten Schriften", erwiderte die Gestalt.
"Achso ja, irgendwas in der Art eben. Seit wann bist du schon hier? Ich kann mich nicht mehr gut daran erinnern, dich aufgenommen zu haben."
"Ähm, das war vor etwa einem halben Jahr, Herr."
"Oh, das liegt aber schon weit zurück. Und du bist immer noch hier? Einer von der zäheren Sorte anscheinend." Mustrum sah ihn geringschätzig an. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder der Wächterin zu. "Also, vielleicht hat der junge Knabe mal Recht. Ich bin einverstanden, du darfst den Aufbewahrungsort aufsuchen. Harald, zeig ihr den Ort und lass dir das recht haben nicht zur Gewohnheit werden!"
"Ach, äh, Herr. Ich kenne den Ort nicht...", warf der Student ein.
"Oh, hm. Na gut. Ich werde es dir verraten." Er flüsterte dem Halbwüchsigen etwas ins Ohr, worauf der bleich wurde.
"Im Flügel für hochen..."
"Psst! Ja, genau da." Flüster.
"Aber es heißt, da ist es gefährlich!"
"Jetzt weißt du auch, warum", meinte der Erzkanzler und schickte ihn los.
Steinschlag bemühte sich, ihm hinterherzukommen. "Du doch mal warten! Warum so eilig?"
"Nun, ich darf es nicht verraten. Aber der Lapis Sapientum ist eben ein gefährlich mächtiger Gegenstand. Deshalb wissen nur sehr wenige, wo er sich befindet, äh, befand."
"Ich sein Wächter! Mir du es ruhig sagen kannst", versicherte sie ihm.
"Hm, ich weiß nicht recht. Es könnte ja doch jemand von euch auf die Idee kommen, den Stein zu ste..." Er wurde durch eine Handbewegung von Seiten Steinschlags zum Verstummen gebracht.
"Okay, du es mir nicht zu sagen brauchst, ich raten einfach. Er sein im Flügel für hochenergetische Magie, nicht wahr?"
"Ja, aber woher weißt du das?"
"Ich nur geraten", sagte die Trollin und grinste, wobei sie etwa halb Ankh-Morpork (also vom Verkaufswert her gesehen) entblößte.
Harald zuckte zusammen. So ein Trollgrinsen kann sehr unangenehm werden. Er ging noch schneller, um die Wächterin so schnell wie nur möglich wieder loszuwerden und seiner Gefahr zu entkommen, die eigentlich gar nicht existierte. Vor Angst nahm er den Hut vom Kopf und umklammerte ihn mit den Fingern, wobei er enormen Belastungen ausgesetzt wurde. Man konnte nun sein zerzaustes, etwas zu lang geratenes schwarzes Haar sehen.

Ein paar Stunden später lag ein Bericht von Steinschlag auf dem Schreibtisch von Venezia, die ja Hauptbeauftragte dieses Falles war.
Sie las sich das Schreiben noch mal durch und dann wieder. Aber sie erkannte immer noch keinen Sinn. Am ehemaligen Aufbewahrungsort des Steines wurde eine zerstörte Tür gefunden. Sie dachte mit Bedauern an ihre eigene, die immer noch nicht gerichtet war. Aber es wurden keine Fußspuren im Staub gefunden, die eigentlich hätten erwartet werden müssen. Und was für sie noch seltsamer war, lag neben ihr auf ihrem Tisch. Ein schwarzer Schlapphut.
"Ein Vampir! Es kann nur ein Vampir gewesen sein, trotz Hut!", rief Venezia aus, ein wenig zu laut, wie sie sogleich merkte, als Rascaal Ohnedurst in ihrem Büro erschien.
"Was war ein Vampir?", fragte er scharf mit stechendem Blick.
Sie zuckte zusammen. "Ich meinte nicht Sie, Hauptmann. Ich meine den Fall." Sie versank fast unter ihrem Schreibtisch.
"Oh, gut. Um was geht es in diesem Fall?"
Sie erklärte es ihm.
"Das ergibt doch keinen Sinn. Was würde einen Vampir dazu bewegen, Unsterblichkeit zu erlangen, wenn er es doch sowieso ist?", meinte der Hauptmann mit ungeschlagener Logik.
Dagegen konnte sie nichts ausrichten und musste ihm zustimmen. "Du hast recht, es macht keinen Sinn. Aber wer soll es sonst gewesen sein?"
"Vielleicht doch ein Vampir, der den Stein für jemand anderes stehlen wollte."
Sie nickte. Ja, wenn man es so sah, ergab es doch einen Sinn. "Aber welcher Vampir? Kennst du einen, der mit Schlapphut durch die Gegend läuft?"
"Nein, tut mir leid. Aber es gibt da so einen Vampir-Club, der trifft sich des Öfteren in einem alten Lagerhaus bei den Schatten. Ich war da früher mal Mitglied, bis es mir zu langweilig wurde. Na ja, ich wünsch euch noch viel Glück bei dem Fall!" Er grinste schadenfroh und ging in Richtung Versammlungsraum. Dabei stolperte er über die Holzreste von der Bürotür. "Verdammt noch mal, wieso hat das noch niemand weggeräumt!", fluchte er aus vollem Herzen, während er sich den Fuß rieb.
Die Eigentümerin des Zimmers tauchte hinter ihrem Tisch wieder auf und konnte sich ein hämisches Lächeln nicht verkneifen. Als die Flüche des Hauptmanns langsam leiser wurden, konzentrierte sie sich wieder auf den Fall.
Sie stand auf und machte vorsorglich einen großen Schritt über die Holzreste. Dann schrie sie in den Raum. "IST DA IRGENDEIN VERDAMMTER (Entschuldigung) VAMPIR?"
