Die Nacht der Geister

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von Korporal Irina Lanfear (RUM)
Online seit 03. 11. 2001
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Um Rina zu erschrecken, muss schon einiges passieren. Doch ausgerechnet an ihrem Geburtstag hat die Wächterin ein unheimliches Erlebnis der etwas anderen Art, welches ihr noch längere Zeit Alpträume bescheren wird!

Dafür vergebene Note: 13

Das Licht des Mondes fiel silbern schimmernd auf die Stadt Ankh Morpork und täuschte gnädig die Sinne. Haufen von Unrat und verdreckte Strassen sahen nicht mehr ganz so abstoßend aus und selbst der Ankh wirkte wie ein breites Band aus erstarrtem Silber, dass sich durch die Stadt schlängelte.

Rina wanderte durch die Strassen und genoss diese wunderschöne Nacht. Sie hatte schon lange keinen sternenübersäten Himmel mehr gesehen, da meistens eine dicke Nebelschicht über Ankh Morpork lag, die die Sicht versperrte. Doch heute, gerade rechtzeitig zu ihrem Geburtstag, riss der Nebel auf und erlaubte einen Blick auf den einzigartigen Nachthimmel.
Beim Gedanken an ihren Geburtstag seufzte die Wächterin. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass ihr zumindest Eca gratulierte. Doch selbst ihre beste Freundin schien vergessen zu haben, dass sie wieder einmal ein Jahr älter wurde. Stattdessen hatte Rina von Angie die unmissverständliche Aufforderung erhalten, bei der heutigen Beförderungs-Feier im "Eimer" anwesend zu sein. Die Wächterin seufzte erneut. Sie fühlte sich im "Eimer" absolut unwohl und bevorzugte lieber die ruhige Abgeschiedenheit der "Bahre", wo sie so sein konnte, wie sie wollte und sich keine Gedanken darüber machen musste, ob sie gerade Wächterin oder Diebin war. In Gedanken versunken spazierte sie weiter durch die Strassen,
bis sie ein schriller Schrei aus ihren Grübelein riss.
Rinas Wächterinstinkte reagierten ganz automatisch. Bevor sich der Korporal noch anders entscheiden konnte, waren ihre Füße schon unterwegs zu dem Tatort, um Hilfe zu leisten.

Bereits von weitem sah sie eine Frau, die am Boden lag und den rechten Arm wie zum Schutz erhoben hatte. Vor der Frau stand ein großer Mann, der eine Axt in seinen Händen hielt und gerade zum Schlag ausholte. Rina überlegte nicht lange. Dies war sicherlich kein lizenzierter Diebstahl, ein lizenzierter Mord fiel wegen der Waffenwahl auch aus und eine Quittung war nun wirklich nirgendwo zu sehen. Die Wächterin zog noch im Laufen eines ihrer Messer, schleuderte es dem Mann entgegen und hoffte auf einen Treffer.
Sie hatte Glück. Ihr Messer traf den Angreifer in der Schulter, woraufhin er die Axt fallen ließ und voller Schmerz aufschrie. Dann drehte er sich um, sah eine schwarzgekleidete Gestalt, die ein neues Messer in der Hand hielt und tat, was in dieser Situation wohl fast jeder Unbewaffnete getan hätte: Er rannte davon.

Rina lief zu der am Boden liegenden Frau und fragte: "Äh...Madame.. Ist alles in Ordnung?"
Die Frau starrte sie angsterfüllt an und fragte: "Wer sind sie? Ich....Ich habe kaum Wertsachen bei mir. Das müssen sie mir glauben!"
In diesem Moment wurde der Wächterin bewusst, dass sie heute Abend nicht ihre Dienstkleidung trug, sondern, ganz automatisch, ihre Freizeitkleidung vor dem Verlassen des Hauses angelegt hatte. Sie errötete leicht, weil sie sich schon jetzt vorstellen konnte, wie sie alle anstarrten, wenn sie später in den "Eimer" kam und erklärte :"Entschuldigung, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Korporal Irina Lanfear, von der Stadtwache Ankh Morpork. Wer war der Mann, der sie eben attackiert hat?"
Die Frau atmete erleichtert auf und erklärte: "Das war mein Ex-Verlobter Cyrus. Er kann nicht verkraften, dass ich mich in jemand anderen verliebt habe. Danke, dass sie eingegriffen haben. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre. Darf ich sie um einen Gefallen bitten?"
Rina nickte und erwiderte: "Es ist mir ein Vergnügen, ihnen zu helfen. Worum geht es denn?"
Die Frau seufzte und fragte: "Könnten sie mich bitte noch bis nach Hause begleiten? Ich habe Angst, wenn ich daran denke, dass er mir nochmals auflauern könnte. Bitte!"
Die Wächterin betrachtete die Kleidung der Frau und überlegte kurz. Weißer Spitzenkragen, jede Menge Rüschen und gebauschte Unterröcke waren bereits seit einigen Jahren aus der Mode gekommen. Dass dazu passende, bleiche Gesicht mit den blonden Haaren, die scheinbar mit einem heißen Lockenstab bearbeitet worden waren und sich überall kringelten, trug auch nicht unbedingt zur Unauffälligkeit der Frau bei. Es war zwar relativ unwahrscheinlich, dass der Ex-Verlobte einen erneuten Angriff wagen würde, aber andererseits wusste Rina nicht, welche "Arbeitskollegen" heute Nacht noch unterwegs waren und auf einen schnellen Raub spekulierten. Insofern war es mehr oder weniger ihre Pflicht als Wächterin, die Frau sicher nach Hause zu bringen.
In Gedanken sich bei Angie für die Verspätung bereits jetzt entschuldigend, erklärte sie daher: "Das mach ich doch gerne."

