Eiskalt serviert

Bisher hat keiner bewertet.

von Feldwebel Pismire (SUSI)
Online seit 18. 07. 2001
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: PtracyVidG Schmiedehammer

R.U.M. übergibt euch eine Leiche. Es sind keine offensichtlichen Verletzungen zu erkennen.
Jetzt ist Sachverstand gefragt!

Dafür vergebene Note: 13

Oberfeldwebel Ptracy sah sich zufrieden in ihrem neuen Büro um. Seit sie die Abteilungsleitung von S.U.S.I. übernommen hatte, hatte sie den Schreibkram in der Wache von einer Seite kennen gelernt, auf die sie eigentlich nicht so erpicht gewesen war, aber jetzt, nach einem 12-Stunden-Formular-Ausfüll-Marathon schien so weit für heute alles geregelt. Sie pfiff gerade nach Dios, der ein wenig vor dem Fenster in der Sonne gedöst hatte, um gemeinsam in den wohlverdienten Feierabend zu entschwinden, als es an ihrer Tür klopfte.
"Herein", rief sie, ein wenig unwillig, aber immer noch hoffnungsfroh, dass dem Feierabend nur noch irgend eine unbedeutende Lappalie im Wege stehen konnte.
Schweratmend schob Chief-Korporal Schmiedehammer die Tür auf, über seiner Schulter - und auch noch ein ganzes Stück auf der Erde - hing ein Mann, den er energisch über die andere Schulter wuchtete, um salutieren zu können.
"N'Abend, Mäm, äh, Sir," grüßte er vorsichtig, "wo soll ich die Leiche hinpacken?" Erwartungsfroh sah er sich im Büro um. "Auf den Schreibtisch, Sir?"
"Wie bitte?", fuhr Ptracy hoch, "du willst DAS hier bei mir abladen?"
"Naja - Hier ist doch das Büro von S.U.S.I., oder?"
"Hier ist das Büro der Abteilungsleitung von S.U.S.I.", entgegnete Oberleutnant Ptracy mit nicht mehr zu überhörender Schärfe in ihrer Stimme.
"Na, dann passt's doch. Mit schönem Gruß von Hauptmann Lewton, R.U.M. braucht ganz dringend die Ergebnisse der Opdruck, Obdi, na, der dings, der Leichenschau. Wo soll's denn nun hin, das gute Stück?"
Mit der Zwergen eigenen Hartnäckigkeit hatte sich Schmiedehammer immer weiter zum Schreibtisch vorgearbeitet und schien nun wild entschlossen zu sein, seinen Feierabend nicht länger hinaus schieben zu wollen.
Mit Oberleutnant Ptracys Stimme konnte man mittlerweile Glas schneiden. "Ihr habt nicht zufällig alle schon die Gründungsfeier für R.U.M. vorgezogen und dabei irgendetwas mit dem Namen in die falsche - oder auch richtige - Kehle bekommen? Oder wie bitte soll ich diesen Unfug verstehen?"
Der Chief-Korporal zuckte zwar etwas zusammen, blieb aber hart. "Lewton hat mir gesagt, ich soll den Vorgang an S.U.S.I. übergeben und mir dort das Ergebnis der Obdudingens abholen. Und zwar so schnell wie möglich. Und dann soll ich Feierabend machen, hat er gesagt. So, und hier ist der Vorgang und da draußen beginnt gleich mein Feierabend. Und entweder leg ich den Kunden hier auf den Tisch, auf den Teppich oder häng ihn an die Garderobe - mir ist das wurscht. Aber ich wüsste jetzt schon gerne, wo ich damit hin soll."
Oberleutnant Ptracy sog tief Luft ein und öffnete schon den Mund, um ein weiteres mal zu beweisen, dass die Kommunikation quer durch ein Wachhaus auch nur mit der Stimme sehr gut funktionieren kann, als ihr ein weiterer Blick auf den wild entschlossene Zwerg sagte, dass damit das ganze lediglich länger dauern würde.
Sie atmete wieder aus. "In Ordnung, Chief-Korporal, leg die Leiche erst einmal auf den Teppich. Sobald der Bericht vorliegt, geben wir das ganze an R.U.M. weiter. Ich vermute,
"fuhr sie zuckersüß fort, "dass es zu dem ganzen Fall auch etwas schriftliches gibt, Chief-Korporal?"
