Kult und Kuchen

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Pismire
Online seit 15. 04. 2001
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Frau Kuchen will soziale Arbeit verrichten und möchte der Wache beitreten!
Was nun???

Dafür vergebene Note: 13

Schleim Betegut, oberster Akolyth der Sekte des Verschreckten Hern, sah sich entsetzt in seinem Tempel um. Nun gut, zugegeben, als Akolyth konnte er schlecht behaupten, dass es sein Tempel war, und in den drei Monaten, die man ihn zum Fasten in die Einöden der Spitzhornberge geschickt hatte, konnte viel geschehen. Aber dennoch, er hatte das Gefühl, das jeden beschleicht, der nur mal kurz in die Kneipe auf ein, zwei Weinchen geht und bei der Heimkunft feststellt, dass die blauen Lichter vor seinem Haus leuchten und das Bügeleisen doch nicht abgeschaltet worden war, mit anderen Worten: er war entsetzt.
Dort, wo vor drei Monaten noch eine bluttriefende Rinne im Opferaltar gewesen war, war frischer Blumenschmuck ausgelegt, die Statue des Verschreckten Hern war mit einer offensichtlich selbst gehäkelten Garnitur blütenweißer Unterwäsche bekleidet, die Seitenaltäre hatten frische Spitzendecken bekommen, die dunklen Ecken waren mit frischen Blumen und leuchtenden Kerzen bestückt, die Wände geweißelt, der Boden gefegt und die Fenster waren geputzt worden. Es war zum Heulen. Er stürmte in die Sakristei, um sich bei Oberpriester Leber Anfaß zu erkundigen, was es mit all diesem Entsetzlichen auf sich hatte.
Er fand den Oberpriester in eine erregte Diskussion mit einer älteren Frau verwickelt, von der eigentlich nur ein riesiger Hut zu sehen war und die sich in keinster Weise durch die drohenden Worte des Oberpriesters einschüchtern ließ. Wie er den Gesprächsfetzen entnahm, ging es genau um diese Veränderungen, die ihn beim Eintreten so entsetzt hatten. Zwar versuchte er sich zu räuspern, um auf sich aufmerksam zu machen, aber so viele 'hrmms' er auch ausstoßen mochte, die beiden Kontrahenten nahmen keine Notiz von ihm.
Der Disput gipfelte schließlich in dem schrillen Schrei des Oberpriesters: "Raus, raus mit Dir, Du seist verflucht mit deinen Geistern auf alle Zeit und für alle Tage", worauf die Frau mit verachtungsvollem Schnauben auf dem Absatz kehrt machte und schnurstracks den Tempel verließ.
Erst jetzt wagte Betegut sich dem Oberpriester zu nähern.
"Ehrwürdiger Vater", sagte er mit zitternder Stimme, "ich bin zurück..."
Weiter kam er nicht. Schluchzend warf sich Anfaß an seinen Hals: "Es war so schrecklich - ich will so etwas nie wieder erleben - wir sollten keine Frauen mehr zulassen..."
Beruhigend und gleichzeitig verlegen tätschelte Betegut den Rücken des Oberpriesters: "Nun beruhigt Euch doch, Ehrwürden, sie ist ja weg, wer immer das war, aber was ist denn passiert?"
Und unter Zittern und Tränen gab der Oberpriester eine Schilderungen der letzten drei Wochen von sich.

*


In ihrem Haus angekommen riss Frau Evadne Kuchen - bei den Ankh-Morporkianischen Sekten zu Recht mehr gefürchtet als zwei Zeitalter der Aufklärung hintereinander - ihren Hut vom Kopf.
"Ignoranten", fauchte sie, "dämliche Bande...". Dann fiel ihr ein, dass sich derartige Worte für eine Dame nicht schickten und sie begab sich in die Küche, um sich einen beruhigenden Tee zu machen. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, musterte sie eine mehrseitige Liste, die sie in ihrer Küche hängen hatte. Hunderte von Namen waren dort zu lesen, die alle im Laufe der Jahre durchgestrichen worden waren. Frau Kuchen blätterte gedankenverloren zur letzten Seite. Ein einziger Name war noch nicht durchgestrichen. Sie seufzte kurz, dann zog sie einen Bleistift aus ihrem Hut und strich energisch auch den letzten Namen durch. Nun, das Kapitel schien erledigt zu sein. Schweren Herzens trank sie ihren Tee, plauderte noch ein bisschen mit Zwei-Mann-Kübel und begab sich zu Bett.
Als um Mitternacht der vertraute Wächterruf: „Und alles ist gut!“ erschallte, musste sie, von einer plötzlichen Inspiration getroffen, lächeln. Der Wächter wiederholte seine Meldung - nun, er konnte nicht falscher liegen.