Die Wächter sahen sich erstaunt nach ihr um. So schreien haben sie bisher nur wenige gehört und schon gar nicht Venezia. Langsam und verängstigt erhob sich einer aus der Menge und zeigte sich der etwa doppelt so groß aussehenden Vorgesetzten. Der Vampir war leicht als solcher durch die typischen Merkmale zu erkennen.
"Komm zu mir in mein Büro!", sagte Venezia dann mit etwas gedämpfterer Stimme. Doch diese Lautstärke war immer noch ungewöhnlich für einen etwa dreißig Zenitmeter großen Wergnom.
"Ja Sir... äh, Madam!", sagte der Vampir und machte sich daran, ihrem Befehl zu folgen. Er durchschritt den leeren Türrahmen und erblickte den Leutnant bereits hinter ihrem Schreibtisch.
"Ah, gut. Zuerst, wie heißt du, welchen Rang bekleidest du und in welcher Abteilung bist du?"
"Ich heiße Azrael und bin Obergefreiter bei SEALS."
"Ah ja, ich habe schon von dir gehört. Gut. Nun, pass mal auf. Kennst du den Vampir-Club, der sich in der Nähe der Schatten des Öfteren trifft?"
"Nein, Ma'am. Sollte ich?"
"Nein, du musst natürlich nicht. Aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du einmal dorthin gehen würdest, zu einem solchem Treffen. Wir suchen einen Vampir, der mit Schlapphut herumläuft. Kennst du ihn?"
"Nein, tut mir leid. Aber es ist sehr ungewöhnlich für einen Vampir einen Schlapphut zu tragen. Zylinder ja, aber keinen Schlapphut. Also, ich werde herausfinden, wann sich die Gruppe trifft und sie dann mal besuchen. Einverstanden."
"Danke, du bist eine große Hilfe. Du darfst gehen. Und pass auf die Tür auf!", sagte Venezia und deutete auf die Trümmer. Azrael sah es sich verwundert an und salutierte. Dann verließ er, mit mehr Glück und weniger blauen Flecken als Rascaal, das Büro.
Drinnen machte Venezia auf einen Zettel einen kleinen Haken, dann schritt sie, sofern das bei ihrer Größe möglich war, respekteinflößend in Richtung Versammlungsraum und brüllte einen weiteren Befehl, den wegen der unerträglichen Lautstärke niemand verstehen konnte, aber man erzählte sich hinterher, es hätte irgendwas mit Handwerkern zu tun gehabt.

Hatscha al Nasa und Dyn Amit waren auf dem Weg zum Wachhaus, um zu erfahren, was der Leutnant bisher noch in Erfahrung gebracht hat, als ihnen ein schnell laufender Wächter entgegenkam. Kaum haben sie ihn gesehen, schon war er weiter.
"Wer war das?", fragte Hatscha verwundert. "Normalerweise haben sie es doch nicht so eilig, wenn sie nicht gerade von irgendeinem Vorgesetzten angebrüllt wurden."
"Ich glaub, das war Azrael, ein Obergefreiter. Vielleicht ist sein Abteilungsleiter ein wenig ausgerastet", vermutete Dyn mit einem Schulterzucken. Damit war für ihn die Sache erledigt.
Als sie das Gebäude betraten, wurden sie bereits von Venezia erwartet. Sie lotste sie sofort in ihr Büro und sah sie wirklich böse an, als sie die immer noch nicht reparierte Tür passierten. Aber immerhin waren die Trümmer beiseite geräumt worden. Es hatten wohl ein paar arme Wächter dran glauben und die Reste beseitigen müssen.
"Also, ihr beiden. Wir haben mittlerweile herausgefunden, dass der Dieb ein Vampir sein muss, der den Stein für jemanden anderen gestohlen hat. Den Vampir macht gerade Azrael ausfindig. Ihr könnt euch im Moment nur bei den Zauberern umhören und hoffen, dass sie euch verraten, wer alles von dem Stein wusste, bevor er verschwunden ist. Jetzt wissen es ja schon alle Zauberer, so dumm wie sie sind. Also, macht euch an die Arbeit. Ich überlasse euch den Fall jetzt wirklich, ich sammle höchstens noch Hinweise für euch, ihr könnt auch zu mir kommen, wenn ihr etwas braucht. Aber ansonsten verlasse ich mich auf euch! Und ich möchte nicht enttäuscht werden!", beendete sie ihre Rede, wobei sie bereits halb auf ihrem Tisch lag. Nun, man hat es nicht leicht, wenn man so klein ist.
Hatscha und Dyn salutierten und versuchten sich die lange Rede irgendwie einzuprägen, was dazu führte, dass sie nicht ganz bei der Sache waren, als sie das Zimmer verließen. Dyn rannte gegen eine nichtvorhandene Tür und Hatscha versuchte sie anschließend zu öffnen.
Venezia sah sich das Schauspiel an und schüttelte den Kopf. Rekruten!

Azrael hatte inzwischen herausgefunden, wann so ein Treffen stattfand. Für ihn hörte sich dieser Vampir-Club wie eine Selbsthilfegruppe an und er zuckte mit den Schultern. Wen interessiert's?
Er stand vor der Tür des Treffpunkts, seufzte und klopfte an. Ein großer Vampir öffnete. "Wer bist du? Bist du neu?"
"Äh, ja. Mein Name ist Azrael", sagte er leise, von der riesigen Gestalt eingeschüchtert.
"Na, komm rein, unsere Treffen sind für alle Vampire offen!", lud ihn der andere freundlich ein. Azrael kam der Aufforderung nach und sah sich in dem Raum um. Es waren schon einige Vampire da, aber er erkannte kein bekanntes Gesicht, außer...
"Zaddam Boschnigg! Sie hier? Mit Ihnen hätte ich hier nun wirklich nicht gerechnet", rief er erstaunt, als er seinen Kollegen bemerkte.
