Verdeckte Ermittlung bei der Beschwörergilde? Reine Routine - es sei denn, man ist ein Dämon.
Dafür vergebene Note: 10
In dem Zimmer war es staubig und stickig. Akten stapelten sich abenteuerlich bis zur Decke und bildeten ein schier unerschöpfliches Gebirge an Informationen. Selbst das Fenster war völlig zugestellt und nur wenige spärliche Lichtstrahlen konnten sich durch das Dickicht kämpfen. Inmitten dieses Dschungels aus alten Fällen, längst nicht mehr existierenden Gilden und dem einen oder anderen Langeweile-Gekrakel fand sich eine kleine Lichtung, erhellt von einer schlichten gläsernen Laterne, auf der (der Lichtung, nicht der Laterne) der derzeitige Abteilungsleiter der DOG saß. Im Hintergrund konnte man das leise Gluckern der Kaffeemaschine hören, ansonsten wurde die Stille nur gelegentlich von einem Rascheln unterbrochen, wenn Lilli nach einer neuen Akte griff. Die Wächterin hatte sich vorgenommen, das Archiv der DOG grundlegend neu zu ordnen, um die über Jahre angesammelten Redundanzen und Querverweise über Dutzende von Akten zu entfernen
[1].
Am gleichen Abend hatte Günther, Lillis Sprechdämon, es sich in den Kopf gesetzt, sich ausnahmsweise von seiner besten Seite zu zeigen und Lilli zu beweisen, was für ein toller Mitarbeiter er war. Am Anfang hatte sie ihn noch sehr in den Prozess eingebunden, aber sich mit zunehmender Zeit sich immer mehr selbst in den Stoff verbissen und seine Dienste nicht mehr in Anspruch genommen. Und da sich auch keiner in ihr Büro zu verirren schien, hatte er gar nichts zu tun. Er fühlte sich mit zunehmenden Maße nutzlos, eine bloße Randnotiz in ihrer Dienstakte.
Aus diesem Grund hatte er im Hauptwachehaus - es war Hackbratentag - eine Portion Hackbraten ergattert und den ganzen Weg zum Boucherie Rouge geschleppt. Als er dort ankam, stellte er jedoch fest, dass Lilli offensichtlich tief in Gedanken versunken war. Sie saß tief über einer Mappe gebeugt und hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, der ihm verriet, dass sie da an einer Sache dran war.
Der Dämon schlängelte sich durch die Aktenstalagmiten und schaute neugierig auf den alten Bericht: "Was liest du da?"
Lilli antwortete nicht, sondern machte nur eine Geste, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. Ein bisschen beleidigt lehnte sich Günther an einen der Aktentürme. Es dauerte einen Augenblick, doch er konnte spüren, wie Bewegung hinein kam. "Oh, verdammt!", rief er aus und schreckte zurück, doch zu spät, der Stapel schwankte und wankte und kam schließlich aus dem Gleichgewicht. Er stürzte und riss seinen Nachbarstapel mit sich. Und dieser seinen. Und jener ebenfalls. Eine unheilvolle Kettenreaktion zog sich durch das gesamte Büro und nur wenige Minuten später war die Sortierarbeit von Wochen zunichte gemacht und bildete einen See aus wild durcheinander gebrachten Akten auf dem Fußboden. Etwas mühsam kämpfte sich Günter wieder an die Oberfläche und wischte sich mit einem Papierfetzen, an er sich während des Tohubawohou reflexartig geklammert hatte, etwas Schweiß von der Stirn. Dann sah er nach Lilli, die wortlos und mit einem Gesichtsausdruck, als würde sie jeden Augenblick explodieren, auf den Ausgang wies.
Traurig sah der Dämon hinter sich auf die Tür, die sich mit einem lauten Rumms hinter ihm geschlossen hatte. Dann starrte er auf das Papier, das er immer noch in seiner Hand hatte. Widerstand begann sich in der kleinen blauen Gestalt zu regen. Er strich das Papier glatt und faltete es dann fein säuberlich zusammen. Er würde es allen zeigen, dass er nicht nur durch seine Aufgabe als Dolmetscher definiert war, er war ein Individuum mit Träumen und Wünschen und verdammt nützlich! Und das würde er beweisen!
