Berührt

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von Wächter Wilhelm Schneider (GRUND)
Online seit 13. 10. 2016
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 13. 02. 2014 datiert
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 Außerdem kommt vor: Rogi Feinstich

Manche Veränderungen sind groß und leuchtend und geschehen auf den Bühnen der Welt, im Rampenlicht. Andere Veränderungen sind es nicht. Sie passieren unauffällig, hinter den Kulissen, ohne Zuschauer. Doch es bewegt sich etwas! Dem großen, breiten Fluss des Zeitstroms stellen sich winzige Stromschnellen entgegen, Strudel, die das lautlos fallende Laub am Forttreiben hindern und es an Ort und Stelle auf der Oberfläche kreiseln lassen...

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Sie mochte ihn nicht. Aus Prinzip! Sie hatte zwar nicht vor, diesen Umstand im täglichen Miteinander zu betonen aber sie sah genauso wenig ein, deswegen sonderlich zuvorkommend mit ihm umzugehen. War ja schließlich nicht ihre Schuld, dass er ein Vampir war! Oder, dass er sich unbedingt bei der Wache bewerben musste. Immerhin konnte es ihm nicht ums Geld gehen. Soweit sie wusste, ging er neben seiner Rekrutenausbildung auch noch einer weiteren Tätigkeit nach, irgendwas mit Kleidung? Verkauf, Herstellung? Na, jedenfalls war er ausgelastet und versorgt. Anhand seiner eigenen Kleidung konnte man schon leicht erkennen, dass er nicht am Hungertuch nagte. Er konnte also jederzeit gehen, wenn ihm ihr Umgangston missfiel.
Die Ausbildungsleiterin nickte sich innerlich zu und schritt weiter zügig aus, auf der gemeinsamen Streife mit dem Neuen.
Wobei der Begriff Neuling ebenso wenig auf ihn zutraf, wie der Begriff Frischling. Er war jetzt schon ziemlich lange mit dabei, ohne erkennbare Ambition zu anspruchsvolleren Aufgaben, wie es schien. Trotzdem! Sie musste sich eingestehen, dass diese Unauffälligkeit ihn wahrscheinlich nicht daran hindern würde, in absehbarer Zeit damit zu beginnen, die Karriereleiter hochzurutschen. Sie litten extrem an Personalmangel und alles was man ihm ausdrücklich auftrug, erledigte er ordentlich. Weswegen sie sich endlich auch dazu durchgerungen hatte, persönlich mit ihm auf Streife zu gehen, um sich direkt ein Bild von ihm zu machen. Wenn sie ihn empfehlen wollte, kam sie nicht drum herum. Leider!
Rogi spürte seine neugierigen Blicke immer wieder von der Seite, während ihr kräftiger Tritt auf dem Kopfsteinpflaster sein ziegenlederweiches Schreiten nahezu überdeckte. Sie presste die Lippen fester aufeinander, biss die Zähne zusammen. Dann aber überwog das nervige Gefühl, belauert zu werden. Sie blickte stur geradeaus, als sie ihn anblaffte.
"Waf? Spuck's schon aus! Waf willst du wissen?"
Weder antwortete er ihr direkt, noch änderte sich etwas an dem Rhythmus seiner Schritte neben ihr.
Sie riskierte doch einen Blick.
Der unscheinbare Vampir betrachtete sie eindeutig belustigt!
Die Igorina blieb ruckartig stehen, mitten auf der Schlechten Brücke. Sie verschränkte ihre Arme vor sich, als wenn sie eine Barriere errichten müsste. Ob gegen von außen kommende Gefahren oder ob gegen ihren eigenen Drang ankämpfend, die bloßen Fäuste unheilvoll zu beschäftigen, war dabei nicht so recht zu erkennen.
"Irgendwaf ist irre lustig, ja?"
Der Rekrut legte den Kopf leicht schief und grinste.
"Wenn du meinst, Ma'am."
Ihr war bewusst, dass ihr Temperament seit ihrer Wiedererweckung mehr denn je die unseelige Tendenz aufwies, mit ihr durchzugehen. Bisher war das kein Grund zur Reue gewesen. Nicht wirklich. Der Rekrut vor ihr schien im Begriff, diese Statistik zu erproben.