"Aber sicher, Sir", bestätigte Schmiedehammer, "den Zettel mit allen wichtigen Fakten hab ich selbst am Körper befestigt." Er legte die Leiche auf den Teppich, salutierte, wünschte noch einen schönen Abend, was aber von seinem Gegenüber nur noch mit einem Fauchen quittiert wurde und verlies das Büro.
Draußen lehnte er sich kurz an die Wand, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und machte sich schnellstmöglich von dannen.
Drinnen hatte Ptracy damit begonnen, nach dem schriftlichen Bericht zu suchen. Es handelte sich um einen ziemlich fleckigen Zettel, der den Eindruck machte, als habe er einige Monate als Schreibtischunterlage gedient, und dem sie unter anderem entnehmen konnte, dass der Tote im Lagerhaus für Reannuelles Schweinefleisch gefunden worden war. Sie drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch und aktivierte so das hausinterne Kommunikationssystem.
"Wassn nu scho' wieder?", scholl es ihr gereizt entgegen. Die verwendeten Dämonen waren allgemein für ihre Pampigkeit bekannt.
"Sämtliche Mitglieder von S.U.S.I., die gerade Dienst haben, haben genau drei Minuten Zeit, um in meinem Büro zu erscheinen", entgegnete Ptracy kurz angebunden.
"Ach du Scheiße, die armen Säue. O.K. ich werd's ausrichten", kam prompt die Antwort.
"Äh, und noch was, L'Asa'T - noch mal so ein Ton, und ich putz die Röhre der Kapputschino-Maschine mit dir, O.K.?" Ptracys Ton war zum Schneiden.
"Ja, Sir, äh, habe verstanden." Der kleine Dämon zog sich hektisch in seine sicheren Röhren zurück.
Anderthalb Minuten später salutierten Hauptgefreite Angsthase und Obergefreiter Zupfgut in tadelloser Uniform vor dem Schreibtisch.
Ptracys Blick streifte ihre Leute nachdenklich, als sie ihnen die Lage schilderte.
"Wir müssen also unsere erste Obduktion vornehmen.", lautete ihr Fazit. "Wer meldet sich freiwillig?"
"Ihr meint aufschneiden? Wir sollen die Leiche aufschneiden?", Zupfguts Gesichtsfarbe wechselte schlagartig ins Lindgrüne und auch Angsthase ließ ein leichtes Würgen vernehmen.
"Nun, wenn wir ihn fragen, dann werden wir es wohl kaum herausbekommen, oder?", Ptracys Ton gewann an Schärfe. "Natürlich müssen wir die Leiche öffnen. Die Alchimisten und die Gilde der Bestatter und Einbalsamiere hat bei Vetinari eindeutig durchblicken lassen, dass
sie in Zukunft für die Wache nicht mehr unentgeltlich arbeiten wollen. Und unser Büdschee sieht solche Ausgaben nicht vor. Ich hab von Rince ein Handbuch bekommen, 'Die Kunst, eine Leiche zu öffnen, in 28 Schritten erklärt'. Es stammt noch von Korporal Kwinzie. Die letzen zwanzig Schritte sind zwar verschwunden, aber der Kommandeur meint, dass
wir es damit schaffen sollten."
Die Gesichter der beiden Wächter wurden nicht glücklicher.
"Also, vielleicht sollte ich mir erst einmal den Fundort der Leiche genau anschauen", brachte Angsthase schüchtern aber schnell vor, "ich meine, bevor wie so einfach ins Blaue hinein jemanden aufschneiden."
"Genau, Sir, und der Bericht von R.U.M. sollte auch gründlich gelesen werden." Zupfgut ergriff den rettenden Strohhalm. "Ich würde das freiwillig übernehmen."
"Ah, Danke", bemerkte Oberleutnant Ptracy spitz, "und ich darf die Ärmel aufkrempeln und die Drecksarbeit machen!?"
Zwei Wächter scharrten ein wenig verlegen mit den Füßen.
"Leute, so wird das nichts." Ptracy ließ sich auf ihren Stuhl hinter dem Schreibtisch sinken und forderte auch die beiden Wächter auf, Platz zu nehmen. Nachdenklich blätterte sie noch in dem 'Zu-Erledigen'-Stapel auf ihrem Schreibtisch.
"Haben wir denn keinen Gerichtsmediziner?", fragte Angsthase vorsichtig.
"Wir haben zwei Bewerbungen," entgegnete ihre Vorgesetzte und zog zwei Zettel aus dem Stapel.
"Na, prima" bemerkte Zupfgut erleichtert. "Einer von den beiden wird doch sicher im Dienst sein, oder?"
