Kinder vom Ankh - Teil 2

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von Hauptgefreiter Jargon Schneidgut (SEALS)
Online seit 11. 07. 2013
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 14. 04. 2009 datiert
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 Außerdem kommen vor: Kamillus SchimmlersohnBjorn Bjornson

Der lang, lang hinausgezögerte Nachfolger zu der Single vom 13.4.2009. Ich entschuldige mich für Unschlüssigkeiten, Längen und Verwirrung im Voraus und wünsche trotzdem viel Spaß beim Lesen .

Diese Geschichte gehört zur Schreib³Aktion.

Dafür vergebene Note: 11

Was bisher geschah

Aus dem Bunten Getümmel, einem Gitarrengeschäft, wird einer wertvolle, magische Gitarre gestohlen. Bjorn und Jargon nehmen sich des Falls an, und finden am Tatort eine totenkopfförmige Schnalle. Eben jene hatte Jargon am Abend zuvor am Gürtel von Alexander Laie, dem Sänger der Kinder vom Ankh gesehen, deren Konzert er besucht hatte. Die Band ist aktuell in der Stadt und sorgt mit ihrer Hart-Stein-Musik für Aufruhr, und bei Jargon für Alpträume.
Trotzdem besucht er auch das zweite Konzert der Band und erkennt, dass diese nun eine neue - offenbar die gesuchte - Gitarre besitzen - und dass Alexander Laies Gürtelschnalle fehlt.


Der nächste Morgen brach an. Heute erwachte Jargon ausnahmsweise mal ohne Geschrei, dafür mit einem umso schlimmeren Geschmack auf der Zunge. Gähnend frühstückte er, zog seine Uniform an, verließ sein Haus, schloss die Tür ab und lief mit schnellen Schritten die Straße entlang. Das Wetter war recht angenehm, die Sonne schien und der Wind war kaum wahrnehmbar. Auf seinem Weg wurde der Gefreite einmal von zwei lizensierten Dieben überfallen, konnte ihnen aber eine Quittung über drei Wochen Sicherheit vorweisen.
"Tut mir leid, aber so wie's aussieht, müsst ihr euch ein anderes Opfer suchen", sagte er in einem entschuldigenden Tonfall und schob sich an den Beiden vorbei.
"Und werft nächstes mal einen Blick auf die Immunitätsliste", rief er dann über die Schulter, als er seinen Weg fortsetzte.
Ein Windstoß zerwarf ihm das Haar, als er die Schatten verließ und in die Ulmenstraße einbog.
Es ist toll, nicht überfallen werden zu können!, dachte er glücklich. Dann fiel ihm ein, dass es ja auch noch die unlizensierten Verbrechen gab.
Und für die bin ich zuständig!

*Im Wohnsitz der Kinder vom Ankh*


"Na, das war doch ein voller Erfolg, nicht wahr?"
Alexander Laie saß auf einem Sofa, die Hände hinter der Rückenlehne.
"Du sagst es, Alex! Ich bin echt froh, das wir diese Gitarre bekommen haben! Allerdings..."
Das Wort hing in der Luft und zerfaserte langsam.
"Was?"
"Ich frage mich, woher sie stammt. Solche Töne habe ich nicht mehr gehört, seit unsere Katze mal ins Wasserfass gefallen ist."
"Du bist zu misstrauisch, Jockel! Sie begeistert das Publikum und gibt mir die Möglichkeit, mal so richtig abzu....steinen..."
"Was?"
"Ich weiß nicht, das Wort ist mir irgendwie gerade auf die Zunge gerutscht. Es hört sich richtig an, nicht wahr? Absteinen..."
"Ja", hauchte Sail, "es ist irgendwie der Inbegriff von 'auf der Bühne stehen, wild rumhüpfen und die Haare in die Luft werfen'..."
"Kopfknallen", meldete sich Janni William zu Wort, der Klavierspieler der Band.[1]
"Hä?"
"Die Haare rumwerfen. Das heißt Kopfknallen. Einer meiner Kumpels meinte, er nennt es so, weil man dabei Gefahr läuft sich mit jemand Anderem den Kopf anzustoßen."
Sie dachten kurz über diese Bemerkung nach.
"Ja... das hört sich gut an. Flippig, wie mein Vater immer zu Wörtern gesagt hat, die mit der Jugend zu tun haben."
"Hört mal Jungs..."
"Ja, Alex, was ist?"
"Wollen wir hier jetzt über flippige Wörter diskutieren oder für den nächsten Auftritt üben?!"

*Das Wachhaus*


Es klopfte. Bjorn sah von seinem Schreibtisch auf.
"Ja?", fragte er.
Die Tür öffnete sich, und Jargon kam herein. Er sah sich kurz um und schloss dann die Tür hinter sich. Danach lief er hinüber zum Schreibtisch des Zwergs.
"Ich hab' jetzt ein paar neue Hinweise in unserem Fall", sagte er, und reichte seinem Gegenüber ein Blatt.
Der Zwerg überfolg die Zeilen.
"Ah, interessant... Du meinst also, das Alexander Laie der Dieb sein könnte?"
"Könnte, ja. Ich bin mir nicht sicher, weil ich nicht weiß, warum er die Gitarre gestohlen haben sollte."
"Womöglich hat sie ihm jemand untergeschoben. Naja, hör mal Jargon, ich muss mit dir reden. Setz' dich."
Schneidgut setzte sich an seinen eigenen Schreibtisch, der neben Bjorns stand.
"Ich habe im Moment wirklich Probleme, meinen eigenen Fällen nachzukommen..."
"Meinst du, ich werde wieder mit jemand anderem zusammenarbeiten?"
"Nicht ganz. Meiner bescheidenen Meinung nach bist du fast schon ein ganzer Rechtsexperte, deshalb finde ich, dass du den Fall alleine Übernehmen solltest."
"Wirklich?" Jargon war ein wenig erschrocken, aber zugleich auch erleichtert. "Ich meine, ich habe da nichts dagegen, aber... Kann ich dich auch manchmal um Hilfe bitten oder so? Falls ich nicht weiterkomme?"
"Natürlich", meinte Bjorn, und verschwieg Jargon, dass er selbst nicht mehr viel helfen konnte, falls sein (noch-)Auszubildender auf Probleme stieß. Selbiger saß einige Sekunden schweigend an seinem Schreibtisch, bevor er einige Blätter hervorholte und etwas darauf schrieb. Als Bjorn neugierig zu ihm herübersah, deckte der Mann das Blatt ab, bis der Zwerg den Blick abwandte.
Was schreibt der bloß immer da drauf?, dachte er verwundert.
Kurze Zeit später stand Jargon auf.
"Was tust du jetzt?", fragte Bjorn.
"Ich werde mal mit Alexander Laie reden. Vielleicht bekomme ich etwas aus ihm heraus, ein Motiv oder so."
"Na gut, tu das. Aber pass auf dich auf."
"Mach ich", sagte Schneidgut und verließ das Büro.