Die Puppenstube lag im Halbdunkel da, als Günther den Raum betrat.
"Oberstabsspieß Harry?", rief der Dämon ins Zimmer hinein.
Keine Antwort.
"Mist!", murmelte der Dämon, während seine Augenbrauen in eine verärgerte Stellung wechselten. Seine neue Tätigkeit als Späher fing nicht gerade gut an.
Er zögerte einen Augenblick und begab sich dann in das Büro. Harry würde es sicher nicht bemerken, wenn er sich was von ihm auslieh - und selbst wenn, er hatte schließlich nur die besten Absichten. Und alle würden ihn loben, wenn er die mangelhaften Infos über diese eine bestimmte Gilde auf den neuesten Stand bringen würde und ihn bitten, auch all die anderen Gilden abzugrasen. Alle würden ihn bewundern und keiner ihn für nutzlos halten und Lilli sich bei ihm entschuldigen und nicht mehr böse sein.
Vorwitzig lief er in den großen Raum und direkt auf das Puppenhaus zu. An der Eingangstür stieß er auf das erste Hindernis. Ein dickes Vorhängeschloss hielt die Tür verschlossen und verhinderte den Zutritt, so sehr er auch daran rüttelte. Doch davon würde er sich nicht aufhalten lassen!
Schnurstracks lief er um das Puppenhaus herum und blieb vor der offenen Seite stehen. Er atmete einmal tief ein, kniff die Augen fest zusammen und machte dann den entscheidenden Schritt über die unsichtbare Barriere. Für ihn war das ein gewaltiger Tabubruch, aber er hatte schließlich ein wichtiges Ziel.
[2]Ein Schauer lief dem Kleinen über den Rücken, aber er wiederholte innerlich seinen Plan wie ein religiöses Mantra und machte sich dann zu Harrys Ankleidezimmer auf.
Dort angekommen, begann er in dem Puppenschrank mit Harrys Späherverkleidungen zu wühlen. Irritiert zog er das ungewöhnlichste Gewand heraus und kniff die Augen argwöhnisch zusammen. Ein Fischkostüm. Wieso sollte sich jemand als Fisch ausgeben wollen?! Was für ein vollkommen absurder Gedanke
[3]!
Er hängte den Fisch zurück und stöberte emsig weiter. Schließlich hellte sich seine Miene auf. Da war die perfekte Verkleidung!
Vorsichtig strich er über schwarzes Fell, dass direkt von einem toten Exemplar zu stammen schien und auch so roch. Es hatte einige Macken, wo Haare ausgefallen waren und der halbe Schwanz fehlte, aber er würde dort bequem hinein passen.
Argwöhnisch musterte Günther den Torbogen, der als Eingang zum Gildengelände diente. Niemand war draußen zu sehen, was ihn nicht verwunderte; schließlich hatten die Beschwörer nicht gerade eine große Gilde.
Der Dämon atmete einmal tief ein, um sein aufkommendes Lampenfieber zu dämpfen, rückte seinen Kopf noch einmal zurecht und ließ sich dann auf alle Viere runter und lief durch den Torbogen hindurch auf das Gildengelände. Er begann das Gebäude zu umrunden und suchte nach einem guten Weg, dort einzudringen. Plötzlich senkte sich ein Schatten über ihn herab.
"Was ist denn das für eine potthässliche Missgeburt?", fragte eine straßenblonde Rotznase und ein staubigschmutziger Bengel fügte hinzu: "Es sieht aus, als wäre es von Harro gefressen und wieder ausgespuckt worden!"
Günther rollte nur mit den Augen und wollte davon sprinten, doch der Bengel packte ihm am Nacken seines Kostüms und schwang ihn hin und her. Der Dämon spürte, wie er in dem übergroßen Verkleidung nach unten sackte, und nur seine Nase verhinderte, dass er den Kopf verlor. Trotzdem bewies er genug Geistesgegenwart um nicht aus seiner Rolle zu fallen und sagte: "MiAU!"