Energisch drückte Ptracy den Knopf: "L'Asa'T? Sind Lance-Korporal Ranobis oder Feldwebel Pismire im Dienst?"
Höflich antwortete der kleine Dämon: "Feldwebel Pismire hat heute Spätschicht und ist vor zwanzig Minuten zum Dienst erschienen, Lance-Korporal Ranobis hat vor zehn Minuten den wohlverdienten Feierabend angetreten. War das jetzt höflich genug?"
"Du meine Güte, was hat sie denn mit dem gemacht?" flüsterte Zupfgut seiner Kollegin verwundert zu.
Angsthase zuckte nur fassungslos die Schultern: "So hab' ich den noch nie erlebt."
"Ich habe ihm nur freundlich erklärt, dass ich in Zukunft nicht gewillt bin, unfreundliche Kommunikation zu dulden" Oberleutnand Ptracy grinste breit.
"L'Asa'T, dann schick mir bitte Feldwebel Pismire in mein Büro. Und zwar umgehend."
Feldwebel Pismire - dem auch ein erfahrener Kollege wie Daemon bis heute
noch nicht hatte erklären können, worin die Kunst des Webelns bestand - hatte es sich gerade an seinem Schreibtisch mit dem unvermeidlichen Kräutertee gemütlich gemacht, als ihn die im vertrauten Ton vorgebrachte Nachricht, er solle seinen Arsch in Richtung der Hoheit Büro schleifen, erreichte. Seufzend schob er den Tee beiseite. Er war gespannt, ob es etwas mit seiner Bewerbung als Gerichtsmediziner zu tun hatte und klopfte wenige Augenblicke später erwartungsfroh an Ptracys Tür.
Wie alle Wächter kannte er furchterregende Geschichten über das hitzige Temperament und die diktatorischen Umgangsformen des Oberleutnants, aber das hatte ihn nicht davon abhalten können, bei den Überlegungen, welcher Abteilung er sich in Zukunft denn nun anschließen sollte, S.U.S.I. zur ersten Wahl zu machen.
"Herein", scholl es ihm entgegen. Pismire trat ein, salutierte (fast) vorschriftsmäßig und schaute sich um.
Oberleutnant Ptracy saß hinter ihrem Schreibtisch, ihr Hund Dios saß aufmerksam neben einer Leiche auf dem Teppich und Angsthase und Zupfgut hatten sich ihm im Sitzen zugewandt.
"Komm rein, Feldwebel. Du kannst Deinen ersten Fall als Gerichtsmediziner haben, wenn Du willst. Und wenn Du dich bewährst, dann spricht nichts gegen deinen weiteren Verbleib bei S.U.S.I." Ptracy sah ihr Gegenüber erwartungsvoll an.
Pismire erwiderte ihren Blick nachdenklich. Dann straffte er die Schultern: "Nun, Sir, das sollte kein Problem sein. Ich brauche allerdings jemanden, der dabei assistiert. Und das sollte jemand sein, der das freiwillig macht. Ich kann mich nicht noch währenddessen um einen Ohnmächtigen kümmern."
"Das ist der rechte Geist, Feldwebel." Ptracy erhob sich und reichte ihm die Hand. "Willkommen im Team. Du kennst Obergefreiter Zupfgut und Hauptgefreite Angsthase?"
"Sicher", entgegnete Pismire. "Ich freue mich auf gute Zusammenarbeit."
"Fein, dann nimm dir einen Stuhl und wir besprechen erst einmal das weitere Vorgehen."
"Äh, ich widerspreche ungern, Sir, aber ich würde gerne erst einmal die Leiche ins Labor bringen. Und dann können wir uns auch dort zusammensetzten."
Ptracy nickte. "In Ordnung. übrigens, ich wusste gar nicht, dass wir ein Labor haben."
Pismire legte ein wenig verlegen den Kopf schief: "Haben wir auch nicht, aber ich habe mit dem Kommandeur abgemacht, dass wir die Kantinenküche benutzen können, bis wir ein eigenes Labor bekommen."
"Wie bitte?" Zupfgut ächzte vernehmlich. "Wir schneiden den Mann in der Küche auf? Und morgen wird da gekocht? Bäh!"
"Nun, ich räum auch hinterher auf und mach alles sauber. Und wenn was übrigbleibt - tja, einige Wächter klagen eh' darüber, dass die Fleischportionen...", ein Blick auf das Gesicht seiner Vorgesetzten ließ; ihn verstummen. "Äh, 'schuldigung, Sir, war ein Scherz."
