Aus dunkler Nacht

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von Hauptmann Daemon Llanddcairfyn (DOG)
Online seit 17. 05. 2016
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 17. 05. 2015 datiert
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 Außerdem kommen vor: Tussnelda von GrantickSillybosRomulus von GrauhaarAvalania von GilgoryRemedios von Schwarzfell

Tausend Kilo umherfliegendes Gestein sorgen für Aufmerksamkeit bei RUM und werden zur Chefsache.

Dafür vergebene Note: 12

Prologue Mysterieuse


"Du bist Schuld, Ock. Wenn Du Dein Versprechen gehalten hättest, wäre Sie noch bei mir."
"Darum geht es also. Und deswegen versuchst Du, mir den Schädel einzuschlagen? Was hast Du jetzt vor? Legst Du jetzt selbst Hand an?"
"Rede nicht so viel. Ich will Gerechtigkeit."
"Für Leute wie Dich gibt es keine-- argh."


Akt 1 - Wer die Nachtigall stört


Das Wachhaus lag ungewöhnlich ruhig da. Es waren die wenigen Augenblicke des Tags, in denen Frau Willichnicht vom wachhabenden Rekruten abgewimmelt worden war und der Rest der Stadt noch nicht genug Energie aufgebracht hatte, um die täglichen Anzeigen, Meldungen und Ansprüche auf Kopfgelder vorzubringen.
"Das wird nicht so bleiben", vermutete Romulus von Grauhaar und lag richtig, als im nächsten Moment die Tür geöffnet wurde und ein kleiner, ihm nicht bekannter Rekrut den Kopf in das Büro steckte.
"Sör", begann er die Meldung mit einem in der Regel richtigen Anfang. "Ein Vorfall in der Dollerwagenstraße. Offenbar wurde versucht, jemand mit einem zwei Tonnen schweren Stein zu erschlagen."
"Trollgewalt auf offener Straße? Vetinari wird-- irritiert sein." Der Abteilungsleiter war aufgesprungen und griff nach seiner Jacke.
"Keine Trolle, Sör", antwortete der Rekrut.

Vor dem Handelshaus Ock sah es aus, als hätte ein kleiner Meteroid eingeschlagen. Das Pflaster lag wie aufgesprengt rund um einen Krater, in dessen Mitte die gewaltigen Reste einer riesigen Steinplatte lagen. Scharfkantig starrten die zerbrochenen Bruchstücke die versammelten Wächter an. Tussnelda von Grantick und Sillybos grüßten Romulus, als er die Szene betrat.
"Woher in allen neun Höllen kommt dieses Mordsgerät?", fragte er.
Die Tatortwächterin verzog das Gesicht.
"Ich wünschte, es wäre ein Mordsgerät. Dieser Fall hätte das Zeug, mit der merkwürdigsten Waffe aller Zeiten in die Geschichte einzugehen."
"Was meine Kollegin taktsicher sagen möchte", unterbrach sie Sillybos. "Ist, dass die Steinplatte niemanden getötet hat. Und um Deine Frage zu beantworten: Das Handelshaus ist voll davon. Herr Ock importiert seltene Steinplatten und verkauft sie jedem, der seinem Haus, oder besser: seinem Casa etwas rundmeerischen Stil verleihen will. Herr Ock war es übrigens auch, der unter diesem Exemplar beinahe sein vorzeitiges Ende gefunden hätte."
"Aber wie ist es hier her gekommen?", fragte Romulus. "Haben die Bewohner des Stadtteils sich verschworen und mit einem 'Alle zugleich' nach Ock geworfen?"
"Ich denke nicht, dass das möglich wäre. Die Platte weißt neben ihrem Gewicht nur ungenügende aerodynamische Eigenschaften auf, die es-"
"Was mein Kollege umschweifend sagen möchte", unterbrach jetzt Tussnelda. "Ist, dass niemand die Platte geworfen hat." Sie deutete am Handelshaus hoch. Oben war eine große Klappe zu erkennen, die offen stand. Ein äußerst stabil wirkender Kran ragte aus der Hausfront. "Ein Teil der Platten - bezeichnenderweise die kleineren - und weitere Ware wird oben im Haus gelagert. Über die Luke werden sie mit dem Kran hier unten auf Karren geladen. Normalerweise."
"Gestern Abend hat allerdings jemand auf Kran und Karren verzichtet und eine Platte auf der Klappe gekippt. Dass dies genau zu dem Zeitpunkt geschah, zu dem Herr Ock das Haus verließ, erschien ihm und seinen Mitarbeitern etwas zu zufällig."
"Ich werde mal ein paar Gespräche führen", erklärte Romulus.