**


Chief-Korporal Pismire rekelte sich entspannt hinter seinem Schreibtisch. Frau Willichnicht hatte ihre übliche Liste der täglichen An- und Beschuldigungen zu Protokoll gegeben, Pismire hatte sie pflichtschuldig im 'Rundordner W', wie er den Papierkorb mittlerweile getauft hatte, abgelegt, und alles war gut. Seit einigen spektakulären Fällen in der letzten Zeit schien alles - so weit wie immer - in Ordnung und er konnte sich auf einen ruhigen Tag einrichten. Kurze Zeit später erschien Rekrut Gargaros, ein Wasserspeier, der sich beim Zubereiten von Kräutertees als ausgesprochen lehrreich erweisen hatte, und stellte eine Tasse mit einer seltsam riechenden Substanz vor seinen Mentor.
"Nun, Gargaros", Pismire schlürfte anerkennend, "heute ist ein offensichtlich ruhiger Tag und wir sollten ihn auf dem Dach zu einer Übung in 'Straßenbeobachtung und unauffälligem Stillstehen' verwenden."
Gargaros, der sich in der Manier aller Wasserspeier auf der Ecke des Schreibtisches niedergelassen hatte, nickte erleichtert.
"Ich trink nur noch den Tee aus, dann können wir beginnen."
Einen kurzen Augenblick später öffnete sich die Tür und eine ältliche Frau mit einem riesengroßen Hut, der so ziemlich alle möglichen Obst- und Blumensorten auf sich zu versammeln schien, betrat die Wache und schritt auf Pismires Schreibtisch zu.
"Ich bin nicht deine gute Frau!", sagte sie grimmig
"Nun, gute Frau, was kann ich für dich tun?" Pismires einleitende Antwort, die er bereits sprach, während sie schon reagierte, bewies eindeutig, dass ihm Frau Evadne Kuchen und ihre selten ausgeschaltete Präkognition noch nicht begegnet waren.
"Ich bin nicht deine gute Frau, habe ich gesagt!"
"Wie bitte"
"Was?"
"Was?"
Bevor das noch weiter so ging, tippte Gargaros erst Frau Kuchen auf die Schulter, dann sich ans Ort und flüsterte Pismire nur: "Präkognition" zu. Diese reagierte prompt, brachte mit dem gefürchteten Griff ins Ohr ihre Präkognition zum Schweigen und erklärte ihr Anliegen:
"Ich möchte der Wache betreten. Ich finde, ich sollte meinen Beitrag zum Wohle der Allgemeinheit leisten."
Pismire musterte sie skeptisch, erinnerte sich dann an die diwärsen Erlasse des Patriziers zu mehr Toleranz und schob ihr die Eintrittsformulare mit einem gewinnenden Lächeln über den Tisch zu, wobei er geflissentlich ignorierte, dass Gargaros die Augen erschaudernd mit der Hand bedeckte.
Dann erklärte er ihr kurz, dass sie sich in der Kleiderkammer die nötigen Wächterutensilien zulegen sollte, half ihr sogar noch beim Aussuchen und nahm ihr den Diensteid ab. Gargaros machte zwar mehrfach ernsthafte Anstrengungen, ihn davon abzuhalten, aber Pismire wies ihn - wie sich später herausstellen sollte, zum Schaden aller - darauf hin, dass er zur Zeit der ranghöchste Wächter in der Wache sei, empfahl Frau Kuchen 'ihren letzten freien Tag noch so richtig zu genießen und Morgen um Punkt sechs Uhr auf der Matte zu stehen' und schickte sie nach Hause.
Der Rest des Tages verlief "obV": ohne besondere Vorkommnisse, so dass er beim Schichtwechsel Lewton und Rince, die in der Woche die - in Ankh-Morpork wesentlich anstrengendere - Nachtschicht hatten, als einzigen Bericht lediglich den Eintritt einer neuen Rekrutin melden konnte.
"Nun, dass ist doch schön", meinte Lewton, nahm die Anmeldung entgegen, las den Namen, erbleichte sichtlich und reichte den Zettel an den Kommandeur weiter, während er mit Entsetzen in der Stimme nur sagte: "Das solltet ihr lesen, Sir." Er ließ sich wie unter Schock auf die Schreibtischkante sinken.
Pismire schaute ihn erstaunt an, auch die Reaktion seines höchsten Vorgesetzten, der bleich und ergraut einen Stuhl an sich zog, um sich zu setzten, ließ ihn sicher werden, dass der Tag nicht halb so gut verlaufen war, wie er vermutet hatte .
"Eine Katz-as-strophe", wiederholte Lewton zum dritten Male. Dann zog er Pismire vor sein Gesicht und fauchte ihn an: "Was hast du da denn nur angestellt?"
"Nun, ich finde, daß wir", Pismire schluckte, "als Zeichen von Tolleranz, ich meine naja, ihr wisst schon..."
Gargaros grummelte etwas durch sein Bleirohr, dann nahm er die Sprachbehinderung mit einem Ruck heraus und setzte erneut an: "Er schien nicht zu wissen, wer das war. Und er wollte nicht hören, Sir."
"Ha, nach spätestens einer Woche wird er das wissen." Rince musterte Pismire immer noch mit Misstrauen: "Du musst mittlerweile von Frau Kuchen gehört haben."
"Ach", Pismire rieb sich den Nasenrücken, "ist das DIE Frau Kuchen, die in die Zukunft sehen kann? Bei der ein Teil der werwölflichen Mitglieder der Wache wohnt, weil ihre Wohnung minderheitengerecht eingerichtet ist? Nun, so schlimm kann sie nun auch nicht sein", er stocke als er wahrnahm, wie Rince und Lewton den Atem anhielten. "Ihr meint, Sir, sie ist doch...", er brach ab.
"Doch", seufzte Lewton resignierend. "Sie ist GENAU SO SCHLIMM."

