Das Weinen der Kinder

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von Lance-Korporal Angie LeFay (RUM)
Online seit 23. 09. 2001
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Während in der Stadt unaufhörsam Kinder verschwinden, zieht eine merkwürdige Dame bei Angie ein

Dafür vergebene Note: 15

Hallo, mein Name ist Angie LeFay und ich bin Wächterin, der Stadtwache Ankh Morpork, Gattung Mensch, wobei ich mir hier in letzter Zeit nicht mehr ganz sicher bin.
Vor kurzem bin ich zum Lance Korporal befördert worden. Willst du meine Dienstmarke sehen? Ach schade, na ja, wie dem auch sei, ich habe etwas zu erzählen, nein ich habe nicht nur, ich muss, um jene grausamen Bilder die meine Gedanken seit Stunden quälen loszuwerden, von mir zu schütteln.

Also angefangen hat alles vor einigen Tagen, nein, wenn ich's mir richtig überlege vor über 18 Jahren, als ich in den Spitzhornbergen geboren wurde, dann aber aus irgendeinem Grund in Gennua landete und mich meine Eltern auf der Treppe fanden und mich sozusagen großziehen wollten, als ich dann aber einige Monate alt war, wuchsen mir in einer stürmischen Neumondnacht zwei Knöcheren aus dem Rücken, die sich später als Flügel herausstellten, die aber zu nichts gut waren weil sie viel zu klein waren und außerdem nur das halbe Monat vorhanden ... Ach, so, ich seh schon, du hast nicht die Zeit meine ganze Lebensgeschichte zu hören, na gut, also erzähl ich von jenem Zeitpunkt an als mir Frau Kulus begegnete. Ach nöö, keine Sorge, ich war damals nicht erst fünf, nein es geschah vor einigen Tagen, genau genommen vor 13 Tagen. Damals verschwanden die ersten beiden Kinder, Chrissi und Herbert van Rüschenbock. Ich erinnere mich noch an die beiden lachenden Gesichter auf den Ikonographien die uns ihre Eltern zur Verfügung stellten, Chrissi hatte gerade mit Freunden ihren sechsten Geburtstag gefeiert als die beiden verschwanden. Wie dem auch sei, ich hab dann erfahren dass die Leute von S.U.S.I. aufgrund ihrer Ermittlungen sicher waren, dass es sich dabei um eine Entführung handelte. Lewton übertrug diesen Fall unserer Neuen, Rina Lanfear. Entführungen reicher Kinder in Ankh Morpork waren nicht selten und klärten sich meist sehr rasch auf. Als Lewton die Bilder durch die Reihe gehen ließ und ich die beiden Kinder sah,
beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl, ein Gefühl, dass dies erst der Anfang sein würde. Eigentlich wollte ich mich nicht in den Fall einmischen, da dies mein letzter Arbeitstag vor einem zweiwöchigen Urlaub sein sollte, doch irgendetwas bewegte mich dazu noch mal eine Runde zu drehen um meine Informanten doch noch zu befragen. Ich trat aus dem Wachhaus und Schnapper hatte mich gleich im Visier, stapfte schneller auf mich zu, als ich flüchten konnte und bearbeitete mich während ich erfolglos versuchte den aufdringlichen Händler zu ignorieren. Ich merkte wie es in mir brodelte und kochte, doch einige Vorgesetzte hatten gemeint, dass wir als Mitglieder der Stadtwache keine Vorurteile haben dürften und daher auch Schnapper nicht grundlos verprügeln. Es wäre zwar nicht wirklich grundlos gewesen, doch mir fiel keine passende Entschuldigung ein, die ich danach Lewton erklärt hätte also sah ich davon ab, Gewalt anzuwenden und schluckte meinen Zorn. Ich spürte, ein kleines Kribbeln in der Rückengegend, merkte, wie ein Teil meines Körpers anschwoll, wie sich etwas durch mein T-Shirt arbeitete, ich schaltete, setzte gerade an einen Hilfeschrei loszuwerden, als sich meine Flügel vollkommen entfalteten und mich emporhoben. Schreckensbilder der letzten Flüge drangen in mein Bewusstsein und ich geriet in Panik, als ich plötzlich eine mir bis dahin unbekannte Kraft verspürte und tatsächlich diese Fluggeräte steuern konnte, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Mein Blick glitt zu dem anderen Ende des Platzes und dort sah ich sie, erstmals und in vollem Volumen, als sie zusammensackte. Mit aller Mühe schaffte ich es meine Flügel zum Rückzug zu zwingen, sie nahmen wieder normale Gestalt an und ich drängte mich durch die Menge zu jener Person, die mir anscheinend etwas ihrer Kraft geborgt hatte. Da lag sie, eine kleine, recht dickliche Frau mittleren Alters, absolut nicht hübsch, allerdings umgeben von einer interessant wirkenden Ausstrahlung.
"Geht es Ihnen nicht gut?" setzte ich an.
"Des kenntast allanich a zsambringa, wennst net so faul warast und di a bissi anstrengen tätast" ging sie mal überhaupt nicht auf meine Frage ein und setzte sich unter Stöhnen und Ächzen auf. Ich dachte zuerst, dass sie sich ernsthaft verletzt hätte, doch nachdem ich sie vor mir stehend sah, wusste ich woher ich diese Art des stöhnens kannte, erinnerte mich an meinen Kommandeur und wusste in diesem Moment, dass ich niemals Fett sein möchte.
"Entschuldigung, was meinen Sie?" fragte ich abermals, nachdem ich erstens nicht sicher war ob ich ihre Worte richtig übersetzt hatte beziehungsweise wovon sie eigentlich sprach.
"I man des mit deine Flügel, du brauchst di doch nur a bissale konzentrieren und üben, dann kannst es allanich a unta Kontrolle halten, Mädale, de host no net laung."
"Na ja, eigentlich hab ich sie seit ich ein paar Monate alt bin aber in dieser Form ..."
"I was, i was, brauchst ma net extra dazöhn, des hot in die Spitzhornberg angfangen, gelle"
"Woher wissen Sie das?"
"Des is net weida wichtig" sie machte Anstalten zu gehen und schwankte ein wenig.
"Hey, darf ich sie nach Haus begleiten?
"Net notwendig, i bin scho daham" und verschwand in einem riesigen Karton am Wegerand.
"Aber sie können doch nicht in diesem Ding hier leben?"
"Na eh net auf Dauer, aber i bin erst kurz do und hob no nix passendes gfundn und so laung tuats des a"
Nach kurzem hin und her hatte ich sie überredet mal eine Nacht bei mir zu schlafen, und am nächsten Morgen würde ich mich mit ihr auf die Suche nach einer geeigneten Bleibe machen. Ich brachte sie in meine Wohnung, ließ sie dort dann alleine und machte mich daran, meine Informanten mal aufzusuchen. Leider hatte ich kein Glück, weder Herr Weissrhabarber noch Leslie oder sogar Frau Himmelskuchen, die immer irgendetwas wusste, meldeten irgendetwas verdächtiges; genauso wenig wie alle anderen. Bedrückt trat ich den Heimweg an. Die Bilder der beiden Kinder wollten nicht aus meinem Kopf verschwinden, ich stellte mir vor wie sie von ihren Eltern getrennt in einer finsteren Zelle ausharren mussten und weinten, still weinten, sehr still, damit niemand ihren Schmerz hören konnte, doch fast konnte ich den Schmerz spüren. Die Freude auf den wohlverdienten Urlaub, die ich am Morgen noch verspürte, war mehr als getrübt.

