Der Bann der Vier

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von Feldwebel Ophelia Ziegenberger (RUM)
Online seit 09. 09. 2013
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 09. 09. 2012 datiert
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 Außerdem kommen vor: MaganeKanndraAraghast BreguyarValdimier van VarwaldRea DubiataLaiza HarmonieMina von Nachtschatten

Ophelias Hausarrest dauert an und immer mehr ihrer Kollegen werden seitens des verzweifelten Kommandeurs in die Versuche eingebunden, das mentale Leck der ehemaligen Verdeckten Ermittlerin zu beheben. Dieses Sicherheitsrisiko legt allmählich Breguyars Nerven blank. Aber nicht nur die seinen.

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Ich wurde in einer Nacht- und Nebelaktion von Ettark zu seiner eigenen Belustigung dazu überredet, diese Single als Lesung einzusprechen. Seine Argumentation war unschlagbar wie immer: "Das ist so verrückt, dass ich es nie machen würde. Aber Du!" ^^ So spontan die Idee entstanden ist, so spontan wurde sie auch umgesetzt. Ich habe einfach nur die Textdatei geöffnet und ein Audioprogramm angeschmissen und dann enthusiastisch in den Kopfhörer gelesen. Dementsprechend wurden auch einige Verhaspler mit aufgenommen und wenn man genau hinhört, wird man auch ein oder zwei Mal die Geräusche des Chatprogramms im Hintergrund hören, weil ich nicht daran gedacht hatte, dessen Geräusche auszuschalten. Ich bitte das zu entschuldigen - war mein erster Versuch. Aber das Einsprechen hat viel Spaß gemacht und ich hoffe, dass zumindest diejenigen unter Euch, die gerne Hörspiele hören, dieses Experiment als ebenso unterhaltsam empfinden.

Diese "Lesung" lässt sich unter folgendem Link mit Rechtsklick als ZIP (letztlich als MP3 abspielbar) herunterladen und dauert 72 Minuten: http://www.stadtwache.net/missionen/s1496_mp3.zip

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Diese Geschichte nimmt als mein zweiter Beitrag an der Schreib³Aktion teil.



