Wer ermordet den Mörder?

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von Korporal Rettich
Online seit 25. 09. 1999
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Ein Assassine ist ermordet worden. Wer tötet Mörder?
Gehe dem ganzen nach, denn Lord Witwenmacher ist äußerst besorgt. Er verbirgt etwas....

Dafür vergebene Note: 11

Die Nachricht, dass ein hochrangiger Assassine tot aufgefunden worden war, hatte sich ziemlich schnell in Ankh-Morpork verbreitet. Es war eine dieser Nachrichten, die jedermann aufhorchen liess, denn wenn die Machtverhältnisse in Ankh-Morpork gestört wurden, nahmen sie automatisch Einfluss auf jedermanns Leben. Ein Gefühl der Vorahnung lag über der Stadt.
Korporal Rettich sollte den Tatort untersuchen und anschliessend ein weiteres, abschliessendes Verhör mit Lord Witwenmacher führen.
Sie war stolz darauf zum Korporal befördert worden zu sein, aber zugleich hatte sie ein mulmiges Gefuehl über die Rolle der Wache in diesem Fall. Sie sollte recht behalten...
Der tote Assassine wurde gefesselt in seinem Bett aufgefunden. Es war kein normaler Mord, das war offensichtlich, denn die Todesursache war, wie Rettich traurig feststellte, sadistisch.
Der gefesselte Mensch war von seinem Moerder mehrfach mit seinen eigenen Mordwaffen misshandelt worden. So lag die Leiche wie ein Nadelkissen auf dem Bett, mit mehreren in die Brust gestossenen Dolchen.
Rettich untersuchte vorsichtig einen und bemerkte, dass die Klinge russgeschwärzt war. Genauerer Untersuchungen wollte sie nicht machen.
Der Korporal blickte sich ein letztes Mal prüfend im Zimmer um. Es gab keine Spuren, keine Bekennerbriefe oder sonstige nützliche Hinweise. Rettich seufzte. Sie hatte bei ihrer Vereidigung gewusst, dass es nicht immer nur Missionen gab, die sich schliesslich in peinliche Missverständinisse oder einen Umtrunk in der Trommel auflösten. Sie hatte es gewusst, warum war sie nur so schockiert.
Das Büro von Lord Witwenmacher lag im anderen Flügel der Gilde. Rettich schritt über roten, jegliches Geräusch dämpfenden Teppich. Dem Flur entlang hingen die Porträts der erfolgreichsten Assassinen. Der Tote hätte sicherlich in wenigen Jahren zu ihnen gehört.
Als sie schliesslich an der Tür des Gildenoberhaupts angekommen war, zögerte sie kurz. Man konnte nie wissen, ob nicht ein geheimer Mechanismus ausgelöst wird.
Die Zwergin drehte den Knauf vorsichtig um. Die Tür glitt lautlos auf, und Rettich trat ein. Auf einmal ertönte ein sanftes Klingeln, als sie einen dünnen, fuer sie unsichtbaren Faden berührte. Ein schwerer Ledersessel drehte sich langsam und ein verstörtes Gesicht blickte Rettich entgegen. Das Büro war geschmackvoll eingerichtet; schwere Teppiche, schwere Möbel, schwere Bücher, die sich in den Regalen reihten. Es war ein gereiftes Zimmer.
Lord Witwenmacher sass die Hände zusammengefaltet an seinem Sekretär. Seine Augen waren blutunterlaufen, so als ob er lange nicht mehr geschlafen hätte oder etwas fürchtete. Rettich fiel eine Parallele zu Rince' Schreibtisch auf: Neben Witwenmacher stapelten sich unerledigte Papierberge.
"Ah, ein weiteres Verhör, wie ich sehe."
"Aeh, ja." antwortete Rettich.
"Setz dich," sagte Witwenmacher," wie ich den 5 anderen Wächtern schon gesagt habe, handelt es sich um einen bedauerlichen Unfall."
"Einen Unfall?!" Rettich fuhr hoch." Der Mann hat mehr Dolche im Rücken als das gesamte Waffenarsenal der Wache hergibt. Ein Unfall?!"
Lord Witwenmacher zeigte sich von Rettich's Wutanfall unbeeindruckt.
"Er hat seine Waffen nicht mit der gegebenen Vorsicht behandelt. Sie sind auf ihn gefallen."
Er öffnete eine Schublade und holte eine Akte hervor."Caleb Selachii, ein vielversprechender Assassine, in der Tat. Vielversprechend aber unvorsichtig."
"Und bevor er sich die Dolche aus Versehen in die Brust gerammt hat, hat er sich, natürlich auch unbeabsichtigt, gefesselt, wie?", sagte Rettich sarkastisch.
Lord Witwenmacher lächelte, doch der Korporal zweifelte, dass er aus Vergnügen lachte. Nein, dachte die Zwergin, er lachte aus Vergnügen, das war das Problem.
Rettich fasste sich.
"Angenommen es war kein Unfall. Hatte der junge Selachii irgendwelche Feinde?" fragte sie.
Nun lachte Witwenmacher wirklich. Aber es war ein kaltes Lachen, wie eine letzte Ironie, die man sah, bevor man starb.
"Der junge Selachii! Der junge Selachii!" brüllte er." Er war ein Bastard und konnte von Glück sagen, dass er den Namen hielt. Sein Vater war ein Selachii und hatte ihn hierher gebracht, mehr nicht."
Rettich wurde hellhörig.
"Heisst das, dass er ein uneheliches Kind der Familie war?"
"Unehelich! Wie fein das die Wächter ausdrücken. Er war ein Bastard!", rief das Gildenoberhaupt voller Abscheu. "Aber er war ein ausgezeichneter Mörder.", fügte er lächelnd hinzu.
"Nochmals zu den möglichen Feinden? Gab es welche?"
Witwenmacher grinste.
"Ein Assassine hat keine Feinde. Dafür sorgt er mit grösster Präzision."
"Gab es irgenwelche aussergewöhnlichen bzw. mysteriösen Ereignisse in der letzten Zeit?"
"Nein," antwortete er kurz, "und nun bitte ich dich, zu gehen. Ich habe...zu tun."
Rettich verstand. Sie erhob sich und schritt zum Ausgang.
"Noch eine Frage. Wird der Leichnam ins Mausoleum der Familie gebracht?"
Lord Witwenmacher Gesicht versteinerte sich.
"Was glaubst du, Korporal?" sagte er höhnisch und schubste die Zwergin aus seinem Büro.
Rettich hoerte nur noch das Klicken des Schlosses. Der letzte Satz Witwenmachers schoss ihr immer wieder durch den Kopf: Was glaubst du, Korporal. Irgendetwas war hier faul. Der Tod von Caleb Selachii war kein Unfall, soviel stand fest. Aber Lord Witwenmacher liess keinen Zweifel daran, dass es für die Wächter besser wäre, zu glauben, dass es ein Unfall war.

