Sei kein Frosch

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von Hauptmann Pismire (SUSI)
Online seit 13. 12. 2016
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 13. 12. 2014 datiert
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In jeder Ehe gibt es Höhen und Tiefen. Und noch mehr Untiefen... So wie in diesem Fall aus Gennua

Dafür vergebene Note: 12

"... aber das war natürlich nach Deiner Zeit, Chérie", beendete Inspektor Houdini seine Anekdote über einen gemeinsamen Bekannten und nickte Madame LaManda, die in einer für alle Beteiligten atemberaubenden Konstruktion aus Samt, Seide, Pelz und Fischbein am Kopfende des Tisches thronte, aufmunternd zu. Dann erhob er sein Glas um mit dem Satz: "Auf die Schönheit, die nie vergeht", einen weiteren Trinkspruch auszubringen, den Hauptmann Pismire auf der gegenüberliegenden Längsseite des Esstisches mit einer freundliche Geste quittierte.

Das opulente, siebengängige Mahl (an dem Pismire und Madame LaManda gemeinsam eine halbe Woche geplant und gearbeitet hatten) lag hinter, Houdinis Beitrag zum gemeinsamen Abend (eine Auswahl seltenen Käsesorten begleitet von einem außergewöhnlichen Wein sowie Nüssen und Gebäck) vor ihnen, und der Schamane beglückwünschte sich im Stillen erneut zu seinem Wohnungswechsel.[1]
Seine anfänglichen Befürchtungen, das Zusammenleben mit Markus Wehschläger in seinem Haus könne sich als kompliziert und ihrer langjährigen Freundschaft abträglich erweisen, hatte sich nicht erfüllt. Allerdings akzeptierte sein Vermieter keinen anderen Namen "Madame LaManda", unter welchem er (vielmehr: sie) - da die Unsichtbare Universität seine Aufnahme als Hexe trotz des nicht unerheblichen magischen Talents verweigert hatte - eine bemerkenswerte Karriere als Nachtclubsängerin, danach als Herstellerin diverser Stärkungsbalsame, Ehefrau und später Witwe[2] hinter sich hatte. Pismire und Madame LaManda akzeptierten gegenseitig ihre Schrullen und Verschiedenheiten, gingen - tagsüber sowieso aber auch abends häufig - getrennter Wege, kochten jedoch mit Begeisterung zusammen und konnten sich an einer guten Tafel ebenso erfreuen, wie an einem guten Wein und guten Gesprächen. Beide interessierten sich für Hexerei oder Schamanismus, also die Teile der Magie, die von der Unsichtbaren Universität scheel angesehen wurden, ein Blick, den sie gemeinsam von Herzen erwiderten.

Ihr gemeinsamer Gast, Inspektor Houdini, war ein hochgewachsener Gennuaner aus der wild bewegten Vergangenheit der Madame - mittlerweile angegraut und gesetzter, was ihm die Gastgeberin mit einem freundlichen Wangenkniff zur Begrüßung auch herzlich bescheinigte. Er sprach ein ziemlich lebhaftes Morporkianisch, aber sein Akzent war nicht zu überhören und das Erlernen bestimmter grammatischer Feinheiten gingen ihm - wie er selber lachend einräumte - zu weit.
"Aber ah-bah, je suis nunmal ein verdammte Ausländer", entgegnete er, "und dass isch komme aus Gennua 'ört man so oder so. Pah, was soll da die Grammatique außer Ärger machen?"
Mittlerweile war er leitender Ermittler bei der Sûreté, dem Äquivalent der hiesigen Stadtwache und "nur zu Besuch in Ankh-Morpork", um sich in seinem Urlaub dem Besuch der hiesigen Oper und dieser erloschenen Flamme zu widmen. Offiziell handelte es sich also um einen reinen Privatbesuch. Überhaupt keine Rolle bei seinem Besuch spielte die Tatsache, dass der Kalbsrippchenwürger offensichtlich seinen Wirkungskreis von Gennua nach Ankh-Morpork verlagert hatte. Der sich langsam erhärtende Verdacht, dass es sich um ein adeliges Mitglied des Diplomatischen Corps von Gennua handeln könnte, war reiner Zufall. Inoffiziell konnte Houdini der Wache das komplette Dossier der Gennuanischen Kollegen zur Verfügung stellen, ohne sich formell über den ausdrücklichen Befehl des Herzogs, diesen Fall ad akta zu legen, hinwegzusetzen. Einen Inspektor statt einer Taube oder einer wie gut auch immer verschlüsselten Semaphorennachricht zu entsenden schien den Kollegen in der Stadt am Vieux in dieser Lage sicherer - der biographische Zufall, dass er früher mit der derzeitigen Vermieterin von Hauptmann Pismire intim bekannt gewesen war, erwies sich als nutzbringender Faktor.