"Nun, du scheinst weitsichtig zu sein, wenn Du auch deinen Humor vielleicht ein wenig zügeln könntest." Ptracy erhob sich und mit ihr auch die beiden anderen Wächter.
Pismire bückte sich und schulterte scheinbar mühelos die Leiche.
"Du trägst die Leiche allein?" Angsthase pfiff durch die Zähne.
"Nun, Ameisen - und Pismire ist nur ein anderes Wort für Ameise
- können erstaunliche Lasten tragen." Pismire lächelte verlegen.
"Einen Vorteil muss die Herkunft aus einer anderen Dimension ja haben."
Eine halbe Stunde später war die Besprechung in der Küche vorbei. Angsthase und Zupfgut waren noch einmal los geschickt worden, den Fundort der Leiche, das Lagerhaus für Reannuelles Schweinefleisch, zu untersuchen, falls die Leute von R.U.M., den Ptracy 'nach der Aktion in meinem Büro mittlerweile alles' zutraute, erneut unter die
Lupe zu nehmen.
Die Aufzeichnungen von R.U.M. hatten lediglich ergeben, dass es sich um einen toten Menschen handelte, keine offensichtlichen Verletzungen vorlagen, Obergefreiter Tunnelblick, der Püschologe der Abteilung auch nicht weiter gekommen war, da der Tote tot und nicht untot war, es sich bei dem Toten um Theobold Frischelchen, den stellvertretenden Unteraufseher des Lagerhaus handelte, der aus Ankh-Morpork stammte und allein auf sich gestellt seit 59 Jahren ein unauffälliges Leben in der Pesthauchgasse Nr. 24 geführt hatte.
"Du hast so was doch schon mal gemacht, Feldwebel?" fragte Oberleutnant Ptracy streng, als sie allein vor der Leiche standen.
"Ja, dort wo ich herkomme waren Obduktionen zwar nicht an der Tagesordnung, aber ich kenne mich mit Verletzungen jeder Art aus und hatte in der letzten Zeit auch ausreichend Gelegenheit, mich mit der Wirkung von Giften vertraut zu machen." Pismire öffnete einen Beutel, den er über der Schulter hängen hatte und entnahm ihm eine ganze Reihe von Instrumenten und zu guter letzt eine kleine schwarze Schachtel mit Knöpfen und einem
Trichter.
"Was ist das?" fragte seine Vorgesetzte neugierig.
"Ein Steno-Dämon, auch Stämograph genannt. Dann brauch ich die Berichte nicht selbst zu schreiben. Man drückt auf diesen Knopf, dann weiß der kleine Bursche, dass er Schreiben soll, und spricht hier in den kleinen Trichter. Durch den Schlitz kommt dann der geschriebene Bericht. Ich hab' das Teil vor einiger Zeit in einem achatenen Gemischtwarenladen gefunden und da ich den Schreibkram nicht sonderlich schätze, hab'
ich ihn mir zugelegt. Meistens funktioniert's auch einwandfrei, nur die Orthographie lässt zu wünschen übrig. Ich musste ihm erst mal erklären, dass ich 'r' meine und nicht 'l' und dass ich
von links nach rechts lese und nicht von oben nach unten. Andererseits: Der Dämon frisst gerne Ziegenkäseplätzchen. Ist also billig in der Haltung."
Zusammen entkleideten sie die Leiche. Aber auch in nacktem Zustand waren auf den ersten Blick keine oberflächlichen Verletzungen zu finden, was Pismire dem Stämographen diktierte.
"Ich schneid' ihn jetzt auf. Seid Ihr sicher, dass Euch das nichts ausmacht, Oberleutnant?", fragte Pismire.
"Du meine Güte - was meinst du, wer das Einbalsamieren erfunden hat?", entgegnete Ptracy etwas ungehalten. "Alle meine Vorfahren wurden auf diese Weise behandelt. Und wir finden nichts dabei. Also mach dir darüber mal keine Sorgen, Feldwebel."
Vier Stunden später hatten sie von allen wichtigen Organen Proben genommen und im Stillen musste Pismire zugeben, dass Ptracys Haltung tadellos gewesen war.
"Wenn Ihr nicht meine Vorgesetzte wäret, dann würde ich Kommandeur Rince bitten, Euch als ständige Assistentin für mich einzustellen", meinte er gut gelaunt. "Jetzt müssen wir nur noch den Schädel öffnen, dann ist der Teil der Untersuchung erst einmal erledigt."