Als ich meine Wohnung erreichte drang der Duft von frisch gekochten an meine Nasenschleimhäute, bohrte sich vor bis zu meinen Gedanken, unterbrach diese und versetzte mich in Erstaunen. Ich öffnete die Tür und mir wurde schwindelig. Meine Wohnung, ich kann es immer noch nicht fassen, meine Wohnung war aufgeräumt und sauber wie sie es noch nie zuvor war, alles stand an dem Platz der dafür vorgesehen war und passte auch dorthin, obwohl es noch nie vorher dort gestanden hatte, die Fenster, sie waren wirklich
durchsichtig, obwohl ich immer gedacht hatte der Gelbton gehörte dazu. Ich konnte im schnellen kein Fünkchen Staub erkennen, das Geschirr war abgewaschen, ...
"I hoff du host hunga, i hob ma erlaubt die kuchl auszuborgen und uns a guates essn z'kochn" riß mich mein Gast aus dem Staunen. Ich klappte meine Kinnlade wieder nach oben, blickte zu dem Tisch und tatsächlich, er war gedeckt, die Suppe dampfte noch aus dem Topf und im Ofen schmorte ein sehr sehr gut riechender Braten.
Ich wunderte mich noch kurz woher sie wusste, wann ich denn zu Haus erscheinen würde, setzt mich an den Tisch und begann zu essen.
"Warum denn so bedrückt, Mädal?"
Diese Aufforderung genügte um mich zum Reden zu bringen, ich erzählte ihr alles, wie ich in Gennua aufgewachsen bin, von meiner Panik kurz vor meiner Hochzeit, von meinen Abenteuern und wie ich dann in Ankh Morpork gelandet bin und hier zur Wache gegangen, von meinen Fällen, von meinen Flügeln, die ich nicht kontrollieren konnte und von den beiden entführten Kindern und dem seltsamen Gefühl, das mich jedes Mal beschlich wenn ich an sie dachte und sie hörte mir aufmerksam zu. Irgendwann musste ich dann ein
geschlafen sein, der feine Geruch von Kaffee weckte mich, meine neueste Mitbewohnerin trat zum Bett und reicht mir eine Tasse.
"Guatn Morgn, Mädal, host guat gschlofn?"
Erinnerungen an meine Kindheit, an eine fürsorgliche Mutter streichelten mich und ich wünscht mir wieder jenes Mädl zu sein, das sich um nix kümmern muss, weil es ja eh eine Mama hatte, die alles erledigte.
Mira, wie sie sich vorstellte, werkelte in der Küche und war gerade dabei meine Schmutzwäsche zu säubern, als ich mich endlich aus dem Bett quälte, wobei ich mir eine Beule auf der Stirn einfing. Sofort war sie mit einem kalten Lappen zur Stelle: "Glaub ma, des hüft, do wird's net gaunz so schiach."