Für Heureux III. von Gennua war die Sache insofern tatsächlich abgeschlossen, als dass er den vermutlichen Schuldigen kurzerhand befördert und versetzt hatte, mochte doch Ankh-Morpork sich des Problems in Gestalt eines hochrangigen Mitarbeiters der Gennuanischen Botschaft annehmen. Die Familien der Opfer waren auf die eine oder andere Art (Bestechung, Bedrohung oder beides) ruhig gestellt worden, ein Vorgehen, dass Pismires Kollegen in Gennua mit Abscheu betrachtete, bei dem ihnen aber auf Befehl von ganz oben die Hände gebunden schienen. Inspektor Houdini war seinerseits offiziell nie mit dem Fall betraut gewesen, was es weniger nachweisbar machte, dass seine Reise andere als rein private Zwecke hatte. Allerdings hatte die beiden Kollegen den Abend über den Fall mit keinem Wort gestreift, da ihnen weder die sexualpathologischen noch emetischen Aspekte des Falls (um das Wort "kulinarischen" zu vermeiden) als ein angemessenes Thema bei einem derartigen Essen erschienen. Und so sehr der Hauptmann sich sicher war, dass sein Vermieter in dieser Hinsicht vertrauenswürdig war, so hielten sich dennoch beide Männer an die Anweisung, den prekären Fall niemals außerhalb der abhörsicheren und unverfänglich zugänglichen Mauern der Bougerie Rouge zu erörtern.

Allerdings hatten sie im Gespräche immer wieder Berufliches gestreift, was Madame LaManda wenig störte, da Kriminologie ebenso zu ihren Interessengebieten gehörte wie Magie und Kräuterkunde. Als jedoch der Abend weiter fortschritt, verabschiedete sie sich - vorläufig, wie sie sagte - von den beiden, da noch ein Nachbar auf eine dringend benötigte Einreibung seine hustengeplagte Brust wartete, wobei die Tatsache, dass der junge Mann sehr groß, sehr breitschultrig, sehr gut aussehend und sehr an Madame LaManda interessiert zu sein schien in Pismires Augen wohl beschleunigend hinzu kamd. Als die hilfsbereite Hexe abgerauscht war, kehrten die beiden zurück Gebliebenen wieder zu ihrer Unterhaltung zurück.

"Ja, mir ist auch schon aufgefallen, dass die wenigsten Wächter das haben, was man einen geradlinigen Lebenslauf nennt", griff der Hauptmann ein bereits früher am Abend gestreiftes Thema wieder auf. "Und ich vermute mal, dass das auch seine Vorteile hat. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen bringen Kenntnisse aus den unterschiedlichsten - manchmal nützlichen, manchmal erst auf den zweiten Blick nützlichen - Bereichen mit. Natürlich kann man sie - weniger aufmunternd formuliert - unter Umständen auch als einen Haufen gescheiterter Existenzen mit einer mehr oder weniger ausgeprägten soziopathen Ader beschreiben - aber genau das kann ihnen hin und wieder auch zu einem entscheidenden Vorteil verhelfen."