Während die Wächterin die Frau durch die nächtlichen Strassen Ankh Morporks begleitete, wurde es wieder nebliger. Rina fluchte lautlos über ihren ach so tollen Geburtstag. Zuerst hatte jeder auf sie vergessen, dann musste sie eine Frau in der Dunkelheit nach Hause eskortieren und später durfte sie auch noch einer vermutlich äußerst wütenden Angie erklären, warum sie erstens um einiges zu spät kam und zweitens noch dazu in ihrer Freizeitkleidung bei der Beförderungsfeier auftauchte. Ganz mit ihren eigenen Problemen beschäftigt,
bemerkte sie nicht, wie sich der Nebel immer mehr zusammenballte und fast undurchdringlich wurde. Er verschluckte den sanften Schein der Straßenlampen ebenso wie die Geräusche, die in Ankh Morpork eigentlich fast zur Tagesordnung gehörten. Rina hörte nur mehr das leise Rascheln der gebauschten Unterröcke sowie ab und zu ein langgezogenes Heulen, welches sie allerdings nicht weiter beunruhigte. Schließlich lebten in der Stadt genug Werwölfe, die auch ihren Tages- und Nachtgeschäften nachgehen mussten. Grübelnd spazierte die Wächterin
weiter neben der Frau her, die scheinbar ganz genau wusste, wo sie hin wollte.

*** Eine Viertelstunde später****
"Hier bin ich zu Hause. Ich danke ihnen für den Begleitschutz. Kommen sie doch noch auf einen Sprung mit hinein und trinken etwas Warmes." erklärte die Frau und unterbrach damit die Gedankengänge der Wächterin, die gerade überlegt hatte, in welchem Stadtteil sie sich befand.

Rina blickte überrascht auf. Sie hatte das große, dunkle Haus noch gar nicht wahrgenommen, dass vor ihr aus dem Nebel auftauchte. Als sie es genauer betrachtete, schauderte sie und fragte sich, wie man in so einem monströsen Kasten überhaupt wohnen konnte. Es schien alles an dem Haus falsch zu sein. Die Wasserspeier waren keine harmlosen Steinfiguren, die teilweise äußerst lebendig sein konnten, sondern wirkten viel mehr wie böse Gestalten, die nur darauf warteten, sich auf ihr ahnungsloses Opfer zu stürzten. Die Fensterscheiben waren allesamt undurchsichtig und wenn man nur kurz hinsah, hatte man den Eindruck, dass sich hin und wieder Rußflecken zeigten, die aber bei genauerer Betrachtung sofort wieder verschwanden. Neben dem Haus wuchs ein verkrüppelter Baum, in dessen Zweigen sieben tiefschwarze Raben hockten und düster vor sich hin krächzten. Die Atmosphäre des Hauses war irgendwie anders. Rina konnte es nicht genauer beschreiben. Irgendetwas nicht Greifbares lag in der zwischenzeitlich sehr kalt gewordenen Luft und machte ihr eindeutig Angst. Sie wollte es nicht zugeben, aber keine zehn Trolle[1] hätten sie jetzt dazu gebracht, sich alleine auf den Rückweg durch diesen unheimlichen Nebel zu machen. Angie konnte ruhig noch etwas warten, dachte die Wächterin bei sich und erwiderte: "Vielen Dank für die Einladung. Etwas Warmes wäre jetzt
wirklich eine gute Idee, Ms......"
"Koslow, Arlaine Koslow."

Arlaine ging zu der Haustür und betätigte einen großen, schweren Klopfer. Rina hatte den Eindruck, dass das klopfende Geräusch unnatürlich lange nachhallte, schob diesen Umstand aber eher auf ihre Nerven, die scheinbar etwas überreizt waren. Ein ganz in schwarz gekleideter Mann öffnete die Tür und erklärte: "Guten Abend, Mylady. Sie sind heute sehr lange ausgewesen."
Arlaine lächelte geheimnisvoll, zeigte auf Rina und sagte: "James, das ist Irina Lanfear von der Stadtwache. Sie hat mir heute Abend das Leben gerettet, als mich Cyrus angegriffen hat."
Der Butler zog eine Augenbraue hoch[2] und meinte höflich: "Wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet, Miss Lanfear. Wenn die beiden Ladys bitte eintreten würden? Es ist sehr kalt und ich habe eben erst eingeheizt."

Rina betrat das Haus und staunte. Die Einrichtung definierte den Begriff altmodisch vollkommen neu. Sämtliche Kästen, Tische und Stühle schienen aus dem vorherigen Jahrhundert zu stammen. Der Schrank, der sich im Vorzimmer befand, war eindeutig ein Stück Kulturgeschichte, dass wohl besser in einem Museum aufgehoben worden wäre. Auch die riesige und unheimlich anmutende Standuhr, die sich im selben Raum befand, war gut und gerne an die 200 Jahre alt. Die Wächterin drehte sich zu ihrer Gastgeberin um und fragte: "Woher haben sie diese Möbelstücke? Sie sind einfach wundervoll!"
Arlaine lächelte noch immer und entgegnete: "Es sind Familienerbstücke. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben. Kommen sie doch bitte mit in den Salon. Dort erwartet uns bereits unser Tee, wenn ich James richtig einschätze."
Rina stutzte. Wie konnte der Butler wissen, dass heute Abend ein Gast zu Besuch kam und welches Getränk er bevorzugte? Grübelnd folgte sie Ms. Koslow und betrachtete währenddessen weiterhin die Einrichtung. An der Wand hingen ein paar gut erhaltene Bilder, die sie allerdings aus den Augenwinkeln anzustarren schienen. Die Wächterin fröstelte und eile rasch weiter in den Salon, wo tatsächlich bereits eine Tasse von ihres Lieblingstee wartete. Im Kamin prasselte ein munteres Feuer und schuf eine warme und entspannte Atmosphäre.

