Gassi

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von Wächterin Goldie Beifuß (GRUND)
Online seit 10. 11. 2013
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 Außerdem kommt vor: Rogi Feinstich

Streife gehen gehört zum Wächterleben dazu. Beim ersten Mal kommt natürlich dein Ausbilder mit. Dann kann ja gar nichts schief gehen, oder?

Dafür vergebene Note: 11

~ Sektober, Vollmond ~ Ankh-Morpork ~

Sie wusste nicht wie viele es waren, vielleicht vier oder fünf, aber das spielte auch keine Rolle. Tatsache war, es würde ihr Ende bedeuten, wenn sie sie einholen würden. Jeder einzelne dieser reudigen Straßenköter hätte sie zerfleischen können. Die einzigen Vorteile die sie hatte, waren ihre Schnelligkeit und dieses Gespür für das Mögliche. Dabei ging es hier anfangs nur um ein paar Knochen mit der Ahnung von Fleisch und natürlich um das Vorrecht des Stärkeren. Und da lag das Problem.
Sie versuchte erst gar nicht sich umzuschauen, das hätte die entscheidende Sekunde sein können, die ihr am Ende fehlte. Da ein Karren. Sie sprang mit voller Geschwindigkeit auf das Gefährt und rutschte unter eine Abdeckung, die das Transportgut vor der Witterung schützen sollte. Ein kurzes Scheppern gefolgt von Stille.
Welch ein Dreck. Hätte sie lesen können wäre sie nicht auf den Karren gesprungen. Dort stand in großen Lettern: "Smittis Gebrauchtes Allerlei". Töpfe, Pfannen und jeder erdenkliche Gegenstand lag hier herum, allerdings entweder defekt, stark verschmutzt oder einfach Plunder, der so wichtig ist, dass man ihn nicht wegwerfen darf, aber auch wiederum so unnütz dass man ihn nicht braucht. Ein Zustand der schwer zu beschreiben war. Der Verkauf stagnierte wohl schon eine weile. Sie hielt voller Anspannung den Atem an. Jeder Muskel und jede Sehne ihres Hundekörpers war voller Adrenalin. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt und musste nun warten ob sie sich richtig entschieden hatte oder ob das ihr Ende war. Ein oder zwei Bisse würden Ihr wohl bleiben. Nichts was irgend jemanden umgebracht hätte, aber sicherlich würde sie demjenigen in Erinnerung bleiben. Sie hörte nur noch die wilde Meute vorbeiziehen und war bis über beide Ohren erleichtert, offenbar stank dieser Wagen genug um ihren Geruch zu verdecken.

~~~

Diese Stadt hatte wirklich alles. Lärm, Gestank, Feinde - zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie war nun seit drei Tagen hier und es war so viel schlimmer als sie erwartet hatte. Vor Angst hatte sie kaum geschlafen, nahezu nichts gegessen und auch kaum Wasser - zumindest kein trinkbares - gefunden. Sie war am Ende. Zunächst hatte sie gedacht, dass es an den Schlachthöfen ganz sicher etwas zu ergattern gab... dort war sie auf die anderen getroffen. Wölfe hassen Werwölfe, Menschen hassen Werwölfe, Hunde lieben Menschen und hassen Werwölfe - soweit die bekannten Fakten. Goldie war ein guter Hund gewesen, bis die Menschen erfuhren was sie wirklich war. Hier traf sie nun auf andere Hunde, optisch mochte sie wie eine der ihren wirken [1], olfaktorisch konnte sie anscheinend niemanden täuschen. Hunde hassten sie, was auch immer sie war. Die Erfahrung war furchtbar, auf einmal war sie allein - nicht nur von der Mutter und den Geschwistern getrennt und von der Familie in der sie gelebt hatte fortgejagt - sondern richtig allein, sie kannte hier niemanden. Auf werwolffreundliche Menschen brauchte sie jetzt nicht zu hoffen, kurz vor Vollmond bestand kaum eine Chance einem Menschen zu erklären was sie war. Und mit den hier ansässigen 'netten' Werwölfen hätte sie erstmal in Kontakt kommen müssen. In dieser Phase war es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie ihr zuhören würden, schließlich war sie keine von ihnen.
Dann hatte sie es auf den Märkten versucht, auch hier hatte ihr eine wogende Masse von unfreundlichen Zähnen erklärt, dass hier kein Platz für sie war. Heute morgen hatte sie schließlich eine Mülltonne umgeworfen und durchstöbert. Was man über diese Stadt unbedingt wissen sollte, war, dass ein jedes Ding einen Wert hatte. Alles Essbare wurde gegessen, wenn nicht vom ersten Besitzer, dann vom Nächsten, was hier morgens noch im Müll war war tatsächlich Müll. So konnte sie nicht leben, das war nicht gut. Sie sah nur zwei Wege für sie in dieser Stadt zu überleben, entweder erkämpfte sie sich ihren Platz in dieser sie hassenden Hundegesellschaft, oder sie fand einen neuen Platz, an dem man sie nicht nur 32 Tage im Monat akzeptierte, sondern wo sie vielleicht sogar nützlich war. Kämpfen konnte sie vergessen, mit einem Straßenhund würde sie vielleicht fertig, wenn er klein und ebenfalls jung und unerfahren war. Die Chancen gegen einen erfahrenen Straßenhund schätzte sie ehr gering ein und eine Gruppe von Gegnern würde sie in Stücke reißen. Mit einem resignierten Winseln, setzte sie ihren Weg durch die Straßen fort und folgte unterbewusst einer orangeroten Duftspur die möglicherweise ein Mittagessen versprach.

~ Sektober, Neumond ~ Kaff im Ahtal, Überwald ~

"Sie kann nicht bleiben!"
"Nein Liebster, sie ist kein Umgang für Jonah."
"Am liebsten würde ich sie zum Züchter zurückbringen."