Musik von der etwaigen Lautstärke einer 10-Tonnen Druckpresse fegte durch die Teekuchenstraße. Jargon hielt sich die Ohren zu, während er auf das Gebäude zuhielt, das er als die Quelle der höllischen Geräuschkulisse identifizierte. Als er näherkam, bemerkte er, dass das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen zu vibrieren schien, und die Fenster des Gebäudes erweckten den selben Eindruck.
Wie zum Geier soll ich da auf mich aufmerksam machen?!, dachte der empfindliche Zuhörer und blieb vor der Tür stehen, wo der Lärm knapp unter dem Maximalwert der Hörbarkeitsgrenze lag. Schließlich entschied er sich dazu, zu warten, bis das Lied - falls man es so nennen konnte - zu Ende war.
Nach einigen Minuten, die jedem Normalsterblichen (mit gewöhnlichen Ohren) wie eine Ewigkeit vorkommen musste, verstummte das pandämonische Lied, und Jargon klopfte hastig ziemlich fest an die Tür, damit ihn die Musiker auch dann hören konnten, falls sie Ohrenstöpsel trugen (was er für sehr wahrscheinlich hielt).
Deshalb überraschte es ihn um so mehr, als ein Mann kurz nachdem er geklopft hatte, die Tür öffnete. Er hatte langes, schmutzig-blondes Haar und hatte eine Gitarre umhängen.
"Was gibt's?", fragte er, und seine Stimme klang - nach Jargons Meinung - unerwartet freundlich.
"Ähm, Stadtwache. Sind sie Alexander Laie?"
"Jap."
"Gut, ich würde ihnen gern ein paar Fragen stellen, falls es ihnen nichts ausmacht,"
"Null Problemo. Kommen sie doch rein."
Der unsichere Wächter betrat langsam das Haus. Es war ziemlich düster eingerichtet und die Wände waren mit einer Menge Zeug verziert: Äxte, Schwerter, Schilde und einige Morgensterne schimmerten bedrohlich. Jemand, der mit einem starken Magneten hereingekommen wäre, hätte sich nach einigen Sekunden Aufenthalt entschuldigen und einen Igor suchen gehen müssen.
Alexander führte Schneidgut in ein Wohnzimmer, in dem schwarze Sofas standen. Die Wände waren mit schwarzen Tapeten bedeckt, und ein Kronleuchter[2] mit vielen Kerzen darin hing von der Decke.
Trotzdem fühlte sich Jargon nicht ängstlich oder eingeschüchtert, denn sein Gegenüber war gelassen und freundlich.
"Wollen sie vielleicht 'nen Kaffee?", fragte er.
"Nein, danke sehr."
"Na schön." Der Mann deutete auf eines der Sofas. "Setzen sie sich doch."
Nachdem der Wächter der Aufforderung nachgekommen war, ließ sich Alexander ihm gegenüber in einen Sessel fallen.
"Schießen sie los, worum gehts?"
"Es geht um einen Diebstahl in dem Musikgeschäft in der Sirupminenstraße. Wir... haben Spuren gefunden, die, äh, etwas mit ihnen zu tun haben könnten."
"Wie? Wieso sollte ich etwas stehlen wollen? Ich habe Geld. Wir verdienen eine Menge mit unseren Auftritten in Ankh-Morpork."
"Ich vermute mal, deswegen sind sie länger geblieben als geplant?"
"Wie meinen sie das?"
Jargon war eingefallen, dass auf dem Plakat, dass er vor einiger Zeit an der Tür der 'Blutigen Sau', wo die Kinder vom Ankh zum ersten mal aufgetreten waren, gestanden hatte, dass sie nur für diesen Tag in Ankh-Morpork bleiben würden. Nachdem er dies erklärt hatte, nickte sein Gegenüber bedächtig.
"Sie von der Stadtwache achten auf sowas, nicht? Naja, sie haben recht. Soo toll sah's mit unseren Finanzen nicht aus, als wir hier angekommen sind, deswegen haben wir bei unserem ersten Auftritt auch für eine neue Gitarre sammeln müssen."
Liebevoll streichelte Laie die Gitarre auf seinem Schoß.
"Aber wieso hatten sie nicht so viel Geld? Haben sie es... ausgegeben?"
Der Gefreite dachte schaudernd an laute Feiern mit in Sturzbächen fließendem Bier.
"Äh..." Überraschenderweise wirkte der Sänger auf einmal etwas unsicher. "Das ist mir ein wenig peinlich, wissen sie. Es wäre mir lieber, wenn das, was ich jetzt sage, unter uns bleiben könnte."
"Von mir aus", meinte Jargon, der jetzt neugierig wurde.
Plötzlich öffnete sich eine der Türen, und ein anderer Mann sah herein.
"Wo bleibst du, Alex?" Dann sah er den Wächter. "Und wer ist das?"
"Ein Kerl von der Wache. Könnte noch einen Moment dauern, bis ich wiederkomm'. Stimmt in der Zwischenzeit eure Instrumente oder so."
"In Ordnung."
Die Tür schloss sich wieder.
"Also", begann der Sänger, "das war so: Eines Tages in Sto-Lat beschloss einer unserer Fans, uns einen kurzen Besuch abzustatten. Außer mir war keiner daheim, und als niemand auf sein Klopfen an der Tür antwortete, ich war nämlich gerade dabei das Schlagzeug auszuprobieren, betrat er einfach so das Haus.... Äh, er ging also in das Haus und, äh, suchte nach uns..."
Jargon musste unwillkürlich an Braggasch denken und verkniff sich gerade so ein Grinsen.
"Und als er da so nach uns suchte, entdeckte er eine, äh, eine Tür und er ging, äh, hinein und.... und... er fand etwas, dass nicht gerade typisch für uns ist...äh."
Sein Gegenüber sah ihn neugierig an.
"Und, äh, er wollte Geld von uns, damit er es für sich behält."
"Was hat es mit diesem Raum denn auf sich?"
Laie starrte ihn kurz an, dann schüttelte er den Kopf.
"Ich... das-", er erhob sich Kopfschüttelnd, "tut mir Leid, das kann ich ihnen wirklich nicht sagen."
Ein wenig misstrauisch nickte der Rechtsexperte, dann sagte er: "Ich verstehe."
"Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden, bitte", sagte der blonde Sänger und wirkte um einiges abweisender als noch kurz zuvor. Er öffnete die Tür, aus der zuvor sein Kollege geschaut hatte. "Ich muss jetzt für den nächsten Auftritt üben."
Etwas verdutzt erhob sich Jargon und ging mehr oder minder freiwillig hinaus. Er blinzelte kurz, dann kehrte er nachdenklich zum Wachhaus zurück.

Als er den Pseudopolisplatz erreichte, sah er, wie jemand das Wachgebäude verließ. Die Person trug einen schwarzen Mantel und schien es eilig zu haben, jedenfalls verschwand sie mit schnellen Schritten in einer nahe gelegenen Seitengasse. Während er ihr nachsah, betrat Schneidgut das Wachhaus, sodass seine Aufmerksamkeit nicht darauf ruhte, wo er hin lief. Prompt stieß er mit einem anderen Wächter zusammen, der wohl gerade dabei war, das Wachhaus zu verlassen.
Es stellte sich heraus, dass der Angerempelte ein Zwerg war, der auf dem Boden landete und seinen Helm verlor.
"Oh, Entschuldigung!", rief Jargon erschrocken und half dem Kollegen hoch.
"Ach, schon in Ordnung... Ist ja nichts passiert", antwortete Dieser und strich sich über seinen kahlgeschorenen Kopf, sobald er wieder auf seinen Beinen stand.
"Wo ist nur mein Helm?"
"Dort hinten, beim Tresen. Ich hole ihn", meinte Schneidgut, der versuchte, seine Unachtsamkeit wiedergutzumachen.
Nachdem der Zwerg, der sich als Kamillus Schimmlersohn herausstellte, seinen Helm wiederhatte und mehrere Entschuldigungen von Jargon akzeptiert hatte, verließ er das Wachhaus.
Als er nach draußen auf die Straße trat, holte er zuerst einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und warf einen Blick darauf. Lauerstraße 44, Kellergeschoss, stand darauf. Kamillus kratzte sich am Kopf, zuckte dann mit den Schultern und lief los. Das Haus, das er suchte, gehörte einem gewissen Herrn Petersberg. Selbiger hatte merkwürdige Geräusche aus seinem Keller gehört, der eigentlich nicht vermietet war, und er hatte die Stadtwache darum gebeten, dort nach dem rechten zu sehen.
Nach einer Weile bog Kamillus in die Unbesonnenheitsstraße ein. Er behielt stets die Seitengassen im Auge und versuchte, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Es war ziemlich ungewöhnlich, einen Wächter alleine in die Schatten zu schicken, doch Kamillus war immerhin ein erfahrener Kämpfer und Späher. Er konnte auf sich aufpassen.
Schließlich erreichte er sein Ziel: Ein hölzernes, morsches Haus. Es hatte zwei Stockwerke und sah aus, als würde es nur noch vom Speichel und den Flüchen der Bewohner zusammengehalten. Als ein Windstoß Kamillus' Bart zerzauste, knarrte es und neigte sich leicht zur Seite. Seufzend klopfte der Zwerg vorsichtig an die Tür. Etwas Staub rieselte vom Türrahmen herab. Kurz darauf öffnete ein alter Mann, der den Wächter mit einem finsteren Blick bedachte.
"Die Zimmer sind alle besetzt", murmelte er.
"Stadtwache", Kamillus hob seine Dienstmarke, "ich bin wegen ihres Kellers hier."
"Ah, endlich!" Das Gesicht des Mannes erhellte sich und er öffnete die Tür ganz. "Kommen sie rein."
Kamillus betrat den engen Flur, der rechts und links voll mit Türen war. Rechts neben der Eingangstür führte eine Treppe ins erste Obergeschoss.
"Ich schätze mal sie sind Herr Petersberg?"
"So ist es. Zum Keller geht's hier lang."
"Er ist nicht vermietet, richtig?"
"Ganz genau, da ist eigentlich die Speisekammer, aber seit der Rattenplage ist er leer."
Die Beiden erreichten ein kleines Holzgatter, hinter dem eine Treppe in die Dunkelheit führte.
"Da wären wir. Übrigens sollten sie offene Flammen vermeiden, wenn sie lebend wieder rauskommen wollen."
Kamillus war vorbereitet. Er holte eine kleine Laterne heraus und entzündete die Kerze darin, schloss die Klappe und öffnete das Gatter.
"In Ordnung. Haben sie den Keller eigentlich vorher auf eigene Faust untersucht?"
"Nein, ich-, naja, deswegen habe ich ja nach Ihnen gerufen."
"Richtig. Also dann."
Der Zwerg begann, die Treppe hinabzusteigen. Die Luft war abgestanden und tatsächlich sehr staubig, jeder Atemzug kratzte im Hals, so sehr der Staub auch durch den Bart gefiltert wurde. Die Laterne erhellte nur einen kleinen Bereich der Dunkelheit, und die Treppe knarzte laut unter den Füßen des Wächters. Einige Spinnweben spannten sich über den weg.
Das bedeutet, dass auf diesem Weg keiner hier reingekommen ist...hmmm.
Vorsichtig setzte Kamillus seinen Weg fort und erreichte schließlich das Ende der Treppe. Als er den Keller betrat, bemerkte er sofort Spuren im Staub auf dem Boden. Außerdem war die Luft hier besser, offenbar konnte der Staub irgendwo abziehen.
Es war also tatsächlich jemand hier, setzte er seine Gedanken fort. Was ihm als nächstes ins Auge fiel waren einige Kisten, die an den Wänden standen und im Vergleich zum Boden nur eine leichte Staubpatina angesetzt hatten.
Jemand hat etwas hier gelagert... Schmuggler vielleicht?