"I kaun da höfn" meinte sie beim Frühstückstisch.
"Wobei?"
"Beim lerna"
Ich überlegte kurz, eigentlich war ich momentan nicht dabei, irgendwas besonderes oder neues zu lernen, dann dachte ich an meine belesene Freundin Ecatherina, in deren Gegenwart ich des öfteren das Gefühl hatte besonders dumm zu sein, na ja und ich hatte Urlaub, Eca und Sidney waren sehr mit ihrer Ausbildung beschäftigt, also hatte ich ja jede Menge Zeit, die es totzuschlagen galt. Ich beschloss also dass es nicht schaden konnte etwas zu lernen, was auch immer es sein würde, also fragte ich:
"Was sollte ich denn lernen?"
"Wos a imma du wüst" war die Antwort.
"Warum willst du das machen?"
"Weils mei Bestimmung is, ois Gegenzug, würd ich dich bitten, a zeitl bei dir wohna zu dürfen, da gfallts ma nämli"
Mein Herz machte einen Freudensprung, schon lang war ich nicht mehr umsorgt worden, meine Wohnung war noch nie so sauber und das Essen, welches Frau Kulus zauberte, hervorragend, besser konnte es gar nicht kommen und ein wenig Gesellschaft störte mich auch nicht, im Gegenteil. Doch bevor es losgehen konnte hatte ich noch einiges zu erledigen. Also machte ich mich auf ins Stadtinnere um einige Einkäufe zu besorgen. Auf dem Weg traf ich Ecatherina, die mir erzählt, dass schon wieder drei Kinder verschwunden
waren, also hielt ich es für meine Pflicht im Wachhaus vorbeizusehen und vorzuschlagen meinen Urlaub zu verschieben, sollten sie mehr Leute auf diesen Fall ansetzen wollen, doch Hptm Lewton versicherte mir, dass sie alles in Griff und auch schon eine Spur hätten, so verabschiedete ich mich schnell, besorgte noch einiges an Büchern, wenn ich schon lernen sollte, dann ordentlich; im Buchladen traf ich seltsamerweise Sid, dem ich von meinem Gast erzählte. Dieser schaffte es dann Unsicherheit in mir zu hegen, da er mich darauf aufmerksam machte, dass ich doch keine Ahnung hatte wer die Frau sei und dass die meisten Schwerverbrecher recht harmlos wirkten. Auf den nach Hause Weg dachte ich über Mira nach und es stimmte, sie wusste alles über mich, sogar das was ich ihr nicht erzählte habe (was aber nicht sonderlich viel war) und ich wusste absolut nichts über sie.