Sie hatten eine kleine Pause eingelegt und standen an den Herd gelehnt mit Kapputschino und Kräutertee, während die Leiche, nun von einem Tuch bedeckt, auf einem der großen Küchentische lag.
"Aber bitte erst, wenn ich meinen Bericht abgegeben habe", ließ sich Angsthase vernehmen. Sie war von beiden unbemerkt eingetreten und beäugte den verdeckten Tisch mit sichtlichem Unbehagen.
"Ah, Angsthase. Ihr seid also am Fundort fertig?" fragte Ptracy. "Setz dich, nimm einen Kapputschino, du siehst aus, als ob du ihn brauchen kannst."
"Danke, gerne, Sir. Zupfgut schreibt schon an dem Bericht, aber ich hab' mir gedacht, dass ich schonmal vorab berichten kann." Sie ließ sich auf einen Hocker sinken. Alle drei wirkten zu der fortgeschrittenen Stunde schon etwas müde.
"Der Fundort scheint auch der Tatort gewesen zu sein," begann Angsthase mit dem Bericht, "da wir keinerlei Spuren finden konnten, die darauf hinweisen, dass der Tote dorthin gebracht worden ist. Das letzte Mal wurde er gestern morgen um 6 Uhr gesehen, als er seinen Dienst im Wachhaus begann. Danach sind sich die Zeugen sicher, dass er das Gebäude nicht wieder verlassen hat."
"Welche Zeugen?" warf Pismire ein.
"Die Schließdämonen an den Eingängen des Lagerhauses." entgegnete Angsthase.
"Die was?" fragte Pismire zurück.
"Das Lagerhaus ist ungewöhnlich gut gesichert. Es gibt keine Fenster und nur zwei Tore, die mit jeweils zwei Dämonen in jedem Türschloss gesichert sind. Es ist nicht auszudenken was im Raum-Zeit-Gefüge für ein Unfug passieren kann, wenn reannuelles Schweinefleisch verschwindet. Außerdem ist das Zeugs sauteuer. Die Dämonen wissen auf jeden Fall, dass Frischelchen das Gebäude betreten aber nicht wieder verlassen hat."
"Und wer hat das Gebäude noch betreten? Ich meine, dann könnte der Fall doch ganz leicht gelöst werden." Hoffnungsfroh blickte Ptracy ihre Mitarbeiterin an.
Angsthase seufzte und zog einen mehr als armlangen und eng beschriebenen Zettel aus der Tasche: "Einhunderteinundzwanzig Personen. Gestern morgen kam eine größere Lieferung auf rund 80 Ochsenkarren für das Lagerhaus an und am Nachmittag war dort ein Treffen der Lagerarbeiter und ehemaligen Lagerarbeiter. Einmal im Jahr machen sie dort wohl eine kleine Feier. Bei der waren 72 Personen eingeladen. Bis wir die alle überprüft haben, ist eine Menge Masse durch den Ankh gerutscht. Und alle kannten natürlich den Toten."
Ptracy seufzte. "Und wir wissen noch nicht einmal, woran er gestorben ist. Das hört sich nicht nach einem frühen Feierabend an."
"Die Mitarbeiter der Nachtschicht schwören übrigens, dass sie Frischelchen auf der Feier gesehen haben. Die Frühschicht hat ihn dann in einem selten genutzten Verschlag nach dem Mittagessen tot gefunden, und natürlich erst mal die Wache verständigt."
"Nun, dass sie ihn auf der Feier gesehen haben, ist wahrscheinlich. Wenn man berücksichtigt, wo er als Leiche gelegen hat, dann können wir davon ausgehen, dass er nicht vor acht Uhr und nicht nach elf Uhr gestern Abend gestorben ist.", berichtete Pismire. "Solange wir aber nicht wissen, woran er nun wirklich gestorben ist, wissen wir auch nicht, in welchem
Zeitraum er mit seinem Mörder Kontakt gehabt haben muss. Es wäre übrigens gut, wenn du und Zupfgut euch nochmal seine Kleidung gründlich vornehmen könntet - wir haben das zwar schon gemacht, aber eine gründliche Analyse kann nicht schaden.", fuhr Pismire fort.
Ptracy nickte: "Die Sachen liegen auf dem kleinen Tisch am Fenster."
Mit einem resignierenden Seufzer erhob sich Angsthase. "Ich nehme nicht an, dass das auch noch bis morgen Zeit hätte?", fragte sie.