Herr Ottokar Olaf Owain Ock war ein nicht dicker, nicht dünner Mann mittleren Alters, der erstaunlich ruhig in seinem Büro im ersten Stock des Handelshauses saß.
"Du scheinst die Tatsache, dass Dir beinahe eine halbe Tonne Mamor auf den Kopf gefallen wäre, ja gut weggesteckt zu haben."
Ock zuckte mit den Achseln.
"Hätte mich die Platte erwischt, wäre mir das jetzt egal. Warum soll es mich also fertig machen, wenn nichts passiert ist. Glücklicherweise rauschte das Ding gerade an mir vorbei. Hätte es sich gedreht-"
"Wie konnte das passieren?", fragte der Wächter.
"Ich weiß nicht, wie gut Du dich auskennst", antwortete der Händler. "Die aerodynamischen Eigenschaften der Platte und die Höhe des Hauses-"
"Ich meinte eigentlich, wie die Platte aus der Luke gestürzt ist", Romulus zwang sich zu einem Lächeln.
"Das ist eine gute Frage. Die du am besten meinen Lagermitarbeitern stellst."

"Eigentlich gar nicht", antwortete Heinrich Hollerich und deutete auf die offen stehende Luke. "Wie Du siehst wird jedes Paket hier oben einzeln gesichert, damit es eben nicht umfällt." Er ging mit dem Wächter von Ocks Büro quer durch das Lager im ersten Stock, das kreuz und quer mit Kisten unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit vollgestellt war. Der Lagerarbeiter Hollerich war erstaunlich hager und wirkte etwas zu alt für seine Arbeitsstelle.
"Und das hält das Gebäude aus?", fragte Romulus ungläubig.
"Das meiste, was wir an Ware reinbekommen, steht natürlich unten. Das Haus würde zusammenbrechen, wenn wir die großen Platten hier oben hätten. Hier stehen eigentlich nur die Pakete mit Fliesen und Zubehör, das wir verkaufen. Tonkrüge, Amphoren und sowas. Was zum rundmeerischen Flair halt dazugehört."
"Und trotzdem stand die Platte, die Herrn Ock beinahe erwischt hätte, hier oben an der Klappe", stellte der Wächter fest.
Hollerich zuckte etwas zusammen.
"Ja. Das ist schon merkwürdig."
"Wer leitet das Lager?"
Der Gefragte zögerte.
"Das macht der Michael Mischenbergerhase", kam schließlich die Antwort. "Aber in letzter Zeit war einiges los. Da haben wir zum Teil frei nach Schnauze gearbeitet. Da landet schon mal was am falschen Platz."
"Zum Beispiel auf der Straße", murmelte Romulus. Ihm fielen einige Bodenluken im Lagerboden auf, die zum Teil mit Seilen ringsum gesichert waren und offen standen. "Wofür sind denn die Luken hier drin?"
"Ab und zu wollen die Kunden die Ware zusammen sehen. Oder wir stellen die Lieferungen zusammen. Und manchmal geht etwas per Schiff raus, dann verladen wir über den hinteren Kran direkt zum Hafen", Heinrich zeigte auf die gegenüberliegende Seite des Lagers, wo eine weitere Verladeluke zu sehen war. "Dann hieven wir die Platten über die Seilzüge hoch. Oder lassen Ware herunter", er zog an einem der vom Gebälk herunterhängenden Seile, die mit großen Haken versehen waren.
"Schauen wir uns das mal an", sagte der Wächter und ging auf die hintere Ladeluke zu.
"Pass auf die Sicherungstaue auf!", rief Hollerich. "Wenn die gespannt sind, ist die Luke offen. Dann gehst Du besser außen rum."
"Warum gibt es hier überhaupt so viele Luken?", wollte Romulus wissen und blieb stehen. Eigentlich hatte die Verladetür zum Hafen ja auch gar nichts mit der Sache zu tun.
"In diesem Haus wurde schon so ziemlich alles gehandelt. Gewürze, Holz, Kohl, Getreide, Vieh, Kohl, Kutschen. Hier wurde öfter umgebaut, als ein Esel Zähne hat. Wir sichern nach Bedarf die Luken, die wir nutzen, und lassen die anderen zu."
Der Wächter nickte.
"Was hältst Du von Deinem Chef?"
"Herr Ock ist der freundlichste Mensch der Welt", Heinrichs Augen glänzten bei diesen Worten. "Hat mich vor Jahren angestellt und ich sorge dafür, dass er das nicht bereut."
"Und wo warst Du gestern Abend?"
Der Gefragte machte große Augen.
"Ich?", sagte er. "Ich war zu Hause. Wo soll ich aus sonst hin? Ich bin ja nicht mehr jung und kann wie Bert jeden Abend meinen Lohn im Hinkenden Biber versaufen", er biß sich auf die Lippen. "Bert ist mein Kollege hier", fügte er kleinlaut hinzu.

