F.R.O.G. arbeitet an einem brutalen Mordfall. Kann S.U.S.I. zur Aufklärung beitragen?
Dafür vergebene Note: 13
Anfang
Hass brannte in ihm, bodenlos, abgrundtief und alles verzehrend. Und Verachtung für die Dummheit der Welt. Als es ihm gelungen war, den Raum zum ersten mal zu betreten, war er stolz auf sein Genie. Und gleichzeitig erfüllte ihn unendliche Wut, weil er der einzige war, der seine einzigartige Begabung zu schätzen wusste. Und Hass auf den bisherigen Bewohner dieser Räume.
Ihm wurde etwas derartige gegeben.
Er war ja auch ein Genie. Ihn
selbst schienen die Leute eher wie etwas wahrzunehmen, was man bei einem feinen Empfang unter der Schuhsohle finden, weil man auf der Straße beim Gehen nicht aufgepasst hat. Eklig und peinlich. Nun, die Welt würde bald sehen, was sie davon hatte.
Was in dem Raum stand, erfüllte ihn mit Neid, den er sich niemals eingestanden hätte. Er sah die Dinge, wusste, dass er nur noch die Überreste einer ehemaligen Herrlichkeit sah und dachte, dass er das alles hätte besser machen können. Wenn man ihm eine Chance gegeben hätte. Aber eine Welt, die ihm keine Chance geben wollte, verdiente es gar nicht zu existieren. Oder wenn, dann nur als etwas, was er in den Staub treten konnte.
Vielleicht sollte er zu seinem Auftraggeber gehen und ihm zeigen, wozu er fähig war. Kurz dachte er darüber nach. Und doch wusste er, dass er vermutlich auch sein Genie nicht richtig würdigen würde. Oder zu dem Mann gehen, der hier gewohnt hatte.
Der würde ihn und sein Talent schätzen. Zu zweit würden sie die Welt verändern. Oder auch nicht. Der Mann war doch nur ein Stümper. Er hatte nie begriffen, worauf es dabei ankam. Nein, und außerdem: Die Welt hatte ihre Chance gehabt. Jetzt war dieser Raum
sein Raum. Er würde die Dinge im Raum verbessern. Und dann benutzen. Er wusste auch schon, an wem er seine Erfindungen erproben würde. Er brauchte ein Versuchskaninchen. Er kicherte bei dem Gedanken, wer das sein würde. Kaninchen war das falsche Wort. Er brauchte eine Ratte. Er lachte, als er sich ein Gesicht vorstellte.
Dunkle Wege
„Ey, Teppichpriester, Du sollst mal zu Fettschulter kommen“, tönte es aus dem Kommunikationssystem der Wache.
Aaps, ebenso klein, missgelaunt, bösartig und unverschämt wie die anderen Kommunikationsdämonen lehnte sich lächelnd aus dem Rohr und trommelte ungeduldig mit den Fingerchen auf dem Rand. Ein gleißender Lichtstrahl brach sich in verspiegelten Gläsern und blendete den Wächter. Oberfeldwebel Pismire, der gerade einen etwas konfusen Zwischenbericht über seine Aktivitäten in Quirm zu bearbeiten hatte, schreckte hoch.
„Hä, was, WIE BITTE?“ Wütend funkelte er das kleine Wesen an.
Aaps scherte sich nicht darum und grinste dreist zurück. „Fusselkopp, ich hab' nich' den ganzen Tag Zeit. Hier gib's echt noch Leute, die arbeiten müssen. Und nicht nur auf dem Hintern sitzen. Auf jeden Fall will Fettschulter dich sehn. Und zwar pronto prestissimo. Wenn's denn beliebt.“
Pismire seufzte. Während Abteilungleiterin Ptracy mit dem ihr eigenen Charme den kleinen Dämonen mittlerweile einigermaßen Manieren beigebracht hatte, biss er selber - was derartige Anstrengungen anging - immer noch auf Granit. (Das soll nicht heißen, dass er versucht hätte an dem Hauptgefreiten Granit sein etwas ältliches Gebiss zu erproben, hier ist
mettafforisches Denken gefragt.)
Dass die Rohrdämonen Rascaal Ohnedurst als 'Fettschulter' bezeichneten, da sein Umhang meist unter Venezias Ernährungsgewohnheiten zu leiden hatte, war allgemein bekannt. Auch seine eigene Herkunft aus dem Teppich und der daraus resultierende Spitzname 'Teppichpriester' (der manchmal auch als 'humoriges' Wortspiel zu „Teppichpisser“ verballhornt wurde) war Pismire geläufig. Bisher war ihm aber nicht bekannt gewesen, dass sein etwas schütter werdendes, immer noch im Zopf getragenes langes Haar Anlass zu Ausdrücken wie 'Fusselkopp' hätte sein können (nun ja,
schütter wäre seiner Ansicht nach ein etwas zu harter Ausdruck, aber er musste - vor allem Angesichts von Spiegeln - schon zugeben, dass es mit der jugendlichen Haarpracht langsam zu Ende ging). Er seufzte und machte sich auf den Weg.
Er klopfte an Rascaal Ohnedursts Büro, wartete das „Herein“ ab, trat ein und salutierte vor dem hoch gewachsenen Vampir. Der Oberleutnant hing nicht an seinem Balken sondern saß relativ angespannt und nervös an einer Knolle saugend an seinem Schreibtisch, auf dem Venezia wütend ihre Runden stapfte. Pismire vermutete, dass die beiden erneut über das Vorgehen in einem Fall unterschiedlicher Meinung waren.
„Äh, Pismire, setzt dich doch.“ Eine einladende Geste ließ ihn vermuteten, dass der Vampir auf Zeit spielte.
„F.R.O.G. braucht die Hilfe eines erfahrenen Gerichtsmediziners. Wir haben da in eine Leiche gefunden, die Fragen aufwirft.“
Er stockte kurz: “Wie dem auch sei, ohne eine gründliche Obduktion kommen wir in dem Fall nicht weiter. Ich hoffe, dass du nichts dringendes zu erledigen hast? Die Sache könnte einige Zeit in Anspruch nehmen.“
„Nein“, entgegnete Pismire und gratulierte sich insgeheim, zugunsten eines aufregenden Falles den langweiligen Papierkram ein wenig beiseite schieben zu können. „Wo ist die Leiche? Wir können sofort aufbrechen, ich hol nur meine Sachen. Wo geht's denn hin?“
„Nun, du sollst erst einmal nur so mitkommen. Wo die Leiche ist, können wir dir leider nicht sagen.“
„Wie bitte?“ Pismire traute seinen Ohren nicht. „Ich denke, dass ihr die Leiche habt.“
„Das haben wir auch. Aber du kannst nur mit verbundenen Augen dorthin“, warf die Gnomin ein und stapfte noch ein wenig wütender über die Tischplatte.