"Den findest du nicht wieder, der wollte nur die Welpen loswerden und ist längst über alle Berge."
"Wahrscheinlich wusste der dass es Monster sind."
Ein Monster, das war sie also. Ein guter Hund bis sie sich letzte Nacht in einen Menschen verwandelt hatte... und nun war sie ein Monster. Monster sind böse. Aber sie hatte doch gar nichts böses getan...
"Wir müssen sie loswerden."
"Aber du bringst sie nicht um!"
"Nein, ich bringe sie weg. In die Stadt. Dort hat man ein großes Herz für Monster."
Stadt, das klingt groß und böse, vor allem wenn man dort Monster mochte... sie war froh wieder in ihrer gewohnten Gestalt zu sein, auch wenn es sie erschreckt hatte im Spiegel zu beobachten wie sich ihr Körper zurück verwandelte, ohne jeden äußeren Einfluss, nur weil sie es wollte. Sie hatte so eine Idee, dass die andere Verwandlung weniger leicht war... aber wieso sollte sie das auch wollen? Mensch sein - nein, sie war kein Mensch, sie war kein Hund, sie war ein Monster - die menschliche Gestalt gefiel ihr nicht, es fehlte das Fell und laufen auf zwei Beinen war merkwürdig. Außerdem hatte ihr sowieso niemand zugehört, was brachte es brachte es da ihre Sprache zu sprechen - nebenbei eine großartige Erkenntnis und mit Abstand das beste am ganzen Tag - wenn einem keiner zuhörte.
"Wie willst du verhindern dass sie zurückkommt?"
"Ich stecke sie in eine Kiste, außerdem ist die Stadt weit weg."
Eine Kiste... dazu musst du mich erstmal kriegen! Sie kroch unters Bett.

~ Sektober, Vollmond ~ Ankh-Morpork ~

Die orangerote Mittagessenfährte haftete an einem jungen Menschen der zusammen mit einem anderen Menschen in der gleichen Kleidung scheinbar ziellos durch die Stadt lief. Die beiden liefen auf eine besondere Art, die es auf dem Dorf nicht gab. Der Gang transportierte die Botschaft: "Wir haben den ganzen Tag zeit, wir habens nicht eilig, aber wir sehen alles." Auf dem Dorf gab es keine unnützen Wege, man bewegte sich von A nach B und hielt vielleicht noch einen Plausch zwischendurch bei C. Aber einfach so durch den Ort stromern tat niemand. Die Beiden waren recht aufmerksam was ihre Umwelt betraf und natürlich mussten sie auch schon bemerkt haben, dass ihnen ein Hund folgte, allerdings machten sie noch keine Anstalten sie zu verjagen, was eindeutig ein Fortschritt gegenüber allen anderen Bewohnern der Stadt war, denen sie bisher begegnet war. Außerdem roch der eine so gut... beziehungsweise das was er in seiner Tasche hatte. Aber wieso sollte er ihr das geben? Schließlich war sie nicht sein Hund und die Leute hier fütterten keine Tiere mit ihrem Mittagessen. Die Menschen redeten nicht viel miteinander, obwohl sie das gleiche Ziel und die gleiche Kleidung hatte schienen sie also nicht besonders aneinander interessiert zu sein. Nach einer scheinbar endlosen Runde durch die Stadt, blieben die Beiden an einer Ecke die sich für Goldie kaum von den vorhergegangenen Ecken unterschied stehen und der eine packte sein Mittagessen aus. Der andere hatte inzwischen auch etwas angeblich essbares von einem Straßenhändler gekauft, der Geruch erinnerte vage an Schweinefutter, auch wenn der Verkäufer von Schweinefleisch gesprochen hatte, jedenfalls war sie wohl dafür noch nicht hungrig genug. Menschliche Nasen mussten schlechter sein als sie dachte. Vorsichtig ging Goldie näher an die beiden Menschen heran und setzte sich dann etwa zwei Meter entfernt von ihnen hin.
Ein guter Hund macht 'Sitz' wenn er etwas will.
Dann versuchte sie allen Hunger und Verzweiflung in ihren Blick zu legen und schaute den mit dem lecker orangerot duftenden Haxsenbrötchen mit Ketchup an.
Wie zu erwarten wurde sie ignoriert.
Sie winselte.
Nichts.
Sie winselte und hüpfte [2] etwas näher.
Nichts.
"Hemwiff!"
Der Mensch seufzte und warf ihr die obere Hälfte des angebissen Brötchens zu.
"Gib Ihm doch nichts... Ich glaub den Köter wirst du jetzt nicht mehr los. Du hast ein zu gutes Herz." Wolfgang von Reichenbach war absolut dagegen Bettlern etwas zu geben, das galt sowohl für menschliche als auch für tierische Bettler, auch wenn sie niedlich waren. Vom Abgeben blieb man nicht nicht oben in der Nahrungskette, wobei natürlich Spenden zur richtigen Zeit und am richtigen Ort - je größer das Publikum desto besser - durchaus nützlich sein konnten.
"Der Hund scheint sehr hungrig zu sein. Außerdem sieht man das es eine Sie ist. Bei dem Blick werd ich einfach schwach." Als Junge vom Land kannte sich Natan Steinschleifer mit Hunden aus, er kannte zahlreiche Hütehunde und wusste im Gegensatz zu seinem Kollegen, dass die Hündin sie so oder so nicht in Ruhe gelassen hätte.
"Jetzt bedarf es also eines Blickes dafür. Ganz was neues."
Brot mit Butter, Ketchup und der Erinnerung an Fleisch, unter normalen Umständen nichts besonderes, aber heute ein Festmahl.
"Vielleicht sollte ich sie behalten..." Natan war relativ sicher, dass ein Hund bei der Wache kein Problem darstellen sollte, es gab ungewöhnlichere Haustiere über die auch niemand was sagte.
Sie wedelte überglücklich und beschloss erstmal bei diesem freundlichen Menschen zu bleiben.
"Hast ja recht, sie verdient ein Zuhause", lenkte Wolfgang ein und wuschelte in Goldies Fell, "anscheinend braucht sie außerdem dringend ein Bad." [3]

