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von Agent Sebulon, Sohn des Samax (IA)
Online seit 06. 12. 2014
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Außerdem kommen vor: Glum Steinstiefel – Braggasch Goldwart – Menélaos Schmelz
Es war einmal und ist nicht mehr, meine Freunde, weil es sich nur einmal so zutragen konnte.
Vor langer Zeit lebte eine Bäckerin mit dem Namen Ptrude in Djelibebi. Tagaus, tagein buk sie die feinsten Süßspeisen in noch mehr Geschmacksrichtungen, als man heute kennt. Sie kreierte saure Drops, die mit der Zeit süß wurden. Sie erfand die Lakritzstange und den Käsekuchen. Ihre Pfannkuchen waren unvergleichlich. Ptrude war die erste Bäckerin, die Kuchen nicht nur mit Puddingfüllung zur Vollendung brachte, sondern in ihren geheimen Rezepten fanden sich sogar Schokoladensorbet-Kuchen, Kokusnuss-Kuchen und Sirup-Rosinenbrot. Ihre Künste waren weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und begehrt, denn sie schuf Zuckerhüte, die auf jeden Kopf gepasst hätten, buk Kuchen, deren Gerüche sich mit der Raumtemperatur änderten, kandierte Obst in den wunderlichsten Farben - kurz: Wenn jemals jemand den Titel "Bäcker" verdient hatte, dann sie.
Nun müsst ihr wissen, liebe Freunde, dass zur Zeit von Ptrude jeder Tag außerordentlich heiß war. Das lag daran, dass die Sonne den ganzen Tag über ungehindert am Himmel stand. Wolken, Nebel und dergleichen gab es damals noch nicht.
Viele Jahre hatte man sich damit behelfen können, das Wasser des Flusses Djel zur Kühlung zu benutzen und war vor allem im Haus geblieben, wenn es draußen unerträglich heiß wurde. Doch in dem Jahr, von dem ich erzählen will, war die Hitze am Tage so groß, dass der Strom auszutrocknen begann. Da war die Sorge groß und das Geschrei laut.
Die Bewohner von Djelibebi wandten sich an ihre Götter, doch die Götter wussten, was geschehen würde. Daher taten die Mächtigen, was sie so oft taten: Sie hielten sich aus der Angelegenheit heraus.
Alsbald wurden Magier und Hexen befragt, wie man die Hitze der Sonne mildern könnte. Alles wurde versucht, doch, ihr ahnt es schon, liebe Freunde, kein Elementargeist wollte ewig an den Himmel gebunden sein und kein Dämon wollte einen ausreichend großen Sonnenschirm schultern müssen.
Noch gaben die Bewohner von Djelibebi nicht auf. Die Mathematiker und Philosophen wurden um Hilfe gebeten. Sie waren die klügsten Männer und Frauen des Pyramidenlands. Wenn sonst nichts helfen konnte, und wirklich erst dann, wandte man sich an diese gründlichen Denker. Doch sie verweigerten ihre Hilfe! Stellt euch das vor, liebe Freunde, ein ganzes Volk litt unter der Tageshitze, doch die schlausten Köpfe fanden die Problemstellung zu 'profan', wie die einen sagten und zu 'trivial', wie die anderen meinten. Es war zum Haareraufen.
Natürlich ahnt ihr schon, dass nun Ptrude auf den Plan trat. Sie kannte die Mathematiker und Philosophen gut. Sie mochten ein gutes Rätsel, eine intellektuelle Überraschung. Außerdem, so asketisch diese Leute lebten, sie aßen wirklich gerne.
Also machte sich Ptrude ans Werk. Sie experimentierte mit Gries und Blätterteig, mit Süß- und Sauerteig. Nach einer Woche hatte sie eine neue Kreation geschaffen: Ein luftiges, rundes Gebäck, das schmeckte, als wäre in ihm der Monsun eingefangen. Sie präsentierte es stolz den Djelibebischen Denkern, die sich ohne zu zögern auf dieses kulinarische Enigma stürzten.
Doch da hatte der Kopf die Rechnung ohne den Magen gemacht, liebe Freunde. Die Denker schlemmten nach Herzenslust, doch anstatt sich anschließend wie versprochen mit dem Lösen des Hitzeproblems zu befassen - schliefen sie. Was für eine Enttäuschung für Djelibebi! Man weckte die Mathematiker und rüttelte die Philosophen wach, doch kein schlauer Gedanke war von ihnen zu vernehmen. Sie waren der Schnitzelstarre erlegen!
Seitdem und aus Wut über die intellektuelle Elite des Landes nannte man dieses Gebäck fortan Windbeutel.
Die Einzigen, die den Bürgern des Landes noch einfielen, waren die Architekten. Man trug die Bitte an sie heran, die Kraft der Sonne zumindest zu mildern. Man konnte sich nicht vorstellen, dass diese wirklich ein schützendes riesenhaftes Kuppeldach erdenken würden.
Und die Architekten machten sich an die Arbeit.
Unsere Bäckerin Ptrude hingegen war nachdenklich geworden. Sie fragte sich: 'Wenn ich Wind in einem Gebäck bannen kann, kann ich dann auch so luftige Ware backen, dass sie zum Himmel schwebt? Kein Gebäck ist mir zu schwer, also vielleicht, ganz vielleicht ...?'
Sie begab sich auf Wanderschaft und konsultierte ihre Kollegen. Dann zog sie sich an den Rand des Landes zurück. Sie versuchte es mit Streuselteig, doch der war zu fest. Dann experimentierte sie mit Zuckerwatte, doch auch das ging schief. Sie buk, buk und buk ein halbes Jahr lang. Und endlich hatte sie Erfolg! Die ersten Gebäcke, die zum Himmel schwebten, waren aus fluffig-flüchtigem Teig. Heute nennen wir sie Schäfchenwolken. Sie buk aus dem gleichen Teig aber mit anderen Gewürzen zunächst Federwolken, dann hauchdünne Schleierwolken. Sie arbeitete an dem Rezept und machte wie mit Blätterteig die Haufenschichtwolken. Als krönenden Abschluss schuf sie aus großen Flocken dieses Teigs und mit ihrem Windbeutelgeheimnis die Regen- und Gewitterwolken.
Und der Himmel wurde dunkel.
Und die Erde wurde kühl.
Und zum ersten Mal regnete es in Djelibebi.
Den Rückweg durch das erfrischende Nass legte die Bäckerin in Hochstimmung zurück. Das Wasser, das vom Himmel fiel, schmeckte nicht sandig wie der Djel, sondern sehr erfrischend und fast süßlich. Sie war stolz darauf, ein Gebäck erfunden zu haben, das alle ihre Erwartungen übertraf, denn man konnte den luftigen Teig nicht nur essen, sondern in dieser herabtropfenden Form auch noch trinken!