Es war kurz nach acht Uhr abends. Jargon schlenderte Richtung Unbesonnenheitsstraße, eifrig auf einen Block kritzelnd. Er hatte den restlichen Arbeitstag größtenteils damit verbracht, weitere Spekulationen über den Diebstahl anzustellen. Es schien zwar offensichtlich, dass Alexander verantwortlich für den Diebstahl war, doch irgendetwas hinderte Schneidgut daran, das zu glauben. Der zweite Auftritt der Kinder vom Ankh hatte garantiert genug Geld für eine neue Gitarre eingebracht. Wieso also sollte der Sänger eine stehlen?
Genug davon, dachte der Wächter und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Der Arbeitstag ist vorbei, jetzt brauche ich erst einmal mein Privatleben.
Jargon erreichte sein Zuhause. Er öffnete die Tür, zog seine Jacke aus und lief dann hinter sein Haus, um etwas Wasser von dem Brunnen zu holen, den er sich mit vier anderen Leuten teilte. Dann zündete er ein Feuer an und stellte eine Kanne mit Wasser auf den Herd. Seufzend setzte er sich an den Tisch und wartete, bis Dampf von der Kanne aufstieg.

Der nächste Morgen war kühl und neblig. Das Wachhaus war noch recht unbelebt, doch der Kommandeur saß bereits (oder noch?) hinter seinem Schreibtisch und las mit steinerner Miene eine Akte. Es klopfte.
"Herein", brummte der höchstrangige Wächter und hob den Kopf erst, als die Schritte vor ihm verstummt waren.
Kamillus stand vor dem Schreibtisch, die Hand zum Salutieren erhoben.
"Auftrag erfolgreich ausgeführt, Sör!", sagte er. Eine Akte landete zwischen Papieren und Bleistiftresten.
"Welcher?", fragte Araghast und zog eine Braue hoch.
"Der mit dem Keller, aus dem die Geräusche drangen, Sör", erwiderte Schimmlersohn ohne eine Miene zu verziehen.
"Ach ja, das..." Bregs nahm die Akte, schlug sie auf und überflog den Bericht.
"Ein Lager?"
"So scheint es, Sör."
"Hm, hier steht nichts von einer Genehmigung, weder von der Schmuggler-, noch von der Kaufmannsgilde. Außerdem hat der Besitzer keine Miete bezahlt. Ich glaube, die betreffende Person wird Probleme bekommen, wenn wir sie kriegen."
"Ich glaube, da hast du recht, Sör."
Araghast blätterte weiter.
"Flugblätter? Was für Flugblätter?"
"Im Anhang dürfte eines beiliegen, Sör."
Wieder wurde weitergeblättert.
Ein kleines, grünes Blatt Papier wurde betrachtet, dass einige pikante Details über die Band preisgab.
"Kinder vom Ankh haben ein flauschiges Geheimnis?! Was zum Geier?!"
"Ich weiß nicht, Sör."
Der Kommandeur brummte, beäugte ziemlich verwirrt die Abbildung eines Teddybären und und blätterte zwei Seiten zurück.
"Ah, ein Durchbruch in die Kanalisation also. Klassisch. Wer dafür verantwortlich ist, weißt du nicht?"
"Noch nicht Sör. Aber ich werde den Fall an die S.E.A.L.S. weitergeben, soweit ich das sehe, ist mein Teil der Arbeit erledigt."

Später am selben Tag.
Jargon saß in seinem Büro und ließ einen Bleistift gegen sein Kinn pochen. Das tat er jetzt schon eine ganze Weile, und Bjorn, der einige Akten durchsah und sortierte, sah mehrmals nervös zu seinem Kollegen hinüber. Dieser starrte mit einem verträumten Gesichtsausdruck abwechselnd auf ein leeres Blatt Papier vor sich und an die Wand. Der Bleistift klopfte in beständigem Rhythmus gegen das bärtige Kinn. Schließlich beschloss Bjorn, dass es wenig Sinn machte, dem noch weiter zuzusehen.
"Jargon?"
Der Angesprochene reagierte nicht und das Pochen ertönte weiterhin.
"Jargon?!"
Schließlich unterbrach der Mann das Pochen und blickte langsam zu Bjorn hinüber.
"Hm?"
"Was tust du da?"
Jargon sah kurz auf sein Blatt, dann wieder zu Bjorn. Der Zwerg bemerkte, das etwas in Jargons grünen Augen zu funkeln schien.
"Ich denke nach..."
"Ah."
Stille.
"Wieso fragst du?"
"Weißt du, die meisten Leute denken nicht so lange nach."
"Sie denken wohl nicht über das Gleiche nach wie ich."
"Hm."
Wieder trat eine kurze Pause ein.
"Wenn ich dich störe, musst du es nur sagen."
"Jargon, es ist nicht so, dass deine Anwesenheit mich stört."
"Was denn dann?"
"Mich stört eher, dass du jetzt vier Stunden lang hier sitzt, einen Bleistift an dein Kinn pochen lässt und an die Wand starrst."
Jargon wirkte überrascht.
"Tue ich das?"
Bjorn seufzte entnervt und sah auf die mechanische Uhr im Büro. Es war kurz nach sechs und draußen wurde es langsam dunkel.
"Weißt du was, wenn du sowieso nichts zu tun hast, nimm dir doch den restlichen Tag frei, in Ordnung?"
Plötzlich wirkte Schneidgut etwas beschämt.
"Ach, weißt du, es..."
"Ja?"
"Es ist nicht so, dass ich nichts zu tun hätte, aber ich kann mich einfach nicht auf meinen Fall konzentrieren."
Bjorns Sohn nickte.
"Was ist denn los?"
Jargon zuckte mit den Schultern.
"Es ist nichts, was... was dir Sorgen machen muss."
"Mir vielleicht nicht. Aber wenn du die nächsten Wochen genauso verbringen wirst wie heute, sehe ich Probleme mit dem Kommandeur auf dich zukommen."
Bjorns Gegenüber nickte.
"Ich... werde versuchen, demnächst etwas produktiver zu sein."
"Schön. Es wäre toll, wenn du gleich damit anfangen könntest", meinte der Zwerg und lächelte aufmunternd.
Jargon lächelte zurück und nickte.
"Ist ja gut, ich versuchs."
Gerade in diesem Moment klopfte es an der Tür.
"Herein", sagte Bjorn, und William Morgue sah herein.
"Rea will dich sehen, Bjorn", sagte er knapp und schloss die Tür dann wieder.
Der Zwerg und Jargon sahen sich an.
"Na dann", meinte Ersterer dann und erhob sich, "versuch etwas produktiv zu sein, Jargon."
"Mach ich."
Den Rest seiner Schicht verbrachte der Gefreite damit, einige Blätter vollzuschreiben.
Als er schließlich das Wachhaus verließ, hatte er einen konkreten Plan, der zur Auflösung seines Falls führen sollte. Bisher war er einfach viel zu zögerlich vorgegangen. Er würde den Sänger der Kinder vom Ankk mit den harten Fakten konfrontieren, so dass er sich nicht mehr um konkrete Informationen herumreden konnte. Woher stammte die Gitarre? Wie und wann verschwand die Gürtelschnalle? Wo und wann war Alexi zum Tatzeitpunkt?
Zufrieden nickend machte sich der kleine Mann auf den Heimweg.