"Bert Bart?", Viktor Vielgesang nickte. "Der arbeitet hier. Du findest ihn bestimmt hier unten im Plattenlager zusammen mit Herrn Mischenbergerhase. Die beiden und Herr Hollerich sind unsere Mannschaft, wie Herr Ock sie nennt."
Romulus sah sich kurz um. Er war über eine Treppe aus dem Lager wieder in den Verkaufsraum im vorderen Teil des Gebäudes heruntergestiegen und hatte Vielgesang angetroffen. Der junge Mann war der eifrige Handelsgeselle des Importeurs Ock und hatte hilfsbereit von den Kladden und Papieren aufgesehen, über die er gebeugt gewesen war, als der Wächter die Stufen herunter kam.
"Wie lange bist du hier?", fragte der Wächter.
"Ich bin eben erst gekommen. Schlimme Sache, das mit der Steinplatte. Ich suche gerade die Rechnung heraus, um den genauen Schaden zu beziffern."
"Ich meinte eigentlich", der Wächter war kurz davor, die Geduld zu verlieren. "Seit wann Du für Herrn Ock tätig bist."
Vielgesang nickte eifrig.
"Natürlich, Sir. Entschuldigen Sie, Sir. Ich bin seit zwei Jahren bei Herrn Ock beschäftigt."
"Und wie ist der Chef so?"
Der junge Mann schien gründlich über seine Antwort nachzudenken. Dann sagte er:
"Herr Ock ist stets bemüht, die Wirtschaftlichkeit dieses Unternehmens zu gewährleisten. Dafür nimmt er Härten sowohl für sich, als auch für seine Belegschaft in Kauf."
"Für seine Mannschaft, meinst Du", hakte Romulus spöttisch nach.
"Ich meine für seine Belegschaft, Sir."
Der Wächter dachte kurz nach.
"Wo warst Du gestern Abend?", wählte er eine sichere Gesprächsrichtung.
"Ich habe mich nach Beendigung meiner Tätigkeiten in meine Wohnung zurückgezogen."
"Allein?"
"Selbstverständlich, Sir."
"Nun gut." Romuus hatte genug von diesem aalglatten Burschen und wandte sich zur Tür, um das Lager im Untergeschoss zu betreten. "Ach, eins noch", er hielt inne. "Du sagtest, der Sturz der Platte wäre ein erheblicher finanzieller Ausfall für das Geschäft?"
"Ich sagte, ich sei gerade dabei, dies zu eruieren", versetzte Viktor Vielgesang. "Der Wert einer solchen Platte hängt von vielen Faktoren ab. Ihrer Größe und Stärke. Dem Material natürlich und der Güte der Maserung. Nicht zuletzt natürlich von den aerodynamischen Eigenschaften."