"Nun, meine Eltern - mögen Sie in Frieden ruhen - hätten es naturlement gerne gesehen, wenn isch in ihre Fussläufer - nein, wie sagen Sie? - Fussstapfen getreten wäre, aber - hélas! - es hat nicht sollen sein. Ich war absolument pas unfähig." Houdini breitete entschuldigend seine Hände aus. "Nischt ein Fitzelschen Talent."

Während Madame LaManda, die mit Houdinis Lebenslauf vertraut war, an dieser Stelle auf ihre unverwechselbare Art wissend genickt hätte, war dem Schamanen seine Unkenntnis deutlich anzusehen, weswegen sich der Gast befleißigte, eine Erklärung zu liefern. "Sie kennen sich nicht aus mit die Cirque, ne pas? Also dem Zirkus. Meine Eltern waren beide begnadete Artisten. Aristides Houdini - Der große Houdini - war einer der gefragtesten Entfesselungskünstler seiner Zeit. Kein Knoten zu fest, keine Handschellen zu straff. Und meine Mutter - ah, mon Maman, La Grande Serpente D'Or - war eine große Contorsionistin. Ein Eidechsen... - nein, ein Schlangenfrau. Sie sollen eine bemerkenswert abwechslungsreiche Ehe geführt haben."

Seufzend lehnte der Erzähler sich zurück bevor er fortfuhr: "Ich kann mich noch erinnern an unseren Wagen voller Fesseln, 'andschellen und andere Dinge, und dann die viele Zeit, die ich draußen beim Spielen verbringen musste. Anfangs haben mein' Eltern sich überaus üppisch? vielfältig? aufs gründlichste mit mir beschäftigt. Misch gefesselt, verbogen, an Haken aufge'angen" - er seufzte tief bewegte - "aber alles ohne Erfolg. Isch blieb ungelenkig und entwickelte nischt die geringste Interesse an Knoten. Nicht einmal dann, wenn meine Essen davon abhing, ob isch die Knoten gelöst bekam oder nicht. Isch war ein' schwer' Enttäuschung für meine Eltern. Soviel sie auch baten oder drohten - kein Fitzelchen Talent wollte sisch ßeigen. Also gaben sie es auf und mich zu Maître Grenouille in Pflege. Warum sollten Sie misch mitschleppen auf die Reisen, wenn isch nicht einmal zu etwas nütze war. So begann die angenehmste Zeit meiner Jugend...", er verharrte kurz in seinen Erinnerungen, "...und der größte Schrecken, den Maître Grenouille mir verpassen konnte war der Satz: "Wenn du nisch lieb bist, dann geben wir disch 'ßurück an dein Eltern!" Eigentlich waren die Grenouilles meine Eltern. Sie hatten einige Weinberge rund eine Woche von Gennuna entfernt am Oberlauf des Vieux. Ein guter, ehrlicher Wein wächst in dieser Gegend - den hier hat der alte Grenouille selbst noch gekeltert."
"Ein bemerkenswerter Tropfen", stimmte der Schamane ihm zu.

Erneut schweifte das Gespräch in Richtung Kriminologie, dann weiter zu den jeweils eigenen Fällen und nach einer Weile erzählte Pimire von dem Fall, in dem er selber für kurze Zeit als Verdächtiger für seine Kolleginnen herhalten musste. Erst im weiteren Verlauf der Ermittlungen hatte sich jemand, der ein Alibi zu haben schien, als Täter entpuppt. "Zum Glück hatten sie sich nicht zu früh festgelegt. Am besten ermittelt es sich, wenn man sich jederzeit gewärtig ist, dass man sich auch verrennen kann", schloss er seine Erzählung ab

