Eine lange Nacht

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von Wächterin Irina Lanfear (GRUND)
Online seit 07. 08. 2001
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Eine ganz normale Nacht im Leben von Rina Lanfear: Der geplante Einbruch muss verschoben werden, weil zwei Gestalten beschließen, unbedingt mit Platte schmuggeln zu müssen, während fliegende Katzen und rülpsende Sumpfdrachen einem das Leben auch nicht gerade einfacher machen.

Dafür vergebene Note: 12

Der Mond stand hoch am Himmel. Trotzdem herrschte in Ankh-Morpork nur trübes Zwielicht, denn die aufsteigenden Dämpfe des Ankh hatten sich als Nebel über die gesamte Stadt gelegt. In diesen grauen Schatten sah man eine in schwarz gekleidete Gestalt von einem Dach zum nächsten springen.

"Puh!", seufzte Irina Lanfear (von ihren Freunden Rina genannt) und ließ sich auf dem Hausdach nieder, um ein paar Minuten zu verschnaufen. Sie hatte bei dem Entschluss, der Wache beizutreten, nicht bedacht, dass es so anstrengend werden würde, ihre nächtlichen Aktivitäten weiterhin im geplanten Umfang zu betreiben und gleichzeitig tagsüber die GRUND-Ausbildung zu absolvieren. Aber dieser Schritt war leider dringend notwendig geworden. Rina arbeitete schon seit fast zwei Jahren als nicht lizenzierte Diebin und die Gilde war bereits auf den von ihnen sogenannten "Schatten-Dieb" aufmerksam geworden. Derzeit versuchten sie mit aller Macht, die Identität des unliebsamen Freiberufler zu ermitteln, der ihr Geschäft in Ankh-Morpork so empfindlich störte.
Bis jetzt hatte Rina einfach nur das Glück gehabt, aus einem sehr wohlhabendem Haus zu stammen und nicht in Verdacht zu geraten. Doch sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis die Gilde auch in den reicheren Häusern nach dem Dieb suchen würde. So hatte sie schweren Herzens beschlossen, ihr ohnehin schon kompliziertes Leben noch ein bisschen anspruchsvoller zu gestalten und war der Stadtwache beigetreten, um sich so nach außen hin ein noch besseres Alibi zu verschaffen.

Bei dem Gedanken daran, was ihre Eltern zu diesem Schritt gesagt hatten, musste sie noch immer innerlich schmunzeln. Anfangs waren ja beide von der Idee entsetzt, dass ihr liebes, kleines, braves Mädchen, welches bis jetzt noch kaum das elterliche Haus verlassen hatte, ernsthaft überlegen konnte, der Stadtwache beizutreten. Aber als ihrem Vater klar wurde, dass sie von diesem Schritt kaum abzubringen wäre (und ein paar äußerst unangenehme Auseinandersetzungen später), gab er schweren Herzens nach und sagte die Hochzeit mit dem Kaufmannssohn Janosh Kauf-mir-alles-ab, welche für das nächste Jahr angesetzt war und von der Rina noch gar nichts gewusst hatte, kurzerhand mit der Begründung ab, seine Tochter habe ihren Traumberuf gefunden. Natürlich nahmen ihr beide noch das Versprechen ab, nach ihrer GRUND-Ausbildungen einen schönen, sicheren Platz in einem Büro zu suchen, wo sie möglichst nicht das Ziel irgendwelcher Verrückten werden könnte. Die armen hatten ja keine Ahnung, wo Rina sich in der Nacht immer herumtrieb!