Dafür vergebene Note: 13

Laiza streifte ihre schwitzigen Hände unauffällig am Uniformhemd ab. Ihr war vor lauter Aufregung etwas übel.
Was, wenn alles schief geht? Wir wissen doch immer noch nicht, was der Auslöser ist! Wie soll man da vernünftig arbeiten können?
Ihr Blick sprang über die Anwesenden, von Ophelia zu den drei anderen Kolleginnen im Raum... und zu dem unerwarteten Zuschauer des Experiments.
Eigentlich hätte ich daran denken müssen, dass er da sein würde. Er ist jetzt schließlich immer um diese Zeit bei ihr. Streng genommen sollte ich froh sein. Schließlich ist es jetzt das Wichtigste, dass sie sich entspannt.
Das Paar sah sich wie zur Bestätigung inniglich an und Laiza entgingen weder Rachs beruhigender Druck um Ophelias Hand in der seinen, noch das zaghafte Lächeln ihres 'Opfers'. Ein Lächeln, welches deutlich von Ophelias nur dürftig kaschierter Unsicherheit und ihrer Dankbarkeit für seinen Beistand sprach.
"Na gut. Sind wir dann soweit?"
Es wurde zumindest kein lauter Einspruch erhoben. Maganes Blick verweilte nachdenklich aber scheinbar gelassen auf Ophelia, ehe sie wortlos nickte. Kanndra hob mit resigniertem Grinsen die Schultern und ließ sie wieder fallen. Und Rea klatschte mit ernstem Gesichtsausdruck einmal kräftig in die Hände, solchen Tatendurst ausstrahlend, dass sie sich im Vergleich zaudernd vorkam.
"Ja, lass uns endlich anfangen!"
Die Okkultismusexpertin räusperte sich und schaute nervös auf den Blätterwust in ihren Händen hinab. Sie überflog ihre handschriftlichen Notizen.
"In Ordnung. Also... ich hatte dir das Vorgehen ja schon erklärt. Als erstes das entspannende Pendeln für den Zugang zu deinem Geist. Dann errichten wir einen ganz normalen Schutzkreis um dich. Nichts Ungewöhnliches, sondern den üblichen Standard, der auf niedrigem Energieniveau funktioniert, damit es da schon mal nicht zu irgendwelchen Fehlern kommen kann. Danach brauche ich einen persönlichen Gegenstand von dir, um den Bann an diesem zu verankern. Hast du dir dafür schon etwas ausgesucht? Du weißt ja, es muss ein Gegenstand sein, der dir etwas bedeutet, der aber trotzdem noch zu verschmerzen wäre."
Ophelia nickte zaghaft, errötete bei einem fast flüchtigen Blickkontakt zu ihrem Begleiter, löste ihre Hand aus der seinen und deutete auf den kleinen Beistelltisch.
"Wenn das ginge, dann würde ich dafür gerne eine der Rosen nehmen, die Rach mir heute mitgebracht hat. Eignen sich Blumen dafür?"
Der edel gekleidete Mann schien ein winziges Stück zu wachsen und ein zufriedenes Grinsen leuchtete auf seinem Gesicht auf. Er griff sofort zu der prall gefüllten Vase hinüber und überreichte Ophelia in galanter Geste eine der langstieligen Schönheiten.
Hach, ja... junge Liebe!
"Mhhh... ich bin mir nicht sicher aber ich glaube, das können wir machen. Es stand in meinen Büchern jedenfalls nichts, was gegen Rosen gesprochen hätte. Nun gut... also... naja, du weißt ja, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob es überhaupt der richtige Ansatz ist aber..."
Rach Flanellfuß sah sie dermaßen eindringlich an, dass sie sich schnell unterbrach. Er gab ihr eindeutig zu verstehen, dass jetzt nicht der richtige Moment dafür war, ihre Unsicherheit zu demonstrieren.
Er hat Recht. Es ist für Ophelia ohnehin schon schwer genug. Entweder ich mache es jetzt. Oder ich lasse es.
Sie erinnerte sich spontan daran, welche Bannsprüche in ihren Studien sich als mögliche Alternativen zu diesem eher harmlosen Vertreter des Okkulten präsentiert hatten. Wenigstens kam bei diesem hier noch kein Blut ins Spiel.
Sie gab sich einen Ruck und begann die Anweisungen und letzten Hinweise herunterzubeten.
"Es handelt sich um einen Bannspruch, der langsam stärker werden soll und der deswegen natürlich auch einiges an Zeit brauchen wird. Der Bindungsgegenstand wird den Bann aufnehmen und dadurch auch zum Zentrum werden. Theoretisch könntest du den Bannkreis also mit dir herumtragen, wenn du die Rose aufhebst, ich würde das aber lieber unversucht lassen. Bleib einfach liegen, bis wir morgen die Stärke des Banns prüfen - so sich da überhaupt irgendwas tut! Heute Nacht werde ich im Wachhaus bleiben und nach dir sehen. Im besten Fall sollten deine Gedanken und Gefühle, wenn das klappt, von einer unsichtbaren Barriere zurückgehalten werden. Sie wären quasi durch die Fesseln des Banns gefangen. Hexen nehmen ja normalerweise nicht unbedingt irgendwas gefangen. Deswegen auch die eher ungewöhnliche Kombination von Hexenmagie mit... dämonischen Kräften." Sie blickte fast entschuldigend zu den drei Hexen ihres Bannkreises. "Herausforderung und so. Wenn es dem Kommandeur nicht so wichtig wäre... versuchen wir eben unser Möglichstes, nicht wahr? Innerhalb der Barriere wären deine Gedanken immer noch am Herumfliegen. Aber immerhin könnte man damit verhindern, dass jedem zufälligen Passanten Persönliches oder Wacheinterna frei zugänglich sind. In Ordnung?"
Die ehemalige Stellvertretende nickte wieder zögerlich.
Sie hatten ihr Bett bereits vorsorglich in die Mitte des Raumes gerückt und so trat Ophelia nach einem letzten Zögern entschlossen vor, legte die Rose am Ende des Bettes auf der Tagesdecke ab, setzte sich ans Kopfende, zog ihre Beine über die Bettkante empor und lehnte sich in den Kissenberg zurück.
Rach Flanellfuß stand noch immer an ihrer Seite und hielt ihre Hand, während Laiza ihre Kolleginnen dabei beobachtete, wie diese sich wortlos um das Bett herum aufstellten. Rea zur Linken, Magane zur Rechten und Kanndra am Kopfende, außerhalb von Ophelias Sicht. Sie selber stellte sich an das Fußende, legte nach einem letzten hektischen Blick auf ihre Notizen diese beiseite und hob ihr Pendel mit dem klaren Stein in die Höhe. Sie dachte kurz an die speziellen Gaben ihrer Kolleginnen.
Eigentlich benötige ich ihren Beistand in dieser Phase noch nicht. Aber danach...
Schnell verdrängte sie, mit welchen Mächten sie zu spielen im Begriff stand - und dass die blasse Kollegin vor ihr dabei gefährlich verführerisch auf dem dämonischen Präsentierteller liegen würde.
"Ophelia, ich werde jetzt dieses Pendel schwingen lassen. Von einer Seite, zur anderen und wieder zurück. Siehst Du? Bitte sieh nicht das Pendel dabei an, sondern blicke durch die Schwingungen hindurch zu mir. Sieh mich an! Gut so! Ignoriere die Bewegung, durch die du hindurch schaust. Sie macht dich nur müde. Sieh mich an und konzentriere dich auf mich! Ich möchte dich um etwas bitten. Du brauchst nicht zu antworten, nicht zu reagieren. Tue nur, was ich dir sage: Entspanne dich!"
Sie sah sehr wohl, dass Ophelias Begleiter sich nicht einfach nur unwohl fühlte bei dieser ganzen Sache. Er war viel zu verkrampft. Er hatte den Blick abgewandt und sich fast mit dem Rücken zu dem Pendel aufgestellt. Er hatte nur Augen für die Verdeckte Ermittlerin. Sein Daumen strich immer wieder beruhigend über Ophelias Handrücken, doch sie konnte sogar vom Fußende des Bettes aus sehen, dass er damit lediglich seine Anspannung unbewusst auf Ophelia zu übertragen begann.
Nicht gut. Gar nicht gut. Ich muss die beiden ohnehin trennen, um den Bann zu aktivieren. Dazu muss sie sich allein im Wirkbereich befinden. Aber unter diesen Umständen beschleunige ich das lieber.
"Du bist hier sicher..."
Der Satz fühlte sich wie blanker Hohn an und kam ihr nicht leicht über die Lippen. Aber sie musste es schaffen, die Kollegin davon zu überzeugen, sich zu entspannen. Sollte diese innerlich gegen die dunklen Mächte ankämpfen, konnte es zu üblen Abstoßungsreaktionen kommen.
"Wir sind bei dir und beschützen dich. Du musst dich um nichts kümmern. Sei einfach nur du selbst und atme tief durch..."
Ophelia sah sie unsicher durch das Hin und Her des Pendels an, tat aber wie ihr geheißen. Die ersten verkrampften Muskeln lösten sich in ihr, als sie bewusst ein- und ausatmete.
"Genau so ist es richtig. Du machst alles richtig. Atme ein und atme aus! Vergiss deine Sorgen, sie sind alle außerhalb dieses Raumes und im Moment völlig unbedeutend. Jetzt sind wir bei dir und helfen dir. Nimm unsere Hilfe an! Entspanne dich! Lass los!" Tatsächlich verstand Ophelia instinktiv, dass sie die nächsten Schritte allein durchwandeln musste. Ihre Hand löste sich aus Rachs Haltung. Sie bemerkte nicht, dass der Mann neben ihr dies mit einem Stirnrunzeln quittierte.
Laiza hingegen registrierte umso stärker, wie sein Blick von nun an zwischen Ophelia und ihr wechselte und ihr dabei in seiner Intensität beinahe kleine Stromstöße verabreichte. Die Botschaft war klar - wenn auch überflüssig. Immerhin hatte sie nicht vor, ihrer Kollegin etwas anzutun.
"Hier und jetzt kannst du nichts falsch machen, Ophelia. Du bist bei uns und wir haben Verständnis für dich. Wir wollen dir helfen und du möchtest dir helfen lassen. Alles wird gut werden..."
So etwas wie ein resignierter kleiner Seufzer löste sich von Ophelia. Doch deren Körper entspannte sich Schritt für Schritt weiter. Es war förmlich zu beobachten, wie er sachte in die Bettdecke und die stützenden Kissen sank, als wenn er schwerer würde und zur Ruhe käme. Ophelias Blick trübte sich ein und ihre Augenlider fielen ihr langsam, ganz langsam, zu.
Sie ist unglaublich empfänglich für diese Art der Beeinflussung. Ich weiß zwar nicht, ob das so gut ist aber... vielleicht erleichtert es die Sache ja etwas?
Sie hätten auch Pech haben können. Es gab Menschen, die für keinerlei Art des Pendelns zugänglich waren.
Ophelia hingegen... sie atmete bereits tief und gleichmäßig und das, obwohl Laiza längst nicht so schnell damit gerechnet hatte, über diese erste Etappe des Versuches hinweg zu kommen.
Sie hob in einer getragenen, sehr fließenden Bewegung mit der freien Hand die Rose vom Bett und hielt diese zwischen sich und das Pendel, so dass Ophelias ruhige Aufmerksamkeit aus den halb geschlossenen Augen den Anblick ihres Gesichtes gegen den der Rose austauschen würde.
"Wir sind bei dir und wir werden dir helfen. Ebenso wie der Mensch, den du sehr gern hast und der dir dies hier als Schutz mitgebracht hat."
Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Rach seine Haltung straffte.
Es war an der Zeit.
Mit vergleichsweise leiser Stimme wandte sie sich an ihre Mitverschwörer:
"Tretet alle einige Schritte von ihrem Bett zurück!"
Wie erhofft, reagierte Ophelia nicht mehr auf das, was direkt um sie her geschah. Ihr abwesender Blick blieb träumerisch an der Rose haften, ihr Atem ging weiter in diesem ungewöhnlich langsamen Rhythmus.
Die drei Kolleginnen waren ihrer Anweisung unverzüglich gefolgt.
Nicht so der junge Mann!
"Das gilt auch für dich, Herr Flanellfuß. Ich will ihr nichts Böses. Wenn du das Ritual mit deiner Sturheit unterbrichst, dann kann ich wohl kaum für ihre Sicherheit garantieren. Das weißt du, oder? Tritt zurück, damit der Bann aktiviert werden kann! Entweder du akzeptierst unseren Weg, ihr helfen zu wollen. Oder du verlässt augenblicklich den Raum, denn das hier wird so schon schwer genug werden, da kann ich keine unberechenbare Gefahrenquelle dulden!"
Rach blickte fast verzweifelt auf die Wächterin an seiner Seite. Er fuhr sich frustriert mit einer Hand durchs Haar.
"Du kannst so oder so nicht für ihre Sicherheit garantieren. Das ist es ja, was mich fast wahnsinnig macht!"
Laiza wurde ärgerlich. Reichte es nicht schon, dass Bregs entgegen ihrer eigenen Überzeugungen hierauf bestand? Dass sie das Gefühl hatte, an ihren Ängsten zu ersticken? Da brauchte nicht erst noch solch ein Gernegroß daherkommen und ihr Unfähigkeit unterstellen!
"Herr Flanellfuß, du...", weiter kam sie nicht.