"Oh, sie sind es wieder", sagte Alexi als er Jargon nach kurzer Überlegung wiedererkannte. Er wirkte übernächtigt und schlecht gelaunt. Der nächste Morgen war trüb, und das Tageslicht war noch sehr spärlich.
"Was wollen sie?"
"Wenn es sie nicht stört würde ich ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen."
"Wenn's sein muss." Der Sänger verzog das Gesicht als die Sonne kurz hinter einer Wolke hervorstach.
"Kommen sie rein, aber leise. Ich vertrag grade keine Lautstärke."
Der Wächter folgte ihm in das Wohnzimmer, wo die übrigen Bandmitglieder schnarchend auf den schwarzen Sofas lagen. Überall lagen Bierflaschen verstreut und es roch unangenehm nach Schweiß, Alkohol und Erbrochenem. Jargon konnte es nicht verhindern, dass sich sein Gesicht verzog, was Alexi zum Glück nicht bemerkte. Der Gefreite wollte nur ungern seine ohnehin nicht so gute Laune verderben.
"Also, was wollen sie noch wissen?", fragte der Hart-Steiner flüsternd.
"Zuerst einmal würde ich gerne wissen, ob sie bis vor kurzem eine Gürtelschnalle in dieser Art besaßen."
Jargon zeigte ihm eine eigens angefertigte Zeichnung des Stücks. Sein Gegenüber wirkte überrascht.
"Das habe ich tatsächlich! Wo haben sie die gefunden?"
"Damit kommen wir zum unangenehmen Teil: diese Gürtelschnalle wurde neben dem Tatort gefunden, auf den ich sie schon mal angesprochen habe. Dort wurde eine Gitarre gestohlen, und zwar eine von genau der Machart wie sie sie besitzen."
"Verdammt nochmal wie bitte?!", entfuhr es dem überraschten Alexi. "Die Gitarre wurde geklaut?! Ich hätte es wissen sollen als sie mir dieser Kerl verkauft hat!"
"Aha, sie haben sie also jemandem abgekauft."
"Ja! Und meine Gürtelschnalle ist kurz zuvor verschwunden! Ich habe gedacht sie wäre mir bei einem Auftritt abgerissen oder so."
"Na das ist ja mal sehr interessant", sagte Jargon mehr zu sich selbst. "Wenn sie ihre Behauptungen untermauern wollen, müssten sie mir noch beschreiben, wie der Täter in etwa ausgesehen hat, Herr Laie."

Der Mann wirkte blass, schmächtig und war hoch gewachsen. Er strich sich die langen, fettigen Haare aus dem Gesicht und vergewisserte sich einem kurzen Blick in die angrenzende Seitengasse, dass ihn niemand beobachtete als er mühevoll den schweren Kanalisationsdeckel anhob. Schnell stieg er hinein und schloss den Deckel über sich. In Gedanken vergewisserte er sich, dass er den Weg zu seinem Versteck in der Dunkelheit fand. Drei Sprossen hinab, umdrehen, fünfzehn Schritte geradeaus, nach rechts drehen und vorsichtig nach vorne tasten...
Schließlich fand er den Eingang in der Finsternis und holte vorsichtig ein Streichholz aus der Tasche. Gerade als er es entzündet hatte und sich blinzelnd an das Licht gewöhnte, ertönte eine Stimme hinter ihm.
"Im Namen der Stadtwache, du bist verhaftet!"

Ein Schatten huschte über die Dächer, keinen Laut verursachend. Trotz des hellen Tageslichts war es schwierig die genaue Position der Gestalt auszumachen, denn sie nutzte die Schatten der Kamine und Dachvorsprünge, die gerade wegen der Helligkeit der Sonne umso schwärzer waren. Nachdem einige Dächer überklettert waren, ließ sich die Person an einem Abwasserrohr herab und landete in einer schattigen Gassenkreuzung. Ohne zu zögern machte sie sich daran, den Kanalisationsdeckel, der in der Mitte der Kreuzung lag, beiseite zu schieben und verschwand in dem schwarzen Loch.

"So, wir gehen jetzt ganz ruhig und langsam die Treppe hoch, ja? Aber mach' das Streichholz aus, sonst verbrennen wir hier drin bei lebendigem Leibe. Und glaub ja nicht, das würde die einen Vorteil verschaffen. Ich sehe im Dunkeln wie bei Tageslicht! Also los, du gehst voraus!"

Drei Sprossen hinab, umdrehen, fünfzehn Schritte an der Wand entlangschleichen und rechts nach einem Loch tasten... tatsächlich, die Wegbeschreibung passte genau! Vorsichtig entzündete die verhüllte Gestalt ein Streichholz, das die Umgebung ein wenig erhellte. Der Assassine warf einen Blick auf den Boden des Raums - tatsächlich! Fußspuren waren im Staub zu sehen, die den Raum durch das Loch betraten und weiter hinten auf eine Treppe zuführten. Das Streichholz erlosch. Zum Glück hatte sich der Assassine den Weg eingeprägt und musste so nicht unnötig weitere Schwefelhölzer verschwenden. Er kletterte in der Schwärze über einige Kisten, damit er keine Spuren auf dem Boden hinterließ. Unglücklicherweise bemerkte der Auftragskiller nichts von der zunehmenden Staubdichte, weil er ein Tuch vor Mund und Nase trug. Deshalb, und weil sein Gedächtnis nicht weiter als bis kurz vor der Treppe reichte, ging kurz darauf der Keller in Flammen auf.

"Vielen Dank für ihre Hilfe!", sagte Herr Petersberg und wirkte froh, den illegalen Untermieter los zu sein, den Bjorn gestellt hatte. Gerade als der Zwerg zu einer Erwiderung ansetzen wollte, ertönte ein entsetzlicher Knall aus der Richtung des Kellers. Keine Minute später begann es nach Rauch zu riechen.
"Was war das?!", fragten Bjorn, der Vermieter und der Verhaftete gleichzeitig und wandten sich zur Kelleröffnung. Flammen schossen kurz heraus und die Drei vernahmen einen kurzen, aber kräftigen Luftzug. Dann verschwanden die Flammen wieder. Bjorn hastete zum Kellereingang und sah vorsichtig hinein. Der Keller und die Treppe brannten lichterloh.
"Feuer!", rief der Gefreite und bedeutete den beiden Anderen gefälligst nach draußen zu rennen.
"Ist sonst noch jemand im Haus?", fragte er hektisch bevor der Vermieter und sein unfreiwilliger Begleiter hinausrannten.
"Nein!"
"Sicher?"
"Ziemlich!"
"Dann nichts wie raus hier!"
Die Drei verließen fluchtartig das Haus. Nicht einmal die herbeieilenden Golems konnten verhindern, dass das Gebäude in sich zusammenstürzte wie ein Kartenhaus.

