Zugeständnis an Ostern -Ein Hase in der (Identitäts)krise

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von Lance-Korporal Swires
Online seit 14. 04. 2001
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Stopp den Eierklau der in Ankh- Morpork umgeh!

Dafür vergebene Note: 11

Hier muß er reingekommen sein."
Die alte Dame deutete auf das Loch in der Wand.
Lance-Korporal Swires besah sich die Öffnung kritisch. Sie befand sich am Boden eines großen Hühnerstalles. Etwa 50 Hennen pickten eifrig im Stroh herum. Der Hahn saß auf einer Hühnerleiter und beäugte die Wichtelin mißtrauisch.
"Hmm, das sieht aus, wie durchgenagt und durchgebuddelt. Könnte es ein Fuchs gewesen sein?"
Die alte Frau nahm eine Holzlatte, zwei Nägel und einen Hammer aus einem Regal und bückte sich um die Öffnung zuzunageln.
"Nein, die machen eine größere Schweinerei und begnügen sich nicht nur mit Eiern. Ich hätte ja gar nichts gesagt, wenn es nicht schon die dritte Nacht ist, in der Eier verschwinden. Außerdem fehlen seit gestern 5 Küken."
Sie deutete auf einen Haufen gelbe Flauschbälle, die aufgeregt am Boden hin und her rannten und begeistert piepsten.
"Ich glaube, du solltest das Loch noch offenlassen. Ich werde heute nacht hier Wache halten und wenn der Dieb kommt, nehme ich ihn fest."

Gegen Abend kehrte Swires zu dem Haus der alten Dame zurück und richtete sich auf eine unruhige Nacht ein. Die Hühner saßen bereits auf ihren Stangen und gackerten leise und zufrieden vor sich hin. Nur der Hahn kam heruntergeflattert und baute sich vor der Wächterin auf. Da diese dadurch aber nicht zu beeindrucken war, flog er zurück auf seine Stange und steckte beleidigt den Kopf unters Gefieder.
Bevor es ganz dunkel wurde, kam die alte Dame noch einmal kurz in den Stall. Sie brachte Swires eine Pastete in Huhnform und ein wenig Tee.
Außerdem hatte sie etwas in ihrem Garten gefunden.
"Dies lag unter einem Busch. Ich hätte es gar nicht gesehen, wenn das Küken nicht so verzweifelt gepiepst hätte."
Sie hielt ein grünes Gebilde ins Licht. Es war ein mehr als improvisiertes Nest aus grünem Stroh, das von ein wenig Draht zusammengehalten wurde. In der Mitte lagen 3 rot, blau und grün gefärbte Eier und ein ziemlich zerzaustes Küken war mit Draht an einem der Eier befestigt worden. Swires befreite das Geschöpf aus seiner mißlichen Lage und betrachtete das Corpus Delicti interessiert.
"Ob das ein neuer Kult ist?"
"Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, daß jemand unerlaubt in meinen Hühnerstall eindringt und meine Eier und Küken klaut." Die Frau wandte sich zum Gehen. "Ich hoffe es ist dir heute nacht nicht zu unbequem. Komm morgen früh ins Haus, dann mache ich dir Frühstück."