Zuhause angekommen, wartete bereits das eben fertiggewordene Essen auf mich. Wieder wunderte ich mich, dass Mira so genau erriet wann ich heimkommen würde. Ich betrachtete sie und plötzlich schien sie eine geheimnisvolle Aura zu umgeben, die mir vorher nicht aufgefallen war. Misstrauen streifte mich, ich führte es auf Sidneys besorgte Ansprache von wegen fremde Leute zurück und wollte es verdrängen, doch es ließ mich nicht los. Also forderte ich Mira auf mir zu erzählen, warum sie hier war, woher sie kam, was sie vorhatte usw. Sie wollte ausweichen und meinte nur: "Des wirst scho no frua gnua erforn." Doch diese Antwort hegte nur noch mehr Misstrauen und ich stellte sie vor ein Ultimatum, entweder sie erzählte mir die Wahrheit oder ich würde sie sozusagen wieder auf die Straße setzten, auch wenn es mir leid getan hätte. Sie meinte dann noch etwas in der Art, wenn sie mir die Wahrheit sagen würde, würde ich sie so und so wegschicken, worauf ich antwortete, dass sie es ja noch nicht probiert hätte und dass ich vielleicht verständnisvoller war als es schien, damit dürfte ich sie überzeugt haben und sie begann zu erzählen:
"Oiso, a heimat hob i net wirkli, i bin moi do moi durt, wo i grod braucht werde, nach Ankh Morpork bin i gestern kumman und zwar weu i wos gsuacht hob. Na jo, am anfang hob i mi gor net auskennt, owa daun bist zum glick du kumman und host ma ghoifn."
"Was suchst du denn?" fragte ich
"Jetzt nux mea, i hobs scho gfunden", erst einige Tage später wurde mir bewusst, dass ich dieses Etwas war.
"Und wovon lebst du so?"
"I moch wos si grod so anbietet und damit bin i bis jetzt vui guat übert Rundn kumman"
Auf die Frage wie lange sie hierbleiben wolle, antwortet sie: "bis i mein Auftrog do erledigt hob, mehr kaun i leider net sogn und i bitt di, frog mi a net danoch, du wirst es no frua gnua erfohrn", im Anschluss unterhielten wir uns über Banalitäten wie Wäsche waschen, die richtige Würze, Mode, über das Problem mit 1,65 m Körpergröße und 110 kg Gewicht modische Kleidung zu erwerben usw. Ich beschloss keine Fragen mehr zu stellen, Frau Kulus schien doch eine der netten guten zu sein und Sid sollte reden, er kannte sie ja nicht mal, meine Zweifel waren zerstreut.

Am Nachmittag fragte sie mich, ob ich schon wusste, was sie mich lehren sollte und ich legte einen Stapel Bücher zum Thema Püschologie auf den Tisch.
"Kannst du mich das Lehren?" fragte ich.
"I was net, bist da sicha dasst des lerna wüst?"
"Ja"
"I mir net"
"Was soll denn das heissen?"
"Wort a momental, setzt di hin und entspann di amoi, wir wern des glei testn"
Ich tat wie mir befohlen, sie setzte sich vor mich, legte ihre Hände auf meine Schläfen, forderte mich auf meine Augen zu schließen und mich auf meinen Herzschlag zu konzentrieren. "Bum, Bum, Bum, Bum, Bum, Bum" ... ein Bild in meinem Kopf entstand ... "Bum" ... anfangs verschwommen, dann klarer ... "Bum" ... mir wurde kalt ... "Bum" ... ich befand mich in einer Zelle ... "Bum" ... es war feucht, neben mir erkannte ich Kinder ... "Bum" ... mein Arm schmerzte, er fühlte sich gebrochen an ... "Bum" ... ich
hatte Hunger ... "Bum" ... ein weinen erklang ich sah in die Richtung aus der es kam ... "Bum" ... es gehörte einem Säugling, der gerade mal vier Monate alt sein dürfte ... "Bum" ... ein Junge blickte mich hilflos an ... "Bum" ... in seinen Augen konnte ich Hungerschmerz erkennen ... "Bum" ... als ich neben mich blickte erkannte ich den Körper eines Kleinkindes ... "Bum" ... ich griff ihn an, er war kalt und leblos ... "Bum" ... erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich gefangen ... "Bum" ... klein und hilflos war ... "Bum" ... das weinen von Kindern umgab mich ... "Bum" ... ich konnte mich nicht mehr zurückhalten ..."Bum" ... war ich doch selbst noch Kind ... "Bum" ... tränen füllten meine Augen, ein Schluchzen entkam mir ... "Bum Bum" ... ich gab mich meinen Ängsten hin ... "BumBumBumBumBumBumBum"