Seine Schultern strafften sich entschlossen und er verneigte sich in einen angedeuteten Diener. Er blickte sie mit charmantem Lächeln an, ganz so, als wenn der unsichere Moment zuvor nicht existiert hätte.
"Madame, es tut mir leid, wenn ich fälschlicherweise den Eindruck vermittelt haben sollte, an deinen Fähigkeiten zu zweifeln. Oder an jenen der anderen Damen im Raum." Er fasste sich entschuldigend ans Herz. "Das war keinesfalls meine Absicht! Es wird daran liegen, dass all das…", in die umfassende Geste seiner Rechten schloss er das zentral stehende Bett ebenso ein, wie sie selbst, "...für mich unbekanntes Terrain ist." Er atmete tief ein. "Ich gehe davon aus, dass Ophelia bei dir in den besten Händen ist. Wenn ich mich daher empfehlen darf?"
Laiza nickte überrascht.
Rach Flanellfuss warf einen letzten Blick auf Ophelia - und eilte dann aus dem Raum.
Die Tür schloss sich lautlos hinter ihm und sie warfen einander Blicke zu.
Magane kommentierte seinen Abgang mit zufriedenem Unterton in der Stimme.
"Es ist besser so. Bei diesen Dingen haben Männer nichts zu suchen."
Eine Feststellung, der die übrigen Hexen nur mit einem wissenden Nicken zustimmen konnten.
Laiza vergaß ihn fast augenblicklich.
"Kanndra? Wärst du bitte so gut?"
Die Hexe mit dem dämonischen Hintergrund in ihrer Familiengeschichte griff mit einem knappen Nicken nach dem bereitstehenden Krug mit Salz. Sie begann damit in leicht gebückter Haltung einen Ring um Ophelias Bett herum abzuschreiten. Den Krug dabei dicht über dem Boden entlang führend, streute sie die Kristalle als deutlich sichtbare Linie aus. Es entstand ein Reif aus Salz, der zwei Welten voneinander trennen sollte: die freie Fläche in seinem Inneren, in deren Zentrum sich nur noch das Bett mit der Verdeckten Ermittlerin befand, sowie alles außerhalb des Kreises, das Wachhaus, Ophelias Kollegen... und die Liebe ihres Lebens.
Die beiden Salzlinien trafen aufeinander.
So etwas wie ein Pulsschlag presste eine Sekunde lang die Luft im Raum zusammen, ehe alles wieder wie zuvor wirkte.
Rea Dubiata atmete erleichtert auf und in Kanndras Augen schien es mutwillig zu glitzern, als diese sich wieder aufrichtete und den Krug beiseite stellte. Die vier Frauen um den Kreis herum wechselten bedeutungsvolle Blicke.
Ganz ohne Schutz würde ich das nicht machen, ich bin nicht lebensmüde. Aber es war schon irgendwie richtig, dass wir uns auf den Salzkreis als kleinste Gemeinsamkeit geeinigt haben. Gleichgültig ob von der Hexenmagie aus betrachtet oder von der Macht der pandämonischen Sphäre... die beschworenen Energien reagieren wenigstens darauf sehr ähnlich. Klar, als Schutzkreis gegen stärkere Kräfte würde er nicht viel ausrichten können. Aber so ungewöhnlich der Versuch auch ist, allzu gefährlich dürfte es eigentlich nicht werden. Wir sind vorsichtig und lassen es langsam angehen. Und obendrein zapfe ich die dämonische Ebene nur leicht an und beschwöre keinen mächtigen Fürsten...
Jetzt kam der schwierige Teil.
In Ordnung... Kräfte anrufen und bündeln. Auf den Gegenstand konzentrieren und an ihn binden... na dann!
Laiza konzentrierte sich auf das Unsichtbare, das Lauernde in den Zimmerecken, das Brodelnde unter den Brettern zu ihren Füßen. Sie neigte in einer zustimmenden Geste ihren Kopf und öffnete ihre abweisende Haltung wie zu einer Einladung an das Dunkle. Sie schloss die Augen.
Der stete Strom oktariner Energie, den sie um sich herumstrudeln fühlen konnte, machte einen bockigen Sprung, als er sich angesprochen fühlte.
Die Okkultismusexpertin konnte links von sich Rea Dubiata kurz nach Luft schnappen und rechts von sich Magane leise summen hören. Vom Kopfende erklang beunruhigenderweise ein leises Kichern - was sie vorsichtshalber ignorierte.
"Komm zu mir! Ich lade dich dazu ein, einen Teil des Weges mit mir zu reisen. Nutze mich für diesen Moment als Brücke, so du bereit bist, den Preis dafür zu zahlen. Fühle dich frei von den Ketten der Erde, schwerelos in Körperlichkeit, wenn du mir von deiner Kraft gibst und mir in meiner Aufgabe beistehst. Lass uns gemeinsam ein Geflecht nach meinem Willen schaffen, es hegen bis in den frühen Morgen und es dann wieder zerreißen, wenn es war und ist und gewesen sein wird... Lass uns einen Bann wirken!"
Das Rauschen und Raunen begann in ihren Ohren, ganz so, wie das 'Kompendium des Erstkontakts' es beschrieben hatte. Ein Gefühl, als wenn sie fallen würde, zog an ihrem Magen und ließ ihr Herz rasen. Sie spürte das magische Knistern über ihre bloßen Arme krauchen und wusste, dass sie nun einen interessanten Anblick bieten mochte. Sie hatte Mühe, die Energien um sich herum zu stabilisieren. Nach einigen Minuten jedoch fühlte sie sich wie im Mittelpunkt hunderter Beobachter - und dieser Mittelpunkt atmete Gelassenheit.
Sie öffnete die Augen.
Das Pendel hinter der von ihr gehaltenen Rose drehte sich gleich einem langsamen Windmühlenrad unnatürlich im Kreis, ohne dass ihre Hand diese Bewegung initiiert hätte. Und hinter dem Pendel in seiner dämonischen Laufbahn, sah sie Ophelias schlafendes Antlitz, so reglos und bleich, als wenn es sie bereits dahingerafft hätte. Der Atem der Verdeckten Ermittlerin jedoch folgte dem gleichen Rhythmus, den Laiza mit ihren eigenen Luftzügen vorgab. Sie waren im Einklang. Zwei Frauen als Waagschalen, verbunden durch Magie.
Okkulte Magie!, erinnerte Laiza sich mit einem unguten Gefühl und die unsichtbaren Augen schienen ihr boshaft zuzuzwinkern.
Kanndra wechselte unruhig das Standbein und Rea murmelte in mahnendem Tonfall:
"Laiza… wir sollten uns beeilen…"
Magane stand zwar scheinbar gelassen zu ihrer Rechten, bestätigte aber ebenfalls Laizas Befürchtungen.
"Die Energien hier im Raum bauen sich immer noch weiter auf. Was auch immer du gerufen hast… es muss unbedingt an seine Grenzen erinnert werden."
Laiza hob die Rose so weit in die Höhe, dass deren Blüte über ihren Köpfen schwebte.
In dem Beschwörungsbuch war betont worden, dass die meisten Sachen bloßer Schnickschnack waren und es vor allem darauf ankam, während einer Beschwörung konzentriert bei der Sache zu sein. Man musste den Kräften zeigen, wer das Sagen hatte.
Ich habe das Sagen! Ich muss nur selbstsicher genug auftreten. Falls ich das hinbekomme... nein, nicht 'falls'... Ich schaffe das!
Kanndras Blick brannte sich regelrecht in ihre Stirn, als wenn die halbdämonische Hexe den Wahrheitsgehalt ihres Mantras überprüfen wollte.
Das ist nicht gerade hilfreich, werte Kollegin...
Sie konnte nicht verhindern, dass die hochgehaltene Blume deutlich sichtbar zu zittern begann.
Ich schaffe das, verdammt!
Sie holte tief Luft und begann mit der Beschwörungsformel, wie sie diese anhand der Buchvorgaben zusammengestückelt und auswendig gelernt hatte.
"Lass uns einen Bann weben, nach meinem Willen. Einen Kreis schließen, um zu halten, was gehalten gehört! Lass uns Grenzen stecken, für das Verlangen und Denken und Wollen, für die Wünsche und das Fordern! Lass uns über Nacht einfangen, was diese Frau bewegt! Auf dass ihre Gedanken ihr Zentrum umkreisen und nicht fliehen."
Laiza kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass die Verwendung okkulter Kräfte das ganze Ritual deutlich erschwerte. Um Ophelia größtmöglichen Schutz zu gewähren, hatten sie sich im Voraus darauf geeinigt, keinesfalls deren Namen zu verwenden. Ein Name verlieh Macht. Und wer wollte schon das Risiko eingehen, dass Ophelia ihre demütige Haltung womöglich mit Besessenheit bezahlen musste?
Ich ganz sicher nicht! Dann lieber umständliche Formulierungen.
"Sieh' diesen Gegenstand! Er trägt einen Teil von ihr mit sich, jenen Teil, den sie freiwillig gab, um sich dir zu erkennen zu geben. Ich biete dir diesen Gegenstand als Anker inmitten der oktarinen See. Fülle ihn mit deiner Kraft und hilf uns, an sie zu binden, was ihr gehört! Ich bitte dich nicht allein - mit mir stehen drei Töchter der Kraft an der Seite dieser Frau und wir bitten, obgleich wir auch zwingen könnten. So schenke uns in Anerkennung des Bittens wohlwollend von deiner Kraft, auf dass durch unseren Bannspruch kein Schaden entstehe, sondern rund um sie her nur das Gute erblühe! Lass ihr Wünschen bei ihr verweilen und wieder Wurzeln schlagen, ihre Träume sich um sie schließen, anstatt in die Ferne zu streben... lass uns einen Bann formen, mit vereinten Kräften und gemeinsamem Ziel!"
Sie beugte sich zu Rea Dubiata hinüber, um dieser die Rose zu reichen.
"Nimm diese Blume und flicht sie in den Zauber ein! Deine Kraft soll helfen den Kreis im Kreis zu schließen."
Die erste Hexe in dem Zirkel der magisch begabten Wächterinnen nahm die Rose vorsichtig entgegen. Sie hielt sie mit beiden Händen gefasst vor sich und formulierte klar und deutlich die zuvor zurecht gelegten Worte, die dem Wirken ihrer eigenen Art von Hexenmagie am nächsten kamen.
"Kraft der Elemente, Kraft der Magie! Bei der Macht Groß A´Tuins beschwöre ich euch, steht uns bei in dem Bemühen, das zusammenzufügen, was zusammen gehört! Bindet die Fäden und webt die flatternden Bänder der Gedanken jener Frau in unserer Mitte, webt sie zu dem ursprünglichen Tuch ihres Seins zusammen, des Tuches, als dass sie ihr entkamen! Knüpft den Schleier der verlorenen Gefühle und legt ihn ihr wieder um, schützend und behütend, wärmend und stark! Diese Rose soll euch Anhaltspunkt sein, Anker und Brücke, um den Pfad der Heimreise zu erkennen. Erkennt ihre Gefühle! Erkennt sie selbst!"
Ein magischer Windstoß fuhr an den Innenseiten des Salzkreises entlang und riss einige der Kristalle mit sich in die Höhe, als er zu Reas Füßen in widernatürlichem Winkel die Richtung wechselte, um sich dann, einer Fontäne gleich, über die Rose zu ergießen - deren Blütenblätter zu glühen begannen!
Die feinen Härchen in Laizas Nacken richteten sich auf.
Es funktioniert! Die unterschiedlichen Kräfte vereinen sich!
Rea beugte sich dem Kopfende des Bettes entgegen, um die Rose an Kanndra weiterzureichen. Die FROG-Kollegin wirkte regelrecht begierig darauf, den Banngegenstand in die Finger zu bekommen.
Laiza runzelte die Stirn.
Bilde ich mir diesen altvertrauten Zug um ihre Mundwinkel nur ein? Dieses überheblich Ungeduldige?
Doch da schlossen sich Kanndras Hände bereits wie die Hälften eines hohen Kelches um den Kopf der Blume und verbargen deren Glühen. Die Späherin senkte ihre Stirn und hub zu einem gennuanischen Sprechgesang an.
Plötzlich unterbrach sie sich selbst und hielt inne. Als sie weitersang, war ihre Stimme sehr viel tiefer, rauchiger, getragener.
Bei den Göttern! Sie wird doch nicht? Nicht ausgerechnet jetzt! Ich kann das Ritual doch nicht einfach unterbrechen! Bitte, bitte keinen Rückfall! Nicht jetzt!
Kanndra schloss ihre Linke mit einem Ruck um die Blüte und malte mit der Rechten fast geistesabwesend ein kompliziertes Zeichen in die Luft, das mit einer Art Abwinken endete.
Der magische Wind im Schutzkreis begann in einer steten Bewegung um das Bett herumzukreisen, während sich aus dem Salzrand Bodennebel zu lösen begann, der einfach mitgezogen und in das schneller werdende Kreisen gemischt wurde. Der Bereich um Ophelias Bett sah inzwischen wie die Oberfläche eines aufgewühlten Meeres aus.
Kanndra legte ihre Hände wieder zusammen und öffnete sie erst dann wie zum Darreichen einer Gabe.
Dem Glühen der Blüte hatte sich eisig glitzernder Rauhreif hinzugesellt.
Die FROG-Späherin grinste vergnügt in die Runde. Gerade, als sie sich Magane zuwandte, um die Rose weiterzureichen, verlosch ihr Frohsinn, als wenn man einen Schalter betätigt hätte. Sie stockte in der Bewegung. Ihre Stimme änderte sich wieder, diesmal verfiel sie in einen fast gelangweilten Tenor.