"Ah, das erinnert misch an einen interessanten Fall", begann Houdini nun seinerseits, lehnte sich im Sessel zurück und sah in die Flammen im Kamin. "Eine Dienstbotin kam ßu uns. Ein ungewöhnlischer Fall, ne pas? Normalerweise sind sie loyal bis in die Gräten... "
"Knochen...", warf Pismire ein.
"Also gut - die Knochen. Auf jeden Fall kommt man bei ihnen normalerweise nischt weit. Sie sehen nichts, 'ören nichts und mit die Wache reden sie nischt, weil wir ja alle nur Plebs sind. Pöbel in die Augen ihrer feinen 'errschaften, und somit auch in ihren Augen."
Pismire nickte zustimmend. Nachbarn ja, die konnten hin und wieder gute Tipps geben. Zumindest redeten sie mit der Wache - und manchmal hörten sie auch wieder auf. Aber Personal? Nur in den seltensten Fällen. Stumm wie die Fische.
"Eine ßofe. Ein junges, aufgewecktes Ding. Aber nischt gut zu sprechen auf die Herrin. Im Laufe der Ermittlungen bekamen wir auch den Grund zu sehen. Zumindest unsere Gerichtsmedizinerin. Denn nur kurze Zeit nachdem sie hatte mit uns gesprochen ziehten - äh, zogten; egal - wir die junge Frau aus dem Vieux. Es sah so aus, als wäre sie in den Wasser gegangen. Wir fanden sogar eine Abschiedbrief fein säuberlich am Ufer deponiert. Allerdings fanden wir auch sehr schnell heraus, dass er ein' plumpe Fälschung war. Nischt gut gemacht", er schüttelte missbilligend den Kopf. "Dumm - wir wussten, dass die ßofe regelmäßig in den Tempel von Offler ging. Und in die dumme Brief stand, Anoia möge verßeien. Aber klar - für ein Person, die nischt weiter denken soll als die parfümierte Inhalt von eine Schubslade in ein' elegantes Bodouir kann es nur ein angemessene Göttin für das Personal geben: Anoia." Er zuckte vielsagend mit den Schultern.
"Pauvre Petit. Sie hatt' uns nischt alles gesagt. Und versucht ein bi'schen Extrakohle ßu machen. Erpressung."
"Ein weit verbreitetes Hobby."
"Ein tödlisches 'obby bei Mord - wenn du Pesch 'ast. In diesem Fall ging es nischt gut aus. Sie war ersäuft worden in die Badeßuber wie ein junger Katz. Unsere Madame Fouchette, die Medizinerin, bemerkte es, weil die Wasser in die Lunge nischt aus dem Vieux stammen konnte. Nischt das der Vieux sich kann messen mit das Ankh; man sagt, man kann im Ankh nischt ertrinken, weil man die feste Masse nischt bekömmt in die Nasenloch - oder wenn dann nur mit ein Schaufel und viel Gewalt. Aber das Wasser vom Vieux enthält Dinge, die 'ier in der Lunge fehlten."
"Immer eine gute Sache, die Flüssigkeit in den Lungen Ertrunkener gesondert zu untersuchen", warf Pismire nickend ein.
"Yapp. Aber isch schweife ab. Besagte ßofe kam in die Wache und sagte aus, ihre Herrschaft habe einen mäschtigen Streit gehabt in der Nacht. Sie beschriebte ein wüstes Handgemenge. Einen blutstockenden Schrei. Dann Stille. Scharren, Trappeln und hektische Geräusche aus die Bodoir. Und am nächsten Morgen die ungewohnlische Ankündigung, der junge Herr sei überraschend in eilige Geschäfte abgerufen worden nach Viericks. Und dass die Innendekorateur würde morgen kommen und die Schlafzimmer neu tapezieren wegen ein Waßerschaden an die Wand und bis dahin die Raum bliebe verschlossen."
"Du meine Güte - geht’s dümmer?"
"Kaum. Die Misstrauen war geweckt. Und die ßofe frage noch nach und kassiert ein' Kochpfeife..."
"Backpfeife?"
"Oder Backpfeife... und die Hinweis auf das 'eer stellungsloser ßofen da draussen, und sie beschließt, lieber ßu fragen die junge, stattlische Wächter mit die schicke Uniförm vor die Tür - wie sie uns sagte. Der schleift sie ßu die Kollegen und sie erzählt ein bissschen. Und alors wir gehen ein wenig schnüffeln."