"Haft du mich beobachtet oder nicht?"
"Natürlich, Ma'am. Das ist schließlich meine Aufgabe: Dich zu beobachten, um von dir zu lernen."
Er wusste ganz genau, welche Art von Beobachtung sie gemeint hatte! Das belustigte Funkeln in seinen Augen regte sie auf!
"Na los! Bring's hinter dich! Irgendwaf brennt dir auf der Zunge und lässt dir keine Ruhe. Du schaust ständig zu mir rüber, als wenn du ein Geheimnis lüften müsstest! Entweder du sprichst jetft. Oder du lässt ef! Nochmal frage ich nicht."
Die untergehende Sonne malte eine trügerische goldene Patina auf die Brücke und spiegelte sich in den wenigen Metallteilen an ihrer beider Kleidung. Der Rekrut hielt sich geschickt so, dass er die Sonne im Rücken hatte und sein Gesicht leicht verschattet lag. Er lächelte ganz offen.
"Hmmm... ich muss gestehen: Deine Stimmung scheint nicht angeraten für die Art Fragen, die mir vorschweben würden, Ma'am. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Risiko eingehen möchte, mir Handgreiflichkeiten seitens einer aufgeregten Vorgesetzten einzufangen... wie es eine gewisse, inzwischen verschollene Kollegin, bereit war."
Die Antwort verschlug Rogi Feinstich für einen Moment die Sprache.
Es gab nur eine Person, auf die solch eine Beschreibung hindeuten konnte. Und diese Person hatte, so weit Rogi wusste, niemals jemandem von ihrem Ausrutscher erzählt gehabt. Zumindest hatte sie niemandem freiwillig davon erzählt...
Wie konnte er nur so gelassen vor der Abendsonne posieren, wenn er nicht nur von Ophelias Problemen gewusst, sondern diese auch noch ausgenutzt hatte? Wenn er in deren Wesen eingedrungen war und ihre Geheimnisse gestohlen hatte? Wie konnte er da noch aufrecht vor ihr stehen und so überheblich grinsen? Sie wollte ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen, sofort!
Ihre Faust schnellte fast ohne bewusstes Zutun vor... und traf Luft!
Der Vampir stand ein winzig kleines, aber entscheidendes Stück neben der Stelle, wo er bis vor einer Sekunde noch gestanden hatte. Er schob ihre Faust mit flacher Hand und sanftem Nachdruck beiseite. Sie versuchte mit ihrer nicht unbeträchtlichen Igorkraft gegenzuhalten. Doch seine Muskeln zitterten nicht einmal dabei.
"Genau das meinte ich, Ma'am."
Sie trat einen Schritt von dem Vampir fort. Und noch einen. Ihr war klar, dass er ihr zweifellos ansehen konnte, wie angewidert sie war. Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn.
"Du warst in ihren Gedanken!" Eine Feststellung, keine Frage. Und er hatte die Dreistigkeit, es nicht einmal zu leugnen!
"Das war nicht schwer. Im Gegenteil. Es war viel komplizierter, ihrem Sog zu entgehen."
Ihre Schultern bebten, so schwer fiel es ihr, einigermaßen ruhig zu bleiben, ihn nicht wieder anzugreifen. Aber das wäre lächerliche Dummheit gewesen. Und sie mochte zwar aufbrausend und sehr spontan sein. Aber sie war nicht dumm!
"Wann? Wann warst du in ihren Gedanken?"
Vielleicht wusste er Neues?
Der Vampir beobachtete sie weiterhin mit diesem enervierend spöttischen Ausdruck und ließ sie bewusst warten. Endlich antwortete er doch noch.
"Bevor sie geholt wurde."
Ein Satz und sie spürte, wie ihre Wut in sich zusammensackte. Nicht, dass sie mit Neuigkeiten gerechnet hatte. Oder dass sie diese herbeisehnte! Sie wollte Ophelia in Sicherheit wissen, wünschte ihr alles Gute, natürlich! Aber das war illusorisch. Nach allem, was sie wusste und ahnte, wäre es für die empfindsame menschliche Kollegin besser, wenn sie inzwischen tot war.
Rogi erwiderte den Blick des untoten Kollegen.
"Wieviel weißt du, Wilhelm Schneider?"