Rina staunt kurz und setzte sich dann in einen gemütlichen Armlehnstuhlsessel, der scheinbar nur auf sie gewartet hatte. Arlaine nahm ihm Lehnstuhl gegenüber Platz, griff nach einer dampfenden Tasse Tee und seufzte zufrieden. Dann erklärte sie: "Ich möchte mich nochmals für die Rettung vorhin bedanken. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie nicht gekommen wären."
Die Wächterin winkte ab und meinte: "Ach, das war kein Problem. Ich helfe gerne, wenn ich kann."
"Nein, es war wirklich sehr nett von ihnen, dass sie mich auch noch nach Hause begleitet haben. Ich kann ihnen leider nicht allzu viel für ihre Umstände bezahlen, aber ich habe hier eine silberne Kette, die ich ihnen dafür gerne schenken würde."
"Ich kann keine Bezahlung annehmen. Ich habe doch nur getan, was jeder in dieser Situation tun würde."
Arlaine legte die Kette in Rinas Hand und erklärte: "Sie würden mich sehr enttäuschen, wenn sie dieses Geschenk nicht annehmen. Bitte, ich brauche sie wirklich nicht."
Die Wächterin seufzte und betrachtete die silberne Kette genauer. Der Anhänger, der sich an ihr befand, war über und über mit stilisierten Rosen bedeckt und auf der Rückseite waren vier Worte eingraviert: Auf immer dein, Claude
Während sie noch überlegte, wie sie sich am besten für das Geschenk bedanken sollte, hatte sie das Gefühl, dass Arlaines Augen plötzlich unheimlich rot aufglühten. Rina blinzelte kurz verwirrt und sah dann nochmals zu der Frau hinüber. Doch sie schien sich geirrt zu haben. Nirgendwo waren rotglühende Augen zu sehen und Arlaine machte nicht den Eindruck, sich in der nächsten Sekunde in eine fürchterliche Gestalt verwandeln zu wollen. Die Wächterin verfluchte leise ihre überreizten Nerven, legte die Kette um und schloss die Spange.

In diesem Moment schlug die Standuhr in der Vorhalle zwölfmal. Mit jedem Glockenschlag hatte Rina immer mehr das Gefühl, dass ihr irgendetwas eiskalt das Rückgrat hinaufkroch. Nachdem der zwölfte Schlag verhallt war, hörte man einen schrillen Schrei, der scheinbar aus dem ersten Stock kam.

Die Wächterinstinkte des Korporals reagierten wieder einmal ganz automatisch. Bevor sich Rina noch bewusst wurde, was sie hier eigentlich gerade tat, war sie schon auf dem Weg zur Treppe, die sie in der Vorhalle gesehen hatte. Mit langen, ausholenden Schritten lief sie die Stufen hinauf und versuchte, möglichst nicht zu stolpern und sich beim Hinabfallen das Genick zu brechen. Oben angekommen überlegte sie kurz und öffnete dann die erstbeste Tür.

Mitten im Raum stand ein junger Mann, der die Hände flehentlich ausgestreckt hatte und rief: "Hilf mir, bitte!"
Rina starrte ihn kurz fassungslos an und fragte dann, mehr aus Gewohnheit: "Wer bist du? Wie soll ich dir helfen?"
Die Gestalt flackerte kurz, bevor sie sich wieder manifestierte und antwortete: "Mein Name ist Elias. Ich wollte doch nur helfen. Aber statt dessen hat mich dieses teuflische Haus ermordet."
"Das Haus hat dich ermordet?" Die Wächterin war verwirrt. Es passierte nicht alle Tage, dass sie mit einem Geist sprach, der noch dazu angab, von einem ganzen Haus umgebracht worden zu sein.
Elias nickte und meinte: "Sie waren es. Man hat ihnen prophezeit, dass sie sieben und eine Seele brauchen, um wieder in die Welt zurückzukehren. Ich war Nummer sieben. Rette dich, solange es noch geht."
"Du hast gerade gesagt, ich soll dich retten. Das wird allerdings schwerlich möglich sein, wenn ich von hier verschwinde. Du musst dich schon entscheiden."
"Wenn sie dich nicht erwischen, dann haben sie verloren. Flieh, solange es noch geht." Rina schüttelte unwirsch den Kopf. Das war ja noch schöner! Ein Geist wollte ihr einreden, dass sie aus dem Haus zu verschwinden hatte, damit sie ihn rettete. So etwas seltsames hatte sie schon lange nicht mehr gehört. Die Wächterin wollte gerade eine scharfe Antwort geben, als sich hinter Elias Geist noch ein weiterer manifestierte. Interessiert sah sie hin und überlegte, was man nun bot, um sie aus dem Haus zu ekeln, denn darauf schien wohl alles hinauszulaufen.