~~~

Nachdem die beiden Rekruten ihre Streife in Goldies Gesellschaft beendet hatten, nahmen sie sie mit zum Wachhaus. Beide hatten für diesen Tag Feierabend, daher hatten sie beschlossen, dass sie die Hündin auch gleich heute Nachmittag baden konnten. Sie brachten sie nicht am Tresen vorbei ins Wachhaus, sondern nahmen den etwas weniger auffälligen Weg durch den Stall und die Umkleide. So gelangten sie ungesehen zum Waschraum, womit sie allerdings nicht gerechnet hatten war die heftige Gegenwehr der Hündin, sobald sie mitbekommen hatte, dass die beiden freundlichen Männer sie baden wollten, mit Seife. Aus irgendeinem Grund fanden sich im Waschraum im Wachhaus an der Kröselstraße immer mehrere unterschiedliche Stücke Duftseife. Niemand wusste wer sie hier hinlegte, vielleicht waren sie auch schon seit Anbeginn der Zeit hier. Die beiden entschieden sich für ein mittelgroßes hellgelbes Stück Seife, das nach Kamille roch und scharbten davon etwas in das warme Badewasser. Während die Flocken sich auflösten und den gesamten Waschraum in Kamillenduft hüllten, versuchte Goldie panisch die Tür zu öffnen, aber sie rutschte immer wieder von der bereits kondenzwasserfeuchten Türklinke ab. Sowas hatten ihre ehemaligen Herrchen auch in regelmäßigen Abständen versucht. Wasser sollte nicht nach Blumen riechen, sondern nach Wasser, vielleicht auch nach Schlamm, Fisch oder fauligen Blättern - modergrün, nicht kamillengelb oder rosenrosa. Richtiges Wasser war bedeckt mit Wasserlinsen und Seerosen, nicht mit fluffigem Schaum.
Sie wollte nicht in die Wanne... Jonah hatte das verstanden, der hatte sie immer draußen mit klarem Wasser abgespritzt wenn sie mal wieder als das grüne Ding aus dem Sumpf heimkam. Aber Herrchen und Frauchen hatten trotzdem auf diesen stinkenden Bädern bestanden und die beiden freundlichen jungen Männer schienen sich auch nicht davon abbringen zu lassen. Einer hob sie hoch und trug sie zur Wanne. Sie wand sich, hatte aber keine reelle Chance. Letztendlich ergab sie sich, zumindest solange bis sie nach eigener Einschätzung sauber genug war. Danach konnte sie nichts mehr halten, mit einem entschlossenen Sprung verließ sie die Wanne, kam schlidernd kurz vor der gegenüberliegenden Wand zum stehen, um sich dann ausgiebigst zu schütteln.
Der Waschraum glich einer schäumenden Wüste, die beiden Wächter waren beinahe nasser als Goldie. Wie immer wenn im Universum etwas gründlich schief lief würfelte Schicksal eins höher als die Lady und ließ das ganze Geschehen noch eine Spur schlimmer werden. In diesem Fall führte es dazu, dass die amtierende Ausbildungsleiterinden Waschraum betrat.
Feldwebel Feinstich sah sich in Ruhe um.
"Fo eine Schweinerei, habt ihr sonst nichtf fu tun... wohl chronisch unterfordert."
Die beiden tropfnassen Rekruten zuckten fast synchron mit den Schultern.
"Waf macht der Hund hier. Alf hätten wir nicht schon genug Probleme."
"Wir waren der Meinung, dass wir sie vielleicht zum Wachehund ausbilden können..."
"Mach Sitz", der Befehl ging von Goldies Ohren direkt in den Bewegungsapparat und sie setzte sich augenblicklich hin.
"Immerhin befolgt hier jetft jemand ohne Murren meine Befehle. Erlaubnis erteilt, folange ihr eure sonstigen Pflichten nicht vernachläffigt. Aber daf mir keine Klagen zu Ohren kommen."
Im hinausgehen fügte sie noch "Saubermachen nicht vergeffen" hinzu.