Als der Wächter das Lager im Ersgeschoss betrat, ließen zwei Männer gerade eine große Kiste durch eine der Luken herab. Sie hielten ein dickes Seil, das offenbar am Gebälk des Stockwerks darüber befestigt war. Langsam sank die große Holzkiste fast fünfzehn Meter tief auf den Boden. Der große Raum war gefüllt mit aufrecht stehenden Steinplatten aller Größen und Farben. Für Romulus wirkte alles reichlich durcheinander, doch er war sicher, dass Viktor Vielgesang ihm auch hierfür einen geeigneten Ausdruck hätte liefern können, durch den es wesentlich weniger chaotisch wirken würde. Die beiden Lagerarbeiter wirkten so, wie man es bei der Bezeichnung erwarten würde. Sie trugen staubige Kleidung, hatten breite Schultern und Schweiß auf den Stirnen. Beide seufzten erleichtert, als die Kiste endlich den Boden erreicht hatte.
"Ist unten, Heinrich!", rief einer der beiden hoch. "Mach die Luke zu und die Taue ab, dann können wir gleich den Rest der Fliesen ordnen." Er sah Romulus und nickte.
"Ah, die Wache", er steckte die Hand aus. "Michael Mischenbergerhase. Ich bin hier der Vorarbeiter."
"Ich habe bereits von Dir gehört", erwiderte Romulus lächelnd und ergriff die ausgestreckte Hand.
Der Lagerarbeiter schaute schnell hoch zu der Deckenluke, die sich gerade schloss. Sein Blick wurde misstrauischer.
"Das ist Bert Bart", er zeigte auf den dritten Anwesenden. "Was können wir für Dich tun?"
"Eigentlich will ich nur wissen, warum jemand Herrn Ock eine Trolladung Stein auf den Kopf werfen würde", antwortete der Wächter und versuchte, die beiden kräftigen Männer gleichzeitig im Auge zu behalten.
Bert Bart hatte begonnen, die Kiste ruckweise unter der Luke weg zu ziehen und schien sich nicht weiter um das Gespräch zu kümmern. Die Kiste kratze laut auf dem Boden des Lagers.
"Was soll ich sagen?", antwortete Michael Mischenbergerhase. "Ock ist ein Geschäftsmann. Macht mal was richtig, mal was falsch. Und eckt natürlich auch mal an. Aber dass ein Geschäftspartner ihn umbringen wollen würde, glaube ich nicht."
"Er soll Euch hier ja ziemlich hart rannehmen", sagte Romulus.
Das Kratzen der Kiste auf dem Boden verstummte.
"Wir haben immer ganz gut zu tun", erklärte der Vorarbeiter unverbindlich.
"Und wo ward Ihr gestern Abend?"
"Wir waren beide im Hinkenden Biber. Gleich zwei Straßen weiter. Kannst gerne nachfragen. Da sind wir eigentlich jeden Abend."
Der Wächter machte sich eine gedankliche Notiz.
"Und wie ist die Platte nach oben und an die Luke gekommen, wo sie nichts zu suchen hatte?"
Der Arbeiter zuckte mit den Schultern.
"Heinrich und Bert haben sie dahin gepackt. War hier unten wohl kein Platz. Ich kann meine Augen ja nicht überall haben."
Romulus nickte und bedankte sich. Als er durch den Verkaufsraum das Gebäude verlassen hatte, wurde ihm nach gerufen. Michael Mischenbergerhase kam ihm nach.
"Hör mal", sagte er. "Wenn Du im Biber nachfragst. Ich will nicht, dass Du auf falsche Ideen kommst." Der kräftige Mann druckste herum. "Der Bert. Der hat gestern ziemlich über den Alten gemeckert. Die haben wohl richtig Ärger. Bert ist am Ende sogar besoffen aus der Kneipe geflogen."
Der Wächter zog eine Augenbraue hoch, doch der Vorarbeiter hob abwehrend die Hände.
"Du sollst einfach nicht denken, Bert hätte was mit der Sache zu tun. Der sagt immer mal wieder was, wenn er getrunken hat. Aber deswegen bringt er ja nicht gleich den Alten um."

Sillybos ging einige Schritte mit Romulus, nachdem sich Michael Mischenbergerhase verabschiedet hatte.
"An keiner der Eingangstüren sind Einbruchspuren zu finden. Weder der Chef, noch die Arbeiter haben Familie. Gestohlen wurde nichts. Wäre ja auch etwas schwierig, die Beute wegzuschaffen."
"Bart hat sich über seinen Chef aufgeregt, aber Mischenbergerhase bestätigt sein Alibi. Allerdings nicht für den ganzen Abend. Ich werde jemanden in den Hinkenden Biber schicken, um weitere Zeugen zu suchen", erklärte Romulus. "Vielgesang und Hollerich haben beide kein Alibi. Wer geht denn einfach so alleine nach Hause? Denkt denn keiner mehr mit?" Er schüttelte den Kopf. "Heinrich Hollerich hat scheinbar als einziger eine gute Meinung von Ock. Und kein Geschäftspartner soll ein Problem mit dem Geschäft haben. Zum Glück ist Keinem etwas passiert. Sagt Bescheid, wenn Ihr noch etwas findet, ja?"


Akt 2 - Wie das Wogen dunkler Wellen


Der Rekrut hatte an diesem Tag Gelegenheit, Frau Willichnicht an einen Kollegen zu verweisen, als er ein weiteres Mal den Weg zum Abteilungsleiter für unlizensierte Gewaltdelikte antrat.
"Es geht wieder um die Dollerwagenstraße, Sör", erklärte er. "Die Gerichtsmediziner sind bereits vor Ort."

Ottokar Olaf Owain Ock lag inmitten seiner teuren Steinplatten ausgestreckt auf dem Boden des Lagers unter einer der Luken, die hoch über Ihnen offen stand. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Umstehenden an. Avalania zuckte mit den Achseln.
"Keine Zeichen von Gewalteinwirkung. Außer dem Sturz", ergänzte sie, bevor Romulus etwas sagen konnte. "Ich sehe keine Spuren eines Keulenschlags, einer Stichwunde oder ähnliches. Genaueres natürlich erst, wenn wir mit ihm im Wachhaus fertig sind."
"Macht das Gebäude dicht. Ich will nicht, dass hier noch einer rein oder raus geht, ohne dass wir es mitbekommen." Romulus sah hoch zur Klappe. "Jetzt interessiert mich doch sehr, ob da oben ein Tau um die offene Luke gespannt ist." Er stieg hoch und sah sich um. Das Büro von Ock stand offen. Die Luke, durch die er gestürzt war, befand sich erstaunlich nah an der Tür. Romulus erkannte sofort, dass sie nicht gesichert war. Ock war eine Falle gestellt worden. Und er war prompt hinein getappt.

