Tunnelblick läuft durch die Straßen und singt ein Lied, in dem gesagt wird, dass 'alles gut ist'.
Jemand sollte ihn davon abbringen, nicht wahr?
Dafür vergebene Note: 13
Menschen schlenderten gemütlich durch die Abendsonne in Ankh-Morpork. Pärchen gingen Hand in Hand durch sommerwarme Straßen und genossen die letzten Strahlen der himmlischen Feuerkugel. Ein Tag, der vielen Menschen den Glauben an das Schöne im Leben wieder zurückgegeben hatte*, neigte sich dem Ende entgegen. Doch plötzlich schwenkte die Stimmung um. Ausgehend vom Hier-Gibt’s-Alles-Platz, machte sich eine Woge des Entsetzens über Ankh-Morpork her. Gleich einer riesigen Welle schob sie schreiende und kreischende Passanten vor sich her. Fußgänger krümmten sich am Straßenrand und verbargen angstvoll ihre Köpfe zwischen den Knien. Mütter zogen ihre Kinder in die Häuser und allerorten hörte man das Geräusch von hastig zugeschlagenen Türen und Fenstern. Dann herrschte gähnende Leere auf den Straße. Und das Grauen kam näher...
Tunnelblick marschierte fröhlich auf seinem täglichen Rundgang durch die Straßen Ankh- Morporks und war guter Laune. Es war ein wundervoller Tag und die Sonne wärmte ihn mit ihren letzten Strahlen. Grinsend marschierte er weiter und stimmte ein fröhliches Lied an. An den genauen Text erinnerte er sich leider nicht mehr genau, aber „alles wird gut“, kam sicher drin vor und so hielt er sich an diese kurze Zeile und schmetterte sie aus voller Brust. Langsam schlenderte er weiter in Richtung Kurze Straße.
Die Stadt hielt den Atem an**. In der Kurzen Straße lugten vorsichtige Naturen aus ihren Fenstern und versuchten festzustellen, ob die Gefahr schon vorübergezogen war. Beinahe sah es so aus, als ob sie diesmal ungeschoren davon kommen würden. Doch dann erschien in einer Kreuzung ein Schatten. Die Menschen zuckten zurück und suchten ihr Heil unter Bettdecken, in Wandschränken und Standuhren***. Verzweifelte ältere Damen rangen bittend die Hände gen Himmel und flehten um göttlichen Beistand, doch auf Cori Celesti war anscheinend gerade ein Fest im Gange, denn keiner der anwesenden Götter kümmerte sich um die Gebete der Menschen. Der Schatten bog in die Straße ein und die Menschen ergaben sich in ihr Schicksal. Ängstliche Eltern wiesen ihre Kinder an, sich die Ohren zu zuhalten und kaum hatten sie ihre Warnungen ausgesprochen, begann das Schreckliche. Grauenhaftes erklang aus der Richtung des Schattens und kamen immer näher in die Straße. Es gab kein Aufhalten: das Entsetzen nahm seinen Lauf.
Tunnelblick schmetterte sein Lied aus voller Kehle und marschierte quer durch die menschenleere Straße.
Tricia saß in ihrem Büro und kaute an einem Stift. Nicht, dass ihr das wirklich Spaß gemacht hätte, aber sie bildete sich ein, dass das zu ihrer Konzentration beitragen würde. Schon den ganzen Nachmittag brütete sie über dem Leitfaden für verdeckte Ermittler und versuchte sich vorzustellen, was denn noch wichtig sein könnte. Seufzend legte sie den Stift weg und beschloß, es für heute genug sein zu lassen. Eigentlich hatte sie ja noch vorgehabt ihr Spesenkonto durchzurechnen, ob noch Platz für eine weitere ... äh, ja, nun, ...Fortbildung in Klatsch wäre, aber Lewton reagierte auf solche Anfragen in letzter Zeitrecht recht unwirsch und so beschloß sie, einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Gerade wollte sie ihre Sachen packen und nach Hause gehen, als Tunnelblick ins Büro gestürmt kam.
„Hey, Tunnelblick, wie geht´s? Ich wollte grade gehen, kommst du noch mit auf ein Bier in die Trommel?“, fragte sie ihn fröhlich.
„.......“, antwortete er. Mit den Händen zeigte er auf seinen Hals und sein ohnehin schon wirrer Blick schien noch um ein Stück ausgeflippter zu werden.
„Ja, was denn? Sag doch einfach was du willst!“, genervt ließ sich Tricia wieder in ihren Stuhl fallen und harrte ergeben der Dinge, die da kommen sollten. Tunnelblick sah sich kurz im Büro um, dann schnappte er sich ein Blatt Papier und eine Stift und begann hektisch etwas niederzuschreiben. Er schob Tricia das Blatt zu und gab ihr zu verstehen, dass sie es lesen sollte.