***


Eine Woche später.
Pismires Schreibtisch war mittlerweile von einem Papierstapel bedeckt, der an die Spitzhornberge erinnerte - nur schien er größer zu sein. Es waren Beschwerden von anderen Wächtern, die alle - auf Anordnung von Rince und Lewton - an Pismire weitergeleitet worden waren, nach dem Motto: er hat die Suppe eingebrockt, soll er sie auslöffeln.
Darunter waren Beschwerden von Ranobis, dessen bei einer Verfolgungsjagd abhanden gekommener Arm von Frau Kuchen "mit einer sooo hübschen Borte" wieder an den Arm genäht worden war, Oma Morkie, die mehrere Stunden in einer üppig wuchernden Grünpflanze auf ihrem Schreibtisch "die ja sooo nett aussieht und den Raum viel freundlicher macht" umhergeirrt war, bis sie den Weg in den wohlverdienten Feierabend gefunden hatte, Venezia, die einen mehrstündigen Vortrag über die Schädlichkeit ihrer Leib- und Magenspeise ertragen musste, und Valeriaa, deren Napf in ihrer Abwesenheit poliert und mit Blümchen geschmückt worden war, weil "das gleich viel netter aussieht".
Rascaal hatte eines Tages kommentarlos einen gehäkelten 'Balkenschoner' um Pismires Hals geschlungen und ihm ins Ohr gezischt: "Das will ich nie wieder sehen."
Mit anderen Worten - die Wächter litten.
"Ich befürchte, ich muss mit Frau Kuchen reden", seufzte Pismire resigniert. Ihm persönlich war es besonders aufgestoßen, dass für Frau Willichnicht mittlerweile ein eigenes Sofa eingerichtet worden war, "damit die arme Seele nicht so lange stehen muss!"
Nicht nur die Wächter litten. Auch von anderer Seite häuften sich die Beschwerden. So war die Diebesgilde entsetzt, dass die Wächter mittlerweile vor ihnen am Tatort waren. Und damit ergab sich auch das Problem, dass ja im eigentlichen Sinne kein Verbrechen mehr stattfinden konnte. Die Meuchler hatten mehrfach protestiert und die Assassinen hatten wütend eine Stunde Lord Ventinariis Büro belagert. Auf der anderen Seite waren auch die Wächter unzufrieden, denn was sollte das Dasein als Wächter, wenn es keine Verfolgungsjagden, sondern 'dank' Rekrutin Kuchens Präkognition nur noch ein dröges Warten auf den Verdächtigen gab?
Und damit nicht genug: auch die Wachstube selbst war mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit gereinigt, gesäubert und poliert worden; Frau Kuchen hatte eine Wettbewerb für den 'Saubersten Harnisch' angeregt. Mit anderen Worten: in der Stadt lagen die Nerven blank.
"Ich wollte Dich ja warnen", Gargaros saß seit einiger Zeit auf der Schreibtischecke und betrachtete missmutig eine Garnitur von rosaroter Wollwäsche, die ihm mit den Worten: "Man soll sich besonders nachts vor Kälte schützen", überreicht worden war.
"Ja, und ich hab' gedacht, es wäre eine harmlose alte Dame", Pismire betrachtete die Wachstube mit Missmut.
"Was sollen wir tun?" Ratlos blickte er auf das Chaos - naja, auf das bis zur Unerfreulichkeit Geordnete.
Gargaros zuckte mit den Schultern.
"Hmmm", überlegte Pismire laut. "Frau Kuchen braucht ein Betätigungsfeld. Und zwar ein ernsthaftes. Was sie wohl vor der Wache gemacht hat?"
"Kulte", Wasserspeier waren nicht als geübte Plauderer bekannt.
"Häh?" gegenfragte Pismire.
"Kulte. Komm. Luft rein" Gargaros hob ihn am Harnisch aus dem Sessel. Mit der eckigen Art von Wasserspeiern zog er Pismire aus der Wache in Richtung von Frau Kuchens Haus. Dieser begriff. Frau Kuchen war auf Streife.