"Das siehst du völlig richtig, Hauptgefreite.", kommentierte ihre Vorgesetzte. "Und den Bericht dann bitte wieder vorab. Danke und wegtreten."
Pismire und Ptracy machten sich wieder an die Arbeit. Als Pismire den Schädel geöffnet hatte, pfiff er auf einmal durch die Zähne.
"He, seht Ihr das, Oberleutnant? Ich glaube, wir haben da was gefunden. Hier, auf der rechten Seite ist das Trommelfell durchstoßen und im Gehirn setzt sich die Verletzung weiter fort. Im Schädel selber hat es stark geblutet Ich würde sagen, dass wir damit die Todesursache haben."
"Du meinst, er ist mit einem Stich durch das Ohr getötet worden?", fragte Ptracy.
"Ja, genau. Der Mörder muss mit einem spitzen, dünnen und langen Gegenstand das Trommelfell durchstoßen haben. Mal sehen, wie weit der Stich sich im Gehirn fortsetzt."
"Aber dann hätte doch am Tatort Blut vorhanden sein müssen, oder?" Ptracy schaute skeptisch.
"Nicht unbedingt. Und auf jeden Fall nicht in einer derartigen Menge, dass es auffällt; vielleicht nur wenige Tropfen. Immerhin ist es ein Lagerhaus für Fleisch. Den ein oder anderen Blutspritzer kann man da erwarten. Und von außen fällt die Verletzung nicht auf -
normalerweise schauen die Wächter am Fundort der Leiche nicht in alle Löcher. Wir sollten auf jeden Fall Zupfgut und Angsthase Bescheid sagen, dass sie auf winzige Blutstropfen am Kragen der Kleidung achten sollen."
"Ich sag sofort Bescheid." Ptracy machte sich auf den Weg.
"Äh, Sir, wenn Ihr zufällig einen Vampir im Dienst findet, dann schickt ihn zu mir. Ich will an der Blutprobe noch etwas überprüfen.", rief Pismire ihr nach.
Kurze Zeit später traf Gefreite Ayami bei ihm ein. "Hallo Pismire, Oberleutnant Ptracy hat mich zu Blutprobe her geschickt."
"Ja, ich habe hier Blut von einer Leiche und würde gerne so schnell wie möglich wissen, ob der Verstorbene irgendwelche narkotisierenden Mittel zu sich genommen hatte. Gifte sind nicht zu erwarten, aber dennoch, sei bitte vorsichtig."
Ist schon gut", entgegnete Ayami, "ich bin immer vorsichtig bei Blutproben."
Mit leichtem Ekel im Gesicht griff sie das Glas, das Pismire ihr reichte, und nahm einen vorsichtigen Schluck. Sie brummte anerkennend, dann zog sie in einem Zug das Glas leer. Einige Augenblicke später begann sie leicht zu schwanken.
"Hach du meine Güte", lallte sie "Nakort-, äh. nahgot.., hicks, der war ja voll wie 'ne Strandhaubidse... oder so". Sie kickerte, und Pismire ließ sie sich vorsichtig setzten.
Die Vampirin schwankte leicht auf dem Hocker hin und her. "Der war total besoffen. Wennich noch'n Glas kriegn kann, dann kann ich dir sogar den Jahrgang sagen. Hicks. Ein Spitzenweinchen." Sie kickerte.
Pismire beugte sich zu ihr. "Gefreite? Ist alles in Ordnung?"
Ayami begann zu singen "Schwölf Uhr unn alles is guuuut..."
Oberleutnant Ptracy, die gerade die Küche betrat, sah mit deutlicher Missbilligung auf das Geschehen.
"Ich hoffe, dass du das erklären kannst, Feldwebel" fragte sie mit scheinbarer Freundlichkeit.
Pismire drehte sich zu ihr herum. "Die Blutprobe, Sir. Der Verstorbenen hatte offensichtlich mehr als reichlich Alkohol zu sich genommen. Das erklärt, warum wir keine großartigen Spuren gefunden haben. Der gute Theobold war vermutlich betrunken eingeschlafen, nachdem er sich von der Feier in den Verschlag zurück gezogen hatte. Der Mörder hat das benutzt, um ihn mit einem kräftigen Stich in den Gehörgang umzubringen."