"Vielen Dank für ihre Hilfe, Herr Laie", sagte Jargon und packte seinen Notizblock wieder weg.
"Ich werde mich bei ihnen melden. Bitte verlassen sie die Stadt bis dahin nicht, oder sie müssen strafrechtliche Verfolgung fürchten. Nach Paragraph 34 Absatz 4 des zweiten Strafgesetzbuch Ankh-Morporks ist es nämlich illegal die Stadt zu verlassen, während Ermittlungen laufen in deren Fall man selbst involviert ist."
"Ja, in Ordnung. Könnten sie jetzt bitte gehen? Ich hab' Kopfschmerzen."
"Das tue ich. Auf Wiedersehen."
"Bis demnächst."
Jargon verließ das Gebäude mit dem Gefühl, endlich mal einen Schritt weitergekommen zu sein. Jetzt musste er nur noch die Person finden auf die die Beschreibung Laies zutraf und schon hätte er seinen Fall gelöst. Die Gedanken, dass diese Suche bei der großen Anzahl an Einwohnern in Ankh-Morpork schwierig werden könnte oder dass Alexi ihn belogen haben könnte kamen ihm erst beim Rückweg.

"Nun hör' mir mal zu Bursche, von dir lass' ich mir gar nichts sagen! Du erzählst mir jetzt für wen du arbeitest und warum er dir einen Assassinen auf den Hals gehetzt haben könnte."
In den Ruinen des niedergebrannten Hauses hatten die Golems auf Kellerniveau eine verbrannte Leiche gefunden. Anhand von Stofffetzen und einer aufgrund eines kleinen Metalletuis nahezu unbeschädigten Lizenz konnte Bjorn feststellen, dass es sich um einen Assassinen gehandelt hatte.
"Ich weiß nix."
"Hör mal, weißt du eigentlich wie lange ich dich dafür einsitzen lassen könnte, was du getan hast?"
"Nein."
"Zwölf Jahre! Wegen versuchtem Rufmord, illegaler Lagerung und der Verschuldung eines Sachschadens von über zweihundert Ankh-Morpork Dollar!"
Das schien eine gewisse Wirkung zu haben.
"Z-zwölf?!", rief der blasse Verhörte entsetzt.
"Ja, zwölf! Und jetzt raus mit der Sprache!"
Der junge Mann strich sich zitternd ein Haar aus dem Gesicht.
"Na- na schön. Sie müssen wissen, ich war ein Fan der Band Kinder vom Ankh, bis ich- etwas über sie herausfand."
"Was herausfand?"
"Das kann ich ihnen nicht sagen."
Bjorn ging ein Licht auf.
"Ihr flauschiges Geheimnis?"
"Oh... sie haben also eines meiner Flugblätter gefunden, nicht wahr?"
"In der Tat. Und du wolltest diese Band jetzt erpressen weil du sonst die Flugblätter verteilen würdest?" Bjorn sah seinem Gegenüber tief in die Augen.
"Nicht wirklich. Eigentlich bin ich von Jemandem angeheuert worden, sie zu verteilen."
"Und warum hast du das bisher noch nicht getan?"
"Naja... ich habe mir gedacht wenn ich sowieso von hier verschwinde nachdem mein Auftrag erfüllt ist kann ich mir genausogut erstmal die- kulturellen Angebote der Stadt anschauen."
Der Mann wurde rot.
"Verstehe", sagte Bjorn. "Und wer hat dich angeheuert?"
"Ich bin mir nicht sicher. Ich habe meine Informationen von einem Boten erhalten."
"Was ich nicht verstehe", meinte der Zwerg, "warum hat man ausgerechnet dich ausgewählt?"
Der junge Mann zögerte. "Da bin ich mir auch nicht so sicher... vermutlich weil man erfahren hat, dass ich mal ein Fan der Band war und möglicherweise über spezielles Wissen verfüge."
"Das leuchtet ein. Wusste dein Auftraggeber über deine Pläne bescheid?"
"Ich glaube nicht. Der Bote hat mir nur gesagt: 'Ruiniert die Band und ihr werdet reich belohnt- vertraut mir, mein Herr verfügt über die nötigen Mittel'. Und da habe ich eben eingeschlagen."
"Offenbar hat man wohl eher dafür sorgen wollen dass du nichts ausplauderst anstatt dich zu belohnen."
"So kommt's mir auch vor."
"Na schön. Da du dich geständig gezeigt hast, wird deine Strafe wohl doch weniger drastisch ausfallen- aber ich kann nicht dafür garantieren."
Bjorn erhob sich. Trotz dass er Jargon den Fall eigentlich alleine hatte auflösen lassen wollen, hatte er jetzt entscheidend dazu beigetragen. Er verließ den Verhörraum und wies zwei Rekruten, die davor standen, an, den Mann in eine Zelle zu bringen. Zwar war der Fall noch nicht aufgelöst, aber ein großer Schritt war getan. Der Rechtsexperte macht sich auf den Weg in sein Büro, um Jargon bei seiner Ankunft zu informieren.

"Na das trifft sich", sagte Jargon fröhlich, als ihm Bjorn von dem Verhör berichtete, nachdem der Mann gegen Abend im Wachhaus eingetroffen war.
"Ich habe nämlich herausgefunden, dass die gestohlene Gitarre den Kindern vom Ankh untergeschoben wurde und die Gürtelschnalle offenbar absichtlich am Tatort platziert wurde."
"Ach? Weißt du auch, wer dafür verantwortlich ist?"
"Einen Namen kann ich dir nicht nennen, aber ich habe eine präzise Täterbeschreibung. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass es die selbe Person ist, die du gefasst hast." Der Gefreite zeigte Bjorn eine Zeichnung, die er aus der Täterbeschreibung Alexis' angefertigt hatte.
"Aber-", entfuhr es dem Zwerg, "das ist er doch gar nicht!"
Verwundert starrte ihn sein Gegenüber an.
Bjorn grübelte kurz, dann schüttelte der grinsend den Kopf.
"Natürlich... der Kerl den wir heute inhaftiert haben sagte, er wäre von jemande angeheuert worden. Derselbe muss für den Diebstahl und den Weiterverkauf der Gitarre verantwortlich sein."
"Hm", entfuhr es Jargon. "Und wie kriegen wir raus, wer das ist?"

Bertram von Anstand saß in seinem Arbeitszimmer, weit zurückgelehnt auf seinem Stuhl und erwartungsvoll mit seinen Fingern auf den Schreibtisch trommelnd. Er wartete auf seinen Dienstboten, der ihm vom Erfolg seines angeheuerten Assassinen berichten sollte. Als es schließlich an seiner Tür klopfte, zogen sich seine Mundwinkel nach oben.
"Herein."
Sofort sah er, dass etwas nicht stimmte. Der Bote wirkte nicht wie sonst, er war durch und durch nervös.
"Und?" Bertram zog eine Augenbraue hoch.
"Es... hat nicht so recht geklappt, Herr."
"Inwiefern?"
"Der Assassine ist bisher nicht zurückgekehrt und-"
Der Mann schluckte.
"Und was?" Bertram gab sich so ruhig wie möglich.
"Naja, man erzählt sich, dass ein Haus in der Lauerstraße abgebrannt ist, und nach unseren Nachforschungen ergab sich, dass das genau das Haus ist, in dem der zu Inhumierende seinen Wohnsitz hatte."
Der Dienstbote schwitzte, sein Arbeitgeber sah im Kerzenlicht, dass seine Stirn glänzte. Aber ihm erging es nicht anders. Abgebrannt? Ausgerechnet das Haus? Wieso?
"Weiß 'man' was die Ursache für den Brand war?"
"Nein Herr. Aber man vermutet, dass in dem Keller illegale Chemikalien gelagert worden sein sollen."
"Verflucht", murmelte Von Anstand und ballte seine linke Hand zur Faust. Dann seufzte er und winkte seinen Diener davon.
Ich muss wohl anders vorgehen, dachte er.