Die fadenförmigen Finger des Nebels materialisierten sich zu einer großen Gestalt, die Rina erschreckend bekannt vorkam. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Cyrus, Arlaines Ex-Verlobter mitsamt seiner Axt da stand. Die Augen des Mannes glühten unheimlich rot, als er vor Wut aufschrie, mit einer einzigen, fließenden Bewegung ausholte und Elias den Kopf abschlug. Die Wächterin sprang ein paar Meter zurück Richtung Türe und blickte entsetzt mit an, wie der Kopf langsam zu Boden fiel und dabei weiterhin rief: "Verschwinde von hier. So schnell du kannst!" Rina riss die Türe auf und stolperte in den Gang. Hinter ihr sorgte ein scharfer, kalter Luftzug dafür, dass sich die Türe knarrend wieder schloss.

Die Wächterin atmete hektisch ein und aus und versuchte, ihr klopfendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Als sie sich weitgehend beruhigt hatte, beschloss sie, neugierig wie sie nun einmal war, die anderen acht Türen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Schließlich musste sich hier oben irgendwer befinden, der den Schrei ausgestoßen hatte und es wäre ja noch schöner gewesen, wenn sie schon so eine einfache Aufführung aus dem Haus vertreiben konnte. Rina machte sich selbst Mut, packte entschlossen den nächsten Türknauf und drehte ihn langsam. Die Türe schwang auf und erlaubte den Blick in ein reich eingerichtetes Damenschlafzimmer. Im Bett lag ein junger Mann, der quer über seinen Schädel einen blutigen Riss trug. Er erhob sich und setzte zu einer kleinen Rede an. Die Wächterin unterbrach ihn jedoch und fragte nur: "Hast du geschrieen? Nein? Dann
entschuldige mich bitte. Ach ja, den Monolog von wegen tot und Haus
verlassen
kannst du dir übrigens sparen. Den habe ich schon gehört. Ich wünsche dir noch einen angenehmen Tod, auf Wiedersehen."
Der Geist klappte verblüfft den Mund auf und zu, während Rina blitzschnell wieder den Raum verließ. Er war es eindeutig nicht gewöhnt, dass man ihn so rüde unterbrach.

***6 Türen später***
Rina seufzte. Irgendwie war sie bis jetzt noch zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen. Das konnte vielleicht an ihrer etwas ruppigen Art liegen, mit der sie die Geister mehr oder weniger überfuhr, aber sie hatte wirklich keine Lust, sich jetzt sechsmal den gleichen Text anzuhören, der ihr nicht wirklich weiterhalf. Außerdem ließ sie den Geistern so keine Chance, mit ihrem Spuk anzufangen und sie vielleicht doch noch zum davonrennen zu bewegen.
Stöhnend sah sie zu den verbleibenden zwei Türen und seufzte erneut. Sie wollte doch nur herausfinden, wer denn da geschrieen hatte! Kopfschüttelnd öffnete sie die achte Türe.

Die Wächterin betrat einen leeren Raum und sah sich um. Früher einmal waren hier sicherlich Tapeten gewesen, doch jetzt waren nur mehr Fetzen über, die an einer total rußverschmierten Wand hingen. Überall befanden sich Spinnweben und eine zentimeterhohe Staubschicht bedeckte die freien Stellen des Bodens. Rina wollte den Raum bereits wieder verlassen, als sie von irgendwoher ein leises Weinen hörte. Während sie noch versuchte, herauszufinden, von woher das Geräusch kam, schwang eines der Fenster auf. Ein kalter Windstoß fegte in den Raum und wirbelte die Staubschicht durcheinander. Die Wächterin schloss die Augen und versuchte, dem Wind standzuhalten. Doch plötzlich, so schnell wie er gekommen war, flaute er wieder ab. Rina öffnete langsam wieder die Augen und sah entsetzt auf den Boden. Dort stand in ihrer Handschrift: "Verlass das Haus!"
Die Wächterin stürmte blitzschnell aus dem Zimmer und wagte es erst wieder, stehen zu bleiben, als sie im Gang stand und die Türe hinter sich geschlossen hatte. Langsam wurde ihr dieses verdammte Haus äußerst unheimlich. Jedoch war auch nur mehr eine Tür über. Rina überlegte und ging dann langsam zu ihr hinüber. Sie zögerte kurz, bevor sie nochmals die Hand ausstreckte und vorsichtig den Türknauf berührte. Die Türe schwang wie von Geisterhand auf und erlaubte Rina einen Anblick, den sie vermutlich in den nächsten Wochen nicht mehr vergessen würde.

In dem Zimmer befand sich ein frei in der Luft schwebender Kopf, dessen Augen unheimlich rot glühten. Aus seinem Mund drangen grünliche Nebelschwaden und von irgendwo her war höhnisches Gelächter zu hören. Als der Kopf die Wächterin sah, bewegte er sich langsam auf sie zu.

Rina wich geschockt ein paar Schritte zurück und prallte gegen irgendetwas. Sie drehte sich um und sah den Butler, der in Flammen stand und nach ihr griff. Panik befiel sie. Ihr einziger Gedanke war, dass die Geister es jetzt geschafft hatten. Sie wollte hier möglichst schnell raus!
Die Wächterin stieß den Mann mit aller Kraft zur Seite und rannte zur Treppe. Dort angekommen reduzierte sie kaum ihre Geschwindigkeit, sondern stürmte im Laufschritt über die Treppenstufen nach unten, die plötzlich über und über mit Spinnweben bedeckt waren.
Diese griffen nach ihren Füssen und versuchten, sie festzuhalten, woraufhin Rina stolperte. Die Wächterin ruderte noch kurz wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, stürzte aber dann doch über die letzten drei Stufen hinab und blieb kurzzeitig benommen am Boden liegen. Als sie wieder einigermaßen klar denken konnte, sah sie sich hektisch um und bemerkte, dass der brennende Butler langsam über die Treppe hinunterwankte. Hinter ihm flog der Kopf durch die Luft, verbreitete noch mehr grünlichen Nebel und lachte.