"Dann brauchen wir die Liste derjenigen, die zwischen acht und elf Uhr noch im Gebäude waren. Die Dämonen haben ausgesagt, dass die Feier um sieben Uhr deswegen vorbei war, weil der Chef sich betrunken in die Bowle übergeben hatte." Angeekelt zog sie die Nase kraus. "Das schränkt den Kreis der Verdächtigen glücklicherweise ein."
Sie überlegte kurz. "Ich schau oben mit Zupfgut und Angsthase die Liste auf die Uhrzeit hin durch, du sorgst dafür, dass Ayami sich hinlegt und machst dir Gedanken über die Tatwaffe. Angsthase hat übrigens minimale Spuren von Blut am Kragen gefunden, aber es schien sich eher um verwässertes Blut zu handeln. Vielleicht kannst du damit was anfangen."
Nachdem Pismire Ayami, die mittlerweile von 'verwässertem Blut, dass gar nicht gut schmeckt' zu singen begonnen hatte, den Kollegen am Wachetresen übergeben hatte, begann er mit dem, was er 'Aufräumen' nannte. Er brachte die Organe im Körper wieder an die richtige Stelle, sorgte mit Nähten dafür, dass auch alles an seinem Platz blieb, wickelte die Leiche fest in ein Tuch, damit die Leichensammler sie abholen konnten und reinigte gründlich Tisch, Boden und Instrumente.
Während dieser mechanischen Tätigkeiten überlegte er fieberhaft, von welcher Beschaffenheit die Tatwaffe sein konnte, als ihm endlich die entscheidende Idee kam.
Er hastete in Ptracys Büro, wo die drei mittlerweile die Liste bis auf drei Personen gereinigt hatten.
"Ah, Feldwebel.", begrüßte ihn Ptracy. "Hast du eine Idee?"
"Ja, ich denke ich weiß jetzt, wie der Mörder das gemacht hat. Und vor allem, wie er einen Mord begehen konnte, bei dem er keine Tatwaffe mitzubringen brauchte."
Er zog sich einen Stuhl heran. Drei Augenpaare wandten sich ihm voller Interesse zu.
"Seine Tatwaffe waren zwei Eiszapfen. Es gibt tausende davon im Lagerhaus.
Ein dünner, den er zusätzlich noch geschärft oder angespitzt haben mag, um den er dann einen Lappen gewickelt hat und einen größeren, den er wie einen Hammer verwenden konnte."
Pismire fuhr fort: "Theobold war also voll und sein Mörder konnte ihm sicher gut vermitteln, er solle sich in dem Verschlag doch ein wenig ausruhen. In dem Trubel dürfte das Fehlen von zwei Leuten gar nicht aufgefallen sein. Da liegt also nun das Opfer und schläft seinen Rausch
aus. Der Mörder wartet das Ende der Feier ab, dann schlägt er zu. Da der Verschlag wärmer ist als das restliche Lagerhaus, wird der Eiszapfen im Ohr im Verlauf der Nacht schmelzen und das Wasser, das durchs Ohr auf den Boden fließt, verdunstet einfach. Zusätzlich kann das Blut ja vorläufig nicht aus dem Ohr austreten, weil da der Zapfen steckt, und bis das Eis geschmolzen ist, ist das Blut geronnen. Das ist sehr, sehr trickreich erdacht."
"Ja, aber er hat nicht mit S.U.S.I. gerechnet." Ptracy blickte in die Runde. "Was meint Ihr, sollen wir den Fall so an R.U.M. übergeben und Feierabend machen," drei Wächter schüttelten den Kopf, "oder schnappen wir uns den Mistkerl und packen ihn bei R.U.M. auf den Schreibtisch." Sie grinste, als sie das begeisterte Nicken ihrer Leute sah.
Angsthase nahm die vor ihr liegende Liste wieder auf. "Wir haben drei Verdächtige, die nach acht Uhr noch im Lagerhaus waren: Petronius Bimbam, der direkte Vorgesetzte von Frischechen. Er wohnt in der selben Straße wie der Tote. Die Dämonen haben gesagt, dass er vor einiger Zeit einen riesigen Streit mit dem Opfer hatte, weil er den Verdacht hatte, Frischelchen habe sich an dessen Frau herangemacht. Der zweite fällt flach..."
"Wieso das?", unterbrach Pismire.
"Er ist Nachtwächter dort, erst seit einer Woche beschäftigt und - was am wichtigsten ist - er hat nur einen Arm."
"Tja, falls er nicht über erhebliche Talente als Akrobat verfügt, dann können wir ihn wohl streichen", brummte Pismire.
