Die Klempner beklagen ein Überlaufen der Kanäle.
Alle anderen Abteilungen haben abgelehnt, jetzt seid Ihr dran, durch die ... zu waten.
Dafür vergebene Note: 14
Im ziemlich neu eröffneten DOG-Büro saß Oberfeldwebel Harry vor (oder besser gesagt auf) einem großen, in Leder gebundenen Buch, und versuchte, sich zu konzentrieren. Zwei Dinge erwiesen sich dabei als hinderlich: Erstens war dieses Büro im Viertel Käuflicher Zuneigung untergebracht, und zweitens waren die Wände relativ dünn - und so war es kein Wunder, dass seine Gedanken immer wieder abschweiften.
"Hallo Harry!" schreckte ihn plötzlich eine Stimme aus einigen sehr privaten Fantasien. "Kommst du voran?"
Daemon, sein Vorgesetzter und Abteilungsleiter, hatte unbemerkt den Raum betreten.
"Leider nicht wirklich." Harry deutete auf das Buch, das Daemon ihm als Lektüre empfohlen hatte: "Die hohe Cunst des Observierens".
"Irgendwie ist das nicht das Richtige für mich", meinte er zaghaft. "Hier: 'Capitel I: Zauber der Unsichtbarceyt'. Oder das hier: 'Capitel XIV: Über die Verwandlung in ein unauffälliges Thier.' Ich glaube, als Observierer muss ich mir andere Taktiken überlegen."
"Ich verstehe." Daemon betrachtete den Einband. "Hm... Rince hat es mir gegeben. Er sagte, der Bibliothekar der UU habe es ihm wärmstens als Lehrbuch für Observierungen empfohlen. Anscheinend hat unser Kommandeur selbst dort nie hereingeguckt." Er runzelte die Stirn. "'Capitel VIII: Blick durch fremder Leute Augen'... Nein, das scheint wirklich nicht das Richtige zu sein. Das heißt, du bist auf dich allein gestellt, was das Entwickeln von Observierungsmethoden angeht, fürchte ich."
"Zu Befehl, Sir!" Glücklich sprang Harry vom Buch herunter, denn eigentlich hasste er nichts mehr als graue Theorie. "Heißt das, dass du einen Auftrag für mich hast?"
"Ja, so könnte man es ausdrücken." Daemon lächelte über den Übereifer des Gnoms. "Es ist eine ganz kleine und leichte Aufgabe, damit du dich langsam einarbeiten kannst."
Gespannt sah Harry zu, wie der Oberstleutnant ein paar Zettel aus seiner Tasche zog.
"Also, pass auf: Eine junge Dame aus der Näherinnengilde hat sich über einen brutalen Kunden beschwert - du sollst sie oberservieren, um..." Er stutzte. "Nein, Moment. Das ist ein Auftrag für Ikari. Wo haben wir denn deinen..."
Harry verfluchte innerlich den Gott der Situationskomik für seine Brutalität.
"Oh, hier ist es. Die Klempnergilde hat gemeldet, dass die Kanäle unterhalb der Rosengasse verstopft sind. Irgendjemand muss sich das mal ansehen."
"Wie bitte?" Harry stutzte. "Das soll doch wohl ein Scherz sein, oder? Ich meine... das soll doch wohl ein Scherz sein, Sir! Seit wann ist es denn Aufgabe der Wache, verstopfte Kanäle zu säubern?"
"Seit die Klempnergilde zu Recht angemerkt hat, dass die alten Kanäle kein Gildeneigentum sind und deshalb nicht in ihren Aufgabenbereich fallen. Deshalb ist es laut Patrizier Aufgabe der Stadt, und damit der Wache, sich darum zu kümmern. Rince hat den Auftrag natürlich gleich an DOG abgeschoben."
"Aber was hat das denn mit Observation zu tun?"
"Na ja... eigentlich gar nichts", gab Daemon zu. "Aber wir sind personell noch etwas unterbesetzt, und mit deiner Größe bist du doch ideal für den Job."
"Du meinst, ich soll mich durch... äh... Fäkalien wühlen, während Ikari..."
"Genau. Also, los jetzt!"
"Aber...
Jawohl, Sir."
Wozu hat man Verwandte - nach etwas sanfter Überredungskunst brachte Harrys Vetter, der Kleine Irre Arthur, ihn mit seinem Boot zur Rosengasse, oder besser gesagt: Unter die Rosengasse (natürlich nicht ohne die ganze Zeit über Harrys Berufswahl zu lästern und Wortspiele zu machen, in denen Ausdrücke wie "Scheißjob" oder "beschissene Situation" vorkamen).
"So, da wär'n wir. Dies is' das Rohr, durch das der Dreck vonner Rosengasse kommt." Er kicherte erneut. "Dann viel Spaß!"
Harry betrachtete die Bescherung. Mehrere Rohre kamen hier aus den Wänden und mündeten in den Hauptkanal. Aus allen floss eine mehr oder weniger unaussprechliche, zähflüssige Brühe - eine kleine Röhre von etwas 15 cm Durchmesser war die einzige, aus der nur ein dünnes Rinnsal kam. Aber auch das war genug, um ihm den Magen umzudrehen und den Inhalt aus ihm herauszuwringen und über den Bootsrand zu schütten.