„Keine Stimme mehr. Hilf mir. Ich dreh durch ohne Stimme“ las Tricia laut vor. „Na hör mal als Werwolf müßtest du doch gewohnt sein, keine Stimme zu haben, oder?“, grinste sie. „Nein, aber mal Spaß beiseite, wie konnte das passieren?“, fragte sie
Nach langen Schreibereien hatten sie den Fall zumindest soweit geklärt, dass Tricia jetzt wußte, dass Tunnelblick auf seiner Runde durch Ankh-Morpork in der Kurzen Straße vorbeigekommen war. Dort war er anscheinend überfallen worden und als er wieder aufwachte, war seine Stimme weg.
„Wow, das ist doch mal ein interessanter Fall, wenn jemand einem die Stimme raubt“, wunderte sich Tricia. „War denn irgendwas Besonderes in der Kurzen Straße?“, fragte sie Tunnelblick.
„Nix. Kein Mensch dagewesen. Hab mich auch gewundert. Ist doch sonst mehr los“, schrieb ihr der Wächter auf den Zettel.
„Hm, kein Mensch unterwegs, um diese Tageszeit, bei dem Wetter?“, Tricia kam das Ganze spanisch vor. „Komm mal mit, am besten wir ermitteln vor Ort“, mit diesen Worten zog sie ihn aus ihrem Büro.
In der Kurzen Straße herrschte rege Betriebsamkeit, lachende Menschen standen vor den Häusern und unterhielten sich. „Das ist doch alles sehr merkwürdig“, dachte sich Tricia. „Hör mal, Junge, hast du heute hier was Komisches bemerkt“, sprach sie einen kleinen Jungen neben sich an. Bevor der Kleine antworten konnte, schoß seine Mutter aus der Haustür und stellte sich vor ihn: „Was wollen sie von meinem Quirschin? Der hat nix getan. Wer sind sie überhaupt.“ zeterte sie los.
„Nun mal langsam, gute Frau“, beruhigte Tricia die aufgebrachte Mutter. „Wir sind nur einem Verbrechen auf der Spur. Heute nachmittag wurde nämlich mitten hier auf der Kurzen Straße ein Wächter ausgeraubt. Vielleicht hat ihr Sohn ja was gesehen?“
„Mein Sohn war am Nachmittag im Haus, der hat gar nichts gesehen und ich auch nicht“, gab die Frau abweisend zurück.
„Irgendwas ist doch hier oberfaul“, Tricias Gespür für Lügen meldete sich vehement zur Stelle. Die anderen Bürger beobachteten das Gespräch aufmerksam. „Wie kriegen wir aus den Leuten hier was raus?“, fragte sie sich. Plötzlich gab es einen kleinen Aufruhr unter den Anwesenden. Jemand zeigte auf Tunnelblick und plötzlich lag so etwas wie angespannte Vorsicht in der Luft. Die eben noch sehr unkooperative Mutter zeigte sich plötzlich an Tunnelblick sehr interessiert und fragte: „Welcher Wächter wurde denn überfallen und was wurde genau gestohlen? Vielleicht kann ich mich dann eher an etwas erinnern“. Beifälliges Gemurmel aus den Reihen der Zuschauer.
Verwirrt antwortete Tricia, dass es eben genau den neben ihr stehenden Tunnelblick getroffen hatte und das Geraubte wäre in diesem speziellen Fall seine Stimme. Noch lauteres Gemurmel aus den Reihen der Zuschauer. Allmählich kamen Tricia diese Leute sehr seltsam vor. Kleine Kinder wurden aus den Häusern geholt, auf Tunnelblick zeigten sie mit dem Finger und das seltsamste von allem: die Menschen schienen irgendwie alle sehr erleichtert zu sein.
Kopfschüttelnd drehte sie sich wieder zu der Frau. „Und ist jetzt die Erinnerung wieder da?“, fragte sie.
„Nein, ich kann mich an gar nichts erinnern“, antwortete diese schnippisch und verschwand in ihrem Haus.
„Na, da soll mich doch....“, schimpfte Tricia vor sich hin. Aus den anderen Bewohnern der Kurzen Straße war auch nicht mehr herauszubekommen. „Zeit für Plan B“, dachte sie sich und beugte sich zu Tunnelblick hinüber. „Hör mal, wir tun jetzt so, als ob wir gehen würden, aber in der nächsten Querstraße bleiben wir stehen und suchen uns ein Versteck“, flüsterte sie ihm zu.
Einige Stunden später: Die Sonne war bereits untergegangen und Tricia verließ leise mit Tunnelblick die Nische, in der sie sich verborgen hatten. Vorsichtig spähten sie um die Ecke in die Kurze Straße. „Volltreffer“ murmelte Tricia leise und beobachtete fasziniert das fröhliche Fest, das in der Straße stattfand. Plötzlich kam aber Bewegung in die Menschenmenge. Ein Zauberer hatte die Straße vom anderen Ende her betreten und steuerte auf die Frau zu, mit der Tricia sich am Morgen unterhalten hatte. Auf Zehenspitzen tastete sich die Wächterin näher an das Geschehen heran.