****


Kurze Zeit später betraten sie das Haus von Frau Kuchen. "Da", Gargaros wies auf die Liste, die immer noch in der Küche hing.
Pismire las die erste Seite, dann blätterte er weiter.
"Du meine Güte. Das ist eine Liste aller - aber auch wirklich aller - Kulte in Ankh-Morpork. Und sie sind alle durchgestrichen. Nun, der letzte sollte reichen... Die Anhänger des Verschreckten Hern. Gargaros - wir sollten uns dort einmal umhören."
Die beiden Wächter machten sich auf den Weg. Als sie am Tempel des Verschreckten Hern angekommen waren, überlegte Pismire kurz.
"Du hast gute Ohren, Gargaros. Und wir können unsere nie begonnene Lektion über 'Straßenbeobachtung und unauffälliges Stillstehen' einfach heute fortsetzen. Setz durch unauffällig aufs Dach und beobachte alles, was geschieht, während ich im Gebäude bin und vor allem - was danach passiert."
Der Gargaros nickte, tat, was ihm gesagt worden war und verschwand aufs Dach des Tempels. Pismire wartete kurz, dann betrat er die Vorhalle. Eine dunkle Stimmung umfing ihm. Blutige Zeichen hatten längst die freundlichen Bilder von Kaninchen und anderen kleinen Tieren, die Frau Kuchen noch vor kurzem hier aufgehängt hatte, ersetzt. Pismire schritt in den Hauptraum. Die blutige Rinne im Altar glänzte in dunklem Rot, Staub, Spinnweben und der angestammte Schmutz hatten wieder ihren gebührenden Raum erhalten. Anerkennend nickte der Schamane - es war ein Nicken von Profi zu Profi: SO hatte Glauben zu funktionieren, dunkel, mysteriös und enigmatisch - das Helle und Aufgeräumte sollte hier keinen Platz haben.
Ein in eine dunkle Robe gekleideter junger Mann kniete vor dem Altar. Pismire räusperte sich dezent und wartete, bis der Mann sich erhob.
Pismire ging auf ihn zu und rückte demonstrativ seinen Medizinbeutel zurecht.
"Ich bin Pismire", stellte er sich vor, "Schamane und Mitglied der Wache."
Sein Gegenüber blickte ihn an und nickte grüßend.
"Ich hätte da eine Frage..."
Noch immer blickte Schleim Betegut offen.
"Es geht um eine Frau Kuchen. Evadne Kuchen". Der offene Blick wich einer hölzernen Miene.
"Der Tempel des Verschreckten Hern läßt nur wenige Frauen zu." Die Antwort war abweisend. "Und ich war längere Zeit nicht da. Ich fastete in den Spitzhornbergen. Aber dennoch - den Namen hätte ich behalten. Und ich habe ihn noch nie gehört."
Der Blick des Akolyten glitt suchend durch die Halle. Im Augenwinkel registrierte Pismire, wie ein älterer Mann bei der Nennung des Namens erschreckt zusammengezuckt war.
"Und der Oberpriester ist vermutlich gerade nicht zu sprechen, nicht wahr?", Pismire stellte die Frage wie beiläufig. „Äh, richtig. Er ist in Klausur. Und fastet. Und darf nicht gestört werden."
"Nun, dann will ich nicht stören", Pismire deutete eine Verbeugung an und zog sich zurück.
Eine Stunde später erwartete ihn Gararos an dem vorher verabredeten Treffpunkt.
"Riesige Aufregung. Ein Oberpriester schien zu weinen, ein anderer Mann tröstete ihn. Danach wurden Boten ausgeschickt - in alle Tempel, Betstätten und verwandten Einrichtungen in Ankh-Morpork.", berichtete der Rekrut aufgeregt.