"Nun mach ma halblang!" Arthur reichte ihm ein Taschentuch. "Du wirst sehn, mit der Zeit gewöhnt man sich dran."
"Nein..." würgte Harry. "Da gehe ich nicht rein, egal, was Daemon sagt. Sogar ich müsste da auf dem Bauch durchrobben, und... uärgs!"
"Komm, so schlimm isses nich. Hier." Er reichte Harry eine seiner Nasenklammern. "Damit geht's."
Der Oberfeldwebel betrachtete traurig die Klammer und setzte sie sich dann auf. "Na gut. Was tut man nicht alles für die Wache..."
Mit diesen Worten hangelte er sich ins Rohr.
Der Gestank war so extrem, dass er beinahe greifbar war: Der Geruch des Stinkenden Alten Rons war gegen den Gestank eines Abwasserrohres, durch das man auf dem Bauch robbte, noch ein Wohlgeruch.
Spontan gab Harry die letzten Reste seines Mittagessens von sich und sprang zurück ins Boot.
"Das... das kann ich nicht!" brachte er hervor. "Das... alles, aber nicht das. Bring mich zurück, ja?"
"Wie du meinst..." Arthur wendete das Boot.
*** Unzählige heiße Duschen in Arthurs Wohnung später ***
"Das kann er mit mir nicht machen! Ich kündige! Ich wechsel die Abteilung! Ich werde MUT-Schütze, das wollte ich sowieso von Anfang an!"
"Nu kriech dich mal wieder ein!" Arthur reichte ihm ein altes, schmutziges Handtuch (das wohl einmal ein Waschlappen gewesen war). "Geh doch einfach zu deim Chef und sach ihm, du hass nix gefunden, oder so."
"Nein, dann halst er mir als nächstes wieder so eine Aufgabe auf. Ich meine... ich bin Observierer und kein Rohrputzer!" Harry wurde so rot, dass die letzten Wassertropfen, die noch an ihm hingen, verdampften. "Und mein Kollege ist inzwischen als Verdeckter Ermittler bei den Näherinnen - ha! Was meint Daemon eigentlich, was..."
Arthur grinste verschmitzt. "Weißte, ich glaub der weiß genau was er meint."
"Wieso? Wie meinst du das?"
"Ich mein, dass du die ganze Zeit damit beschäftigt warst die Fische zu füttern, während..."
"Fische? Was für Fische?" Harry konnte sich beim besten Willen keine Fischart vorstellen, die in diesen Kanälen, die noch um einiges schmutziger waren als der Ankh, leben könnte.
"Nur 'ne Redewendung. Während du also in der Röhre gelegen und gekotzt hast, hab ich einfach mal das Rad aufgedreht, das zum Überschwemmungsschutz da unten angebracht is. Irgendwer hat das nämlich zugemacht, so dass da nix mehr rausfließen konnte."
"Wie bitte? Du meinst, es war gar nichts verstopft?"
"Genau. Da hat sich nur wer 'n Streich erlaubt."
"Oh. Ich nehme an, das muss ich dann den SEALS melden. Die müssen wegen groben Unfugs oder so ermitteln."
"Du raffst auch nix, wie? Es ist echt 'n Wunder, dass se dich diese Uniform tragen lassen. Ohne mich wärste schon fünfmal rausgeflogen."
"Wieso?" Harry zwängte sich wieder in seine notdürftig geputzte Uniform.
"Na, fragste dich garnich, wer auf den Gedanken kommt, hier runterzuklettern und den Hahn zuzudrehn? Gnom[1], du hast doch'n Job als Observiera, oder nich? Und was mussn Observiera können?"
"Äh... unentdeckt bleiben?"
"Quatsch, unentdeckt. Du bist'n Gnom, natürlich entdeckt dich keiner, wenn du dich 'n bisschen intelligent anstellst. Nein, was ist das, wasn Observiera richtich gut könn'n muss?"
Harry dachte nach. "Observieren?"
"Richtch. Beobachten können muss er. Und n guter Observiera hätt auch gesehn, dass das Ventil zugedreht is."
"Und? Worauf willst du hinaus?"
"Mensch, du Gartenzwerch! Dein komischer Boss hat dafür gesorgt, dasser Hahn zu is. Das sollt'n Test sein, ob du observieren kannst - und du bist prompt durchgerasselt."
"Was?" Harry sah erstaunt auf. "Du meinst, er hat gar nicht damit gerechnet, dass ich durch die Scheiße krieche - sondern er wollte bloß prüfen, ob ich aufmerksam genug beobachten kann?"
"Na sicher! Ich sag's doch: Wenn du mich nich hättest..."
*** Wiederum etwas später, bei den DOGs ***
"Alles erledigt?" fragte Daemon lächelnd, als er Harry am Eingang traf. "Ich hoffe, es war nicht allzu dreckig."
"Nein, überhaupt nicht. Jemand hatte ein Ventil zugedreht. Ich musste mich also nicht einmal schmutzig machen." Die Parfümdüfte aus den umliegenden Häusern überdeckten zum Glück die letzten Reste des Gestanks, der noch an Harry klebte.
Daemons Lächeln wurde breiter. "Sehr gut, sehr gut. Aufmerksame Beobachter kann DOG immer brauchen."
Er kniete sich hin und klopfte Harry auf die Schulter. "Willkommen im Team!"
[1] Andere hätten "Mensch" gesagt
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