"Na gut - was haben wir also bis jetzt?" Bjorn stand inmitten des Büros, hinter sich, an der Tür hing ein Haufen Blätter, die er und Jargon in Gemeinschaftsarbeit dort befestigt hatten.
"Zum einen- einen unbekannten Auftraggeber, der ein unbekanntes Motiv hat."
Schneidgut schrieb den Punkt auf ein frisches, sauberes Blatt.
"Einen angeheuerten Kumpanen, der das Image der Band zerstören sollte."
Auch der Punkt wurde hinzugefügt.
"Noch ein solcher, der für den Diebstahl verantwortlich sein soll und Alexander Laie die Gitarre zugeschoben hat", fügte diesmal der Rechtsexperte d.f.m.d.A.f.i.[3] hinzu.
Kurz herrschte Stille.
"Wir vermuten dann also", setzte Bjorn den Gedankengang dann schließlich fort, "dass noch weitere angeheuerte Personen im Untergrund versuchen werden, die Kinder vom Ankh zu sabotieren, mit welchen Mitteln auch immer."
"Bisher haben wir Erpressung und einen untergeschobenen Diebstahl", meinte Jargon. "Was wäre denn das nächstschlimmere Delikt?"
"Eine Entführung eventuell", vermutete der Zwerg nach kurzer Bedenkzeit. Er musterte noch einmal die Notizen an der Tür.
"Ein Mord?" Schneidgut pochte einmal mit seinem Stift an sein Kinn, hielt dann inne und meinte: "Wenn das Ziel des Auftraggebers ist, dass die Band zugrunde geht, müsste man nur dafür sorgen dass eines der Mitglieder auf... unglückliche Weise ums Leben kommt. Wenn man es dann noch wie einen Unfall aussehen lässt, gibt es auch keinen Grund, nach einem Täter zu suchen." Bjorns Sohn sah zu seinem Kollegen und nickte.
"Klingt passend-" Er kratzte sich am Helmansatz.
"Das macht das ganze auch attraktiver als eine Entführung." Nachdenklich blickte er zur Decke und meinte dann:
"Gibt es bei der Assassinengilde einen Extratarif für Morde, die wie Unfälle aussehen sollen?" Jargon lächelte schwach. "Und wohin mit der Quittung dann?"
"Das ist zwar gut gefragt, Bjorn, aber woher wollen wir wissen dass der Auftraggeber die Gilde anheuert?" Schneidgut sah über seine Notizen. "Und selbst wenn- ich bezweifle irgendwie, dass es so einen Zusatztarif gibt... wie würde für uns dann ersichtlich was passiert ist, ohne dass herauskommt dass es kein Unfall war?"
"Stimmt", brummte der Ältere. "Außerdem wäre das ganz und gar nicht der Stil der Assassinen... die würden wahrscheinlich bei laufender Vorstellung auf die Bühne hüpfen, weil es besser aussieht."
Sie sahen sich an.

"Entschuldigen sie, wenn ich nicht gleich zur Sache gekommen bin-", begann Jargon, wurde aber plötzlich unterbrochen. "Duz' mich, Herr Schneidgut. Ich kann es nicht leiden wenn mich jemand beim dritten Gespräch immer noch siezt."
Einen Moment aus dem Konzept gebracht starrte der zurechtgewiesene kurz und blinzelte.
Die Beiden saßen wieder in dem düsteren Wohnzimmer der Band. Es war etwas sauberer als das letzte Mal, aber es hing der Geruch von Rauch in der Luft. Hinter einer Wand ertönte dumpfes Getrommel.[4] Alex wirkte angespannt, das nächste Konzert sollte an diesem Abend stattfinden und er war wohl nicht sehr glücklich darüber, von der Probe ferngehalten zu werden. Schließlich fasste Jargon sich.
"Na schön, Herr Laie. Jemand hat es auf dich abgesehen", sprach er es aus und fühlte sich gleich doppelt merkwürdig. Zum einen das ungewohnte Duzen, zum anderen die Reaktion des Sängers. Alexander nickte nur ernst und brummte:
"Ich weiß." Der langhaarige "Schwer-Steiner" griff hinter sich und reichte dem Wächter einen Brief.
"Oh."
Es war ein Drohbrief - schlicht und direkt auf den Punkt gekommen. Die Essenz des Textes war: "Verschwindet von hier und ich lasse euch in Ruhe. Ansonsten Punkt Punkt Punkt" Während Jargon las lehnte sich Laie zurück und beobachtete die Reaktion des Wächters. Bevor dieser etwas sagen konnte, meldete er sich zu Wort:
"Weißt du was? Es ist mir egal."
Perplex starrte Jargon ihn an. "Was?"
"Es ist mir egal was man mir androht. Ich kam hierher, um Musik zu machen und mein Leben zu leben. Ich werde mich nicht von irgendeinem... dahergelaufenen Trottel verjagen." Er wedelte mit der Hand, als wolle er eine Fliege verscheuchen. "Heute Abend treten wir auf. Und das kann uns keiner verbieten. Wir sind die Kinder vom Ankh!"
Entsetzt angestarrt von seinem Gegenüber erhob sich Laie und verschränkte die Arme.
"Ich wünsche keinen staatlichen Schutz oder dergleichen. Das wäre ja noch schöner, wenn eine Truppe von Wächtern auf meinem Konzert auftaucht." Mit einer ruckenden Kopfbewegung forderte er Jargon dann auf, zu gehen.
"Wenn s- du stirbst, gibt es aber keine Kinder vom Ankh mehr!", argumentierte der Gefreite dagegen.
"Dann soll es eben so sein. Der alte Gevatter Tod kennt uns gut", brummte Alex. "Wenn er findet dass die Zeit für uns kommt, dann kommt sie eben."
Stumm und unschlüssig stand Schneidgut noch einen Moment in dem schwarzen, rauchverhangenen Wohnzimmer des Hauses, klein und irgendwie unwichtig wirkend vor dem zwar nicht allzu sehr größeren, aber deutlich kräftigererem und selbstbewussterem Sänger.
"Na gut", gab Jargon dann zurück. "Ich kann dich nicht zwingen." Er ging, langsam, mit einem Blick über die Schulter. Aber er ging.