"Ach, ihr kennt euch? Gut, wenn du von Anfang an schon wen kennst", meinte der Vampir vom Eingang.
Zad versuchte, unter seinem Stuhl zu verschwinden. Es war ihm peinlich, plötzlich so begeistert begrüßt zu werden. Leise murmelte er "Hallo Azrael". Das war alles, was er zur Begrüßung des Wächters übrig hatte.
"Nun, entschuldigt Leute, aber der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin, ist, dass ich diesen Hut hier gefunden habe." Azrael fuchtelte mit dem Hut herum und hätte beinahe einem in der Nähe stehenden Vampir damit erwischt. "'tschuldigung", murmelte er zu diesem. Dann erklärte er weiter. "Ich wollte nur wissen, ob ihr die Person kennt, der dieser Schlapphut gehört. Ich glaube, ich habe schon mal einen Vampir damit herumfliegen gesehen, drum dachte ich, es sei seiner", log er.
Die meisten Anwesenden gaben zu verstehen, dass sie nicht wüssten, von wem er sprach, aber ein etwas zu klein geratener Blutsauger meldete sich leise.
"Ja, ich glaube, der Hut könnte Iphraim Langleben gehören. Ich meine mich erinnern zu können, dass er immer mit so einem Kopfschmuck durch die Gegend lief. Kann gut sein, dass dies seiner ist."
"Hm, danke. Kannst du mir noch sagen, wo ich ihn finde? Er scheint nicht anwesend zu sein", meinte der Wächter.
"Nein, das ist er nicht und das wird er nie sein. Er hält nicht viel von Gesellschaft. Er wohnt in der Zephirstraße Nummer dreizehn, glaub ich. Es ist auf jeden Fall ein großes Haus", erwiderte der Vampir hilfsbereit.
"So? Danke vielmals, Herr ..."
"Nur Alucard, sonst nichts, kein Herr bitte."
In Ordnung. Herzlichen Dank, Alucard", sagte Azrael noch und verließ den Raum.
Er ging sofort zurück zum Wachhaus und erzählte dem Leutnant von seinem ergebnisreichen Treffen.
"Was erzählst du MIR das? Achso, entschuldige, du weißt ja noch nicht, dass ich zwei Rekruten den Fall anvertraut habe. Sie erscheinen mir sehr viel versprechend. Also, sag es ihnen, sie werden dann schon richtig handeln", erklärte Venezia.
"Äh ja, werde ich machen. Ähm, um welche Rekruten handelt es sich?"
"Hm? Ach ja, Hatscha al Nasa und Dyn Amit haben den Fall. Tut mir leid, ich bin mit den Gedanken die ganze Zeit irgendwo anders." Sie seufzte. Als Wächter hat man es nicht leicht, wirklich nicht.
Azrael machte sich auf dem Weg nach draußen. Fast wäre er gegen die Tür gerannt, die jetzt zum Glück wieder repariert war. Eigentlich ein Grund für Venezia, besser gelaunt zu sein, dachte der Wächter.

Hatscha und Dyn hatten währenddessen eine heiße Diskussion mit den Zauberern.
"Aber wenn ihr uns nicht sagt, wer das Versteck kannte, dann können wir keine Verdächtigen aufspüren!", rief Hatscha außer sich. Sie war mit den Nerven langsam am Ende. Wieso mussten Magier so anstrengend sein?
"Nein. Diese Personen möchten garantiert anonym bleiben. Immerhin könnten sie verdächtigt werden", gab der Erzkanzler zu bedenken.
"Herr, das ist doch Schwachsinn, die Wächter wollen wirklich nur helfen", ließ sich Harald Zottel vernehmen. Er wird immer zugegen sein, wenn die Zauberer Streit hatten, hatte er sich vorgenommen.
"Ach, halt du dich da raus. Was weißt du schon?"
"Ich weiß zum Beispiel, dass sich gewisse Personen hier ziemlich dumm verhalten", erwiderte Harald.
"Dem kann ich nur zustimmen. Erzkanzler, du weißt selbst, dass wir alleine den Stein nicht zurückbekommen können. Die einzige Hilfe, die wir erwarten können, ist die der Wache. Wir wollen doch nicht, dass etwas Schlimmes wegen den Stein passiert, oder? Was wird dann aus dem guten Ruf der Universität?", sagte Ponder Stibbons zu Ridcully wie zu einem kleinen Kind. Darauf wusste dieser keine Antwort.
"Okay, ihr habt mich überredet. Ponder, mach den Wächtern eine Liste mit den Namen der Zauberer, die das Versteck kannten."
"Ähm, Herr, ich kenne die Namen dieser Leute nicht. Ich wusste es ja nicht einmal selbst", gab der junge Magier zu bedenken.
"Oh, wirklich nicht? Tja, also, was machen wir denn da?", fragte das Oberhaupt etwas aus der Fassung gebracht.
"Vielleicht gibst du uns die Liste selbst, Erzkanzler", schlug Dyn vor. Ridcully ließ sich den Gedanken auf der Zunge zergehen, wendete ihn hin und her, bis er ihn ausgekostet hatte.
"Nein, ich als Erzkanzler kann doch nicht so etwas machen! Am besten wendet ihr euch an den Bibliothekar, der weiß das bestimmt." Er lächelte schadenfroh, denn er wusste, dass die wenigsten Leute gut mit dem Orang-Utan zurechtkamen.
Dyn lief kalkweiß vor Schreck an. Doch Hatscha tippte ihm auf die Schulter und erinnerte ihn an das heitere Wörterraten, dass er unbeschädigt überlebt hatte. Darauf bekam der Wächter wieder ein wenig Farbe ins Gesicht.
"Du hast ja Recht", meinte er. Hatscha grinste nur breit.
Sie machten sich also auf den Weg in die Bibliothek, wo sie den Affen erwarteten. Der war dort auch, allerdings schlief er.
