Rasant, Rasant, Herr Laborant

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von Hauptgefreiter Huitztli Pochtli (SUSI)
Online seit 11. 09. 2016
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 11. 09. 2014 datiert
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 Außerdem kommen vor: Rabbe SchraubenndrehrPismire

Vorbemerkung:
Vor etwas mehr als sechs Jahren fasste ein gewisser Wasserspeier mit Taubenallergie den Entschluss, sich auf dem Feld der Laborsarbeit zu versuchen.
Er hat es versucht, bis heute. Endlich bringt er Ergebnisse...

Zur Single:
Was macht ein Mann, der schon alles hat?

Dafür vergebene Note: 12

Das weiße Spitzentaschentuch sank langsam zu Boden, entfaltete sich und sah dabei aus, wie ein Oktopus mit eingesticktem Monogramm, der über einen hölzernen Seeboden gleitet. Nur eine Sekunde später folgte dem Tuch der schwere Körper eines recht voluminösen Mannes in einem teuren dunkelgrünen Samtanzug. Wie ein nasser Sack platschte er auf die groben Dielenbretter und der aufgewirbelte Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch das Oberlicht hereinfielen und den überladenen Arbeitstisch und den soeben Gestürzten in ein warmes Licht tauchten. Bei seinem Sturz hatte der Mann einige Gläser mit Tierpräparaten vom Tisch mit sich gerissen. Etliche waren zerbrochen und hatten, neben ihrem tierischen Inhalt, auch eine durchsichtige Flüssigkeit auf dem Boden verteilt.

Genau zu diesem Zeitpunkt tänzelte Sollhelm Otkar Lingen, seines Zeichens Assassine i. A. im zweiten Lehrjahr den Dachfirst des Vereinshauses der wohlorganisierten Blumenzüchter entlang. Das Gebäude bildete insgesamt ein großes Quadrat mit einem offenen Innenhof, einem mehr als üppig bepflanzten Blumengarten. Der hier produzierte Geruch war wie eine Oase inmitten einer Wüste des Gestanks. Der Schwierigkeitsgrad für 'geschickte Fortbewegung über die Dächer' war hier eher gering. Ungleich höher jedoch war das Risiko, von einem der gegenüberliegenden Gebäudeflügel aus gesehen beobachtet zu werden.
Er duckte sich hinter einen Schornstein, um eine kurze Pause einzulegen, tief durchzuatmen und seine weitere Route festzulegen. Gedämpft drangen von unten Stimmen herauf, aber so weit oben konnte er nicht verstehen, was sie sagten. Wie von selbst suchten die Finger der linken Hand in der Tasche seiner Weste nach dem Tabaksbeutel und dem Zigarettenpapier. Ein paar kurze Handbewegungen später förderten sie eine frisch gedrehte Zigarette hervor. Er ließ seinen Blick über die vielen Dächer der Stadt schweifen und seiner Phantasie freien Lauf:
'Seid ohne Sorge, ihr Bürger Ankh-Morporks. Ihr könnt beruhigt sein, denn ich habe keinen Auftrag für euch. Noch nicht...'
Während seine Gedanken weiter kreisten, vermischte sich der Rauch seiner Zigarette mit dem aufsteigenden Qualm aus dem Kamin und sein Blick fiel auf das Nachbargebäude. Das Institut für Angewandte Extraktion von Ressourcen der Natur versprach eine Herausforderung der Stufe Drei zu sein. Der Sprung auf das etwas niedriger gelegene Dach würde wegen der Entfernung einen Anlauf erfordern und damit das Risiko, dabei gesehen zu werden, weiter erhöhen. Er drückte die Kippe an den Backsteinen aus und zog sich einige Schritte zurück. Dann sprintete er geduckt los. Zu spät stellte er fest, dass irgendetwas seinen Blick trübte und die Atemwege beeinträchtigte. Noch im Flug von Dach zu Dach überfiel ihn ein Niesanfall ungeahnten Ausmaßes und seine exakt voraus kalkulierte Flugbahn veränderte sich von einem auf den anderen Moment in eine unkontrollierte Notlandung. Statt wie beabsichtigt mit den Füßen auf dem Dachfirst zu landen, prallte er mit dem Oberkörper auf die darunter liegenden Ziegel und begann unmittelbar abzurutschen. Diverse Dachziegel lösten sich aus ihrer Lage und rutschten vom Dach. Im letzten Moment bekam er die Regenrinne zu fassen und bekam gerade noch mit, wie die Ziegel mit einem lauten Knall auf dem Kopfsteinpflaster weiter unten zerbarsten. Er hangelte sich zu Seite, bis er das Flachdach des Seitenflügels nebenan erreicht hatte. Mit pumpenden Lungen lehnte er fluchend gegen die verputzte Mauer und putzte sich erst einmal ausgiebig die Nase in seinen rechten Ärmel. Er begriff jetzt, warum der Ausbilder maliziös gelächelt hatte, als er den Verein der Blumenzüchter als einen der fixen Zwischenstation auf seiner ansonsten freien Trainingsroute nannte. Das Tränen der Augen ließ inzwischen spürbar nach.
In regelmäßigen Abständen erhoben sich Oberlichter auf dem Flachdach und er beschloss, diesem Weg weiter zu folgen. Seine missglückte Landung war seinem Ausbilder mit etwas Glück verborgen geblieben, immerhin war er nicht als einziger Schüler unterwegs auf den Dächern der Stadt. Im schlimmsten Fall würde sie zu Punktabzügen führen, sollte dies nicht der Fall sein.
Er spähte durch eines der Dachfenster und wurde Zeuge einer Szene, die er eigentlich ab dem dritten Lehrjahr zu erwarten hatte – dem echten gewaltsamen Tod eines Menschen. Die Art und Weise des Dahinscheidens rief ihm einen, wenn nicht den elementarsten aller Lehrsätze der Gilde ins Gedächtnis Nil mortifi, sine lvcre.
Ohne ordnungsgemäß beauftragt und bezahlt zu werden, würde ein Assassine nicht aktiv werden. Man betrachtete es mir Argwohn, wenn jemand anderes als ein Gildenmitglied inhumierte. Und dieser jemand sollte sich dabei definitiv nicht erwischen lassen, wenn er das gegen Geld tat. Manche Assassinen setzten damit auch daraus gewonnene nicht-geldliche Vorteile gleich. Der Mann war eindeutig an einer Vergiftung gestorben, daran bestand für ihn angesichts der hervorgetretenen Zunge und der Art, wie sich sein Körper auf dem Boden verkrümmt hatte, kein Zweifel. Allenfalls daran, ob es sich tatsächlich um einen Mord handelte. Er würde es melden müssen. Aber, sollte sein Ausbilder tatsächlich seinen Fauxpas nicht mitbekommen haben, würde er ihn sicherlich enttäuscht fragen, warum er das Flachdach anstelle des Dachfirsts gewählt hatte. Und darauf wollte er ihn nun wirklich nicht stoßen. Er musste also eine Alternative finden und die fiel ihm unverhofft ins Auge, als er von oben die Helme zweier Wächter erspähte, die die Gasse zwischen den beiden Gebäuden durchschlenderten.

Weniger als eine Stunden später war der Ort des Geschehens von den herbeigerufenen Wächtern abgeriegelt und die Meute neugieriger Naturkundler verscheucht worden. Hauptmann Pismire beugte sich über den Toten. Er klopfte auf eine deutliche Ausbuchtung in seinem Umhang und erntete ein leises Vibrieren als Bestätigung. Sein Disorganizer war demnach aufnahmebereit.
"Das Gesicht kenne ich doch...", stellte er halblaut fest."Das ist Strotz, der Präsident dieses Instituts, wenn ich mich nicht irre. Der ist noch gar nicht so lange im Amt."
Er machte eine Notiz auf seinem Klemmbrett unter der Rubrik Name der/des Verstorbenen
"Sein Gesicht ist lila verfärbt. Scheint erstickt zu sein. Den Grund kann ich hier jedoch nicht erkennen."
Der Disorganizer summte erneut, als er die Notiz registrierte. Er richtete sich auf und sah sich um.
"Was hat er wohl zuletzt getan hat, bevor es ihn erwischte?", sinnierte er.
In diesem Moment verdunkelte sich der Raum etwas und kurz darauf blitzte es. Pismire sah nach oben zum Dachfenster.
"Verdammte Reporter. Holt den da runter! Und konfisziert seine Kamera!", donnerte der Hauptmann. Die beiden Wächter an der Tür sprinteten davon.
Tussnelda von Grantick ließ ihren Blick über den großen Tisch schweifen.
"Schwer zu sagen, was genau er zuletzt hier in diesem staubtrockenen Labor getan hat. Hier stehen eine Menge Gläser mit allerlei komisch aussehenden eingemachten Tieren rum. Irgendwie schauerlich. Vielleicht hat er an denen gearbeitet.", schlug sie vor.
"Nein, eher nicht.", gab Pismire zurück,"Strotz…", er deutete auf die Leiche,"…ließ arbeiten, selber hat er sich kaum die Hände schmutzig gemacht."
"Höchstens beim Geld zählen!", krähte es dumpf aus seiner Jackentasche.
Pismire ignorierte den vorlauten Kobold und seufzte innerlich. Das hatte er nun davon, dass er ihn die Tageszeitung gelegentlich mitlesen ließ. Er drehte sich zu Avalania von Gilgory um,"Irgendeine neue Erkenntnis zu der Frau, die um Hilfe geschrien hat? Haben Ikari und Chi Petto sie inzwischen ausfindig machen können?"
"Nein, anscheinend noch immer nicht. Es handelt sich offenbar aber um niemanden aus dem Institut, denn das hier,", sie machte eine halbkreisförmige Armbewegung,"ist ein reiner Männerverein. Sie haben wohl eine Putzfrau, aber die ist nur einmal in der Woche da und dann nur Morgens. Und zwar unter Aufsicht."
"Nun gut, packt bitte all das Zeug um die Leiche ein, auch die zerbrochenen Gläser. Ich kümmere mich dann auf der Wache um den da."
Er nickte in Richtung Leichnam. Ava nickte bestätigend.

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Ein paar Stunden später trocknete sich Pismire die Hände mit dem Handtuch ab und zog dann die vorbereiteten Handschuhe über. Der nackte Leib des Toten lag auf dem Tisch, beleuchtet vom Schein mehrerer Lampen.
Überaus dominant stach das die lilafarbene Verfärbung seines Gesichtes und der Halspartie ins Auge. Die Zunge des Mannes stand aus seinem Mund hervor, als habe er sie dem Tod herausstrecken wollen.
"Bääääääääh.", sagte eine dünne Stimme gedehnt aus dem Disorganizer, der an einer Schnur über dem Tisch hing. Der Hauptmann drehte das Gerät herum und sah den Kobold, der den Toten nachahmend die Zunge herausstrecke.
"Lass den Unsinn. Bereit?"
Der Kobold nickte.
"Dann wollen wir mal. Hmm…", sagte Pismire halblaut, als er versuchte den Mund des Toten weiter zu öffnen,"Die Zunge ist mehr als nur angeschwollen, sie füllt die Mundhöhle anscheinen vollkommen aus."
Mühsam drückte er einen Finger in die Mundhöhle und fühlte darin herum.
"Kein Platz. Atmen konnte er durch den Mund mit Sicherheit nicht mehr."
Er wischte seine behandschuhte Hand an einem Tuch ab und griff nach einem Skalpell. Dann setzte er mehrere Schnitte am Hals und legte den Kehlkopf frei. Dann öffnete er auch diesen und betrachtete das Innere.
"Die Zunge ist bis in den hinteren Hals vergrößert. Durch die Nase zu atmen, war ihm also auch nicht mehr möglich. Er musste also wohl ersticken. Was kann das bloß verursacht haben?"
Er stach mit einer Spritze in eine Vene und zog unter einigen Schwierigkeiten etwas Blut heraus. Das Blut hatte bereits begonnen zu verklumpen. Er füllte das Blut in ein Reagenzgläschen und verkorkte es. Dann widmete er sich dem restlichen Körper.