Er versenkte seine Hände in den Hosentaschen und lächelte erfreut.
"Das kommt darauf an, Ma'am. Worüber sollte ich denn etwas wissen? Und worüber nichts?"
Sie rieb sich frustriert die Stirn und zwang sich dazu, tief Luft zu holen, bevor sie ihn erzwungen geduldig ansah.
"Würdest du sagen, dass du... einen Überblick über Oberfeldwebel Ziegenbergers Situation hattest?"
Er schien kurz über die Frage nachzudenken. Dann nickte er.
"Ja, so kann man das nennen, denke ich."
Einatmen, ausatmen.
"Und würdest du sagen, dass dieser Überblick auch... anderer Leute Angelegenheiten einschloss?"
Sie sah ihn scharf an.
Einer seiner Mundwinkel zuckte in die Höhe.
"Ja, Ma'am. Der Einblick, den die Dame in das eigene Leben und die Leben ihrer Freunde gewährte, schien mir sehr umfassend." Er legte wieder den Kopf leicht schief und grinste unverhohlen, wobei er ihr mit seinem nächsten Einwurf zuvorkam. "Mir scheint, die große Frage, die gerade im Raum steht, ist beinahe philosophischer Natur: Kannst du dich zu diesen Freunden zählen? Ma'am, vielleicht solltest du diese Frage selber beantworten? Ich meine... man kann nicht unbedingt behaupten, dass du so wirkst, als wenn du sie sehr, sehr stark vermissen und aufwändig suchen würdest."
Rogi weigerte sich, dieser Fragestellung ungebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Er wollte sie aus der Reserve locken? Sie würde den Spieß umdrehen! Diese Art von Spielchen hatte sie noch nie ausstehen können. Erster Schritt: Die Herausforderung ignorieren. Dass er ihre Schwächen überhaupt zur Sprache brachte... das war in gewisser Weise dreist.
Zweiter Schritt: Seine eigenen Motive hinterfragen, ihn in die Defensive zwingen! Leider fehlte ihr die wünschenswerte Gelassenheit, für unterkühlte Finesse. Die Frage purzelte gewissermaßen aus ihrem Mund heraus, ungeschönt und provokant.
"Bift du deswegen zur Wache gekommen? Noch näher dran am Geschehen? Die Profi-Ausführung einef gaffenden Schaulustigen?"
Der Vampir vor ihr verzog minimal das Gesicht, ein Ausdruck des Unbehagens huschte darüber. Und er zögerte eine Sekunde zu lange mit seiner Antwort.
Sie blaffte ihn an: "Dachte ich ef mir! Wie erbärmlich!"
Er schüttelte den Kopf, zum ersten Mal nicht mehr ganz so gelassen wie sonst.
"Unfug! Ich bin zur Stadtwache gekommen, weil diese Institution eine der drei großen Säulen der Macht in dieser Stadt ist und ich schon immer Bewunderung für deren ausgewogenes System hegte."
Seine Antwort mochte ernst gemeint sein - aber sie wischte nicht die zuvor aufgedeckte Wahrheit vom Tisch!
Rogi versuchte sich, trotz ihrer Wut auf diesen dreisten Vertreter der nervtötensten Spezies, zu konzentrieren. Wie waren sie auf dieses Thema gekommen? Ach ja, seine neugierigen Blicke! Sie hatte seine Sensationslust ungewollt angestachelt. Wollte sie jetzt wirklich noch wissen, was ihn bewegt hatte? Oder sollte sie die Streife einfach für beendet erklären, um weiteren Dreistigkeiten zuvorzukommen? Konnte denn überhaupt noch irgendetwas Gutes aus diesem Gespräch resultieren? Um Ophelias Willen? Nein! An diesen Punkt war sie in den letzten Monaten schon zu oft gelangt. Und sie hatte sich mehr als nur einmal versichert, dass sie rein gar nichts an dem Schicksal der ehemaligen Kollegin ändern konnte! Ophelia hatte sich auf die schlimmste Sorte Vampir eingelassen. Auf die Sorte, die eine Schneise der Zerstörung hinter sich herziehen konnte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Einer der mörderischen Alten? Hoffnungslos! Realistisch betrachtet war es einfach so. Sollten andere durch rosarote Traumschlösser tanzen und daran verzweifeln. Das war nicht ihr Ding.