"Hmm, also werden wir bei weiteren Tempeln die gleiche Auskunft bekommen, wie hier." Pismire zuckte die Achseln.
"Als sie weg waren weinte der Oberpriester wieder und erzählte schreckliche Sachen aus der Zeit, als Frau Kuchen tragendes Mitglied der Sekte vom Verschreckten Hern war. Und die Suizidalen Brüden von Offlers Zehe haben sich nach zwei Wochen alle entleibt. Und er hofft, dass er Frau Kuchen nicht einmal im nächsten oder übernächsten Leben sehen muss. Dann kam ein Bote. Er berichtete, dass Frau Kuchen in der Wache ist. Da haben sie gelacht und gesagt, das geschieht ihnen recht. Und dann hörten die Stimmen auf und sie entkorkten Flaschen. Und jetzt sind sie alle betrunken." Gargaros beendete seinen Bericht.
Pismire überlegte kurz. "Damit dürften vermutlich sämtliche Kulthandlungen in Ankh-Morpork heute nur noch sehr, sehr eingeschränkt funktionieren. Naja, das löst aber unser Problem leider nicht. Wenn nicht bald was passiert, dann beginnen die ersten Wächter zu streiken. Und das wird Rince gar nicht gefallen." Er seufzte, dann sagte er: "Komm mit in den 'Eimer'. Kräutertee hilft jetzt nichts mehr. Ich muss nachdenken."

*****


Viele Getränke später.
"Wir sollden schie, hicks, mit ihrn eienen Waffeln, hicks, Waffen schlagn", Garagros Kopf knallte auf den Tisch, dann schlief er ein.
"Waaaas?", Pismire schreckte hoch. Er war nicht mehr nüchtern, eine Idee kam ihn in den Sinn. Verrückt, vollkommen übergeschnappt, aber das konnte die Lösung sein...
Er zog sich mühsam hoch, gab dem Wirt Bescheid seinen jungen Kollegen gut zu behandeln, ließ die Zeche anschreiben und torkelte zum nächsten Brunnen. Eiskaltes Wasser machte ihn wieder nüchterner und in gemäßigten Schlangenlinien strebte er dem Wachhaus entgegen.
Er machte sich einen ziemlich starken Tee, schnappte sich die Tasse und begab sich zu Rinces Büro. Er klopfte.
"Herein!" Die Stimme klang gereizt, also schien alles in Ordnung zu sein.
"Kommandeur," Pismire salutierte (fast) vorschriftsmäßig, dann begann er in anfänglich wirren Worten seinen Plan zu erklären.
Rince hörte sich das ganze gelassen an, schluckte hier und da seinen Ärger runter und fragte abschließend:" Du bist betrunken, nicht war?"
„Latür- äh, natürlich, nüchtern wäre mir die Idee nie gekommen. Aber überlegt doch einmal, Sir, die Rekruten würden was lernen, die Sache könnte sich selbst finanzieren und Frau Kuchen hätte ein anderes Aufgabenfeld... Und die Wache könnte endlich wieder einer geregelten Verbrechensbekämpfung nachgehen." Pismire setzte hinzu: "Wenigsten sollten wir nichts unversucht lassen."
"Na gut, wenn du meinst, probier es aus, meinen Segen hast du. Aber ich warne dich, wenn es schief geht, dann weiß ich von nichts."
"Geht klar, Sir, in Ordnung, morgen mache ich mich an die Ausführung, in einer Woche sollte das Problem gelöst sein, hoffe ich", fügte Pismire hinzu.