"So, Herr Vielgesang. Dann erzähl doch mal, was gestern Abend passiert ist." Romulus setze sich und lächelte den jungen Mann an.
Viktor richtete sich auf.
"Wir haben gestern im Akkord gearbeitet. Einige Aufträge waren liegen geblieben und das Lager war in einiger Unordnung. Ich hatte den Eindruck, Herr Ock war doch etwas mehr über den Vorfall am Abend zuvor aufgebracht, als es zunächst den Anschein hatte. Er ließ die Lagerarbeiter bis in die Nacht Ware schleppen und zusammenstellen. Ich selbst war im Laden damit beschäftigt, die Aufträge zusammen zu suchen und die Bestelllisten abzugleichen. Ich war froh, nicht im Lager zu sein, wo eine schlechte Stimmung herrschte."
"Wegen der zusätzlichen Arbeit?", hakte Romulus nach.
"Auch." Viktor Vielgesang zögerte. "Außerdem zog sich Herr Ock weiteren Unmut zu, indem er im Lager Anweisungen erteilte, während er Kekse aß und Tee trank. Die Arbeiter waren deshalb aufgebracht."
"Zu Recht?", fragte Romulus.
"Ich erlaube mir diesbezüglich kein Urteil."

"Was soll man davon schon halten?", sagte Michael Mischenbergehase. "Man arbeitet sich den Buckel krumm und der Chef steht daneben. Dafür ist er wohl Chef. Irgendwann ist er dann nach oben gegangen. Wahrscheinlich, um Bert zu nerven. Heinrich und ich haben unten weiter Lieferungen zusammengestellt und für die Abholung bereit gemacht."
"Bert Bart war oben?"
"Der hat die Pakete oben zu den Luken gebracht und die Seilzüge fertig gemacht."
"Und dann?"
"Dann? Der Chef war kaum zehn Minuten oben, da war er auch schon wieder unten. Allerdings wesentlich schneller, als er hochgegangen war."
"Er fiel durch die Klappe?"
Michael Mischenbergerhase nickte.
"Kam runtergerauscht wie ein Sack Mehl. Muss so schnell gegangen sein, dass er nichtmal geschrien hat. Plötzlich knallt es hinter uns und da liegt er."
"Er hat nichts gerufen?"
"Der ist durch eine Luke gefallen, die wir nie benutzen. Ganz vorne. Da ist oben gar nichts gelagert, so nah am Büro vom Alten. Wer die offen hat stehen lassen, hatte entweder keine Ahnung oder wusste genau, was er tut. Ock muss ziemlich überrascht gewesen sein."

"Herr Bart." Romulus grinste. "Setz Dich doch. Erzähl uns von letzter Nacht."
Der Kraftprotz sah sich nervös um. Mehrere Wächter befanden sich mit ihm im Raum.
"Na gut. Also. Das war so." Er zögerte. "Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und irgendwann war der Chef weg. Und als ich aus dem Laden komme, um eine Liste zu holen, liegt er tot vor mir."
"Du warst im Laden?" Der Wächter tat überrascht. "Merkwürdig. Herr Vielgesang hat gar nicht erwähnt, dass Du dort warst. Weil er ja die ganze Zeit im Laden war, um die Auftragspapiere fertig zu machen."
Der Lagerarbeiter zuckte heftig zusammen.
"Laden? Sagte ich Laden?" Er biss sich auf die Lippen. "Ich meinte ich war im Lager und plötzlich fiel er neben mir auf den Boden."
"Er fiel neben Dich? Ins Erdgeschoss? Hätten Dich Michael und Heinrich da nicht sehen müssen?"
Bert Bart japste.
"Oben! Oben im Lager! Er fiel und ich hab's noch gesehen und--"
"Ich sage Dir, was passiert ist, Herr Bart", unterbrach ihn Romulus. "Du warst oben im Lager und hast die Pakete fertig gemacht. Und als Du gesehen hast, dass Herr Ock in sein Büro geht, hast Du die Bodenluke direkt hinter seiner Tür geöffnet und die Lampen gelöscht. Dummerweise hast Du nicht bedacht, dass die Sache nur auf Dich zurückfallen kann. Genauso, wie Du vorgestern Nacht die aerodynamischen Eigenschaften von Steinplatten nicht bedacht hast."
"Aerodynamische-?", stammelte der hilflos schauende Hüne.
"Genau", erklärte der Wächter. "Abführen."