„Das ist ein Witz, oder?“ Pismire blickte unsicher von Rascaal und Venezia auf der Suche nach einer Pointe.
„Nein, kein Witz“, schnauzte Venezia. „Wenn's dir nicht passt, dann frag' den Kommandeur. Und guck' nicht so, auf unserem Mist ist die Anweisung nicht gewachsen.“
„Moment, ihr wollt doch nicht etwas sagen, dass jetzt diese blöde Klicker-Klamotte kommt, wo irgendso ein Depp mit verbundenen Augen durch die Stadt wankt, hilfreich von zwei Wächtern begleitet?“ fragte Pismire wütend.
„Nein, Pismire, wir haben eine Sänfte für dich im Hof. Da kommst du rein und wenn wir da sind, wo wir hin müssen, dann steigst du einfach aus und
dann kommt die Nummer mit der Papiertüte.“ Rascaal versuchte nicht einmal mehr zu lächeln.
Die Stimmung im Raum war gereizt, aber Pismire vermutete, dass die Anweisung so gegeben worden war, dass sie nicht zu umgehen war. Er resignierte.
„In Ordnung. Aber meine Sachen nehme ich mit, oder erwartet ihr, dass ich eine ordentliche Obduktion mit einem zufällig anwesenden Käsehobel vornehme?“
„Die Leiche wird später in die Wache gebrachte. Der Pat..., äh, Rince will, dass du erst einmal den Fundort in Augenschein nimmst, um dir ein Bild zu machen.“ Rascaal wies mit unbewegtem Gesicht auf die Tür. „Na, ja, trotzdem auf gute Zusammenarbeit“, nuschelte er, während er nach einer weiteren Knolle griff.
Pismire wurde in der Tat im Hof der Wache in eine Sänfte gesetzt, bekam aber als zusätzliche Sicherheit noch eine Art Sack über den Kopf gezogen. Getragen wurde sie von Malachit und Gargaros. Der Schamane musste beinahe kichern, so absurd erschien ihm die ganze Situation.
Anders als die Wächter, die in Ankh-Morpork geboren worden waren oder wenigstens eine lange Zeit dort gelebt hatten, war Pismire mit der Topographie der Stadt nicht annähernd vertraut genug, um auch nur zu ahnen, wohin er getragen wurde. Er dachte an Kommandeur Rince, von dem die Rekruten ehrfürchtig erzählen, er sei in der Lage, durch die Sohlen seiner Stiefel die einzelnen Pflastersteine zu spüren und so selbst mit geschlossenen Augen jederzeit zu wissen, wo er sich gerade befand.
'Ich wette' , dachte Pismire erbost,
'vermutlich sogar durch die verdammten Stiefelsohlen der Sänftenträger!' Nach einer Weile betraten sie offensichtlich ein großes Gebäude. Eine Person schien nun die Führung zu übernehmen. Er hörte eine Stimme, die so leise sprach, dass er die Worte zuerst nicht verstehen konnte, hatte aber dennoch den Eindruck, die Stimme zu kennen.
Kurze Zeit später wurde die Sänfte abgesetzt. Er hörte Gargaros und Malachit sich entfernen. Dann beugte Rascaal sich über ihn.
„Sorry, Pismire“, hörte er ihn murmeln, dann wurde er mit verbundenen Augen wie ein Kartoffelsack über die Schulter des Vampirs geworfen, was ihn nicht milder stimmte, ihn aber wenigstens aus dem Dunstkreis den Rote-Bete-Brodems brachte.
Hin und wieder hörte er Sätze wie: „Nein, Oberleutnant, die dritte von links und dann ebenfalls den Stein berühren“, oder: „Heute ist ein zweiter Dienstag im Monat und wir haben kein Schaltjahr, nicht wahr?“
Blitzartig erkannte er die Stimme: Lord Ventinari. Pismire wurde nervös.Nach einer Zeit hörte er eine Tür, er wurde abgesetzt und jemand entfernte sich. Der Sack wurde entfernt und er sah in Rascaals Gesicht.
„Das war Ven...“
„Pssst“, unterbrach ihn Rascaal und legte ihm den Finger auf den Mund.
Dunkle Methoden
Pismire sah sich um. Der Raum schien weit oben im Palast zu sein und riesig. Vermutlich eine umgebauter Dachraum. Ein großes Fenster in der Stirnseite gab gutes Licht und eine schöne Aussicht auf die Stadt - allerdings auf die Schatten.
In dem Raum herrschte ein Durcheinander aus Regalen, Tischen, Gestellen und eigenartigen Maschinen. Allerdings schien alles seit längerer Zeit nicht mehr in Benutzung zu sein, dicke Staubschichten und Spinnweben hatten sich gebildet.
An einer Wand befand sich ein seltsames Gestell, eine Art Bett mit Lederfesseln, allerdings hochkant stehend, auf das ein Mann geschnallt war. Über seinem Kopf war ein Behälter, aus dem kleine Schläuche mit Manschetten an den Oberarmen verbunden waren, deren Zweck Pismire nicht erraten konnte. Der Mann selbst war offensichtlich tot. Mitten in seiner Brust steckten übereinander drei Pfeile, seine Kleidung war blutverschmiert, im Mund befand sich ein Knebel.
„Sieht bizarr aus...“, meinte Pismire und näherte sich der Leiche.
„Ja, genau“, meinte Rascaal. „Deswegen haben wir dich geholt...“, fügte er noch an, brach aber im Satz ab.
„Na, dann mach ich mich mal an die Arbeit.“ Der Gerichtsmediziner ging auf die Leiche zu und begutachtete die Pfeile.
„Das sind Spezialpfeile für eine kleinkalibrige
Burlich-und-Starkimarm. Mückensturm hat mir mal einen längeren Vortrag darüber gehalten. Äh, naja, wem eigentlich nicht...“, grinste er. „Sie könnten auch direkt aus Mückensturms Arsenal stammen.“ meinte er fröhlich. „Und, ach du Scheiße...“, er brach ab.
„Die Pfeile haben Mückensturms Zeichen“, unterbrach Venezia ihn wütend. „Und da drüben haben wir eine Armbrust gefunden, Und die sieht auch nicht nur so aus, sie IST aus Mückensturms Arsenal.“
„Gestern Abend geriet Oberfeldwebel Mückensturm auf dem Heimweg vom Dienst in einen Hinterhalt. Er wurde von überfallen und niedergeschlagen. Als er wieder zu sich kam, fehlte nichts - außer dieser Waffe. Er hat es natürlich sofort gemeldet, aber von den Tätern fehlt jede Spur“, berichtet Rascaal.