Als ich aufwachte fand ich mich in meinem Bett wieder. Mira saß neben mir und hielt meine Hand.
"Tut ma lad Mädal, dasst des host durchmochn miaßn, i bin a bissale zspät kumman, es hot scho angfangen ohne dasst glernt hast es zu steuern, i hätt sollen a bissale friacha kumman. Wir hobm nimma vü Zeit, du muast jetzt schnö lerna, sonst kontrollierts di."
"Wie was? Was kontrolliert mich und wo war ich, was machst du mit mir?" Panik stieg in mir auf, mein Herz klopfte schneller, ich fühlte mich schwach und noch bevor Mira antworten konnte, schlief ich wieder ein. Als ich wieder erwachte war es bereits Nacht, Frau Kulus wachte immer noch an meinem Bett. Ich war wieder klar im Kopf, erinnerte mich an das Geschehene und wollte Antworten und die möglichst schnell. Mira befriedigte dies nur teilweise indem sie mir erklärte, dass sie so etwas wie Telepathin war,
das ist jemand der in die Gedanken anderer sehen konnte und dass auch in mir diese Kraft schlummert, allerdings nicht ganz so stark wie bei ihr und dass es ihre Aufgabe sei, mir beizubringen damit umzugehen, bevor sie mit mir umging, was dann zu so etwas wie einer globalen Katastrophe enden könnte. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Buch und hoffte, dass ich irgendwann aufwachen würde und das ganze nur ein schlimmer Traum war. Doch leider geschah nichts dergleichen, ich beschloss Mira am nächsten Tage vor die Tür zu setzen und dem ganzen ein Ende zu bereiten. Kurz darauf schlief ich wieder ein.

Ich befand mich abermals in einer Zelle, diesmal war es eine andere, mit anderen Kindern, ich konnte sie nur verschwommen erkennen, eines der Mädchen hielt mich im Arm, ich weinte, ich hatte Hunger, meine Mama fehlte mir, sie hatte doch gesagt sie würde mich nie alleine lassen ...

Abermals wachte ich schweißgebadet auf, mein Blick glitt zu Mira, ich begann sie zu hassen. Seit sie hier war, tauchten diese Bilder in mir auf, sie war Schuld daran, sie hatte sie geweckt ... doch dann begann ich zu überlegen, was wäre wenn es wirklich stimmte was sie erzählt hatte, wenn sie hier war um mir zu helfen ... pah, helfen wobei? Na gut, meine Phantasie spielte mir nen Streich, war ich doch in der letzten Zeit enormen Stress ausgesetzt und die Kindsentführungen setzten mir nochmals zu und deshalb bildete ich mir ein Dinge zu erleben, die es gar nicht gab. Ich versuchte, mir dies ganz feste einzureden, schließlich hatte ich Urlaub und ich wollte entspannen, ins Sonnenstudio und den Schönheitssalon gehen, ganz einfach nur faul sein. Doch irgendwas in mir nagte und nagte, es war keine Angst, es war vielmehr eine Ahnung, die ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in die hintersten Ecken meines Unterbewusstseins verdrängte.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte war Mira gerade beim packen.
"I siach, du wüst da net höfn lossn, oiso wird i wieda durt hingehn woher i kumm"
Ich machte keine Anstalten sie aufzuhalten, meinte nur dass es mir leid tue, dass es nicht so lief wie wir uns es vorstellten, verabschiedete mich von ihr und beobachtete wie sie Richtung Eingangstüre verschwand.

... ich fand mich in einem dunklen engen Raum wieder, meine beiden Arme, sowie meine Nase als auch mein Rücken berührten jeweils eine Wand, sie musste aus Metall sein. Ich konnte meinen Körper nicht bewegen, doch ich konnte denken, ansonst schon nichts, ich versuchte um Hilfe zu schreien, doch mein Mund war verschlossen, er ließ sich nicht öffnen, Panik erfüllte mich ...

"Ois okay, Mädal?" Frau Kulus war die Treppe wieder hochgeeilt und fing mich rechtzeitig auf bevor ich zu Boden stürzte.
"Was hast du mit mir gemacht?" schluchzte ich.
"I hob nix gmocht, des bist du söwa, owa irgendwos hot des ois fü zu fruah ausglöst"
"Was soll ich machen, ich kann nimmermehr, ich halt das nicht aus"
"Do kaun ma nix mochn, des is Bestimmung, owa du kaunst lerna es zu steuern und dann is ka Last mehr, daun is vümehr a Gabe"
"Ich wills aber nicht" in mein Schluchzen mischte sich Zorn.
"Geh kumm kindal, net zornig werdn, i was es is schwa owa mei Angebot steht imma no"
"Woher weißt du das alles? Und warum gerade ich?"
"Des wiast scho no frua gnua erfohrn, jetzt is no net da richtige Zeitpunkt"
"Und wann ist der sogenannter richtige Zeitpunkt?" mittlerweile brüllte ich, aus der Nebenwohnung schrie jemand "Ruhe hier, manche Leute wollen noch schlafen!"
"I was net, i was net"
"Aber du scheinst doch alles zu wissen"
"Na, net olles, nur vü"
"Dann sag mir doch wie ich diese Bilder oder Visionen oder was auch immer das ist wieder loswerde"
"Des braucht Zeit, Mädal, des braucht Zeit"
"Ich hab aber keine Zeit" ich kochte innerlich, mir ging dieses geheimnisvolle Getue gewaltig auf den Ar***. Ich wollte wissen was los war, ich wollte wissen was mit mir los war und was das mit Mira Kulus zu tun hatte und das sofort, doch sie ließ sich nicht knacken, sie wich meinen Fragen geschickt aus und nach einigen Stunden fand ich mich damit ab ein wenig Geduld zu üben.