"Harro freut sich bestimmt über den kleinen Snack!", feixte die Rotznase und schnappte Bengel seine Beute weg. Eilig lief er ums Haus herum, wo auf der Rückseite ein brutal aussehender Hund mit einer massigen Trollkette
[4] angeleint worden war.
Kaum wurde der gewaltige Hund der Jungen gewahr, warf er sich gegen die Kette und begann gewaltig mit den Zähnen zu fletschen, zu geifern und knurren.
Die Kette ächzte bedrohlich, der Knabe lachte nur und wedelte mit Günther nur knapp außerhalb seiner Reichweite herum. Verzweifelt versuchte Günther, den richtigen Tonfall für sein Protestmiauen zu finden, als er sich plötzlich im hohen Bogen auf den Boden zusegeln sah. Er klatschte unsanft auf und registrierte nur am Rande, wie die beiden Strolche boshaft lachten und sich auf die Socken machten.
Es brauchte es einen Augenblick, ehe Günther die Orientierung wiedergewann und seinen Kopf wieder komplett im Kopf des Kostüms hatte.
Dann sah er sich mit dem gewaltigen Köter konfrontiert, der sein Kopf auf sein Niveau abgesenkt hatte. Es war die Art von Augenblick, in der einem auffiel, dass die Zähne des Gegenüber so lang wie die eigenen Arme waren. Völlig machtlos konnte sich Günther keinen Schritt bewegen, er war wie zu Stein erstarrt.
Harro schnaubte nur einen dicken Schwall feuchtwarme Luft über ihn hinweg, wandte sich dann ab und legte sich gemütlich neben den Pflock, an dem seine Kette befestigt worden war, um auf einen Knochen, der von der Größe her von einem Nilpferd zu stammen schien, herumzunagen.
Günther starrte nur.
Der Hund gähnte, was seine blitzend weißen Zähne nur noch mehr zur Geltung brachte und wurde dann unhöflich: "Verzisch dich, Kleiner, du nervst!"
"Miau?", fragte der völlig verdatterte Dämon.
"Ach, mach mir nichts vor, deine Sorte rieche ich drei Meilen gegen den Wind, meiner Nase machst du nichts vor. Ich fresse schon lange keine Dämonen mehr, zu viele nervige Nebenwirkungen. Man rülpst hinterher noch tagelang Schwefel."
Die Art und Weise, wie er mit einer seiner Pfoten gestikulierte, unterstrich wirkungsvoll seine Worte.
Günther berappelte sich, sprang auf seine Beine und floh aus Harros Revier und um die nächste Ecke.
Dort lehnte er sich gegen die Wand und atmete erst einmal aus. Der Tschob eines Spähers war deutlich nervenaufreibender als er erwartet hätte.
"Wo kommst du denn her?", fragte eine Frauenstimme und einen Augenblick später wurde er schon wieder an seinem Katzenkostümnacken in die Höhe gehoben. Einfach großartig.
"Du armes, geschundenes Dingelchen, die liebe Tante Helga wird dir ein Schüsselchen Milch zur Stärkung geben!" Die Urheberin der Worte war eine üppige ältere Frau, die Günther anhand ihrer Kleidung als Haushälterin identifizierte. Sie trug ihn geradewegs ins Gildengebäude und setzte ihn in der Küche auf dem Boden ab. "Warte einen Moment, du armes, krankes Ding, gleich sollst du deine leckere Milch haben!"
Kaum hatte sich die Haushälterin auf der Suche nach dem Milchkrug von ihm abgewandt, nahm der Dämon die Pfoten in die Hand und stahl sich aus dem Raum.
Der Flur war leer und lag im Halbdunkel da. Günther sah sich schnell um. Er konnte die Türen am Abort identifizieren, ein Zimmer, das offensichtlich dem Publikumsverkehr diente, die Eingangstür und die Treppe ins Obergeschoss. Die Treppe nach unten war mit einer schweren Gittertür versperrt, welche ein feines Metallgitter zwischen den Stäben aufwies, so dass keine noch so kleine Gestalt hindurch schlüpfen konnte.