In ihrem Schock tat Rina das naheliegendste: Sie rannte zur Eingangstür und rüttelte ein paar Mal vergeblich an der Klinke. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass die Tür eindeutig verschlossen war und auf die Schnelle nicht zu öffnen wäre, suchte sie nach einem Fenster, durch dass sie entkommen konnte. Doch seltsamerweise waren vor jedem Fenster große, altmodische Gitter angebracht. Die Wächterin konnte sich zwar nicht daran erinnern, dass die Fenster bereits vorher vergittert gewesen wären, aber jetzt fiel ihr dieser Umstand allzu deutlich auf. Rina zog und zerrte an den Gittern und versuchte, sie irgendwie zu entfernen.
Doch alles half nichts. Der brennende Mann kam immer näher und berührte sie schlussendlich. Die Flammen griffen auf die Wächterin über, die laut aufschrie.

"Was ist denn mit ihnen? Sie sind plötzlich so blass geworden. Möchten sie vielleicht ein Glas Wasser?"
Rina öffnete vorsichtig die Augen und sah Mrs. Koslows Gesicht. In der Tür stand James, zog eine Augenbraue missbilligend hoch und meinte: "Da sie mich scheinbar nicht brauchen, Madam, werde ich wieder in die Küche gehen."
Arlaine nickte geistesabwesend und meinte: "Ja, machen sie das, James. Ich denke, unser Gast braucht noch etwas Tee. Sie hat ihren gerade verschüttet."
Rina blickte an sich herunter und sah einen dunklen Fleck, der sich auf dem Teppich ausbreitete. Sie verstand noch immer nicht ganz, was gerade passiert war. Eben hatte sie sich noch vor dem brennenden Butler zu retten versucht, der allerdings jetzt keine Anstalten machte, weiterhin in Flammen zu stehen oder sonst wie auffällig zu reagieren.
Ein kurzer Blick auf die Fenster bewies, dass diese nicht mehr vergittert waren.

Die Wächterin runzelte die Stirn und antwortete dann Ms. Koslow, die sie noch immer besorgt ansah: "Äh...mir geht es gut. Danke. Ich habe mich nur gerade daran erinnert, dass ich noch wo erwartet werde. Ich fürchte, ich muss jetzt gehen."
Arlaine sah enttäuscht aus und erwiderte: "Nun ja, wenn sie wirklich schon gehen müssen, kann man nichts machen. Ich danke ihnen nochmals für den Begleitschutz und die Rettung."
Rina stand auf, schüttelte ihrer Gastgeberin die Hand und ging Richtung Eingangstür. In diesem Moment erklang ein kurzer Schrei aus dem ersten Stock.

Der Korporal überlegte kurz und fluchte dann heftig. Theoretisch war es ihre Pflicht, dem Schrei auf den Grund zu gehen. In diesem Moment bereute Rina zum ersten Mal tatsächlich die Entscheidung, sich für den Dienst in der Wache freiwillig zu melden. Es hätte vermutlich auch andere, wesentlich weniger anstrengende Varianten eines Alibis gegeben. Aber sie war ja so dumm gewesen und musste sich ausgerechnet für den kompliziertesten Weg entscheiden. Die Wächterin schüttelte nochmals kurz den Kopf und ging dann Richtung Treppe. Ihr Pflichtgefühl hatte gesiegt.

Im ersten Stock steuerte Rina zielstrebig jene Tür an, die vorher den unheimlichen Kopf beinhaltet hatte. Irgendeiner ihrer Instinkte sagte ihr, dass sie es gar nicht erst bei den anderen Türen versuchen sollte. Sie zog eines ihrer Messer aus dem Stiefel und drückte dann vorsichtig die Klinke hinunter. Quietschend ging die Türe auf und erlaubte den Blick in ein altmodisch eingerichtetes Schlafzimmer. Vor einem Spiegel stand ein Mann mit entblößtem
Oberkörper. Er hatte eine Menge Schaum im Gesicht und fluchte gerade herzhaft, während im das Blut vom Kinn tropfte.
Die Wächterin räusperte sich leise und fragte: "Alles in Ordnung, Sir?"
Der Angesprochene fuhr herum, starrte sie böse an und rief: "Was suchen sie hier. Kann man sich denn nicht einmal mehr in Ruhe rasieren?"
Rina zuckte mit den Achseln und erwiderte: "Ich habe einen Schrei gehört und wollte nach dem Rechten sehen."
"Ach, ich habe mich geschnitten. Wer sind sie überhaupt?"
"Korporal Lanfear von der Stadtwache. Ich habe Ms. Koslow nach Hause begleitet."
Die Mine des Mannes wurde freundlicher und er meinte: "Ach so. Arlaine ist meine Verlobte und wir werden demnächst heiraten. Mein Name ist Claude. Dürfte ich mich jetzt weiter rasieren?"
Die Wächterin nickte, schloss rasch die Türe wieder und seufzte. Irgendwie war das heute nicht ganz ihr Tag. Außerdem hatte sie noch immer nicht herausgefunden, was diese "Vision", denn als etwas anderes konnte man ihre Erlebnisse vorhin wohl nicht beschreiben, zu bedeuten hatte.