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Es schepperte vernehmlich, als die Rekruten weitere Kisten mit Glasscherben im SuSi-Labor aufstapelten. Es waren bereits mehrere hohe Stapel entstanden.
"Hey!", schnappte Lady Rattenklein,"Ihr seid hier nicht als Dockarbeiter angestellt. Das sind Beweismittel! Geht gefälligst vorsichtig damit um!"
Die Rekruten zuckten zusammen und duckten sich, als habe man ihnen die Peitsche übergezogen und schlichen aus dem Labor.
Huitztli Pochtli watschelte herein ebenfalls eine Kiste in seinen Klauen.
"Das ist die letzte. Was nun?"
"Na, was denkst du denn?"
"Unter… suchen…?", wagte er eine vorsichtige Prognose.
"Nein, erst wird alles erfasst. Papierkram. Und zwar jede Menge davon… Die zerbrochenen Gläser musst du irgendwie zusammen puzzeln und herausfinden, welche Proben darin waren. Das mit dem Untersuchen kommt danach."
Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich auf ein Klemmbrett, gegen das sie lehnte. Es enthielt viele Formulare. Sehr viele.
Huitztli schaute erst auf das Klemmbrett und dann auf die fünf turmhohen Kistenstapel mit Probengläsern, Werkzeugen und Unterlagen. Alles in allem mehr als fünfzig Kisten.
"Bis Morgen", verabschiedete sich Lady Rattenklein und sprang vom Tisch herunter. Huitztli beschlich eine Ahnung, dass die Bemerkung durchaus doppeldeutig gemeint sein könnte.

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Magane betrat gegen neun Uhr morgens das Wachhaus und stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Enttäuscht, wenn auch nicht sehr, stellte sie kurz darauf fest, dass das Eingangskörbchen in ihrem Büro zwar einen ersten Bericht von Pismire zum kürzlich verblichenen Präsidenten des Naturkundeinstituts enthielt, nicht jedoch eine einzige Notiz aus dem Labor zu diesem Fall.
Seit dieser Wasserspeier beschlossen hatte, sich als Laborant zu versuchen, hatte sie von keinen weiteren Fortschritten gehört. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass dieser Zustand bereits seit mehr als sechs Jahren bestand. Was hatte dieser Kerl in der Zwischenzeit eigentlich getrieben? Ihr war bewusst, dass das Labor nicht ihr Ressort war, aber immerhin trug sie die Verantwortung für die gesamte Abteilung. Sie beschloss, dem auf den Grund zu gehen und verließ ihr Büro in Richtung des SuSi-Labors.
Im Gang vor dem Labor standen ein Dutzend Wächter und tuschelten miteinander. Jeder von ihnen versuchte einen Blick hinein zu werfen. Als sie Maganes ansichtig wurden, erinnerten sie sich plötzlich wieder ihrer eigentlichen Pflichten, salutierten verlegen und flüchteten aus dem Gang.
Im Labor war der gesamte Boden und jede andere freie Fläche auf den Tischen und Regalen bedeckt mit Papieren, auf denen sorgfältig Glasscherben drapiert worden waren. Es mussten hunderte sein. Nur schmale Pfade ermöglichten es, sich im Labor zu bewegen. Magane ließ ihren Blick schweifen.
"Was ist denn verdammt noch mal hier los?", fragte sie laut.
"Oh, Feldwebel. Guten Morgen… glaube ich.", kam Huitztlis Stimme von schräg oben hinter ihr.
Der Wasserspeier stand auf einer Leiter und schob auf dem Regal noch mehr Glasscherben hin und her.
"Ha! Hab ich dich! Ich wusste doch, dass ich diesen kleinen Racker irgendwo in Unterplanquadrat C2 gesehen habe!", sagte er unvermittelt und Magane zuckte etwas zusammen.
Er hielt eine in etwa halbrunde Glasscherbe in die Höhe, die wohl einmal ein Deckel gewesen sein mochte.
"Feldwebel, würdest du bitte…?", fragte er nach unten.
Magane schaute irritiert.
"Das Posteingangskörbchen.", ergänzte Huitztli,"Dort auf dem mittleren Regalbrett rechts von dir."
Magane wandte sich um, erspähte den gewünschten Gegenstand und griff ihn sich. Sie hielt das Holzkörbchen in die Höhe und Huitztli legte vorsichtig die Scherbe darauf ab.
"Danke, Feldwebel. Das vervollständigt endlich Glas Nummer Neun. Das letzte."
Er kletterte von der Leiter herunter und nahm Magane das Körbchen ab. Er trippelte den Pfad entlang zur gegenüberliegenden Seite des Labors und gesellte die gefundene Scherbe zu einem Haufen anderer Bruchstücke auf einem Blatt mit der Aufschrift 'PQ102, B12'.
Magane folgt ihm vorsichtig und betrachtete all die Blätter nun genauer. Sie bemerkte, dass die Scherben auf jeder einzelnen Seiten jeweils zueinander gehörten. Der Wasserspeier hatte sie einander zugeordnet.
"Was hast du aus meinem Labor gemacht, du törichter Wasserspeier?", peitschte die Stimme von Lady Rattenklein plötzlich von der Tür her durch den Raum.
Huitztli wirbelte herum.
"Aber … ich sollte die Gläser doch zusammen puzzeln…", stotterte Huitztli eingeschüchtert.
"Musstest du dafür aber das gesamte Labor in Beschlag nehmen? Ich kann hier ja jetzt nicht einen Fuß mehr vor den anderen setzen!"
"Hast du das auch erwähnt, als du ihm gesagt hast, er solle ?", fragte Magane mit hochgezogenen Augenbrauen.
Lady Rattenklein klappte den Mund mehrmals auf und zu. Dieses Argument war leider stichhaltig. Huitztli war bekannt dafür, Sachen wörtlich zu nehmen. Und sie hatte tatsächlich versäumt, ihm zu sagen, er solle dafür nicht gleich das gesamte Labor belegen. Eigentlich konnte sie froh sein, dass er nicht auf die Idee gekommen war, weitere Räume im Wachhaus in seine Arbeit einzubeziehen.
"Wie hast du das eigentlich so schnell geschafft, die Scherben einander zuzuordnen?", fragte sie stattdessen.
"Ich habe auf die Hilfe von Gnurbkurz zurückgegriffen.", antwortete der Wasserspeier und hielt einen ziemlich abgeschabten Disorganizer älterer Generation in der rechten Klauenhand hoch. Aus dem kleinen vergitterten Fenster grinste das Gesicht eines Kobolds voller Stolz in die Runde. Der Kobold streckte seine winzige Hand heraus und Huitztli drückte seine linke Zeigeklaue dagegen.
"Gnurbkurz hat vorgeschlagen, das Labor in Planquadrate einzuteilen und diese wiederum in Unterplanquadrate zu unterteilen. Daher die vielen Blätter. Dann habe ich alle Scherben erst mal auf die Blättern verteilt und Gnurbkurz dann eines nach dem anderen ansehen lassen. Er hat sie dann mit der Liste verglichen, die ich zu den ganzen Scherben anlegt habe."
Huitztli lief zu einem Tisch, auf dem eine Kladde lag, in die viele Papierseiten geklemmt waren. Eng aneinander gefügte Zahlenkolonnen füllten die Seiten.
"Wir sind die Liste dann durchgegangen und haben eine Scherbe nach der anderen zugeordnet, bis alle Gläser wieder zusammengesetzt waren. Ich kann jetzt sagen, dass es sich um insgesamt siebenundneunzig Gläser gehandelt hat. Es sind weit weniger tierische Überreste gesichert worden, als es Gläser gibt. Ich vermute daher: Viele der Gläser enthielten noch keine Präparate."

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Rabbe Schraubenndrehr betrachtete im Vorbeigehen die Gesichter des Kollegiums des Naturkundemuseums, die auf den Stühlen entlang des Gangs im zweiten Stock der Pseudopoliswache saßen und auf ihre Vernehmung warteten. Es handelte sich durchweg um ältere Herren und sie alle wirkten etwas versnobt und demonstrativ gelangweilt. Ihre Kleidung bestand überwiegend aus dunkelblauen oder –braunen eleganten und sehr teuren Stoffen. Teure Krawattennadeln blitzten, manche mit Brillanten besetzt, und wetteiferten mit goldenen Uhrketten. Nur ein Mann stach aus der Masse heraus, wie ein farbiger Leuchtturm aus einer Nebelbank. Er trug eine etwas abgetragen wirkende Hose, eine schreiend bunte Weste und eine lilafarbene Fliege mit gelben Tupfen. Ein Kranz wild abstehender weißer Haare wucherten von seinem Kopf und sahen aus, als seien sie sämtlich auf der Flucht.
Deutlich war zu erkennen, dass die übrigen ihn mieden und so saß er etwas abseits von den übrigen. Rabbe betrachtete ihn eingehender. Sein Blick hatte etwas Nervöses.
‚Hmm… Einer von euch hat den Fettsack auf dem Gewissen, das fühle ich ganz deutlich. Und du bist momentan der Spitzenkandidat‘, dachte sie bei sich.
Die Tür zu Büro 207 flog auf und ein sichtlich genervtes Kollegiumsmitglied verließ den Raum.
"Der nächste bitte", sagte ein müde aussehender Ettark Bergig, der ihm aus dem Büro folgte.
Direkt gegenüber der Bürotür erhob sich ein Mann mittleren Alters, dessen Haare mit so viel Gel an den Schädel geklebt waren, dass es wirkte, als trüge er eine schwarzmelierte Badekappe.
"Das bin dann wohl ich."
"Machen Sie sich nicht lächerlich, Hint!", warf ein anderer ein. Ein mächtiger Rauschebart verdeckte den größten Teil seines Gesichts.
"Aber, Kunt, die Reihenfolge der Sitzordnung…", versuchte der Mann einzuwenden und wies in beide Richtungen des Gangs.
"Die Statuten des Instituts geben enthalten eine klare Regelung zur Hierarchiefrage!", dozierte der andere mit geschlossenen Augen und fuchtelte dabei mit dem rechten Zeigefinger.
"Das stimmt, Paragraph Zwei-Null-Neun, Absatz Zwölf, Satz Neunzehn-L regelt dies ausdrücklich…", pflichtete ihm ein beinahe kahler Mann zu seiner Linken bei.
Mit geschwellter Brust schaute sich Kunt bestätigend um.
"… jedoch, hier kommt meines Erachtens Absatz Zweiundzwanzig, Satz Einhundertzweiunddreißig desselben Paragraphen zur Geltung ", zitierter der Kahle aus dem Gedächtnis.
Das Gesicht von Kunt wurde zu einem Ausdruck unendlicher Enttäuschung, als Hint im Triumph an ihm vorbei zu Vernehmung in das vakante Büro schritt.
"Wer hätte das gedacht? Sind die doch tatsächlich genauso bescheuert, wie die Zauberer an der UU.", sagte Olga-Maria Inös spöttisch von der Tür des benachbarten Büros her.

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Es war schummrig im Séparée des Café Klatsch. und Rauchschwaden waberten zwischen den schweren Vorhängen. Den dürftigen Sichtverhältnissen gab dies den Rest. Die drei Personen, die hier zusammen saßen, kannten sich untereinander, zogen es aber dennoch vor, bei dem, was hier besprochen wurde, nicht beobachtet zu werden. Und sei es, von einem der ihren.
"Es ist vollbracht."
"Das ist es."
"Der Mann war indiskutabel."
"Das war er."
"Es gilt nun, den Zwei-Punkte-Plan in Gang zu setzen, den wir bei unserer letzten Zusammenkunft beschlossen haben."
"So ist es."
"Welchen Schritt gehen wir als erstes?"
"Phase Eins betrifft den Sündenbock. So haben wir es festgelegt."
"Das haben wir."
"Phase Zwei berührt dann die Nachfolge."
"Das tut sie."
"Bei den Göttern, Ku…", wollte eine der im Nebel Steckenden losdonnern, bevor ihm ein anderer ins Wort fiel.
"Keine Namen!", unterbrach ihn der Dritte im Bunde.
"Bei den Göttern, … K.", wiederholte der sich nun gedämpfter, aber doch noch immer mit Nachdruck,"Ihre Einsilbigkeit ist enervierend. Ich darf doch um etwas mehr Engagement bitten."
"Wie sie wünschen. H..."
"Wir werden die Kretins der Stadtwache schon auf die richtige Fährte bringen. T... hat ihre Aufmerksamkeit bereits erregt. Da bedarf es nur noch weniger weiterer Hinweise, ihn vollends in deren Fokus zu rücken."

