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Außer Konkurrenz: Ein Fäbelchen, nichts Großes. Einfach, um wieder zu schreiben.
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Es war einmal ein Schmetterling, schrieb er auf das Papier.
Das Sonnenlicht schien in sein Büro. Es war warm, sommerlich warm. Die Krähen sangen gutgelaunt ihre Balzlieder und irgendwo kläffte ein Hund einem Eselskarren hinterher.
Der Zwerg fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Heute war sein freier Tag, doch anstatt den sommerlichen Tag zu genießen, war ihm danach, diesen seltsamen Traum aufzuschreiben. Vielleicht nicht ganz so, wie es im Traum gewesen war. Vielleicht ... märchenhafter.
Es war einmal ein Schmetterling, der lebte auf einer Wiese.
Zu kitschig, fand er und strich den Satz wieder durch. Außerdem war an einem Schmetterling auf einer Wiese nichts Besonderes, nichts erzählenswertes.
Es war einmal ein Schmetterling. Sein Name war Farasch. Er wurde am Wiesenrand an einem verregneten Frühlingsmorgen geboren. An diesem Tag gab es nichts, das schön war. Farasch öffnete mühsam seinen Kokon, reckte seine Fühler in das unaufhörliche Nass und beschloss kurzerhand, noch einen Tag länger auf das Entfalten seiner Möglichkeiten zu warten ...
Es klopfte an der Tür. Noch ehe er das Blatt wegstecken konnte, blinzelte Jargon Schneidgut ihm entgegen, treuer Freund schon seit der Rekrutenzeit und seines Zeichens Rechtsexperte.
"Störe ich?", fragte er.
Der Zwerg schüttelte den Kopf.
"Ich habe gerade Pause", fuhr Jargon fort, "und wollte dich fragen - was schreibst du da?" Ohne eine Antwort abzuwarten kam er zum Schreibtisch hinübergeeilt, von Neugier getrieben.
Es zu leugnen, schien zwecklos, also ließ er seinen Freund den Text lesen.
"Du schreibst Märchen? Also ich bin ja wirklich kein Experte, was das angeht, aber meinst du nicht, dass das mit dem Entfalten etwas, nunja, platt wirkt?"
Einen Augenblick lang dachte er nach, dann fuhr er, langsam und unter den neugierigen Blicken seines Kollegen, fort zu schreiben:
"... noch einen Tag länger in seinem sicheren Kokon zu verharren.
So lauschte also der Schmetterling dem gleichmäßigen Pladdern des Regens und genoss die Eintönigkeit seines ersten Lebenstages. Er stellte sich vor, wie es wäre, sich unter den vielen bunten Gewächsen seiner Wiese eine Braut auszusuchen. Er würde über all die Schneeglöckchen, Krokusse und Anemonen hinwegfliegen, um seine eine Blume zu finden, doch der Regen hielt an.
Drei Tage lang steckte Farasch tagträumend in seinem Kokon und genoss die Gleichförmigkeit.
Da hüpfte am vierten Tage eine Kröte über die schlammige Wiese und blickte zum Kokon hinauf."
Einem inneren Drang folgend, erhob sich der Zwerg plötzlich und entschuldigte sich bei dem erstaunten Rechtsexperten. Er hakte beide Daumen in seinen Werkzeuggürtel und eilte zum Abort.
Als er gute zehn Minuten später zurück an seinem Arbeitsplatz eintraf, war Jargon bereits wieder aufgebrochen. Ein Schmierblatt lag quer über seiner Geschichte. Dort stand geschrieben: "Bitte verzeih meine Offenheit - ich hatte eine Idee, wie die Geschichte weitergehen könnte. Mach mit ihr, was du möchtest. Ich bin auf Streife, falls du mich suchst."
Über den unerwarteten poetischen Ausbruch seines Freundes schmunzelnd, setzte er sich wieder und blickte auf das Papier mit seiner Geschichte, die nun etwas länger geworden war.
"Ich grüße dich, Herr Schmetterling", sagte die Kröte höflich und verneigte sich.
"Auch ich grüße dich, Frau Kröte", erwiderte der Schmetterling, darauf bedacht, der Kröte an Manieren in nichts nachzustehen. "Was für ein Wetter, nicht wahr?"