Rina ging langsam wieder zu der Treppe zurück und überlegte, was hier eigentlich genau falsch lief. Schließlich passierte es nicht alle Tage, dass sie voraussah, wie sie starb. Als Diebin hatte sie zwar gelernt, auf ihre Instinkte bedingungslos zu vertrauen, aber dass diese so verrückt spielten, war ihr gänzlich neu. Sie seufzte erneut leise und beschloss, dieses gespenstische Haus möglichst schnell zu verlassen. Wer wusste schon, was hier sonst noch alles passierte!

Die Wächterin war inzwischen fast am unteren Ende der Treppe angekommen, als plötzlich die Eingangstür aufgerissen wurde. Cyrus, Arlaines Ex-Verlobter, stürmte mit der Axt in der Hand in das Haus und schrie wütend nach seiner früheren Freundin. Als er eine Stimme aus dem Salon hörte, rannte er in diese Richtung. Rina hörte nur noch einen kurzen, spitzen Schrei aus dem Raum, bevor es dort drinnen totenstill wurde. Dann erschien Cyrus wieder in der Türöffnung und stierte auf seine über und über mit Blut befleckte Axt. Aus dem ersten Stock hörte man das Geräusch einer aufgerissenen Tür und schnelle Schritte, die in Richtung Treppe liefen.
Rina geriet in Panik. Hier war gerade ein Mord geschehen und der Mörder stand mit der Tatwaffe in der Hand nur ein paar Meter von ihr entfernt! Sie schätzte blitzschnell die Entfernung zur offenstehenden Eingangstür ab und lief los. Doch scheinbar hatte sich irgendetwas gegen sie verschworen. Bevor die Wächterin noch die Türe erreichen konnte, warf sie ein eisiger Luftzug ins Schloss. Rina hörte, wie die Verriegelung einrastete und überlegte hektisch.

In der Zwischenzeit erschien Arlaines Verlobter am oberen Treppenabsatz und rief
verzweifelt nach seiner Geliebten. Cyrus hob seinen Blick, ließ ihn schnell über Rina gleiten und fixierte dann seinen neuen Gegner. Er schrie wutentbrannt auf, schwang seine Axt und rannte die Treppe hinauf. Rina nutzte diese Chance und stürmte in den Salon, wobei sie die Türe hinter sich zuwarf. Sie stoppte kurz, als sie Arlaines Leiche sah, die blutüberströmt am Boden lag und rannte dann weiter zu den Fenstern, die schon wieder vergittert waren. Die Wächterin verfluchte diesen Umstand und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie bemerkte nicht, wie sich ein dünner Schatten aus Arlaines Körper erhob und erschrak dementsprechend, als eine scharfe Stimme erklang: "Wieso haben sie mich nicht gerettet?
Dafür sind sie ja schließlich da. Sie sind völlig inkompetent und nutzlos. Wie konnte man sie nur einstellen?"
Rina fuhr aus ihren Überlegungen hoch und starrte fassungslos auf die Gestalt, der sie nun gegenüberstand. Arlaine als verändert zu beschreiben, wäre wohl eine glatte Untertreibung gewesen. Das Gesicht der einstmals so lebendigen Frau war totenbleich und eingefallen.
Dunkle Ringe umrahmten die Augen und ließen sie so äußerst gespenstisch wirken. Die Frau, man sollte hier wohl besser sagen, der Geist, schimpfte weiter auf Rina ein, die ihrerseits bereits zu einer scharfen Antwort ansetzten wollte. Doch der Kampflärm, der durch die geschlossene Türe drang, belehrte sie rasch eines Besseren. Während der Geist seine Schimpftiraden weiterhin fortsetze, konzentrierte sich die Wächterin nochmals und überlegte.

Der Kampf zwischen den beiden Männern tobte mit unverminderter Heftigkeit weiter. Keiner konnte die Überhand in diesem Duell gewinnen, denn sie waren beide ungefähr gleichstark.
Der Butler James hatte sich unterdessen in seinem Zimmer eingeschlossen und hoffte, dass ihn niemand finden würde. So konnte er auch nicht verhindern, dass der schwere Kandelaber in Zuge der Rauferei umstürzte. Brennende Kerzen fielen auf den Boden und setzten die leicht entflammbaren Teppiche in Brand. Arlaines Verlobter wurde durch diesen Umstand eine Sekunde lang abgelenkt und büßte für diese Unachtsamkeit mit seinem Leben. Cyrus erhob sich triumphierend, griff nach seiner Axt und richtete den Blick auf die verschlossene Salontür.

Rina wurde schön langsam nervös. Es konnte doch nicht sein, dass ihr, der Ein- und Ausbrecherkönigin schlechthin, kein geeigneter Fluchtweg einfiel. Leider trug dieser nervende Geist von Ms. Koslow auch nicht wirklich viel zur Verbesserung der Umstände bei. Die Wächterin wollte gerade zu einer scharfen Entgegnung auf eine der Schimpftiraden ansetzen, als ihr Blick auf den Kamin fiel. Sie erinnerte sich an eine Geschichte, die sie als Kind immer gerne gehört hatte und die vom Weihnachtsmann handelte. Dieser kam angeblich durch die Kamine in die Häuser und verteilte Süßigkeiten. Der Korporal lächelte, griff sich den Schürhaken und begann, die Glut aus dem Kamin zu räumen.