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Huitztli brütete über den Ergebnissen der Abstriche, die er von diversen Glasinnenseiten der Scherben genommen hatte. Die weitaus meisten waren unauffällig, nur bei zweien hatte er Gift gefunden. Das eine stammte von einem Tiefseeblähfisch und das andere von einer Ankh-Schnecke, deren Sekret eine äußerst heftige allergische Reaktion verursachen konnte. Beide schieden für ihn als Ursache für den Tod von Strotz aus. Seines Wissens war er weder ballonartig angeschwollen und explodiert, noch hatten sich auf seiner Haut die typische allergische Rötung gezeigt und der typische Ankh-Geruch manifestiert.
Sein Besuch bei Pismire in der Gerichtsmedizin wenig später bestätigte seine Annahme. Wie erwartet, hatte die Untersuchung der Blutprobe ergeben, dass beide Substanzen ausschieden. Er bat Pismire daher um weitere Abstriche. Diesmal von der Kleidung, dem Gesichtsbereich und den Händen des Toten.
Im Labor analysierte er die Abstriche der Kleiderproben, fand jedoch zum überwiegenden Teil das, was zu erwarten war: Ruß, Staub und Straßendreck. Bei den Proben um die Nase herum und an den Händen wurde er jedoch fündig. Eine weißliche Substanz, leicht pudrig, hatte Pismire dort entdeckt. Die Farbe des Puders unterschied sich kaum von der Farbe der Haut und war deswegen zunächst gar nicht aufgefallen.
Unter dem Mikroskop wiesen die einzelnen Körnchen, aus denen das Puder bestand, auf ihrer Oberseite eine schuppenartige Konsistenz auf. Ihre Unterseite hingegen verjüngte sich zu einer Art Dorn. Huitztli notierte ‚unbekanntes Puder, kristallin?‘ in seinen Laborbericht.

Am nächsten Morgen blätterte Huitztli durch die wuchtige Kopie bereits des fünften Bandes des Almanachs der Alchimistengilde. Auch in diesem Exemplar waren einige der Seiten des speckigen Buches angesengt, andere voller Flecken mit einem Potpourri unterschiedlichster Geruchsnuancen. Huitztli hatte die Nasenklammer, die an einem Lesezeichen klemmte zunächst nicht verstanden, bis ihn Lady Rattenklein darüber aufgeklärt hatte.
"Einem Gefreiten hat es mal die Nasenhaare gebleicht, als er seine Nase zu tief in die Seiten vergraben hat. Angeblich ist seitdem sein chronischer Schnupfen verschwunden. Seine Nasenschleimhäute wahrscheinlich mit ihm.", hatte sie ihm damals erklärt.
Huitztli konnte das nicht nachvollziehen. Er verfügte zwar über einen Geruchssinn, hatte jedoch kein Bewertungssystem für Wohl- oder Ekelgeruch.
Auch auf keiner der Seiten in diesem Buch hatte er die benannte Substanz finden können. Er seufzte, rutsche vom Bürostuhl und wuchtete ächzend den Almanach zurück ins Bücherregal. Automatisch griff er zum nächsten Band und schleppte ihn zum Tisch. Überrascht sah er, dass der Einband ganz anders gestaltet war, als der Almanach. ‚De Insectibus – Vohn den Insekktän‘ stand darauf. Er blätterte durch den Folianten. Viele Zeichnungen, teilweise in bunten Farben befanden sich darin. Als er am Ende des Buches angekommen war, stieß er nur durch Zufall beim Zuklappen auf der Innendeckseite auf etwas Seltsames. Ein schwacher weißlicher, nur aus einem bestimmten Winkel erkennbarer Ring zeigte sich auf der linken Seite. Der Durchmesser entsprach in etwa der einer Kaffeetasse. Jemand hatte Notizen dazu geschrieben und der Text warnte eindringlich davor, die Haut mit der dort verewigten Substanz in Berührung zu bringen. Der Ring sei die Hinterlassenschaft eines bestimmten Insekts, einer Raupe. Auf der Rückseite befand sich eine Abbildung des Tieres und sein Name ‚Thraumatopoea processionea Pinacea Calculans‘. Huitztli hatte noch nie davon gehört. Die Handschrift indes erkannte er sofort, es waren die feine grazile Buchstaben des Professor Toit[1]

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Rabbe und Remedios saßen sich im Büro gegenüber und diskutierten hitzig den Fall.
"Toit sagst du, heißt der Mann?", wiederholte Rabbe angesäuert.
Seit Romulus von Grauhaar sie quasi zur Zusammenarbeit mit Remedios nach dem Motto 'Friss oder Stirb' gezwungen hatte, war ihre Laune gesunken und ihr Whiskykonsum gestiegen.
"Ja, hat Hauptgefreiter Pochtli auf seinem Bericht notiert, habe ich doch eben gesagt. Er hatte mal mit ihm zu tun. Bei einem anderen Fall. Da ging es wohl um irgendwelche Krabbeltiere. Ameisen glaube ich."
"So, glaubst du. Hast du das nachgeprüft? Verdammt! Da befindet sich dieser Strotz in einem Labor für Wassergetier. Einige davon die exotischsten und tödlichsten Arten und stirbt an was? Einer gewöhnlichen Raupe?"
Remedios zuckte mit den Schultern.
"Natürlich habe ich es überprüft. Vielleicht Zufall, aber der Mann ist anscheinend der einzige Insektenkundler in dem Institut. Da gibt es mehrere Experten sowohl für Wildtiere, Vögel, Süßwasserfische und Meerestiere. Es gibt sogar einen für Sumpfdrachen. Aber nur einen, der sich mit Insekten auskennt…"
"Der Kerl ist mir schon gestern aufgefallen. Anscheinend so ein Sonderling. Keiner der anderen wollte etwas mit ihm zu tun haben."

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Huitztli erstatte Lady Rattenklein im Beisein von Hauptmann Pismire Bericht über seine bisherigen Untersuchungsergebnisse.
"Der Umstand, dass der Tote die gefundene Substanz sowohl an Händen und Nasenbereich hatte, lässt vermuten, dass er eine Raupe oder etwas angefasst haben muss, das mit der Raupe zuvor in Berührung gekommen ist. Am Tatort fand sich kein solches Insekt. Es wäre auch ungewöhnlich, da es sich um das Präparationslabor für Meerestiere handelt. Auch kein weiteres Objekt in diesem Raum wies Spuren der Substanz auf."
Pismire blätterte durch das Inventar des Toten.
"Wisst ihr, was mir auffällt?"
Die beiden anderen schüttelten die Köpfe.
"Strotz hatte anscheinend kein Taschentuch bei sich. Es wurde jedenfalls keines gefunden und in seiner Kleidung steckte ebenso wenig eines. Ist doch ungewöhnlich für jemanden, wie den..."

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Kommandeur Breguyar blätterte durch die Aktendeckel, die ihm heute auf den Tisch geflattert waren. Elf kleinere Diebstähle, ein Totschlag und ein Verkehrsunfall auf der Kurzen Straße waren die Ausbeute des Tages, abgesehen von dem Mord im Institut. Er überflog die langweiligen Inhalte stets wiederkehrender Routine nur kurz und kritzelte sein Kürzel auf den Laufzettel am jeweiligen Aktendeckel. Seufzend stand er auf, wuchtete die Akten auf den Ausgangskorb und griff sich seine Jacke. Im Hinausgehen versuchte er hinein zu schlüpfen und fluchte, weil einer der Ärmel wieder mal verkehrt herum gekrempelt war und er deswegen Schwierigkeiten mit dem Anziehen hatte. Die beiden Wächter am Empfangstresen sprangen auf und salutierten zackig. Araghast ging an ihnen vorbei, ohne auf sie zu achten. Seine Gedanken galten einzig seinem Feierabend.

Drei Stunden später weckte ihn lautes Klopfen an der Tür. Feldwebel Magane stand davor. Es goss wie aus Eimern.
"Magane… Was gibts denn, dass es nicht bis Morgen warten kann?", sagte er schlaftrunken,"Komm erst Mal rein, es schüttet ja regelrecht."
Magane trat in den Flur und nahm ihren Helm ab.
"Nun, ich bin nicht sicher, aber ich dachte, du solltest informiert sein: Obergefreite von Gilgory sitzt im Gerichtsgefängnis."
"Was? Wieso?"
"Ähm...", sie zog eine Kladde aus der Ledertasche und klappte den Deckel zurück,"Hier steht, wegen Missachtung des Gerichts. Eine Strafe von zwei Tagen Haft."
"Missachtung des Gerichts? Verhandlung unter dem Vorsitz von Richter Bleikloß?"
"Äh...ja, genau, Herr. Woher weist du...?"
Breguyar seufzte müde,"Hrmpf… Nein, da werden wir nicht viel machen können. Wenn sie sich das da eingebrockt hat, muss sie das auch auslöffeln. Wird ihr sicher kein zweites Mal passieren. hast du schon mit ihr gesprochen?"
"Ja. Ich habe auch Einsicht in das Protokoll der Sitzung nehmen können. Ich kenne da eine der Gerichtsschreiberinnen..."
"Das will ich gar nicht wissen! Und?"
"Äh...Die Obergefreite war als Zeuge im Prozess gegen…", sie sah kurz auf die Akte,"Benjamin Kopkü geladen, Du kennst den Fall, und sollte in ihrer Eigenschaft als Gerichtsmedizinerin aussagen."
"Ja, und weiter?"
"Offensichtlich hat Kopkü das Pech, dass man ihm als Pflichtverteidiger I. M. Bezil zugelost hat."
Ein Anflug von Mitleid flog über das Gesicht des Kommandeurs. Wer I. M. Bezil als Anwalt hatte, mochte so unschuldig sein, wie er wollte, er hatte nicht den Hauch einer Chance.
"Der Anwalt rief die Obergefreite von Gilgory in den Zeugenstand und befragte sie zu ihrer Untersuchung. Und dann kam es."
"Was kam?"
"Er fragte, ob Avalania sicher war, dass Heribert Kleinlich-Ühbermuth wirklich tot war, als sie ihn untersuchte. Avalania sagte ja. Bezil hakt nach und fragt nochmal, ob sie absolut sicher sei, dass Ühbermuth tot war, als sie ihn untersuchte. Von Gilgory bestätigt erneut. Bezil fragt sie, worauf er denn seine Annahme stützen würde, die sie so sicher machen würde, dass Ühbermuth tot gewesen sei. Avalania antwortete ihm: vor allem darauf, dass sein Gehirn rund einen halben Meter neben dem Toten in einem Glasbehälter liegend gefunden wurde."
"Was? Und dafür hat ihr Bleikloß eine Strafe aufgebrummt?"
"Nein, für das, was danach kam. Bezil ließ nämlich nicht locker und fragte, ob sie dennoch wirklich mit absoluter Sicherheit sagen könne, dass Ühbermuth tot gewesen sei, als sie ihn untersucht habe. Und da hat von Gilgory geantwortet: Nein, sie sei sicher, Strotz lebe noch, erfreue sich bester Gesundheit und praktiziere irgendwo als Pflichtverteidiger."
Breguyar hielt sich eine Hand vor die Augen.
"Das Publikum brach natürlich in schallendes Gelächter aus. Bleikloß brauchte eine Ewigkeit, um wieder Ruhe in seinen Gerichtssaal zu bekommen. Er soll dabei sogar seinen Richterhammer zerbrochen haben."
Breguyar schüttelte den Kopf, grinste jedoch innerlich, "Anscheinend war ihr das die Sache irgendwie wert..."