"Schweiß und Furcht und Tränen,
werden nicht bezähmen,
was hinter Schloss und Stein,
dort lauert für Gebein.

Ach, wär' sie doch gegangen,
bevor sie sich verfangen,
in Hoffen und in Sein!

Des Dämons volle Wut,
besänftigt nur durch Blut,
lädt nicht zum Verweilen,
er wird sie bald ereilen.

Ach, welch Tragik, groß und schaurig,
lauernd Leid harrt ihrer traurig,
Herzen zu zerteilen!

Das Ringen der Fünf, der Bann der Vier,
das Schwinden der Einen, längst ist es hier!
Der Fluchtweg ist verriegelt,
ihr Schicksal fast besiegelt.

Ach, wie könnt' es Rettung geben,
wenn der Einsatz ist ein Leben
und der Gewinn gespiegelt?"

Laiza konnte deutlich sehen, dass sie nicht die Einzige war, die die Luft anhielt.
Magane löste sich als erste aus der Starre und beendete die begonnene Bewegung, indem sie ihren Arm noch etwas weiter der geistesabwesenden Kollegin entgegen streckte und dieser vorsichtig die Rose abnahm.
Rea blickte Laiza skeptisch an.
"Abbrechen? Oder weitermachen?"
Kanndra blinzelte und drehte sich bei dem letzten Wort der Fragestellung sichtlich verwirrt zu der SEALS-Cheffin um.
"Warum sollten wir nicht weitermachen? Es läuft doch gut." Sie sah in die zögernden Gesichter, die ihr entgegenblickten. "Oder nicht?"
Was mach' ich denn jetzt bloß? Und was soll das Gereimte heißen? Hat es irgendwas am Gefüge des Bannspruchs verändert? Aber es sieht nicht so aus. Es fühlt sich alles ok an, Ophelia liegt noch immer ruhig im Zentrum. Ich... ich denke, wir müssen es riskieren.
Sie nickte den anderen drei Frauen zu.
"Der Spruch fühlt sich immer noch stark und stabil an. Es wäre viel gefährlicher, ihn unverrichteter Dinge unterbrechen zu wollen. Dann würden die bisher gesammelten Kräfte nach einem anderen Ventil suchen. Nein, wir machen weiter! Es sei denn, ihr habt konkrete Einwände?"
Fast wünschte sie sich, dass eine der Anderen die Verantwortung für einen Abbruch des Versuchs übernehmen würde.
Doch Rea schüttelte nach kurzem Stirnrunzeln nur den Kopf, Magane lächelte wissend und Kanndra zuckte fast entnervt mit den Schultern, wobei sie erwiderte:
"Ich bin immer noch der Meinung, dass das ganze Unternehmen eine Schnapsidee ist. Genauso wie zu Anfang schon. Daran hat sich in den letzten fünf Minuten nichts geändert. Aber davon mal abgesehen... es läuft bisher überraschend ruhig ab."
Sie blickte in das wogende Nebelmeer, welches noch immer um Ophelias Bett strudelte.
Die Okkultismusexpertin widersprach ihr bis zu einem gewissen Grad innerlich, seufzte dann jedoch leise und nickte der Kollegin zu ihrer Rechten zu.
Magane schloss die Augen, streckte ihre Hände mit der dazwischen aufrecht gehaltenen Rose vor und… zuckte schmerzerfüllt zusammen.
"Au! Verflucht! Beim schimmligen Nachtschatten, dreimal verhextes Dornengestrüpp, ich..."
Die Rose ging mit einer Stichflamme in Rauch auf, deren Asche rieselte zwischen Maganes Fingern zu Boden und kaum berührte die erste Ascheflocke ihn, entzündete sich der Salzkreis mit einem leisen Fauchen, lief die Flamme weiter und bildete plötzlich einen brennenden Ring zu ihren Füßen.
Laiza hörte in ihrem Kopf ein diabolisches Lachen, das zu einem leisen Kichern wurde.
Das könnte noch zu einem echten Problem werden. Aber nicht jetzt! Nicht jetzt schon darüber nachdenken! Jetzt müssen wir den Bann halten. Wie wir ihn lösen, darüber können wir uns morgen früh noch genug Gedanken machen.
Magane hatte erschrocken innegehalten, ihre Hände noch immer offen von sich gestreckt.
Rea blickte zwischen dieser und dem Feuerkreis hin und her.
"Lass mich raten: Jetzt ist Blut im Spiel?"
Magane nickte zögerlich.
Kanndra schlug sich mit einer Hand vor die Stirn und stöhnte. "Ach du Scheiße!"
Ich muss die Kontrolle behalten, ich muss! Egal was passiert, solange ich das Ritual anleite und bestimmt genug auftrete, müssen die Kräfte den Einschränkungen Folge leisten. Also auf keinen Fall das Ruder aus der Hand geben. Was ist zu tun?
"Rea! Du hast ein Auge dafür, oder? Gibt es eine Lücke in den Bannformeln? Müssen wir irgendwo irgendwie einen entstandenen Schaden begrenzen? Oder..."
Das Kichern erstarb hinter ihrer Stirn und die Flammen des Salzkreises begannen kümmerlich zu blaken.
Die Angesprochene blickte sich aufmerksam im Raum um. Sie schloss die Augen und breitete ihre Arme aus, um den feinen Schwingungen in der Luft nachzuspüren. Ihre Stimme klang ungewohnt leise und hochkonzentriert.
"Der Druck auf den Bann hat zugenommen. Alles ist im Fluss. Irgendwas... es fühlt sich an, als wenn der Zauber... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll... eine Stufe übersprungen hat? Oder eine zurückgefallen wäre? Als wenn er eine Rille weitergerutscht ist oder ein anderes Flussbett geflutet hat? Also, die Richtung stimmt zwar noch aber es könnte sein, dass er einen Umweg nimmt? Vielleicht folgt er nun aber auch einem 'Seitenarm'?" Sie seufzte schwer. "Ich glaube, besser bekomme ich es nicht beschrieben. Ich weiß nur, dass die magische Strömung inzwischen zu stark ist, als dass wir vier eine Art 'Staudamm' bilden könnten, der dagegen ankäme. Aber die Formelbegrenzungen halten noch gut. Ich sehe zumindest keine Risse oder Schlupflöcher."
Die Markierungen am Boden verloschen mit einem dumpfen 'Plop' und hinterließen einen verkohlten Rußring auf den Holzdielen des Büroraumes. Vereinzelte Rauchfäden entstiegen der Aschespur.
Laiza lächelte grimmig.
"Gut! Maggie? Bitte versuche einen Abschluss!"
Die Gerichtsmedizinerin hatte etwas von ihrer heiteren Gelassenheit eingebüsst. Sie nickte ernst, während sie noch den Dornenstich am Daumen ablutschte. Dann sammelte sie sich und richtete ihren Blick auf Ophelia, die von alledem nichts mitbekam.
Zum Glück!
Laiza zuckte innerlich leicht zusammen, als die Kollegin die Worte, mit denen sie den Bannspruch zu beschließen gedachte, überraschenderweise auf Omnianisch formulierte.
Laizas kurze Verunsicherung wurde auf mentaler Ebene mit einem dunkel-frohgemuten Anstieg von Aufmerksamkeit quittiert. Schnell riss sie sich zusammen.
Keine Verunsicherung! Sie macht das schon. Sie weiß, was sie tut. Das hat alles seine Richtigkeit. Hauptsache ich erfülle meine Rolle als vermittelndes Medium und halte die Kräfte beisammen.
Der magische Nebel inmitten des Kreises begann erst sachte, dann immer stärker zu leuchten. Ophelias Schlafstatt schien in einem Meer aus Licht zu schweben. Maganes Stimme wurde bestimmter, fordernder - Nebelfinger schoben sich aus dem Grund heraus in die Höhe und begannen die unsichtbare Barriere abzutasten, sie rankten sich dabei verästelnd und verzweigend aufwärts, bis sie eine regelrecht sichtbare Kuppe über dem umzirkelten Bereich bildeten. Die Spitzen trafen über Ophelias Kopf aufeinander, genau als die Hexe ein besänftigendes letztes Wort sprach. Das Licht schwand, die Kuppel verblasste, der Nebel schien im Boden zu versickern. Es blieb der eingebrannte Kreis in den alten Holzdielen, in dessen Mitte das Bett stand - auf ihm Ophelia, zutiefst entspannt und geistesabwesend.
Ein tiefes Grollen rollte unzufrieden durch Laizas Sinn, wie ein wildes Tier an starken Ketten.
Guuuuut! Es hat wohl funktioniert?
Ihr Pendel riss sich aus der letzten Drehung heraus aus ihrer Hand frei und knallte mit unglaublichem Tempo und ohrenbetäubendem Krachen in die Blumenvase auf dem beiseite geschobenen Tisch.
Leises Sirren erfüllte den Raum, als die Scherben auf und unter dem Tisch kreiselnd zur Ruhe kamen, eine Rose fiel klatschend herunter und in der folgenden Stille tröpfelte das Blumenwasser übernatürlich laut.
Die Hexen waren synchron zusammengezuckt und sahen sich misstrauisch um.
"Tschuldigung..." Laiza räusperte sich. "In Ordnung. Es scheint geklappt zu haben. Oder?"
Magane nickte zögerlich.
Rea betrachtete den Kokelkreis.
"Scheint so..."
Kanndra schüttelte erleichtert ihre zusammengebundenen Zöpfe.
"Meine Güte! Was für eine Aufregung! Und alles nur, weil Araghast wieder mal seinen Willen bekommen will."
Die Okkultismusexpertin gab ihrer Neugier nach.
"Maggie? Was hast du zum Schluss gesagt, um den Kreis zu schließen?"
"Da sich das alles hier mir langsam etwas zu bedrohlich anfühlte... habe ich mich auf die besänftigenden Lehren des Omnianismus berufen."
Reas Augen weiteten sich ungläubig und Laiza hätte sich fast verschluckt. Kanndra stemmte provokativ die Hände in die Hüften und schnaufte laut.
"Besänftigend? Ausgerechnet die Omnianische Kirche? Willst du als nächstes einen Exorzismus testen oder was?"
Magane sah mit einem fast beleidigten Blick in die Runde.
"Ihr müsstet euch mal hören, also wirklich! Heutzutage gibt es auch noch Anderes, als nur die alten Schriften oder die Opferschildkröte. Hat es etwa nicht funktioniert? Nur um euch zu beruhigen: Ich habe um Oms Beistand gebeten, um ihr Selbst zu verwurzeln. Um den Beistand der Ahninnen, um ihr zu helfen, die Liebe, die ihr geschenkt wird auch aufnehmen zu können. Ich habe die Macht des Urgesteins eingefordert, sie zu schützen und zu stärken, damit sie nur das erreicht, was ihr ganz und gar gut tut. Ich habe auf Heilung und Vervollständigung hingewirkt. Etwas dagegen?"
Ihr gemeinsames Augenmerk richtete sich in schweigender Übereinkunft auf das Zentrum der Szenerie.
"Ist das noch die Wirkung des Pendels oder..."
"Hmmm... vielleicht. Aber so oder so schadet es nichts, wenn sie sich ausschläft."
"Das wird Araghast nicht gefallen..." Kanndra deutete mit einem Nicken auf den Boden. "Ich kann seine Stimme direkt schon hören: 'Beschädigung von Wacheeigentum' oder sowas, hundertpro."
Laiza brummte unzufrieden bei dem Gedanken. "Soll er doch!" Sie atmete tief durch und ignorierte dabei möglichst den Brandgeruch. "Gut, dann haben wir das wohl geschafft. Ich bin sehr, sehr froh und erleichtert. Vielen Dank, dass ihr trotz eurer Bedenken mitgemacht und geholfen habt! Ihr könnt gerne gehen, wenn ihr wollt. Ich räume hier noch auf und dann richte ich mich für die Nacht bei ihr ein. Mal sehen, wie das alles morgen aussieht. Danke!"