Cyrus hob seine Axt und schwang sie mit voller Kraft gegen die Tür. Rina zuckte entsetzt zusammen. Das Zimmer um sie herum begann sich zu verändern. Wo vorher wertvolle und antike Möbel gestanden hatten, erhoben sich nun halbverbrannte Einrichtungsgegenstände. An den Wänden und Fenstern zeigten sich dunkle Rußflecken. Die Wächterin betrachtete skeptisch den Kamin und überlegte nochmals kurz. Da ihr aber keine bessere Alternative einfiel, seufzte sie und kletterte hinein. Sie hörte, wie hinter ihr die Tür aufgebrochen wurde und wütendes Gebrüll erscholl. Rina grinste still vor sich hin, allerdings nur solange, bis sie Arlaines Stimme hörte, die rief: "Sie steckt im Kamin, Dummkopf!"
Blitzschnell begann sie, mittels verstärktem Einsatz von Händen, Füssen und Rücken den langen Schacht hinaufzuklettern. Cyrus, der anscheinend nicht gerade der Klügste war, steckte seine Axt in den Kamin und fuchtelte damit herum, bis ihm die scharfe Stimme des Geistes befahl, mit dieser Dummheit aufzuhören und lieber ein neues Feuer zu entfachen.

Rina beschleunigte bei dem Wort Feuer nochmals ihr Tempo und erreichte mit Müh und Not das Dach. Sie kletterte keuchend aus dem Kamin und sah sich blitzschnell um. Doch in dem dichten Nebel konnte sie das Dach des nächsten Hauses, sofern es eines gab, nicht erkennen. Die Wächterin wollte bereits langsam und möglichst unauffällig an der Rückwand des Hauses hinunterklettern, als plötzlich eine Stichflamme aus dem Kamin schoss und das Dach in Brand setzte. Aus dem Inferno tauchte langsam ein fliegender Kopf auf, der eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit Arlaines Verlobtem hatte. Rina wich langsam zurück, bis sie die Dachkante unter ihren Füssen spürte. Sie hörte, wie die Raben irgendwo dort draußen im Nebel düster vor sich hinkrächzten und überlegte hektisch.

Wenn sie jetzt sprang, standen die Chancen, dass sie es überlebte, sehr schlecht. Fraglich war jetzt nur noch, wie schlecht sie genau standen. Da die Wächterin allerdings auch nicht ausprobieren wollte, welche Auswirkungen es hatte, von diesem komischen Schädel berührt zu werden, entschied sie sich dann doch für den etwas schnelleren Abgang. Sie drehte sich auf dem Absatz um und sprang in den Nebel hinein. Hinter ihr ertönte ein schriller, enttäuschter Schrei, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Die Würfel rollten. Eine Menge neugieriger Augenpaare verfolgte sie und wartete gespannt, was passierte. Es war immer äußerst amüsant, einem Würfelspiel zwischen der Lady und dem Schicksal zuzusehen, denn man wusste nie, wie es ausgehen würde...

Rinas Fall schien endlos zu dauern. Gut, in den ersten paar Sekunden war ihr ganzes Leben an ihrem inneren Auge vorbeigezogen, aber jetzt war der Film sozusagen zu Ende und der Sturz dauerte noch immer an. Die Wächterin fragte sich gerade, ob sie jetzt, als Strafe für ihre nicht immer ganz gesetzestreuen Taten, ewig lange weiterfallen würde, als etwas unangenehm stinkendes ihren Absturz abrupt bremste.

Die Lady lächelte siegesgewiss. Heute hatte sie gewonnen.

Ein eher nicht zu definierendes Etwas wühlte sich aus einem Abfallhaufen und fluchte herzhaft. Dann drehte sich das Etwas um, sah das brennende Haus, indem es sich noch vor kurzem aufgehalten hatte und rannte los. In seinem Gedächtnis war nur Platz für einen Gedanken: "Möglichst weit weg von hier und wohin, wo viele Wächter sind."


*** Vor dem Eimer***
Ecatherina Erschreckja murmelte leise Verwünschungen. Man hatte ihr die "ehrenvolle" Aufgabe übertragen, die Wächter vorzuwarnen, wenn Rina im Anmarsch war. Das Problem war nur, dass eben jene Wächterin bereits seit zwei Stunden überfällig war und es um diese Jahreszeit in Ankh Morpork nicht gerade äußerst warm war. Eca war gerade eben dabei, einen neuen Fluch auszustoßen, als sie schnelle Schritte hörte. Sie lächelte, denn diese eiligen Füße kannte sie nur allzu gut. Leise verschwand sie ins Innere des "Eimers" und gab den bereits sehnsüchtig wartenden Wächtern ein Zeichen.

Rina sah bereits von weitem die Lichter des Eimers und beschleunigte nochmals ihr Tempo. Es war ihr egal, wie sie aussah und wie sie roch, sie wollte nur möglichst schnell relativ viele Leute um sich haben, um nicht endgültig wahnsinnig zu werden. Im Laufschritt erreichte sie ihr Ziel, riss die Tür auf und stürmte hinein.

"Happy ...." Eca und die anderen hatten nur auf die Gelegenheit gewartet, die Glückwünsche loszuwerden. Doch alle verstummten, als sie Rina sahen.

Der Wirt wich zuerst entsetzt zurück, als eine vollkommen rußverschmierte und stinkende Gestalt auf ihn zustürzte und nach dem stärksten Getränk verlangte, dass er hatte. Doch dann siegte sein Geschäftsinstinkt. Er holte eine alte, verstaubte Flasche unter dem Tresen hervor, öffnete sie und schüttete ein wenig von der dunkelbraunen Flüssigkeit in ein kleines Glas.