~ Sektober, abnehmender Dreiviertelmond ~

Die Menschen gehörten einem Rudel an das Stadtwache hieß. Damit war auch klar, warum sie in den Straßen herum stromerten, sie bewachten die Stadt. Sie hielten sich, wenn sie nicht in der Stadt herumliefen in einem Wachhaus am Rand eines Bezirkes auf den sie 'Die Schatten' nannten. Wenn sie hier waren bekamen sie etwas beigebracht. Also war dies eine Schule, eine Wächterschule. Leider war die Wächterschule im Gegensatz zur Hundeschule ziemlich theorielastig, aber es gab auch klettern, kämpfen, das durch die Straßen streifen und ähnliche praktische Einheiten. Für Goldie war das alles ein riesen Spaß, sie machte bei den praktischen Sachen mit, hörte bei den theoretischen Sachen zu... ging mit wenn sich wieder eine Gruppe auf den Weg machte zum 'Streife gehen' was für sie sowas wie 'Gassi gehen' wurde. Niemand jagte sie weg, sie hatte einen Schlafplatz im Rekrutenschlafsaal gefunden und es gab sogar regelmäßige Mahlzeiten. Zwar vermisste sie Jonah noch immer fürchterlich, aber hier gab es so viel interessantes, neues und so viele nette Leute.
Es war großartig.
Goldi hatte schnell gelernt, dass die anderen Menschen und Zwerge und sogar der Troll auf die Igorina hörten, die auch den größten Teil der theoretischen Vorträge hielt. Sie musste sowas wie ein Herrchen sein, ungewöhnlich für Igors, aber warum nicht, in dieser Stadt, so weit fort von Überwald konnte es auch ein Igor-Frauchen geben, die das Sagen hatte... Oder vielleicht gab es in dem Hauptwachhaus von dem immer die Rede war einen Meister, ein Überherrchen, der die ganze Wache leitete. Das würde sie schon noch herausfinden. Für den Anfang war sie total glücklich, dass sie hier erstmal bleiben konnte.