Draußen war später Nachmittag, Feierabendverkehr. Die Sonne senkte sich langsam auf den Horizont herab, und die Stadt war in rotes Licht getaucht. Die Stimmung schwankte zwischen spätsommerlicher Melancholie und der Hektik von den letzten Einkäufen des Tages. Während seine Schritte von alleine den Weg zum Wachhaus zurückfanden, brütete Schneidgut über den Stand der Dinge nach. Er befand sich in einer Zwickmühle, das war klar - wenn er Alex jetzt freie Hand ließ und das Konzert einfach so, ohne wächterlichen Schutz stattfinden ließ, würde es mindestens einen Toten geben. Andererseits hatte der Sänger seine Meinung deutlich ausgedrückt: Er nahm die Verantwortung für sein Leben selbst in die Hand, das Risiko in Kauf. Aber war denn nur er betroffen? Sicher nicht. Es ging hier auch um das Wohl seiner Bandkollegen, und vor allem um das des Publikums. Laie hatte nicht das Recht das Leben dieser Menschen in Gefahr zu bringen, indem er das Konzert trotz einer Morddrohung stattfinden lassen würde. Im Kopf musste Jargon seine Äußerung von vorher korrigieren - er konnte Alex zwingen, das Konzert abzublasen.
Die kleinen, uralten Lederstiefel des Wächters hielten vor dem Schaufenster eines Teeladens inne.
Aber hätte der Erpresser damit nicht sein Ziel erreicht, die Musiker unter seinen Pantoffel gestellt? Dieser Erpresser hatte mindestens einen Menschen auf dem Gewissen, und war zudem für einen Diebstahl verantwortlich. Der Gedanken, dieser Person einen Erfolg zu ermöglichen ließ Schneidgut sich auf die Unterlippe beißen.
Er wollte einem Verbrecher nicht in die Hände spielen, aber ebensowenig wollte er das Publikum und die Musiker der Band gefährden.
Aber was konnte er tun? Den Fall an die Abteilungsleitung, oder gar an den Kommandeur weitergeben? Wahrscheinlich war das die beste Lösung, wenn man bedachte dass zum einen eine Menge Menschen potentiell gefährdet waren - und Jargon zum anderen langsam spürte, dass ihm alles über den Kopf wuchs. Von einem eher harmlosen Gitarrendiebstahl hatte sich sein erster eigener Fall als einzelner Strang in einer großen Verstrickung herausgestellt, die unter anderem den Tod von Menschen beinhaltete. Er besah sich sein Spiegelbild, die müden, grünen Augen, den ungepflegten Bart.
Wie lange ist es her, seit ich die Nacht durchgeschlafen habe?
Ein kleiner Lichtblitz blendete ihn. Seine Nackenhaare sträubten sich, und ein plötzliches, instinktives Zucken zog sich durch seine gesamte Wirbelsäule und ließ ihn sich so zu Boden werfen. Ein Knall ertönte, Glassplitter regneten herab und in wenigen Sekunden war Jargon in den schnellsten, panischsten Sprint seit Jahren verfallen.
Sie wollen meinen Kopf!
Nach einigen Sekunden panischen Rennens schaltete sich sein verstand ein.
Wer will meinen Kopf? Ein Blick über die Schulter zeigte ihm nichts als eine dunkle Gasse, aus der der letzte Rest Tageslicht schwand. Er lief weiter. Alexi wohl kaum. Es muss ein Auftragskiller von dem großen unbekannten Auftraggeber sein!
Sein Gefahreninstinkt sagte ihm, dass er noch nicht entkommen war. Unglücklicherweise musste er jetzt die Ponsbrücke überqueren, was zwar zum einen die Anzahl möglicher Verstecke für einen Schützen verringerte, aber gleichzeitig auch seine eigene Deckung gleich null setzte.
Hier warten war allerdings auch keine Option - er musste hoffen, dass er es nicht mit einem Assassinen zu tun hatte.
So schnell er konnte sprintete er los, schlug Haken, huschte zwischen Menschen durch und hoffte allgemein, schnell genug zu sein. Er sah nicht über die Schulter, ließ sich ganz von seinem Fluchtgefühl treiben und kombinierte es mit seiner langen Erfahrung im Weglaufen. Zurückblicken war nie eine gute Idee. Während er rannte wurde ihm klar, dass er gerade einen Verdächtigen verlor - und eine Person, die höchstwahrscheinlich mitverantwortlich für den geplanten Anschlag war.
Jargon hechelte, schlug einen Kreis um einen Block und stellte fest, dass sein Gefahreninstinkt ihm sagte, dass er nicht mehr verfolgt wurde.
Er wurde langsamer, sah sich jetzt doch um und schnappte nach Luft. Die Zahnräder in seinem Kopf drehten sich.
Verdammt!, dachte er. Dann sah er sich unentschlossen um, zog sein Schwert und eilte - vorsichtig - zurück zu der Hausecke, von der er gerade gekommen war. Verdammt nochmal Jargon!, schalt er sich selbst, Ich bin Wächter, kein Opfer! Ich renne nicht weg, ich nehme Leute fest!
Er sah nach links und rechts und hielt Ausschau nach der Person, die ihm Alxender Laie vor nicht allzu langer Zeit beschrieben hatte. Die Straße war fast leer, einige wenige Passanten waren entweder auf dem Weg zum Pseudopolisplatz oder zur Glatten Gasse. Im Abendlicht war nicht viel zu erkennen, aber keine der Gestalten sah der ungefähren Beschreibung entsprechend aus. Hatter er den Verdächtigen verloren? Oder lauerte der Mann noch auf ihn?
Seine Nackenhaare blieben schweißverklebt liegen wie sie waren. Sein Instinkt sagte ihm nichts.
Jargon schämte sich.
Ich bin auf offener Straße attackiert worden, und mein erster Reflex war das Weglaufen. Ich habe nicht einmal versucht, mich zu wehren. Er wischte sich Schweiß aus dem Gesicht und befummelte unsicher den Schwertgriff, während er immer noch im Schatten der Hausecke stand, wild Ausschau nach jemand Verdächtigem haltend. Er spürte die Wut auf sich selbst aufsteigen, fuhr sich durch die Haare und rupfte an ihnen, als wolle er seine Feigheit ausreißen.
Ich feiger Vollidiot!
Er atmete noch ein paar Male durch, dann schob er das Schwert zurück in die Schwertscheide und machte sich auf dem Weg zum Wachhaus, noch immer die Umgebung beäugend. Als er den Blick zum Wachhaus richtete, erblickte er Damien und Chi, die gerade ihre späte Streife begonnen hatten. Er fühlte sich fruchtbar, beschämt, unfähig als er ihnen entgegenlief. Sie grüßten mit Handzeichen, und er kam auf sie zu.
"Was gibts, Schneidgut?", fragte ihn der Ranghöhere und Jargon salutierte.
"Ich..." Er zögerte. Wie käme das, wenn er sagte, er wäre angegriffen worden - und davongelaufen? Nein, er behielt es lieber für sich. "Ich hätte da eine Bitte an euch", sagte er stattdessen und kramte nach dem Phantombild.
Bleicht zog eine Braue hoch und besah sich dann das Bild.
"Falls euch dieser Mann über den Weg läuft- ähm- er ist der Hauptverdächtige in meinem Fall im Moment." Er befeuchtete nervös die Lippen.
"Hm. Kein Name?"
Schneidgut schüttelte den Kopf. "Das ist alles was ich von ihm habe."
Der Lance-Korporal nickte. "Wir werden Ausschau halten. Aber versprich dir nicht zuviel." Er musterte die Zeichnung noch einmal. "Wofür wird er beschuldigt?"
"Unterschieben von Beweismitteln und Diebstahl."
"Klingt ja irgendwie harmlos für jemanden mit diesem Gesicht."
"Ja, er- er soll recht gefährlich sein."
Damien musterte jetzt den Gefreiten.
"Ist alles in Ordnung?"
Jargon bemerkte, dass er wohl noch immer recht außer Atem wirken musste.
"Ja, sicher." Ein nervöses Lächeln durchzog kurz sein Gesicht. "Ich brauche nur meinen Feierabend."
Sie verabschiedeten sich, und er brachte den restlichen Weg zum Wachhaus hinter sich. Es war nun schon fast dunkel. Drinnen brannten bereits die üblichen Bratfettkerzen, die den Tresen in ein schummriges Licht tauchten, eigentlich kaum zum Schreiben für den Tresendienst geeignet.
Die Uhr zeigte halb sieben. Das Konzert würde in einer Stunde beginnen.
Und Jargon hatte noch immer keine Ahnung, was er denn eigentlich tun sollte.

Dein beflecktes Fleisch, deine verschmutzte Seele sehe ich durch den Spiegel
Schlage zu, Scherben bluten auf den Boden
Zerreissen mich, aber es kümmert mich nicht mehr
Soll ich bereuen oder mich fragen
Bin ich endlich tot?


Alexander Laie brüllte die letzten Worte, seine Bandkollegen ebenso. Er fühlte die Hitze, das kochende Blut in seinen Adern dass er immer spürte wenn sich der Auftritt dem Höhepunkt näherte.
Die Gitarre schwang und zitterte in seinen Händen, von der magischen Macht durchströmt, die ihr ihren ganz eigenen Klang verlieh. Der Boden bebte von den Schlägen der Basstrommel, die in Zweiunddreissigsteln virbrierte.
Die Meute vor der Bühne tobte und tanzte, warf ihre Köpfe und Körper hin und her und oft auch gegeneinander. Schmerz, Geschwindigkeit, Lärm, Melodie, Bass ließ die Körper der Menschen schwingen und versetzte sie in Ekstase.
Der Augenblick war fast perfekt, aber noch nicht ganz- es fehlte noch etwas. Schmier Schneidauge, ehemaliger Assassine und unlizensierter Auftragskiller, stand ganz hinten im Publikum und wartete auf den perfekten Moment. Seine Hand hielt einen Degen, sein Gesicht war von einer bleichen Keramikmaske verdeckt. Er fiel nicht auf. Die Menge war von der Musik und den magischen, blinkenden Entladungen der Gitarre viel zu sehr eingefangen - und er wäre wohl auch so, ganz in schwarz gekleidet und maskiert, nicht aufgefallen.
Das Lied endete nach einem kurzen Gitarrensolo. Alexi warf seinen Kopf nach hinten und spuckte Schleim aus dem Hals an die Decke. Dass er von dort wieder geradewegs in sein Haar zurückfiel, merkte er nicht.
"Und jetzt", brüllte er, "In dein Gesicht!"
Er spielte das Eröffnungsriff.
In dein Gesicht, dachte Schmier und grinste. Das passt. Er begann, sich durch die Menge nach vorne zu drängen.