"Können wir ihn wecken?", fragte Dyn ängstlich.
"Wenn du lebensmüde bist, ja", erwiderte Hatscha leise. Sie kannte den Bibliothekar schon recht gut, um seine Wutausbrüche wenigstens einigermaßen voraussehen zu können. Dazu gehörte allerdings nicht viel, denn die kamen immer dann, wenn man ihn beleidigte oder störte.
Sie verließen also den riesigen Raum voller Bücher, hinterließen aber einen Zettel, auf dem stand:

Mälde dich bite so schnel wi mögliech
Bei der Wahche. Wier brauchen dich!
W Hatscha und W Dyn Amit

"Meinst du, er kommt dann auch?", fragte Dyn.
"Nun, wie ich ihn kenne, denke ich schon, dass er kommt."
Dyn ließ die Schultern hängen. Und er hatte doch so gehofft...

Kurz vor dem Wachhaus begegneten sie einmal mehr Azrael.
"Hey, seid ihr Hatscha und Dyn?", fragte er.
"Ja, zufälliger weise schon", erwiderte Hatscha verwirrt.
"Nun, ich hab eine Nachricht für euch. Der Vampir, der höchstwahrscheinlich den Stein gestohlen hat, heißt Iphraim Langeleben und wohnt in der Zephirstraße."
"Iphraim? Das ist aber ein seltsamer Name für einen Vampir", meinte Dyn verwundert.
"Ja, das habe ich mir auch schon gedacht. Nun ja, er soll recht zurückgezogen sein, habe ich gehört. Viel Glück noch mit dem Fall!", sagte Azrael noch, drückte ihnen den Hut in die Hand und wollte verschwinden.
"Warte mal kurz! Da ist etwas, was ich doch noch gerne wissen wollte. Wieso bist du, als wir zum Wachhaus wollten, so schnell gerannt?"
Azrael lachte. "Nun, habt ihr Leutnant Venezia jemals zornig erlebt?"
"Nein, bisher noch nicht."
"Nun, ich bisher auch nicht, doch da war sie es. Nun, seid froh, dass ihr nicht da wart, das ganze Wachhaus hat gebebt!"
"Wirklich?", sagte Dyn ungläubig mit einem Grinsen. Er stellte sich das gerade vor, eine knallrot angelaufene Venezia, die zornig herumschreit. Anscheinend hatte Hatscha dieselben Gedanken, denn sie brach gleichzeitig mit ihm in einen Lachanfall aus, bei dem auch Azrael mitlachte.
Immer noch lachend betraten die drei dann das Wachhaus. Die anderen Wächter sahen sie verwirrt an und schüttelten die Köpfe.
Azrael verabschiedete sich von den beiden anderen und machte sich an andere Aufgaben. Hatscha und Dyn setzten sich an einen freien Tisch und überlegten.
"Am Besten, einer von uns geht zu Iphraim - ein wirklich dämlicher Name für einen Vampir - und der andere bleibt hier und wartet auf den Bibliothekar", überlegte Hatscha.
"Geh du zu dem Vampir. Ich warte lieber. Ich glaube nicht, dass er mir hier etwas antun wird. Aber mit Vampiren komm ich leider nicht so gut zurecht."
"Okay, dann geh ich gleich. Wir sehen uns dann." Hatscha stand auf und verließ das Wachhaus auch gleich wieder.

Die Nummer dreizehn der Zephirstraße war tatsächlich ein großes Haus, es sah aus wie das eines Adligen. Nun, Vampire sind meistens schon recht alt und hatten damit wohl genug Zeit, um Geld zu sparen.
Langsam trat Hatscha an die große Tür heran. Sie war schwarz. Irgendwie erinnerte sie das gesamte Gebäude an Kommandeur Tod, denn es war genauso schwarz wie sein Büro.
Sie betätigte den Türklopfer und war auf das Schlimmste gefasst. Das einzige, was jedoch geschah, war, dass sich die Tür langsam mit einem Knarren öffnete und eine seltsame Gestalt erschien.
"Sie wünschen?"
"Ähm, sind Sie ein Igor?", fragte Hatscha statt eine Antwort zu geben. Sie war total verwirrt.
"Ja, ich bin Igor. Woher wussten Sie meinen Namen? Ach, wahrscheinlich hat ihn Ihnen Igor verraten, also nicht Igor, sondern Igor, du weißt ja, wen ich meine", meinte Igor. Das wusste Hatscha allerdings nicht, aber sie hatte schon davon gehört, wie die Igors sind.
"Also, ich wollte gerne den Hausherrn sprechen, einen gewissen Herrn..." Sie sah auf einen kleinen Zettel, den sie sich geschrieben hatte. "Ach ja, einen Herrn Iphraim Langeleben. Ist er zugegen?"
"Ja, einen Moment. Weiß er, dass Sie kommen?"
"Nein, ich bin unangemeldet."
Igor verschwand wieder im Gebäude. Hatscha betrachte inzwischen die Tür. Sie war kunstvoll mit Bildern verzieht, die alle irgendetwas mit töten und ermorden zu tun hatten. Sie schauderte. Ja, ein solches Wesen konnte tatsächlich zu einem solchen Verbrechen fähig sein.
Igor erschien wieder in Begleitung einer großen Gestalt, bei der es sich um Iphraim handelte. Der Name passte einfach zu der Person.
"Sie wünschen?", fragte der Vampir mit langsamer, gedehnter, nörglerischen Stimme. Hatscha hielt ihm den Schlapphut unter die Nase.
"Ich habe gehört, dass der Ihnen gehört", sagte sie.
"Ja, das ist meiner! Woher hast du den?"
"Den hab ich gefunden."
"Wo war er?"