~ Sektober, abnehmender Halbmond ~

Dieses Stadt bewachen konnte auch ganz schön anstrengend sein, während die Streifen normalerweise weitgehend ereignislos verliefen, hatten sie heute einen Handtaschendieb um drei Häuserblöcke verfolgt. Es begann mit einem klassischen: "Haltet den Dieb! Er hat meine Handtasche gestohlen!" Dann hastete auch schon ein junger sehr schmutziger Bursche an ihnen vorbei und die beiden Wächter nahmen zusammen mit der Hündin die Verfolgung auf.
Plötzlich kam ein Karren aus einer Seitengasse und blockierte die Straße. Goldie duckte sich darunter hinweg und verfolgte den Dieb auf einmal allein, da die beiden Rekruten vollauf damit beschäftigt waren den Karren aus dem Weg zu schaffen, beziehungsweise den Händler davon zu überzeugen dies zu tun. Innerhalb weniger Augenblicke hatten sie sich in einem wüsten Disput verstrickt in den sich immer mehr Passanten einmischten. Goldie war allein, ihre Gefährten hatten die Fährte verloren. Die feine Hundenase hingegen konnte dem Dieb auch ohne Sichtkontakt folgen, ziemlich problemlos sogar, hatte man einmal gelernt, dass in dieser Stadt alles stank ließen sich besonders frische Gestanksspuren isolieren und diese war in ihrer Vorstellung matschrosa, wobei die rosa Note erst mit der Handtasche ins Spiel gekommen war, sie rührte wohl von einem ausgelaufenen Parfüm her. Es war also nicht schwierig der matschrosa Spur des Taschendiebes zu folgen. Zumindest bis er die Tasche wegwarf. Goldie versuchte sich zu merken in welche Ecke der Dieb die Handtasche warf, rannte dann aber weiter hinter ihm her. Der Dieb wusste, dass er noch immer verfolgt wurde, um Zeit zu gewinnen kippte er einen Obststand um. Die zu Fallobst gewordenen Wahren kullerten umher. Die Händlerin keifte augenblicklich los und drohte in alle möglichen Richtungen mit den Fäusten, davon vollkommen unbeeindruckt sprang die Hündin in hohen Bögen über die Trümmer und Kisten des umgekippten Standes.
Schließlich hatte sie ihn bis in eine Sackgasse getrieben wo eine aufgeschreckte Katze panisch ein Rankspalier hoch floh. Als der Dieb der Katze zu folgen versuchte gab das Spalier nach. Die Maueranker waren für diese Belastung einfach nicht ausgelegt. Der Mann saß zusammengesunken in der Ecke und Putz bröckelte in sein Gesicht. Da fing das eigentliche Problem an, sie konnte ihn nicht festnehmen. In einer der theoretischen Stunden gestern oder vorgestern hatte Igor-Frauchen erklärt dass eine echte Festnahme aus mehreren Bestandteilen bestand. Zum einen musste man den Flüchtigen auch wirklich festhalten können - da war Goldie sicher dass sie das konnte. Zum anderen musste man ihm aber auch erklären, dass er festgenommen war und deswegen bestimmte Rechte hatte und das konnte sie in dieser Form vergessen. Sie war sich auch ziemlich sicher, dass sie den Dieb nicht verletzen durfte...
Die Hündin bellte.
Knurr, bleib wo du bist. Hoffentlich kommen die anderen bevor der mich durchschaut.
Es dauerte einige Zeit bis die Wächter in der Sackgasse eintrafen.
"Du... du bist..." Natan keuchte hingebungsvoll, "...also, festgenommen bist du. Du musst nichts sagen. Alles wird gegen dich verwendet. Oder so."
"Keine Lizenz, dachte ich mir. Mit dir rupfen wir noch ein Hühnchen", Wolfgang band dem Dieb die Hände.
"Braver Hund, ohne dich wäre der uns entwischt, gut gemacht, meine Kleine."
Kleine. Süße. Maus. Wie gerne würde sie wieder ihren Namen hören, der sprühte zwar auch nicht unbedingt vor Kreativität, aber er war immerhin ein Teil von ihr. Leider konnten diese Menschen nicht wissen wie sie hieß, wie sollten sie auch, schließlich war sie ihnen zugelaufen. So wie die Dinge aktuell standen musste sie wohl bis zum nächsten Neumond warten, aber das Lob tat ihr gut, sie hatte schon befürchtet, dass sie nie wieder ein guter Hund sein konnte, jetzt wo sie ein Monster war.

