Salutierend gingen die Schwarzgekleideten an ihr vorbei. Ihr Ziel: Für Recht und Ordnung im Chaos zu sorgen. Natürlich handelte es sich bei den meisten Rekruten, die sich schon länger bei der Wache befanden, um nur kleine Mengen an Recht und Ordnung. Immerhin war noch viel wichtigeres Ziel, das eigene Leben oder Unleben
[1] zu erhalten.
Einer von ihnen, er trug den Namen Astragalus Zimt, blieb salutierend hinter Rogi stehen. "Ich sollte mich bei dir melden, Ma'am?"
Sie erwiderte seinen Salut. "Ja, komm mit."
Vor einer Tür mit der Aufschrift 'Ausbilderbüro #1' hielt sie inne und schloss auf. Laut knarrend öffnete sich die Tür.
"Letzte Woche hattet ihr den Fpurensicherungfkurf und heute Astragalus, darfst du dein Wissen in die Praxis umfetzen!" Sie schob die Tür auf. "Ich habe hier einen Tatort nachgebaut. Er basiert auf einem Fall, der die Wache vor zwei Jahren beschäftigte. Ein paar deiner Kollegen haben den praktischen Teft schon hinter fich. Du darfst fie nicht um Hilfe bitten".
"Aber Frau Oberfeldwebel, Ma'am, heißt es nicht, Teamwork ist eins der Grundgerüste der Wache?", protestierte Astragalus.
"Diefesmal nicht, Rekrut". Sie trat einen Schritt beiseite, um dem Rekruten die Sicht in den Raum zu erleichtern.
Er streckte seinen Hals. "Die Strohpuppe, Ma'am?"
"Das ist Baron von Ftroh, das Opfer".
"Und... Die ausgestopfte Katze auf dem Schreibtisch?"
"Hildebert, den musst du dir lebendig vorftellen." Sie überreichte ihm ein Papier mit Informationen, wie es zum Fund der Leiche kam. "Ziel ift es, einen Tatortbericht zu erftellen. Schreib alle relevanten Makrospuren auf, die du findest. Versuche, die Fachen nicht zu sehr zu verrücken, deine Kollegen brauchen den Raum fpäter auch noch."
Astragalus nickte und wollte einen Schritt in den Raum treten. Er wurde sogleich von Rogis ausgestrecktem Arm aufgehalten.
"Du bift erster Wächter an einem Tatort, Rekrut! Was macht man zuerft?"
Zimt hielt inne und fing automatisch an, nach seinem Notizbuch zu suchen. "Ah... bsperren, Ma'am?"
"Gut. Und danach?"
Mittlerweile hatte er den entsprechenden Eintrag in seinem Buch gefunden. "Die neugierige Meute verscheuchen, Ma'am!", antwortete er voller Überzeugung.
Rogi verdrehte die Augen. "Ef ist keine da."
"Dann, Handschuhe?", fragte er nun etwas vorsichtiger.
"Und Fuhfohner", fügte sie hinzu und überreichte dem Rekruten einen Beutel, der eine sehr abgespeckte Version von S.T.Au.B. enthielt. "Weißt du auch wozu die gut find?"
Astragalus wurde wieder etwas sicherer. Der Frage hatte er sich schon einmal stellen müssen. Damals hatte sein Kollege Willhelm Schneider selbstbewusst darauf geantwortet. Er konnte sich noch recht gut an die Antwort erinnern. "Um später behaupten zu können, sie getragen zu haben, Ma'am!"
Die Ausbildungsleiterin schüttelte den Kopf. "Nun gut", meinte sie und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Viel Erfolg!" Mit diesen Worten wandte sie sich ab.
Nervös zog Astragalus an seinem Ohrläppchen. War sie etwa unzufrieden mit seinen Antworten? Er atmete tief durch und blickte auf das Papier.