„Wer hat denn das geschafft?“ fragte Pismire neugierig.
„Es war kein gewöhnlicher Überfall“, erläuterte Venezia. „Die Täter haben sich hinter einer, naja, Näherin versteckt. Also versteckt nicht. Sie haben sie als Lockvogel vorgeschoben. Und so Mückensturm abgelenkt. Und ihn dann niedergeschlagen.“
Die Gnomin konnte ein Grinsen nicht verbergen. „Wir versuchen gerade, die
Dame ausfindig zu machen - D.O.G. durften wir nicht einschalten - aber Ras vermutet, dass sie eh' nicht viel wissen wird.“
„Na, dann sollten wir als allererstes klären, wann der Mann hier ermordet worden ist“, meinte Pismire und begab sich zu Leiche.
Er untersuchte den Toten eingehend. Hinter sich konnte er die Anspannung seiner Mitwächter spüren. Nach einer Weile drehte er sich um.
„Nun, der Mann ist schon länger tot. Ich vermute, dass er seit 24 Stunden nicht mehr unter den Lebenden weilt“, bemerkte Pismire kühl. „Und das ist eindeutig. Er starb also zu einem Zweitpunkt, als Mückensturm noch im Besitz der Waffe war.“
Rascaal schaute ihn entsetzt an. „Du willst doch nicht...“, knurrte er wütend.
„Ganz ruhig, Sir“, entgegnete Pismire. „Ich will gar nichts. Ich halte nur die Fakten fest. Und zu denen gehört auch, dass die Schüsse auf eine Leiche abgegeben wurden. Wohlgemerkt: der Mann war eindeutig tot, als jemand mit der Armbrust auf ihn schoss. Und das vor weniger als 12 Stunden. Mit anderen Worten: Jemand raubte Mückensturms Armbrust. Danach wurde mit ihr dreimal auf eine Leiche geschossen. Deren genaue Todesursache noch nicht feststeht.“
Venezia und Rascaal atmeten auf.
„Danke, Pismire. Damit ist der Punkt wenigstens eindeutig geklärt“, bemerkte der Oberleutnant.
„Wer war der Mann überhaupt, was wissen wir über ihn?“ fragte Pismire neugierig.
„Äh,“ Rascaal stockte, „das spielt eigentlich keine Rolle. Und ist geheim.“
„Verdammt, Rascaal“, fauchte Venezia, „er ist Wächter wie wir. Er arbeitet an dem selben Fall wie wir. Scheiß' auf die Anweisungen, wie soll er uns denn helfen, wenn wir ihm nichts sagen.“
„Ich kann mir die Leiche auch erst einmal gründlich ansehen, aber je weniger Hintergrundwissen ich habe, desto vager können die Befunde sein.“
Er ging zu dem Gestell. Die Maschinerie, auf der sich der Tote befand schien schon seit einiger Zeit nicht mehr in Gebrauch zu sein.
„Am besten, ich mache eine Skizze, dann nehme ich den Toten ab, dann sehen wir weiter“, meinte er, wenn auch mehr zu sich selbst.
Venezia und Rascaal schienen immer noch wütend in einer Ecke zu diskutieren.
Der Schamane wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Das Gestell war so an einer Wand befestigt, dass man nur die Vorderseite sehen konnte. Das Gefäß über dem Kopf der Leiche war mit einer Flüssigkeit gefüllt, die sich als Quecksilber herausstellte. Es befand sich offensichtlich auch in den Schläuchen und in den Manschetten, die um die Oberarme des Mannes führten. Von den Manschetten aus verliefen wieder Schläuche, die durch das Brett zu dessen Rückseite führten. Pismire war immer noch ratlos, welche Aufgabe die Konstruktion haben mochte, aber er dachte sich, dass er das leichter klären konnte, wenn er erst einmal den Toten aus den Lederschlingen befreit hatte.
Vorsichtig nahm er die Leiche ab. Ein Blutgerinsel, das aus dem Mund des Toten geflossen war, wies auf innere Verletzungen hin, aber von vorne betrachtet waren keine weiteren Verletzungen zu erkennen, und auch die Kleidung war kaum mit Blut besudelt. Pismire nahm die Leiche herunter und bemerkte dabei, dass der Tote auf dem Brett festzustecken schien.
„Ich brauch' mal eben deine Hilfe, Rascaal“, rief er.
„Ich komme“, antwortete der hochgewachsene Vampir.
Zu zweit nahmen sie die Leiche ab. Als sie sie vom Brett gelöst hatte, pfiff Pismire durch die Zähne.
„Schau an, vermutlich haben wir die Todesursache gefunden.“
Entsetzt blickten die Wächter auf den Apparat. Seine Oberfläche wies an über vierzig Stellen runde kleine Öffnungen auf. Und aus jeder dieser Öffnungen ein ragte rasiermesserscharf geschliffener Dorn von rund fünf Zentimetern Länge, der sich in den Körper des Mannes gebohrt hatte.
„Das dürfte als Todesursache ausreichen“, meinte Pismire mit einer gewissen Ehrfurcht in der Stimme.„Aber wer denkt sich so eine widerliche Maschinerie aus?“
„Leonardo da Quirm.“
Entsetzt fuhren die Wächter herum, als sie hinter sich auf einmal die Stimme von Lord Ventinari vernahmen, dessen Eintreten sie nicht bemerkt hatten.
„Leonardo da Quirm hat diese Maschine gebaut, aber sie diente ihm ursprünglich als Massagebett. Er leidet hin und wieder unter Rückenschmerzen. Also hat er eine Maschine entworfen, die ihn in die Lage versetzt, sich selbst über eine Steuerung, die er in der Hand halten konnte, in der gewünschten Stärke am Rücken massieren zu lassen.“ Lord Ventinari trat zu den Wächtern.
„Die Manschetten an den Oberarmen“, fuhr er fort, „sind auch eine Erfindung Leonardos. Beides aus einer seiner medizinischen Phasen. Ursprünglich dienen sie dazu, irgendeinen Druck im menschlichen Körper zu messen - ich hab leider vergessen, welchen.“ Ventinari schaute die Wächter an.
Rascaal erwiderte seinen Blick nicht lange, dann sah er weg.
„Wo ist Leonardo jetzt?“ fragte Pismire.