~|~


Professor Toit rutschte nervös auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch von Rabbe herum. Der Chief-Korporal sah ihn nun schon seit gut fünf Minuten wortlos an, während hinter ihm Remedios von Schwarzfell gelangweilt mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt zusah und versuchte, Rabbe zu ignorieren.
"Herr Professor…", sagte sie schließlich.
"Toit.", platzte es förmlich aus dem Mann heraus.
"Toit…", wiederholte sie gedehnt,"Wir haben da ein paar Fragen an sie."
Sie schlug den Aktendeckel auf und blätterte darin herum, bis sie die ikonographische Kopie der Zeichnung aus dem Naturkundebuch gefunden hatte.
"Können sie dieses Tier für uns identifizieren?"
Toit langte in die Westentasche, förderte seinen Zwickel zutage und betrachtete das Bild eingehend.
"Aber sicher. Das ist ein Vertreter aus der Gattung der Thraumatopoea, der sogenannten Umzugsspinner. Hübsche possierliche, aber leider recht gefährliche Tierchen. Zumindest, wenn man mit ihnen in unmittelbaren Kontakt kommt."
"Nun…", sagte Rabbe und langte in die linke Schublade. Sie legte das Nachschlagewerk ‚Vohn den Insekkten‘ vor Toit auf den Tisch und fegte dabei einige lose Blätter beiseite. Eingehend beobachtete sie die Reaktion in seinem Gesicht.
"Oh,", erhellten sich seine Gesichtszüge freudig,"mein altes Nachschlagewerk! Das habe ich als Student benutzt. Wo haben sie das nur aufgetrieben?"
"Dieses Exemplar erhielt die Stadtwache vor etwas mehr als zehn Jahren als Dauerleihgabe vom Naturkundlichen Institut. Wenn sie so freundlich wären, schlagen sie doch mal bitte die letzte Seite auf."
Toit sah Rabbe irritiert an, tat aber, wie geheißen.
"Nein so was! Das muss ich wohl seinerzeit hineingeschrieben haben. Eine unverhoffte Freude. Sie glauben ja gar nicht, wie viele Stunden dieses Nachschlagewerk und ich miteinander verbracht haben."
Er zwinkerte verschwörerisch, als spräche er über eine Geliebte.
"Sehen sie, es handelt sich also tatsächlich um die Unterfamilie der Thraumatopoeinae.", fuhr er begeistert fort. Er blätterte um,"Thraumatopoea processionea Pinacea Calculans", las er laut,"Ich hatte also recht, es ist der Zählende-Kiefern-Umzugsspinner, in den Spitzhornbergen heimisch. Die Tierchen sind zwar hübsch anzuschauen, sie können jedoch zu schweren bis tödlichen Verletzungen führen. Ich habe seinerzeit die Theorie aufgestellt, dass die Kiefern und diese Raupenart eine Symbiose eingegangen sind, vermochte sie aber nicht zu beweisen."
"Wie, Herr Professor,", hob Rabbe an und lehnte sich zurück,"denken sie, ist es möglich, dass Präsident Strotz diesem Tierchen zum Opfer gefallen ist?"
"Da vermag ich ihnen leider keine Antwort darauf zu geben. Diese Art ist wie gesagt in Ankh-Morpork nicht heimisch. Berührungen auf der Haut sind bereits äußerst unangenehm. Sollten ihre Brennhaare auf die Schleimhäute von Mund und Nase gelangen, führt dies zu extremsten Schwellungen, die das Atmen derart beeinträchtigen, dass man erstickt. Eventuell hat Strotz ein solches Insekt angefasst und sich danach im Gesicht berührt."
"Sie als Insektenkundler haben doch sicher ein solches Präparat in ihrer Sammlung."
"Durchaus. Ich habe sogar ein Terrarium mit lebenden Exemplaren."
"Interessant. Wie würden sie ihr berufliches Verhältnis zu dem Verstorbenen beschreiben? Angenehm, kollegial?"
"Ich befürchte, dass sind leider nicht die Termini, die ich als Charakterisierung unserer Beziehung heranziehen würde. Strotz interessierte lediglich der Profit aus der Vermarktung der Fauna und Flora und teilte meine Auffassung von reiner Forschung zur Erweiterung unseres Wissens über die Welt nicht. Der Institutsgründer Mendelson Grünfrieden hatte gerade das zum Credo erhoben, Strotz hat das unmittelbar nach seinem Amtsantritt vollständig ins Gegenteil verkehrt."
"Man kann also von einem angespannten Verhältnis sprechen?"
Toit legte den Kopf leicht schief, verzog etwas die Mundwinkel und nickte langsam. Rabbe warf Remedios einen vielsagenden Blick zu und kniff die Augen etwas zusammen, als sie bemerkte, dass sie ignoriert wurde. Anscheinend mit voller Absicht.

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Huitztli untersuchte nun schon die sechste Raupe sorgfältig. Rabbe hatte das Terrarium aus Toits Labor holen und in das SuSi-Labor schaffen lassen. Unter einem enormen Vergrößerungsglas versuchte der Wasserspeier fehlende Brennhaare an ihren kleinen länglich schlanken Leibern auszumachen. Er fand jedoch nur vollständiges Haarkleid. Wenig später teilte er einer enttäuscht wirkenden Rabbe das Ergebnis mit.
"Vielleicht fehlt ja inzwischen eines der Tierchen.", wagte sie zu hoffen.
Huitztli schüttelte den Kopf.
"Alle Tierproben werden sorgfältig bei Lieferung registriert. Die Kladde des Wareneingangs belegt, dass vor dreieinhalb Monaten sechs Raupen der Art Thraumatopoea processionea Pinacea Calculans in einem versiegelten Terrarium geliefert wurden. Das Siegel des Behälters war unversehrt."
"Verdammt! Irgendwas verheimlicht dieser Kerl, das spüre ich ganz deutlich!", beschwerte sie sich.
"Vielleicht...", Huitztli zögerte.
"Was?", bellte Rabbe. Ihre Verärgerung über Remedios im Allgemeinen und den Fall im Besonderen hatte sie laut werden lassen.
In dem Wasserspeier kämpfte Pflichtbewusstsein mit Sympathie. Die Pflicht gewann.
"Der Lagerist im Institut erzählte mir von einem heftigen Streit zwischen Strotz und Toit, der sich vor einiger Zeit ereignet hat. Wie lang das genau her ist, wusste er nicht mehr, aber Strotz hatte vor, der Assassinengilde ein Extrakt der Raupen als 'Anwendungsmittel' anzubieten. Toit hat ihn daraufhin als aufgeblasenen geldgierigen Dummkopf bezeichnet, der die Gefährlichkeit seiner Idee nicht erfassen könne."
"Ist das so...?", schöpfte Rabbe erneut Hoffnung.
Huitztli salutierte und verlies ihr Büro.
Rabbes Blick glitt zur Schublade mit der Flasche 'Jim Bärdrückers Bester' und ihre Hand folgte automatisch. Der erste Schluck entschädigte für den Stress, den ihr der Abteilungsleiter eingebrockt hatte. Die nächsten für die miese Nachricht dieses verdammten Wasserspeiers. Dann zwang sie sich, die Flasche wieder zu verkorken und in die Schublade zurückzulegen.

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Erneut stiegen Rauchschwaden auf im Séparée des Café Klatsch. Zufriedene Miene unter tief ins Gesicht gezogenen Hüten sahen in die Runde.
"Es ist vollbracht."
"Das ist es. Äh... ich meine, ausgezeichnet, dass der erste Punkt unseres gemeinsamen Plans umgesetzt werden konnte."
In den Augen des Gegenüber blitzte für einen Sekundenbruchteil ein Anflug von Zorn auf.
"Wurde der Nachfolger kontaktiert? Er darf die Bühne keinesfalls zu früh betreten. Die Nachricht, dass er die Institutsleitung übernehmen kann, muss wie ein glücklicher Zufall wirken."
"Die Sorge ist unbegründet. Er ist instruiert worden."
"Wird seine Vita nicht Verdacht erregen?"
"Nur T... hätte sicher sofort bemerkt, dass er kein Entomologe ist. Aber wenn T... erst einmal aus dem Weg geräumt ist, wird das niemand mehr qualifiziert beurteilen können."
"Er geht nach wie vor davon aus, dass es sich um eine Performance handelt?"
"So ist es. Er wurde angewiesen, sich so lange in seiner Rolle zu bleiben, bis das Codewort genannt wird."
"Das natürlich niemals..."
"...fallen wird."
"Dieses Mietoth Äckting ist schlichtweg eine grandiose Erfindung."

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Tumultartiges Getöse drang aus dem rechteckigen Büro in das Vorzimmer. Es klang, als wurde die Einrichtung in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt. Dann wurde es plötzlich von einem auf den anderen Moment still.
"Sie können jetzt eintreten, Herr Kommandeur.", sagte der Sekretär.
Bregs klemmte den Helm unter den Arm und stand auf. Er hatte gelernt, sich über das Verhalten seiner Lordschaft nicht allzu sehr zu verwundern. Vor einigen Jahren wäre er noch in das Büro gestürmt, um einen vermeintlichen Angriff auf Lord Vetinari abzuwehren. Aber inzwischen wusste er, dass seine Lordschaft diverse Hobbies pflegte, die anderen mitunter als kurios vorkommen mussten.
Er trat durch die offen gehaltene Tür. Lord Vetinari stand neben seinem Schreibtisch, blickte aus dem geöffneten Fenster und tupfte sich den Schweiß mit einem Handtuch von der Stirn. Das zerbrochene Mobiliar neben sich ignorierte er komplett, als sei es gar nicht vorhanden.
"Ah, Kommandeur. Ich habe dich warten lassen. Verzeih."
"Euer Lordschaft", sagte Breguyar unverbindlich und gab sich alle Mühe, dem Haufen Kleinholz ebensowenig Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie Vetinari. Es gelang ihm nicht ganz.
"Wie ich höre, gab es einen Todesfall im Naturkundlichen Institut? Der Institutsleiter Hibiskus Strotz ist aus noch unbekannten Gründen verstorben?"
"Das ist korrekt. Nach den derzeitigen Erkenntnissen, ist ein Mord nicht auszuschließen."
"Und es gibt bereits einen Verdächtigen, wie man mir sagte?"
"Ja, Chief-Korporal Schraubenndrehr verfolgt diesbezügliche diverse Spuren."
"Wie bedauerlich, dass die Karriere von Professor Toit eine so betrübliche Wendung genommen hat. Er ist ein eine Koriphäe auf seinem Gebiet."
"Die Untersuchungen laufen noch, euer Lordschaft. Noch ist seine Schuld nicht erwiesen."
Von draußen drang ein Ächzen und schmerzerfülltes Stöhnen herein. Vetinari tat so, als habe er nichts gehört.
"Nun, die Wahrheit wird ans Licht kommen. Jetzt, da Strotz verblichen ist, wer wird wohl seine Nachfolge antreten?"
"Euer Lordschaft?"
Breguyar bemühte sich, sein Auge auf den Patrizier gerichtet zu halten, konnte aber nicht verhindern, dass es kurz zum Fenster wechselte.
"Oh, ich habe nur laut gedacht, Kommandeur. Diese Frage fällt sicher nicht in die Zuständigkeit der Wache.", sagte Vetinari jovial.
"Es entzieht sich in der Tat meiner Kenntnis, wer die Stelle besetzen wird."
"Das wird sich bald zeigen, da bin ich sicher. Nun, ich möchte dich nicht länger aufhalten, Kommandeur. Danke für deinen Besuch."
Breguyar nahm Haltung an und verließ das Büro.
"Ach, sei doch bitte so freundlich und gib Drumknott Bescheid, er möge sich um Herrn Kato kümmern. Er findet ihn im Graben vor meinem Büro. Dem Anschein nach, war die Höhe des Heuhaufens doch nicht so ausreichend, wie der Gärtner angenommen hatte."

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Rabbe Schraubenndrehr und Remedios von Schwarzfell standen vor dem Schreibtisch des Kommandeurs. Rabbe gab sich alle Mühe, flach zu atmen.
"Wie sicher bist du, dass Toit der Täter ist?", fragte er an Rabbe gewandt.
"Bisher weisen alle Indizien auf ihn. Er hatte Motiv, Mittel und die Gelegenheit."
"Das Motiv ist zwar etwas schwach, aber ich stimme dir zu. Das schwierige Verhältnis zwischen ihm und Strotz war allen bekannt, Die Mittel sind laut dem Laborbericht aber nicht zur Anwendung gekommen.", bemerkte Breguyar.
"Das muss nichts heißen. Toit kann sich die Raupen ohne größere Probleme aus den Spitzhornbergen besorgt haben. Immerhin weiß er, wo man sie bekommt."
"Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er sie dort geholt hat?"
"Wir ermitteln derzeit in dieser Richtung. Entweder hat er sie selber dort geholt oder er hat sie sich liefern lassen. In Ankh-Morpork kann man bekanntermaßen alles kaufen."
"Was ist mit der Gelegenheit?"
"Derzeit ermitteln wir noch seinen Tagesablauf.", kam Remedios Rabbe mit einer Antwort zuvor,"Da er gewöhnlich sehr viel Zeit alleine in seinem Labor zu verbringen scheint, hat er kein Alibi."
"Das ist auch nicht besonders beweisträchtig. Kein Richter wird das gelten lassen, wenn wir nicht nachweisen, dass er das Mittel unmittelbar hatte. Er ist noch auf freiem Fuß?"
Rabbe nickte.
"Wir müssen einfach noch tiefer graben."
"Gut, dann tut das. Vetinari hat anscheinend ein besonderes Interesse an dem Fall."
"Ist gut."
Rabbe und Remedios salutierten und wandten sich zum Gehen.
"Ach... und hört euch doch bitte auch mal um, wer als Nachfolger für Strotz so im Gespräch ist."