******


Noch eine Woche später.
In der Straße der geringeren Tempel hatte vor sieben Tagen eine neuer Betstätte eröffnet. Das war hier in der Gegend nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich war nur – aber das wusste niemand – dass die Mitglieder des Kultes (bisher) ausschließlich aus Mitgliedern der Wache bestanden. Und dass es eigentliche gar kein Kult war, sondern eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Frau Kuchen werden sollte. Wichtigste Bedingung des Kultes war, dass die Mitglieder eine Tüte aus braunem Packpapier mit Schlitzen für die Augen über dem Gesicht trugen – Pismire war halt gezwungen gewesen, möglichst kostenneutral zu improvisieren, und Rekrutin Kuchen sollte ja keinen ihrer Wachekollegen und -kolleginnen wiedererkennen. Und – um sich auch nicht an den Stimmen verraten zu können – waren die Kulthandlungen schweigend zu verrichten und die Kommunikation der Mitglieder auf einige wenige Handzeichen beschränkt. (Außerdem wollte Pismire so wortgewaltige Auseinandersetzungen mit Frau Kuchen bereits im Keim ersticken.)
Vor einer Woche war also der Köder ausgelegt worden – Valeriaa hatte es übernommen, die Handzettel des neuen Kultes vom Schweigenden Geheimnis dezent vor Frau Kuchens Haus auszulegen.
Bereits drei Tage nach der Gründung biss sie an. Zwei Tage später hatte sie die Routineaufgaben der Sekte an sich gebracht – allerdings hatte sie in diesem Fall ja auch niemand gehindert.
Einen weiteren Tag später stöhnte sie unter der Last zweier wichtiger Betätigungen, die ihre ganze Zeit zu beanspruchen schienen. Am siebten Tag der Sekte sah sie sich gezwungen, ein ernstes Gespräch mit Pismire zu führen, zumal die Brüder und Schwestern des Schweigenden Geheimnisses – im Gegensatz zu allen anderen Religionen und Sekten vorher - die Existenz von Präkognition und Geistern ausdrücklich zu billigen schienen. Mit anderen Worten: Frau Kuchen fühlte sich dort richtig wohl.
„Äh, Chief-Korporal, ich möchte mit euch reden.“ Sogar die Präkognition hatte sie vorher ausgeschaltet.
„Aber gerne, Rekrutin Kuchen, was kann ich für Dich tun?“ Pismire lehnte sich entspannt zurück
„Mein Entschluss der Wache beizutreten war vielleicht etwas voreilig.“ Sie stockte. „Ich meine, es gefällt mir hier sehr gut und die Arbeit ist auch wichtig, aber ich habe das Gefühl, dass da eigentlich etwas anderes in der Stadt auf mich wartet.
Pismire biss sich auf die Zunge um sich nicht zu verplappern und nickte noch einmal auffordernd.
„Nun“, fuhr Frau Kuchen fort, „es gibt da eine Sekte und sie brauchen eigentlich jemanden, der sich richtig um die Sache kümmert und ich meine, die Wache hat doch auch eigentlich vor meinem Eintritt schon gut funktioniert und da wollte ich fragen, ob ich nicht die Arbeit in der Wache ein wenig reduzieren könnte, ich meine...“, sie stockte.
Pismire hob eine Augenbraue und begann sich wie jemand, der sich gleich fürchterlich aufregen wird, aus dem Stuhl zu erheben.
„Wie darf ich das verstehen, Rekrutin Kuchen?“ Pismire bauschte sich mächtig auf. „Du willst doch nicht sagen, dass es eine wichtigere Aufgabe als die Wache gibt? Und überhaupt... Wächter, das ist doch keine Freizeitbeschäftigung, etwas, das man mal so nebenher, zwischen Blumengießen und irgendwelchen Kultangelegenheiten erledigen kann...“
„Nun, natürlich nicht, oder ich meine...“, Frau Kuchen stockte. „Ich nehme die Sache mit den Kulten halt ernst. Es ist auch wichtig für die Stadt. Und in der Wache gibt es doch nur Ärger. Ich bin doch nicht blind. Die meisten Kollegen wollen doch diese Verfolgungsjagden mit den Verbrechern. Und vielleicht ist Präkognition ein unfaires Mittel...“
„Nun, vielleicht hast du recht. Aber die Angelegenheit ist zu wichtig, als dass ich das alleine entscheiden kann. Ich glaube, ich sollte einmal mit dem Kommandeur sprechen. Am besten wartest Du hier.“ Pflichteifrig eilte Pismire nach oben.