„Nun, Frau Sangesfroh, haben sie sich davon überzeugt, dass ich ganze Arbeit geleistet habe?“, fragte er sie.
„In der Tat, mein Lieber, in der Tat. Erstklassig! Endlich können wir unbesorgt unsere Kinder draußen spielen lassen, der Schrecken hat endlich ein Ende“, lobte sie.
„Gut, gut. Dann können wir ja jetzt zur Bezahlung kommen“, schlug der Zauberer vor.
„Ja, also, hier sind dann 20 AM-Dollar für sie, das sollte genug sein“, mit diesen Worten warf sie ihm ein kleines Beutelchen zu.
„Meine Gnädigste , wir hatten 2000 ausgemacht, wenn sie die Güte hätten, sich an unsere Abmachung zu erinnern“, knurrte der Zauberer recht unfreundlich.
„Ich weiß nichts von 2000, nehmen sie die 20 und verschwinden sie aus unserer Straße, wir wollen keine solchen Subjekte wie sie unter uns haben“, entgegnete Frau Sangesfroh schnippisch.
In ihrem Versteck rang Tricia mit sich. Das stank förmlich nach irgendetwas Illegalem. Sollte sie hingehen und beide verhaften? Und damit riskieren, den Fall Tunnelblick nicht aufzuklären? Dieser schaute sie ganz aufgeregt an und deutet hektisch in Richtung der beiden Streitenden. „Ja, du willst mir was sagen, aber ich hab kein Papier dabei“, hektisch suchte Tricia ihre Taschen nach etwas Papierähnlichem ab. Plötzlich hörte sie hinter sich ein Kratzen auf Stein. Tunnelblick hatte sich in einen Werwolf verwandelt und kratzte nun mit seinen Krallen auf der Steinwand herum. „Geh hin. Die warens. Schnell“, entzifferte Tricia. Mit einem Achselzucken folgte sie der Aufforderung und trat mit gezogenem Schwert auf die Straße hinaus: „Hey Leute, alle mal zuhören, der Zauberer und die Frau sind verhaftet, alle anderen gehen aus dem Weg“.
Der Zauberer drehte sich um und rannte die Straße entlang. Er kam nicht weit, denn Tunnelblick in Wolfsgestalt war ihm nachgesprungen und saß jetzt auf seiner Brust, die ehrfurchteinflößenden Reißzähne in der Nähe seiner Kehle. Frau Sangesfroh und die anderen Bewohner standen wie erstarrt und rührten sich nicht.
„ ... Und als er jeden Tag durch die Straße zog und immer dieses gräßliche Lied sang, da konnten wir nicht anders. Wir haben einen Zauberer angeheuert, der ihm einen Stimmenentfernungstrank brauen sollte. Eigentlich sollte er ja nur nicht mehr singen können, aber die Dosierung war anscheinend zu stark und er hat die ganze Stimme verloren. Wir wollten doch nur, dass wieder Ruhe und Frieden in unserer Straße einkehrt“, gab Frau Sangesfroh in der Wache zu Protokoll.
„Ach, du meine Güte, wieso haben sie denn Tunnelblick nie drauf angesprochen, ich bin sicher, da hätte man drüber reden können“, fragte Tricia.
„Ich kenne solche Typen. Nicht singen können, aber das dafür gern und laut. Ich hab da Erfahrung, ich war Gesangslehrerin bei der Näherinnengilde. Solche Leute hören nicht auf, nur weil man sie drum bittet“, antwortete Frau Sangesfroh trotzig. ...
Abends in der Trommel stießen Tunnelblick und Tricia auf seine wiedergefundene Stimme an. „Ich versteh das gar nicht, was die Leute dagegen haben, wenn ich singe. So schlimm ist das doch nicht?“, fragte Tunnelblick. ****
„Hm, naja“, erwiderte Tricia diplomatisch. „Auf jeden Fall hat die ihre gerechte Strafe erhalten“, grinste sie leise in sich hinein und rief sich noch einmal das Gesicht von Frau Sangesfroh in Erinnerung, als sie ihre Strafe gehört hatte: Kostenloser Gesangsunterricht für Tunnelblick.
ENDE
* ausgenommen solche, die beispielsweise gerade ermordet worden waren oder sonstigen widrigen Umständen zum Opfer fielen.
** nun vielleicht nicht wirklich die Stadt, aber ihre Bürger und wenn genügend Bürger nicht atmen, ist das ja ähnlich, als ob die Stadt nicht atmet?
*** seit einer überlieferten Erzählung ein beliebter Ort, um sich zu verstecken.
**** es soll auch Menschen geben, die seinen Gesang gerne hören. Von ihnen wird aber nur hinter vorgehaltener Hand erzählt und meist in Verbindung mit dem Ausdruck „und dann kamen die Männer mit den weißen Turnschuhen“.
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