~ Oktober, abnehmender Sichelmond ~

Es war Nacht geworden in dem dunklen Wald. Sie war ganz allein. Sie verstand nicht wie das hatte passieren können. Grade hatten sie noch miteinander gespielt und plötzlich war sie allein. Der Wald war voller Stimmen, nur wenige davon konnte sie verstehen, aber die die sie verstehen konnte waren ausnahmslos feindlich. Sie zweifelten an ihr, beschimpften sie, nannten sie ein Monster, eine Missgeburt, abartig, widernatürlich. Selbst die Moose wirkten unfreundlich, wo sie ihr doch sonst die liebsten Pflanzen waren. Sie waren nicht mehr die weichen Polster, die unter ihren Pfoten nachgaben, sondern jetzt fühlten sie sich an wie eisige Glassplitter. Sie sah sich um, dieser Teil des Waldes war so fremd, nirgends ein bekannter Geruch... Jonah war fort, er hatte sie im Stich gelassen, allein gelassen unter Feinden. Goldie rannte los, immer weiter, doch das Laufen fiel ihr auf einmal so schwer... Die Hündin erwachte mit wild pochendem Herzen, verwirrt und außer sich vor Furcht. Ihre Beine ließen sich nicht mehr bewegen. Sie waren vollkommen umwickelt von einer Decke, das war zuhause nie geschehn. Zuhause am Fußende von Jonathans Bett hatte sie keine Alpträume gehabt und war nicht im Schlaf gelaufen...
Sie befreite sich aus der Decke, dieser Alptraum war bei weitem nicht der erste gewesen seit sie von zuhause fort war. Irgendwie hatten sie sich alle meist um den dunklen Wald gedreht, obwohl sie überhaupt keine Angst vor dem Wald an sich hatte. Angst vor der Stadt, der Einsamkeit und seit der Reise in der dunklen Kiste auch vor der Dunkelheit, aber nicht vor dem Wald. Zumindest nicht vor dem heimischen Wald, in dem sie so oft mit Jonah, ihrem Herrn gespielt hatte. Sie konnte nur hoffen, dass dieser Alptraumwald sie irgendwann nicht mehr heimsuchen würde. Unruhig sprang sie vom Bett und verließ den Rekrutenschlafsaal. Es roch nach Regen... sie lief die Treppen hinauf ins Erdgeschoss. Der Regengeruch wurde stärker. Regen würde ihr gut tun. Sie konnte in dieser Stadt keinen langen nächtlichen Spaziergang riskieren, aber sie konnte wenigstens nach draußen gehen und sich nassregnen lassen.
Leider war der Regen kaum der Rede wert, nach kaum einer Viertelstunde war es wieder trocken, der Regen hier taugte einfach nichts... Sie ging wieder hinein und streunte in Richtung Tresen, wo um diese Zeit zwar zwei Rekruten Dienst tun sollten, allerdings nutzte einer von ihnen die Ruhe um sich mit geschlossenen Augen und meditativem Schnarchen auf den nächsten Tag vorzubereiten. Der wache Wächter bemerkte Goldie schnell.
"Na, was machst du denn hier?"
Er kraulte sie hinter den Ohren. Die junge Hündin schielte nach dem auf dem Tresen liegenden Speckbrot.
"Ob das was für dich ist", er riss ein Stück ab und warf es ihr zu, "Verrat es aber niemanden."
Goldie schnappte es elegant und verschlang es genüsslich.
"Die Nächte sind hier meist schön ruhig. Also nicht langweilig, sondern richtig ruhig", Sie wedelte, ruhig war es hier, das fand sie auch.