Plötzlich war ein lautes Klirren und das Geräusch von schnellen, schweren Schritten auf dem Pflaster zu hören. Rina fluchte leise vor sich hin. Sie war schon wieder viel zu lange hier gesessen und hatte über die Vergangenheit nachgedacht, anstatt schnell ihren Job zu erledigen (oder auch ihrem Hobby nachzugehen) und dann zumindest noch 3 oder 4 Stunden zu schlafen, bevor sie wieder im Dienst erscheinen musste. Dummerweise konnte sie hier nicht schnell verschwinden, ohne gesehen zu werden und einiges an Verdacht zu erregen. Deshalb legte sie sich flach auf das Dach und hoffte, dass derjenige, zu dem die Schritte gehörten, es so eilig haben würde, dass er sie glatt übersehen würde. Die Sekunden, bis die Gestalt auftauchte, schienen endlos zu dauern. Endlich trat ein Mann in den Lichtschein der Straßenlampe auf der anderen Straßenseite. Rina hoffte, dass er schnell wieder Verschwinden würde, doch zu ihrem Leidwesen überquerte der Mann die Strasse, lehnte sich an die Hausmauer "ihres" Hauses, auf dessen Dach sie lag, und zündete sich eine Zigarette an. In Gedanken über ihre Dummheit fluchend, ausgerechnet hier eine Pause machen zu wollen, blieb Rina weiterhin liegen und wartete ab. Den Plan, heute Nacht noch irgendwo einzubrechen, musste sie wohl auf einen günstigeren Zeitpunkt verschieben. So blieb sie auf dem Dach liegen und überlegte gerade, wie sie sich am besten unsichtbar machen konnte, als ein schlurfendes Geräusch unten auf der Strasse ertönte. Scheinbar gehörte das Geräusch zu demjenigen, den die Gestalt unter ihr bereits erwartet hatte. Der Mann dämpfte seine Zigarette an der Hausmauer aus und richtete sich auf. Inzwischen konnte Rina auch die Herkunft dieses Schlurfens ausmachen. Ein Zombie, der scheinbar einen seiner Füße schlecht befestigt hatte und diesen nun nachzog, kam die Strasse entlang und blieb vor dem Mann stehen.
"Hast du mir etwas mitgebracht?", fragte der an der Wand Lehnende.
Der Zombie nickte, zog ein größeres Paket unter seiner Jacke hervor und reichte es dem Mann. Der Mann öffnete das Päckchen, warf einen Blick auf seinen Inhalt, und nickte anerkennend.
Der Zombie hielt fordernd die Hand auf und sagte: "Wo ist die Bezahlung?"
Der verhüllte Mann kramte in einer seiner Taschen und hielt dem Zombie einen Umschlag hin. Der Zombie öffnete den Umschlag, starrte das Geld nur an und meinte: "Das ist zuwenig. Es war mehr ausgemacht. Aber da mich auch noch fast der Hund eines dieser verdammten Wächter erwischt hat, mir das Bein abgerissen hat und ich erst noch einen Ersatz dafür besorgen musste, wird es für dich noch teurer. Ich will das doppelte vom ausgemachten Betrag!"
Der Mann sah den Zombie nur verächtlich an und kramte nochmals in seiner Tasche. Plötzlich, Rina hatte gar nicht gesehen, woher es genau kam, hatte der Mann ein langes Messer in der Hand und trennte mit einer einzigen fließenden Bewegung dem Zombie den Kopf ab. Der Zombiekopf fiel auf den Boden und fing an, fürchterlich zu fluchen und zu schreien.
Der Mann lachte nur und meinte: "Ich glaube, jetzt können wir verhandeln. Ach übrigens, solltest du nicht sofort zu schreien aufhören, machst du Bekanntschaft mit meinem Sumpfdrachen ." Er fuhr in eine seiner vielen Taschen und förderte einen etwa 20 cm grossen Sumpfdrachen hervor.
Der Zombiekopf verstummte plötzlich und sah den Sumpfdrachen, der gerade verschlafen gähnte, furchtsam an.