Die Nacht war sternenklar und ein großer gelber Vollmond spendete ein wenig trübes Licht. Ein Hauch von Frühling lag bereits in der Luft, obwohl es noch vor wenigen Tagen geschneit hatte.
Lance-Korporal Swires war eingenickt. Doch ein Geräusch vor dem Hühnerstall lies sie auffahren. Es war weniger ein Geräusch, als vielmehr die Stille, die entsteht, wenn jemand versucht keinen Lärm zu machen. Die Hühner rumorten nervös auf ihren Stangen herum. Swires starrte auf die Öffnung in der Wand, durch die fahles Mondlicht hereinfiel. Plötzlich verdüstere sich das Loch. Ein Kopf erschien und verharrte einen Moment. Man hörte ein Schnüffeln und dann folgte der Rest des Körpers durch die Öffnung. Der Jemand hatte Schwierigkeiten durch das Loch hindurchzuschlüpfen, denn er hatte etwas auf dem Rücken. Man konnte dumpfes Fluchen hören, dann war das Wesen im Stall. Es schnüffelte erneut, worauf es sich den Eiern zuwandte, die in einem großen Kasten an der Wand lagerten.
Swires schlich sich zwischen das Wesen und die Öffnung, durch die das Wesen hereingekommen war. Sie zog ihr Schwert und zündete eine kleine Öllampe an, die sie zur Vorsicht mitgenommen hatte. Das Licht warf gespenstische Schatten an die Wand. Die Hühner blinzelten verstört in das ungewohnte Helligkeit und des Wesen machte erschreckt einen erstaunlich hohen Satz in die Luft, wo es sich um 180 Grad drehte und mit dem Gesicht in Richtung Swires wieder auf dem Boden landete.
"Im Namen des Gesetzes, du bist.....", weiter kam die Wichtelin nicht, denn vor Staunen fiel ihr die Kinnlade runter.
Sie schaute in das entsetzte Gesicht eines braunen Hasens, der eine große Kiepe aus Weidenholz auf seinem Rücken festgeschnallt hatte. Der Hase drückte sich entgeistert auf den Boden und versuchte unsichtbar zu werden.
"Was in Offlers Namen hast du hier zu suchen?" fragte Swires streng.
Die Nase des Hasen bewegte sich aufgeregt hin und her.
"Na los, sag schon! Ich weiß, daß du reden kannst. Ich habe dich fluchen gehört!"
Der Hase mümmelte weiter herum und schaute beschämt zu Boden.
"Ich bin der Osterhase!" sagte er dann abwehrend.
"Du bist was?"
"Der Osterhase!" wiederholte der Hase aufmüpfig.
"Und was bitte schön ist das?" Die Wächterin steckte ihr Schwert weg, da von diesem Geschöpf keine Gefahr zu drohen schien.
"Ich bringe doch die Eier!"
"Ähm, macht das nicht schon die Seelenkuchenente?"
"Die kommt doch erst im Herbst, ich dagegen komme schon im Frühling! Außerdem bringe ich keine Schokoladeneier, sondern richtige, gesunde!" Der Hase hatte sein Selbstvertauen wiedererlangt und richtete sich auf. Entgegen den anatomischen Gegebenheiten stellte er sich auf die Hinterbeine.
"Dann hast du das hier also gebracht?" Swires hielt ihm das grüne Nest vor die Nase.
"Ja, das ist von mir." Der Hase sah sich das Gebilde stolz an. "Schön nicht war?"
"Und wo hast du die Eier her?" wollte Swires wissen.
"Öhm", obwohl es nicht möglich sein sollte, errötete der Hase. Er fügte schnell hinzu: "Die habe ich natürlich selbst gelegt!"
"Und was wolltest du dann hier im Stall?"
"Naja, die Küken...., die kann ich natürlich nicht legen!"
Swires sah ihn zweifelnd an.
"Warum ausgerechnet bunte Eier?"
"Ist doch klar, als Zeichen des Frühlings natürlich! Die Farben kehren nach der langen dunklen Zeit des Winters in die Welt zurück!" erklärte der Hase.
Swires sah immer noch nicht überzeugt aus.
"Ich glaube dir nicht! Du bist ein gemeiner Eierdieb!"
Die Unterlippe des Hasen zuckte verdächtig, dann brach er in Tränen aus.

Ein Stunde später hatte Swires die ganze Geschichte aus dem Hasen herausgeholt.
Er war in den Spitzhornbergen als eines von ca. 256 Kindern geboren worden. Er wuchs in einem Gebiet auf, das starke Hintergrundmagie abstrahlte, deshalb konnte er sprechen. In seiner Jugend machte er eine schlimme seelische Phase durch. Er wollte nicht mehr nur eines von 256 Kindern sein, sondern etwas besonderes. Deshalb beschloß er den uralten und längst vergessenen Kult des Osterhasen neu zu beleben. Er kam nach Ankh-Morpork und wollte den Menschen hier den Lauf der Natur wieder näherbringen.