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Remedios beobachtete schon seit etwas mehr als einer halben Stunde das rege Treiben am Institut. Sie war froh, Rabbe aus dem Weg gehen zu können.
Es hatte kurz vor ihrer Ankunft zu regnen begonnen und sie fluchte, als sie unter einen Hauseingang gegenüber flüchtete. Das nasse Wetter machte ihrem Geruchssinn einen Strich durch die Rechnung und sie sah sich gewungen, auf ihre menschliche Hälfte zu vertrauen.
Das wuchtige Gebäude belegte einen ganzen Straßenblock und vermittelte den Eindruck echten Reichtums. Weiße Dekorsäulen unterbrachen in Abständen die dunkelbraun verklinkerte Fassade und stützten ein Dach, das das überhaupt nicht nötig hatte. Über dem Nebeneingang prangte ein poliertes Messingschild mit der Aufschrift 'AN. EX. V. RE. NAT.'
Karren fuhren vor, wurden entladen und entfernten sich wieder. Ein halbes Dutzend Arbeiter kümmerten sich um die Fracht und brachte sie in Handkarren ins Gebäude, während ein emsiger kleiner Mann in einem schmutzgrauen Kittel die einzelnen Pakete in einem dicken Buch mit vielen losen Blättern notierte. Weiße dünne Haare fielen ihm wie ein U-förmiger Vorhang auf die Schultern. Sorgfältig besah er sich die aufgeklebten Adresszettel auf den Paketen durch seine Nickelbrille und verglich sie mit den Lieferscheinen, die er von den Karrenführern erhalten hatte.
Zweimal waren auch teure Kutschen vorgefahren und hatten ihre blasierte Fracht entlassen. Die entstiegenen Männer würdigten die Arbeiter und den Lageristen keines Blickes, obwohl diese überaus höflich grüßten. Remedios verabscheute die beiden vom Fleck weg.
Als der Regen aufhörte, schlüpfte sie in einem geeigneten Moment aus dem Schatten des Hauseingangs und schlenderte gemütlich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen wie zufällig hinüber zu dem kleinen Mann.
"Morgen Chef, viel zu tun heute, wie?", sagte sie gut gelaunt und hob grüßend Zeige- und Mittelfinger an die Stirn.
"Oh, auch dir einen guten Morgen,... Gefreite.", gab er zurück, als er ihre Rangabzeichen erkannte,"Nun ja, was soll ich sagen. Solange es Arbeit gibt, gibt es Brot und ein Dach über dem Kopf."
"Da ist was Wahres dran. Das scheint aber wohl nicht für alle zu gelten, was?", nickte sie in Richtung des Eingangs.
"Nun ja. Jeder hat wohl seinen Platz.", antwortete der Mann diplomatisch.
Remedios blickte sich demonstrativ verstohlen um und trat einen Schritt näher.
"Ein Kollege erzählte mir, dass die alle so sind. Ausnahmslos."
"Oh, nein. Nein, mein Herr. Nicht alle. Einige sind wirklich nett. Herr Grünfrieden, der Begründer unseres Hauses zum Beispiel war immer sehr höflich zu jedermann. Damals war ich noch ein kleiner Junge und erledigte Botengänge. Und Professor Toit hat auch immer ein freundliches Wort für alle übrig. Früher hat er es sich sogar nicht nehmen lassen, die vielen Exponate, die er von seinen Reisen mitbrachte, mit abzuladen. Heute, in seinem fortgeschrittenen Alter geht das ja leider nicht mehr. Aber er zeigt seine Anerkennung jetzt aber auf andere Weise."
Der Mann schaute verstohlen zu den Fenstern im ersten Stock und winkte dann Remedios ihm zu folgen.
"Komme, ich zeig dir mal was, Gefreite."
Er führte sie in sein winziges Büro in einem Glaskasten des Lagers im Erdgeschoss. Papiere stapelten sich in Eingangskörbchen und quollen förmlich aus den Schubladen der Aktenschränke, die an einer Wand nebeneinander aufgestellt waren. An einer exponierten Stelle der Wand hing ein unter Glas eingerahmter bunt getupfter Schmetterling von beachtlicher Größe.



Unmittelbar um das Exponat herum schien das Büro weit weniger chaotisch, als im Rest davon.
"Den hat mir der Herr Professor verehrt, als er von Strotz zum Wechsel in die Stiftung gedrängt worden ist. Ist der nicht toll?"
Der Lagerist platze beinahe vor Stolz.
Remedios trat vorsichtig näher heran, hielt unwillkürlich die Luft an, als er die Widmung unter dem aufgespießten Tier las:

Meinem geschätzten Kollegen Friedobert Sollbruch in Dankbarkeit für seine stets sorgfältige Arbeit.

Darüber stand in Kapitälchen

THRAUMATOPOEA PROCESSIONEA PINACEA CALCULANS, ADULTUS.

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Zu selben Zeit hatte Rabbe das Matratzenlager im Boucherie Rouge aufgesucht. Glums Helm ragte gerade so über einen Stapel Matten hinaus, während er Berichte durch ging.
"Das Institut? Was willst du darüber wissen?"
"Wer wird die Nachfolge von Strotz antreten? Und wer befindet darüber?"
"Der Aufsichtsrat des Unternehmens, wer sonst?"
"Des … des Unternehmens? Ich dachte, das ist so eine Art Universität, nur in klein."
Sie hielt die Handflächen nahe einander, um das Gesagte zu verdeutlichen. Der Helm drehte sich verneinend hin und her und Glum lachte bellend.
"Nein, es ist … war eigentlich eine Stiftung. Als Strotz die Leitung übernahm, hat er die Stiftung ausgegliedert und den Laden zu einem straff organisierten Geschäftsbetrieb umfunktioniert. Alle, die da nicht mitspielen wollten, hat er zur alten Stiftung abgeschoben oder gleich zum Gehen gedrängt. Sie haben einige Gönner verloren, aber was sind schon die Zuwendungen einiger gut meinenden Witwen, gegen das Kapital gieriger Unternehmer."
"Sie verdienen also viel Geld?"
"Obszön viel. Was sie in einem Monat einnehmen, werden alle Wächter nicht in zehn Jahren verdienen."
"Mit was handeln die eigentlich?"
"Mit seltenen Tieren. Oder besser, den Produkten, die man aus ihnen herstellen kann. Hast du schon mal von der Oktarin-Molluske gehört?"
"Nö, was ist das?"
"Aus ihr wird ein Farbstoff gewonnen, das sich Okatarin[2] nennt. Diese Molluskenart reagiert nämlich auf Emotionen in ihrer Nähe und verändert dementsprechend ihre Farbe. Der Farbstoff, den sie extrahiert haben, kann das auch. Er ist sündhaft teuer und nur die bekanntesten Modeschöpfer können ihn sich leisten. Und was ihre Kleider kosten, kannst du dir dann auch vorstellen. Oder, wenn ichs mir recht überlege,", er blickte kurz über die Matten und musterte Rabbes Kleidung,"vielleicht auch nicht."
"Ok, ich verstehe, sie verkaufen eben eine tolle Farbe. Na und? Das tun andere Farbenhersteller doch auch."
"Die nehmen aber keine Lizenzgebühren für die Sachen, die man mit ihrer Farbe eingefärbt hat..."
Rabbe zog die Augenbrauen hoch.
"Ja, für von jedem verkauften Kleid bekommt das Institut auch noch eine fette Prämie. Und das ist nur ein Beispiel. Du glaubst gar nicht, was Senray noch alles ausgegraben hat, als er dort insgeheim ermittelt hat. Noch ein Beispiel? Ein Extrakt aus Tiefseeblähfisch, den die Kosmetikergilde einsetzt. Zur Hautstraffung."
"Uärgs! Und dieser Aufsichtsrat, was sind das für Leute?"
"Alles feine Pinkel. Stinkreiche Unternehmer, die Strotz nach und nach ins Unternehmen geholt hat. Geldadel, Großkapital."
"War Strotz reich?"
"Ja, ziemlich. Aber gegen die Geldsäcke im Aufsichtsrat, nahm er sich geradezu wie ein Bittsteller aus."

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"Es existiert also doch ein für jeden zugängliches Exemplar von diesem gefährlichen Viech?", versicherte sich Rabbe und nahm elektrisiert von Ramedios Fund die Füße vom Schreibtisch. Remedios nickte. Für einen Moment vergaß sie ihre vehemente Abneigung gegen die Werwölfin.
Sie beugte sich vor.
"Aus Gründen der allgemeinen Sicherheit habe ich den Kasten konfiszieren lassen. Vor drei Stunden hat Hauptgefreiter Pochtli den Rahmen eingesackt und seine Untersuchung eingeleitet."
"Dieses Mal sollten wir endlich den Mistkerl festgenagelt haben!", freute sich der Chief-Korporal.
Es klopfte verhalten.
"Herein, Hauptgefreiter.", rief Rabbe und war plötzlich weit weniger zuversichtlich. Nur Huitztli Pochtli gelang es, so schüchtern zu klopfen.
Der Wasserspeier trat durch die Tür und trug den gerahmten Schmetterling und einen dicken Wälzer unter dem Arm, sowie einen Laborbericht.
"Bist du sicher, dass du das da durch die Gegend schleppen willst. Das Ding ist doch gefährlich."
Sie sprangen beide in ungewohnter Harmonie auf und wichen hastig unisono vom Schreibtisch zurück.
"Ähm, nein, Chief-Korporal, ist es nicht."
Huitztli reichte ihr den Bericht und sie las:

Bericht:



Sicherstellung:

Das von Gefreiter Remedios von Schwarzfell gemeldete Exponat wurde vom unterzeichnenden Laboranten, HGf Huitztli Pochtli in der Lageristenloge (Rückwand), Saubermanngasse 12, AM vorgefunden. Das Exponat wurde von der Wand entfernt und in gesichertem Behältnis ins SuSi-Labor überführt.


Beschreibung:

Der Rahmen besteht aus Holz, Vorderseite ist verglast, die Rückseite besteht aus Pappe. Die Rückwand ist mittels drehbarer Klammern am Rahmen fixiert. Zunächst augenfällig ist der Umstand, dass der Rahmen nicht versiegelt worden war. Dies wäre angesichts der anzunehmenden Gefährlichkeit des Insektes und der Expertise des Schenkers (Professor Toit) zu erwarten gewesen.


Analyse:

Nach eingehenderem Studium von Fachliteratur (freundlicherweise ermöglicht durch Herrn Zupfel, Professor für Noch-nicht-final-als-unmahgisch-eingestufte-Spehzien, UU, AM) fand sich die Bestätigung, das vorliegendes Exemplar ungefährlich ist, da es sich um die ausgewachsene Form der Spezies und nicht um die im Raupenstadium handelt.


Empfehlung:

Rückgabe des Exponats an den Besitzer.



Sie ließ den Bericht sinken und sah auf, das Gesicht eine einzige Maske der Enttäuschung.
"Ungefährlich also?"
Huitztli nickte.
"Aus dem Nachschlagewerk, dass ich aus der Bibliothek der Unsichtbaren Universität entleihen konnte, geht das eindeutig hervor. Lediglich die Raupenform ist gefährlich wegen ihrer sogenannten 'verbrennenden Haare'. Die Schmetterlingsform dagegen ist vollkommen harmlos."
Rabbes Schultern sanken herab.
"Langsam geht es mir auf die Nerven, dass sich alle vielversprechenden Spuren alle sämtlich in Luft auflösen."
Schuldbewusst schlug Huitztli die Augen nieder.