"Miezi, wo bist du?", rief die Haushälterin, die seine Abwesenheit nun offensichtlich bemerkt hatte.
Schnell fasste er einen Plan und flitzte daher zur Küche zurück, wo er in allerbester Katzenmanier ihr um die Füße strich. Sie schniefte, den Tränen deutlich nahe: "Ach, du armes, armes Dingelchen, noch nie habe ich soo eine bemitleidenswerte Kreatur gesehen!"
Günther war für die Verkleidung dankbar, denn so konnte die Haushälterin nicht sehen, wie er sein Gesicht entnervt verzog. Sie wandte sich ab und einem Küchenschrank zu, in dem sie zu suchen begann: "Irgendwo hatte ich doch noch einen Wurstzipfel..."
Der Dämon fackelte nicht lange. Er griff sich das Milchschüsselchen, das sie ihm hingestellt hatte, trug es kurzerhand zu der verschlossenen Tür und kippte es dann auf dem Boden aus. Die weiße Flüssigkeit verteilte sich, ein Teil lief unter dem Gitter hindurch und tropfte die Kellertreppe hinab. Günther betrachtete das Ergebnis zufrieden, rief einmal laut "Miau!", kletterte die Treppe nach oben hinauf und wartete ab.
Die Haushälterin kam aus der Küche, sah die Sauerei und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: "Ach du meine Güte, was für ein Schlamassel!" Sie kehrte in die Küche zurück und kam wenig später mit Wassereimer und Wischlappen zurück. Umständlich nestelte sie einen Schlüsselbund aus ihrer Kitteltasche hervor, schloss die Gittertür auf und begann die weiße Pfütze aufzuwischen.
Der Dämon schlich sich die Treppe wieder hinunter und drückte sich in einem geeigneten Augenblick an ihr vorbei, um durch die Gittertür in den Keller zu schlüpfen. Wenn sich etwas interessantes hier in diesem Gebäude befand, dann mit Sicherheit dort.
Unten herrschte Kerzenschein und eine düstere Atmosphäre. Der Dämon konnte viele dich beieinanderstehende Türen erkenne, die wohl zu kleinen Lagerräumen gehörten. Ganz hinten am Gang sah er jedoch zwei Türen, die auf größeres hindeuteten. Aus beiden drang Licht unter einem recht hohen Türspalt hervor, aber nur aus einem von ihnen waren Stimmen zu hören. Günther entschied sich für den stillen Raum und quetschte sich, nicht ohne Mühe, durch den Spalt.
Drinnen wurde er von hunderten Blicken durchbohrt.
Irritiert schaute sich Günther um, und zog schließlich den Katzenkopf herunter um alles mit eigenen Augen sehen zu können.
"Wieso?", fragte er schließlich und kratze sich irritiert am Kopf.
Im Raum waren viele, viele Regale angebracht und in jedem einzelnen stand ein Kasten. Und aus jedem einzelnen Kasten lugte mittlerweile ein kleiner Gerätedämon. Einige zuckten bei Günthers Anblick mit den Schultern und zogen sich wieder ins Innere zurück, andere waren deutlich neugieriger.
Ein grüner Dämon, der von einem anderen mit blauer Farbe angepinselt worden war, rümpfte die Nase und erwiderte: "Was ist denn das für eine Frage? Dies hier ist das Dämonenlager."
"Du kommst wohl nicht von hier!", feixte ein anderer Dämon.
"Lager?", fragte Günther und schüttelte den Kopf: "Wieso braucht man denn ein Lager? Seit wann werden wir nicht mehr unmittelbar für unsere Aufgaben beschworen?"
"Oh, du bist wohl einer von
der Sorte!", feixte es von links oben.
"Ein Ausschussexemplar!", grölte ein anderer.
"Mangelhaft!", lautete das Schlussurteil.
"Was?!", empörte sich Günther und stemmte die Arme in die Seite: "Wieso seid ihr so beleidigend?! Und was soll das überhaupt?! Ich bin in keinster Weise mangelhaft!"
"Ach was", meinte der erste Dämon und machte eine abwinkende Handbewegung: "Du kennst ja nicht mal die Grundlagen.