Die nächsten Tage verbrachten wir mit Konzentrationsübungen. Mira lehrte mich, meine Gedanken auf meinen Willen zu konzentrieren. Jeden Abend versuchte ich, Mira dazu zu bringen, mir die ganze Wahrheit und die Zusammenhänge zu erklären und jeden Abend erhielt ich die Antwort, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Mira lehrte mich, meine Flügel für kurze Zeit zu kontrollieren, sie lehrte mich über ihre Gedanken Bilder zu erkennen und sie lehrte mich vor allem, dass die Macht der Gedanken und Empfind
ungen sehr groß war und dass diese Macht in den falschen Händen eine unmeßbare Gefahr darstellten und daher der Umgang damit sehr überlegt sein musste. Weiters schaffte sie es, mich geschickt von der Außenwelt abzuschotten, so dass ich nicht merkte wie täglich Kinder verschwanden und meine Kollegen bei der Wache verzweifelt daran arbeiteten diese wiederzufinden und dabei immer wieder auf eine falsche Fährte gelenkt wurden. Auch meine Visionen oder was auch immer es war hatte ich nun bis auf ein paar sekun
denlange Ausrutscher unter Kontrolle.

Eines Abends kam Mira zu mir und meinte dass wir mal ernsthaft miteinander sprechen müssten. Ich setzt mich zu ihr, war neugierig was nun schon wieder war.
"Oiso Kindal, i glaub du bist jetzt so weit, a wennst du no unsicha bist, owa vertrau ma, i brauch jetzt nämli deine hülfe"
"Hilfe wobei?"
"Des kaun i da leider net sogn, jetzt liegts aun dir, wennst ma vertraust tua gaunz anfoch wos i sog, wenn net wir i no heit verschwinden"
"Wie soll ich dir vertrauen, wenn ich nicht weiß worum es geht, was du vorhast?"
"Her gaunz anfoch auf dein Herz, mehr kaun i da leider net sogn"
Ich war mir zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht sicher ob ich ihr Vertrauen konnte, sie war zwar nett, sie war sympathisch und sie lernte mir endlich wie ich mit meinem Leben, meiner Gabe der Flügel (ja sie machte mir bewusst, dass es sich um eine Gabe handelte) zurechtkommen konnte, wie ich es sogar zu meinen Vorteil einsetzten konnte, doch ich kannte sie noch nicht lange und ich wusste nicht woher sie ihr Wissen bezog, also ließ ich sie gehen, wenn auch nicht ganz ohne Abschiedsschmerz. Am nächsten Tag war mir furchtbar langweilig, nachdem ich den ganzen Vormittag wie wild geputzt hatte und es nichts mehr zu tun gab saß ich zwei Stunden auf meinem Bett um in die Luft zu starren. Nachdem auch dies sehr langweilig wurde, beschloss ich eine Sprung bei meinen Kollegen in der Wache vorbeizusehen, ich schlüpfte aus meiner Hauskleidung in einen Hübschen Hosenanzug und kurz darauf befand ich mich auch schon im Wachhaus, wo reges Treiben herrschte.
"Angie, wo hast du denn gesteckt" Lewton blickte aus seinem Büro, "gut dass du hier bist, wir könnten deine Hilfe gebrauchen"
Kurze Zeit darauf befand ich mich auf den Weg zu einer meiner Informantinnen die anscheinend eine Entführung von einem der Kinder selbst beobachtet hatte. Plötzlich, ich weiß nicht wie ich es Beschreiben soll, es war, als ob ich eine Stimme in meinem Kopf hörte oder doch nicht ganz so, na ja bleiben wir bei Stimme im Kopf, die mir folgendes mitteilte: "her auf dein Herz, hüf ma, bitte hüf ma"
"Mira?" ich drehte mich einmal um mich selbst "Mira wo bist du?" ich konnte sie nirgends sehen.
"her auf dein Herz, hilfe!!" ertönte es abermals in meinem Kopf.
"Wo bist du?" ich konnte noch immer niemanden erkennen, sofort schaltete sich mein Schutzmechanismus ein und erklärte mir dass es sich um reine Einbildung handelte und dass ich eventuell einen Püschologen aufsuchen sollte, bevor ich vollkommen verrückt werden würde, doch die Stimme verstummte nicht. Ich versuchte mich auf die Geräusche in meiner Umgebung zu konzentrieren doch auch das nützte nicht, also beschloss ich Miras Stimme zu folgen, in die Richtung aus der ich vermutete dass sie kam. Ich wanderte
schon fast zwei Stunden, hatte die Stadt längst Richtung Sto Ebene verlassen, als ich den Eingang eine Höhle erreichte.
"Sag mir nun endlich wer deine Schülerin ist" tönte eine tiefe angsterregende Stimme aus dem Inneren "ich habe mehr Macht als ihr beiden zusammen, ich werde euch zerquetschen wie die Fliegen auf meiner Pizza"
"Du wiast des neamals erfohrn, i bin stärka ois du denkst" konnte ich aus dem Inneren diesmal Miras echte Stimme vernehmen.
Aus den Gesprächsfetzen die ich vernehmen konnte, reimte ich mir zusammen, dass der Inhaber der tiefen Stimme, die Herausgabe meines Namens von Mira erzwingen wollte.