~|~


Rabbe war verärgert aus dem Wachhaus gestürmt. Sie brauchte einfach frische Luft, sonst wäre sie noch vor Wut geplatzt. Außerdem brauchte sie Nachschub, da der Bärdrücker seinen Dienst nach nur einem Liter quittiert hatte. Unbewusst führten sie ihre Schritte in Richtung des Instituts. Sie beschloss den Erwerb einer weiteren Flasche Lebenswassers erst einmal aufzuschieben und Toit direkt nochmals auf den Zahn zu fühlen. Ihr war klar, dass der Wasserspeier ihre schönen Spuren nicht mit Absicht zunichte machte. Immerhin musste er sich an die Wahrheit halten, wie auch immer die aussehen mochte. Dennoch nagte es an ihr und sie überlegte unbewußt, ob er ebenfalls in die ganz persönliche Hölle gehörte, in die sie Remedios jedes Mal wünschte, sobald sie ihrer angesichtig wurde.
Sie schüttelte die Gedanken ab, betrat das mondäne Gebäude und trat vor die Pförtnerloge.
"Chief-Korporal Schraubenndrehr.", sagte sie und wies ihre Marke vor,"Ich möchte zu Professor Toit."
Der Mann musterte sie von oben bis unten.
"Sie haben einen Termin?", fragte er überheblich.
"Die Einladung habe ich nicht dabei.", gab sie gereizt zurück,"Aber, wie wäre es, wenn wir gemeinsam auf der Wache danach suchen. Im Zellentrakt. Dauert sicher nur ein paar Stunden."
Der Mann schreckte zurück, griff nach einer Glocke und läutete heftiger, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Ein schmächtiger Junge in einer Pagenuniform kam angerannt.
"Ja, Herr Durchwink?"
"Bring den Chief-Korporal zu Professor Toit."
"Gerne, Herr Durchwink. Bitte folge mir, Herr.", sagte der Junge und wandte sich zum Gehen.
Sie stiegen eine breite Treppe nach unten in den Keller und durchquerten einen großen sehr hellen und sauberen Saal voller Regale. Diese quollen förmlich über vor Gläsern und Kästen. Kurz bevor sie das andere Ende des Raumes erreichten, bog er nach links ab und öffnete eine kleine unscheinbare Tür. Eine sehr schmale Treppe führte hier weiter hinunter. Es war so dämmrig, dass Rabbe den unteren Treppenabsatz von oben her nicht ausmachen konnte. Es roch muffig und die Farbe blätterte von den Wänden. Mehrere Türen gingen von dem Flur ab, der nicht breiter war, als die Treppe selbst. Der Junge klopfte und wartete die Aufforderung zum Eintreten erst gar nicht ab.
Toit saß auf einem abgewetzten Bürostuhl über ein langgliedriges Insekt gebeugt, dass er fein säuberlich mit Nadeln auf einen weißen Karton gespießt hatte.
"Professor Toit vergisst alles um sich herum, wenn er in seine Arbeit vertieft ist.", flüsterte der Junge nach hinten zu Rabbe. Er trat neben den alten Mann und tippte ihn auf die Schulter. Der Mann blickte auf.
"Oh, Jeyson. Was führt dich hier her?"
"Sie haben Besuch, Herr Professor.", sagte er Junge und deutete auf Rabbe.
"Weitere Fragen, Chief-Korporal?"
"In der Tat. Ich habe da noch ein paar Fra...", wollte Rabbe gerade ansetzen, als der Junge sich bückte und etwas Weißes aufhob.
"Herr Professor, schauen sie. Sie haben ihr Taschentuch fallen lassen."
"Nein, Jeyson, das gehört mir nicht. Ich habe meines noch in der Tasche.", sagte er und griff in die rechte Seitentasche seines Jacketts. Seine Finger griffen ins Leere. Auch die Tasche auf der anderen Seite war leer.
"Nein so was. Wo habe ich es denn nur? Aber das ist tatsächlich nicht meines, da bin ich sicher."
"Nicht weiter bewegen!", brüllte Rabbe einer plötzlichen Eingebung folgend.
Der Junge zuckte zusammen, ebenso der Professor.
"Was ist denn auf einmal in dich gefahren, Chief-Korporal? Warum schreist du so?"
"Hast du ein sicheres Behältnis? Ich meine, eines, dass man luftdicht versiegeln kann?"
"Aber ja. Jeyson, sei doch so nett und hole es aus dem großen Lager, du weißt ja, wo sie steh..."
Rabbe unterbrach ihn,"Der Junge bleibt wo er ist und bewegt sich bitte keinen Millimeter weiter. Das Taschentuch ist möglicherweise die Tatwaffe. Es ist wahrscheinlich mit den 'verbrennenden Haaren' kontaminiert."
Der Junge erschrak, auch wenn er sich nicht genau vorstellen konnte, wie man jemanden mit einem Taschentuch zu Tode bringen mochte.
"Ich hole es selber. Wo finde ich es?", frage Rabbe.
"Zwei Türen zurück auf der linken Seite."
Rabbe lief zu der angewiesenen Tür und stand in einer geradezu winzigen Kammer.
'Wenn das das große Lager ist, wie muss erst das kleine Lager aussehen?', fragte sie sich.
Mehrere leere Gläser mit Glasdeckeln darauf standen dort. Rabbe griff sich eines davon und lief zurück ins Toits Büro.
"Das Taschentuch muss da rein.", wieß sie Toit an.
Tränen liefen dem Jungen über die Wangen und Schluchzer erschütterten seinen schmächtigen Körper.
"Muss ich jetzt sterben, Herr Professor?", fragte er angst erfüllt.
"Mach dir da keine Sorgen. Atme bitte nur ganz flach. Gleich ist das vorbei. Wenn ich dir das Taschentuch abgenommen habe, bewege deine Hände bitte auch weiter erst einmal nicht. Ich kümmere mich gleich darum."
Der öffnete eine Schublade und holte eine lange Pinzette hervor. Vorsichtig nahm er damit dem Jungen das Tuch ab und legte es in den Behälter, den Rabbe für ihn offen hielt.
Toit legte den Deckel auf und schloss die Klemmen.
"So, nun zu dir Jeyson. Eigentlich benutzt man flüssiges Wachs, aber das habe ich derzeit nicht hier. Da muss es eben das tun."
Toit griff in ein Regal und nahm ein kleines Keramikgefäß herunter. Als er den Deckel abnahm, erfüllte ein süßlicher Duft den kleinen Raum.
"Honig funktioniert da zum Glück auch ganz gut."
Er bestrich die Hände des Jungen ausgiebig, bis sie völlig davon bedeckt waren.
"Am Treppenabsatz steht der Löscheimer. Wasche dir die Hände dort eingetaucht unter Wasser, aber langsam und sorgfältig. Vermeide Wasserspritzer. Dann wirst du das Zeug sicher los."
Der Junge tat, wie ihm geheißen und ging hinaus.
"Herr Professor, ich fürchte, du wirst mich auf die Wache begleiten müssen...", sagte Rabbe zufrieden.
Die Nachschubflasche hatte sie inzwischen ganz vergessen.

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"Wir haben ihn!", rief Rabbe begeistert, als ihr Araghast Breguyar auf dem Flur des Wachhauses entgegenkam.
"Du hast das Beweismittel gefunden?"
Zur Bestätigung hielt Rabbe den Daumen der rechten Hand hoch und grinste.
"Toit sitzt jetzt erst mal in der Zelle. Das Taschentuch, dass man bei Strotz vermisst hat, lag in seinem Büro unter dem Schreibtisch. Ist das zu fassen?"
"Taschen... tuch? Und die Raupe?"
"Wieso Raupe? Wir haben doch die Tatwaffe."
"Hmm... Eigentlich hast du damit nur eine halbe 'Tatwaffe'. Das kann vor Gericht funktionieren, aber auch daneben gehen. Wäre besser, du würdest da weiter graben."
Rabbe presste die Lippen zusammen, verkniff sich aber einen saftigen Kommentar darüber, was sie davon hielt. Sie wollte nicht nach so kurzer Zeit einen neuen Verweis erhalten. Als ihr dann auch noch einfiel, dass in ihrem Büro kein Trostspender auf sie wartete, verdüsterte sich ihre Gemütslage noch weiter.

~|~


Jeyson stand vor dem Wachetresen und drehte seine Mütze in den Händen.
"Was kann ich für dich tun, junger Mann?", fragte Gefreite Spica Virgo.
"Ähm... Professor Toit? Kann ich... ich meine, darf ich ihn besuchen?"
"Das ist nicht erlaubt. Nur sein Anwalt und die Wache hat da Zugang."
Rabbe trat mit Remedios durch die Tür zum Empfangsbereich.
"Oh. Hallo, Jeyson, richtig?"
Der Junge nickte.
"Ich möchte mich bei ihnen bedanken, dass sie mir das Leben gerettet haben. Und auch beim Professor. Aber... ich darf anscheinend nicht. Dabei habe ich ihnen etwas mitgebracht."
Er hielt einen Korb in die Höhe, den er zuvor auf den Boden gestellt hatte. Verführerisch duftende Pasteten mit einer feucht glänzenden Fettschicht füllten ihn.
"Da muss ich leider dankend ablehnen. Ich habe nur meine Pflicht getan.", sagte Rabbe demonstrativ und bedauerte innerlich, dass sie wegen der anwesenden Zeugen keine andere Wahl hatte. Zudem galt ihr derzeitges Verlangen eher Hochprozentigem. Traurig schlug der Junge die Augen nieder.
"Aber weißt du was? Wir machen mal eine Ausnahme. Ich bringe dich zum Professor.", sagte sie einer plötzlichen Eingebung folgend.
"Wirklich? Oh, das ist sehr nett von ihnen!"
Rabbe wandte sich zum Gehen, blieb dann unvermittelt stehen und drehte sich noch einmal zu dem Jungen um.
"Da ist noch nicht etwa eine Feile eingebacken?", scherzte sie.
"Aber.. Nein, Sir!", erschrak er,"Die hat meine Mutter gebacken."
"Schon gut, ich glaube dir. Spica, gib Remedios Bescheid. Sie soll einen Rekruten mitnehmen und Toits Büro nach der Raupe durchsuchen."
Spica nickte und grüßte.
Gemeinsam stiegen sie die Stufen zu den Zellen im Keller hinunter. Ein großer Trollwächter füllte den Flur zwischen Zelle 1 und Raum Nr. 6 aus.
"Der junge Mann hier möchte zu Herrn Professor. Welche Zelle?"
"Zelle vor letzter Zelle sein. Auf rechter Seite.", sagte dieser und drehte sich umständlich zur Seite, so dass Rabbe und Jeyson vorbei schlüpfen konnten.
"Jeyson, dass ist aber eine nette Überraschung. Schön, dass du mich besuchst.", sagte Toit erfreut, als der Junge an die Zellentür trat.
"Ich habe ihnen ein paar Pasteten mitgebracht, die sie so mögen. Ich soll ihnen auch recht vielen Dank von meiner Mutter ausrichten."
Der Junge präsentierte den Korb.
"Das war doch selbstverständlich. Sag deiner Mutter einen schönen Gruß von mir. Ihren Pasteten kann ich wirklich nicht widerstehen."
"Stell den Korb hier vorne hin. Dann kann sich der Herr Professor die Pasteten nehmen.", wieß Rabbe Jeyson an.
"Chief-Korporal, ich bitte dich! Warum speert man mich hier ein? Ich bin unschuldig!"
"Mit Verlaub, Herr Professor, dieser Satz ist mit Abstand der häufigste, den wir hier zu hören bekommen. Gleich gefolgt von 'Ich wars wirklich nicht!' und 'Wissen sie überhaupt, wer ich bin?'.
"Das Taschentuch gehört mir aber wirklich nicht!", sagte der Mann verzweifelt und setzte sich niedergeschlagen auf die Pritsche.
"Ach, wenn ich nur wüsste, was hier eigentlich los ist.", fuhr er fort.
"Das Taschentuch gehörte Strotz. Sein Monogramm ist darauf gestickt. Und es lag in ihrem Büro."
"Strotz? Wie kann denn das da hinkommen. Der hat sich nie in den Katakomben blicken lassen.", sagte Toit ungläubig.
"Katakomben?", fragte Rabbe.
"So nennen wir Angestellten das Tiefgeschoss, Mä'm. Von den hohen Herren geht da normalerweise nie einer hinunter.", erklärte Jeyson.
"Nun, wir gehen davon aus, dass es ihnen dort aus der Tasche gefallen sein muss.", fuhr Rabbe fort.
Dann zögerte sie plötzlich. Etwas hatte ihre Neugier geweckt, doch der Gedanke versteckte sich und wollte einfach nicht in ihr geistiges Blickfeld treten.
Dann plötzlich erwischte sie ihn doch, wandte sich an Jeyson und fragte,"Eigentlich...?"
"Ja. Vorgestern brachte ich einen Brief und ein Päckchen zum Professor und da kam mir Büroleiter Kunt auf der Treppe entgegen. Hab mich fürchterlich erschrocken, weil es doch so duster ist da unten. Bin die Treppe wieder raufgestolpert, um ihm Platz zu machen. Er hatte es fürchterlich eilig."
"Und weiter?"
"Der Herr Professor war nicht da und da habe ich die Sachen auf seinem Schreibtisch abgelegt."
"Das wäre echt das erste Mal, dass sich jemand vom Aufsichtsrat dorthin verirrt.", wunderte sich Toit verächtlich.