"Fürwahr", sprach die Kröte, "es war schon lange nicht mehr so angenehm feucht. Ich glaube, ich werde dieses Jahr einen guten Ort für die Aufzucht meiner Krötenkinder finden." Und sie hüpfte davon.
'Wie seltsam', dachte da der Schmetterling, 'eigentlich wollte ich sagen, dass mir das Wetter unnahbar und garstig scheint. Vielleicht irrte ich mich?'
Lange und nachdenklich betrachtete er das Blatt, auf dem nun zwei Handschriften die Geschichte eines Schmetterlings zu erzählen versuchten, ohne weit gekommen zu sein. Allerdings war er erleichtert, dass dieser höfliche Farasch nicht mit dem Schlag der Krötenzunge gefallen war.
Endlich drehte er das Blatt um und griff erneut zum Stift.
Als der Regen am fünften Tag zu einem Nieseln wurde, flog eine Meise um den Kokon herum und klopfte an.
"Herr Schmetterling, seid ihr daheim?"
"Selbstredend, Frau Meise. Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich", rief der Schmetterling dem Vogel zu, der sich auf dem nassen Boden niederließ.
"Weshalb kommt ihr nicht heraus aus eurer Behausung, Herr Schmetterling? Der Tag ist mild und angenehm. Wir könnten ein wenig gemeinsam fliegen, und ganz ohne Anstrengung, denn Abkühlung gibt es ja von oben."
Doch der Farasch lehnte dankend ab. "Ihr müsst verstehen, Frau Meise, ich bevorzuge Wärme und Licht. Im Abenddunkel durch die Kühle fliegen, das würde mir nicht bekommen."
Enttäuscht, doch bestimmt, verabschiedete sich die Meise und flog ihrer Wege.
Am sechsten Tag klärte sich der Himmel auf. Neugierig streckte der Schmetterling seine Fühler in den milden Wind. Heute, ja, heute war ein guter Tag, um den Kokon zu verlassen, fand der Schmetterling.
Kaum hatte er jedoch seinen Kopf aus dem Kokon gesteckt, da flog ein Schwarm seiner Geschwister an ihm vorbei. "Heda", riefen sie ihm zu, "Vorsicht! Der Kuckuck kommt!"
Vor Schreck verlor der Schmetterling das Gleichgewicht. Seine Flügel schlugen ein-zweimal, bevor er sich fing und einer Bruchlandung nur knapp entging. Die sumpfige Erde spritzte auf seine Flügel und sie wurden sehr dreckig. Darüber geriet Farasch in Panik. Er konnte so nicht recht fliegen, war mit all dem Schlamm viel zu schwer, auch konnte er kein gutes Versteck sehen.
Schon hörte er den schweren Flügelschlag des Kuckucks - doch da des Schmetterlings bunte Schwingen verdreckt waren, übersah der Vogel die naheliegende Beute und flog dem fliehenden Schmetterlingsschwarm hinterher.
"Wie seltsam", sprach Farasch bei sich, "da habe ich fast eine Woche lang auf die gute Zeit gewartet und beinahe wäre sie vorbei gewesen, noch ehe sie begonnen hatte."
Der Zwerg legte das Papier beiseite. So hatte er es nicht erträumt. In seinem bereits verblassenden Traum war der Schmetterling der List irgendeines Tieres mit großen Zähnen zum Opfer gefallen. Aber vielleicht war die Geschichte so besser. Vielleicht gab es für diesen Schmetterling eine Zukunft, auch wenn Farasch nur durch großen Zufall überlebt hatte.
Und vielleicht war es an der Zeit, sich daran zu erfreuen, was war - anstatt von einer Zukunft zu träumen, die vielleicht gar nicht eintreten würde.
Braggasch strich sich durch seine blonden Haare und erhob sich.
Vielleicht war es an der Zeit, seinen besten Freund, Sebulon, wieder einmal zu besuchen. Sie hatten sich ewig nicht gesehen. Vielleicht würde er Lust auf einen Spaziergang im Sonnenschein haben.
Der Zwerg erhob sich und verließ sein Büro, um die Gegenwart zu genießen.
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