Er griff zum Glas, dann zu den Keksen, lehnte sich zurück und schaute in das Kaminfeuer.
"Und?" Ungerührt und ungeduldig unterbrach Pismire das kontemplative Schweigen.
"Ah ja, wo war isch? Die Durchsuchung, mon vieux. Unter einem Vorwand verschafften wir uns Zutritt zum Haus und überwalzten die Dame des Hauses regelrecht. Wir schafften es sogar, in die verschlossene Raum mit der windigen Ausrede, der "Wipp-Disch"-Mörder sei auf dem Dach gesehen worden, ßu gelangen. Und voilá: Wir fanden einen tellergroßen Blutfleck mitten auf die Wand hinter die Ehebett."
"Und??"
"Rien - isch meine nix. Unser Experte überraschte uns mit die Ergebnis, das Blut könne mit Sischerheit nischt stammen von die verschwundene Ehemann..."
"...weil!? - Ich meine: Wie will er das denn festgestellt haben?" schoss Pismire dazwischen.
"Nun, weil das Blut stammte von ein Grenouille!"
"Einem Verwandten ihres Ziehvaters?" Verwirrtheit machte sich in Pismire breit, während Houdini in schallendes Lachen ausbrach.
"Oh, nein nein! Falsche Fährte. Isch suche dir rischtige Wort, was ist Frosch - Grenouille ist unser Wort für Frosch." Und als er sein verständnisloses Gegenüber bemerkte, präzisierte er, wobei er sich sichtlich um eine peinlich genaue Aussprache des Namens bemühte: "Also Precisement: Das Blut stammte von ein Gennuanischen Großzungen-Glasfrosch."
"Was um aller geringen Götter Willen habt ihr in Gennua für einen Experten, der nicht nur die Spezies, sondern auch noch die Art des Frosches an Hand eines Blutflecks an der Wand beurteilen kann?", fragte der Gerichtsmediziner gespannt.
"Maître Gonze Farceur - der renommierteste Küschenscheff von Gennua."
"Ein Koch?"
"Oui! Wer anders kann die Unterschiede schmeckten zwischen eine Fünffüßige Plattlingskröte und ein Bertelianische Großohrunke?"
"Ein Koch?!"
"Non, non - nischt ein Koch - der Koch von Gennua." Und als der Inspektor den immer noch manifesten Zweifel bei seinem Gegenüber sah, erläuterte er weitschweifig Details zur Amphibienverwendung in der Gennuanischen Küche, die Pismire mit einem leicht flauen Gefühl im Magen zurückließen. An Kröten lecken - keine Frage: Für eine Reihe von Schamanen - wenn auch natürlich nicht für ihn - war das eine adäquate Art, den abendlichen Rausch einzuleiten. Das hieß aber nicht, dass man gleich Dutzende dieser armen Viecher zu einem schmackhaften Ragout verarbeiten oder gar in gerösteter Form als knackiges Häppchen zwischen zwei Brötchenhälften schieben sollte.