„In seinem Quartier, natürlich“, entgegnete Ventinari ruhig. „Das hier ist sein früheres Quartier. Es erschien mir nicht mehr sicher genug, also habe ich ihm ein neues besorgt. Die Apparate ließ er damals hier, da er sie entweder nicht mehr brauchte, das Interesse an ihnen verloren oder bereits ein Modell von verbesserter Wirksamkeit gebaut hatte. Es war vielleicht ein Fehler, sie nicht sofort zu beseitigen. Aber ich dachte, dass nach da Quirms Verlegung der Raum bei gewissen Leuten an Interesse verloren hätte.“
„Bei welchen Leuten?“ fragte Pismire weiter.
Die Zeichen, die Venezia und Rascaal versuchten ihm zu geben, ignorierte er hartnäckig.
Der Patrizier musterte ihn mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Amüsement und Ärger zu schwanken schien. „Du bist ganz schön neugierig, Oberfeldwebel - Pismire, nicht wahr?“
„Ich bin in die Ermittlungen mit einbezogen worden. Und ich versuche, gute Arbeit zu machen. Und das kann ich nur, wenn ich auch die notwendigen Informationen für meine Arbeit bekomme. Nur dann kann ich auch die Wahrheit liefern“, entgegnete dieser.
„Ah, die Wahrheit. „Der Patrizier schien zu lächeln. „Was für ein hehres Ziel.
ICH wünsche, dass dieser Fall mit der Ermittlung des Schuldigen gelöst wird. Und das schnell.“ Er drehte sich um und verließ den Raum.
„He, halt, wie hieß der Tote überhaupt?“ rief Pismire hinter dem Patrizier her. Rascaal und Venezia schnappten nach Luft.
„Wühler. Er war für mich im Untergrund tätig. Den Rest sollt
IHR herausfinden.“ Mit dieser Bemerkung war Ventinari verschwunden.
„Uff“, seufzte Rascaal und wischte sich den Schweiß von er Stirn. „Ich dachte schon, dass du uns hier um Kopf und Kragen sabbelst oder fragst. Also gut, wir können dir ja sagen, was wir vom Patrizier wissen.“
Wer klappte seinen Notizblock auf. „Name: Persennius Wühler, Alter: 52 Jahre, Wohnort: Mal hier, mal da, meist in den übler beleumundeten Vierteln von Morpork, Beruf: alles mögliche leicht illegale, auch als Informant für Ventinari tätig im Bereich: Untergrund. Und das ist wörtlich zu verstehen. Ventinari zahlt Leute dafür, dass sie in der Kanalisation oder an ähnlichen Orten Ausschau halten und ihm von den dortigen Ereignissen berichten. Neben Wühler arbeiten noch zwei weitere Leute für ihn in diesem Metier - sagt Ventinari. Ihre Namen: Herbert Nase und Ian McPflaum. Wühler war gestern früh um halb vier zum Bericht bei Ventinari. Angeblich nichts wichtiges, weswegen seine Lordschaft auch nichts darüber berichten wollte. Danach wurde er nicht mehr gesehen. Er scheint den Palast nicht mehr verlassen zu haben, da die Wache ihn zwar kommen nicht aber gehen sah. Heute morgen fand Ventinari einen Zettel auf seinem Schreibtisch, darauf stand
'LdQ1'. Er schloss daraus, dass er besser hierher kommen sollte. Dabei fand er Wühler und benachrichtigte sofort Kommandeur Rince, er solle F.R.O.G. damit beauftragen. Und zwar geheim und nicht mehr als zwei Leute.“
Rascaal schloss sein Notzibuch.
Pismire sah nachdenklich auf die Leiche. „Ich denke, dass ich den Toten noch einmal gründlich untersuchen sollte. Und dann sehe ich weiter.“
„O.K., Ventinari hat gesagt, dass du die Leiche entfernen darfst. Aber die Ergebnisse bekommt nur er. Genau so wie unsere Ergebnisse“, sagte Venezia mit Groll in der Stimme.
„Tja, dann denke ich mal, dass wir uns an die Anweisung halten sollten. Und dass niemand so schlampig ist, eventuell mal für eine Minute aus seinem Büro zu gehen und den Bericht offen auf dem Tisch liegen zu lassen“, grinste Pismire.
„Nein, solch ein Vorgehen kann ich mir bei einem Wächter auch nicht vorstellen.“ Auch Venezia grinste. „Vor allem nicht so in etwas zwei, drei Stunden, wenn der vorläufige Zwischenbericht von F.R.O.G. fertig ist.“
„Oder heute Abend so gegen acht Uhr, wenn die Obduktionsergebnisse vorliegen“, ergänzte Pismire fröhlich.
Rascaal sah mit einem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck zwischen den beiden Oberfeldwebeln hin und her.
„Genau“, meinte er, „Pflichtvergessenheit darf keine ständige Eigenschaft eines Wächters sein.“
Er wirkte schon viel weniger angespannt.
Mit der Leiche in seinem Laboratorium angekommen, begann Pismire unverzüglich mit der Obduktion. Das Ergebnis war nicht weiter überraschend. Die Dorne hatten den Rücken des Opfern regelrecht perforiert, insbesondere die Schäden in Nieren und Lunge hatten zum Tode geführt. Der Knebel im Mund des Opfers hatte verhindert, dass die inneren Blutungen hatten ablaufen können. Pismire schätze, dass der Mann gegen acht Uhr morgens am gestrigen Tag gestorben war, davor aber längere Zeit lebendig in der Maschine festgeschnallt gewesen war.
Offensichtlich war er vor dem Frühstück zu Ventinari gegangen. Die letzte Mahlzeit hatte aus
Blähwinkels extraordinärem Bier in größeren Mengen und einer Schnapperschen Fleischpastete bestanden, von der aber auf Grund ihrer Herstellungsgeheimnisses schwer festzustellen war, ob sie vor zwei oder drei Tagen den Weg in den Magen ihres Opfers gefunden hatte. Pismire vermutete allerdings, dass die aufgefundene Menge Alkohol im Magen und im Blut es wahrscheinlich machte, dass das Opfer während einer nächtliche Zechtour den unverständlichen Drang entwickelt hatte, sein Leben mit einer Fleischpastete abenteuerlicher zu gestalten.
In den Haaren, unter den Fingenägeln und auf der Kleidung der Leiche hatte Pismire Schlamm, Algen und die Sporen von Pilzen gefunden, wie sie in Teilen der Kanalisation üblich waren. Er schloss daraus, dass der Mann mehr oder weniger direkt nach einem längeren Aufenthalt dort sich betrunken hatte und dann von der Kneipe aus zum Bericht zu Ventinari gegangen war. Die Taschen der Leiche waren offensichtlich entleert worden, sie enthielten nicht einmal ein Staubkorn. Er unterbrach seine Obduktion nach drei Stunden, um unauffällig mal einen Blick in den Bericht von Venezia und Rascaal zu werfen.
