Schwer atmend stürzte Tricia McMillan die Stufen zum Büro von Hauptmann Lewton hinauf und fiel mehr durch die Tür, als dass sie sie aufmachte. Vor dem Schreibtisch des Hauptmanns blieb sie stehen und keuchte atemlos hervor:
"Meine Güte, was kann denn so dringend sein, dass ich an meinem freien Tag in die Wache kommen muss? Und noch dazu per Eiltaube angeschrieben."
Lewton blickte von einem der zahlreichen Papierstapel auf und murmelte zerstreut vor sich hin:
"Ah Trillian, ich hatte nach einer verdeckten Ermittlerin geschickt? Tatsächlich? Warum nur? Wo ist denn mein Notizkobold?" Suchend sah er sich in seinem Büro um. Plötzlich kam Bewegung in einen der beinahe zimmerhohen Papierstapel.
"Verd....., was ist da denn los? Schon wieder Ratten im Wachhaus? Ich dachte die Zwerge hätten allmählich aufgeräumt?" fluchte Tricia und brachte sich hinter einem Schränkchen in Sicherheit. Gerade rechtzeitig, denn unter lautem Geraschel und Getöse (was wohl in diesem Stapel ausser Papier noch gelagert war?) brach der Turm zusammen und ein kleiner Kobold mit einem noch kleineren Notizzettel kam aus den Überresten hervorgekrochen. Grummelnd beugte er sich zu Lewton und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
"Ah, natürlich, das war´s!", rief der Hauptmann erfreut. "Wie du sicher schon mitbekommen hast, werden in diesem Jahr besonders viele Geldbörsen gestohlen", begann er Tricia ihren neuen Fall nahe zu bringen.
"Aber ich dachte, die Diebesgilde hätte ganz offiziell von Lord Vetinari eine Geldbeutelerhöhung zugeteilt bekommen?", fragte die Gefreite nach.
"Ja, aber es werden ausser den genehmigten Mehrdiebstählen auch unlizensierte Diebstähle gemeldet", seufzte Lewton. "Und was das Schlimmste daran ist, auch mehrere Mitglieder der Wache sind schon davon betroffen. Wie sieht das denn aus, wenn nicht mal wir uns vor diesen Verbrechern schützen können?", ereiferte er sich. "Am besten du sprichst mal mit Schmiedehammer, der hat sich schon ein wenig um den Fall gekümmert!"
Mit diesen Worten gab Lewton Tricia zu verstehen, dass sie jetzt sein Büro verlassen könne.
"Wer so blöd ist, eine Geldbörse bei Schnapper zu kaufen, sollte froh sein, wenn sie ihm einer klaut", spottete Trillian im Büro von Schmiedehammer.
"Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass nur Schnappers Geldbeutel gestohlen werden. Und so kann es einfach nicht weitergehen", erklärte er ernst. "Ich würde mich ja selber auf die Socken machen, aber ich hab morgen frei und wenn die Ermittlungen eine Tag ruhen, sind die Spuren nicht mehr frisch", bedauerte er.
"Naja, wenn unserem Hauptmann soviel dran liegt, dann mach ich mich halt mal an die Arbeit", seufzte Trillian und dachte an den verlorenen freien Tag. Leise vor sich hinschimpfend verließ sie das Wachhaus und marschierte in die Stadt.
"Mal überlegen, wie kommen wir diesen Diebstählen am ehesten auf die Spur?", überlegte sie, während sie durch die Straßen von Ankh-Morpork schlenderte. Nach den Gesprächen mit mehreren Bestohlenen hatte sich zumindest ein Muster abgezeichnet. Trillian dachte nach.
"Also, anscheinend ist es nun so, dass die Geldbeutel in der Nacht verschwinden. Und zwar genau in der Nacht, gleich nachdem sie gekauft worden sind", erzählte sie einer nur wenig interessiert wirkenden Hauswand, an der sie gerade vorbeiging. "Irgendwas war doch da noch, was mir komisch vorkam, wenn ich nur draufkommen würde?", murmelte sie.
In Gedanken versunken, marschierte sie bis zu ihrer Wohnung. Drinnen angekommen, zog sie die eilig angelegte Rüstung aus. "Man muss das Problem an der Wurzel packen", sagte sie halblaut zu sich selbst.
"Am besten ich verfolge einen Geldbeutel und schaue was passiert. Ja, das ist gut", lobte sich Trillian selbst, in Ermangelung eines Gesprächspartneres der ihr diese Bürde abgenommen hätte.