Laiza hatte gerade die Scherben in den Mülleimer geworfen und die verbliebenen Rosen provisorisch in den Wasserkrug gesammelt, den Ophelia wohl dazu nutzte, frisches Waschwasser zu holen, als die Tür nach einem mehr als flüchtigen Klopfen hektisch aufgerissen wurde.
"Wie geht es ihr jetzt? Was ist passiert? Kann ich irgendwie behilflich sein?"
Die Sache nimmt ihn ganz schön mit...
Sie richtete sich wieder vollends auf und folgte seinem nahezu gebannten Blick mit dem eigenen Augenmerk.
"Es geht ihr gut. Keine Sorge! Sie schläft nur."
"Ist... ist alles wie geplant gelaufen?"
Sie bedachte ihn mit einem scharfen Blick.
Als wenn du das nicht wüsstest. Aber gut...
"Es gab ein oder zwei kritische Stellen in dem Ritual. Aber wir haben die Hürden genommen und den Bann festgeschrieben. Alles Weitere..."
Sie konnte quasi zusehen, wie er mit seinem suchenden Blick jedes noch so kleine Detail im Raum in sich aufnahm, um sich ein möglichst genaues Bild der Dinge machen zu können, die soeben geschehen waren - während sie ihn ausgeschlossen hatten. Besonders die schwarze Gravur des Bannkreises in den Dielen zwang ihn immer wieder zum Hinschauen.
"Bitte, kann ich helfen?"
Meine Güte, er ist zu allem entschlossen. Na gut, wenn es ihm dann besser geht...
"Wenn du unbedingt willst, kannst du es uns beiden am Tisch hier etwas gemütlicher einrichten. Teewasser wäre nicht schlecht. Da müsstest du wohl runtergehen, welches holen."
Sie deutete entschuldigend auf den zweckentfremdeten Krug.
Rach Flanellfuß sah sie erst irritiert, dann verstehend an.
"Wir können nur warten? Aber worauf?"
"Darauf, dass die nächsten Stunden möglichst ereignislos verlaufen."
Er überlegte nur kurz, bevor er die Blumen aus der 'Vase' nahm und sich mit dem Krug ins Untergeschoss auf den Weg machte.
Die Okkultismusexpertin ließ sich auf einen der beiden Stühle fallen und betrachtete Ophelia.
Das war knapp. Das war aber so was von knapp! Ich hoffe, es geht ihr morgen früh gut. So etwas möchte ich auf keinen Fall noch einmal machen müssen. Die Kontrolle der pandämonischen Energien hatte ihr einiges abverlangt und langsam setzte ihr die Erschöpfung zu. Ihre Nacken- und Kiefermuskeln hatten sich verkrampft und im Hinterkopf schlichen sich fiese Kopfschmerzen an. Sie streckte und dehnte sich leicht. Und was mache ich nun mit ihrem Verehrer? Er wird doch wohl hoffentlich nicht ebenfalls die ganze Nacht bleiben wollen? Ich habe keine Lust, ihn ständig beruhigen zu müssen.
Die Tür ging wieder auf und in den folgenden Minuten war sie durch das überraschend aufwändige Ritual des Teezubereitens von einer Konversation mit dem nervösen jungen Mann enthoben. Sie konnte aber aus den Augenwinkeln heraus beobachten, wie er Ophelia nahezu mit den Augen obduzierte und in immer enger werdenden Kreisen um die in den Boden gebrannte Markierung herumschlich. Die Art, wie er dabei systematisch, schnell und effektiv vorging, sagte ihr mehr als tausend Worte.
Auch wenn Ophelia mit ihrer Beziehung im Wachhaus nicht hausieren gegangen ist... unser geschätzter Herr Flanellfuß hier hat es faustdick hinter den Ohren. Allein von altem Geld lebt der jedenfalls nicht. Da steckt noch irgendeine Profession dahinter.
Sie stellte die Kanne mit dem frisch gebrühten Kräutertee auf dem Tisch ab und schenkte ihnen ein.
Sofort setzte er sich mit aufmerksamem Blick zu ihr und wartete auf Antworten.
Sie gab sich geschlagen.
"Was willst du wissen?"
"Glaubst du, dass es funktioniert hat?"
Sie zögerte ihre Antwort hinaus.
"Wenn du eine unumstößliche Zusicherung von mir erwartest, muss ich dich enttäuschen, Herr Flanellfuß. Aber das hast du dir sicherlich schon gedacht, nicht wahr? Darüber hinaus... die Chancen stehen gut." Ihr Blick flog unwillkürlich zu dem Bett und der darauf ruhenden Kollegin. "Ich nehme an, dass das Pendeln bei ihr zu einer tiefen Entspannung geführt hat und der Zauberbann das mit der schützenden Komponente noch verstärkt hat. Dass sie sich dadurch seit Tagen das erste Mal sicher genug fühlt, um so fest zu schlafen. Und dass sie deswegen jetzt erst einmal nicht so leicht wach werden wird. Aber das ist für die Wirkung des Banns nicht wichtig. Deswegen... da die beiden Kollegen, die die Wirkung prüfen, erst morgen herkommen werden... sehe ich nichts Verkehrtes daran, sie sich bis dahin etwas erholen zu lassen. Ist das Antwort genug für dich?"
Er blickte zu Ophelia und antwortete dabei zitierend:
"Nein... aber das hast du dir sicherlich schon gedacht." Er sah mit schiefem Lächeln zu ihr und hob entschuldigend die Hand, um einem möglichen Einwand zuvor zu kommen. "Es ist, wie es ist. Ich werde damit leben müssen."
Sie lehnten sich fast synchron an ihre Stuhllehnen zurück und taxierten einander mit offenem Blick.
Ich würde dem feinen Herrn ja auch gerne mal die eine oder andere Frage stellen...
In seinem Mundwinkel zuckte es amüsiert und er hob betont gelassen seine Tasse an den Mund, um in den Dampf zu pusten.
Soso! Du weißt also alles besser, ja? Na warte!
"Herr Flanellfuß..."
"Ja?"
Sie ließ ihren Blick bedeutungsvoll zu dem ungewöhnlich schönen Bett und von da aus zu den Rosen schweifen, die nun wieder ordentlich in einem neuen Gefäß untergebracht auf dem Tisch zwischen ihnen standen.
"Zwischen Ophelia und dir besteht eine starke Verbindung, nicht wahr?"
Der Mann ihr gegenüber neigte den Kopf leicht zur Bestätigung und ein Schmunzeln kroch in seine Mundwinkel.
"So kann man es auch ausdrücken, durchaus."
Sie strich einer der Rosen interessiert über die samtigen Blütenblätter, scheinbar völlig in deren Anblick versunken.
"Es ist schön, zu wissen, dass es jemanden gibt, der sich um sie sorgt und dem sie so viel bedeutet. Bei all den turbulenten Ereignissen der letzten Zeit rund um Ophelia... man weiß ja schon gar nicht mehr, was man glauben soll. Oder wem man was anvertrauen kann!"
Nun klang sogar seine Stimme belustigt.
"Es ist nie verkehrt, gesunde Vorsicht walten zu lassen."
Laiza nickte und sah ihn lächelnd, mit gespielter Überraschung an.
"Vor allem, wenn der Wohltäter so überraschend auf der Bildfläche erscheint! Nicht, dass man es Ophelia nicht gönnen würde, beileibe nicht! Ich zum Beispiel freue mich sehr für sie. Was könnte märchenhafter sein, als rote Rosen und Zuwendung, Romantik und Zweisamkeit, gerade wenn sie so kostbar wird? Es soll ja Leute geben, die eher spurlos von der Bildfläche verschwinden, sobald es schwieriger wird - anstatt es genau andersherum zu handhaben und dann erst aufzutauchen!"
Rach Flanellfuß drehte den Kopf und schien unerwarteter Weise bei Ophelias Anblick in ernstere Gedankengefilde abzudriften.
"Ja... sie hätte auch Pech haben und in all dem allein dastehen können. Das Risiko zumindest ist sie in vollem Bewusstsein eingegangen, als sie mir..."
Er riss sich sichtlich zusammen und setzte ein bemerkenswert unverbindliches Lächeln auf.
"Wie auch immer. Solch ein Schicksal hat sie nicht verdient."
Die Okkultismusexpertin kämpfte mit ihrer wachsenden Neugier. Gleichzeitig war sie noch nie aufdringlich gewesen.
Na gut. Er liebt sie scheinbar wirklich. Und ich sollte mich nicht solcherart in Sachen einmischen, die mich nichts angehen. Aber an einer Seltsamkeit ändert das trotzdem nichts...
Sie räusperte sich leise.
"Ich kenne Breguyar jetzt schon seit vielen Jahren. Wenn man bedenkt, wie gefährlich Ophelia für die Wache im Moment ist, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass der Kommandeur sonderlich gerührt wäre durch eine frische Romanze. Ich möchte nicht unhöflich sein aber... trotzdem darfst du hier ein- und ausgehen, wie es dir beliebt. Das wirft unter uns Wächtern die eine oder andere Frage auf."
Er sah sie geradeheraus an.
"Wenn der Kommandeur seinen Untergebenen nichts von unserer Unterredung gesagt hat, werde ich es auch nicht tun."
Er hätte genauso gut eine Armbrust auf sie richten und sie dabei herzlich zum Dinner einladen können. Ein weiteres Eingehen auf die Thematik verbot sich einfach von selbst.
Also stimmt zumindest das: Araghast hat mit ihm irgendeine Vereinbarung getroffen. Interessant...
Das Schweigen zwischen ihnen fühlte sich erst etwas unangenehm an, dann erträglich, dann selbstverständlich und irgendwann fühlte es sich sogar erholsam an. Das Wichtigste war gesagt und die Zeit bis zum Morgengrauen würde auch dann von selbst verstreichen, wenn sie keinerlei Kommunikation pflegten.
Laiza zuckte zusammen, als der junge Mann plötzlich aufstand.
"Leider kann ich nicht länger bleiben. Du bleibst den Rest der Nacht über bei ihr?"
Die Wächterin setzte sich wieder etwas aufrechter und drückte dazu den Rücken durch. Ihr Nicken wirkte vermutlich fast überstürzt.
"Ja, werde ich."
"Vielen Dank! Dann überlasse ich sie zum zweiten Mal vertrauensvoll deiner Obhut. Madame!"
Sie war kaum schnell genug zum Abschied aufzustehen, da war er bereits durch die Tür entschwunden.
Laiza setzte sich langsam wieder.
Der Raum wirkte ohne ihn so viel leerer. Dabei hatten sie ja nicht einmal miteinander geredet gehabt!
Ihr Blick wanderte zu dem Bannkreis, dem Bett und der Schlafenden.
Oh, wie gerne würde ich auch die Augen schließen. Ich bin so müde! Nur einen winzigen Moment lang!
Der Anblick der schlafenden Ophelia hatte definitiv etwas Beruhigendes an sich. Ihr friedlicher Ausdruck, ihr fast schon wieder rot leuchtendes Haar, welches sich gleich einem farbigen Rahmen offen um das bleiche Gesicht mit den kontrastierenden dunklen Wimpern schmiegte, das sanfte Spiel der Schatten, die weichen Konturen...