"Und der dritte ist Hubert Hämpflich, er ist der Schwippschwiegerschwagercousin
des Opfers.", fuhr Angsthase fort.
Als sie Pismires erstaunten Blick sah, meinte sie: "Das heißt, er ist um hunderttausend Ecken mit dem Opfer verwandt. Er hat den Job natürlich über Frischelchen bekommen. Zupfgut hat herausgefunden, dass sein Vorstrafenregister länger als der Ankh ist. Zuletzt hat er als Ober-ohne-Servierer im 'Pflaumenbaum' - das ist eine üble Spelunke in den Schatten, und zwar
selbst für die dortigen Verhältnisse - gearbeitet. Dort ist er gefeuert worden, weil er die Finger nicht aus der Ladenkasse halten konnte."
"Wie dem auch sei, regulär arbeiten sie alle heute Abend wieder im Lagerhaus. Ich denke, wir sollten uns dort mal blicken lassen." Ptracy griff zu ihrem Umhang. Dios erhob sich und reckte sich träge.
"Sollten wir nicht Verstärkung holen?" fragte Angsthase.
"Bah," meinte Zupfgut, "das schaffen wir auch so."
Am Lagerhaus angekommen, schlug Oberleutnant Ptracy mit solch machtvollen Schlägen an die Tür, dass Pismire schon fürchtete, der Wache werde demnächst schon wieder eine teure Türreparatur vom Büdschee abgezogen. Die Tür ging auf. Ein ziemlich kräftiger Mann öffnete misstrauisch.
"Oberfeldwebel Ptracy von der Stadtwache, wir hätten da noch einige Fragen wegen Herrn Frischelchen."
"Hat das nicht bis morgen Zeit?", knurrte der Mann.
Aber als er Ptracys Gesicht sah, öffnete er die Tür und ließ die Wache eintreten.
"Du bist vermutlich Herr Bimbam?" fragte Ptracy.
"Stimmt."
"Dann möchten wir mit dir und Hämpflich sprechen. Und zwar drinnen."
Die Wache betrat das Lagerhaus. Interessiert sah sich Pismire um. Tausende von Eiszapfen unter der Decke bestätigten seine Vermutungen.
In dem Verschlag angekommen, wo die Leiche gefunden worden war, standen einige Stühle.
"Lass Hämpflich holen und dann setzt dich", forderte ihn Ptracy auf.
Kurze Zeit später saßen Angsthase, Pismire und Ptracy den beiden Verdächtigen gegenüber, während Zupfgut die Tür sicherte, wo auch Dios sich wachsam platziert hatte.
"Wir wissen nun, woran Herr Frischeling gestorben ist." begann Ptracy die Unterhaltung.
"Vermutlich am Suff, nicht?" mischte Hämpflich sich ein, der Pismire an ein Frettchen erinnerte.
"Nicht so ganz. Der Alkohol spielt auch eine entscheidende Rolle, aber ihr Verwandter ist letztlich an einem Eiszapfen gestorben."
Hämpflich rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her, während sich auf dem Gesicht von Bimbam Verblüffen breit machte.
"Aber der war doch schon längst ge...", Bimbam brach ab.
"Geschmolzen, wolltest du doch sagen." Ptracy sah ihn unvermittelt an.
Bimbam sprang auf und versuchte, durch die Tür zu stürmen. Aber an Obergefreiter Zupfgut führte kein Weg vorbei. Dios war aufgesprungen und knurrte drohend.
"Ich denke, dass reicht. Petronius Bimbam, ich verhafte dich wegen des Verdachts der Ermordung von Theobold Frischelchen aus Eifersucht." Oberleutnant Ptracy ließ die Handschellen zuschnappen.
"Das Schwein", heulte der Verhaftete. "Im Suff hat er damit geprahlt, was er mit meiner Frau so alles getrieben hat, die Sau...", seine Stimme versagte.
Eine Stunde später. Die Wächter saßen in einem der Nachtcafés von Ankh-Morpork zusammen. Einem erfreuten Hauptmann Lewton hatte man nicht nur einen Stapel Protokolle, sondern auch noch einen geständigen Mörder übergeben. Ptracy blickte stolz in die Runde.
"Ich denke, Feldwebel Pismire hat sich als Gerichtsmediziner bewährt." Alle nickten. "Und wir haben gute Arbeit geleistet. Es ist schon weit nach zwölf Uhr und alles ist gut. Die nächste Runde geht dann auf Pismires Rechnung."



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung