Eleanore saß im Aufenthaltsraum und starrte auf ein Paket, das vor ihr auf dem Tisch stand. Das Paket war nicht gerade klein aber auch nicht übermäßig groß, die Szene aus einem bestimmten Winkel betrachtet zeigt ein Paket mit breiten Schultern und kurzen dunklen Locken.
Diesen Anblick hatten Damian und Opal, als sie den Raum betraten. Dem übenden Rekrutenauge fiel auf, dass die Schultern der kleinen Frau eingesackt waren und leicht zitterten.
"Alles klar bei dir, Ella?"
"Ja...was soll denn...schon sein?"
"Naja, du siehst nicht gerade glücklich aus, und das obwohl Destructivus gerade da war."
"Und er nichts kaputt gemacht hat."
"Ja, er lernt dazu. Und dann hast du da auch noch das Paket vor dir stehen."
"Und trotzdem du unglücklich, warum?"
Während Damian und Opal sie so mit Fragen löcherten, setzten sie sich ihr gegenüber an den Tisch. Eine mögliche Konversation war nun erschwert durch das sich zwischen ihnen befindliche Paket. Dies nutzte Eleanore sofort aus. Sie versteckte sich tiefer hinter dem Paket, indem sie ihren Kopf auf die Arme stützte, die auf dem Tisch lagen und starrte das Paket an, “ach lasst mich doch einfach alleine.“
"Das kannst du vergessen", sagte Opal von oben auf sie herab blickend, während Damian das Paket zur Seite schob,
"Hey, wir sind deine Mitrekruten und im Grunde doch Familie."
Beim letzten Wort zuckte Eleanore zusammen und schaute noch betrübter als vorher schon.
"Jetzt sag also schon, was macht dich so traurig?"
"Traurig is das falsche Wort."
"Soweit war ich auch schon.", sagte Theodor, der neben Eleanore saß und den jetzt alle ansahen bis auf die wie auch immer, jedenfalls traurig aussehende Eleanore.
"Äh, ja.", sagte Damian und drehte sich zurück zu der ihm gegenüber sitzenden Eleanore. "Was ist denn dann das richtige Wort?"
"Naja, also, wie soll ich sagen. Wie fühlt man sich denn schon groß, wenn man 'n schlechtes Gewissen hat? Ängstlich? Nein, ängstlich nich, wobei doch auch irgendwie. Ich hab Angst davor das Paket zu öffnen."
"Ich die auch hätte. Destructivus das Paket gebracht hat.", konnte Opal nicht für sich behalten, was ihm wütende Blicke einbrachte.
"Das ist geschmacklos, Opal. Außerdem würde man doch riechen, wenn Mist im Paket wäre", fuhr Theodor den ihm gegenüber sitzenden Troll an und drehte sich wieder zu Eleanore, "also Ella, du brauchst keine Angst zu haben. Es ist mit Sicherheit kein Mist im Paket. Und das schlechte Gewissen hast du, weil du kein Paket für ihn hattest?"
Eleanore sah ihn mit großen Augen an
Wie is er so unbemerkt hierher gekommen? Seit wann sitzt er neben mir?, "Ihr versteht das alles falsch. Also erstmal muss ich klar stellen, dass Destructivus, auch wenn er gerade auf dem Viehmarkt den Mist beiseite schaffen muss, noch immer genug Hirn hat, mir davon keinen zu schenken
[1]. Außerdem is das Paket nich von ihm. Er hat es mir nur quasi geliefert. Das Paket is von meiner Mutter."
"Äh, jetzt weiß ich echt nicht, warum du Angst haben solltest."
"Zuerst mal hab ich 'n schlechtes Gewissen. Ich bin jetz schon ne Weile wieder in der Stadt und war kein einziges Mal bei meiner Mutter. Durch Destructivus weiß se, dass ich wieder in der Stadt bin, immerhin hat er ja Sachen für mich von dort geholt. Aber ich war halt kein einziges Mal bei ihr. Und jetz schickt se mir dieses Paket und ich hab Angst es zu öffnen, weil ich eigentlich schon weiß, was drin is."