Tatort war die Villa des Barons Berthold von Stroh gewesen. Nach einer äußerst stürmischen Nacht wurde er am frühen Morgen des 15. Sektobers von seinem Butler, Karl Nuss, entdeckt, als dieser ihm die Morgenausgabe der Times bringen wollte. Er wurde in seiner Bibliothek gefunden, wo er angeblich ab und zu ganze Nächte allein verbrachte. Außer dem Butler wohnte in der Villa auch die Frau des Barons, Christine von Stroh, welche mit ihm glücklich verheiratet war. Beide, Butler und Ehefrau, behaupteten, den Toten das letzte Mal beim Abendessen gesehen zu haben. Eine erste Untersuchung des Opfers hatte ergeben, dass eine Kopfwunde an seinem vorzeitigen Ableben Schuld war. Die zwei Zeugen behaupteten, keine besonderen Geräusche während der Nacht gehört zu haben.
Der Rekrut steckte den Kopf in das umdekorierte Büro. Kaltes Tageslicht fiel in den Raum durch das halboffene Fenster gegenüber der Tür. Eine grüne Chaiselongue mit farblich passender Decke befand sich unter der Fensterbank. Die Leiche aus Stroh lag mehr oder weniger in der Mitte des Raumes. Astragalus sah prüfend in den Beutel, den ihm seine Ausbilderin gegeben hatte. Er zog sich die Handschuhe und Schuhüberzieher an. Außerdem befanden sich darin noch ein Flatterband, eine Pinzette, ein Pinsel und Beweismitteltüten.
[2] Pflichtbewusst zückte Zimt Notizblock und Stift. Auf Zehenspitzen näherte er sich der Strohpuppe. Von der Wunde am Kopf stieg ein fast atemberaubender Gestank auf. Der umgeworfene Hocker neben dem Opfer, sowie der Boden, waren mit der gleichen Flüssigkeit beschmiert. Er stieg vorsichtig über die Leiche und die Leiter, welche gleich neben ihm lag, nur um fast auf ein Buch zu treten.
'Alchemie für Strohmänner. Band III: Kristalle sammeln und großziehen', stand darauf mit goldenen Buchstaben. Er drehte sich zum Bücherregal um, welches die ganze rechte Wandseite vom Boden bis knapp unter die Zimmerdecke einnahm. Auf den ersten Blick konnte er keine weiteren Bände der Reihe entdecken. Aber ganz oben im letzten Regal war eine Stelle leer und es sah so aus, als wäre auch ein anderes Buch fast zu Boden gefallen. Es hing schief im Regal.
'Achatene Porzellankunst', las er und trat noch ein paar Schritte zurück, um einen besseren Überblick zu bekommen. Dabei stieß gegen die kalte Oberfläche des Schreibtisches. Zimt zog sich erschrocken zurück. Und schaffte es, mit einer eleganten Bewegung, eine fast leere Glaskaraffe ins Schwanken zu bringen. Gebannt sah er zu, wie das bauchige Gefäß dem Boden entgegenglitt - und darauf zersprang. Kleine Scherben zierten nun den Tatort.
Der Wächter hielt den Atem an und sah sich nach Augenzeugen um. Zwei Bernsteinaugen starrten ihn kalt und missbilligend an.
"Ich wollte das nicht", brachte er aus trockenen Lippen hervor und sah die ausgestopfte Katze um Verzeihung heischend an.
Unter strenger Beobachtung durch Hildebert bewaffnete er sich mit dem Pinsel. Er widmete sich der neuen Aufgabe mit der gleichen Begeisterung, als hätte man ihn zum Abort putzen mit einer Zahnbürste eingeteilt. Vorsichtig streckte er sich unter den Schreibtisch und kehrte die letzten Scherben zusammen. Eine nach der anderen sollten sie im Beweismitteltütchen landen. Er stutzte kurz. Unter die Glasscherben hatte sich auch eine aus Porzellan gemischt. Sie war mit einem blauweißen Muster dekoriert und bekam nach kurzer Überlegung des Wächters ihre ganz eigene Tüte.
Astragalus streckte sich und ließ sich dann in den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Er blickte zu der Tüte mit den Scherben und raufte sich die Haare. Verschwinden lassen oder gestehen, das war hier die Frage. Aber das Verschwindenlassen würde auffallen. Nachdenklich fuhr er mit den Fingern die Schnitzereien auf den Armlehnen nach.
Gestehen also. Er lehnte sich zurück. Vor seinem geistigen Auge lief bereits der neueste Teil des beliebten Klickers 'Astragalus der Arbeitslose'. In der langen Reihe an Tschobs, die er bisher hatte ausüben dürfen, war das Rekrutendasein ein doch sehr angenehmes. Es bot Abwechslung, ein sicheres Gehalt, Bekleidung und ein Bett! Er würde das Bett im Rekrutenschlafsaal sehr vermissen.
Er öffnete die Schreibtischschublade, um sich abzulenken. Angenehmer Rosenduft entfaltete sich. Er gehörte zu einem Stofftaschentuch. Es war mit einem Monogramm bestickt:
'T.H.'. Eine Schublade weiter unten fand er eine baugleiche Flasche, wie die zerstörte. Kurzerhand stellte er diese auf den Tisch. Die letzte Schublade war hingegen ganz leer und er griff nach der Zeitung auf dem Schreibtisch.
'15. Sektober im Jahr der rückblickenden Artischocke.'
'Schwerer Sturm beschädigt Kohlernte!'
'Rote Herring-Preise erreichen ein erneutes Hoch!'
'Bewerbungsschluss für die Ausstellung 'Kristalle von Heute', Morgen!'
Die Zeitungsblätter flatterten im Windzug. Astragalus fröstelte und blickte zum halb geöffneten Fenster. Wie verrückt musste man sein, um sein Fenster bei Sturm offen zu lassen?
Er näherte sich dem Fenster und setzte sich auf das grüne, weich gepolsterte Möbelstück. Es lud regelrecht dazu ein, sich darauf zu legen! Man konnte es dem Baron sicherlich nicht verübeln, dass er seine Nächte gerne in diesem Raum verbrachte.
Zimt machte es sich gemütlich. Vielleicht gab es ja eine Zukunft als Möbelinspektor irgendwo für ihn, wenn es mit dem Wächtertum nichts würde.
"Ey, Zimt!"
Eine ihm bekannte, warme Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen. Er blinzelte im Licht der Abendsonne. "Gutsuff?"
"Schläfst du etwa?"
"Natürlich nicht. Ich...", er zögerte etwas, "lasse den Tatort auf mich einwirken."
"Mit der Zeitung auf dem Gesicht? Hat es mit diesem Sternenzeug zu tun?"
Astragalus nickte und faltete die Zeitung zurecht.
"Hilft es?", fragte der Wächter im Türrahmen misstrauisch.
"Eher weniger. Wieso bist du hier?"
"Wir müssen gleich zum Tresendienst antreten. Fräulein Apolonia meinte, ich würde dich hier finden."
Falten erschienen auf der Stirn des verschlafenen Rekruten. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Apolonia einem immer einen Schritt voraus war. "Ich komme gleich."
Er legte die Zeitung weg und verließ das Büro in Richtung Waschraum.
"Dass man dich hier auch mal sieht!" Theodor Ekarius Dieterlin Donnergroll, ein Mann, so lang wie sein Name, türmte sich regelrecht über Astragalus auf, welcher sich gerade Wasser in ein Waschbecken füllte.
Zimt zog eine Grimasse. "Mir hängt noch immer der Geruch vom Tatorttest in der Nase."
"Ich habe gehört, sie haben den Saft einer Art Knolle für das 'Blut' benutzt." Theodor lehnte sich gegen die dunkle Wand.
Eiskaltes Wasser traf das Gesicht von Astragalus, welcher nur halb seinem Kollegen zuhörte. Seife war wahrscheinlich notwendig, beschloss er.
"Weißt du, ich musste gestern den ganzen Tag im Archiv verbringen..." Theodors Stimme wurde leiser. "Und ich habe da ganz zufällig... sozusagen aus Versehen... man könnte sagen ich bin regelrecht darüber gestolpert..."
"Was hast du gefunden?" Der kleinere Wächter beendete seine Katzenwäsche und fuhr sich mit den nassen Händen durchs Haar, ehe er es wieder zusammenband.
Ein erfreutes Funkeln trat in Theodors blaue Augen. Er beugte sich vor und zog ein paar zusammengefaltete Blätter hervor.
Zimt nahm sie an sich und begann sie neugierig zu entfalten.
"Es ist eine Kopie der Fallakte von Stroh!", flüsterte Theodor aufgeregt. "Für einen halben Dollar..."
Mit einem gewissen Entsetzen starrte Astragalus seinen Kollegen an. Hastig wurde der Gegenstand wieder zurück in Theodors Hände gedrückt. In den Ohren des Rekruten hallten noch immer die warnenden Worte des Oberfeldwebels. Und noch viel lauter der Preis, den er eben genannt bekommen hatte. "Tut mir leid, ich muss sparen. Und gleich zum Tresen." Mit diesen Worten ließ er Theodor allein zurück.
Dieser kratzte sich am Kopf. "Ich wollte doch nur freundlich sein."
Langsam ging Theodor in Richtung Keller. Der Abort war vielleicht der bessere Ort, um die Akte unter die Leute zu bringen.
Leicht zitternd schwebte eine Feder über den Almanach, welcher ausgebreitet auf dem dunklen Tisch lag. Mit höchster Konzentration wurde ein Datum eingekreist und daneben ein Totenkopf gemalt.
"Du solltest wirklich keine Horoskope während des Tresendienstes ausarbeiten", erklang eine Stimme hinter dem Schreiber. Sie gehörte Gutsuff Dauerbreyt, welcher gerade mit zwei Tassen Kaffee zurück zum Eingangsbereich kam.
"Aber bei der Kälte verirrt sich doch eh keiner hierher", versuchte sich Astragalus zu herauszureden.
"Die Oberfeldwebel ist eben am Aufenthaltsraum vorbeigeschlurft."
Dem Rekrut wurde trotz der Kälte plötzlich wärmer. Seine Ohren liefen rot an. Er streckte den Kopf aus, um nach hinten den Gang entlang zu schauen. "Glaubst du, sie hat es bemerkt?"
"Sie ist Oberfeldwebel, was glaubst du?"
Tief seufzend räumte Astragalus Sternenkarte und Almanach weg und ersetzte sie mit seinem noch unfertigen Tatortbericht. Gutsuff blickte ihm über die Schulter. Der ehemalige Wirt kannte sich zwar nicht mit Handschriften aus, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass diese äußerst ordentliche Schrift nicht zu dem eher ungepflegt wirkenden Wächter passte. Er setzte sich dazu, zog die Notizen seines Kollegens zu sich und stellte seine Kaffeetasse darauf ab.
Der jüngere Wächter legte sich ein neues Blatt zurecht.
Mörder schrieb er oben auf. Darunter listete er alle Möglichkeiten, die ihm einfielen, auf.
Butler, Ehefrau, Katze, Hocker. In den Klickern war es meist der Butler, wenn kein Gärtner zur Hand war. In der Realität, so sagte man, meist die Ehefrau. Aber wer war es in diesem Fall? Von den beiden ersten fehlte jede Spur im Raum, während die letzten zwei eindeutig präsent waren.
Astragalus legte die Schreibfeder beiseite und widmete sich dem Rollen einer Zigarette. "Meinst du, Morde, die von Katzen verübt werden, gehen als Unfälle durch?"
"Ich glaube, ich habe mal was von einem verurteilten Esel gehört", entgegnete Dauerbreyt.
Astragalus nickte und strich Hildebert von der Liste. Jene abfällig blickenden toten Augen gehörten eher zu einer nörgelnden Waschmagd, als zu einem kaltblutigen Mörder, beschloss er.
"Weißt du schon, wer es war?", fragte plötzlich eine neue Stimme hinter ihm.
"Nein, noch nicht. Weißt du es, Apolonia?", antwortete Zimt mürrisch, obwohl er sich die Antwort schon fast denken konnte.