Als Rettich ins frischrenovierte Wachhaus zurückkehrte, spielten Tod, Ptracy, Lyandra, Atera und Rince Karten.
Tod war anscheinend recht erfolgreich.
"UND." sagte er."ERGEBNISSE?"
Rettich schüttelte den Kopf.
"Wie gehabt. Witwenmacher verrät nichts."
Rince nickte.
"Wie bei uns allen. Den Mächtigen gehärt die Welt."
"Weisst du", fuhr er fort, "wie man dieses Spiel nennt, hmm? Politik!", antwortete der Kommandeur in einem Atemzug, "verdammte Politik, und uns sind die Hände gebunden."
Rince schmiess die Karten auf den Tisch und stand auf. Er biss sich auf die Lippe, so als ob er angestrengt nachdenken würde.
"Ich vermute, dass der Mörder in der Familie Selachii ist. Ein Erbstreit möglicherweise.", berichtete Rettich. Sie hatte ihren Helm abgenommen und unter die Arme geklemmt.
"Es ist weissgott nicht nur ein Erbstreit." sagte der Kommandeur und ging um den Tisch herum. "Selachii." murmelte Rince monoton.
"Können wir irgendetwas unternehmen?", fragte Lyandra.
"NEIN." antwortete Tod."DIESMAL NICHT."
Er behielt recht.