"Das ist gerade nicht so wichtig. Kann ich noch mal kurz mit Igor alleine sprechen?"
"Ja, natürlich, aber was willst du von ihm?"
"Ach, nur noch ein wenig plaudern. Er ist ein guter Gesprächspartner."
Der Vampir zog sich zurück in seine Wohnung und Igor erschien wieder.
"Was willst du noch?", fragte er.
"Wie weit vertraust du deinem Herrn?", fragte Hatscha misstrauisch. Sie hatte etwas vor.
"Nun, ich vertraue ihm soweit, wie jeder andere Diener es auch tun würde", erwiderte er.
"Was würdest du davon halten, wenn ich dir sagen würde, dass dein Herr einen gefährlichen Gegenstand gestohlen hat und er damit alle in Gefahr bringen kann?"
Igor schien zu erbleichen, was man eigentlich nur schwer erkennen konnte bei ihm.
"Er soll etwas gestohlen haben? Mein Herr? Niemals!"
"Doch, den sogenannten Lapis Sapientum. Ein mächtiger Stein, die Person, die ihn besitzt, vor dem Tod verschont, indem er Tod Angst einjagt." Sie sah Igor in seine Augen, die zwar ursprünglich höchstwahrscheinlich nicht von ihm stammten, aber im Moment waren es seine.
"Aber was sollte er damit anfangen?"
"Ihn jemanden anderen geben?"
"Ja, das wäre möglich, aber ich glaube das nicht!", rief der Diener erschüttert.
"Überzeug dich selbst. Hol ihn noch mal kurz her und ich werde dir beweisen, dass er es getan hat", erklärte Hatscha in bedauernden Tonfall.
Igor befolgte ihre Anweisungen und der Vampir erschien fluchend wieder.
"Was willst du denn noch? Ich dachte, du hättest gesagt, was du sagen wolltest!", rief er empört und genervt. Er klang auch ein wenig nervös.
"Nun, ich wollte dir jetzt doch noch sagen, wo ich den Hut gefunden habe. In der Unsichtbaren Universität! Was hältst du davon? Er lag genau vor einer zertrümmerten Tür, hinter der sich ein wertvoller Gegenstand befand, der Lapis Sapientum. Und der ist jetzt nicht mehr dort!" Hatscha sah ihn böse an.
Mit an Lichtgeschwindigkeit grenzender Schnelligkeit fasste Iphraim an seinen Rücken und hielt etwa eine Millisekunde später eine Armbrust in der Hand. Sie war geladen. Er richtete sie direkt auf die Wächterin.
Igor erwies sich als äußerst geistesgegenwärtig, wie er sich gegen den Arm des Vampirs warf, als dieser abdrücken wollte. So traf der Pfeil nicht Hatscha, sondern bedauerlicher Weise den Diener.
Schnell sprang die Wächterin auf den Vampir zu und entriss ihm die Waffe. Iphraim nutzte die Gelegenheit und flüchtete.
Die Wächterin wusste, dass sie nicht mit ihm mithalten konnte, also kümmerte sie sich erst einmal um Igor. Der Pfeil ist in den Kopf geflogen, aber zum Glück nicht tief.
"Wie geht es dir?", fragte sie.
"Nicht sehr gut. Mein Gehirn ist zum Teil ein wenig geschädigt. Geh zu Igor, der bei Lady Venturii arbeitet, der hat, glaub ich, Gehirne auf Lager. Und schnapp dir meinen Herrn!", ächzte der Verwundete.
Hatscha befolgte den Rat und machte sich auf den Weg zu der Adligen.
Kurz darauf klopfte sie schon an die Tür des Hauses der Venturiis. Ein großer Mann, der etwas seltsam aussah, öffnete.
Hatscha sah zu der Gestalt ihr gegenüber. "Bist du Igor?"
"Nein, ich bin Igor", erwiderte Igor. "Also, nicht Igor, sondern Igor, du verstehst?"
"Oh, ja natürlich, Igor... Ich kannte mal einen Igor in meiner Heimat, doch der ist dann umgezogen, weil es zu heiß war und seine Gliedmaßen so schnell verdarben."
"Ja, das ist tatsächlich ein Problem in heißen Ländern."
"Ich wollte fragen, ob du ein Gehirn übrig hast, Igor, also nicht Igor, sondern Igor, bräuchte eins", erklärte Hatscha.
"Oh, ja natürlich, hab ich. Moment." Er kramte in einer Tasche herum und holte ein tiefschwarzes Glas heraus. "Hm, das müsste das Gehirn sein." Er nahm den Deckel des Einmachglases ab. Daraufhin erschien ein kleiner Dämon, der einen Zettel in der Hand hielt und etwas vorlas. "Guten Tag, ich bin der automatische Antwortdämon von Igors Gehirn, nein, nicht Igor, Igor meinte ich. Also, sein Gehirn ist im Moment nicht erreichbar, wenn Sie ihm jedoch eine wichtige Nachricht hinterlassen möchten, dann sprechen sie bitte nach dem Piepston. Piiiieeeep!", sagte die kleine Gestalt.
Verwirrt starrte Hatscha den Dämon an.
"Na, was ist jetzt, wollt ihr nun was von Igors Gehirn?", fragte er.
"Hm, sag ihm, es soll sich, sobald es wieder da ist, bei mir melden", meinte Igor.
Der Antwortdämon verschwand wieder in dem Einmachglas.
"Hm, das ist dümmlich, dass ich das ja schon vergeben hatte. Die sind in letzter Zeit sehr gefragt, die Dinger. Ich glaube aber, ich habe noch eins." Er kramte in einer anderen Tasche und holte ein weiteres schwarzes Glas hervor.
"Ja, da müsste was drin sein, das ist schwerer." Er schraubte den Deckel ab und nickte. "Ja, sogar eins der besten Sorte! Da kann sich Igor freuen. Ich komm gleich mit, um es ihm einzusetzen. Er wird es nicht mehr lange ohne es schaffen, befürchte ich", meinte Igor.