Dunkle Gespräche
Als er gegen acht Uhr die Obduktion beendet hatte, legte er seinen Bericht auf den Schreibtisch, hängte ordentlich einen Zettel mit den Worten: „Bin kurz in der Kantine, bitte in einer halben Stunde wiederkommen!“ an die Tür und ging erst einmal einen Tee trinken. In der Kantine war erwartungsgemäß nichts los, so dass er Zeit hatte, über beide Berichte nachzudenken.
Aus dem Bericht von F.R.O.G. hatte er entnommen, dass Wühler in den letzten Tagen nicht mehr an seinen üblichen Plätzen gesehen worden war. Einem Kumpel gegenüber hatte er vor drei Tagen ein bisschen geprahlt, sein Leben werde sich bald von Grund auf ändern - zumindest hierin hatte er erstaunlichen Weitblick bewiesen, dann war er über zwei Tage nicht mehr auffindbar gewesen, gestern früh zum Patrizier gegangen und später ermordet worden. Pismire dachte nach. Bei dem Wort Kanalisation musste er an Ratten denken.
Er beschloss, den Bericht - mit dem Venezia und Rascaal jetzt fertig sein durften - an den Patrizier zu geben und dann auf eigene Faust noch ein wenig zu ermitteln.
In seinem Büro fand er alles unverändert, war aber dennoch sicher, dass der Bericht eifrige Leser gefunden hatte. Er schickte ihn auf den Weg und verließ die Wache.
Er hatte kaum Probleme, Willard, den König der Ratten von Ankh-Morpork, zu sich rufen zu lassen, da in seiner Wohnung eine Rattenfamilie unter den Dielen wohnte, die er hin und wieder zu füttern pflegte. Eine Stunde später geruhten Majestät, bei ihm auf dem Tisch zu erscheinen.
„Grüß' Euch, Pismire“, meinte Willard und sah sich auf dem Tisch um.
„Guten Abend, Euer Majestät.“ Pismire wusste, dass Willard Wert auf gewisse Förmlichkeiten legte. „Ihr mögt Wein, wenn ich mich recht erinnere.“ Er schob der Ratte ein winziges aber gefülltes Glas mit Wein hin.
Willard besah die Flüssigkeit, schnupperte an ihr, dann setzte er an und leerte das Gefäß mit einem Zug. Er lehnte sich an einen Brotlaib und rülpste dezent.
„Ihr habt da einen exzellenten Tropfen, Oberfeldwebel.“ Willard zeigte sich wie immer gut informiert.
Pismire schob ihm kommentarlos einige Oliven über den Tisch zu. Willard bediente sich.
Sie trieben ein wenig Konversation, dann richtete sich Willard auf und fragte: „Nun, Ihr habt mich doch sicher nicht nur deswegen um ein Gespräch gebeten, um mich an eurem Imbiss teilnehme zu lassen...“
Pismire nickte. „Ich habe gerade einen Fall, der mir einiges Kopfzerbrechen bereitet.“
Willard winkte ab. „Pismire, Ihr wisst, dass Wir uns prinzipiell nicht sonderlich für die Angelegenheiten der Menschen - oder ähnlicher Wesen - interessieren. Warum glaubt Ihr, dass Wir Euch helfen könnten.“
„Weil die Angelegenheit auch Eure Interessensphäre berührt - vermute ich.“
Er schob eine Zeichnung, die Venezia 'zufällig' doppelt von dem Toten angefertigt und in seinem Laboratorium 'vergessen' hatte, zu seinem haarigen Besucher.
„Ihr solltet diesen Mann kennen. Er war für Lord Ven...“
Willard winkte ab. „Keine Namen, bitte.“ Er saß auf die Zeichnung. „Nun, wenn ich mir das Gesicht ansehe - doch ja, das war einer der Leute, die wir deswegen regelmäßig beobachten, weil sie unsere Interessen berühren. Eine eigenartige Existenz. War andauernd in der Kanalisation unterwegs. IHR würdet so etwas vermutlich als Kanalratte bezeichnen. Er hat rumgeschnüffelt. Aber nicht nur er. Sie waren vier Männer - um genau zu sein.“
Pismire sah ihn an. „Vier?“ - „Ja, vier. Mal alleine, mal im - pardon - Rudel unterwegs. Und zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten. Wir haben natürlich immer ein Auge auf sie gehabt. Man kann ja nie wissen...“
„Warum sagt Ihr 'gehabt'? Beobachtet ihr sie nicht mehr?“
„Seit zwei Tagen ist bei uns Ruhe. Drei von ihnen beobachten wir schon lange, die haben fast schon dort unten gewohnt. Mal waren sie alle zusammen unterwegs, dann wieder getrennt. Vor ungefähr sechs Wochen brachten zwei von ihnen einen dritten Mann mit. Der war dreimal da und ist seit einem Monat nicht mehr aufgetaucht. Das waren die beiden, die sich auffällig häufig unter dem Gelände des 'Hier-gibt's-alles-Platzes' aufgehalten haben. So, als ob sie da was suchten. Dieser hier auf dem Bild war nie dabei, er kam ein, zwei mal allein. Als er das letzte mal ging - vor drei Tagen - schien er richtig fröhlich zu sein. Aber - ich denke, wir haben genug geplaudert, Oberfeldwebel. War nett, Euch wieder einmal gesprochen zu haben.“ Willard hopste vom Tisch und verschwand in einem Loch in der Wand.
„He“, rief Pismire ihm nach, „was glaubt Ihr, was er da gefunden hat?“
Ein letztes Mal kehrte Willard zurück. „Was Menschen halt für wichtig halten - schätze ich. Gold, Weibchen oder etwas, das ihnen Macht verleiht. Also wirklich, du solltest deine eigene Spezies ein bisschen besser kennen.“ Damit verschwand er.
„Es ist eigentlich nicht...“, Pismire brach ab. Er dachte an diesem Abend noch einmal lange über das Gespräch und den bisherigen Fall nach, bevor er ins Bett ging.
Dunkle Orte
Mitten in der Nacht wachte er auf. Ihm war eine Idee gekommen. Kurze Zeit später warf er Steine an die Fensterläden von Lupus Quartier. Unwillig knurrte der Werwolf, der seit kurzer Zeit bei S.U.S.I. arbeitet, und öffnete das Fenster.
„Was is'n los?“ Er erkannte, wer da vor ihm stand und salutierte: „äh, Oberfeldwebel.“ - „Lupus, ich brauche deine Nase. Und zwar dringend.“
Unwillig zog Lupus sich an und Pismire erklärte ihm, wozu er ihn benötigte.