Rina beobachtete das Ganze vom Dach aus und überlegte, ob sie vielleicht eingreifen sollte. Schließlich war sie Mitglied der Stadtwache, und dies hier sah nicht nach irgendeiner lizenzierten Tätigkeit aus. Andererseits mahnte eine leise Stimme in ihrem Kopf, dass sie erstens nicht einmal wusste, wie sie diesen Messerschwinger außer Gefecht setzen sollte, ohne selbst in Einzelteile zerlegt zu werden, und zweitens kaum in der Wache anschließend erklären konnte, dass sie "zufällig" bei einem Abendspaziergang über diese zwei Subjekte gestolpert war. Während sie noch überlegte, kam eine schwarze Katze über das Dach zu ihr hingetrottet, die wohl gerade zu diesem Zeitpunkt auf ein kleines Abenteuer spekulierte. Rina fuhr erschreckt hoch, als neben ihrem Ohr ein lautes Schnurren ertönte. Unglücklicherweise löste sich dabei unter ihren Händen eine Schindel und rutschte unter lautem Getöse auf den Dachrand zu.
Der Mann sah erschreckt nach oben und entdeckte Rina, die ihn ihrerseits furchtsam anstarrte. Blitzschnell hatte er wieder sein Messer in der Hand und zielte in Richtung des unerwünschten Zeugen. Rina handelte in ihrer Panik rein instinktiv. Sie griff nach der Katze, die empört miaute und warf sie mit aller Kraft in Richtung des Mannes. Die nächsten Sekunden schienen im Zeitlupentempo zu vergehen. Rina sah die Katze die Krallen ausfahren und hörte ein wütendes Fauchen. Dann traf die Katze das Gesicht des Mannes, der zwar noch versucht hatte, diesem lebensgefährlichen Geschoss auszuweichen, es aber nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte. Er taumelte zurück, während sich die Katze in seinem Gesicht verkrallte. Unglücklicherweise prallte er dabei mit dem kopflosen Überrest des Zombies zusammen, der gerade nach seinem Kopf suchte. Als Rina in dem Durcheinander von Armen und Beinen wieder etwas erkennen konnte, sah sie den Messerschwinger und den Körper des Zombies bewegungslos am Boden liegen, während die Katze mit hocherhobenem Schwanz und aufgestelltem Fell wütend fauchend und leicht humpelnd das Weite suchte.
Es dauerte etwas, bis Rina wieder soweit ihre Fassung gefunden hatte, dass sie vom Dach kletterte und sich am Boden umsah. Der Zombiekopf schimpfte weiterhin in höchster Lautstärke. Rina sah sich unschlüssig um und beschloss dann, die bewusstlosen Körper provisorisch zu fesseln, bis sie Verstärkung von der Wache geholt hatte. Da sie kein Seil mithatte (und auch nicht zufällig eines am Boden lag), nahm sie das am Boden liegende Messer, zerschnitt den weiten Umhang des Mannes in Streifen und fesselte beide
aneinander. Dann wandte sie sich dem tobenden Kopf zu und stopfte ihm ein Taschentuch in den Mund. Plötzlich wurde es wieder ruhig und friedlich auf der Strasse.*
Die Wächterin beschloss, den Kopf erst einmal mitzunehmen, um zu verhindern, dass sich der Rest des Zombies zu schnell absetzte. Sie wollte gerade gehen, da ertönte ein lautes Niesen. Irina sah in die Richtung des Geräusches und entdeckte den Sumpfdrachen, der immer noch verdattert am Boden hockte. "Du kommst sicherheitshalber auch mit" sagte sie zu dem kleinen Geschöpf, steckte den Sumpfdrachen zu dem Zombiekopf in die Tasche und machte sich im Laufschritt auf zur Wache. Das aus der Tasche dringende Gegrunze beschloss sie zu ignorieren und sich lieber Gedanken darüber zu machen, was sie ihrem Ausbilder als Ausrede für ihre nächtlichen Unternehmungen erzählen sollte.

Hauptfeldwebel Gonzo saß gerade in seinem bequemen Sessel über einigen Akten, als die Tür aufgerissen wurde und Rekrutin Lanfear hereinstürmte.
"Was... wie... warum klopfen sie nicht an, Rekrutin!" war das erste, was er herausbrachte.
Das einzige, was die Rekrutin unter lautem Keuchen hervorbrachte, war: "Schnell...... Plattenschmuggel....... Bahre......... gefesselt.....Kopf!"
Der Ausbilder schaute sie fassungslos an und meinte: "Wie war das nochmal? Gibt es auch eine etwas vollständigere Erklärung? Was machen sie überhaupt um 2 Uhr nachts in diesem Aufzug hier?"
Der Gesichtsausdruck der Rekrutin wandelte sich von ungeduldig zu schuldbewusst. Sie holte tief Luft und antwortete: "Ich war unterwegs, als ich zufällig einen Plattenschmuggel aufdeckte. Die beiden Subjekte liegen gefesselt in der Nähe von der Bahre. Ich habe hier den Kopf eines der beiden."
Mit diesen Worten öffnete sie ihre Tasche und zog einen Kopf hervor, dessen Augen angsterfüllt geweitet waren und in dessen Mund ein zusammengeknülltes Taschentuch steckte.
Der Ausbilder betrachtete kurz den Kopf und meinte: "Der wird inzwischen hier aufbewahrt. Kommen sie mit und zeigen sie mir, wo die zwei Verdächtigen sind."
Beim Hinausgehen zeigte er auf zwei Wächter, die ebenfalls Nachtdienst hatten, und meinte: "Ihr beiden begleitet uns als Unterstützung."