"So kann das wohl gewesen sein" sagte Heinrich Hollerich, der mit roten Augen vor Romulus saß. Offenbar ging ihm das Ableben seines Chefs nah. "Könnte so passiert sein, ja. Michael und ich unten, der Junge im Laden. Bert kam hinter Viktor her von oben, als wir von unten riefen. Muss wohl so gewesen sein."
"Die Kollegen sollen recht sauer auf Herrn Ock gewesen sein. Weil vieles im Lagerchaos untergegangen war und sehr viel Arbeit anlag."
"Ja. Dabei hat der Chef nur versucht, das beste daraus zu machen. Dann müssen alle mit anpacken. Waren ja auch alle mit dran Schuld. Wir hätten die Klamotten ja nicht so durcheinander abstellen müssen, nur weil es uns gesagt wurde. War ja klar, dass der Junge noch keine Ahnung hat."
Romulus zog eine Augenbraue hoch.
"Der Junge? Viktor Vielgesang?"
Hollerich nickte und sah auf die Tischplatte herab.
"Der Junge hat sich in letzter Zeit immer wieder eingemischt. Meinte, mit seiner Ausbildung wüsste er es besser als wir. Wenn Michael nicht da war, haben wir gemacht, was der Junge uns gesagt hat. Wenn ich gewusst hätte, dass das so ein Durcheinander wird. Wenn ich gewusst hätte, dass Bert--", er schluchzte. "Dass Bert wegen der Überstunden so durchdreht."
Der Wächter lehnte sich langsam zurück.
"Du hast mir gestern gar nicht erzählt, dass Vielgesang sich im Lager eingemischt hat", stellte er fest.
Hollerich sah ihn schuldbewusst an.
"Ich wollte ihn nicht reinreiten. Das mit der Platte war schlimm genug. Da sollte der Junge nicht auch noch für die Unordnung die Schuld kriegen."
Romulus sah ihn lange schweigend an. Dann fragte er:
"Hat Viktor Vielgesang auch dafür gesorgt, dass die Steinplatte an der oberen Ladetür gelagert wird?"

Interludium

"Du bist Schuld, Ock. Wenn Du Dein Versprechen gehalten hättest, wäre sie noch bei mir." Bert Bart stand sehr nah vor Ottokar Ock in dessen dunklem Büro.
Ock stellte ruhig seine Teetasse ab.
"Darum geht es also", sagte er. "Und deswegen versuchst Du, mir den Schädel einzuschlagen? Was hast Du jetzt vor? Legst Du jetzt selbst Hand an?" Er lächelte spöttisch.
"Rede nicht so viel." Bert Bart griff nach dem Kragen seines Chefs. "Ich will Gerechtigkeit."
"Für Leute wie Dich gibt es keine-- argh." Ock riß die Augen auf und sackte zusammen.
Bert hielt den leblosen Körper am Kragen vor sich und japste überrascht.
"So war es", erklärt er und sah Romulus vorsichtig an. "Er ist einfach-- gestorben."
"Und dann?", fragte der Wächter.
"Ich bin in Panik geraten. Ich. Allein mit dem Alten oben. Alle wissen, dass ich sauer auf ihn bin. Ich hab doch nichts gemacht! Ich dachte: Leg ihn ins Lager und ruf um Hilfe. Dann geht's schon gut." Bert Bart kratzte sich am Kopf. "Also pack ich ihn, wie nen Sack vor der Brust, und schlepp ihn raus. Aber kaum bin ich aus der Tür, tret ich ins Leere. Ich lass den Alten los, halt mich am Türrahmen fest und der Chef saust ins Loch. Da war es passiert. Ock da unten und ich allein oben. Da bin ich schnell runtergerannt zu den anderen."
Romulus grinste ein sehr großes Grinsen.
"Weißt Du was, Herr Bart?" Der Wächter beugte sich vor zu ihm. "Ich glaube Dir."


