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Das Folgende ist kein Kriminalfall sondern eher eine persönliche Sicht auf manche Entwicklungen und Senrays Umgang damit.
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Die Brieftauben Ankh-Morporks sind faszinierende Geschöpfe – trainiert man sie gut können sie zielsicher Orte ansteuern, manche können sogar auf das Finden einer Person trainiert werden. Warum sollten sie also nicht jemanden vermissten wiederfinden können?
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Senray saß auf dem Dach und beobachtete die verschiedenen Tauben beim Fliegen. Es hatte fast etwas Beruhigendes zu sehen, wie sie sich über einen Brotkrummen streiten oder alle gemeinsam auf einem Dach auf Futter lauern konnten. Es herrschte ein stetes Kommen und Gehen und obwohl sich die Vögel alle ähnlich sahen meinte die junge Wächterin mit der Zeit, einige wiederzuerkennen und unterscheiden zu können.
Es war eine gute Ablenkung von dem was sie hier machte – und doch auch eine Erinnerung daran. Sie seufzte und ließ ihren Blick über den Pseudopolisplatz zum Hauptwachhaus schweifen. Mistvieh war schon wieder hierher geflogen.
Eigentlich war es nur natürlich. Und wahrscheinlich war ihre Idee vollkommen nutzlos. Aber Senray konnte einfach nicht untätig herumsitzen und darauf warten, dass neue Informationen kamen! Zumal sie natürlich nicht informiert wurde, warum auch. Außerdem würde es nach heute sowieso nichts mehr geben – keine Ermittlungen, keine Informationen. Keine Hoffnung. Ihr Blick ging zurück zu der Ansammlung auf Futter lauernder Tauben und sie ließ ihre Gedanken schweifen.
Es fühlte sich nach nur wenigen Tagen an, als sie noch ganz normal mit Ophelia Nachrichten über ihre eigene Diensttaube Mistvieh ausgetauscht hatte. Nichts in dem Sinne wichtiges, zumindest nie etwas, was einen Fall betraf. Schnittmuster und Erklärungen, wie man eine Verkleidung umnähen konnte, Informationen über Frisuren, dergleichen. Wenn es neue Ideen in Bezug auf das „Feuerproblem“ gab, welches die beiden verband, dann auch darüber.
An sich hatte Senray damit gegen keinen Befehl direkt verstoßen – sie näherte sich weder dem Pseudopolisplatz noch Ophelia persönlich und sie gab keinerlei wichtige Informationen an die Kollegin weiter. Aber natürlich war der Obergefreiten klar, dass dies weder der geplante Zweck der Diensttaube war, noch dass sonderlich viel Toleranz bei ihrer Auslegung der Befehle des Kommandeurs zu erwarten war. Deswegen erwähnte sie es niemandem gegenüber und rechtfertigte es sich selbst gegenüber als weitere Trainingseinheit mit Mistvieh. Was sie auch bei Nachfragen ob der hohen Frequenz ihrer Flüge immer sagte.
Und dann … war Ophelia verschwunden. Von einem Tag auf den anderen, ohne Vorwarnung, unerklärlich. Natürlich hatte Senray dies durch ihre Kollegen erfahren – aber ebenso natürlich war sie nicht Teil des offiziellen Suchtrupps. Sie hätte ja eigentlich keinen Kontakt mehr zu Ophelia haben dürfen, warum sollte man ihr also Beachtung schenken? Und wenn sich Senray selbst ehrlich gegenüber war, wusste sie auch, dass sie nicht wirklich helfen konnte. Sie war keine SuSi, die in Ophelias umfunktionierten Büro Spuren sicher konnte. Sie war keine klassische Ermittlerin, die solche Fälle in denen Personen plötzlich spurlos verschwinden oder … oder … Jedenfalls war sie keine klassische Ermittlerin für solche Fälle. Sie ermittelte verdeckt in dem doch sehr eigenen Umfeld der Gilden und mehr oder minder geheimen Organisationen von Ankh-Morpork.
Aber dennoch. Sie wollte nicht einfach nur untätig herumsitzen. Sie wollte nicht einfach nur warten und hoffen, dass Ophelia unbeschadet wieder auftauchte. Zumal das mit jedem Tag unwahrscheinlicher wurde.
Also hatte Senray selbst angefangen zu suchen. Da sie keinen Zugriff auf die Ermittlungsakten hatte und ihn niemals erhalten hätte, fing sie eine eigene kleine Akte „Ophelia“ an. Nicht, das sie dort allzu viel eintragen konnte. Aber es tat gut, selbst etwas zu tun und ein gewisses System bei der Suche zu haben. So fühlte es sich mehr wie echte Ermittlungsarbeit an, nicht wie der unbeholfene Versuch dieser, der es war. Außerdem konnte sie so, falls sie doch echte Hinweise fand, diese besser erklären und weiterleiten.