~|~


Remedios durchquerte mit Ambrosia Fernlicht das Lager im Keller der Instituts und als sie beinahe die Abzweigung zum Tiefgeschoss erreicht hatten, bog ein feister Mann um die Ecke und stieß beinahe mit ihnen zusammen.
"Passt doch auf, ihr Tölpel", sagte er verärgert, bis er bemerkte, dass die Angesprochene keine Angestellte zu sein schien.
"Wie haben sie uns eben genannt?", fragte Remedios scharf und ihre Augen wurden zu Schlitzen.
"Wächter? Was tut ihr hier im Gebäude?"
Die Fragen sollte überheblich klingen, waren jedoch etwas von Furcht durchdrungen.
"Die Tatorte untersuchen. Und sie?"
"Was erlaubst du dir? Dies ist Privatbesitz und ich bin einer der Eigentümer! Ich brauche meine Anwesenheit nicht zu rechtfertigen!"
Arroganz troff aus sämtlichen Silben.
"Ich bin Gefreite von Schwarzfell von der Stadtwache, das ist die Wächterin Fernlicht. Wie ist ihr Name bitte?"
"Borosio Spocchioso Kunt, ich bin Büroleiter des Instituts. Und das, das ist nicht hinnehmbar. Sie stören den Geschäftsbetrieb! Die Wache wird von unseren Anwälten hören!"
"Solange die Ermittlungen andauern, sind die Tatorte nicht zugänglich. Es steht dir selbstverständlich frei, Beschwerde einzulegen."
Remedios ließ den Mann stehen und sie setzten ihren Weg nach unten fort.
Das Büro von Toit war versiegelt worden. Das Siegel war nach wie vor unangetastet. 'Komischer Vogel', dachte sie bei sich, als sie das Siegel brach und sie beide eintraten. Der Raum war wirklich recht klein und quoll förmlich über vor Papieren, Büchern und Exponaten aller Art.
"Machen wir uns auf die Suche. Und denk dran: Anschauen ist OK, wenn Anfassen nur mit Handschuhen."
Die Rekrutin nickte und knackte mit den Fingern.
"Dann mal los."
Ambrosia überprüfte die Regale und besah sämtliche darauf stehende Gläser, Kistchen und Boxen, während Remedios sich den Schreibtisch vornahm. Nach über einer Stunde ergebnislosen Suchens strichen sie die Segel.
"Verdammt, das wird Rabbe nicht gefallen!", sagte Remedios, freute sich insgeheim darüber und setzte den Gedanken fort, 'Und mir ist das sowas von egal, du verdammte Saufnase!'.
"Gehen wir zurück zur Wache?", fragte die Rekrutin und unterbrach Remedios Gedankengang.
"Ja, versiegeln wir noch den Raum und machen uns dann auf den Weg. Oh, verdammt..."
"Was ist?"
"Ich habe vergessen, das Siegelkästchen mitzunehmen. Holst du es schnell? Ich bleibe so lange hier."
"Geht klar. Bin eh froh, endlich aus dieser muffigen Bude zu kommen.", antwortete Ambrosia und verschwand aus dem Büro.
Keine fünf Minuten später polterte ein schmächtiger Mann in einer Kittelschürze die Treppe hinunter.
"Frau Wächterin! Frau Wächterin! Kommen sie schnell. Herrn Sollbruch geht es sehr schlecht!"
Remedios flucht, schloss die Tür und folgte dem Angestellten.
Als sie im Büro des Lageristen ankamen, lag dieser bereits am Boden. Er war blau angelaufen und rang verzweifelt nach Luft, während er vergeblich den Kragen zu weiten versuchte.
"Der Mann muss sofort in ein Hospital. Schnell!", rief Remedios dem jungen Mann zu. Der machte auf der Stelle kehrt und rannte hinaus.
Es dauerte nur zehn Minuten, bis zwei verschleierte Frauen in den Gewändern der Barmherzigen Schwestern des Siebenhändigen Sek mit einer Trage erschienen und den Mann aufluden.
Die Gefreite sah ihnen wortlos nach.
"Das Gratishospital ist vollkommen überfüllt, sagten sie mir. Massenschlägerei in der Geflickten Trommel.", sagte der zurückgekehrte Junge nach Luft japsend, während er seine Hände an den Knien abstützte.
"Bitte gehe den Schwestern nach und sage ihnen, sie sollen sich auf jeden Fall bei der Wache melden."
Der Junge hob grüßend die Hand an die Mütze und trabte erneut aus dem Gebäude. Rabbe nickte und kehrte in den Keller zurück.
Als sie Toits Büro erreichte, stellte sie verblüfft fest, dass die Tür einen Spalt offen stand. Sie stieß die Tür weiter auf uns schaute in den Raum hinein. Alles schien wie zuvor zu sein. Nur rechts von Toits Schreibtischstuhl fiel ihr etwas ins Auge. Dort lagen ein paar Lederhandschuhe auf dem Boden.
"Wo kommt ihr denn auf einmal her?", fragte sie erstaunt und bückte sich. Einem ersten Impuls folgend, wollte sie schon danach greifen. Dann hielt sie erschrocken inne. Sie streifte ihre Handschuhe über, nahm eines der Gläser vom Regal, in welchem sich nur Murmeln zu befinden schienen und leerte es auf einem Briefkorb aus. Dann legte sie langsam die Handschuhe hinein und schloss den Deckel.

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Es klopfte an der Tür zu Pismires Büro. Der Hauptmann fuhr erschrocken hoch, er war kurz eingenickt. Die lange Nachtschicht am Tag zuvor hatte ihn ziemlich mitgenommen. Er räusperte sich und stand auf.
"Herein!".
Der Rekrut Barlor Kurzbart öffnete die Tür, trat ein und salutierte. Pismire erwiderte den Gruß lässig.
"Eine Klackernachricht für dich, Herr! Es gibt einen Toten im Hospital der Barmherzigen Schwestern des Siebenhändigen Sek."
Er reichte ihm einen Zettel, auf den dünne bedrucke Papierstreifen aufgeklebt waren. Der Hauptmann las verwundert:



"Danke, Rekrut. Du kannst wegtreten. Ach und mach Meldung wegen dieser Sache hier.", er wedelte mit der Nachricht," Und wir brauchen ein paar Tatortwächter. Sie sollen mir auch einen Laboranten schicken."
Pismire griff nach seiner Tasche.
'Seit wann rufen die 'Barmherzigen Schwestern' nach der Wache?', grübelte er.

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Breguyar ließ Pimires Bericht sinken.
"Es besteht also kein Zweifel, dass,", er sah erneut auf das Formular,"... Friedobert Sollbruch, demselben Tier zum Opfer gefallen ist? Wie das?"
"Das wissen wir noch nicht genau. Auf seiner Stirn und andern Gesichtspartien haben wir dieses teuflische Zeug gefunden. Und auf seinen Händen, dort aber nur sehr wenig. Sein Arbeitsplatz wurde auf den Kopf gestellt, gefunden wurde jetzt nicht das geringste."
Breguyar schlug mit der Faust auf den Tisch.
"Ich mag es nicht, wenn in meiner Stadt Menschen auf eine so hinterhältige Art umgebracht werden!"
Es klopfte und nach dem 'Herein' des Kommandeurs betrat ein Rekrut das Büro. Er überreichte einen Laborbericht, nahm Haltung an und verließ das Zimmer wieder.
"In Toits Büro wurden Handschuhe gefunden. Der Laborant Pochtli hat die"Verbrennenden Haare' auf ihrer Außenseite gefunden. Auf ihrer Innenseite eine cremige parfümierte Substanz. Ringelblumensalbe... Das habe ich doch eben in deinem Bericht gelesen, Hauptmann. Das hat doch der Lagerist benutzt"
"Das stimmt. Ringelblume hilft bei Händen, die hart anpacken müssen."
"Hier steht noch eine Anmerkung. 'Corpus delicti vermutlich platziert. Gez. Gefreiter von Schwarzfell' Also hat der Mann diese Handschuhe getragen, als er sich im Gesicht angefasst hat. Und dann sind sie in des Professors Büro gelandet. Hat Toit ihn auch auf dem Gewissen?"
Rabbe zog die Schultern hoch.
"Mir reichts, ich will das jetzt endlich geklärt haben.", sprang er auf und winkte Rabbe, ihm zu folgen.

Kommandeur Breguyar, Rabbe Schraubenndrehr und Remedios von Schwarzfell erreichten das Institutsgebäude am späten Nachmittag.
"Erst einmal will ich dieses ominöse Büro sehen, dass anscheinend andauernd neue Beweise ausspuckt.", sagte Bregs gereizt.
Rabbe führte sie in das Kellergeschoss und die enge Treppe in die Katakomben hinunter. Sie erreichten das Büro und es wurde eng, als sie sich zu Dritt hinein begeben wollten. Rabbe bemerkte das Glas mit der Raupe sofort, als sie dem Kommandeur über die Schulter sah. Exponiert prangte es genau in der Mitte des Regals über dem Schreibtisch. Verärgert wiegte sie den Kopf hin und her,"Da will uns wohl einer auf dem Arm nehmen! Jetzt reicht es aber mal langsam!", rief sie laut.
Remedios, die als letzte den Raum betreten hatte, besah sich das Siegel, welches der Rekrut Fernlicht nach ihrer Rückkehr angebracht hatte. Es schien gelöst und wieder befestigt worden zu sein.
"Da hat sich irgendwer am Siegel zu schaffen gemacht. Es ist gelöst und mit irgendeinem Leim wieder angebracht worden."
"OK, Gefreite, du bleibst hier und bewachst das Büro. Wir gehen jetzt hoch und fühlen der Geschäftsleitung mal auf den Zahn."
Remedios salutierte und Bregs und Rabbe stiegen die Treppe hinauf.
Im Erdgeschoss angekommen, bemerkten sie die helle Aufregung, die plötzlich herrschte. Alle liefen durcheinander. Bregs packte einen der vorbei laufenden Männer und hielt ihn fest.
"Was ist denn hier auf einmal los?"
"Herr Kunt ist tot. Er liegt in seinem Büro! Ich bleibe keine Minute länger in dieser Todesfalle!"
Der Mann riss sich los und stürmte davon. Breguyar rannte zum Empfangstresen und brüllte den dürren älteren Mann hinter dem Schalter an.
"Das Büro von Kunt! Wo ist das? Reden sie schon, Mann!"
"Im … im... im dritten Stock."
Er deutete mit zitternden Fingern die breite geschwungene Treppe hinauf. Oben angekommen, fanden sie die Tür des Vorzimmers weit offen stehend vor. Ebenso die Tür in das angrenzende Büro. Ein quadratischer Raum mit einer halbkreisförmigen Apsis an dessen Stirnseite, den ein großer Schreibtisch aus dunklem Holz ausfüllte. Hellrote Tapeten gaben dem Raum ein etwas absonderliches Erscheinungsbild. Bregs und Rabbe fühlten sich beide unwillkürlich an das Boucherie Rouge erinnert. Vor dem Schreibtisch lag ein dicker und sehr kostspielig wirkender runder Teppich. Der Geruch von starkem Alkohol stieg in ihre Nasen. Von schien von einem dunklen feuchten Fleck in der Mitte des Teppichs zu stammen. Eine halb leere Kristallkaraffe lag daneben, ebenso einige Papiere. Der Hals der Flasche war abgebrochen. Rabbe ging in die Hocke und schnupperte.
"Llamedos Whisky, 25 Jahre alt würde ich sagen. Eine kleine Flasche kostet gut neunzig Dollar."
"Den wird er jetzt wohl nicht mehr genießen können.", gab Bregs zurück,"Kunt liegt hier hinten."
Rabbe gesellte sich zu ihm. Kunt lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Seine Zunge war angeschwollen und aus dem Mund getreten. Das Gesicht war purpurn verfärbt, soweit es nicht von dem gewaltigen Bart verdeckt wurde. Er hatte sich eingenäßt.