"Natürlich habe ich da so meine Ideen. Aber es ist dein Tatort, also halte ich mich zurück."
"Ich habe immerhin eben die Katze ausgeschlossen", meinte der Rekrut etwas niedergeschlagen.
"Ah", erwiderte dazu Apolonia und lächelte freundlich. "Nun denn, die Herren, bis morgen früh", sagte sie und trat aus dem Wachhaus.
Zimt blickte ihr nach und versuchte aus ihrer Aussage schlau zu werden. "Es war bestimmt die verfluchte Katze."
"Klingt nach Unfall, wenn du mich fragst. Du schreibst hier, es waren zwei leere Flaschen im Zimmer. Ich würde sagen, er kletterte die Leiter hoch, fiel herab, genau auf die Hockerkante und verblutete dann am Boden. Passiert ständig."
Gedankenverloren zog Zimt an einer Haarsträhne. "Der Hocker also, ein Opfer der Umstände, zur falschen Zeit am falschen Ort."
Gutsuff zuckte mit den Schultern. "Mach dir nichts draus, wenn der Hocker nicht wäre, dann wäre es bestimmt die Tischkante gewesen".
Der Rekrut sah nochmal zur Tür, aus der eben seine Kollegin getreten war, traf seine Entscheidung und schrieb. Nach einer Weile hielt er inne und betrachtete kritisch den Text. Was, wenn er mit seiner These falsch lag? Es lag ihm viel am Erhalt seines Rekrutenbettes. "Was, wenn sie mich rauswirft, weil ich es nicht lösen kann? Was, wenn sie die Flasche als Grund nutzt um mich aus GRUND zu bannen?"
Gutsuff war neben ihm am Tresen leicht eingenickt und wurde von Zimts Selbstzweifeln zurück ins Hier und Jetzt geholt. "Welche Flasche?"
"Ich werde mein Bett verlieren, Gutsuff!"
Im Büro der Ausbildungsleiterin blätterten zwei Daumen durch einen Papierstapel und hielten dann inne. Ein Daumen färbte sich leicht rot und die Igorina steckte ihn sich automatisch in den Mund. Sie blickte nochmal auf den Bericht, welcher mit einem großen Kaffeefleck verziert war, und dann zu dem Rekruten vor ihr.
"Ma'am?", erkundigte sich eben jener Rekrut.
"Du bift nun schon eine Weile bei unf, nicht wahr, Zimt?", stellte sie fest.
"Äh, ja Ma'am. Ungefähr ein Jahr glaube ich."
Sie sah nochmal auf die Dienstnummer auf seinem Bericht. "Es fieht eher nach knapp zweien aus", kommentierte sie und deutete dann auf den letzten Abschnitt des Tatortberichtes, den er eingereicht hatte. Dieser war mit
'Wer es war' betitelt. "Ef gibt hier ein Problem."
"Ich habe mein Bestes versucht, Ma'am."
"Baron von Ftroh ist im betrunkenen Zuftand auf eine Leiter gestiegen", las sie vor, "um fich ein Buch über Kristallologie zu holen. Die Katze fühlte sich vernachläfigt und strich um die Leiter, waf dazu führte, daf der Baron ins Schwanken geriet und nach hinten zu Boden fiel. Unglücklicherweise traf fein Kopf dabei den fich im Raum befindenden Hocker." Sie sah zum Wächter. "Ich kann mich nicht daran erinnern, daf Teil eines Tatortberichtes auch das Finden des Mörders ift."
Endlich hob der Wächter seinen Kopf und blickte zu seiner Ausbilderin. "Ich dachte..."
"Wenn man dir Befehle erteilt, Rekrut, dann ist ef daf Wichtigste, erstmal nicht zu denken, fondern genau zuhören." Sie machte sich ein paar Notizen in ihren Akten. "Was ift da überhaupt in der Tüte, in deiner Hand?"
"Also Ma'am, das war ein Versehen..."