In diesem Gedanken hatte die Obergefreite damit begonnen, sich erst einmal bei ihren direkten Kollegen im Boucherie Rouge umzuhören. Aber alles was sie davon hatte waren Gerüchte oder die offiziellen Anweisungen und Informationen des Kommandeurs.
Für Senray fühlte sich das nach nichts an. Und da kam ihr die Idee: Sie könnte Mistvieh mit einer Nachricht an Ophelia losschicken! Mistvieh konnte Senray immer zuverlässig finden, egal wo die Wächterin sich in der Stadt aufhielt. Und sie war so oft mit Briefchen zu der Kollegin geflogen – warum also sollte die Taube sie nicht finden?
Aber so einfach war es nicht.
Die ersten Male hatte Senray Mistviehs Flug noch nicht überwacht, sie hatte naiv gehofft, die Taube würde Ophelia erreichen und diese könnte ihr eine schnelle Antwort mitgeben. Dass das unsinnig war, war der DOG mittlerweile bewusst geworden. Es hätte nur funktioniert, wenn sich Ophelia, wo auch immer sie war, frei bewegen konnte und letztendlich tun konnte, was sie wollte. Und das war aus Senrays Sicht mit jedem Tag der verstrich unwahrscheinlicher. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ausgerechnet Ophelia Ziegenberger ohne ein Wort desertierte und auf Nimmerwiedersehen verschwand! Da dies allerdings so unwahrscheinlich war, hieß das, dass Ophelia, selbst wenn Mistvieh überhaupt bis zu ihr kam, sicher nicht einfach die Nachricht lesen und antworten können würde.
Also veränderte Senray den Inhalt der Nachricht und begann, Mistvieh zu folgen, nachdem sie sie losgeschickt hatte. Erst verlor sie die Taube immer wieder. Mit den Tagen wurde sie jedoch geübter darin, den Flug des Vogels zu beobachten und sie wiederzufinden, sollte sie sie aus den Augen verloren haben. Und so musste die Obergefreite feststellen, dass ihre Diensttaube immer und immer wieder hierher kam – ans Wachhaus am Pseudopolisplatz. Dort flog sie zu dem Fenster, hinter dem Ophelias Raum gelegen hatte und wartete. Manchmal wurde sie nicht bemerkt, manchmal weggescheucht.
Die Nachricht kam stehts ungelesen zurück, Ophelia war nicht mehr da.
Senray merkte, dass es begonnen hatte zu regnen. Ihre Position auf dem Dach fing an, entsprechend ungemütlich zu werden und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ganz durchnässt war. Wie lange war sie in ihren eigenen Gedanken gefangen gewesen und hatte aufgehört, wirklich zu sehen was sie betrachtete? Erschöpft suchten ihre Augen Mistvieh, aber noch war sie nicht zurück. Ein schwaches Lächeln huschte über die Züge der Obergefreiten. Ihre Diensttaube gab nicht so schnell auf. Entweder merkte sie, wie wichtig es für Senray war … oder Ophelia hatte ihr einfach immer ganz besonders gutes Futter als Belohnung hingestellt. Wie auch immer, die Taube hielt sich besser als die Wächter.
Der Gedanke löste in Senray eine Bitterkeit aus, die sie selbst kaum ertrug. Heute hatte Glum ihr erzählt, dass die Suche nach Ophelia Ziegenberger offiziell eingestellt worden war. Man ging wohl davon aus, dass sie selbst einfach gegangen sei oder dergleichen, jedenfalls bestünde kein weiterer Grund, wichtige Ressourcen der Wache auf eine sinnlose Suche zu verschwenden. Erst hatte Senray nicht begriffen, was ihr Vorgesetzter ihr da sagte. Und als sie es endlich verstanden hatte, hatte er bereits das Thema gewechselt. Oder, nun, je nachdem wie man es nahm auch nicht gewechselt.
Es war dem kommissarischen Abteilungsleiter der DOG nicht entgangen, das eine seiner verdeckten Ermittlerinnen in letzter Zeit verdächtig oft mit der Taube „trainierte“ und offensichtlich private Nachrichten via Diensttaube austauschte. Senray selbst hatte den Zwerg erschrocken angestarrt – natürlich musste es früher oder später auffallen. Aber dennoch …
Und dann hatte er sie gefragt, mit wem sie schrieb. Und Senray war, immer noch getroffen von der Tatsache, dass man die Suche eingestellt hatte, und erschrocken und schuldbewusst ob ihrer eigenen Überschreitungen der ihr gegebenen Befehle und gesetzten Grenzen, dabei gewesen, die Wahrheit zu sagen. Allerdings kam sie nicht weiter als „Nun, also, äh, nun, Sör, das …“ als Glum sie unterbrach.