Akt 3 - Himbeer, Erdbeer und Vanille


Keine Stunde später saß der junge Angestellte des Handelshauses in einem kleinen Raum des Wachhauses Romulus gegenüber. Viktor Vielgesang wirkte deutlich weniger gefasst, als bei den vorherigen Gesprächen.
"Herr Vielgesang." Der Wächter eröffnete das Gespräch in gewohnter Weise. "Du wirst nicht glauben, was mir zu Ohren gekommen ist."
"Ich kann versichern, dass ich gerne bereit bin, Deinen Worten Glauben zu schenken, Sir."
Romulus lächelte ihn freudlos an.
"Ich habe gehört, dass Du es warst, der dafür gesorgt hat, dass die Granitplatte, die vorgestern beinahe den seligen Herrn Ock getötet hätte, nah an der vorderen Ladetür im ersten Stock stand. Und zwar so, dass auch ein Schwächl-- dass auch ein Nicht-Lagerarbeiter problemlos die Sicherung lösen und die Platte aus dem Tor heraus auf die Straße kippen konnte."
Viktor Vielgesang erwiderte nichts und sah den Wächter ausdruckslos an.
"Und dann hab ich nachgedacht", Romulus lehnte sich zurück. "Wäre es nicht möglich, dass gestern Nacht jemand über die Treppe hoch ins Lager geschlichen war, nachdem Herr Ock hochgegangen war? Jemand, der von den Lagerarbeitern ungesehen im Laden war und einfach nur leise hinterher gehen musste? Jemand, der wusste, dass Bert Bart oben war und dass die Wache wusste, dass Bart sich öffentlich ausfallend über Ock geäußert hatte?" Romulus machte eine kurze Pause, doch Vielgesang verriet mit keiner Miene, was er von den Äußerungen hielt. "So jemand hätte nicht wissen können, dass Bert Bart in das Büro hinterher gegangen war, um Ock zur Rede zu stellen. Dieser Jemand hätte einfach die Bodenluke direkt vor der Bürotür geöffnet, hätte die Lampen gelöscht und sich zurück geschlichen, um danach Bert Bart die Schuld in die Schuhe zu schieben." Romulus sah den jungen Mann kalt an. "War es nicht so, Herr Vielgesang?"
Der Angesprochene regte sich eine Zeitlang nicht. Dann antwortete er.
"Beinahe, Sir." Viktor Vielgesang sah kurz auf seine Hände, blickte dann aber wieder fest in die Augen seines Verhörenden. "Ich habe dafür gesorgt, dass ich die Steinplatte auf Herrn Ock fallen lassen kann. Doch es ging schief. Glücklicherweise stießt Du bei Deinen Nachfragen auf die Wutausbrüche des Herrn Bart, die mein sehr schlechtes Alibi quasi unnötig machten. Gestern Nacht wollte ich es noch einmal versuchen und tat, was Du beschrieben hast. Allerdings begab ich mich nach dem Öffnen der Luke nicht herunter. Ich dachte, Herr Bert sei im vorderen Teil des Lagers und ich könnte den Erfolg meines Plans mit erleben. Das war dumm. Ich hätte gleiches mit weniger Verdachtsmoment auch von unten zu erledigen vermocht. So aber konnte ich erkennen, dass nicht Herr Ock aus dem Büro trat, sondern Herr Bart, der Herrn Ock leblos vor sich her trug. Ich erschrak sehr, wollte ich Herrn Bart doch nichts mehr antun, als ihm die Schuld am Tod des Herrn Ock anzulasten. Würden beide in die Tiefe stürzen, würde ich selbst in Verdacht geraten. So war ich sehr erleichtert, als Herr Bart sich mit einem schnellen Griff zum Türrahmen retten konnte. In dem kurzen Augenblick, in dem ich die beiden gemeinsam erhaschen konnte, sah ich allerdings, dass Herr Ock bereits tot war, als er aus seinem Büro getragen wurde. Seine glasigen Augen stierten offen in die Dunkelheit. Er ging schlaff in den Armen des Herrn Bart."
"Um Bert Bart musst Du Dich nicht sorgen", erklärte Romulus. "Wir haben ihn vor einer Stunde entlassen. Du jedoch gehst für zweifachen Mordversuch, Verleumdung und allem, was den Anwälten Vetinaris noch einfällt, hinter Gitter."
Nachdem Viktor Vielgesang abgeführt worden war, sackte Romulus in seinen Stuhl.
"Das war's also?", fragte Remedios von Schwarzfell. "Alle Welt hasst Ock und er fällt einfach so zwischen zwei Mordversuchen tot um?"
Romulus dachte schweigend nach.
"Es sei denn", sagte er schließlich. "Es gibt noch jemanden, der das Motiv von Bart nutzen wollte, um seinen eigenen Mordanschlag auf ihn zu wälzen." Romulus sprang auf. "Wo ist Bart jetzt?"
"Er wollte zum Handelshaus. Nachdem wir Vielgesang hierher bestellt hatten, wurde die Tatortsperre aufgehoben. Bart sagte, die Lieferungen rauszubekommen wäre die einzige Möglichkeit, an den letzten Lohn zu kommen, jetzt, da Ock tot ist."
Der Wächter griff nach seiner Jacke.