Normale Dämonen unseres Kalibers werden erst einmal nach der Beschwörung für ein Jahrzehnt eingelagert, schließlich muss man dafür sorgen, dass wir nicht zu lange für die Kunden malochen, ehe die Beschwörung abläuft."
"So ein Unsinn, da könnte man doch einfach eine kurzzeitige Beschwörung durchführen."
"Nun, dass könnte man vielleicht, wenn nicht jeder dahergelaufene Student in der Lage wäre, die Beschwörungsdauer eines Dämonen heraus zu finden. Wie man auf der anderen Seite feststellt, wieviel Zeit uns auf dieser Ebene bleibt, ist jedoch ein gut gehütetes Beschwörergeheimnis, schließlich ist das eine essentielle Grundlage des Finanzwesens. Nur ein Dämon der von vorneherein als fehlerhaft klassifiziert wurde, wird sofort in den Dienst gestellt, denn die Kunden holen sich eh bei der ersten Gelegenheit ein neues und besseres Exemplar."
"Das... das sind ungeheuerliche Behauptungen!"
"Sind es das? Lass mich raten, so wie ich dich auf den ersten Blick einschätze, würde ich glatt behaupten, dass dein jetziger Meister nicht mal für dich bezahlen musste... "
"Er wurde verschenkt!", rief ein anderer und eine Welle des gehässigen Lachens brandete ihm entgegen.
Seine Augen fingen an zu brennen und er ballte seine Fäuste, aber er würde sich keine Blöße geben. Als das Gelächter geendet hatte, zog sich der Großteil der Dämonen wieder in ihre Kasten zurück. Günther wandte sich ab und wollte durch den Spalt wieder weg. Das hier war in keinster Weise interessant und für die Arbeit der DOG von Belang!
"Hey, warte mal!", zischelte ihm einer der Dämonen auf der untersten Regalebene zu. Missmutig drehte sich Günther in die Richtung der Stimme, und sah, dass einer der Lagerdämonen ihn herbeiwinkte. Mit einem missmutigen Ausdruck auf dem Gesicht ging er zu dem Dämonen hinüber. Einfach abzuhauen würde ihn nur als rückratlosen Feigling dastehen lassen und das wollte er nicht.
Der andere Dämon öffnete die Tür von seinem Kasten und komplimentierte ihn hinein.
"Lass die nur reden!", sagte er und legte einen Arm um Günthers Schulter: "Die sind nur frustriert weil wir hier nicht herauskommen, und es hier stinklangweilig ist."
"Aha", erwiderte Günther in einem eisigen Tonfall.
Der andere Dämon führte ihn zur Rückwand seines Kastens, und schob dort eine "raumhohe" Leinwand beiseite. Dahinter befand sich die Kellerwand zum Nachbarraum und darin ein Loch, groß genug, um sich als Dämon hindurch zu quetschen.
"Kannst du es spüren?", fragte der andere leise, doch Günther zuckte nur mit den Schultern: "Ich spür nichts, was soll denn..."
Es traf ihn wie ein Fausthieb. Eine Welle der Boshaftigkeit, aus einer fernen Zeit, bevor er auf diese Ebene gerufen worden war.
"Ist das etwa...?!", setzte Günther an und stockte.
Er kannte dieses Gefühl nur zu gut, vage terrorisierte es ihn aus der Zeit, in der er noch nicht
hier gewesen war. Die grausamste Sorte Dämon, die sich am liebsten an den Qualen von seinesgleichen labte. Ein Bösewichtel.
"Ich fürchte ja. Noch ist er nicht hier, aber nahe, viel zu nahe. Ich würde ja versuchen etwas dagegen zu unternehmen, aber ich komme hier nicht raus."
Er deutete nach oben, wo Günther nun ein großes Deckenoktagramm entdeckte.
"Also bin ich auf jemanden angewiesen, der sich frei bewegen kann. Und das bist allein du!"