*******


„Es hat geklappt, Sir, Sie hat angebissen“ Mit diesen dem Uneingeweihten unverständlichen Worten stürmte der Chief-Korporal das Zimmer seines Vorgesetzten.
„Wie schön, was und wer auch immer wen beißt,“ Rince blickte etwas ungehalten von seinem Aktenstapel hoch.
Hastig erklärte Pismire die Situation. „Ich denke, damit könnte dieses Problem für die Wache gelöst sein.“
„Nun, nicht ganz, Chief-Korporal. Wir haben da langsam ein personelles Problem. Die Wache ist nicht so üppig besetzt, dass sie es sich auf Dauer leisten kann, sieben bis acht Rekruten als „Kultmitglieder“ freizustellen. Und ich glaube auch nicht, dass es für die Wache gut sein kann, wenn bekannt wird, dass einer ihrer Korporale quasi nebenberuflich als Kulterfinder tätig ist.“
„Nun, seit vorgestern haben wir einen recht begabten jungen Schwindler, äh, Mann, aufgenommen, der absolut nichts mit der Wache zu tun hat. Und er wird nicht der letzte Gimpel äh, Proselyt, bleiben. Ich denke, wenn ich vernünftig mit ihm rede – so nach dem Motte: solange Frau Kuchen im Kult keine Probleme bekommt, bekommst Du keine Probleme mit der Wache – dann hat unser neues 'Unternehmen' eine solide Grundlage. Und ich finde, dass eine kurze Zeit der Rekruten im Kult auch nicht Schaden kann – sie lernen dort was für's Leben.“
„Ach, für's Leben?“ Rince zog eine Augenbraue nach oben. „Lügen, Betrügen und Leichtgläubige schröpfen?“
„Nun, so hart würde ich es nicht nennen – aber gerade für Rekruten von außerhalb ist das auch wichtig, außerdem lernen sie die Grundzüge des Anderkawer – oder wie immer das heißen mag. Und durch die Spenden der Nicht-Wächter können wir den Laden finanzieren.“ Pismire begann zu schwärmen. „Und wenn noch mehr kommen – nun vielleicht reicht es ja dann im nächsten Jahr für einen Betriebsausflug nach...“
„Raus!“ brüllte Rince, aber es klang nicht so entsetzt, wie es hätte klingen sollen. „Bring endlich diese vermaledeite Angelegenheit zu Ende und dann sieh zu, dass Frau Kuchen endlich gehen kann. Und beim nächsten Mal pass auf, wen du als Rekruten zulässt. Weggetreten“
Pismire salutierte und eilte nach unten, um Frau Kuchen die erwartete Erlaubnis zu bringen.

********


„Nun, vielleicht klappt es ja ein andermal mit der Stadtwache, Frau Kuchen“ meinte er als sie sich von den anderen Wächtern verabschiedet hatte.
„Tja, wer weiss“, Frau Kuchen lächelte, „vielleicht sehen wir uns schneller wieder, als man denkt.“ Und sie zwinkerte. Verdutzt schaute Pismire ihr nach.
„Präkognition?“ Pismire stutzte, dann wandte sich zu Gargaros, der wieder auf einer Ecke seines Schreibtisches saß. „Du könntest endlich das Sofa für Frau Willichnicht entfernen. Und dann könntest du mir einen Kräutertee machen und dann, dann ist alles gut“, seufzte er und legte die Füße auf den Schreibtisch.



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