Wenig später waren die 2 Verdächtigen verhaftet und das geschmuggelte Platte sichergestellt worden. Hauptfeldwebel Gonzo wandte sich an die junge Rekrutin und meinte: "Sie haben mir noch immer nicht mitgeteilt, was sie mitten in der Nacht in dieser Gegend zu suchen hatten. Ich verlange eine Erklärung."
Irina scharrte mit den Füßen am Boden und überlegte fieberhaft, was sie antworten sollte. Bis jetzt war ihr nämlich noch keine passende Ausrede eingefallen. Doch plötzlich erinnerte sie sich wieder an eine Ankündigung, die sie erst vor kurzem gelesen hatte.
Sie erklärte schüchtern: "Ähm..... in der Bahre treten heute die Däd Män Singers auf....... der Sänger Johny Däd ist... nun ja...wie soll ich sagen....... ."
"Heraus mit der Sprache!" wurde sie unterbrochen.
"Nun ja, er ist süß.... ich wollte ihn unbedingt sehen... und da meine Eltern nichts davon wissen dürfen, konnte ich mich erst so spät hinausschleichen. Ich war schon fast da, als ich die Schritte hörte........ ich dachte nur noch daran, mich zu verstecken.......aber es gab auf der Strasse nichts... da bin ich aufs Dach geklettert........dann kam diese verfluchte Katze... und in meiner Panik hab ich die einfach geworfen... und...."
Der Ausbilder unterbrach diesen Redeschwall hastig und meinte: "Das reicht. Ich erwarte morgen früh ihren Bericht auf meinem Schreibtisch. Und jetzt gehen sie nach Hause ins Bett. Als Rekrut sollten sie sich wirklich nicht nachts herumtreiben!"

Irina nickte und murmelte schüchtern eine Entschuldigung. Sie wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als aus ihrer Tasche ein Rülpsen ertönte und ein kleines Brandloch im Stoff erschien. Ihr Ausbilder warf einen fragenden Blick auf die Tasche, zog die Augenbrauen zusammen und setzte zu einer längeren Ansprache an. Doch Irina unterbrach ihn und meinte hastig: "Tut mir leid. Ich habe den kleinen Sumpfdrachen komplett vergessen. Er hat einem der beiden Schmuggler gehört. Darf ich ihn behalten?" Mit raschem Seiteblick auf das Stirnrunzeln ihres Ausbilders setzte sie hastig hinzu: "Natürlich erst, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist!"
Der Hauptfeldwebel murmelte etwas unverständliches, bevor er sagte: "Wenn es unbedingt notwendig ist. Aber passen sie gut auf ihn auf!"
Die Rekrutin bedankte sich und machte sich rasch auf den Heimweg. Erst einige Minuten später blieb sie stehen, um tief Luft zu holen. Lautlos dankte sie ihrem Gedächtnis, dass es sie in letzter Sekunde doch noch an diese Ankündigung erinnert hatte. Es wäre vermutlich sehr unangenehm geworden, wenn ihr Ausbilder entdeckt hätte, dass sie für diese Nacht eigentlich einen Einbruch geplant hatte. Jetzt stellte sich nur mehr eine Frage: Wie sollte sie morgen ihren Eltern diesen zwanzig Zentimeter langen Sumpfdrachen erklären?


* Seltsamerweise war es tatsächlich einmal ruhig und friedlich auf den Strassen Ankh-Morporks. Der Nebel dürfte wohl geräuschdämmend gewirkt haben.



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