„Ihr wollte, dass ich einen Eingang in die Kanalisation unter dem „Hier-gibt's-alles-Platz finde“? Na, meinetwegen. Aber ich muss morgen wieder früh raus.“
In einer der kleinen Gassen wurde Lupus fündig. „Hier“ - er deutete auf eine schmale Gasse. „Bei den Fässern dort hinten muss ein Eingang in die Kanalisation liegen. Vor drei Tagen ist dort jemand rausgekommen, und ansonsten kann ich Euch sagen, dass der Einstieg ziemlich häufig frequentiert wird. Soll ich Euch nicht lieber begleiten, Sir?“
Pismire winkte ab. „Erstens ist es nur ein vager Verdacht und zweitens ist die Aktion hier ein eher privater Ausflug. Und am besten gehst du ins Bett und schläfst und träumst, dass ich heute Nacht... naja, und so weiter.“ Pismire grinste, als Lupus mit großen Augen nickte.
Hinter den Fässern, die er in der Dunkelheit gar nicht gesehen hätte, fand er einen Kanaldeckel, den er mit Mühe von der Stelle bekam. Er zwängte sich durch die Öffnung. Unter der Gasse war es dunkel und feucht. Pismire entzündete eine mitgebrachte Fackel und machte sich in Richtung des Platztes auf den Weg.
Eine Menge Spuren wies darauf hin, dass zumindest in diesem Teil des Untergrundes von Ankh-Morpork reger Verkehr geherrscht hatte. Essensreste, Fussspuren und Zigarettenstummel wiesen ihm den Weg zu einer Tür, die erstaunlich neu und gut gesichtet aussah. Sie passte gar nicht in die verlotterte Umgebung. An der Tür konnte man sehen, dass mehrfach vergeblich versucht worden war, sich Zutritt zu dem hinter ihr liegenden Raum zu verschaffen.
Wer immer versucht hatte, gewaltsam diese Tür zu öffnen, hinter das Prinzip magischer Schlösser war er nicht gekommen. Der Schamane bemerkte deutlich die Anzeichen für ein stabiles thaumaturgisches Feld, dass selbst die Angeln und die Wände umschloss. In die Tür selber war das Wappen der Alchemistengilde eingebrannt.
Das wiederum wunderte ihn, wusste er doch, dass Alchemisten sich nur ungern und widerstrebend der Methoden der Zauberer bedient hätten, um etwas in ihrem Besitz zu schützen. Andererseits hätten richtige Zauberer vermutlich eine Arbeit für die 'armseligen Stümper' hohnlachend zurück gewiesen.
Wer immer hinein gewollt hatte, war der Tür mit Brechstangen, Feuer und einem Rammbock erfolglos zu Leibe gerückt.
„Stümper“, murmelte Pismire und machte sich daran, das magische Feld zu untersuchen. Als Schamane waren ihm die Grundzüge thaumaturgischer Operationen vertraut, in der Ablehnung der Vorgehensweise der Zauberer war er sich aber mit Alchemisten und Hexen einig, wenn auch - vor allem im ersten Fall - aus anderen Gründen. Er überlegte, ob er eine Möglichkeit hätte, das thaumaturgische Feld zu neutralisieren, als ihm eine andere Idee kam.
Er musterte den Boden, fand drei Pailletten, fegte die scheußlichsten Dinge mit der Stiefelspitze beiseite, dann legte er sich mit einem angeekelten Seufzen auf den Boden und schickte seinen Geist auf Reisen. Er suchte nach irgendeinem Bewusstsein hinter der Tür, dass es ihm ermöglichen konnte zu borgen. Denn das in dem Raum irgendwelche Lebewesen waren, stand für ihn außer Zweifel. Thaumaturgische Felder mochten Menschen, Zwerge und ähnliche Wesen abhalten, für ein Insekt jedoch war ein Feld dieser Art schlicht nicht existent.
Es dauerte nicht lange bis er fand, was er suchte. Spinnen hatten schon lange die dunklen Winkel hinter der Tür in Besitz genommen und ihre rastlosen Augen erforschten Luft, Wände und Boden nach Nahrung. Pismire hatte lange nicht mehr geborgt und im ersten Augenblick hatte er Probleme, vom Zwei- auf den Achtbeinbetrieb umzuschalten, doch dann machte er sich daran, den Raum zu erforschen. Eine halbe Stunde später erwachte er mit kalten Fingern im Unrat der Kanalisation.
Das Ergebnis seiner Untersuchung hatte ihn überrascht. Der Raum war leer. Und irgendetwas sagte ihm auch, dass das schon vor dem Einbau der Tür so gewesen war.
Dunkle Vermutungen
Wieder zuhause angekommen, wusch er sich ausgiebig, dann legte er sich für kurze Zeit hin und wartete auf den Tag. In seinem Kopf kreisten die Gedanken. Der Tote schien einer von drei - oder von vier - Personen zu sein, ja nach dem, ob er dem Patrizier oder dem König der Ratten Glauben schenken wollte. Und sie hatten offensichtlich hinter der Tür etwas wichtiges vermutet. Einer der vier (Pismire tendierte eher dazu, einer achtzigjährigen Näherin ihre Unschuld zu bescheinigen, als dem Patrizier Glauben zu schenken) war nicht dabei gewesen. Das war offensichtlich Wühler gewesen, die beiden anderen hatten jemanden dabei gehabt, der aber nicht mehr aufgetaucht war. Und Wühler war tot.
Die Geschichte begann, sich als Muster in seinem Kopf zu formieren. Bei dem verschwundenen Mann war Pismire sich fast sicher zu wissen, wer er war und wo er sich zur Zeit aufhielt. Die beiden anderen mussten McPflaum und Nase sein. Er brauchte weitere Auskünfte, von denen er sicher war, dass Ventinari sie ihm nicht geben würde.
Von einem Bausteinchen für sein Mosaik wusste er, wo er es finden würde. Auch wenn der Ort ihm gar nicht gefiel.
Seufzend stand er auf und machte sich auf den Weg zur Unsichtbaren Universität. Er verzichtete auf seine Uniform und verließ sich auf seine Kenntnisse von Mustrum Ridcullys Lebenswandel und dem eigentlich allseits bekannten 'heimlichen' Zugang zum Gelände der Unsichtbaren Universität.
Er hatte richtig vermutet. In einem Gewand, das jedem seiner Vorgänger die Schamesröte ins feiste Antlitz getrieben hätte, bewegte der Erzkanzler seine Masse über das Terrain. Pismire winkte ihn zu sich.