Leises Rascheln, wie das Spiel der Blätter im Sommerwind. Ein intensiver Duft umspielte ihre Sinne. Sie versuchte, ihn zuzuordnen, kam aber partout nicht darauf, woher sie ihn kennen mochte.
Etwas Schönes. Ein guter Duft. Warm und voll...
Laiza Harmonie blinzelte müde und drehte unwillig den Kopf leicht beiseite, um dem blutroten Glühen der aufgehenden Sonne zu entgehen.
"Au! Mein Genick... verspannt..."
Sie erkannte eines der Wachebüros wieder; nicht das ihre. Ebenso wenig wie die Tischplatte mit dem heruntergefallenen Blütenblatt direkt vor ihren Augen.
Ophelia! Ich wollte über Nacht bei ihr Wache halten. Ich muss eingeschlafen sein!
Sie hob mit einem Ruck den Kopf. Und erstarrte bei dem Anblick, der sich ihr bot.
Die Kollegin lag noch immer friedlich auf dem ausladenden Bett in der Mitte des Raumes und schlief. Soweit das zu erkennen war, schienen ihre blassen Gesichtszüge sogar etwas Farbe bekommen zu haben, was von der flimmernden Morgenröte, die nahezu liebkosend über ihren Körper floss, noch unterstrichen wurde. Die Sache war nur die, dass man aufstehen und etwas um den beschworenen Bereich herumgehen musste, wenn man sie gänzlich betrachten wollte, da die unzähligen Rosenranken rund um ihr Bett einem ständig in die Sicht gerieten.
Aus den verhexten Ascheresten des Salzkreises war eine Hecke erwachsen, die zwar einerseits in all ihrer blühenden Pracht schön anzusehen war, die aber gleichzeitig etwas Unheimliches ausstrahlte. Das dichte Dornengestrüpp reichte vom Boden aus bis etwa auf Hüfthöhe, darüber schnörkelten und drehten die Ranken sich derart um sich selbst, dass sie teilweise gewundene Säulen bildeten, die von weiteren Ästen bekränzt wurden. Das Ganze hätte wie ein natürlich gewachsener Pavillon wirken können – wenn nicht das stete Schaukeln und Wogen im Blattgrün gewesen wäre, wie wenn ein magischer Wind Böen durch das Geäst triebe. Die Blüten wanderten, wie Sterne auf ihren Bahnen, gemächlich über die Wände und Wölbung der Bannkuppel, als die Ranken sich mit ihnen unauffällig wie Schlangen durch das knarzende Geäst wanden.
Laiza trat wispernd einen Schritt zurück.
"Das kann jetzt nicht ernsthaft sein, oder? Eine Gennuanische Hecke? Wie..."
Blätter und Blüten richteten sich minimal nach ihrer Stimme aus, junge Triebe seilten sich auf der ihr zugewandten Seite in die Aussparungen zwischen den Säulen herab und ließen rote Knospen erblühen, die Ophelias Anblick mehr und mehr verdeckten, wie ein immer dichter werdender Vorhang.
Laiza raufte sich die Haare.
Wir haben doch gar nichts von einem hundertjährigen Schlaf oder Ähnlichem gesagt! Ihre Gedanken überschlugen sich. Aber wenn ich es richtig bedenke... wir haben das gleiche Vokabular benutzt, wie man es für den Heckenfluch bräuchte: erblühen, verwurzeln, Schutz... wer weiß, was Kanndra noch gesagt hat? Die Wächterin erschrak zutiefst, als sie sich an ein Detail vom Vorabend erinnerte. Die Rose als Bannträger... als das Blut den Fluch wand, ist sie zu Asche zerfallen. Viel zu früh! Eigentlich müssten wir sie heute erst verbrennen. Um den Zauber zu lösen. Rose verbrennen - Bann lösen... es wäre so einfach gewesen, wenn Maggie sich nicht gestochen hätte! Was machen wir denn jetzt?
Die Blüten in dem Pavillon wogten in der Lücke des Geästs, wie ein blutiger Vorhang in einem Fenster. Schwerer Rosenduft umhüllte sie und nistete sich drückend in ihren Atemwegen ein.
Die dämonischen Kräfte im Raum räkelten sich zufrieden zwischen den Wänden.
Ganz ruhig! Nicht nervös werden! Am besten die Anderen holen, Minas und Valdimiers Urteil zu der Gedankensache abwarten und dann gemeinsam nach einer Lösung suchen. Vielleicht sehe ich nur schwarz und das wird alles gar kein Problem?

Eine Stunde und mehrere Diskussionen später waren sie einer Lösung des Problems noch keinen Schritt näher gekommen. Das sonst so geräumig wirkende Büro platzte aufgrund der vielen Anwesenden fast aus allen Nähten und nur das Bett in der Mitte des umwucherten Bereiches bildete einen Ruhepol.
Kurzzeitig ging Laiza durch den Sinn, dass es der Kollegin vermutlich mehr als nur unangenehm gewesen wäre, wenn diese gewusst hätte, wie stark ihr Schlafgemach derzeit frequentiert wurde.
Valdimiers Stimme riss sie aus den vergleichsweise belanglosen Gedanken.
"Also meinetwegen könnte das auch so bleiben. Ja, an der Intensität der Übertragung ihrer Gedanken hat sich leider nichts geändert. Und es ist nicht nett, sie schlafen lassen zu wollen. Aber dadurch, dass sie im Moment nur an angenehme Dinge denkt und das auch noch in konstantem Tempo... wie gesagt: Das ist im Vergleich zu sonst wenigstens endlich mal ertragbar."
Mina stimmte ihm verhalten, wenn auch nur sehr ungern zu, was man ihr direkt vom Gesicht ablesen konnte.
"Ich muss gestehen, dass ihre Gefühle im Moment sogar relativ... angenehm sind."
Kanndra kicherte laut vernehmlich.
"Wundert mich nicht. Vermutlich träumt sie von ihrem schicken Verehrer."
Rea, Kanndra und Magane grinsten sich verschwörerisch an.
Laiza schüttelte genervt den Kopf.
"Leute, konzentriert Euch! Der Bann muss gelöst werden, egal ob Ihr dafür oder dagegen seid. Nicht nur, weil das rücksichtsvoller einer Kollegin gegenüber ist, die uns vertraut. Sondern weil wir uns sonst eines Mordes schuldig machen. Das Ding nennt sich deswegen Fluch, weil sie darin verdursten würde! Die Hecke mag ja hundert Jahre halten. Aber ganz sicher nicht Ophelia! Spätestens morgen hätte sie mehr als nur ein kleines Problem. Und nicht mal die erbärmlichste aller Chancen, wach zu werden, um sich selber zu helfen!"
Mina von Nachtschatten meldete sich in nachdenklichem Tonfall zu Wort.
"Den Überlieferungen nach bestünde eine Möglichkeit darin, die Hecke mit einem magischen Schwert zu überwinden, oder?"
Kanndra nickte.
"Mmm, ja. Ich frage mich gerade... hat Araghast noch das seine?"
Laiza runzelte die Stirn.
"Dieses rostige alte Ding mit der permanent schlechten Laune? Keine Ahnung. Wäre auch die Frage, ob er es für einen Versuch zur Verfügung stellen würde."
Valdimier grinste schief und sagte im Brustton der Überzeugung:
"Mehr als es zur Verfügung zu stellen würde er jedenfalls ganz sicher nicht machen. Der setzt selber keinen Fuß über diese Schwelle, solange auch nur die kleinste Möglichkeit bestünde, dass sie wach wird."
Rea nickte enthusiastisch.
"Ratereien bringen uns nicht weiter. Ich gehe ihn fragen."
Sie wandte sich schwungvoll um und verließ den Raum mit wehenden Röcken.
Das leise Rascheln der Hecke kündete davon, dass deren Blüten Rea hinterher 'sahen'.
Es dauerte nur wenige Minuten, ehe Rea mit grimmigem Ausdruck im Gesicht und einem halb aus der Scheide gezogenen, hässlichen alten Schwert in den Händen zurückkehrte. Begleitet wurde sie dabei von einer permanent nörgelnden Stimme.
"...und dann gibt er mich einfach so weiter? Hallo? Ich habe Besseres verdient! Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass er zum alten Eisen zählt! Wenn es nach mir ginge, könnte ich jeden Tag drei Heldentaten vollbringen. Oder mehr! Ich..."
Rea unterbrach den quengelnden Monolog.
"Fein! Dann hast du jetzt die Gelegenheit dazu, deinen großen Worten noch größere Taten folgen zu lassen. Leg dich ins Zeug!"
Valdimier trat vor und streckte die Hand aus. Rea zögerte.
"Ich kann ebenso gut wie du mit dem Schwert umgehen, werter Kollege."
"Das ist nicht die Frage. Die Frage ist eher, ob du genauso schnell wieder aus deiner Asche auferstehen kannst wie ich, falls der Zauber dir in die Quere kommt?"
Die Hexe blickte schnell zur lauernden Hecke und reichte ihm dann widerwillig das Schwert.
"He, Spitzzahn! Du brauchst keine Angst vor diesem Möchtegern-Heckchen haben. Mit mir bist du gut gerüstet. Blankes Metall gegen Blümchenmagie!"
Kanndra trat von einem Bein auf das andere.
"Sei trotzdem vorsichtig. Ich hab schon Leute gesehen, die etwas zu sorglos mit solchen Sachen umgegangen sind. Kein schöner Anblick." Sie deutete auf den raschelnden Rosenpavillon vor ihnen. "Die Dinger sehen nur harmlos aus. Wenn man leichtsinnig genug ist, kann das übel enden."
"Aber ewig nur hier herumstehen bringt doch auch nichts!", fuhr Rea auf.
Ein gänzlich untypisches Geräusch erklang seitens Valdimiers, fast hätte man meinen können, er würde vor Ungeduld knurren.
"Nein, das bringt wirklich nichts. Und ich habe gewiss nicht den ganzen Tag Zeit dafür. Manche von uns müssen sich noch um andere Dinge kümmern, als nur um sie."
Mit einer fließenden Bewegung zog er die Klinge vollends und das leise Sirren des Metalls schwang durch den Raum.
Die Blätter und Blüten des Heckenpavillons richteten sich mit einem Ruck nach dem feindlichen Geräusch aus.
Valdimier schritt entschlossen auf den Bannkreis zu und holte aus.
In der nächsten Sekunde fiel das Schwert klirrend auf die Dielen und der Vampir hielt sich mit einem deutlich vernehmbaren Keuchen den Arm. Dunkles Blut rann an diesem herab und tropfte auf das blank gescheuerte Holz. Zum Glück ließ die Blutung schnell wieder nach, als seine speziestypischen Selbstheilungskräfte eingriffen.
Das Schwert schimpfte und zeterte.
"Wie soll ich denn mein Können beweisen, wenn du mich vorher fallen lässt, Blutsauger! Verräter! Heb mich auf, sofort!"
Valdimier knirschte wütend mit den Zähnen.
"Das Ding ist schnell. Ich habe es kaum kommen sehen."
Laiza suchte den ausgehöhlten Strauch mit den Augen ab und fand eine einzelne Dornenranke, die sich soeben in gemächlichem Tempo wieder aufrollte. Es war schwer zu benennen - und woran sollte man es auch festmachen - aber sie war aus irgendeinem Grund davon überzeugt, in den trügerisch trägen Bewegungen der magischen Pflanze Arglist und Boshaftigkeit zu erkennen.
Rea trug in nahezu neutralem Tonfall vor, was sie an Wissen beisteuern konnte.
"Die Gennuanische Hecke ist ein Todesfluch, der sich aus Blut speist. Wir sollten mit solchen Versuchen vorsichtig sein. Je häufiger die Dornen Blut lecken, desto stärker wird der Verteidigungsring. Wir müssen eine gewaltfreie Lösung finden. Keine Schwerter mehr! Gibt es irgendeine Lücke in den Formulierungen, aus denen der Fluch entstanden ist? Denkt nach! Was hatten wir ihr gestern mitgegeben?"
Magane runzelte die Stirn und zählte auf, was ihr dazu einfiel.
"Die meisten unserer Wünsche und Anweisungen bezogen sich darauf, dass sie vor Unheil geschützt sein sollte, dass ihr nur Gutes zustoßen sollte..."
Kanndra legte ihren Kopf leicht schräg beim Überlegen, so dass ihr die vielen kleinen Flechtzöpfe über die Schulter fielen. Sie schlussfolgerte:
"Hmmm... meint ihr, die Hecke unterstellt uns, dass wir nicht herzensgut genug dafür sind, zu Ophelia zu dürfen?"
Laiza wog die Antwort ab.
"Vielleicht? Auch wenn wir ihr nichts Böses wollen. Vielleicht fehlt irgendwas Bestimmtes?"
Die Tür öffnete sich und Rach Flanellfuß verharrte im Rahmen.
Sein Blick überflog die vielen Anwesenden nur, ehe er an dem Rankengebilde rund um Ophelias Bett hängen blieb.
Das Schwert am Boden protestierte.
"Los, habt ihr nicht gehört? Nächster Versuch! Lasst mich gegen das Ding kämpfen aber hopp! Was interessieren mich eure überflüssigen Arme und Beine? Zur Not schmeißt mich einfach rein, ich mach' das schon!"
Valdimier nahm die Waffe vorsichtig vom Boden auf und zog sich rückwärts gehend an die Wand zurück - wo er sie wieder ins Futteral tat. Die zeternde Stimme wurde dumpfer und deutlich leiser. Er beugte sich am Neuankömmling vorbei zur Tür hinaus und legte das Schwert dort ab, ehe er sich wieder aufrichtete. Er schloss die Tür, so dass der Neuankömmling schlichtweg integriert war. Mit grimmigem Blick tastete Valdimier nach dem völlig zerschlitzten Ärmel seiner Uniform.
Rach Flanellfuß trat vor und registrierte das Blut auf dem Boden.
Er hat sich bewundernswert im Griff. Dafür, dass das alles hier für ihn mit einer Menge Gefühlen einhergehen muss, kommt er noch sehr überlegt daher.
Trotzdem sah Laiza, wie er schwer schluckte, ehe er in die Runde hinein fragte:
"Ich nehme an, so war das nicht geplant?"
Kanndra lachte schnaufend, während Magane ihm in einer Mischung aus schuldbewusst und trotzig entgegen sah. Rea hingegen schüttelte nachdrücklich den Kopf.
"Richtig. So war das nicht geplant gewesen. Eine Schwierigkeit. Die wir aber noch lösen werden."
Er schritt einmal um das magische Gewächs herum und sie konnte sehen, wie er sich darum bemühte, Gelassenheit zu bewahren und Informationen in sich aufzunehmen.
Laiza wurde etwas nervös, als er noch näher herantrat und zu ihrer aller Überraschung vorsichtig nach der Hecke im Bannkreis tastete.
"Pass auf!"
Die Warnung kam zu spät, doch überraschenderweise war das nicht das unrühmliche Ende des jungen Mannes.
Er hatte nach einem der Blütenvorhänge zwischen den Dornensäulen gegriffen und ihn mit ausgestreckter Hand sachte beiseite geschoben, um besser ins Innere der Rosenkammer sehen zu können. Die Ranken hatten sich dabei enger um seine Hand geschmiegt und begannen nun, sich tastend an seinem Arm entlang aufwärts zu winden. Er versuchte testweise, ihnen den Arm wieder zu entziehen. Die Zweige hielten inne, als wenn sie ihn fragen würden, ob er das wirklich wolle.
Rach blickte erst auf seinen umschlungenen Arm, dann zu Ophelia.
Laiza bemerkte, wie die Hexen im Raum Blicke miteinander zu tauschen begannen.
Natürlich! Es fehlte uns wirklich noch etwas, um zu ihr zu gelangen. Nur jemand, der sie so selbstlos schützen will, dass er dafür Schaden an sich selber in Kauf nehmen würde, wird von dem Zauber als ungefährlich genug eingestuft werden. Das wäre eine typisch gennuanische Klausel.
Kanndra blickte sie direkt an.
"Denkst du das Gleiche, wie ich?"
"Vielleicht?"
Kanndra stöhnte genervt.
"Nicht wirklich, oder? Wie kitschig ist das denn bitte!"
Magane flüsterte lächelnd:
"Wahre Liebe! Warum sind wir da nicht gleich drauf gekommen? Es würde passen. Die Formeln, die Schutzfunktion, die Symbolik der roten Rose als Banngegenstand der das alles mit ausgelöst hat..."
Ophelias Verehrer drehte sich aufmerksam zu ihnen um, den einen Arm noch immer teilweise vom knospenden Grün umwunden.
"Heißt das, ich kann zu ihr?"
Laiza trat einen Schritt auf ihn zu und versuchte, ihre Bedenken zu erklären.
"Theoretisch ja." Sie grinste einen Moment lang schief. "Vermutlich bist du sogar der einzige, der das kann. Ich weiß nicht, ob ihre Mutter oder ihr Vater noch in Frage kämen. Aber von denen abgesehen… Von uns wird jedenfalls keiner unbeschadet so nahe heran kommen dürfen, wie du. Trotzdem! Die Gennuanische Hecke ist und bleibt ein Todesfluch, der in den Geschichten nur deswegen einen romantischen Anstrich bekommen hat, weil es Ausnahmen gab, bei denen der Fluch gebrochen werden konnte. Wohlgemerkt! Ausnahmen! Ihr kennt euch noch nicht soooo lange, nicht wahr, und wahre Liebe ist... etwas sehr Besonderes. Gibt es nicht so oft, wie man denkt. Es wäre ein nicht einschätzbares Risiko, ein Glücksspiel! Wärst du bereit, dein Leben darauf zu verwetten?"
Rach Flanellfuß zögerte keine Sekunde mit seiner Antwort. Ein breites Grinsen ließ ihn strahlen.
"Wenn es um meine Gefühle für Ophelia geht, ist das Risiko bei weitem nicht so hoch, wie du befürchtest. Und was ist das Leben anderes, als ein einziges Glücksspiel? Du hast nur eines zu erwähnen vergessen: Der Einsatz...", und bei diesen Worten deutete er mit der freien Hand hinter sich auf Ophelia. "...er ist einfach zu verlockend, als dass ich ablehnen könnte."
Damit zwinkerte er ihr zu und wandte sich dann konzentriert der Herausforderung zu.
Laiza wusste schlichtweg nicht, was sie darauf noch erwidern sollte.
Von der Wand hinter ihnen hörten sie mehrere hohe Stimmen streiten - etwas, was alle Anwesenden allein schon aus Gewohnheit möglichst ignorierten.
"Mach Platz, Reggie, ich will auch was sehen! Oder ich sorg' dafür, dass dein magerer Arsch bei der nächsten Rutschentour in die Pathologie auf Kaffeesatz geht!"
"Wenn du das wagst..."
"Hey! Nimm deinen Wurstzipfel aus meinem Ohr! Ich wisch dir gleich eine!"
"Alter! Ist das aufregend! Endlich passiert in dem Kasten mal was!"
"Aaps? Bist du schon da hinten? Ich hab dir das versprochene Starkbier mitgebracht, ja, hier, hast du den Fingerhut? Halt fest!"
"Soll ich 'nen Hammer holen und die Seite aufkloppen? Das ist doch alles viel zu eng!"
"Hat einer 'nen Strohhalm dabei?"
"Ne. Aber ich hab' ein kleines buntes Schirmchen!"
Der junge Mann trat wieder näher an die Hecke heran.
Sofort wuchsen die Äste, die bisher auf sein Einverständnis gewartet zu haben schienen, geschwind seinen Arm hinauf, hielten an der Schulter kurz inne... und schlangen sich plötzlich drohend um seinen Hals, wo sie sich leicht zusammenzogen.
Die Rohrpost-Clique verstummte mit einem aufgeregten Quieken, Laiza und ihre Kollegen schnappten nach Luft.
Rach hielt in der Bewegung inne.
Ebenso wie die Äste.
Er bewegte sich vorsichtig auf den Pavillon zu, doch die Schutzhecke quittierte dies damit, dass die Zweige um seine Kehle anschwollen und ihm die Luft abzudrücken drohten.
Schnell nahm er wieder Abstand.
Seine Halsfessel lockerte sich weit genug, dass er tief durchatmen konnte.
Er brummte unwillig.
"Das ist lächerlich! Ich würde ihr niemals etwas antun."
Eine der Ranken tastete über die Spitzen seines akkurat geglätteten Hemdkragens. Von dort aus schlängelte sie sich neckend um seinen Nacken und ließ auf ihrem Weg an seiner Brust hinab, direkt über seinem Herzen, eine Rose erblühen.
Rach warf ihnen einen kalkulierenden Blick zu. Er seufzte tief.
"Na gut. Dieses eine Mal."
Er trat zwei große Schritte von der Barriere weg, dicht neben den beiseite geschobenen Tisch und legte seine Hand wie beruhigend an die Pflanzenstränge am Hals.
Die Zweige verschlankten sich und rutschten auf seine Schultern hinab, wie abwartend.
Er begann damit, den komplizierten Kunstknoten seiner Krawatte zu lösen.
Was hat er denn nun vor?
Der Mann wirkte so gelassen, als wenn er für sich allein vor dem morgendlichen Ankleidespiegel stünde und nicht inmitten so vieler für ihn Fremder dabei beobachtet würde, wie er im Begriff stand, an einer Rettungsaktion zu scheitern und dafür von einer dunkel-magischen Bedrohung stranguliert zu werden.
"Wenn wir dir irgendwie helfen können..."
Er verneinte freundlich, legte das Krawattentuch auf den Tisch und öffnete den obersten Knopf seines Hemdkragens.
"Danke aber es geht schon."
Will er sich jetzt ausziehen, oder wie? Wozu soll das denn gut sein?
"Was hast du vor?"
Er seufzte nur. Dann bog er den nun geöffneten Kragen auseinander. Er klappte ihn hoch und tastete beidhändig an der gestreckten rechten Kragenspitze entlang. Er hakte mit einem Fingernagel in den Stoff - und zog aus einem bis dahin nicht sichtbaren, winzigen Einschub eine winzige, längliche Lasche heraus. Er legte den etwa sechs Zentimeter langen, einen Zentimeter breiten und bloß einen Millimeter dicken Gegenstand neben die Krawatte auf den Tisch.
Kanndra trat neugierig näher und wollte danach greifen, doch er hielt besitzergreifend den Finger darauf und blickte sie nur stumm an. Sie hob entschuldigend beide Hände. Was er mit einem Lächeln honorierte. Dann wandte er sich in gleicher Weise dem linken Hemdkragen zu und dem ersten Päckchen folgte ein identisches zweites. Aus dem Innenfutter seines Jacketts zog er ein sehr dünnes, langes Röhrchen hervor und legte es lautlos ebenfalls auf der Tischplatte ab.
Valdimier stieß einen leisen Pfiff aus und Rea Dubiata spöttelte:
"Ach? Ein Blasrohr?"
Rach Flanellfuß zuckte schief grinsend mit den Schultern, ließ sich aber sonst zu keiner weiteren Erklärung herab.
Von der hinteren Wand konnte man leises Getuschel hören.
"Hab' ich's nicht gesagt? Ha! Ich hatte Recht! Du schuldest mir ein Schnapperschnitzel!"
"Eh, das sagt noch gar nichts. So ein kleines Pustedings?"
Flanellfuß trat an die magische Barriere heran. Er ließ deren umschlingende Kontrolle geduldig über sich ergehen.
Und dann öffnete sich für ihn im Rosengebüsch ein Durchgang.
"Danke!"
Mit leicht geneigtem Kopf bückte er sich wachsam durch den niedrigen Rankenbogen.
Laiza hielt unwillkürlich den Atem an, doch es geschah nichts weiter, als dass sich rund um das Gebüsch unzählige Rosenknospen öffneten und der ausströmende Duft fast unerträglich intensiv wurde.
Rach blickte einen Moment lang reglos auf Ophelia hinab und war nicht länger fähig, seine Gefühle für sie hinter der Maske der Gelassenheit zu verbergen.
Einer der Rohrpostdämonen stieß einen emotionalen Seufzer aus und alle im Raum hörten ihn sagen "Wie romantisch!", ehe er aufgrund eines heftigen Ellenbogenstoßes in die Seite empört grunzte.
Rach setzte sich mit Blick zu Ophelia auf die Bettkante und betrachtete sie, während er an die Zuschauer gerichtet fragte:
"Ein Kuss, ja?"
Die Hexen nickten synchron und Kanndra erklärte:
"Ja, das wäre der Klassiker."
Er atmete tief durch.
"In Ordnung. Werte Herrschaften? Die Vorstellung ist hiermit beendet. Hinaus!"
Unruhe entstand im Raum, als Rea und Kanndra ihm widersprechen und Mina ihrem Zweifel Ausdruck verleihen wollte. Valdimier nickte verstehend und öffnete bereits die Tür.
Laiza versuchte ihm ihre Bedenken mitzuteilen.
"Was, wenn es schief geht?"
Er fiel ihr ins Wort.
"Der Zauber hat mich zu ihr gelassen. Das Zugeständnis ist groß genug, um alle eventuell bestehenden weiteren Zweifel auszuräumen. Wenn er hätte töten wollen, dann hätte er davor ausreichend Gelegenheit gehabt. Und selbst wenn es so wäre... keiner von Euch könnte ihn jetzt noch aufhalten. Geht! Es bleibt nicht viel, was man ihr unter diesen elendigen Umständen noch geben kann. Aber das bisschen Privatsphäre, was möglich wäre, lasse ich ihr nicht auch noch nehmen." Flanellfuß blickte ihr mit unnachgiebigem Ausdruck entgegen. "Ich lasse darüber nicht mit mir diskutieren. Wenn ich also bitten darf?"
Sie verließen allesamt den Raum und schlossen die Bürotür von außen.
Kanndra schürzte in Gedanken ihre Lippen.
"So eine schöne Gelegenheit! Ich habe das noch nie in echt gesehen, wie dieser Fluch gelöst wird."
Magane blickte selig lächelnd auf ihre Hände.
"Er wird das ohne weitere Schwierigkeiten hinbekommen. Habt ihr seinen Gesichtsausdruck gesehen? Meine Güte!"
Rea streckte sich genüsslich.
"Ich würde ja zu gerne wissen, wie die Beiden sich kennen gelernt haben."
Laiza gestand sich zwar eine ähnliche Neugier ein, war aber gleichzeitig zu nervös, um sich an den Spekulationen ihrer Kolleginnen zu beteiligen.
Es war meine Verantwortung. Mein Bannversuch. Was, wenn sie..."
Valdimier sog blinzelnd die Luft ein, was bei einem Vampir an sich schon ein irritierendes Geräusch war.
Mina errötete bis in den Haaransatz. Ihr Blick schwankte von peinlich berührt zu unsagbar glücklich.
Hinter der Tür des Büroraums 214 erklang Applaus und mehrstimmiges Gejohle.
Valdimier wich ihrer aller Blicken aus, sah stur zu Boden und entschuldigte sich fluchtartig mit einigen gehaspelten Worten.
"Damit wäre das wohl, also... ich... der Empfang ist ganz klar, der Bann hat nichts gebracht... meine Aufgabe hier ist... werde mal einen Zeugen suchen... ich meine befragen oder so..."
Mina strahlte sie alle an, als wenn sie die leibhaftige Sonne wäre. Und folgte ihrem Kollegen nicht minder schnell in den Gang, um hinter der Ecke zu verschwinden.
Die drei Hexen sahen einander zufrieden an, nickten Laiza zu und machten sich in wortloser Übereinstimmung auf den Weg in die Kantine.
Laiza blieb allein vor dem geschlossenen Büro stehen.
"Ey! Ist da jemand? Hol mich hier raus, ja? Ich kann das, wirklich! Ich mach' Geschnetzeltes aus dem Gebüsch!"
Sie blickte auf das leise nörgelnde Schwert hinab, das achtlos an der Fußbodenleiste abgelegt worden war. Gedanklich war sie aber bei den beiden Verliebten auf der anderen Seite der Tür. Sie konnte ihre leise murmelnden Stimmen hören, auch wenn sie nichts von dem Gesagten verstand.
Alles wieder in Ordnung. Was bin ich erleichtert! Damit bleibt wohl nur noch, die Papierarbeit zu erledigen.
Sie wartete. Darauf, dass jemand den Raum verlassen oder sich an sie erinnern und sie hineinbitten würde. Als das nicht geschah, überwand sie sich endlich und klopfte zaghaft an.
"Ja bitte?"
Es war Ophelias Stimme gewesen, die sie herein rief.
Sie öffnete vorsichtig die Tür und trat ein.
Rach saß noch immer auf der Bettkante, neben ihm saß Ophelia, gesund und munter mit zart geröteten Wangen. Beide sahen sie ihr lächelnd entgegen.
Und der Bann mit all seinen Auswirkungen war endgültig gebrochen. Das konnte man besonders eindrucksvoll an den unzähligen Rosen ablesen, die innerhalb der eingebrannten Kreismarkierung heruntergefallen und liegen geblieben waren, als die magische Hecke sich in Luft auflöste.
Laiza atmete erleichtert durch.
"Ich will nicht unnötig stören. Wollte mich nur davon überzeugen, dass alles wieder mit rechten Dingen zugeht. Wie fühlst du dich?"
Die Kollegin atmete das Glücklichsein regelrecht mit jeder Pore aus, so dass sich die Frage fast erübrigte.
"Ich fühle mich ganz wunderbar, vielen Dank!"
Von der Wand mit dem großen Stehregal her erklang dreckiges Gelächter.
"Yo man! Das hättest 'de sehen müssen! Haben sich richtig ins Zeug gelegt die beiden Turteltäubchen. Hätte man dem Kauknochen gar nicht zugetraut, so viel heißes Blut!"
Die Rohrpostdämonen stießen unter lautem Gegacker mit ihren vergleichsweise riesigen Saufkrügen an.
Laiza neigte ihren Kopf und ließ die beiden mit einer gemurmelten Entschuldigung allein.
Sie trat aus dem Zimmer.
"Manno! Ich kann wohl kaum selber zurücklaufen, also wer auch immer du bist: Heb mich auf und bring mich zu der alten Kneifzange zurück! In seiner stinkenden Mottenkiste lauf' ich wenigstens nicht Gefahr, mit Füßen getreten zu werden!"
Die Wächterin bückte sich resigniert. Sie hob das Schwert auf, wickelte das breite Band aber schnell von dessen Scheide ab, ehe sie das blanke Schwert hineinwickelte - und es damit knebelte.
Vor dem Büro des Kommandeurs zögerte sie, dann bat sie um Einlass.

Araghast Breguyar sah ihr erwartungsvoll entgegen. Als sie ihm das Schwert überreichen wollte, nahm er es ihr kommentarlos ab, nur um es achtlos in die offen stehende Kiste in der Nähe zu werfen. Das laute Poltern klang unangenehm hart, war aber kein Vergleich zu dem mitleidlos steinernen Blick.
"Und? Seid ihr erfolgreich gewesen? Wenn man Schadensbegrenzung so nennen kann? Oder beschäftigt sie noch immer meine halbe Wache?"
"Der Versuch hat nicht so funktioniert, wie wir es geplant hatten. Ich vermute, dass die Kraft des Bannspruchs durch einen Kurzschluss fehlgeleitet wurde. So dass etwas ganz anderes daraus wurde, als eigentlich beabsichtigt. Aber durch Herrn Flanellfuß' Hilfe konnten wir alles wieder rückgängig machen."
Der Kommandeur lehnte sich zurück. Er mahlte so hart mit seinen Zähnen aufeinander bei dieser Auskunft, dass seine Kiefermuskeln hervortraten.
"Ausgerechnet auf seine Hilfe wart ihr angewiesen?" Araghasts Lippen wirkten schmal und blutleer, als er unzufrieden murmelte: "Da wäre es mir ja fast lieber gewesen, wenn ihr das Gestrüpp abgefackelt hättet!"
Laiza richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und legte in passiver Abwehr die Hände hinter dem Rücken zusammen.
"Sör."
Er taxierte sie mit einem scharfen Blick und schien über etwas nachzudenken. Letztlich behielt er den Gedanken aber doch für sich. Er beugte sich rasch vor und legte seine Hände mit den geöffneten Flächen auf dem Tisch ab.
"Ich erwarte den vollständigen Bericht in zwei Stunden auf meinem Schreibtisch."
"Ja, Sör."
"Und nur um das klar zu stellen: Jetzt weißt du ja wohl, was genau schief gegangen ist. Der nächste Versuch hat zu gelingen."
Laiza fiel aus ihrer ergebenen Rolle und widersprach voller Entsetzen.
"Aber Sör! Diesmal hatten wir Glück im Unglück und außerdem hatte ich von Anfang an gesagt, dass ich nicht..."
Er fiel ihr gnadenlos ins Wort.
"Fähnrich Harmonie, das war keine Bitte!"
Die Okkultismusexpertin biss sich auf die Zunge und zwang sich zur Ruhe. Es dauerte einige endlose Sekunden, bevor sie seinem Blick auswich und zu Boden sah.
"Jawohl, Sör."
"Gut. Du darfst gehen."
Sie stürmte aus dem Kommandeursbüro und konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Außer dem einen, der sie nicht mehr loslassen wollte:
Wie soll ich das nur Ophelia beichten?

ENDE



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Feedback:

Von Ettark Bergig

09.9.2013

Gefällt.
Und die Kritiik zur Hörbuchversion kennst du ja schon ^_^

ABER!
Für das falsche Zitieren hat schon so manch einer den Kopf verlohren...
das Orginal war:
"Ich würde so was hirnrissiges niemal machen...
Probiers doch mal aus ^^"

Von Sebulon, Sohn des Samax

14.9.2013

Als die Bannzeremonie begonnen hatte, hatte mich die Geschichte gefangen. Eine schöne (und ziemlich rosane) Lösung für ein unerwartetes Problem.

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