"Findest du es nicht auch schön, wenn der Frühling mit seinen Farben und Düften ins Land zurückkehrt?" fragte der Hase hoffnungsvoll.
Swires runzelte die Stirn und dachte nach.
"Naja, der Ankh wechselt im Frühling schon die Farbe. Aus schlammbraun, wird kotzgrün, aber den Geruch Ankh-Morporks als Duft durchgehen zulassen. Ich weiß ja nicht..." "Und die vielen Hasen im Frühling? Findest du nicht, daß wir die idealen Frühlingsboten sind?"
"Nun, ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber hier in Ankh-Morpork gibt es nicht sonderlich viele Hasen und da wo ich herkomme, haben wir Hasen eher gegessen, als daß wir sie als Frühlingsboten verehrt haben. Aber, was ich immer noch nicht so ganz verstehe, ist, warum ihr Eier bringen sollt?"
Der Hase errötete erneut.
"Naja", druckste er herum. "Das ist so eine Art Fruchtbarkeitssymbol. Im Frühling, wenn die Männchen gegeneinander kämpfen, kommt es schon mal vor, daß wir auf den Wiesen ein paar Vögel verscheuchen, die am Boden brüten. Die Menschen fanden anschließend nur noch die Nester und dachten dann, wir wären das gewesen."
"Also, hast du die Eier doch geklaut."
"Ja, na gut, ich gebs zu." Der Hase schaute verschämt zu den Hühnern hoch.
"Tja", seufzte Swires. "Eigentlich müßte ich dich jetzt festnehmen, wegen Aneignung fremden Eigentums. §784 des ankh-morporkianischen Gesetzbuches."
Der Hase duckte sich und fing an zu schluchzen.
"Nein, bitte nicht einsperren. Wir Hasen müssen frei herumhoppeln!"
Swires sah den Hasen mitleidig an und tätschelte ihm den Rücken.
"Keine Sorge, im Gesetzbuch steht nichts von Hasen. Hast du eigentlich nur von hier Eier genommen?"
"Ja, ich bin doch vor ein paar Tagen erst angekommen", schniefte der Hase.
"Und was hast du mit den Eiern gemacht?"
"Bemalt und in den Nachbargärten versteckt. Die Kinder von nebenan haben vielleicht Augen gemacht."
"Also gut, ich rede mit der Frau, der die Eier gehören. Warte du hier so lange."
Swires ließ den Hasen im Stall zurück und verschwand durch das Loch in der Wand. Nach zehn Minuten kehrte sie zurück.
"Alles klar!" beruhigte sie den Hasen. "Ich habe der Frau alles erklärt und sie erstattet keine Anzeige. Ganz im Gegenteil, wenn du möchtest kannst du von nun an als Eierbote für sie arbeiten. Sie hat verschiedene Abnehmer hier in der Gegend und du könntest die Eier ausliefern."
Der Hase dachte einen Augenblick nach.
"Darf ich die Eier bemalen?" fragte er hoffnungsvoll.
"Mhmh." Swires schüttelte den Kopf.
"Und wie sieht es mit Küken aus?" Der Hase legte den Kopf schief.
"Keine Chance", mußte Swires ihn enttäuschen.
"Aber ich darf weiter Frühlingsbote bleiben?"
"Wenn du unbedingt willst, klar."
Der Hase sah sehr zufrieden aus.
"Gut, ich mach das mit den Eiern. Darf ich jetzt gehen?"
"Ja, aber melde dich morgen früh im Haus!"
"Mach ich. Ich muß vorher nur noch etwas erledigen, was ich bislang vernachlässigt habe."
Der Hase schnallte sich die Kiepe vom Rücken, kramte in ihr herum und warf sie dann beiseite. Er hoppelte auf das Loch zu und schaute Swires mit einem letzten merkwürdigen Blick an. Er schien diabolisch zu grinsen.
"Es gibt da noch einen Brauch. Er heißt Osterfeuer...!"
Mit diesen Worten verschwand er im heraufziehenden Frühlingsmorgen.



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