„Ah, Oberfeldwebel, was führt Euch zu mir?“ brüllte Ridcully. Pismire bedeutete ihm, leise zu sein.
„Erzkanzler, ich habe einige delikate Fragen an Euch“, entgegnete der Schamane. „Ich hoffe, ihr könnt mir helfen.“
„Euch, der Wache oder wem?“ Wenigstens hatte Ridcully aufgehört zu schreien.
„Och, sagen wir: Mir. Das vereinfacht die Sache.“ Pismire suchte nach den richtigen Worten. „Die Prüfungen für die Studenten liegen jetzt fast einen Monat zurück?“ Ridcully nickte.
„Und - wie ich gehört habe - hat nur einer eurer Studenten die Prüfung nicht bestanden.“
Die Prüfungsergebnisse der UU waren ein beliebtes Gesprächsthema in Ankh-Morpork, da ein Durchfallen hierbei einem Studenten normalerweise eine völlig neue Gestalt gab. Die möglichen Ergebnisse gaben Stoff für ebenso interessante wie teure Wetten ab.
„Tja“, Mustrum kratze sich ausgiebig, dann nahm er ein Flasche aus dem Hut. „Auch einen Schluck?“ Pismire winkte ab.
„Ja, der junge Idaho.“ Der Erzkanzler leerte die Flasche mit erstaunlicher Energie. „Hat total versagt. Bei - Moment - Murblichs Erstaunlichen Magischen Mäusen. Kein leichter Zauber. Hat auch gut gewirkt. Hinterher hatte er eine viel längere Zunge. Und diese schöne grüne Haut.“ Ridcully gluckste. „Naja, wir haben ihn im Teich der UU untergebracht. Da hat er jede Menge Kumpels. Hoffentlich überlebt er das traditionelle Froschschenkelessen im nächsten Monat.“
„Reparabler Fehler?“ fragte Pismire.
„Nö, es gibt keinen Gegenzauber. Das dürfte ihm eine Lehre sein. War eh' ein komischer Bursche. Hab mich manchmal gefragt, warum
der Zauberer werden wollte. Oder ob der nicht für den Patrizier hier war. Und sein Zimmernachbar hat sich immer über ihn beschwert, weil er so komisch roch. Und: Er hat Mahlzeiten verpasst.“ In Ridcullys Gesicht breitete sich Ekel und Unverständnis aus. „Ha, wenn die Götter einen Spaß verstehen, dann verpasst er wenigstens nicht das Froschschenkelessen.“
„Idaho?“ fragte Pismire nach.
„Ja, selten dämlicher Name. Arme Familie, die sich nichts besseres leisten konnte. Angeblich hieß schon der Hund der Familie so. Na dann, Oberfeldwebel, ich muss weiter. Das Vorfrühstück wartet.“ Und unter Schnaufen und Stampfen machte Ridcully seine Runde weiter.
Plötzlich drehte er sich um. „Was für delikate Fragen habt Ihr denn, Pismire?“ brüllte er. Mit erstauntem Blick sah der Schamane zu dem Zauberer.
„Ich glaube, ich werde alt, Erzkanzler. Die habe ich doch tatsächlich vergessen.“
Er winkte und machte sich auf den Rückweg. Das Mosaik in Pismires Kopf vervollständigte sich.
Bei der Mechanikergilde wurde er erneut fündig.
McPflaum war vor zehn Jahren dort als Lehrling aufgenommen und vor Abschluss der Lehre im hohen Bogen aus der Gilde geflogen. Seine ehemalige Lehrer konnten sich nur zu gut an ihn erinnern.
Talentiert, daran bestand kein Zweifel, hatte er die Gilde an dem Tag verlassen müssen, als man sein Modell für die Abschlussprüfung fand, das er vorher niemandem hatte zeigen wollen. Zwar nur mit einer Puppe war dort eine Maschine zu sehen, deren Zweck einzig und allein darin bestand, einen Menschen zu töten und das auf eine Art und Weise, dass selbst hartgesottenen Prüfer sich ihre letzte Mahlzeit noch einmal durch den Kopf gehen ließen. Den genauen Aufbau erfuhr Pismire nicht, aber als Kernstück der Maschinerie hatte eine Bohrmaschine gedient, deren Bohrköpfe den Durchmesser von Augäpfeln hatten und auch genau dort angesetzt wurden. Der Schamane verzichtete jedenfalls auf weitere Details. Die Gilde hatte ihn verstoßen, aber aus Gründen des 'guten Rufs' auf eine Anzeige verzichtet, und niemand dort wusste, wie McPflaum die letzten Jahre verbracht hatte.
Auf der Wache angekommen, suchte er zuerst Rascaals Büro auf. Gnomin und Vampir saßen auf dem Balken und stritten sich. Pismire salutierte und berichtete von seinen Vermutungen.
„Ich finde, ihr solltet Euch McPflaum vornehmen. Und wenn es noch nicht zu spät ist, dann verhaftet Nase gleich mit, solange er noch lebt,“ schloss er seinen Bericht ab.
Rascaal nickte zustimmend: „Wir haben sie gestern verhört. Und unser Verdacht ging in diese Richtung, aber wir hatten zu wenig Anhaltspunkte. Also haben wir sie erst einmal laufen lassen. Na dann nichts wie los.“
Die Wächter hatten Glück - McPflaum war gerade noch dabei seinem Opfer die Maschine zu erklären, die seinen Tod verursachen würde, als Rascaal die Tür eintrat und Venezia sich auf den Mörder stürzte. Kurz und schmerzhaft nahm die Gnomin den Mann fest, der immer noch nicht begriff, wie die Wache auf seine Spur gekommen war.
Beim Schnüffeln für Ventinari hatten sie zufällig den Raum mit dem Alchemistensiegel gefunden und beide die Chance ihres Lebens gewittert. Aber der Zauberer, den Nase gefunden hatte, war zuerst nicht weiter gekommen, und dann nicht mehr in der Lage gewesen, ihnen zu helfen. Dann hatten sie festgestellt, dass Würger hinter ihr kleines Geheimnis gekommen war. McPflaum hatte versprochen, die Sache zu regeln. Wie, das hatte Nase erst erfahren, als es vorbei war. Beide leugneten hartnäckig, auf die Leiche geschossen zu haben.
... und Ende
Oberleutnant Rascaal und die beiden Oberfeldwebel saßen in der 'Bahre', wohin sie Pismire als Gast mitgenommen hatten, weil ihnen der 'Eimer' zu sehr mit Wächtern bevölkert gewesen war.