~ Asche, Neumond ~

Ihre Pfoten kribbelten, schon den ganzen Tag, sie versuchte sich zu erinnern ob das letzten Monat auch so gewesen war. Letzten Monat, das erschien so fern wie ein ganz anderes Leben. Und trotzdem war es erst einen Monat her, dass sie ein guter Hund war und ihren jungen Herrn angebetet hatte, der wenn er Zeit hatte mit ihr spazieren ging und 'Stöckchen holen' gespielt hatte. Ja, letzten Monat am Tag vor Neumond hatten ihre Pfoten gekribbelt, weil sie in einen Ameisenhaufen getreten war, hatte sie gedacht. Aber sie war nicht mit allen vier Pfoten hineingetreten, damals war das unwichtig erschienen, heute unter diesen geänderten Umständen war nichts mehr unwichtig. Dieses Kribbeln müsste die bevorstehende Verwandlung in die menschliche Gestalt ankündigen, es konnte gar nicht anders sein. Vielleicht sollte sie heute Nacht besser nicht im Rekrutenschlafsaal schlafen... nur gut, dass es genügend leerstehende Räume in diesem Haus gab. Sie drückte ohne große Mühe die Klinke des Ausbilderbüros, das der Treppe am nächsten war, herunter. Es hatte einen nicht unbequem wirkenden Teppich, war allerdings auch empfindlich kalt, weil ein Fenster offen war. Also öffnete sie die nächste Tür, der Raum dahinter wirkte leer, so als hätte dort noch nie ein Ausbilder gearbeitet. Dieser Raum war ideal, nicht kalt, aber trotzdem ungenutzt. Sie ging nochmal zurück in den ersten Raum und zerrte versuchsweise an dem Teppich. Er ließ sich bewegen und war noch nicht einmal so schwer wie gedacht.

~~~

Am nächsten Morgen erwachte sie tatsächlich in menschlicher Gestalt. Leider hatten ihre Vorbereitungen keine Kleidung beinhaltet, sie hatte die Kleidung einfach vergessen. Schon ein flüchtiger Blick auf das sie umgebende Büro verriet, dass es kleidungstechnisch nichts hergab. Die Rüstkammer war im Keller, dort lagen auch die Uniformen... aber dazu musste sie erstmal ungesehen in den Keller kommen. Sie bückte sich grade hinter den Schreibtisch um den Teppich aufzuheben als die Tür aufging.
Das Igor-Frauchen stand in der Tür.
"Wer sind Fie und warum sind Fie nackt in diesem Büro?"
Goldie rannte los. Sie wusste nicht genau warum sie weglief, aber die Flucht erschien ihr als einzig sinnvolle Aktion. Ihre Flucht durch das morgendliche Wachhaus glich einem Hindernislauf. Eine nackte hübsche junge Frau, die durch die Gänge huscht zog einfach in jedem Umfeld die Blicke auf sich. Sie rannte an der offenen Tür des Aufenthaltsraumes vorbei. Einem Rekruten der grade zufällig zur Tür sah fiel der Kaffee aus der Hand. Die Tasse zerbrach klirrend und das Geräusch führte dazu, dass Goldie noch schneller wurde. Auf dem Weg nach draußen traf sie jemanden der einen Stapel Akten trug, sie stieß mit ihm zusammen und für einen kurzen Augenblick schien es als wollten die Akten der Schwerkraft trotzen, bevor sie mit einem organisch wirkendem Geräusch einen unordentlichen Haufen im Flur bildeten. Goldie rannte weiter in Richtung Tresen und wäre fast ins Freie entkommen, wenn nicht in diesem Moment eine nörgelnde ältere Frau durch die Eingangstür gekommen wäre. Ihr erschrockenes Kreischen führte letztendlich dazu dass Goldie in den Flur zurückschlitterte, in die Umkleide floh und sich letztendlich unter einer Bank in der Umkleide versteckte.
Rogi war ihr langsamer und kopfschüttelnd gefolgt. Sie fand sie zitternd unter der Bank.
"Wer bist du?"
"Goldie."
"Goldie? Fo fo. Lass dir Feit, aber ich will mehr wissen."
"Ich will nicht weg. Will hierbleiben. Kein Monster. Angst!"
"Hier tut dir keiner waf", Rogi ging zu einem der Schränke und nahm eine zusammengefaltene Hose und ein Hemd heraus und legte sie auf die Bank.
"Fieh dir erst mal waf an, ich warte draußen.