Kurze Zeit später im Badezimmer begutachtete sie sich selbst im Spiegel. Lange blonde Haare (eine Perücke), ein sommerliches, sehr (!) knappes Kleid (geliehen) und viel zu viel Farbe im Gesicht. "So, das sollte reichen", konstatierte sie zufrieden. Grinsend dachte sie daran zurück, wieviel Spaß es ihr als Findelkind in der Unsichtbaren Universität gemacht hatte, als Zauberlehrling verkleidet die Kurse zu besuchen. Damals hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, sich für andere Schüler auszugeben und in deren Gestalt die altehrwürdigen Zauberer auf den Gängen mit Papierkugeln zu beschießen oder ihnen Zettel mit der Aufschrift "Verwandle mich in einen Frosch" an den Rücken zu heften. Doch inzwischen war sie ja über dieses kindische Alter hinaus. Nun ja, vielleicht nicht ganz. Der Job bei R.U.M. tat ihr gut, das spürte sie. Die Geheimniskrämerei machte ihr so viel Freude wie nichts anderes und bei den verdeckten Ermittlungen war Trillian in ihrem Element. Einmal drehte sie sich noch um die eigene Achse, dann verließ sie ihre Wohnung mit der festen Absicht, nicht zurückzukommen, bevor nicht das Rätsel der Geldbeutel gelöst war.
Staunend sah T.m.s.i.d.R. Schnapper an zwei (an seiner Größe gemessen) unendlich langen Beinen empor, die aus sehr, sehr hohen Schuhen ragten. Die Frau vor ihm hatte einen ungünstigen Standpunkt gewählt, denn hatte sich genau über einen Ventilationsschacht vor seinem Hauptladen in der Kurzen Straße gestellt und versuchte ihr, ohnehin schon sehr kurzes, weißes Kleid mit einer Hand vom Hochflattern abzuhalten (Später sollte genau mit diesem Problem eine Frau sehr viel Aufsehen erregen). Trillian lächelte ihn leicht dümmlich an und flötete: "Isch ´abe schon sehr viel von ihrem wünderbaren Laden ge´ört. Da ´abe isch gedacht, isch würde sehr gärn für sie arbeiten. In meine ´eimat ´abe isch Dudelsäck´ verkauft. Vielleischt gibt es ´ier etwas Ähnlisches zu tun?". "Äh, was haben sie gesagt?", räusperte sich Schnapper und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was seine Gesprächspartnerin ihm da vorgeschlagen hatte". "Ach, eine Stelle als Verkäuferin, ja", fiel es ihm wieder ein. "Aber natürlich", hauchte er ihr hingerissen zu "Sie können sofort anfangen". In sich hinein grinsend folgte Trillian Schnapper in die dunklen Eingeweide seines Ladens.
"So und hier ist unser neuestes Prachstück: ein echter Geldbeutel aus dem Fell einer Beutelratte des Achatenen Reiches" erklärte Schnapper seiner neuen Mitarbeiterin großspurig.
"Aber für misch sieht das aus, wie ein gewöhnlisch Ku´´aut", argwöhnte "Cherie", wie sich Trillian bei Schnapper vorgestellt hatte.
"Hm, ja, also, naja, das muß aber niemand wissen, wenn jemand fragt, achatenenes Reich, Beutelratte, klar?", murmelte er durch die Zähne.
"Ah, oui, isch verstehe", Cherie schenkte ihm ein Lächeln, bei den Schnapper dahinschmolz.
"So und merken sie sich bitte, wir haben momentan nur diesen einen Geldbeutel. Ist dieser verkauft, müssen sie die Leute auf morgen vertrösten, wir bekommen jeden Tag genau einen geliefert.", sagte er nachdrücklich zu Cherie.
"Ja, das ist keine Problem, isch werde die Leute sagen, sie möchten wiederkommen die nächste tag", wiederholte Tricia gehorsam.
"Ich bin sicher, sie werden ihre Sache gut machen", mit diesen Worten verließ Schnapper den Laden.
An diesem Tag verbrachte Trillian ihre Zeit damit, den zahlreichen Kunden Gegenstände und Dinge (anders läßt sich kaum beschreiben, was Schanpper in seinem Laden verkauft) zu verkaufen.
"Gott sei Dank geht es nicht um gestohlene Würstchen, wenn ich dran denke mit einem von Schnappers Bauchlden durch die Stadt zu ziehen", Tricia schüttelte sich und der bloße Gedanke an den Geruch ließ sie grün um die Nase werden.
Neben getrockneten Froschpillen für einige der Zauberer, verkaufte sie geriebene Mückenflügel an abergläubische alte Frauen und ... an einen jungen Assassinen den Geldbeutel. Am Ende ihrer Schicht machte sich Trillian rasch auf zum Haus der Assassinengilde und fragte sich bis zu dem letzten Käufer durch.
"Ah, mein Lieber, isch ´abe sie ´eute in meinem Laden gese´en und mußte die ganze Abend an sie denken", säuselte sie dem verwirrtem Jungen ins Ohr. "´Aben sie kein Lust, mit mir ´eute abend auszuge´en?", fragte sie ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag.