Hatscha nickte und führte ihn zu dem anderen Igor. Der Gesunde machte sich sogleich an die Versorgung des Verwundeten. Die Wächterin verließ die beiden und ging zum Wachhaus.

Die Tür des Wachhauses schwang auf und etwas, das einem Kartoffelsack sehr ähnlich sah, bewegte sich in das Innere des Gebäudes.
"Ugh?", machte das Wesen, allem Anschein nach der Bibliothekar.
Dyn sah auf. "Ah, gut, dass du gekommen bist. Ich brauche etwas von dir." Er richtete sich auf und ging auf den Affen zu.
"Ugh?"
"Na ja, der Erzkanzler meint, dass du mir eine Liste der Zauberer geben kannst, die den Aufbewahrungsort des Lapis Sapientum kennen."
"Ugh", sagte der Bibliothekar und machte eine seltsame Geste. Was noch seltsamer war, Dyn verstand sie.
"Nein, ich meine nicht den jetzigen Ort, sondern den ehemaligen. Den jetzigen kennt wohl nur der Dieb, beziehungsweise der momentane Besitzer des Steins. Ich brauche nur die Namen derjenigen, die wussten, wo der Stein war, verstanden?" Dyn sah den Orang-Utan zweifelnd an. Doch dieser nickte und verließ das Wachhaus. Dyn versuchte ihm hinterher zu kommen, doch das kartoffelsackähnliche Wesen war ganz schön schnell. Der Wächter wusste aber zum Glück, wohin er auf dem Weg war und ging einfach zur Unsichtbare
n Universität.
Am Eingang erwartete der Affe ihn schon. Ungeduldig betrat er das Gebäude und ging zur Bibliothek, Dyn im Schlepptau. Dort wühlte er auf seinem Schreibtisch in den Papieren, wobei er des Öfteren "Ugh!" sagte, was sich sehr nach irgendwelchen Flüchen anhörte.
Aber wie fluchten Affen?, überlegte Dyn. Vielleicht bei der grünen Banane oder so, vielleicht auch bei der verschimmelten. Er zuckte mit den Schultern. War ja auch nicht wichtig. Er würde ihn mal irgendwann fragen, beschloss er.
Schließlich holte der Orang-Utan einen vergilbten Zettel hervor, auf dem einige Namen standen, wie Dyn unschwer erkennen konnte. Bei nichts machten die Leute so viele Schreibfehler wie bei Namen. Er hatte sogar schon einmal erlebt, dass man ihn Dünn geschrieben hat. Nun ja.
Die meisten Namen kannte er nicht, auch nicht in ähnlicher Schreibweise. Zauberer legten anscheinend keinen allzu großen Wert darauf, bekannt zu sein.
Viele Namen waren auch durchgestrichen, hauptsächlich solche, die der Wächter nicht kannte. Andere schienen noch recht frisch zu sein. Sehr weit oben auf der Liste waren fast alle durchgestrichen bis auf einen.
"Seit wann existiert die Liste schon?", fragte er besorgt.
Irgendwie gab der Bibliothekar zu verstehen, dass sie schon so lange existiert, wie der Lapis Sapientum in der Universität versteckt ist.
"Dann sind die Durchgestrichenen verstorbene Zauberer. Aber wieso ist der eine nicht herausgestrichen?" Er deutete auf den Namen. Er war in einer seltsamen Schrift geschrieben, die Dyn nicht kannte.
"Ugh." Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Ein beeindruckendes Schauspiel, wenn man es sehen kann.
"Nun, ich hoffe jetzt einfach, dass es in der Wache jemanden gibt, der sich mit fremden Schriften auskennt", meinte Dyn. Aber er sah nicht sehr zuversichtlich aus.
Der Bibliothekar schenkte ihm einen bedauernden Blick und schob ihn dann aus seiner Heimat. Im Flur vor dem Bücherraum stand Dyn erst einmal etwas ratlos. Dann entschloss er, zur Wache zurückzukehren. Unterwegs begegnete er einer bekannten Gestalt.
"Hey, bist du nicht Herold Pottel oder so?", fragte er die Person.
"Nun ja, so ähnlich, ich bin Harald Zottel, Student für unrealistische, unbekannte und uralte Schriften. Kann ich irgendwie helfen?" Er sah schüchtern zu dem Wächter auf. Dyn fiel sofort ein langer Stock auf, den der Zauberer in der Hand hielt.
"Ist das ein Besen?"
"Ja, Sir. Ich lerne nebenbei das Fliegen."
"Ich dachte immer, nur Hexen benutzen Besen als Fluggerät", murmelte er.
"Nun, mit was sollen Zauberer denn sonst fliegen? Auf einem Wischmob vielleicht?"
"Wäre auch mal was neues..."
Harald sah ihn böse an. "Also, kann ich Ihnen helfen?"
"Achso, ja, also ich hätte hier einen Zettel, auf dem eine mir unbekannte Schrift steht. Kannst du damit etwas anfangen?" Er reichte Harald die Namensliste.
"Hm, nun, welche Schrift wollen Sie entziffert haben?", fragte der Student wissenschaftlich.
"Hauptsächlich die obere. Der Name, der nicht durchgestrichen ist, erscheint mir interessant."
"Hm, das ist eine der ältesten Schriften Ankh-Morporks. Schwer zu entziffern, schon sehr verblasst. Aber ich glaube, da steht etwas wie ,Ifrain Lahngelebänn'. Kann das sein?"
Dyn erblasste. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. "Ja, das könnte zutreffen. Herzlichen Dank noch", sagte er im Weggehen. Er hatte es plötzlich sehr eilig.