"Da standen wir nun", fuhr Houdini fort. "Keine Leiche, nur ein unbrauchbarer Blutfleck. Also haben wir erst einmal gemacht die 'ausaufgaben. Und siehe da - nach dem fraglichen Abend hatte niemand den Herren mehr gesehen. Auch auf den Docks - er sollte doch mit dem Schiff nach Viericks gefahren sein - hatte ich keiner gesehen. Und das fraglische Schiff hatte - so sagte uns der Reeder - kein' Passagier an Bord genommen. Und noch interessanter - vor die 'Eirat mit eine junge, schöne und sehr, sehr reische Erbin hat ihn auch niemand je gesehen. Eine Mann aus die Nix."
"Niemand kommt aus den Nichts", warf Pismire ein.
Da Houdini über Pismires Vorgeschichte informiert war, nickte er zustimmend. "So ist es. Aber hier verlief alles Fragen im Sande - vielmehr im Sumpf. Nicht einmal den übelsten und erfahrensten Klatschreporterinnen vom "Bonne Vieux" war es anlässlich er Hochzeit einer der reichsten Erbinnen der Stadt mit einem absolut unbekannten Mann von offensichtlich so gar keinem Stand oder Vermögen gelungen, den Schatten über seiner Vergangenheit zu lüften. Und zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen fanden wir die tote ßofe."


Er nahm erneut einen Schluck Wein.
"Die Familie war reich und mächtig?", fragte Pismire nach.
"Oui. Tres puissante. Sehr, sehr einflussreich und enormer Reichtum."
"Da passt die dilettantische Ermordung der Zofe irgendwie nicht ins Bild. Ich nehme an, die Assassinengilde in Gennua hat nicht gegen den Auftrag eine Zeugin zu beseitigen?"
"Aber über'aupt nischt. Wenn du genug Kröten springen lässt, dann lösen sisch deine Probleme wie von allein. Gut, wir haben nicht unbedingt die Quittensache wie hier in der Stadt..."
"Quitten? Oh, ah, ja - die Gildenquittungen, die die Tötung offiziell legalisieren?"
Houdini nickte. "Bei uns erwartet man ein professionelles Verhalten von die Assassinen und alles geht seinen Gang. In der Regel ein 'äuslischer Unfall."
"Eben. Außerdem: Kein Assassine, der sein Handwerk versteht, arbeitet mit einem derart primitiv fingierten Brief."
Houdini stimmte ihm zu und nahm sich noch einen Keks.
"Was ergab die Obduktion genau?"
"Todesursache war letztendlich Ertrinken. Vorangegangen war dem eine Gewalteinwirkung auf den Schädel am Hinterkopf. Sturz - wie sich 'inter'er 'erausstellte. Die Verletzung hatte sie außer Gefecht gesetzt, tödlich wäre sie nur dann gewesen, wenn man ein' Arzt hinzugezogen hätte."
Der Gennuaner machte erneut eine Pause. "Die junge Frau hatte eine Reihe von Schlägen eingesteckt in der letzten ßeit. Aber das meist' mit der Gerte - war die Spezialität ihrer Herrin, wie wir peu-á-peu unter Zuhilfenahme des jungen, gut aussehenden Wächters über das weiblische Personal erfuhren. Unsere Ermittlungen führte der Tod der ßofe erst einmal weg von der Familie - wir hatten die Theorie, dass jemand drittes dahinter stecken müsse, weil die Familie die Gilde vermutlich hätte beauftragt. Wir haben weiterhin erfolglos versucht, den verschwundenen Ehemann zu suchen."
"Vermutlich ein stattlicher Bursche?", fragte Pismire.
"'ätte isch auch gedacht, aber nach der Beschreibung und dem angefertigten Steckbrief kann isch das direkt verneinen." Houdini lehnte sich zurück, schloss die Augen und zitierte aus dem Gedächtnis, wobei er die gennuanischen Maße direkt übertrug: "Größe 162 Zentimeter, Gewischt 52 Kilogramm, schmaler Wucht, sehr lange Beine mit großen, breiten Füßen, bleiche 'autfarbe, Vollglatze, hellgrüne Augen, ein bißschen hervorquellend und mit weitem Augenabstand, flache, breite und kurze Nase, breiter, schmallippiger Mund. Sehr kleine Ohrläppschen, kurzer, breiter Hals."
Pismire ließ die Beschreibung auf sich wirken. "Ach du meine Güte. Kein Vermöge, kein guter Stall. Muss verdammte andere Qualitäten gehabt haben."
"Oui. Vom Geschäft verstand er auch nichts..."
"Und die Eltern der Braut haben eingewilligt?"
"Um genau zu sein brachte die junge Dame ihren erwählten Galan eines Tages von eine' Ausflug mit, beharrte darauf, mit ihm vermählt zu werden und - isch sag mal salopp - zog das Projekt binnen einer Woche dursch. Isch 'abe mir das Interview mit ihr in der "Bonne Vieux" durschgelesen, bis isch es auswendig kannte. Sie nannte ihn ihren "Prince charming", erwähnte darüber hinaus, mit welchem Eifer er ihr geholfen habe eine verloren gegangenen goldene Kugel wieder zu finden, und dass sie ihm damit zu Dank verpflichtet sei und ihn ewig lieben werde und so blablabla."
"Erpressung? Hörigkeit? Trotz?", spekulierte der Schamane so ins Blaue.
"Zweiteres. Und dennoch ganz anders, als vermuteten", grinste Houdini.
"Dann...?"
"Isch muss ein wenig ausholen."