"Äh, wie, was, wie haben sie mich überhaupt gefunden?", stammelte der Assassine.
"Meine Güte, ist das ein Vollidiot, dem könnte ja sogar ein Blinder und Gelähmter den Geldbeutel klauen", ärgerte sich Trillian. "Oh, isch bin dir nachgegangen", flötete Cherie zuckersüß.
"Hm, also j, äh, naja, wir könnten vielleicht irgendwo zusammen essengehen?", schlug der junge Mann vor, der sich inzwischen an den Gedanken gewöhnt hatte, so anziehend auf Frauen zu wirken.
"Lieber würde ich ja mit einem Krokodil tanzen, als mit dir Pickelgesicht in die Öffentlichkeit zu gehen", schimpfte Trillian innerlich vor sich hin und sagte: "Das ist ein wunderbar Idee".
Nach vierzehn Bier lag der junge Assassine endlich mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch und Cherie/Tricia griff ihm aufatmend unter die Arme und zog ihn auf die Straße.
"Meine Güte, ich dachte schon der hört nie auf zu saufen. Gut dass ich das neue Alkoholneutralisationsgemisch dabei hatte, das Hauptmann Lewton bei den Alchimisten herstellen hat lassen", dachte sie.
Vorsichtig befühlte sie seine Tasche: Ja, der Geldbeutel war noch da. Draußen lehnte sie ihn erstmal an die Wand der Geflickten Trommel und überlegte.
"So, wie geht´s jetzt weiter? Am besten ich lasse ihn irgendwo an einer Wand stehen und verstecke mich im Schatten, dann kann ich eventuelle Räuber am besten ... Was ist denn jetzt los?" quietschte sie plötzlich.
In der Tasche des Assassinen hatte es zu rascheln begonnen und plötzlich waren da auch mehrere verdächtige Ausbeulungen. Erschrocken trat Trillian einen Schritt zurück und beobachtete die Situation aus einigen Schritten Entfernung. Langsam schob sich etwas aus der Tasche hervor. Ein kleines braunes Füßchen, noch eins, immer mehr, und dann: verwundert rieb sich Tricia die Augen. Sie war sich doch sicher, kein Bier getrunken zu haben (zumindest keines das Alkohol enthielt). Und doch: was da vor ihr mit einem leisen Plumps aufs Kopfsteinpflaster der Straße hopste, war eindeutig.
"Ja, so war das.", erklärte Trillian Hauptmann Lewton.
"Eigentlich brilliant, wenn Schnapper nicht gar so habgierig gewesen wäre, hätte es vielleicht sogar eine Weile gutgehen können", resümierte sie über den Fall. "Schon allein der Gedanke, den Geldbeutel mit einem Zauber zu versehen, dass er jeden Abend wieder zu ihm zurückkehrt, einfach genial", schüttelte sie den Kopf.
"Aber im Endeffekt hat es ihm nichts genützt, wir haben ihn ja doch geschnappt, indem du den Geldbeutel bis zu Schnapper verfolgt hast. Gut, dass du dran gedacht hast eine Ikonographen mitzunehmen und ein Bild von Schnapper zu machen, als er den Geldbeutel füttert", lobte Lewton.
"Und was passiert jetzt mit ihm?", fragte Tricia.
"Er hat von der Diebesgilde einen erhöhten Diebstahlswert zugewiesen bekommen, Diebe dürfen in den nächsten Wochen jeden Tag zweimal bei ihm einbrechen, das wird ihm eine Lehre sein", grinste Lewton. "Im Übrigen habe ich hier noch einen, den jemand nur mit einem schwarzen Umhang in der Nähe der Geflickten Trommel zurückgelassen hat. Eine sehr peinliche Situation für ihn, da just in diesem Moment Herr Witwenmacher vorbeikam und ihn auf seine unpassende Bekleidung hinwies. Ist das nicht zufällig derselbe, dessen Geldbeutel gestohlen wurde? Weißt du da was?", fragte er mißtrauisch.
"Also, wann komm ich denn mit einem Assassinen in Kontakt? Und seit wann bin ich blond?", empörte sich Tricia und verlies abrupt Lewtons Büro.
In ihrer Wohnung heizte sie schnell trotz der sommerlichen Temperaturen den Ofen ein und wer genau hingesehen hätte, hätte vielleicht ein Hemd, Hose und Unterwäsche darin erkennen können, aber wie so oft in solchen Situationen war niemand da, der es zur Kenntnis hätte nehmen können.
"Sowas passiert nun mal mit Leuten, die sich nach ein paar Bier nicht mehr benehmen können", schmunzelte sie beim Gedanken an ihren Begleiter des letzten Abends. Zufrieden grinsend sah sie die kleiner werdenden Flämmchen und prostete in Gedanken einem pickligen Assassinen-Schüler zu.
ENDE
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