Ich hoffe, Dyn bringt gute Neuigkeiten mit, dachte Hatscha, als die Tür aufschwang. Dyn platzte in den Raum und ließ seinen Blick über die Wächter streifen, bis er sie erblickte. Er hastete zu ihrem Platz und ließ sich erschöpft nieder.
"Was ist?", fragte Hatscha.
"Der Vampir, den du besucht hast, war einmal Zauberer an der Universität!", keuchte er. "Er wusste, wo der Stein versteckt war."
Hatscha nickte langsam und nachdenklich. Genau das hatte sie befürchtet. "Und wie können wir jetzt erfahren, wer den Stein hat?"
"Abwarten. Vielleicht kann Tod uns helfen."
"Ich würde ihn nicht fragen. Wer weiß, wie er dann reagiert?"
"Du hast recht. Aber wer kann es sonst sein?"
Hatscha sah ihn an. "Ich habe einen Verdacht. Aber ich habe leider keine Beweise. Ich werde mal mit meinem Verdacht reden." Sie war plötzlich sehr ernst. Dann: "Vorsicht! HAAAAATSCHIIEE!!"
Dyn wich ihr gerade noch rechtzeitig aus. Dann reichte er ihr ein Taschentuch. "Gesundheit. Okay, rede du mit deinem Verdacht, ich werde in der Zwischenzeit mal den Fall überdenken, vielleicht komme ich auch zu einem Schluss."
Sie verabschiedeten sich voneinander und Hatscha verließ zum wievielten Mal an diesem Tag das Wachhaus. Wieso ging sie überhaupt noch hinein, wenn ihre Aufenthaltszeit im Durchschnitt höchstens eine viertel Stunde betrug?, überlegte sie. Sie verzog das Gesicht.

Es klopfte an der Tür von Iphraim. Igor, der die Gehirntransplantation gut überstanden hatte, öffnete.
"Ja?", fragte er. Draußen stand eine dürre Gestalt mit zerzaustem Haar unter einem spitzen Hut.
"Ist dein Herr hier?"
"Ich glaube schon, Moment."
Der Vampir war tatsächlich zurückgekehrt. Seltsam, aber war. Er erschien kurz darauf, als er sich überzeugt hatte, dass draußen kein Wächter wartete.
"Wer bist du? Kenn ich dich nicht irgendwoher?", fragte er misstrauisch.
"Ich bin Harald Zottel, Zaubererlehrling an der Unsi..."
"Jaja, den Rest kenne ich", schnitt er ihm das Wort ab. Er sah ihn böse und erschrocken an.
"Ich habe vor ein paar Tagen zufällig jemanden beobachtet, der sehr alt erschien und den Stein gestohlen hat! Und ich bin mir sicher, das warst du!", rief der Student aufgeregt.
"Ja, auf diesen Schluss bin ich mittlerweile auch gekommen. Du, Iphraim, hast den Stein gestohlen, oder besser gesagt, ihn dir mitgenommen, damit er besser wirken kann", erklang plötzlich eine Stimme hinter Harald. Er drehte sich erschrocken um und erblickte eine junge Wächterin mit Armbrust in der Hand. Sie zielte auf Iphraim.
"Gib den Stein her!", befahl sie.
"Du kannst mich nicht töten, ich bin ein Vampir!", erwiderte dieser, allerdings etwas verunsichert.
"Du bist genauso ein Vampir wie ich. Du lebst nur wegen des Lapis Sapientum schon so lange. Und er war immer so in der Universität versteckt, dass du gut herankommen konntest. Aber als vor kurzem der Hausmeister oder irgendein anderes Putzwesen mal das Türschloss ausgewechselt hat, wusstest du nicht mehr, wie du an den Stein herankommen solltest und hast ihn dir einfach genommen. Als Zauberer hattest du die Möglichkeit, hineinzugelangen, ohne Spuren zu hinterlassen. Und nun, ich bitte um den Stein", beendete Hatscha ihre Rede.
"Wie... wie hast du das herausgefunden?"
"Hab ich dir doch gerade erklärt", meinte Hatscha triumphierend. "Also, den Stein."
"Den hab ich nicht hier."
"Oh mist. Natürlich schleppst du den nicht die ganze zeit mit dir rum, ist ja logisch. Hm, Harald, lass ihn ja nicht aus den Augen!" Sie reichte ihm die Armbrust, die er mit zitternden Händen entgegen nahm.
Hatscha sah sich hastig um und rannte in Richtung Wachhaus. Unterwegs traf sie auf Dyn. "Hol schnell noch ein paar andere, aber beeil dich! Sie sollen so schnell wie möglich um das Haus von Iphraim Stellung aufnehmen!", rief sie ihm entgegen. Er nickte und machte kehrt.
Erleichtert rannte Hatscha zurück, um Harald wieder von seiner Last zu befreien. Als sie ankam, erblickte sie einen zitternden Harald, der versuchte, mit der Armbrust möglichst ruhig auf Iphraim zu zielen. Es gelang ihm nicht.
"Gib wieder her", meinte Hatscha ruhig. Dann richtete sie ihren Blick auf den Bedrohten. Er zitterte etwa genauso sehr wie Harald. Sie konnte das gar nicht verstehen, bis sie einen Hund, oder, was wahrscheinlicher war, einen Wolf sah, der mit gefletschten Zähnen zwischen den beiden Verängstigten saß.
Hatscha grinste. Irgendein Werwolfs-Wächter war ihr wohl unvorhergesehen zur Hilfe gekommen.
"Danke, ich weiß zwar gerade nicht, wer du bist, aber ich bin dir trotzdem dankbar."
Der Werwolf (oder die Werwölfin, je nachdem) klappte kurz die Kiefer wieder zusammen, um sie dann in Richtung Iphraim wieder auseinander zu reißen, um ihn noch einmal zusammenzucken zu lassen. Es schien, als würde der Wolf lächeln, oder hämisch grinsen.