Pismire entkorkte eine weitere Flasche Wein. "Kein Problem. Der Abend ist jünger als wir beide...", woraufhin Houdini in sein leises Gelächter einstimmte, bevor er weiter erzählte.
"Nun, Gennua liegt in Mitten einer ausgedehnten Sumpflandschaft, bevölkert von wenigen Menschen und aberhunderten Sorten von Amphibien. Und dann gibt es da die mächtigen Voodoomagierinnen. Tres superpuissant. Mehr als mächtig. Außerdem gibt es da noch die ganzen Geschichten über die Prinzessinnen, die einen magischen Tierkönig heiraten und so zu Macht und Reichtum gelangen. Die sind in Gennua so verbreitet wie das Wasser im Sumpf. Diese Geschischten ziehen sie mit der Muttermilch ein. Stellen sie sich nun eine junge Dame vor. Reich. Alles was sie will, wird ihr in die Wiege gelegt, fällt ihr zu. Wunsch gedacht - schnipp - Wunsch erfüllt. Und auch ausgefallene Wünsche sind kein Problem. Und mit ausgefallen meine ich jetzt nicht ein' Kutsch' mit ein Dutzend Ponys. Vor einer ihrer Kutschen standen 12 nackte... Aber egal. Eines Tages macht sie einen Ausflug in die Umgebung und kommt zurück mit eine' junge Mann. Nur - das ist gar kein Mann, das ist ein Frosch."
"Wie bitte?" Pismire sah sein Gegenüber leicht fassungslos an.
"Sie 'aben rischtig ge'ört. Ein Frosch. Genau genommen ein Gennuanischer Großzungen-Glasfrosch."
"Großzungen?", fragte Pismire vorsichtig nach, so als traue er dem gehörten genau so wenig wie seinen Assoziationen dazu.
"Genau."
"Und die goldene Kugel war jetzt doch nicht das, was ich denke - oder?
"Aber ja. Ein' Metapher. Ein Bild. Sie können ja nischt gehen ßu ihre Eltern und sagen: "Der hier hat die längste Zuge der Welt, den Frosch will ich zum Mann, weil der so schön... - egal."
Die beiden sagen sich an und tranken synchron.
"Äh, vermutlich nicht."
"Natürlisch nischt. Also fährt man mit sein' Lieblingshaustier in die Sumpf zu Madam Zoe Morphism. Dort wechselt ein' Menge Gold den Besitzer - die Besitzerin. Und eine Winzigkeit Frosch die Gestalt. Und voilá, das Schoßtier ist nun präsentabel. Die Hochzeitsglocken läuten und sie lebten natürlisch nisch glücklisch bis an ihr Lebensende, weil die taumaturgische Feld hält nicht ewig. Und überhaupt: richtig präsentable sind sie nicht, die ehemaligen Lieblinge. Oder wollen sie sich bis an ihr Lebensende über Schmeißfliegen und so unterhalten?"
"Höre ich richtig? Ehemaligen - mit Nwie Nicht etwa im Plural, also mehrere?"