„Ich verstehe schon, Senray“, hatte er ihr gesagt. Und sie hatte geschluckt. Sich gefragt, wie lange er es schon wusste.
„Der junge Mann muss ja wirklich was ganz Besonderes sein. Aber pass auf, dass er dich nicht von deiner Arbeit ablenkt! Wir können uns nicht leisten zu schludern.“
Sie hatte den Zwerg angestarrt und dann fast mechanisch genickt.
„Keine Sorge, Obergefreite, ich war auch mal jung und verliebt! Auch wenn wir zu meiner Zeit nicht die DIENSTtauben für die entsprechenden Briefchen verwendet haben. Also, nimm dir ein Beispiel daran. Gab es sonst noch etwas, Senray? Ich habe viel zu tun.“
Erneut nickte sie erst, und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich … Sör …“
„Gut, Senray, dann zurück an die Arbeit!“
Und er war verschwunden. Senray war wie vom Donner gerührt stehen geblieben und hatte erwogen, hinter ihm herzugehen um das Missverständnis aufzuklären – und sich dann dagegen entschieden. Sie wusste, dass sie ihre Suche aufgeben musste wenn Glum ihr die direkte Anweisung gab es zu tun. Und in diesem Moment war sich Senray nicht sicher, ob der Zwerg es tun würde oder nicht. Wenn er also davon ausging, dass sie nur mit einem jungen Mann schrieb und nicht im Geheimen nach Ophelia suchte … vielleicht war es ganz gut so.
Mittlerweile war Senray vom Regen durchnässt und immer noch saß sie auf dem Dach und beobachtete das Wachhaus am Pseudopolisplatz. Glum hatte ihr auch die Information weitergeleitet, dass sie, mit Ophelias Verschwinden und dem Einstellen der Suche, offiziell wieder in das Hauptwachhaus kommen durfte. Allerdings hatte sie kein Interesse daran. Was wollte sie dort? Dem Kommandeur begegnen, der ihr entsetzliche Angst einjagte? Der ihr Hausverbot erteilt hatte? Der die Suche nach Ophelia aufgab?
Wieder dieser bittere Geschmack in Senrays Mund. Sie konnte es selbst kaum erklären. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihre Kollegen ihr bestmögliches bei der Suche gegeben hatten. Und doch … und doch fühlte es sich irgendwie so an, als hätte man Ophelia gar nicht wieder finden wollen. Aber sicher war das pure Einbildung, geboren aus ihrem eigenen Frust, ihr Nutzlosigkeit, ihrer Hilflosigkeit. Wofür war man Wächter, wenn man nicht mal den eigenen Kollegen helfen konnte? Wie sollte man dann überhaupt erwarten, irgendjemandem in dieser verfluchten Stadt zu helfen?
Sie schüttelte müde den Kopf und beobachtete die Taube, die auf sie zugeflogen kam.
Mistvieh. Immer noch mit ihrer Nachricht am Bein. Niemand hatte ihr das Fenster geöffnet, niemand den Zettel ausgetauscht. Ophelia war nicht mehr da. Die Nachricht blieb ungelesen.
Senray wartete bis Mistvieh neben ihr gelandet war, dann öffnete sie eine kleine Dose und hielt ihren Boden der Taube hin. Die pikte begeistert auf die angebotenen Körner ein, während Senray weiter das Wachhaus betrachtete. Nein, es gab keinen Grund, warum sie dorthin gehen sollte. Und ab morgen würde sie ihre Suche mit Mistvieh verändern. Statt vom Boucherie aus würde sie von zufälligen Punkten in der Stadt aus starten, vielleicht hatte die Taube dann mehr Erfolg. Vielleicht lag es ja nur daran, das Senray sie in gewissem Sinne aufgefordert hatte, die bekannte Route zu Ophelia zu fliegen anstatt wirklich nach ihr zu suchen? Sie würde es herausfinden. Senray war sich selbst darüber im Klaren, dass sie Mistvieh nicht immer hinterher laufen konnte. Aber sie würde sich etwas überlegen. Vielleicht spezielle Nachrichten, oder ein Beobachtungsdämon am Bein der Taube? Irgendetwas würde ihr einfallen. Es gab sicher genug, das sie probieren konnte. Sie wollte einfach die Hoffnung noch nicht aufgeben, konnte es vielleicht auch gar nicht. Sie würde weitersuchen. Egal wie unsinnig ihr selbst das Unterfangen in müden Momenten erschien, sie musste weitermachen. Gerade jetzt, wenn niemand anders mehr suchte.
Und mit diesem Gedanken drehte sich die Obergefreite weg vom Hauptwachhaus am Pseudopolisplatz. Ihr Blick streifte über die schier endlosen Dächer der Stadt. Endlose Verstecke, noch mehr Arbeit.
Nein, sie würde nicht aufgeben.
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