Hatscha wartete noch genau drei Minuten, als ein verschwitzter Dyn Amit dahergelaufen kam.
"Erledigt", keuchte er. Sie nickte.
"Iphraim, geh und hol den Stein, aber etwas plötzlich!"
Ein Hoffnungsschimmer blitzte in seinen Augen, den Hatscha am liebsten gleich zunichte gemacht hätte, doch sie riss sich zusammen. Diese Überraschung musste sie dem Ex-Zauberer einfach erleben lassen.
Er ging ins Haus und kehrte nicht zurück. Auch als Hatscha nach ihm rief, blieb er verschwunden.
"Wieso hast du ihn laufen lassen?", fragte Dyn verwundert. Er verstand seine Kollegin überhaupt nicht mehr.
Diese grinste einmal mehr. "Ich habe doch das Haus umstellen lassen...", gab sie zu bedenken.
Ein Licht ging in dem Rekruten auf, als er ihren Plan durchschaut hatte. "Ich bin mal gespannt, welcher Wächter ihn zu fassen bekommt", meinte er zynisch.
"Kkkk... kköönn...könnt ii... ihr ddd.... das Ttt... Tier ddd... da wegholen?", stotterte eine Stimme verängstigt. Die Wächter drehten sich um und erblickten einen käseweißen Harald Zottel.
"Oh, macht er dir solche angst?", fragte Hatscha mitfühlend. Sie war von der Wirkung des Anblicks eines Werwolfes doch immer wieder erstaunt.
Der Student nickte langsam. Um ihn nicht länger nervös zu machen, verschwand das angsteinflössende Geschöpf in der Gasse. Harald beruhigte sich wieder.
Kurz darauf erschien Lupos Drachenflug bei der kleinen Ansammlung.
"Herzlichen Dank für deine Hilfe nochmals", meinte Hatscha zu ihm.
Er grinste nur breit. "Wo ich noch bei keiner Abteilung bin, hab ich mir gedacht, ich könnte euch einfach mal helfen."
Von einer Nebengasse drangen folgende Geräusche an die Ohren der hier versammelten Wächter.
"Hey, was willst du von mir? Ich habe dir gar nichts getan! Halt, lass mich los!"
"NA, WILLST DU WOHL STILLHALTEN! ICH HABE DICH FESTGENOMMEN, VERSTEHST DU DAS DENN NICHT? DU BIST VERHAFTET, AUS MIT DEM VERBRECHEN!"
Letzteres war unverkennlich die Stimme von Kommandeur Tod.
"Jetzt geht's dem armen Iphraim doch noch an den Kragen", sagte Hatscha sarkastisch. Die anderen fingen zu lachen an und sie stimmte mit ein.
"Im wahrsten Sinne des Wortes", meinte Dyn.

"Hier ist er", sagte der Wächter vor Venezias Schreibtisch und hielt ihr einen kleinen Stein hin. "Wir hatten Glück, dass wir ihn gefunden haben, denn er war gut versteckt."
"Jaja, gut so. Leg ihn auf den Tisch irgendwohin, wo du Platz findest. Ich kümmere mich dann drum. Danke für deine Hilfe", meinte der Leutnant, ohne auch nur das geringste Bisschen aufzusehen.
Gekränkt befolgte der Wächter die Aufforderung und verließ das Zimmer. Am liebsten hätte er die Tür wieder in Trümmer gelegt, aber er riss sich gerade noch rechtzeitig zusammen.
Kurz darauf wurde sie wieder geöffnet und Hatscha und Dyn traten ein.
"Sie haben uns gerufen?", fragte Dyn. Venezia nickte.
"Ihr habt in dem Fall gute Arbeit geleistet, ich bin stolz auf euch. Ich hätte jetzt aber noch eine Aufgabe für euch." Sie zeigte auf den Stein. "Ich wäre euch sehr dankbar, wenn wenigstens einer von euch den Lapis Sapientum zerstören könnte. Er ist einfach nicht für diese Welt geschaffen. Vernichtet ihn!" Die letzten Worte hatte sie recht laut gesagt und die Rekruten zuckten zusammen.
"Ja, Ma'am, wir werden uns darum kümmern!", erwiderte Hatscha, die sich schneller wieder gefasst hatte als Dyn. Sie nahm den Stein an sich und salutierte. Ihr Kollege tat es ihr nach. Gemeinsam verließen sie das Zimmer.
"Wenn du willst, mache ich es alleine", meinte Hatscha, die erkannt hatte, dass Dyn aus irgendeinem Grund den Stein nicht mochte. Lag vielleicht daran, dass er durch ihn mehr oder weniger Friede mit dem Bibliothekar hat schließen müssen. Er nickte nur.

Die Alchimisten standen ratlos vor dem Stein. "Aus was besteht er, weißt du das?", fragte einer von ihnen.
Hatscha, die ihnen den Lapis Sapientum gebracht hatte, schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Ahnung. Aber ihr werdet schon einen Weg finden, das gute Stück zu zerstören."
Verzweifelt sahen die Gildenmitglieder sie an. Sie waren weniger zuversichtlich wegen dem Stein. Jede Säure, die sie bisher versucht hatten, hatte der Stein unbeschadet überstanden.
"Naja, ich lasse euch jetzt damit allein", sagte Hatscha noch und verließ das Gildenhaus.
Als sie draußen war, schaffte sie es gerade noch, sich hinter ein in der Nähe stehendes Fass - so was steht in Städten immer in den Straßen herum - zu retten, als das Gebäude einmal mehr explodierte.
Jubelschreie drangen heraus, weil die Alchimisten es endlich geschafft hatten, den Stein zu zerstören. Eine kleine Lache aus flüssigem Gestein bildete die Überreste des Lapis Sapientum.



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