Wenige Wochen später hatte sich Ankh-Morpork von dem Ereignis erholt. Die Bürger waren recht gut darin, Bängstigendes zu verdrängen und so vergassen sie den brutalen Mord. Die Leiche des Assassinen war verschwunden, das war das einzige was über den ganzen Fall noch ans Licht kam. Man vermutete, der Ankh wäre letzte Ruhestätte des jungen Selachii geworden. Niemand kümmerte sich darum. Warum auch ein Risiko eingehen?

Kommandeur Rince versuchte erfolglos die Sache zu verdrängen, ebenso Rettich, Tod und die restlichen Wächter. Sie wussten, sie könnten den Mörder entlarven. Sie wussten, wo es zu graben galt. Und sie wussten welche Folgen es haben wuüde.
Rince sass an seinem Schreibtisch und heuchelte vergeblich vor, Schreibkram zu erledigen. Der ungelöste Fall belastete seinen Gerechtigkeitssinn schwer.
Tod kam hinzu.
"KOMMST DU VORAN?" fragte der Schnitter.
Tod wusste, dass Rince leidete.
"äh, klar." "WAS DEN MORD DES ASSASSINEN BETRIFFT... .", fing Tod an.
"Ja?"
"...ES WAR RICHTIG, NICHT WEITER ZU ERMITTELN."
Rince lachte kurz auf.
"Richtig?! Natürlich! Bei Offler, ich habe geschworen, die Bürger dieser Stadt zu schützen. Und was geschieht? Ich lasse einen Mörder laufen, nur weil er am laengeren Hebel sitzt.", schrie er.
"AM LÄNGSTEN.", korrigierte Tod emotionslos.
Rince strich sich das Haar aus dem Gesicht und fing wieder an, Akten zu durchblättern. Feine Schweissperlen sammelten sich auf seiner Stirn.
"WEISST DU," fing Tod an, "MANCHMAL IST ES BESSER, DAS KLEINERE VON ZWEI ÜBELN ZU WÄHLEN. DER MÖRDER WIRD NICHT EWIG LEBEN, GLAUB MIR."
Rince schüttelete den Kopf.
"Es..es ist nicht fair. Ja, ja, ich weiss, wenn wir den ganzen Skandal aufgedeckt hätten, hätte ich alle in Lebensgefahr gebracht und Ankh-Morpork an den Rande eines Bürgerkrieges. Verdammt, es ist einfach nicht fair!"
"ES GIBT KEINE GERECHTIGKEIT....", antwortete Tod.
"Doch", sagte Rince, "es gibt uns."

Lord Witwenmacher stand vor dem Fenster seines Büros, die Hände über dem Rücken gekreuzt. Draussen regnete es und feine Wassertropfen trommelten unregelmässig auf die Scheibe.
Das Gildenoberhaupt drehte sich um.
"Die Sache ist erledigt. Gras ist über die Angelegenheit gewachsen und der Alltag ist wieder eingekehrt.", sagte eine Gestalt, die in einem der Bücher blätterte.
Witwenmacher blickte ernst auf den vor sich liegenden Beleg, der eine grosse Summe bescheinigte.
"Für die Umstände, die entstanden sind." sagte die Gestalt.
"Die Wache weiss, wo der Mörder zu finden ist.", sagte Lord Witwenmacher monoton.
"Sie werden nichts unternehmen."
Er nickte.
"Der Kommandeur ist ein ehrenhafter Mann. Er weiss viel."
Die Gestalt schlug das Buch zu.
"Genau das ist unser Vorteil. Er weiss viel und sieht die Zusammenhänge."
"Die Wache hat..." fing Witwenmacher an doch die Gestalt unterbrach ihn.
"Die Wache kümmert sich um die Dinge, um die sie sich kümmern sollen. Genau wie du.", sagte die Figur und drehte sich zur Tür.
Das Gildenoberhaupt seufzte sorgenvoll. Er drehte den Beleg einige Male in der Hand und warf ihn in das Feuer des Kamins. Der Regen prasselte ein wenig lauter.




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