Houdini zuckte die Schultern. "Mindestens eine angeheiratete Verwandte des Herzogs hat dreimal das Derby gewonnen - allerdings nischt im Sattel. Und mindestens zwei weitere Fälle sind uns bekannt."
"Na dann Prost", kam der lakonische Kommentar des Schamanen, bevor er fortfuhr: "Also hatte sich ein reiches Mädchen einfach nur ihres überdrüssigen Haustiers entledigt. Und die Zofe?"
"Die Zofe war zur falschen ßeit am falschen Ort. Sie sah was passiert, half erst bei der Beseitigung der Säuerei, und vermutete dann, dass da noch mehr drin wäre als die paar Kröten..." Houdini prustete in seine Wein und erzählte dann weiter: "...und dachte sich, dass mit der Wache an ihrer Seite sie wäre mehr sicher. War es aber nicht. Es kam zum Streit, ihre Herrin griff zur Peitsche, die Zofe weicht zurück, stolpert dabei über den auf dem Boden stehenden Wasserzuber und schlägt sich am Kaminsims den Schädel auf."
"Aber warum dann diese idiotische Geschichte mit dem Selbstmord?"
"Weil die meisten Aufträge der Assassinen als Unfälle enden. Und die dumme Pute von Herrin wollte unangenehme Nachfragen vermeiden. Also stopft sie die Bewusstlose in den bereit stehenden Badezuber und hält sie unter Wasser bis sie tot ist. Dann die Leiche zum Vieux und ab damit. Und: Sie ist damit vor Gericht durchgekommen. Ein Unfall. Eine arme, ratlose Junge Frau in angespannte' Situation gerät in Panik und schafft es nischt ein ßofe, die bewußtlos in ein Badeßuber liegt herauszuholen. Und als sie das Ergebnis sieht, gerät sie in Panik und beseitigt die Leiche. Ihr verdammter Anwalt hat sie da sauber rausgehauen."
"Ärgerlich."
"In der Tat, aber das ist noch nischt das ende..." Houdini kicherte in dein Weinglas und nahm sich einen weiteren Keks, den er langsam und genüsslich verspeiste.
"Ein Jahr später machte die junge Dame erneut einen Ausflug in die Sumpf in Begleitung ihres Verlobten."
"Menschlich?"
"Vermutlisch... Aber das ist nischt die springende Pünkt. Und auf jeden Fall reiten sie so - 'oppa-galoppa - dahin und auf einmal fangen im Sumpf Frösche an zu quaken und ein besonders großes Exemplar springt auf den Weg und glotzt die Reiter an. Sein Pferd bleibt ruhig, aber ihr' Stute scheut, wirft sie ab, und sie fällt so unglücklisch, dass sie sich beim Aufprall den 'als brischt. Sie war sofort tot. Isch habe misch so gefreut, isch 'ätte die Pferd heiraten können."
Und als er Pismires entsetzten Blick sah, prustete er, tippte dem Hauptmann mit einem Keks aufs Knie auf und meinte augenzwinkernd: "Das war ein Scherz, Kollege, isch habe natürlisch die Frosch ge'eiratet."
[1] vgl.: "Gildenessen mit Folgen"

[2] Der Mord an ihrem Mann hatte letztendlich zu der Freundschaft zwischen ihr und Pismire geführt; nachzulesen in: "Der Todeskern"




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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

13.12.2016

Sehr unterhaltsam geschrieben. ^^ Ich mochte besonders gerne die Umsetzung des französischen Akzents und die Absurdität des vorgestellten Falles, der trotzdem wirklich gut ins bespielte Setting passte.

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