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Im Labor stäubte Huitztli Pochtli eine Stunde später das in Toits Büro plötzlich erschienene Glas ein, nachdem er seinen Inhalt sicher umgebettet hatte. Doch weder auf dem Deckel, noch auf dem Glaskörper fanden sich Abdrücke. Er war offenbar sorgfältig abgewischt worden. Er seufzte und wollte schon einen entsprechenden Eintrag in seinen Bericht schreiben. Dann sah er noch einmal zum Glas und hatte unvermittelt einen Einfall. Er nahm den Deckel und drehte ihn herum. Vorsichtig tupfte er schwarzes Pulver auf die Innenseite und wurde mit einem dicken Daumenabdruck belohnt.
Er sicherte den Abdruck und legte ihn zur Akte. Dann trippelte er ins Archiv zum Abschnitt mit den Fingerabdrücken. Er freute sich darauf, das bei Lady Rattenklein Erlernte nun endlich einmal praktisch anwenden zu können.
Er verbrachte drei erfolglose Stunden und war bereits sichtlich enttäuscht, als ein Geruch nach Pfeifenrauch durch das Archiv zog. Wenig später hörte er die Schritte eines Menschen näher kommen.
"Hallo, Chief-Korporal."
Kolumbini nahm die Pfeife aus dem Mund.
"Hauptgefreiter."
Die Pfeife kehrte wieder in den Mund zurück und sties weitere Rauchwolken aus. Huitztli Pochtli dachte kurz daran, den Ermittler darauf hinzuweisen, dass offenes Feuer im Archiv ausdrücklich untersagt war, entschied sich aber zugunsten seiner Karriere dagegen.
"Ähm... Chief-Korporal?"
Wieder verließ die Pfeife den Mund.
"Ja, Hauptgefreiter?", kam die Rückfrage mit einem gewissen Lauern darin.
"Ich habe einen Daumenabdruck gefunden."
"Ach ja? Welche Überraschung im Daumenabdruckarchiv."
"Nein, ich meine auf einem Beweisstück. Ich suche nun bereits seit drei Stunden nach einem passenden Gegenstück, habe aber keines entdecken können."
"In welchem Kontext hast du gesucht?"
"Kontext?"
"Wie bist du vorgegangen?", sagte Kolumbini in seiner speziellen, für Begriffsstutzige reservierten, Stimme.
"Ich habe mir die im Archiv registrierten Mörder vorgenommen, aber keine Übereinstimmung finden können."
"Eventuell wäre eine andere Herangehensweise sinnvoller. Schon mal daran gedacht, sie mit den Abdrücken aus dem unmittelbaren Umfeld zu vergleichen?"
Huitztlis Miene erhellte sich.
"Wenn du die Namen all derjenigen hast, kannst du erst einmal schauen, ob sie in unseren Archiven auftauchen. Das engt das Suchfeld schon etwas ein. Falls nicht, müssen von allen aus dem Umfeld die Abdrücke genommen werden und die vergleichst du dann mit deinem Fund."
"Nein, danke! Ich meine, danke Chief-Korporal für den Tipp. Das mache ich jetzt."

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"Wer hätte gedacht, dass ein angeblich so ehrenwertes Mitglied der gesellschaftlichen Oberschicht Ankh-Morporks mal in unserer Kartei gelandet ist. So so, ist also mal als Student in Salgurt Schluckheins 'Etablissement der Feinen Tropfen' eingestiegen., Er und seine Kommilitonen hatten nach einer Kneipentour zwar kein Geld mehr in den Taschen, aber immer noch jede Menge Durst. Fingerabdrücke wurden dem Beschuldigten abgenommen.", grinste Rabbe zufrieden, als ihr Huitztli kurze Zeit später das Ergebnis mitteilte und strich Huitztli wieder gedanklich von ihrer Abneigungsliste.
Sie las weiter,"Hint, Dargeot. Familie stammt aus Gennua. Eltern Nigaut Hint und Balorda Ebete Hint, Geborene Inabile. Zu einer Geldstrafe verurteilt, den die Familie unmittelbar bezahlte. Na, dem Herrn werden wir mal zu einem gemütlichn Plausch einladen."

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"Mein Mandant, wird sich zur Sache nicht äußern.", raspelte die staubige Stimme von Herrn Schräg. Der durchdringende Geruch nach Mottenkugeln und dam unterschwelligem Aroma von Verwesung durchdrangen das Büro von Oberfeldwebel von Grauhaar. Der Anwalt stand neben Hint, der sich auf den Stuhl vor Romulus Schreibtisch ausgebreitet hatte und nun regelrecht darauf thronte.
"Das ist angesichts der Tatsachen auch gar nicht notwendig. Die Beweise sind zahlreich und eindeutig.", bemerkte Oberfeldwebel von Grauhaar von seinem Stuhl aus und legte die Fingerspitzen aneinander.
"Wie üblich versteigt sich die Wache zu Annahmen und Vermutungen, die jedoch einer eingehenderen Überprüfung nicht standhalten werden. Diese 'Beweise' bieten einen nicht unerheblichen Spielraum für Interpretation.", gab Schräg gleichmütig zurück und winkte ab, während Motten seinen Kopf umschwirrten.
"Mit Verlaub, Herr Anwalt, nicht nur die Wache ist dieser Ansicht, auch Richter Bleikloß ist der Auffassung, dass der Tatbestand der Unterschlagung definitiv gegeben ist, als er den Haftbefehl ausstellte. Ihr Mandant wurde immerhin mit diversen Gegenständen aus dem Inventar des Unternehmens auf der Flucht angetroffen. Ihr Wert ist in den Büchern als 'substantiell' eingestuft.", erwiderte Romulus und klopfte auf eine mehrseitige Liste.
"Herr Hint ist als geschäftsführendes Mitglied des Aufsichtsrates durchaus ermächtigt, Exponate des Hauses umzulagern."
"Und das gilt dann auch für diverse Gemälde und ein goldenes Teeservice?", fragte Rabbe,"Oder die fünf Säcke mit Ankh-Morpork Dollar? Gut und gerne Zweitausend, nach ersten Schätzungen. Und das wurde alles in seiner Privatkutsche gefunden. Und DIE befand sich gerade auf dem Breiten Weg kurz vor dem Mittwärtigen Tor. Anhalten wollte sein Kutscher offenbar auch nicht so wirklich."
"Ich hatte es eben eilig!", warf Hint ein.
Schräg legte ihm mahnend die Hand auf die Schulter und hinterließ einen staubigen Abdruck.
"Herr Hint war unterwegs zur neuen Niederlassung in Quirm.", erklärte der Anwalt,"Die Gegenstände sind für die dortige Dependance vorgesehen."
"Quirm also. Wieso fahren sie dann durch das Mittwärtige Tor? Ist doch ein riesen Umweg."
"Hauptverkehrszeit. Er wollte den sonst üblichen Stau umfahren."
"Auf der Hauptverkehrsader Ankh-Morporks?", prustete Rabbe ungläubig.
Romulus wandte sich an Hint, "Wann hat die Geschäftsleitung die Eröffnung der Niederlassung in Quirm denn beschlossen?"
Schräg antwortete nicht und hüllte sich in Schweigen. Hints Kragen schien plötzlich etwas zu eng zu sitzen, denn er fuhr sich mit dem Zeigefinger der darin entlang.
"Nun?", bohrte der Oberfeldwebel nach.
"Daran habe ich keine klare Erinnerung mehr."
"Wo habe ich das nur schon einmal gelesen...?", fragte Romulus theatralisch,"Ach ja, in ihre alten Akte. Da haben sie den Satz sage und schreibe neunundvierzig Mal wiederholt. Übrigens im Beisein des Anwalts ihrer Familie."
Romulus sah Herrn Schräg scharf an.
"Zu den ernsteren Anschuldigungen: Ihr Daumenabdruck, der auf der Innenseite des Deckels des Glases gefunden wurde, in welchem sich die 'Todesraupe' befand, bringt sie unmittelbar in Verbindung mit den Todesfällen. Und es gibt Zeugen, die sie beim Verlassen des Gebäudebereiches, der als 'Katakomben' bekannt ist, beobachteten."
"Wissen sie, dadurch haben sie es eigentlich erst richtig versaut.", ätzte Rabbe voller Zorn,"Als sie nach der Sache mit dem Taschentuch einfach nicht aufhören konnten. Sie mussten einfach weitere Hinweise platzieren. Ihr Kollege Kunt hat sich offenbar selbst mit den 'Verbrennenden Haaren' kontaminiert, als er die Handschuhe in Toits Büro in der Absicht ablegte, Professor Toit weiter zu belasten. Die Zeitspanne, die ihm das zu bereuen verblieb, war recht kurz und voller Qualen."
"Nun schade, das wird mich eine schöne Stange Geld kosten,", sagte er plötzlich und es klang irgendwie desinteressiert,"aber das ist ja nur Geld."
Rabbe runzelte die Stirn, da sie nicht verstand.
Schräg wollte einschreiten, als sich sein Mandant noch tiefer reinzureiten begann, doch Hint winkte ab.
"Hatte mit Kunt eine Steigerungswette laufen. Ich war dran mit steigern. Ich riskierte es und habe verloren."
"Sie haben zu viel riskiert. Und sie... Sie werden wahrscheinlich mehr als nur eine Stange Geld verlieren."
"Jetzt, wo Kunt tot ist, habe ich ja eigentlich doch noch gewonnen."
Rabbe schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Sie hatte plötzlich das deutliche Verlangen nach frischer Luft und einem guten Tropfen. Und zwar viel von Beidem.

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Hint saß auf der Pritsche in der Zelle und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Sein Jackett hatte er achtlos auf den Boden fallen lassen.
Rabbe hatte dem Professor erlaubt, mit dem Angeklagten zu sprechen. Lange sah er ihn an, bis Hint sein demonstratives Desinteresse aufgab und sich endlich Toit zuwandte.
"Profit ist anscheinend alles, was sie interessiert!", ereiferte sich Toit angewidert.
"Was?", der Mann lachte schallend und er beugte sich vor,"Oh, nein, mein Bester. Da befinden sie sich im Irrtum. In ihrer Naivität, denken sie, es sei uns um Geld oder Besitz gegangen, weil sie das für das genaue Gegenteil ihres idealen Bildes von der reinen Wissenschaft halten. In unseren Kreisen aber geht es um das einzig wichtige, dass in dieser Welt eine Rolle spielt. Strotz war eine so vielversprechende Person und dann doch nur eine einzige Enttäuschung. Er hat unsere Motive einfach nicht verstanden und sich in der Tat nur für satte Profite interessiert. Oh, und wie fleißig er war. Hat Immer wieder neue Geschäftsmodelle entwickelt, um mehr und noch mehr Profite zu erwirtschaften. Eine Weile hat uns das amüsiert, aber irgendwann wurde es langweilig. Er entwickelte sich nur in der Breite, wuchs aber nicht über sich hinaus, strebte nicht nach Höherem."
Toit blickte verwirrt auf den Mann.
"Höherem?", fragte Toit.
"Das Jagdfieber. Das Streben nach Macht und sie zu kontrollieren. Das große Spiel. Mit allen Mitteln den Sieg zu erringen. Geld? Wie lächerlich..."
[1] siehe formicidae Teil 1 oder Von Ameisen und Zwergen

[2] Das ist in der Tat kein Schreibfehler

Zählt als Ausbildungsmission zum/zur Laborant i. A..



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Feedback:

Von Jargon Schneidgut

14.10.2016

Fand ich schön gebaut und war sehr unterhaltsam. Ich fand etwas schade, dass sich die Spannung durch das frühe offenlegen der eigentlichen Täter sich nicht so recht entwickeln wollte, und das selbige ein wenig blass blieben. Das Verfolgen der Ermittlung war aber trotzdem spaßig und es gab viele Momente, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Ich werd in Zukunft wieder etwas mehr aufpassen, was Eichenspinnerraupen angeht ;).

Von Ophelia Ziegenberger

15.9.2016

Hat mir sehr gut gefallen! Besonders schön fand ich das fließend ineinander übergehende Zusammenspiel so vieler Wachecharaktere mit ihren typischen Eigenheiten. Auch die Auswahl der dafür herangezogenen Charaktere war gelungen. Was mich immer wieder irritierte, waren die abweichend gewählten Personalpronomen? Sowohl Senray, als auch Rabbe wurden mehrmals als Männer angesprochen, ohne dass es irgendwen verwirrt oder zu Protest veranlasst hätte. Absicht?

Von Rabbe Schraubenndrehr

11.9.2016

Wie schon gesagt, ich mag deinen Stil. Der Fall ist orignell und schön zu lesen, Huitzli kommt sympahisch und professionell rüber. Congrats zur fertigen Ausbildungssingle! :D

Von Rogi Feinstich

18.9.2016

Erstmal vorweg ich glaube dein Schreibstil hat sich deutlich gebessert. :) Sehr schön fand ich, dass du viele Charaktere der Wache verwendet hast wobei ich glaube nicht alles war wirklich character getreu. Magane und Bregs haben ein eher schwieriges Verhältnis. Ich denke es lohnt sich diejenigen die verwendet werden drüber lesen zu lassen.

Was ich ja am Anfang schön fand, dass du erwähnst wie lange Huitztli in Ausbildung ist und Magane sich sogar fragt was er die ganze Zeit macht, aber leider bist du dann darauf gar nicht mehr eingegangen. Weder ob es irgenwelche folgen hat noch was dein Char selber darüber denkt.

Die Bilder wären für die Geschichte finde ich auch nicht notwendig gewesen. Du hattest so viele schöne Beschreibungen den Schmetterling hättest du auch noch hinbekommen. ;)

Von Sebulon, Sohn des Samax

02.10.2016

Gut geschrieben und nachvollziehbarer Fall. *Daumenhoch*
Ich habe so meine Anfragen an das Gerichtssystem in deinem AM ... und ich persönlich finde ein hohes Maß an SUSI-Analysearbeit beim Lesen ermüdend. Das sind aber minimale Abstriche in dieser sehr hübschen Erzählung.
Als Ausbildungssingle auf jeden Fall würdig.

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