Wilhelm Schneider beobachtete sie noch immer. Seine heitere Art war verflogen, geblieben war eine ungewohnte Ernsthaftigkeit. Er räusperte sich.
"Vielleicht hätte ich doch nicht davon anfangen sollen."
Jetzt war es an Rogi, ihn absichtlich noch etwas in seinem Unwohlsein schmoren zu lassen - sie schwieg mit gekreutzen Armen und funkelte ihn wütend an.
Er überraschte sie, als er den Kopf senkte und sich entschuldigte. So irgendwie halt.
"Die Angelegenheit geht mich im Grunde nichts an, ich weiß." Er blickte wieder auf und irgendwas in ihrem Verstand machte 'klick!' und sagte ihr, dass sie ihn nicht mehr loswerden würde. Er war nicht einfach nur neugierig. Er war mit hineingezogen worden! So wie Mina von Nachtschatten, die sich in die Suche nach Ophelia verbissen hatte. So wie Rach Flanellfuß, der an seinem Liebeskummer fast zugrunde ging. Wie... ja, wie sie selber, die sie sich gegen alles, was mit dem Thema zu tun hatte, sträubte. Sie alle reagierten auf die unterschiedlichsten Weisen auf diese unmögliche Situation. Aber sie hatten eben eines gemeinsam: Ophelia hatte ihr Leben nachhaltig berührt. Sie hatte sie berührt!
Die Erkenntnis löste sich wispernd von ihren trockenen Lippen und ihr fatalistischer Tonfall dabei hätte einer Grabinschrift Ehre gemacht: "Einer mehr..."
Der Rekrut zog die Augenbrauen leicht zusammen. Er wartete auf eine Erklärung. Die sie ihm aber nicht geben würde.
"Du weißt, dass es dich nichts angeht. Und bleibft trotzdem dran?"
Er verteidigte sich vorsichtig.
"Die Dame hatte Einfluss auf das, was im Wachhaus geschah. Man kann immer noch den Wellen nachspüren, die sie hinterlassen hat. Ihr alle reagiert auf bestimmte Reize, als wenn da an ihrer Statt ein dunkles Loch verblieben wäre, in das man hineinfällt, wenn man sich nicht fest genug an Alltägliches klammert! Und ausgerechnet ich soll so tun, als wenn nichts wäre?"
Sie schnaufte abfällig. "Fie hat sich auch in deinen Kopf geschlichen, in gewisser Weise - und hockt dort noch immer drin! Willft du den strahlenden Retter mimen? Du hast keine Ahnung von gar nichts aber mitmischen wollen? Vergiss ef! Im Ernst! Vergiss ef!" Sie schüttelte demonstrativ den Kopf. "Du bift dabei, einen großen Fehler zu machen."
Natürlich kam so ein Ratschlag gar nicht gut an. Ein Igor, der einen Vampir belehren wollte? Seine Miene verschloss sich zusehends.
"Wenn es nur darum geht, Ma'am? Ich bin durchaus bereit, mich selber um meine Fehler zu kümmern. Denn die gehen wiederum nur mich etwas an!"
Sie winkte ab.
"Fon gut! Tu', was du nicht lassen kannst! Misch dich in anderer Leute Angelegenheiten ein. Aber," und dabei hob sie den Zeigefinger und richtete diesen so langsam auf seine Brust, dass er nicht auswich, ehe sie drohend zischte: "...komme mir dabei nicht in die Quere! Mich lässt du mit dem ganzen Mift in Ruhe!"
Er blickte auf ihren Finger hinab, der noch immer auf seiner Brust ruhte. Dann trafen sich ihre Blicke wieder. Das altvertraute Grinsen eroberte seine Gesichtszüge zurück und sie zog ihre Hand hastig zurück.
"Sehr wohl, Meister... äh, Ma'am! Nur für den Fall der Fälle: Falls du mal Hilfe beim Verdrängen lästiger Erinnerungen oder freundschaftlicher Gefühle nötig haben solltest... was sehr unwahrscheinlich scheint... aber falls doch... ich stehe gerne zur Verfügung! Ma'am! Als Vampir kenne ich mich damit aus." Und dann hatte er doch tatsächlich die Dreistigkeit, zu zwinkern!



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