Unbeachtet dessen, dass Damian die Augen verdrehend und den Kopf schüttelnd Opal anguckte, dass dieser das mit dem Mund geformte
Frauen sehen konnte, fuhr Eleanore mit ihrer Erklärung fort:
"Da is ein Lebkuchenhaus drin. Das war so bei uns. Wir haben in der Zeit vor der Schneevaternacht von unserem Ersparten 'n Haus gebaut aus Lebkuchen, verziert mit anderen süßen Kleinigkeiten. Ich hatte immer den Pinsel mit dem süßen Guss, dass die Lebkuchen aneinander kleben bleiben und die Kleinigkeiten auf den Lebkuchen kleben bleiben. Und zum Schluss haben wir noch Figuren aus so ner süßen Masse gemacht. Meine Mutter hat eine Figur von mir geformt und ich eine von ihr und die haben wir dann vor das Haus gestellt.
Un jetz, sie macht das Haus noch immer, aber ohne mich, weil ich mich nich blicken lass. Sie meckert doch eh nur wieder, dass die Reise mich jetz auch nich größer gemacht hätte und ich in der Stadt hätte bleiben können. Naja, und jetzt ist Advent und da fühlen sich doch immer so viele allein und ich lass sie gerade allein."
"Ich fühl mich nicht nur in der Adventszeit allein.", kam es von neben Eleanore, während diese das Paket wieder vor sich schob, um sich dahinter zu verbergen.
"Genug genölt, ich jetzt öffne das Paket", sagte Opal und hob aus dem Karton ein Lebkuchenhaus, verziert mit süßen Kleinigkeiten und vor der Tür stehend eine einsame Gestalt, geformt wie ein Würfel mit schwarzen Locken.
Vom Geruch angelockt, gesellte sich nun auch Goldie mit zur Runde, gefolgt von Thymian Erz, der schon die Hand ausstreckte, um eine der Kleinigkeiten vom Haus zu lösen, was ihm ein Schlag auf seine Hand unterband.
Eleanore sah betrübt die einsame Figur vor dem Haus an. "Seht ihr, damit führt se mir doch genau das vor Augen, was ich gerade gesagt hab. Nicht nur sie is allein, sondern ohne se bin auch ich allein"
"Sowas kann man sich auch einreden. Du bist erwachsen und hast dein Elternhaus verlassen, du stehst jetzt auf eigenen Beinen, das soll diese Figur zeigen."
"Außerdem bist du doch gar nicht allein, wir sind auch noch hier.", fügte Theodor hinzu, stellte eine Figur vor das Haus, die eine starke Ähnlichkeit mit ihm hat und verteilte die restliche süße Masse, die er noch im Paket gefunden hatte an die anderen. Diese machten sich eifrig daran mehr oder minder begabt ebenfalls Figuren von sich zu formen und sie neben die beiden schon vor dem Haus stehenden Figuren zu platzieren. Durch seinen Vorsprung formte Theodor angeleitet durch Gejaule und Gebelle eine Figur von Goldie.
Als am Ende vor dem Haus alle sechs Figuren standen, war Eleanore fast den Tränen nahe, was sie aber nie zugegeben hätte. Deshalb war sie ganz erleichtert, als Thymian Erz mit den Worten
und wann wir das jetzt essen dürfen? den Kopf einer Figur in seinem Mund verschwinden ließ. Da es sich dabei nicht um den Kopf seiner eigenen Figur handelte, waren innerhalb kürzester Zeit unter lautem Diskurs alle anderen Köpfe auch gegessen. Theodor musste dabei feststellen, dass selbst seine Figur so normal aussah, dass die anderen sie übersahen, weshalb er den Kopf selbst entfernte und ihn Goldie gab, denn als einzige Figur mit Kopf sah sie dann doch etwas unnormal aus.
Epilog:
Am Abend, nachdem Eleanore einen heiteren Nachmittag mit ihren Mitrekruten und dem Feldwebel verbracht hatte
[2], klopfte Eleanore an eine Tür. Im Beutel hatte sie eine weitere Figur, im Magen ein mulmiges Gefühl, im Herzen die Freude auf warmen Tee und auf der Zunge viele Geschichten, die sie ihrer Mutter erzählen wollte.
[1] die Nebenbemerkung Opals, dass Destructivus den Mist mit ebensoviel Glanz in den Augen betrachte, wie er Ella ansehe und sich deshalb nicht so sicher sei, ob Eleanores Aussage stimme, sei hier mal außen vor gelassen.
[2] auch der Feldwebel hatte eine Figur zum Lebkuchenhaus beigesteuert mit den Worten
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