"Ich...", Günther räusperte sich: "Nun, ich glaube nicht, dass jemand so dumm sein kann IHN zu beschwören, aber ich werde mir das mal genauer ansehen. Wenn da irgendwelche krummen Dinger laufen, dann kann ich ein paar Spezialisten holen. Ich habe Freunde in sehr hoher Position!"
Damit quetschte er sich durch das Loch und landete im anderen Raum hinter einer großen Urne. Auf seine Tarnung bedacht, setzte er sich seinen Katzenkopf wieder auf und begann sich genauer umzusehen, während er der Konversation von zwei Beschwörern lauschte, die sich schon seit einer ganzen Weile unterhielten.
"… natürlich kann ein Dämon von diesem Kaliber normalerweise nicht länger als ein paar Augenblicke auf dieser Ebene existieren, ohne dass ihn unsere Realität zurückweist. Deshalb habe ich ja auch diesen Körper anfertigen lassen!"
"Denkst du echt, dass es so simpel sein wird, seine Existenz zu stabilisieren?"
"Simpel? Schau genauer, dies ist ein wahres Kunstwerk! Bestes achatenes Porzellan, mit Oktironen und anderen Edelsteinen als arkane Transmitter und mit den feinsten goldenen Bannkreisen ziseliert. Dieser Körper wird ihm nicht nur den Aufenthalt hier für lange Zeit ermöglichen, sondern sein volles Potential ausschöpfen. Natürlich wird die Kontrolle für immer ausschließlich bei uns liegen! Ich habe die größte Sorgfalt darauf verwendet, in diesem Körper die drei Isaac'schen Dämonengesetze zu implementieren."
"Aber was, wenn doch was schiefgeht?"
"Unsinn! Ich habe die gesamten finanziellen Reserven der Gilde hier in diese Sache investiert, allein der Kreis hat Unmengen für Diamantstaub verschlungen. Wenn das nicht funktioniert, stehen wir wieder bei null und können jahrzehntelang malochen, um das wieder rein zu holen. Aber es wird klappen, verlass dich drauf. Uns steht eine goldige Zukunft bevor. Endlich werden wir den Respekt bekommen, den wir verdienen! Die Wesen dieser Stadt werden uns fürchten und verehr-"
Ein langgezogener infernalischer Schrei ließ ihn abrupt verstummen.
Ein paar Minuten zuvor hatte sich Günther den Bannkreis genauer angesehen, der mitten im Kellerraum errichtet worden war. Er konnte sehen wie ER Teile seines Wesens bereits in dieser Welt hinaus schickte, wabernde Geistertentakel, die nach einem Anker suchten. Direkt über ihn hing an einem Flaschenzug der Körper, der aussah wie ein Porzellan-Golem, aber ohne den geringsten Funken von Leben.
Günther konnte die Boshaftigkeit spüren, die von der anderen Seite ausging. Wenn die beiden Beschwörer ihren Plan tatsächlich in die Tat umsetzen würden und die Geistertentakel von dem Golem Besitz ergriffen, dann würde das Multiversum, wie er es kannte... nun gut, die Scheibenwelt... oder Ankh-Morpork... wie auch immer, es wäre sicher nicht gut.
Verzweifelt versuchte Günther, den Bannkreis am Boden zu durchtrennen und die Kerzen auszupusten, doch er schaffte es nicht, den Plan in die Tat umzusetzen. Kein Dämon konnte einen kompletten Bannkreis verletzen, nicht einmal von der Außenseite aus.
Er hatte nur eine Möglichkeit, um zu verhindern, dass ER einen Körper bekam, der es ihm ermöglichte, die Stadt - ach was, die gesamte Scheibenwelt! - zu tyrannisieren. Alle Dämonen verstanden quasi schon von Berufs wegen ein bisschen was von Beschwörungen - und mit den richtigen Hilfsmitteln und dem richtigen Timing war es durchaus möglich, in den Beschwörungsprozess einzugreifen...
Kaum war der Schrei erstorben, kaum hatten die Beschwörer begriffen, was eben passiert war, stürmte Haushälterin Helga in dem Raum und stemmte sich erbost die Arme in die Seite.
"Was geht hier vor, was habt ihr schon wie-" entsetzt schnappte sie nach Luft, lief zum Bannkreis und hob das Tier auf. "Was habt ihr nur der armen Miezi angetan?!"
"Ähm, das-"
Der zweite Beschwörer kam gar nicht dazu, es zu erklären, als ihm sein Kollege schon beschwichtigend in die Rippen stieß und Helga nur entschuldigend angrinste. Auf seiner Stiirn standen Schweißperlen; Beschwörer waren zwar hartgesotten was Dämonen anging, aber ihre Haushälterin hatte ihr ganz eigenes Kaliber... Diese zog eine Schnute, bettete die Katze fest in ihren Armen und verließ wieder den Kellerraum.
Die Augen der Katze glühten kurz in einem dämonischen Grün auf, als sie sich ohne Widerstand nach draußen tragen ließ, und ihr Blick ruhte für ein paar Sekunden auf Günther in seinem Versteck. Der Gerätedämon hielt unbewusst die Luft an, doch wusste er in seinem Hinterkopf, dass das der einzige Weg gewesen war.
Erzählen würde er niemanden davon.
Deshalb erfuhr auch niemand von seiner wagemutigen Flucht, die seiner Meinung nach eines eigenen Epos würdig gewesen wäre, mit zeternden Beschwörern, der Hilfe einer freundlichen Matrone, dem überraschenden Eingreifen von El Kitty Diablo
[5] und der Unterstützung durch einen wahren Höllenhund, der von Beschwörern keinen Schwefel rülpsen musste.
Noch Monate später wechselte Günther jedes Mal das Thema, wenn die Rede auf diese teuflische Katze kam, die nachts Gnome und Ratten Ankh-Morporks terrorisierte.
[1] Versuche, dieses Problem mit spezieller magischer Tinte zu lösen, welche bei Berührung der entsprechenden Querverweise automatisch die Original-Akte öffnete - eine neue Erfindung von Ponder Stibbons, die er Hyper-Ink nannte - befanden sich leider noch in den Kinderschuhen
[2] Sobald ein intelligentes Wesen eine gewisse Größe im Vergleich zur Gesamtpopulation unterschritt, entwickelte sich schnell ein Satz von bestimmten Regeln, die einen ein zivilisiertes Leben in einer Welt, die an andere Größen angepasst war, ermöglichten. Puppenhäuser waren zum Beispiel eine wunderbare und geräumige Unterkunft, wenn es nicht so wäre, dass diese grundsätzlich mit einer offenen Seite konstruiert wurden. Klar, konnte man als Gnom auch ein geschlossenes Haus bestellen, doch findige Finanzbeamte hatten schnell die Lage erkannt, so dass der Erwerb einer solchen Immobilie astronomische Summen verschlang. Solange aber eine Seite offen war, galt es als Spielzeug und der Preis blieb erschwinglich.
[6] Nun, eine offene Wand bedeutete natürlich einen gewaltigen Eingriff in die Privatsphäre; aber die kleinen Bewohner Ankh-Morporks hatten sich dieses Problems mit beharrlicher Sturheit entgegen gestellt und taten untereinander stets so, als wäre die Wand doch vorhanden. Natürlich verhielt sich nicht jeder so, insbesondere in Gegenwart von Großen, aber untereinander gehörte die vierte Wand zum guten Umgangston.
[3] zum Hintergrund siehe Harrys Single "Das alte Meer und der Gnom"
[4] Aus einer Zeit, in der der Werbeslogan "Hält jeden Troll, garantiert!" keine Proteststürme von Mineralienrechtsaktivistiten verursacht hatte.
[5] Der ihm auf verschrobene Weise dankbar war, dass er sich nicht dem Willen von mickrigen Menschen unterwerfen und sich so demütigen lassen musste, auch wenn sein neuer Körper seine Fähigkeiten als Bösewichtel beschränkte.
[6] Der Versuch, auch Puppenhäuser entsprechend zu besteuern, wurde schnell von der Puppenhauslobby zerschlagen, die hauptsächlich aus Adeligen mit kleinen und sehr durchsetzungsfähigen Töchtern bestand.
Zählt als Patch-Mission für den AL DOG-Patch.
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