Mit glühendem Zigarettenstummel stapfte er in den Aufenthaltsraum und bewegte sich zielsicher zu dem Tisch, an dem eine alte Dame und ein Wirt saßen. Beide waren Wächter, was viel über den Arbeitsmarkt von Ankh Morpork aussagen könnte, würde sich jemals jemand die Mühe machen, dies genauer zu studieren.
Der Rekrut setze sich dazu.
"Was ist da überhaupt drinnen? Stinkt ja schlimmer, als das Zeug von der Schmugglergilde!", waren Gutsuffs begrüßende Worte, während er mit der Hand wedelnd den dichten Rauch zu verscheuchen versuchte.
"Getrocknete Kohlblätter", gestand Zimt nach kurzer Pause, "hat mir meine Mutter geschickt. Ich hatte kein Geld für richtigen Tabak."
"Ja, der Monat ist mal wieder viel zu lang." Mit erstaunlicher Synchronisation seufzten die beiden Wächter.
Apolonia schob eine alte Zeitung über den Tisch. "Du wolltest doch wissen, wer es war."
"20. Sektober im Jahr der rückblickenden Artischocke", las er das Datum und dann den eingekreisten Titel. "Neue Erkenntnisse im Fall von Stroh."
Er legte die Zeitung ab. Erst jetzt fiel es ihm wie Schuppen vor den Augen. "Die Times auf dem Schreibtisch war von dem Tag, an dem er gefunden wurde! Der Butler ist also doch nach dem Tod des Barons in das Zimmer gegangen!" Er setzte sich aufrechter hin. Zwei Puzzlestücke hatten ihren Weg zueinander gefunden und er zog zufrieden an seiner Zigarette. "Dann war er es also, er hat etwas vergessen und musste es beseitigen."
"Nicht so schnell! Der Butler hat etwas entfernt, das ist richtig. Aber er war nicht der Mörder. Außerdem ist noch das Taschentuch im Raum", bremste ihn Apolonia. "Baron von Stroh hatte eine Geliebte."
Der Wächter hob den Zeigefinger. "Moment, im Tathergang stand, er wäre glücklich verheiratet gewesen."
"Es liegt in der Natur der Menschen, zu lügen. Ob aus Angst, Gier, Stolz oder Scham. Sie wollen sich selbst beschützen", stellte die Dame fest. "Was macht man nicht alles um Schein und Trug vor seinen Nachbarn aufrechtzuerhalten."
Falten bildeten sich auf Zimts Stirn. "Dann war es also die Geliebte? Sie ist durch das Fenster hineingeklettert?" Er wandte sich wieder der Zeitung zu.
"Die Wache teilte uns heute mit, dass die Ermittlungen im Falle Baron von Stroh 52 beendet wurden. Gestanden hat die Tat seine Frau Christine von Stroh 43. Laut ihrer Aussage hat sie in Notwehr gehandelt, als er sie im betrunkenen Zustand angriff", las er laut vor.
"Sie hat ihn mit einer achatenen Vase erschlagen. Er fiel zu Boden und schlug dabei mit dem Kopf gegen den Hocker."
Drei Augenpaare wandten sich Theodor zu. Keiner hatte seine Ankunft bemerkt. "Ich habe zufällig die Fallakte im Archiv gelesen", fing er an und warf Astragalus einen schiefen Blick zu. "Der Butler fand die Leiche tatsächlich am nächsten Morgen. Die Ehefrau hatte ihm alles kurz davor gestanden und er versprach ihr seine Hilfe. Er sammelte die Scherben der Vase ein und nutzte die Gelegenheit, um die Kristallsammlung des Barons zu klauen. Er hat sogar das Fenster geöffnet, um es wie einen Raub aussehen zu lassen, falls jemand das Fehlen der Sammlung bemerken sollte."
Astragalus drückte seine Zigarette aus und steckte sich sogleich eine neue in den Mund. "Geht das als Unfall durch?"
Fräulein Apolonia lächelte und schob ihm ein Stück Kuchen zu.
[1] unzutreffendes streichen
[2] Die Erfahrung hatte gezeigt, dass es schlecht war, Rekruten mit allzu viel Schnickschnack und Technik zu verwirren.
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