Rina nahm das kleine Glas in die Hand und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Dann atmete sie tief durch, verlangte noch ein zweites Glas und setzte sich hin. Inzwischen hatte sich Eca soweit von dem Schock, den Rinas Aussehen verursacht hatte, erholt, dass sie langsam näher trat und fragte: "Was ist denn mit dir passiert?"
Rina antwortete langsam: "Das glaubst du mir doch sowieso nie."
Eca blickte sie kurz an und erwiderte: "Ich glaube sehr viel, wenn der Tag lang ist. Fang zu erzählen an."
"Na gut. Aber sag nachher nicht, dass ich dich nicht vorgewarnt habe. Es begann damit..."
Alle Wächter, die zu der Feier gekommen waren, lehnten sich gierig vor und lauschten dem Bericht des Korporals.

***Eine Stunde später***
"...bin ich hierher gerannt. Damit endet die Geschichte."
Eca seufzte und meinte: "Du hast recht. Das klingt relativ unglaubwürdig. Doch fällt mir keine bessere Erklärung ein, warum du in solch einem Aufzug hier auftauchst."

Rina wollte gerade eine scharfe Antwort geben, als sie eine leise Stimme unterbrach: "Verzeihung. Ich glaube ihnen."
Die Wächterin drehte sich verblüfft um und sah einen alten, weißhaarigen Mann, der alleine in einer Ecke vor seinem Bier saß und sich bei ihren Worten aufgerichtet hatte.
Die runzelte die Stirn und fragte: "Warum glauben sie mir? Ich würde mir ja nicht einmal selbst glauben, wenn ich es nicht erlebt hätte."
Der alte Mann seufzte leise und antwortete dann: "Wissen Sie, ich hatte damals einen Sohn. Er muss in ihrem Alter gewesen sein. Sein Name war Elias...."
Rina zuckte bei dem Namen zusammen und murmelte: "Opfer Nummer sieben."
"Ja, dass war er. Er wollte nur helfen. Er ging in jener Nacht hinaus in den Nebel und kam nie wieder. Sie haben großes Glück, dass sie entkommen sind."
Die Wächterin räusperte sich und fragte dann: "Was wissen sie über das Haus?"

Der Alte lehnte sich zurück, schloss die Augen und erzählte: "Es ist jetzt 400 Jahre her. Damals war dieses Haus sozusagen das Zentrum des Bösen. Der Serienmörder Cyrus lebte dort mit seiner Freundin Arlaine, dem diebischen Butler James und seiner kleinen Tochter Liza. Doch irgendetwas ging schief. Arlaine verliebte sich in Claude und verließ Cyrus. Um genau zu sein, sie warf ihn einfach aus dem Haus und behielt das kleine Mädchen als Geisel.
Cyrus liebte seine Tochter abgöttisch und konnte so nichts gegen die Mutter unternehmen. Arlaines Plan hätte durchaus funktionieren können, wenn da nicht Lizas Unfall gewesen wäre.
Das Mädchen stolperte eines Tages über die oberste Treppenstufe, fiel hinunter und brach sich das Genick. Als Cyrus davon hörte, wurde er vollends verrückt. Er griff sich seine Axt, rannte zu dem Haus und tötete das Pärchen. Bei dem Kampf löste jedoch irgendetwas einen Brand aus, der Cyrus und den Butler, der sich auch noch im Haus aufhielt, tötete.
Damit wäre die Geschichte an sich erledigt gewesen, wenn nicht Arlaine in der Hölle einen Pakt mit einem engagierten jungen Dämonen geschlossen hätte. So darf sie alle fünfzig Jahre versuchen, eine Seele in ihrem Sammlung aufzunehmen. Erst wenn sie einmal scheitert, verliert der Pakt seine Gültigkeit und das teuflische Quartett muss bis in alle Ewigkeit zurück."

Rina holte tief Luft und fragte: "Woher wissen sie das alles so genau?"
Der alte Mann ließ seinen Blick wehmütig in die Ferne schweifen und erklärte: "Ich bin damals fast wahnsinnig geworden, als ich Elias verlor. Ich wollte unbedingt wissen, was ihn auf dem Gewissen hat und habe recherchiert."
Die Wächterin nickte mitleidig und dachte an den jungen Mann, den sie nur kurz
kennengelernt hatte.

Die Tür des "Eimers" öffnete sich. Rina sah kurz zum Eingang und fing an zu zittern. Das Glas, welches sie noch immer in der Hand hielt, fiel zu Boden und zerbrach in tausend Splitter. Während sich der Wirt über die Scherben aufregte, fragte Eca verblüfft: "Rina, was ist denn los?"
Doch die Wächterin hörte ihre Freundin nicht. Sie sah vielmehr noch immer zu dem Pärchen hinüber, das eben das Lokal betreten hatte. Alle anderen Wächter erklärten später einhellig, dass sich das Licht in den Augen gespiegelt hätte und deswegen diesen seltsamen Effekt hervorgerufen hätte, aber Rina war sich sicher: dort standen Arlaine und Claude...und ihre Augen glühten unheimlich rot.

***ENDE....???*****
[1] Okay, vielleicht hätten es zehn Trolle geschafft, sie dazu zu bewegen, wieder durch den Nebel zu gehen. Aber auch nur, wenn sie die ganze Zeit als Begleitschutz fungiert hätten!

[2] Scheinbar beherrschten alle Butler diesen Kunstgriff bis zur Perfektion.




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