Finale Furioso


Michael Mischenbergerhase hob einen weiteren Karton hoch und drückte ihn Heinrich Hollerich in die Arme. Der ältere Mann stöhnte leise.
"Der hier noch, dann haben wir alles für Bauxe zusammen", verkündete der Vorarbeiter.
"Sind wir dann hier unten fertig?", fragte Heinrich mit einem unsicheren Blick auf den Kreideumriss, der im vorderen Bereich des Lagers auf den Boden gemalt war.
Der Andere überlegte kurz.
"Du kannst hier noch aufräumen, ich bin schon mal oben", sagte er dann und verließ den Raum.
Heinrich stellte den Karton zu einigen anderen nahe des großen Lagertores und sah sich um.
"Ihr seid ja weit gekommen", sagte eine Stimme hinter ihm und Bert Bart trat durch das Tor ins Lager.
"Bert!", rief Heinrich aus. "Haben sie Dich laufen lassen?"
Bert grinste.
"Sie haben Viktor erwischt. Der Junge hat die Platte auf den Alten fallen und gestern Nacht die Luke offen stehen lassen."
"Ach deswegen war der Wächter so aufgeregt, als ich ihm erzählt hat, dass Viktor uns die Platte oben hinstellen lassen hat", sehr langsam dämmerte Erkenntnis auf Heinrich Hollers Stirn. "Aber ihm kann ja nichts passieren, oder?", fragte er. "Wenn Herr Ock schon hin war, als er Dir in die Luke gefallen ist?" Heinrich schluckte unwillkürlich beim Gedanken an seinen toten Chef.
Bert Bart schaute ihn nachdenklich an.
"Ich glaube nicht, dass da große Unterschiede gemacht werden", sagte er und sah auf ein Kreideumriss. "Aber Du hast Recht: Ock war schon tot, bevor er hier runter fiel. Wo ist Michael?"

Der Vorarbeiter sah sich um. Wohin jetzt damit? Das Büro hatte kein Fenster, er musste das Ding irgendwie aus dem Haus heraus schaffen. Schnell in den Laden runter und raus aus dem Haus. Draußen würde sich schon etwas finden. Er wandte sich zur Tür.
"Du hättest mich eiskalt über die Klinge springen lassen, was?", sagte Bert Bart, der im Türrahmen stand.
"Bert! Du bist frei!", rief Michael Mischenbergerhase übertrieben freundlich.
"Hast den Alten umgelegt und wolltest das mir anhängen. Ein guter Freund bist Du." Bert ging auf den Anderen zu und griff nach dessen Arm. "Was versteckst Du da?" Er drehte die Hand, die Michael hinter dem Rücken gehalten hatte, nach vorn. Der Vorarbeiter hielt die Teetasse in der Hand, die auf dem Schreibtisch gestanden hatte.
Michael schluckte.
"Hör mal. Bert. Ich kann das--" Große Hände packten ihn und hoben ihn hoch. Mit Schwung wurde er am Kragen durch den Raum gewirbelt und zur Bürotür rausgestoßen.
"Im Knast verrotten hättest Du mich lassen", sagte Bert Bart lauter.
Michael Mischenbergerhase schrie auf und griff panisch nach dem Türrahmen links und rechts seines Angreifers, als er den Boden unter den Füßen verlor. Bert Bart hatte ihn bis an die offen stehende Luke gestoßen, durch die Ottokar Ock in der Nacht zuvor gestürzt war.
"Bert", machte der Vorarbeiter hilflos und suchte verzweifelt mit beiden Händen Halt.
"Herr Bart! Mach keinen Unsinn!", rief es plötzlich hinter Michael. Einige Meter weiter unten wurden Romulus und Remedios durch die Bodenluke sichtbar. Die Wächter standen auf dem Kreideumriss Ocks und schauten zu den beiden hinauf.
"Du bist unschuldig. Der ist es doch nicht wert", rief die Wächterin lahm hinauf.
Michael Mischenbergerhase starrte Bert mit aufgerissenen Augen an. Bert fletschte die Zähne, sein Griff wurde stärker.
"Vetinari wird sich um ihn kümmern!", sagte Romulus ruhig. Bert schnaubte und-- zog Michael von der Kante der Luke weg.
Schnell trat Heinrich Hollerich dazu, der ängstlich an der Treppe gewartet hatte, und schloss die Luke.
"Jetzt wird alles gut, Bert", sagte er.



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Feedback:

Von Cim Bürstenkinn

29.5.2016

Du warst definitiv nicht lange genug im Lazarett :)
Wahrscheinlich gab es keine ordentlichen Igore dort.

Die Geschichte "riecht" nach Daemon, tief in Anspielungen und Bedeutung, auch wenn nicht immer alles klar wird.

Gefällt mir, aber Du hast schon längere Sachen geschrieben :)

Von Huitztli Pochtli

26.5.2016

Die Geschichte hat mir wirklich gut gefallen, vor allem, dass sich der Plot bis zum Ende hin gesteigert hat.

Von Sebulon, Sohn des Samax

24.5.2016

Gefällt mir gut. Vielen Dank für diesen (kurzen) Lesegenuss!

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