Als Ptrude in ihre Stadt zurückkehrte, um mit ihren Freunden die gebackenen Wolken zu feiern und die gewonnenen Erkenntnisse (samt einiger Kostproben) mit allen zu teilen, erwartete sie eine böse Überraschung. Man feierte bereits die neuartigen Himmelsbedecker und ihr köstlich-kühles Geschenk des Regens - doch allen Ruhm hatten die Architekten an sich gezogen. Während die Bäckerin auf Wanderschaft war und die Wolken gebacken hatte, entdeckten die Baumeister die Geheimnisse der Spitzdächer und bauten riesige Pyramiden. Eigentlich waren diese Bauwerke nur als Schattenspender gedacht, doch dass nun einmal zeitgleich Wolken aufgetaucht waren und Regen abließen, sah man als günstigen Nebeneffekt der neuen Baukunst.
Ptrude beschloss, die Freude ihres Volkes zu teilen, immerhin war die große Hitzenot vorüber. Ihre Rezepte jedoch gingen verloren. Aber die Erzählung wurde fortan in ungebrochener Linie von Bäcker zu Bäcker weitergegeben. Und nun, meine Freunde, kennt auch ihr die "Geschichte der Wolkenbäckerin".
In meiner Familie gibt es einen Schwank, den ich mit euch teilen möchte. Er handelt von einem Steinstiefel väterlicherseits in der Großelterngeneration namens Schneckig, der die Kunst des Unternehmerseins mit Wert und Würde erfüllte, wie es meiner bescheidenen Meinung nach nur ein Zwerg vermag. Damals waren die Leute noch freundlicher, grüßten einander aus grundsätzlicher Höflichkeit - aber ohne aufdringlich zu sein, was ja heute so mancher verlernt hat. Man hat damals viel geschafft bekommen, das kann ich euch versichern, an diese Zeit habe ich noch lebhafte Erinnerungen, auch wenn ich noch nicht volljährig war. Ach, das waren gute Zeiten!
Die Geschichte entführt uns in den grünen Zoologischen Garten von Pseudopolis, in dem Tiere aller Arten, Gattungen und Kuhlör zusammengetragen waren, die jedoch keinesfalls eingepfercht lebten, wie es heutzutage in Tierparkanlagen Gang und Gäbe ist, sondern in ausreichender Weise mit Auslauf versorgt waren, damit kein Tier mit Agoraphobie, wie man so sagt, Not zu leiden hatte. Derselbige Großvater Schneckig Steinstiefel hatte es sich höchstnämlich zum Ziel gesetzt, nicht der familiären Traditionslage anzuhängen, sondern sein stattliches Vermögen und in der Fremde seine Steinstiefel'sche Kraft in die Sammlung kurioser Tiere und die Zucht von prekären Gattungen zu stecken. Er lebte ja in einer Zeit in der man solche Beschäftigungen noch zu achten pflegte und man kann nicht sagen, dass er damit wenig Erfolg hatte. Ich besuchte in meiner Jugend ein-, zweimal Pseudopolis, um sein Lebenswerk zu besichtigen und am Busen seiner Weisheiten in den Genuss Steinstiefel'schen Erfolgsgeistes zu kommen, nicht zuletzt um im Falle eines Zerwürfnisses mit der Familie einen Ausweichplan für mein Leben zu finden, muss ich gestehen. Bei einem von diesen Visitationsgelegenheiten ergab sich unerwartet folgendende Begebenheit:
Schneckig Steinstiefel, schon zu einigem Ruhm auf seinem Gebiet gelangt, hatte eine enge Mitarbeiterschaft von etwa dreizehn Untergebenen, die auf Klangvolle Namen wie Bili, Schmili, Koran, Soran, Wumpel, Kumpel und Gorin hörten - ordentliche Zwerge und die besten Unternehmenspartner, die sich Schneckig nur hätte wünschen können. Damals gaben eben Zwerge, die etwas auf sich hielten, ihren Söhnen noch Namen, an denen man genau erkennen konnte, dass Zwergenblut in der Genealogie eine charakterformende Rolle spielt!
Keinesfalls unerwähnt lassen sollte man den Schalk, dem ausgerechnet den sonst so trockenhumorigen Zwerg Gorin zur Zeit meines Besuchs im Nacken saß, denn er stiftete seine Kollegen zu einem Streich an.
Dazu muss man allerdings auch wissen, dass mein Großvater am Rande des zoologischen Parkgeländes in einem Häuschen lebte, das ganz zwergisch mehrere Keller hatte und alle zwei Jahre einen weiteren dazuerhielt, wenn er Zeit für handwerkliche Arbeit fand. Ebenjenes war mit vielen Vorteilen ausgestattet, die sich ein hart arbeitender zwergischer Unternehmer so wünschen könnte. Ich erinnere mich an gut gefüllte Bierkeller, an eine riesige Lesestube, an das weichste Bett, auf dem ich je gelegen habe - kurzum: Schneckig wusste noch, wie man richtig lebt.
Nun hatte es sich ergeben, dass eine Dienstreise anstand, um in Viericks oder im Achatenen Reich seltene Vogeleier zu erstehen, und das Haus würde daher leer stehen. Die Gelegenheit schien dem hochehrwürdigen Großväterchen daher günstig, einige Verbesserungen an seiner Wohnstatt vornehmen zu lassen, die er sorgsam gezeichnet und beschrieben hatte. Mit den Handwerkern verabredete er, dass sie alles tun und lassen durften, solange das Haus nur bei seiner Rückkehr sauber und funktionstüchtig wie der Tiefe Palast wäre - tja, Schneckig erklärte sich nicht gern selbst. Gorin jedenfalls hörte davon und entwarf folgende List, die es in sich hatte:
Soran und Koran, die beiden künstlerisch Begabtesten unter den Mitarbeitern Gorins, zeichneten nach seinen Anweisungen einen Bauplan, den Kumpel und Wumpel in die Unterlagen der Handwerker schmuggelten. So bauten die fleißigen Arbeiter, ohne es zu ahnen, an diesem Streich mit. Was sie jedoch einfügten, ohne dass diese naiven Seelen dahinter etwas ahnten, war eine Art Beschallungsanlage. Im Grunde war es ein langes Rohr, das im Badezimmer direkt unterhalb des Fensters in der Wand begann und in der Wohnstube in den vier Wänden endete - sprach jemand hinein, so erklang die Stimme des Sprechers in diesem Zimmer wie von überall zugleich. Ein ausgetüfteltes Stück Arbeit, und gut versteckt, wie sich herausstellte. Die Handwerker leisteten ganze Arbeit, dieses Rohr den Plänen gemäß hinter dünner Wand zu verstecken. Ich selbst hatte Mühe, die Stelle bei meinem letzten Besuch wiederzufinden - wie hätte Schneckig Steinstiefel ahnen können, was ihn bei seiner Heimkehr erwartete?
Am Morgen seiner Ankunft, die Handwerker hatten bereits ihr Werk getan, schmuggelte Gorins Gefolgschaft mit dem Zweitschlüssel für Notfälle verschiedene Dinge in die Küche: Zwei Flaschen besten Rotweins, wie ihr ihn gerade trinkt, versteckten sie im Ofen, zwei große Klumpen Fleisch in der Küche, dann legten sie einen Faden vom Bad bis ins Wohnzimmer, knoteten ihn fest und ganz zuletzt legten sie den größten, schwersten Stein, den zwei von ihnen gemeinsam tragen konnten, auf den weichen Schaukelstuhl meines Großvaters. Es war ein unsäglich hässlicher Stein, das muss ich sagen, häääässlich. Sie müssen wirklich lange gesucht haben, um einen derart abscheulich anzusehenden Felsklumpen zu finden. Ja und anschließend, zu guter Letzt, versteckten sich Schmili und Kumpel in der Badewanne meines Großvaters und hielten eine ausgedehnte Vesper, um deren Gemütlichkeit ich sie bei aller Dreistigkeit nicht beneide.
Nun, sei es wie es sei. Schneckig kam heim, grüßte einige seiner Mitarbeiter auf dem Heimweg und staunte nicht schlecht, als er seine Haustür aufschloss. Seine Wohnung kam ihm kleiner und ungemütlicher vor, als bei seiner Abreise, und vor allem war dies wohl einem gewissen monströsen (und optisch gesehen: widerwärtigen, das kann man nicht oft genug betonen) Stein zuzuschreiben.
"Nanu", sagte Schneckig, "wer hat mir denn diesen unansehlichen Klumpen auf meinen Lieblingsplatz gelegt? Haben den die Handwerker vergessen?"
Zu seinem großen Erstaunen war es der Stein selbst, der ihm hierauf antwortete (oder zumindest kam es meinem Großvater so vor, ihr wisst ja, wer tatsächlich im Bad mit lispelnder Stimme ins Sprechrohr flötete): "Ef war kein Fwerg, Fneckig! Ich bin ef felbft gewefen, der fich in diefer höchft anmutigen Form auf deinen Ftuhl fetfte!"
Während Sebulon und Braggasch über den igoresque lispelnden Stein kicherten, machte Glum eine Pause und trank vom Wein. Er hatte sich warm geredet und war offensichtlich bereit, die Geschichte noch etwas weiter auszuschmücken.
Wie merkwürdig muss mein Großvater es gefunden haben, mit einem Stein zu sprechen, dessen Stimme dem guten alten Schmili so sehr ähnelte. Bevor er seine Kontähnongs wiederfand, überraschte ihn dieser aufgefundene Findling noch einmal mit einer Anrede.
"Bleib dort ftehen, Fwerg", lispelte er ihn an, "ich, der groffe Gott Offler, wünfe, nicht beim Faukeln auf diefem Faukelftuhl geftört fu werden!" Und in der Tat fing Schneckigs Schaukelstuhl in diesem Moment an, sich zu bewegen, als bewegte ihn die Macht des Gottes persönlich. Kumpel hatte nämlich zum Faden gegriffen, um Schmilis Worte angemessen zu untermalen, und den Schaukelstuhl mit einem beherzten Ruck an der Leine in Bewegung versetzt. "Laff dich nicht von diefer Erfeinungfform täufen, Fneckig Fteinftiefel, denn alf Gott kann ich felbftverftändlich nicht nur alf Panferechfe erfeinen, fondern auch auf diefe höchft erlauchte Weife - Doch nun bin ich durftig. Fneckig, ich, der groffe Gott Offler befehle dir: Gib mir etwaf von deinem beften Wein. Und fwar fnell."
Ohne groß darüber nachzudenken, wie ein Stein trinken kann, sprintete Schneckig los, um aus dem Weinkeller eine erlesene Sorte hervorzuholen. Wenn ein Gott euch um etwas bittet, dann stellt auch ihr nicht viele Fragen.
Kaum dass er jedoch zurückkehrte, fing der Stein schon an, zu jammern: "Waf für eine Fande und Verfwendung! Diefe Forte kann ich gar nicht aufftehen. Und daf ift wirklich dein befter Wein? Mein lieber Fneckig, erweife mir die Güte, dich befenken fu laffen. Ef werde ... fwei Flaffen füfflicher Fwergenwein!"
Ungläubig blinzelte Schneckig. Es hatte sich im Zimmer natürlich nichts geändert. Gerade wollte er fragen, ob vielleicht die Erschaffung fehlgeschlagen war, als ihm die Stimme das Wort abschnitt: "Du findeft ihn im Ofen. Ef gibt keinen befferen Ort für folch erlefene Fäfte." Was glaubt ihr, wie große Augen mein Opa gemacht hat, als er im Ofen tatsächlich die Flaschen vorfand! Selbstredend war ich selbst nicht dabei, sonst könnte ich es euch sagen.
Stein und Steinstiefel standen sich also in diesem Zimmer gegenüber und letzterer wusste nicht recht, ob dies alles nur eine Reihe von seltsamen Zufällen war. Doch Gorin hatte noch mehr Absprachen mit seinen Mitverschwörern getroffen. "Du fragft dich, ob ich wirklich ein Gott bin, Fneckig?", tönte die Stimme wieder im Wohnzimmer. "Fodenn, wiffe, Fweifler: In wenigen Fekunden werden fwei deiner Bedienfteten zu dir kommen und dir Poft bringen. Fie werden dich fragen, ob allef in Ordnung ift. Fie werden nichtf von mir wiffen. Du follteft die Briefe auf jeden Fall öffnen, einer ift auf Klatfiftan."
Da klopfte es an der Tür und meinem blieb Großvater fast das Herz stehen. Tatsächlich war es leicht eingefädelt, denn niemand anderes als Bili und Koran standen vor der Tür und rezitierten die Sätze, die sie miteinander abgesprochen hatten: "Wir bringen dir die Post. - Du bist etwas blass, geht es dir nicht gut? - Was für ein Stein? - Den müssen die Bauarbeiter da gelassen haben, wir wissen von nichts. - Ja, tatsächlich, da ist ein Brief aus Klatsch, woher wusstest du das? Wir hatten uns die Umschläge noch gar nicht angesehen ..." So ähnlich ward das wohl abgelaufen sein.
Als die Türe wieder ins Schloss fiel und zwei erleichterte Zwerge fortliefen, um Gorin lachend zu berichten, war mein Großvater völlig baff. Jeder Zweifel daran, dass es sich nur um einen, gelinde gesagt, attraktivitätsbehinderten Klumpen Erz handeln könnte, war weggewischt.
"Bift du auch fo hungrig?", fuhr Schmili listig das Zwiegespräch per Sprachrohr fort. "Ich habe Fleif für unf beide in der Küche erfeinen laffen. Brätft du ef bitte an? Ich mag meine Mahlfeiten warm."
Kaum dass mein Großvater in die Küche fortgelaufen war, schlich sich Kumpel aus dem Versteck, löste den Faden vom Schaukelstuhl, rollte ihn auf und machte sich aus dem Haus, so leise er konnte, um mit den Kollegen das Ende des Streichs vorzubereiten. Während Schneckig in gläubiger Demut Fleisch anbriet und der angebliche Gott Offler weiter auf ihn einredete, scharte Wumpel die Besucher jenes Pseudopolischen Tierhaltungsgeländes, auf dem sie ja arbeiteten, für eine besondere Attraktion am Hause meines Armen Großväterchens zusammen. Dort wartete Gorin auf sie - auf uns, muss man sagen, denn ich stand in der Menge - und Gorin erklärte mit breitem Grinsen, was als nächstes geschehen würde.
Was aber geschah, war unerhört. Der Offler-Stein sprach nämlich: "Und nun muff ich in die Fonne, Fneckig Fteinftiefel. Ef verhält fich nämlich fo, daff ich meine göttliche Mittagfruhe einhalten muff. Fuch mir einen fönen Wiefenplatf, trage mich dorthin und bringe mir mein Effen. Ich wünfe im fönen Fonnenfein fu dinieren."
Nun, meine Lieben, eine große Schar von Leuten sah Schneckig dabei zu, wie er das monströse Steinungetüm unter Schweiß und Stöhnen aus seinem Haus trug. Wie sehr mühte sich mein Großvater ab! Kaum hatte er aber den auserkorenen Wiesenplatz erreicht, legte er seine Last ab und rannte zurück in sein Haus, um das Fleisch zu holen. Als mein Großvater mit der schweren Bratpfanne in der Hand zurückgeeilt kam, klatschten alle Umstehenden über den guten Streich - doch das brach den Zauber für Schneckig nicht. Denn was er sah, waren Fremde und Bekannte, die seinem Offler-Stein huldigten. Also machte er sich daran, den Stein wie zuvor gefordert zu füttern. Dass ein Zwerg hinter ihm das Haus verließ und sich zu Gorins Rotte stellte, merkte er nicht. Stumm und aufgeregt versuchte Schneckig, mit der ersten mundgerechten Portion eine Öffnung am Stein zu finden, die das angebratene Fleisch in den angeblich göttlichen Magen aufnehmen würde.
In diesem Augenblick traten Gorin, Schmili, Wumpel und all ihre Kollegen an ihre Seite. Man fragte meinen Großvater mit einer Stimme, die Schneckig nun schon höchst bekannt war: "Gnädigfter Herr Fteinftiefel, wie kommt ef, daff Ihr einen groffen Ftein zu mäften verfucht? Haltet ihr ihn etwa für die unglückliche Emanatfion einef Gottef?"
In diesem Moment begann die Masse vor Lachen zu brüllen und erneut zu applaudieren.
Doch ich hatte damals keinen Sinn für solch grobe Späße auf Kosten Anderer. Ich löste mich von der Hand meines Vaters, lief nach vorn, zählte Gorin an, sagte ihm im Brustton der Überzeugung und mit kraftvollen Ausdrücken meine Meinung dazu, wie ich es fände, wenn man sich über ehrbare Zwerge derart lustig machte. Zwar hörte er mir zu, aber je mehr ich mich äschoffierte, desto mehr lachten die Unternehmenspartner ob meiner Rage.
Da nahm mich mein Vater beiseite. Er hatte Sorgenfalten auf der Stirn, als er zu mir sprach.
Glums Tonlage hatte sich im Verlauf der Geschichte gewandelt. Was vorher wie Folklore klang, schienen nun Worte des Herzens zu sein, die sich mühsam und einzeln aus seinen Lippen herausdrängten.
"Sohn", sagte mein Vater, "du wirst ein langes Leben haben, denn ein echter Steinstiefel stirbt spät. Vergiss vor allem nicht, dass man im Leben manchmal auch Spaß haben muss. Du wirst, wenn die Zeit reif ist, den einen oder anderen Krokodilgott zu füttern haben, bevor du merkst, dass man dich zum Schneckig gemacht hat. Dann heißt es: Mit Würde ein Zwerg sein und mit dem Leben lachen. Denn wenn dir das Leben Geröll reicht, kann man noch immer einen Kiesweg damit füllen. Merk dir das gut. Du hast eine Gabe, mein Sohn, aber dein Herz kann Schaden nehmen, wenn du nur nach Gerechtigkeit und Gerechtigkeit strebst, während es auch Lachen und Humor gibt. Im Leben gibt es genug Sorgen, darum sorge dich nicht über deine Sorgen, sonst verdoppelst du sie. Wenn du nicht jetzt glücklich sein kannst, wann dann? Sei von Zeit zu Zeit glücklich, mein Sohn."
Plötzlich merkte ich, dass auch mein Großvater Schneckig mit den anderen lachte. Das war ja auch verständlich: Er hatte versucht, einen Stein zu füttern. Wer würde da nicht im Nachhinein lachen?"
"Alt wie ein Stein war Schmirgel geworden, als er beschloss, zu sterben. Seine Angelegenheiten regelte er mit der Zurückhaltung eines Maulwurfs. Bescheiden hatte er ein Dachsleben gelebt: Bergbau bei Tage, Schlaf des Nachts, zwischendrin das Nötigste tun. Familie war für ihn eine Last, die er gern trug, der er aber auch nicht viel abgewinnen konnte. Er hatte seine sechs Söhne zwar in den Schlaf gewiegt, als sie noch jung gewesen, allein die Hingabe mit dem Selbstzweck, das Lächeln der Geliebten zu sehen, hatte Schmirgel nie entdeckt. Derhalben teilte er sein Erbe unter seinen Söhnen nach Verstandesgründen auf: Die Spitzhacke dem Ältesten und Stärksten, das Kochgerät dem Zweiten, der ein Genießer war, und so fort. Seine ganze Habe besprach er mit dem Lehrmeister seiner Kinder.
Als sich der Meister das ganze Testament mit der Beflissenheit eines Schäferhunds eingeprägt hatte, stellte er Schmirgel folgende Frage: Nun hast du alles verteilt, Schmirgel, mein alter Freund?"
Nachdenklich wiegte der lebenssatte Zwerg den Kopf hin und her. "Ich habe dich nicht bedacht", sagte er schließlich. "Du sollst den Wind der Wolken haben, die Wärme der Sonne, die Hoffnung auf den neuen Tag und das Schweigen des Einsamen. Das sind die Dinge, die mir bleiben, du sollst sie haben."
Das waren seine letzten Worte, bevor er den Clan verließ und katzengleich den Tod in der Einsamkeit suchte. So starb Schmirgel aus dem Siebgut-Clan.
"Es war einmal ein Bär, der lebte mit seiner Frau, der Bärin, tief im Wald am Rande eines Berges, um den ein Fluss herum strömte.
Tagein, tagaus trabte der Bär durch den Wald, um Honig und Fische für seine Bärin zu sammeln, denn sie würde schon bald ein Kind bekommen. Deshalb zogen sie auch kurzerhand in eine größere Höhle. Dies war der Tag, an dem das Junge geboren werden sollte, darum ging der Bär aus, eine Portion Fisch zu fangen, die groß genug für drei hungrige Mäuler war. So stand er an einem angenehmen Herbsttag im Fluss und betrachtete nachdenklich die vorbei schwimmenden Fische.
Auf einmal hörte der Bär ein Eichhörnchenweibchen rufen: "He, Bär, lauf schnell zurück zu deiner Frau und deinem Kind! Ihnen droht Gefahr!"
Das ließ sich der Bär nicht zweimal sagen. Eilig rannte er zurück zu seinem neuen Zuhause. Der Wind zottelte sein Fell und die Sonne blendete ihn. Zweige schlugen ihm ins Gesicht, Wurzeln ließen ihn stolpern, doch er ließ sich nicht aufhalten. Seine Familie war in Gefahr!
Als die Höhle in Sichtweite war, blieb er schließlich schwer atmend stehen. Er staunte nicht schlecht: Viele Fledermäuse flogen in seine Höhle ein und aus. Kleine schwarze Schwingen flatterten dorthin, wo er heute morgen noch geschlafen hatte. Vorsichtig schnupperte er. Der Bär konnte genau riechen, dass nicht nur seine Bärin in der Höhle war, sondern es roch über dem Gestank von vielen Fledermäusen auch nach einem kleinen Bären.
"Da haben wir uns aber die falsche Höhle ausgesucht! Was mache ich nur?", fragte sich der Bär und legte sich eine Tatze auf die Augen. "Was, wenn die Fledermäuse meiner Familie etwas angetan haben?"
Aber das Eichhörnchen war ihm gefolgt und kletterte behende auf seinen zotteligen Rücken. "Hab keine Angst", schnatterte die Dame mit hoher Stimme, "der König der Fledermäuse ist zwar hinterhältig, aber nicht böse. Du musst wissen, mein lieber Bär, dass König Fledermaus Rätsel liebt. Oft hat er mit seinen Aufgaben schon Waldbewohner wie den Fuchs und die Spinne zur Verzweiflung gebracht. Ich bin mir sicher, dass er deine Familie herausgibt, wenn du ihm ein Rätsel lösen kannst."
Missmutig brummte der Bär. "Hab dank, Frau Eichhorn."
Die Eichhörnchendame geckerte und sprach: "Nur Mut, mein lieber Bär, ich komme mit dir!" Und –schwupps– war sie schon voran gesprungen.
Schließlich erreichten Bär und Eichhörnchen die große Höhle. Sie hörten viele Flügelschläge und die hohen Stimmen der Fledermäuse. 'Warum ist mir beim Einzug nicht aufgefallen, dass die Höhle bewohnt war?', ärgerte sich der Bär. Nachdenklich verlagerte er sein Gewicht. Was sollte er tun? Seine neue Freundin, das Eichhörnchen, hatte gesagt, dass der Anführer der Fledermäuse nicht böse war, also würde es wohl das Beste sein, ihn um seine Familie zu bitten. Vielleicht würde er ihnen ja verzeihen, dass sie sich den falschen Schlafplatz ausgesucht hatten?
Schließlich stellte er sich vor dem Eingang der Höhle auf seine Hinterbeine. Er richtete sich zur vollen Größe auf, dass einem trotz der Helligkeit des Tages Angst und Bange werden konnte. Dann rief er: "Hört, Fledermäuse, in eurer Höhle sind meine Frau und mein Kind! Ich bitte um Entschuldigung, dass wir ohne böse Absicht eure Höhle bewohnt haben. Sagt mir, was ihr als Wiedergutmachung verlangt und ich will es euch bringen!"
Ein Schatten löste sich vom Fels und flatterte über den Kopf des Bären hinweg. "Ich bin König Fledermaus", sagte das Geschöpf und setzte sich auf eine Felskante über dem Höhleneingang. "Deiner Frau und deinem Kind in meiner Höhle geht es gut. Meine Diener sorgen für sie und bewachen sie gut."
"Was willst du, dass sie zu mir zurückkönnen?", brummte der Bär mit fordernder Stimme. Er mochte den Gedanken nicht, dass seine Familie von Wachen umstellt war. „Ich bringe dir alles, sag nur, was du willst.“
Die Fledermaus antwortete in einem Tonfall, der wie Hohn klang: „Alles?“
Was er gesagt hatte, konnte er kaum zurücknehmen. Mit fester Stimme wiederholte der Bär: „Alles. Was willst du?“
"Ich will ... die Sonne." Bevor der Bär mit seinem Gebrüll loslegen konnte, fügte die Fledermaus an: "Ich habe fast alles, doch meine Höhle ist nachts etwas trostlos. Ich gebe dir drei Tage, um die Sonne in meine Höhle zu holen, dass ich sie auch betrachten kann, wenn ich auf meinem Thron sitze, damit es mir warm ums Herz wird."
Mutlos seufzte der Bär. Die Sonne sollte er in die Höhle bringen? Welche Zauberei mochte dazu in der Lage sein?
Die große Fledermaus erhob sich und flog auf weiten, dunklen Schwingen zurück in ihre Höhle, in der sie von tausenden Fledermausstimmen gegrüßt wurde.
"Das ist ein keckes Rätsel", sprach das Eichhörnchen, das alle Worte mit angehört hatte.
"Die Sonne soll ich in die Höhle holen", wiederholte der Bär die Aufgabe. "Wie soll das nur gehen? Ich kann ja nicht auf den Himmel klettern und sie wie einen Fisch fangen."
Doch die Eichhörnchendame war klug und sprach: "Ich glaube, die Sonne selbst ist gar nicht so wichtig für die Fledermaus. Nur, was helfen könnte, das weiß ich noch nicht. Vielleicht kenne ich aber jemanden, der Rat weiß und viel schlauer ist, als ich. Komm, folge mir!"
Und –schwupps– war sie schon vorangesprungen.
König Fledermaus hatte seine Spielchen schon mit vielen Tieren des Waldes getrieben. 'Der Schlauste von allen ist mit Sicherheit der Fuchs', dachte sich das Eichhörnchen und führte ihren großen Freund zum Bau des Rotbeins unter der großen Eiche.
Schnell war das Problem erklärt und der Fuchs war gern bereit, dem Zottigen dabei zu helfen, der Fledermaus ein Schnippchen zu schlagen. "Lass mich nur etwas denken", sprach der Fuchs und zog sich für eine Weile zurück.
Doch als er dann wieder ans Tageslicht trat, schickte er nach seiner Freundin, der Elster, und gemeinsam berieten sie, wie dem Bär zu helfen sei.
Es war bereits Abend, als der Bär vor die Höhlenfestung der Fledermaus trat. Von seinem Rücken zog er ein verschnürtes Bündel und wickelte es auf dem Boden aus.
König Fledermaus kam angeflattert und sprach: "Was bringst du mir, Bär?"
"Ich bringe dir die Helligkeit der Sonne, direkt vom Himmel, in deine Höhle!" Und mit beiden Pranken hob er einen Spiegel hoch empor, der die letzten Sonnenstrahlen einfing und sie in die Höhle warf. Er hatte sich den Spiegel von der Elster erbeten. Das Zweibein hatte zugestimmt und versprochen, den Bären bei seiner Sache nach Kräften zu unterstützen.
Der König indes war ganz entzückt und flog vor Freude in seine helle Höhle hinein – doch kaum war er in ihr verschwunden, verschwand auch die Sonne hinter dem Berg und das Licht in der Höhle verlosch.
Lachend kam König Fledermaus aus seiner Festung hervorgeflogen. "Gerissen wie ein Fuchs bist du, Bär, doch mein Rätsel hast du nicht gelöst. Wie kann die Sonne meine Höhle und mein Herz erhellen, wenn sie doch so schnell wieder verschwindet? Für die Zeiten des Tages nehme ich dein Geschenk an, doch für die Nacht bleibt mir nichts. Dir jedoch bleiben zwei Tage." Mit diesen Worten flog die Fledermaus zurück in ihre Höhle.
Wütend stampfte der Bär mit den Hinterpfoten auf. "Das hat nicht geholfen", brummte er. Er vermisste seine Frau, die oft die besseren Ideen hatte, als er. Ihr wäre sicherlich etwas eingefallen, was die Schwarzschwinge zufrieden stellen würde. Alleine fühlte er sich und so ohnmächtig, wie man sich nur fühlen kann, wenn man an jedem normalen Tag so stark und furchtlos wie ein Bär ist. „Ich fürchte fast, dass jetzt gar nichts mehr hilft. Ohne meine Frau und mein Kind – was bleibt mir da schon noch?“
"Du hast das Großmaul doch gehört", schnatterte ihm die Eichhörnchendame hoffnungsvoll ins Ohr, "dir bleiben zwei Tage, um das Rätsel zu lösen. Lass uns die Zeit gut nutzen, denn immerhin willst du doch zurück zu deiner Frau und deinem Jungen!“
Der Bär wischte sich mit der linken Pranke über die Schnauze und nickte. Mit dem Eichhörnchen an seiner Seite wirkte die Situation gar nicht so aussichtslos, fand er.
Voll Tatendrang hüpfte die Eichhörnchendame vor dem Bären hin und her. "Fragen wir doch die verschlagene Spinne um Rat. Vielleicht hat sie eine Idee, die uns mehr nützt, als der Spiegelschein des Fuchses."
Und –schwupps– war sie schon vorangesprungen.
Auch das Vielbein war gern bereit, dem Bären gegen die Fledermaus zu helfen, um es der Schwarzschwinge auf diese Weise heimzahlen zu können.
"Lass mich nur etwas denken", sprach die Spinne und zog sich für eine Weile in ihr Netz zurück.
Der Bär legte sich derweil erschöpft schlafen. In dieser Nacht träumte er nicht. Zum neuen Tageslicht erwachte er und fühlte sich viel besser. Er war ausgeruht und konnte wieder klare Gedanken fassen. Sanft weckte er die Eichhörnchendame, die neben ihm gelegen hatte. Sofort war sie guter Dinge und schlug ein Frühstück vor. Er war froh, so eine hoffnungsfrohe Begleiterin zu haben.
Von der Spinne hingegen war noch kein Rat zu vernehmen. So frühstückten Eichhörnchen und Bär zunächst miteinander, um ganz bei Kräften zu sein: Der Bär holte sich Fische aus dem Fluss, während das Eichhörnchen sich Nüsse von den Bäumen sammelte und dann genüsslich knackte.
Als beide satt waren, berieten sie verschiedene Ideen, wie man wohl der Schwarzschwinge beikommen könnte. Für einen himmelwärtigen Tunnel allerdings war der Fels zu stabil, mit Feuer konnte keiner von beiden umgehen. Auch ein direkter Rettungsversuch durch den Haupteingang schien aussichtslos, angesichts der überwältigenden Vielzahl von Fledermäusen, die ihren König bewachten.
Die schönsten Stunden des Tages verronnen über solchen Erwägungen. Am Ende ließ der Bär trotz aller aufbauenden Worte des Eichhörnchens wieder die Schultern hängen. Die Abendstunden waren bereits nahe herbeigekommen, als schließlich die Spinne aus ihrem Netz hervorkam. Der Bär hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass ihr eine Lösung für dieses verzwickte Rätsel einfallen würde. Umso mehr fand er ihren Plan überzeugend. Die Umsetzung würde einige Fleißarbeit erfordern, doch Bär, Eichhörnchen und Spinne schritten alsbald zur Tat.
Pünktlich zur ersten Abendstunde kam der Bär mit einem neuen Bündel zurück zur Behausung des Königs. Er gab sich Mühe, Gelassenheit zu zeigen, als er ein Glas auswickelte. Das Behältnis hatte er sich wiederum von der Elster erbeten, die einen großen Vorrat an glitzernden Dingen bei sich daheim aufzubewahren pflegte. Im Glas jedoch regte sich etwas.
König Fledermaus kam angeflattert und sprach: "Was bringst du mir, Bär?"
"Ich bringe dir die Helligkeit der Sonne für die Nacht in deine Höhle!" Und mit beiden Pranken hob er das Glas hoch empor, in dem es auf einmal in kleinen Punkten schwach zu leuchten begann. Es war kein heller Schein, nur ein paar Glühwürmchen, die zuvor mit Hilfe der Spinne eingesammelt worden waren, doch genug, um einen angenehm warmen Schein zu verbreiten.
Anerkennend nickte König Fledermaus. "Verschlagen wie eine Spinne bist du, Bär, doch mein Rätsel hast du nicht gelöst. Zwar erleuchtet die Sonne nun Tag und Nacht meine Höhle, doch warm ums Herz, wie mich die Sonne wärmt, wird mir davon nicht. Für die Zeiten der Nacht nehme ich dein Geschenk an. Dir bleibt noch ein Tag. Wenn du es bis dahin nicht schaffst, meine Aufgabe zu lösen, wirst du deine Familie nicht wiedersehen können." Mit diesen Worten flog die Fledermaus zurück in ihre Höhle.
Der Bär stapfte durch die Nacht zum Fluss. Er wusste weder ein noch aus. Wie sollte er seine Familie nur von dieser kaltherzigen Fledermaus retten, die scheinbar nicht zufrieden zu stellen war?
Traurig steckte er seinen Kopf ins Wasser und beobachtete die Fische. Da zwickte ihm etwas in den Hintern. Verwundert hob der Bär den Kopf.
"Freund Bär", sprach das Eichhörnchen tadelnd, "du willst doch jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken?"
"Doch", sagte der Bär und wollte weiter den Fischen zusehen, aber sogleich zwackte etwas seinen Hintern. Er schnaubte und sah sich zum Eichhörnchen zum.
"Du hast so viel Mut bewiesen“, schnatterte es, „hast dich zweimal König Fledermaus entgegen gestellt. Zweimal haben wir eine Lösung für sein Rätsel gefunden. Das wird dir auch ein drittes Mal gelingen!"
Schwermütig schüttelte sich der Bär, sodass die Wassertropfen in alle Richtungen flogen. "Am Mut soll es nicht liegen. Ich weiß nur nicht, was ich tun soll. Kein Sonnenstrahl bei Tag und Nacht ist genug, um das Herz der Fledermaus zu wärmen."
"Vielleicht kommt es wirklich nicht auf das Licht an", sagte die Eichhörnchendame. "Ich habe da eine Idee, die jedoch noch etwas Bedenkzeit braucht."
"Du?", fragte der Bär verwirrt. "Bist du schlauer als der Fuchs und verschlagener als die Spinne?"
"Vielleicht", lächelte sie. "Doch zunächst solltest du wieder zu Kräften kommen. Iss, trink und schlaf ein Wenig. Im Morgengrauen sind wir schlauer."
Und –schwupps– war sie davongesprungen.
Der Bär schlief unruhig, wälzte sich auf dem Waldboden umher, träumte wirr und wachte früh auf. Er vertrat sich die Beine, klaubte aus einem Bienennest Honig und wusch sich anschließend im Fluss. Plötzlich sprang das stets gut gelaunte Flinkbein auf seinen Rücken und flüsterte ihm seinen Plan ins Ohr.
Der Bär verstand, dass weder Fuchs noch Spinne auf diese Idee hatten kommen können. Trotzdem fand er die Idee verwunderlich und fragte sich, ob man auf eine solche Weise Erfolg haben konnte.
Kaum war der Bär fertig gewaschen, trabte er los, das Eichhörnchen auf dem Rücken, um in der Ferne die Rettung seiner Familie zu finden.
Spät am Abend kam der Bär zurück zur Höhle der Schwarzschwingen.
König Fledermaus kam angeflattert und sprach: "Was bringst du mir, Bär?"
Der Bär schwieg eine Weile, betrachtete sein Gegenüber unsicher.
Schließlich wurde der König ungeduldig und rief: "Heraus mit der Sprache!"
"Hast du ein Herz?", fragte der Bär leise.
Verwundert über diese unverschämte Ansprache schlug König Fledermaus erzürnt mit den Flügeln. "Selbstverständlich habe ich ein Herz! Habe ich nicht für deine Frau und euer Junges gesorgt? Habe ich dir nicht drei Tage Zeit gegeben, mein Rätsel zu lösen? Doch wenn du mir nicht glaubst, so will ich dir deine Bärin herausgeben, damit du mich nicht für ein Monster hältst."
Ärgerlich fragte der Bär: "Aber mein Junges willst du nicht herausgeben?"
"Nur, wenn du mein Rätsel löst", sprach die Fledermaus und bleckte ihre Zähne. "Sicher hast du keine Lösung gefunden, sonst würdest du nicht um das Leben der beiden Bären flehen."
"Wenn du ein Herz hast, wie du sagst, dann habe ich eine Lösung. Doch es ist keine leichte Lösung. Das Herz wärmen, das geht am besten von innen." Der Bär sah die Neugier in den Augen der Schwarzschwinge. "Sieh, König Fledermaus, ich habe dir die Sonne gebracht."
Behutsam legte der Bär eine Sonnenblume auf den Boden. Den ganzen Tag war er unterwegs gewesen, um ein Sonnenblumenfeld zu finden. Kaum vermochten sie Mondschein und Glühwürmchen zu erleuchten, so dunkel war es in dieser Nacht.
Lachend kam der König Fledermaus herabgeflattert und betrachtete neugierig die Pflanze. "Du bist gut, Bär, sehr gut. Du hast mir eine Sonne gebracht, die nicht leuchtet. Aber wie soll sie denn mein Herz wärmen, möchte ich wissen?"
Als der Bär zu sprechen anhob, sprang die Eichhörnchendame in hohem Bogen von seinem Rücken. Sie hatte alles mit angehört und keckerte: "Du dumme alte Fledermaus! Merkst du denn gar nichts? Diese Pflanze hat genug Samen bei sich für ein ganzes Sonnenblumenbeet. Wenn du die Samen bei deiner Höhle pflanzt, ihnen genug Sonne gönnst, dich um die Sprösslinge kümmerst und den Boden zuweilen gießt, dann werden aus dieser einen Pflanze hundert, vielleicht tausend Sonnen, auf die du jeden Tag schauen kannst. Denk nur, König, welche Pracht so viele Sonnen ausstrahlen werden, die dann alle dir gehören! Sie werden dein Herz von innen wärmen. Zunächst musst du dich allerdings mit Geduld um sie kümmern, als wären sie deine Freunde."
Irritiert über die Direktheit des Eichhörnchens blickte König Fledermaus von Bär zu Eichhörnchen und wieder zurück. Ihm fehlten die Worte. "Und - und ... das soll ich glauben? Wie soll ich wissen, dass ihr mir nicht trickreich einen Bären aufbinden wollt?"
Das Eichhörnchen schnatterte: "Ich wette mit dir, dass dir das Herz aufgehen wird, wenn du erst einmal siehst, dass du etwas mit eigenen Schwingen zu Leben verholfen hast – gerade so wie dem Bär das Herz aufgehen wird, wenn er sein Kind in den Armen hält. Also: Wir haben dein Rätsel dreimal gelöst, nun ist es wirklich an der Zeit, dass du seine Familie freigibst!"
Das war schwer für den König der Fledermäuse zu schlucken. Kein Untertan hätte diese Fledermaus mehr als ihren König akzeptiert, wenn er eine solche Herausforderung ausgeschlagen und die Wette abgelehnt hätte. Fledermäuse denken anders als wir, sie haben aber auch ihre Ehre.
Daher nahm König Fledermaus die Sonnenblume entgegen und dankte den klugen Tieren, dass sie sein Rätsel gelöst und sein Volk so reich beschenkt hatten.
So kam es, dass der Bär wieder mit seiner Frau und seinem Jungen vereint wurden. Glücklich fielen sich die zotteligen Tiere in die Arme und dankten der Eichhörnchendame sehr für ihre Hilfe. Gemeinsam fanden sie eine neue, diesmal wirklich unbewohnte Höhle, in der die Bären fortan lebten. Flinkbein, Vielbein, Zweibein und Rotbein kamen zuweilen vorbei und waren gern gesehene Gäste.
Und tatsächlich wandte sich alles zum Guten: Schon im nächsten Sommer blühten hunderte Sonnenblumen vor der Höhle des Fledermauskönigs. Man sagt, dass König Fledermaus danach noch viele Rätsel gestellt hat, doch nie mehr wurde gedemütigt, wer sie nicht beantworten konnte. Konnte zu einem Rätsel keine Lösung gefunden werden, so lud König Fledermaus sein Gegenüber in das königliche Sonnenblumenbeet zu einem Tag voll Arbeit und gemeinsamen Nachdenkens ein. Wer die Arbeit mit der Fledermaus nicht scheute, war am Ende eines solchen Werktages um Einiges klüger geworden und bekam, falls an diesem Tag doch noch eine Antwort gefunden wurde, vom König persönlich eine Sonnenblume geschenkt.
Die Schwarzschwinge nahm nie mehr Gefangene, sondern bekam mit der Zeit Freunde, die oft zu Arbeit und Gespräch vorbei kamen.
Die Tiere lebten noch lange und glücklich ein erfülltes Leben – und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute."
"Ein Vater hatte drei Söhne. Und es war Krieg im Land.
Der Vater liebte alle Söhne gleichermaßen, doch den Jüngsten liebte er am meisten. Die beiden älteren Söhne lernten die Arbeit ihres Vaters und ihres Großvaters, doch der Vater liebte von allen Künsten auf und unter der Erde die Kampfkunst am meisten, ohne sie jedoch zu beherrschen.
Der jüngste Sohn wollte seinen Vater stolz machen. Darum heuerte er als Soldat beim Fürsten an. Man bezahlte ihn nicht schlecht, er konnte jede Woche etwas heim senden. Allerdings musste er so oft weiterreisen, dass er nie Post von seiner Familie erhielt.
Mit den Jahren wurde er ein raffinierter Kämpfer. Er lernte, schnell zu töten, wenn es nötig war.
Eines Tages kamen seine Brüder mit einer Nachricht vom Vater zu ihm. Sie hatten ihren Bruder aus einem traurigen Grund aufgespürt: Der Vater, den alle Söhne liebten, war schwer krank und wollte seine Familie noch einmal vereint sehen.
Da wurden alle drei Söhne von einem Angriff überrascht. Sie kämpften um ihr Überleben, und eine ernste, lang dauernde Schlacht war es. Nur der Jüngste atmete am Ende noch, denn er hatte die höchste Kunst des Kampfes gelernt: Das Überleben.
Als er seine Brüder begraben hatte, sandte er eine Brieftaube zu seinen Eltern, die berichteten, dass er allein den Kampf überlebt hatte. Er beschrieb, wie der Kampf abgelaufen war, doch über seine Gefühle schwieg er - so sehr hatte ihn der Tod seiner Geschwister mitgenommen. Es verging wenig Zeit, sehr wenig, bis er eine Antwort bekam. Die Antwort besagte, dass sein Vater ihn nicht sehen wollte und dass er niemals wieder würde heimkehren können. Er war enterbt worden.
Gram und Schande übermannten den jüngsten Sohn. Er würde seinen Vater niemals wieder sehen können. Er fühlte sich, als wäre er mit seinen Brüdern gestorben.
Mit der Hand wischte sich Sebulon eine Träne aus dem Gesicht. Seine Finger zitterten, doch seine Stimme blieb gefasst.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie am Boden zerstört der jüngste Sohn war. Seine Geschwister von ihm genommen, seine Heimat vor ihm verschlossen und eine nagende Stimme hinter seiner Stirn redete auf ihn ein, dass er selbst alle Schuld daran trug.
Warum war er in diesen Krieg gezogen, der nicht sein eigener war? Wem außer sich selbst hatte er sich beweisen müssen? Warum war er nicht schon lange zu seiner Familie zurückgekehrt?
Nun war alles vorbei, alles verloren. Er hatte keine Familie mehr. Er hatte nur noch sich selbst.
Er hielt inne und betrachtete die niedrigen Flammen, die ihre Farben der aufgehenden Sonne zu schenken schienen. Seine Stirn legte er in Falten.
Die Geschichte habe ich lange Zeit so erzählt, dass sie an dieser Stelle endete. Im Grunde habe ich das vorhin auch getan - nur weniger ausführlich, immerhin gibt es Geschichten, die man eher für sich behält, und diese gehört eindeutig dazu ... - die Wahrheit ist aber, dass die Geschichte weiter geht, denn das Leben setzt stets Kommas, nie Schlusspunkte.
Der Vater besiegte seine Krankheit, doch mit dem nunmehr einzigen Sohn sprach er nie wieder. Er hatte kein Interesse daran, zu sehr war er über den Verlust der beiden Älteren erbittert. Erst viel später, kurz vor seinem Tod, schickten Verwandte aus seinem Clan wieder Post an den Sohn, doch sein Vater sandte ihm kein Wort.
Der Jüngste überlebte ebenfalls, obwohl er nichts mehr auf seine Existenz gab. Er arbeitete zunächst als Leibwächter und Söldner, doch nicht lange, denn in ihm war die Frage aufgewacht: Was ist der Sinn in deinem Leben? Sie rüttelte an ihm, wie es sonst nur eine frische Goldader oder der Duft eines elterlichen Zwergenbrots vermag. Was ist der Sinn deines Lebens, junger Zwerg?
Der Geschmack des Todes war ihm vergällt. Er fand keine Befriedigung in Handlangerarbeiten und weigerte sich zu töten, weil er die toten Augen seiner Geschwister nicht vergessen konnte. Nachts plagten ihn Alpträume. Um gelegentlich Ruhe vor seinen bitteren Träumen zu haben, begann er, viel Geld für nächtliche Gesellschaft auszugeben, bis er keines mehr hatte und mittellos war.
Also ging er auf Wanderschaft, weiter fort von der Heimat, fort von seinem Versagen. Und er schwor sich, etwas Gutes zu tun, um ein wenig Gerechtigkeit in sein Leben zurückzuholen. Er wollte seine Kraft und sein Durchhaltevermögen, die er im Bürgerkrieg erarbeitet hatte, für etwas Gutes einsetzen. Kriege wollte er verhindern, in welch kleinem Maßstab auch immer es ihm möglich sein würde.
Also verließ er die Stadt des Krieges und begann seine Wanderschaft. Und ohne es zu merken, ja ohne es überhaupt zu wollen, war er aus dem tiefsten Loch seines Lebensüberdrusses hinausgefallen. Ohne es zu merken, war er auf Hoffnung gelandet. Hoffnung auf einen neuen Tag, wo zuvor nur die Leere des Verlustes die Nacht angekündigt hatte. Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod seiner Geschwister. Hoffnung auf Gerechtigkeit. Hoffnung auf ...
Der Ankh-Morporker Himmel hatte einen lila-rötlichen Farbton angenommen. Ein Windstoß fegte das Feuer aus und ließ glühende Kohlen und eine in Schweigen versunkene Gesellschaft zurück.
... Hoffnung auf neue Lebensfreude. Er würde nie wieder echte Gemeinschaft mit seiner Familie haben können, doch vielleicht würde er Freunde finden. Ja, vielleicht würde er Vertraute gewinnen, die in all seiner Versunkenheit zu ihm halten würden; die seine Geheimnisse mit ihm teilen und seine Trauer lindern würden. Vielleicht jemanden wie einen Bruder, einen Onkel, einen Nachbarn, einen Vater.
Sebulons Blick richtete sich nacheinander auf Braggasch, Glum, Menélaos und schließlich auf den vermummten Zwerg neben ihm, dessen bärtiges Gesicht ein Lächeln umspielte.
Und so endet die Geschichte von dem Waisen, der seine Brüder im Krieg verlor. Aber vielleicht nenne ich sie ab heute die Geschichte, wie ein Toter Hoffnung fand."
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