„Der Patrizier hat den Bericht so weit akzeptiert. Er meinte, wir sollten die Sache mit Mückensturms Armbrust am besten vergessen. Er sei an der Ermittlung des Mörders interessiert gewesen und die Angelegenheit sei somit abgeschlossen. Vielleicht hätten die Täter es auf jemand anderen abgesehen, später Schiss bekommen, das Ding weggeworfen und einer der beiden habe es dann gefunden und - warum auch immer - perverse Schießübungen abgehalten.“ Der hochgewachsene Vampir seufzte.
„Der Fall ist also abgeschlossen?“ fragte Venezia ungläubig und bestellte ein weiteres Getränk.
„Ja, zum Henker!“ entgegnete Rascaal ungeduldig. „Und, kleine Dame, wir werden uns hüten, weiter zu ermitteln, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.“
„Nun, ich denke...“, begann Pismire.
„...in die falsche Richtung“, Rascaal funkelte ihn zornig an. „Ihr hört mir jetzt beide ganz genau zu: DER FALL IST ABGESCHLOSSEN. PUNKT. ENDE. FINITO. BASTA. Noch Fragen?“
Zwei Oberfeldwebel schauten in ihre Gläser und murmelten so etwas wie:
„Jessör“Den Sonnenaufgang verlebte Pismire auf der Messingbrücke. Missmutig schaute er er auf den Ankh, in der Hand hielt er eine Weinflasche, auf seiner Schulter saß eine kleine Gestalt.
„Ihr habt also den Fall gelöst, Oberfeldwebel? Und bitte, schwankt ein bisschen weniger“, sagte Willard und putzte sich seinen Schnurrbart.
„Ach, einen Scheiß haben wir. Wir haben den Mörder. Aber es sind noch Fragen offen. Und zwar eine Menge.“ Er schüttete ein wenig Wein in seine hohle Hand und hielt sie dem Rattenkönig hin.
„Nun, und wollt Ihr die Antworten suchen?“ fragte Willard mit Neugier in der Stimme.
„Klar, ich sauf mir jetzt einen an, dann geh ich zu Ventinari und befehle ihm, mir die Wahrheit zu sagen.“ Pismire lachte bitter. Er wollte gerade einen erneuten Schluck nehmen, als ihm ein Gedanke kam.
„Majestät, Ihr wisst, wer den Raum in der Kanalisation angelegt hat, nicht wahr?“
Die Ratte zuckte mit den Schultern. „Wir wissen alles, was da unten passiert. Wir können es uns gar nicht leisten, nicht alles zu wissen. Aber, du kannst mich auch Willard nennen. Immerhin ist bei uns wieder ein bisschen mehr Ruhe eingekehrt.“
„Und deine Leute sind auch im Palast. Und zwar überall.“ Pismires Gedanken wirbelten durcheinander.
„Nun, Oberfeldwebel, ich muss dann mal...“ Willard wollte von der Schulter hüpfen, als Pismire ihn festhielt.
Der Schamane hob die Ratte vor sein Gesicht. Die beiden schauten sich an.
„Du könntest es mir sagen, nicht wahr?“
Willard nickt. „Aber, warum sollte ich das tun?“
„Weil du mir einen Gefallen schuldest?“
Der Rattenkönig fing an zu kichern. „Du hast Humor. Sooo groß war dein Gefallen auch nicht. Versuch was anderes. Und setzt mich runter.“
„Weil ich dir weh tun könnte?“ Pismire versuchte einen anderen Ton.
„Ach, nein, erstens ist das nicht deine Art und zweitens - weißt du, meine Leute sind überall. Und sie würden dich daür nicht
lieb haben...“
Pismire seufzte und setzte Willard auf das Geländer.
„Ich bin Schamane, weißt du“, begann er nun im Plauderton. „Ich kann borgen. Ich kann in deinen verdammten Schädel sehen und es mir dort rausholen. Was deine Leute sehen, das siehst auch du. Und glaub mir, Freund, auch ich verliere auch irgend wann einmal die Geduld.“
Willard seufzte. „Also gut, Freund - drei Fragen, drei Antworten. Einverstanden.“
Pismire ließ sich zu Boden gleiten, lehnte sich mit dem Rücken an das Geländer und dachte kurz nach.
„Frage eins: Wer verschloss den Raum im Keller mit dem thaumaturgischen Feld?“
Willard kicherte. „Die Frage kannst du dir sparen, weil du sie dir selber beantworten kannst.“
Pismire nickte. „Also stimmt es. Der Pat...“ Willard unterbrach ihn und legte seine Pfote auf die Schnauze. „Keine Namen, bitte...“
Pismire seufzte. „Also, der-Mann-dessen-Namen-ich-nie-nennen-darf-nennen-wir-ihn-V, beauftragt einen drittklassigen Zauberer, seinen Mann in der UU, den Raum zu versiegeln. Vermutlich will er wissen, wie gut seine Untergrundermittler wirklich arbeiten.“
Willard nickte: „Ja, das haben wir auch vermutet.“
„Wir können auch davon ausgehen“, fuhr Pismire fort, „dass Idaho sich bewusst von Nase und McPflaum anheuern ließ, um den Raum zu knacken. Ob die versiebte Prüfung Zufall war?“
„Ist das die zweite Frage?“ wollte Willard wissen.
„Nein, das werden wir vermutlich nie ganz lösen. Aber wer hat Mückensturm überfallen?“
„Du nennst dich Wächter und fragst mich so was? Das liegt doch auf der Hand!“ empörte sich der Rattenkönig.
Pismire nickte langsam. „Du hast Recht. Ich hab nur noch eine Frage: Wer schoss auf die Leiche? Und warum?“
„Erstens sind das zwei Fragen und zweitens kennst du die Lösung.“
„Du meinst, Lord Ven...“ - „...KEINE Namen“ piepste Willard aufgeregt.
Pismires Augen wurden groß. „Aber warum?“ fragte er verwundert.
„Vermutlich will der Patrizier wissen, wie gut die Wache arbeitet. Und ein verdächtiger Wächter erhöht einfach euren Arbeitseifer.“ Willard kicherte. „Deine Spezies ist wirklich interessant zu beobachten.“
„Also so eine Art Botschaft von Ventinari an die Wache? Wühlers letzte Botschaft?“ Der Schamane kicherte „Und übrigens, es ist nicht meine... Ach, auch egal“, meinte er.
„Eben“, meinte Willard. „Aber jetzt hast du alle Antworten. Und, fühlst du dich besser?“
„Ich weiß nicht,“ meinte Pismire nachdenklich. „Dazu bräuchte ich noch eine Flasche.“
„Na, das ist doch ein Wort, Mann“, entgegnete Willard. „Los, Kumpel, plündern wir deine Vorräte.“
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