~~~

Die Kleidung war zu groß und roch komisch, irgendwie grau. Aber sie erfüllte ihren Zweck. Goldie beruhigte sich etwas und trat dann aus dem Umkleideraum.
"Ich kann alles erklären."
"Davon bin ich überfeugt. Komm mal mit in mein Büro, muf ja nicht gleich daf ganze Hauf alles mitbekommen."
Schweigend stiegen die beiden Frauen die Treppe zum Obergeschoss hoch und betraten dort das Ausbildungsleiterbüro. Rogi schloss die Tür hinter dem blonden Mädchen und bot ihr einen Stuhl an.
Goldie hatte noch nie auf einem Stuhl gesessen, nur einmal auf einem Sessel und da war sie ein 'böser Hund' gewesen... sie setzte sich umständlich und hatte sofort ein schlechtes Gewissen.
Sie bemerkte Rogis Fordernden Blick und begann stockend zu erzählen wer und was sie war. Goldie berichtete wie sie in die Stadt gekommen war und dass sie auf der Straße keinen Platz hatte, weil die Hunde ihre Anwesenheit nicht duldeten. Wie glücklich sie gewesen war den beiden freundlichen Wächtern zu begegnen. Und schließlich kam sie zu dem Punkt an dem sie die Erkenntnis gewonnen hatte, dass sie bleiben wollte.
"Ist es möglich Teil des Rudels... ähm der Wache zu werden wenn man die meiste Zeit ein Hund ist?"
"Ich sehe nichtf was dagegen fpräche. Es ist ungewöhnlich und wird für dich nicht einfach, vor allem was die Kommunikation mit anderen Wächtern und die Schreibarbeit angeht."
"Schreiben? Ich kann nicht schreiben."
"Da bist du nicht die erste...", wenn das ein Ausschlusskriterium wäre wären viele gute Wächter nie zu Wächtern geworden, fügte die Ausbildungsleiterin in Gedanken hinzu.
"Musst du das mit den Rudelchefs erst besprechen?"
"Nein, wen ich als Rekruten aufnehme ist meine Entscheidung. Schließlich hast du schon einen Teil der Ausbildung absolviert. Machen wirf offiziell."
Goldie rang mit großer Mühe den Impuls herunter mit ihrem in dieser Gestalt nicht vorhandenen Schwanz zu wedeln, das hätte sicherlich nur dazu geführt dass sie von dem ungewohnten Stuhl gefallen wäre.
"Funächst brauche ich deinen vollständigen Namen."
"Goldie."
"Hast du einen Nachnamen? Vielleicht der Name der Familie bei der du gelebt hast? Oder ein Rufname, oder ähnliches.
"Mit den Menschen will ich nichts mehr zu tun haben, aber früher wurde ich oft 'Goldie, bei Fuß' gerufen. Könnte das nicht mein Name sein?"
"Wie du willst." Rogi trug als Nachnamen 'Beifuß' ein, kreuzte dann als Rasse 'Sonstige' an und ergänzte im freien Feld 'Werhund'. [4]
"Du hast das Recht auf eine Ausrüstung. Diese wird dir bedarfsgerecht zugeteilt. Gehe sorgsam damit um und vermeide Löcher oder Beulen. Das gilt übrigens auch für den Wächter selbst. Es gibt speziesbedingte Sonderausrüstung, da müssen wir gleich mal schauen was wir da haben", die Igorina kramte einen Moment in ihrer Schreibtischschublade herum bis sie einen Umschlag fand. Sie holte ein Blatt Papier und eine sehr dünne Münze an einem stabilen Faden heraus.
"Daf ist der Königfschilligng, ein symbolischer Fold, den der Rekrut bei der Vereidigung in der Hand hält, allerdings enthält der im Gegensatf zu den heutigen Dollar noch richtiges Filber, vielleicht lassen wir daf lieber. Ich lege ihn einfach hier gut sichtbar vor dir auf den Tif."
"Gut, ich muss ja nicht heute herausfinden ob ich gegen Silber allergisch bin."
"Ähm, ja... sprich mir nach. Ich, (Name des Rekruten), schwöre feierlich bei (Gottheit des Rekruten)"
"Ich, Goldie Beifuß, schwöre feierlich bei... aber ich glaube an keinen Gott."
"Macht nichtf, die Gesetze und Verordnungen der Stadt Ankh-Morpork zu wahren, dem öffentlichen Vertrauen zu dienen
"Die Gesetze und Verordnungen der Stadt Ankh-Morpork zu wahren, dem öffentlichen Vertrauen zu dienen."
Um weiteren Verwirrungen vorzubeugen beschloss Rogi von der uralten Vereidigungsformel soweit abzuweichen, dass sie die Lücken einfach schloss.
"Und die Untertanen Seiner Lordschaft Lord Vetinari ohne Furcht, Begünstigungen und Rücksicht auf die persönliche Sicherheit zu verteidigen."
"Und die Untertanen Seiner Lordschaft Lord Ve... Vetinari ohne Furcht, Begünstigungen und Rücksicht auf die persönliche Sicherheit zu verteidigen."
"Ich schwöre weiterhin, Übeltäter zu verfolgen, die Unschuldigen zu schützen"
"Ich schwöre weiterhin, Übeltäter zu verfolgen, die Unschuldigen zu schützen"
"und, falls notwendig, mein Leben für die obengenannten Pflichten zu geben, so wahr mir die Götter helfen."
"Und, falls notwendig, mein Leben für die obengenannten Pflichten zu geben, so wahr mir die Götter helfen."
"Den Segen der Götter für den Patrizier."
"Den Segen der Götter für den Patrizier."
"Alfo willkommen in der Wache."
[1] Etwa wie ein Nugget zwischen Flusskieseln, sie glänzte deutlich mehr als der durchschnittliche ankh-morporker Straßenköter.

[2] 'Sitz' machen und näher kommen widersprechen sich nicht nicht im mindesten, es sieht nur albern aus.

[3] Gemessen an anderen Straßenhunden wafr diese Aussage nicht zutreffend, Goldie glänzte zwar nicht mehr, war aber noch meilenweit von richtig dreckig entfernt... zu schade, dass die Menschen anderer Meinung waren.

[4] Das altgermanische Partikel 'wer' bedeutet Mann, also ist ein Werwolf ein Mannwolf, der die meiste Zeit menschliche Gestalt hat. Vielleicht wäre in Goldies Fall Hundfrau treffender, weil sie die meiste Zeit in ihrer Hundegestalt verbringt... Aber im Endeffekt ist es die Entscheidung des Spielers, also meine ;)




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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

19.11.2013

Willkommen bei der Wache! ;-) Und: Nach der Single kann ich mir schon etwas eher vorstellen, dass das klappen könnte. Bin weiterhin sehr gespannt - und würde mich auf Hundebesuch bei Ophelia freuen. ^^

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