... ich hatte Hunger, schrecklichen Hunger, es musste schon gut eine Woche her sein, dass ich essbares zwischen den Zähnen hatte, ich kratzte etwas Erde vom Boden, verschlang sie, Wasser, ich brauchte Wasser um sie runterzuspülen, im Krug war noch ein Tropfen, mein Blick glitt zu dem Baby neben mir, dass vor Stunden das Weinen aufgegeben hatte ...

Ich schreckte auf, plötzlich wusste ich, die Kinder, sie befanden sich tief in der Höhle, ganz tief, ich musste sie retten, retten bevor es zu spät war. Die Stimmen in der Höhle waren verstummt. Ich dachte nach, was hatte Mira mit den Entführungen zu tun? Wusste sie die ganze Zeit davon? Zorn brodelte in mir, ich hatte tagelang einer Verbrecherin, wahrscheinlich der Drahtzieherin Unterschlupf gewährt, hatte nicht mal was davon gemerkt. Der Zorn machte mich blind, ließ mich unvorsichtig werden, ich stürmte
in die Höhle, Finsternis umgab mich. Plötzlich flammte eine Fackel auf, dann noch eine und noch eine, ganz von allein, ich konnte niemanden ausmachen. Immer noch blind vor Wut folgte ich den sich selbst entzündeten Fackeln, sie brachten mich in einen runden Raum in dem sich Mira befand und ein ca. 15 jähriges Mädchen.
"Da ist sie ja schon" erklang die tiefe Stimme abermals, aber diesmal wieder im Inneren meines Kopfes
"Hüf ma Mädal, hüf ma, vertrau ma, denk draun wos i da glernt hab" ich konnte die Worte nicht richtig hören, eher spüren.
"Wie soll ich dir jetzt noch vertrauen?"
"Siehste, sie ist auf meiner Seite ohne dass ich dafür was machen musste" das Mädchen grinste hämisch.
"Her auf dein Herz auf dein Gefühl"
Ich bekam Angst, die ganze Situation war mehr als unheimlich. Das Mädchen schien zu wachsen meine Angst vertiefte sich und das Mädchen schien noch größer zu werden. Ich merkte eine Spannung zwischen den Beiden und plötzlich wurde mir bewusst, sie kämpften, sie kämpften und ihre Waffe war die Macht der Gedanken. Ich wusste es war so weit, ich würde die Wahrheit kennenlernen, ich erinnerte mich an alles was Mira mich gelehrt hatte, konzentrierte mich auf ihre Gedanken ich sah Bilder, Bilder einer jungen Frau, die in die Köpfe anderer sehen konnte, Bilder der selben Frau, die lernte damit umzugehen, Bilder dieser Frau, die jemand kennenlernte, Bilder dieser Frau, die etwas schreckliches tat, Bilder dieser Frau, die ein Kind bekam, Bilder dieser Frau, die dieses Kind töten wollte, Bilder wie das Kind Jahre später auftauchte gemeinsam mit ihrem Vater, einem Dämon, Bilder wie der Dämon vernichtet wurde, Bilder die das Kind verschwinden ließen, Bilder der Reue, eine Frau, die versuchte wieder gut zu machen was sie getan hatte. Ich verstand plötzlich, Mira, hatte sich mit dem Bösen eingelassen, etwas Böses gezeugt und nun braucht sie mich, sie brauchte meine Hilfe um das wieder gut zu machen. Ich zweifelte, ich zweifelte an mir, an meinen Kräften, ich zweifelte ob jemand so böse sein konnte, dass ihm seine eigene Mutter den Tod wünschen könnte.
"her auf dei Heaz und handl danoch" ertönte es abermals, dann war es ruhig, die Spannung im Raum wurde stärker, ich merkte wie Mira kurz davor war zu verlieren, zusammenzubrechen ... sie warf mir einen flehenden Blick zu ...

Ich weiß nicht mehr was mich veranlasste eine Entscheidung zu treffen, doch ich tat es, ich gab mein Bewusstsein frei, es verband sich mit Miras, wir waren plötzlich eins, ... für einige Minuten setzt meine Erinnerung aus, ich erinnere mich nur mehr daran dass es plötzlich Plopp machte und das Mädchen verschwand, es hatte sich ganz einfach in Luft aufgelöst. Ich kniete neben Mira.
"Danke Mädal, des wer i da nie vergessn, owa jetzt muaß i di leida verlossn, mei zeit is ogrennt, owa i wü da vorher no wos sogn, in dir schlummern die söbn kräft, lern damit umzgehn und moch net den söbn föhler wia i, ah jo, und los di net beherrschn sei immer du die herrscherin und jetzt geh und los di Kinda frei"
"Aber was haben die damit zu tun?"
"Sie hot von ihrm Vota glernt dass es kaum wos stärkas gibt ois Hoffnunf und Aungst zaumgmischt und am stärkstn is des vo kinda und sie wor nie so stork wie i, owa sie hot mi besiegn miasn, i woa die anzige die ihr no im weg gstandn ist."
Ein kurzes Plopp und auch Mira verschwand, ich hab keine Ahnung wo sie jetzt sein könnte und ob sie noch ist. Einige Minuten verharrte ich noch auf dieser Stelle, der Kampf hatte Kräfte gekostet, ich wusste noch immer nicht was genau geschehen war. Dann machte ich mich auf, die Fackeln waren erloschen und ich tastete mich im Finsteren durch den Gang, schließlich flackerte wieder Licht vor mir und ich betrat einen Raum. Ich werde diese Bilder, die sich mir boten mein Leben lang nicht mehr vergessen und doch kann ich ihn nicht in Worte kleiden. Hunderte von Kindern waren in Käfigen zusammengepfercht, abgemagert, kaum Kleidung, bei Temperaturen die kaum über den Gefrierpunkt lagen, Angst zeichnete ihre rotgeweinten Augen. Manche waren tot, zusammengetrampelt, verhungert oder erfroren. Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, was diese durchmachen mussten. Geistesabwesend öffnete ich einen Käfig nach dem anderen, dankbare Kinderaugen blickten mich an, die großen bzw. jene die noch Restkräfte besaßen, trugen die kleinen und schwachen, hinaus, hinaus aus der Höhle, weg von jenem furchtbaren Ort den sie wohl niemals vergessen würden. Beim Eingang warteten schon meine Kollegen, denen ich eine Nachricht geschickt hatte, sie verschwanden nach und nach, ich blieb allein zurück, mit etwas Sprengstoff, diesem Blatt Papier und einem Bleistift.

Lieber Unbekannter, Liebe Unbekannte, du hast ihn also gefunden meinen Brief ohne Empfängeradresse. Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht gleich vernichte, ich weiß nur, dass ich momentan mit niemanden darüber sprechen kann (zumindestens jetzt noch nicht) was mir in den letzten Tagen widerfahren ist. Ich weiß jetzt dass ich etwas besitze von dem ich allerdings nicht weiß ob es gut oder böse ist. Ich hab keine Ahnung wie Stark dieses Etwas ist und ob ich jemals lerne damit umzugehen. Ich schreibe jenen Brief
weil ich es loswerden musste, weil es raus aus mir musste - doch momentan muss es noch ein Geheimnis bleiben, das erste Geheimnis das ich bei mir behalten werde. Auch soll dieser Brief mein Andenken an Mira Kulus sein, jene Frau die ich zwar kaum kenne, die mir aber einen großen Schritt weiter geholfen hat, eine Frau die dem Bösen verfallen war, die aber dennoch in meinen Augen eine Heldin ist.
Nun bleibt mir nur noch übrig diesen Brief an diesem Ort zu lassen, um diese Schreckenshöhle anschließend zu zerstören, zerstören um vielleicht vergessen zu machen.

*** ENDE ***



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