Kuck mich an, was siehst du?
Noch eine Trophäe, ein verdammter lebender Toter
Schließ deine Augen, geh einen Schritt mit mir
Du scheinst tot, aber es ist nicht zu spät
Abnormalität zu Beweisen
Ist nicht das was du Realität nennst
Aber du vergisst immer,
Was ich dir schon immer mal sagen wollte!


Schneidauge genoss den Augenblick. Er stand direkt vor der Bühne, noch völlig unbemerkt, und hatte de Degen bereit. Im rechten Augenblick würde er auf die Bühne springen und, voller Stil, die Klinge durch das Herz Alexanders zu bohren.
"DAS KÜMMERT MICH EINEN SCHEIß!"
Laie brüllte und hob die noch schwingende, kreischende Gitarre an beiden Händen hoch über seinen Kopf.
"DAS KÜMMERT MICH EINEN SCHEIß, ARSCHLOCH!"
Schneidauge sprang und ließ den Degen in einer vielgeübten Bewegung mit dem Ellenbogen nach hinten gleiten, bereit, zuzustechen. Und Alexander ließ die Gitarre herabsausen.
Das Krachen war ohrenbetäubend, magische Entladungen sprangen von der Gitarre wie Blitze. Alle anderen Bandmitglieder hörten gleichzeitig auf zu spielen, das Publikum schrie vor Schreck auf - Alexander auch. Der Degen fiel pochend auf die Holzplanken der Bühne. Laie lachte plötzlich, als der schwarzgekleidete Killer der Länge nach umkippte, zurück ins Publikum. Selbiges streckte die Hände nach oben, um seinen Sturz abzufangen.
"Dieser Kerl", rief Laie und hob seine zerschmetterte Gitarre hoch. "Hat mir das hier verkauft, glaube ich." Er besah sich sein ehemaliges Instrument. "Jetzt hat er es zerstört- indirekt jedenfalls." Die Menschen (und Trolle, und Zwerge, und ein paar Zombies) im Publikum riefen Buh- und Jubelrufe. Keiner wusste genau ob das Ganze jetzt gut oder schlecht war.
"Er ist ein Mistkerl!", rief Alexander dann. "Schmeißt ihn raus!"
Der Mann wurde von den vielen Händen der wogenden Menge zum Fenster bugsiert und wurde mit Schwung und einem schrillen Krachen hindurchgeschleudert. Der Maskierte landete im Dreck und rührte sich nich.
Keine fünf Sekunden später wurde die Tür nach draußen aufgestoßen und mehrere Personen eilten zu dem am Boden liegenden Mann. Trotz seiner offensichtlichen Ohnmacht wurden ihm Handschellen angelegt.
"Das erklärt, warum wir keine verdächtigen Konstruktionen oder Sprengstoff gefunden haben", brummte Norti und warf einen missmutigen Blick in Richtung des zerschmetterten Fensters, aus dem wieder der Lärm der Musiker dröhnte - jetzt freilich ohne magische Verstärkung.
"Für einen Assassinen gehört sich das natürlich nicht."
"Ob..äh...lizensiert oder, ähm, nicht." Braggasch beendete die Suche nach einer offiziellen Assassinationslizenz. Er hatte keine gefunden.
"Also gehört der Mann nicht zur Gilde." Araghast nahm endlich den Bolzen von seiner Armbrust und entspannte die Sehne. "Na schön." Er trat näher an den Liegenden heran und hievte ihn hoch. "Mir wäre es trotzdem lieber gewesen, wir hätten ihn früher ausfindig gemacht. Wenn dieser..." Er gestikulierte. "Musiker da drin nicht seine komische Schau abgezogen hätte, wäre er jetzt doch-" Er zögerte kurz. "So wie er es sich gewünscht hätte gestorben."
Sie verluden den (noch lebenden) Verdächtigen auf den Einsatzwagen.
"Wie dem auch sei- Herr Schneidgut hat einiges zu erklären."
Die beiden Zwerge - vor allem Braggasch - schwiegen.

Es herrschte drückende Stille in der Kantine. Jargon saß allein an einem der Tische und trank Kaffee, was seine Nervosität nicht viel besser machte. Seit er dem Kommandeur unter vielem Stottern und Erröten von dem Drohbrief erzählt hatte, war sein Puls kaum wieder ruhiger geworden. Natürlich hatte er nur das Richtige getan. Dessen war er sich klar. Es war das einzig richtige gewesen, FROG in Kenntnis zu setzen. Was ihn störte war die Tatsache, dass er selbst nicht mitgenommen worden war.
Ein Einsatz, bei dem Wächterleben in potentieller Gefahr schwebten, sollte nur die Wächter beinhalten, die etwas wichtiges Beitragen konnten. Jargon konnte außer einem hastig gekritzelten Phantombild nun mal nichts weiter beisteuern und war deshalb zurückgeblieben.
Er kaute sich auf der Unterlippe herum, schrieb und schluderte irgendwas auf ein Blatt Papier und warf selbiges dann von sich. Er stützte den Kopf auf seine Hände. Er stierte an die Wand, seine Füße zuckend im Takt von Folge dem Schnitter, das er seit dem Kinder vom Ankh-Konzert im Kopf hatte.

Jetzt, da deine schwankende Klinge
meine Tränen und Trauer wegwusch,
Werde ich nie zu dieser Linie zurückkehren.
Ich schwöre auf den Tod


Er hörte den Karren einfahren. Das Klappern der Hufe und das Knarren des Tors klang in der Nacht merkwürdig laut, die Stimme des Kommandeurs drang durch das geöffnete Fenster des Speisesaals, als er kurze Befehle gab.
Jargon erhob sich sofort und eilte durch die Küche in den Innenhof. Im Fackellicht erkannte er, wie Braggasch und Norti den Gefangenen in Richtung Eingang bugsierten und der Kommandeur auf ihn zumarschierte. Schneidgut schluckte.
"Gefreiter Schneidgut-", sagte Breguyar, "mach für heute Feierabend."
"Ähm-"
"Für eine Vernehmung ist morgen auch noch Zeit." Araghast deutete eine Kopfbewegung in Richtung der Zellen an. "Außer ihm ist niemand verletzt worden. Zum Glück für diesen- Kinder vom Ankh-Kerl."
Er atmete kurz durch. Jargon schwieg und fragte sich, ob das alles war.
"Verschwinde jetzt. Du siehst aus, als hättest du schon eine Weile nicht mehr richtig geschlafen." Der Kommandeur schien ihn mit dem verbliebenen Auge zu hypnotisieren. Jargon nickte stumm und ignorierte den Teil seines Hirns, der ihn dazu bringen wollte zu sagen, dass man das bei dem schlechten Licht kaum erkennen konnte.
"Ja, Sör."
Und er ging heim.



Das spärliche Licht, das durch das Kellerfenster fiel, beleuchtete die Staubflocken, die durch die Luift wirbelten. Sie stammten von dem Buch, das Jargon gerade auf den Tisch fallen lassen hatte. Es war sehr groß, sehr schwer und umfasste etwas mehr als viertausend Seiten.
"So, Herr Gefangener", sagte Jargon und setzte sich. "Das hier ist die erste Ausgabe von Recht und Gesetz - Eine geschichtliche Zusammenfassung."
Er blickte in die Augen des Mannes, der ihm gegenüber saß. Sein Gesicht ähnelte dem, das Jargon in seinem behelfsmäßigen Phantombild festgehalten hatte, ziemlich. Die Narbe auf seiner Wange war eher krumm anstatt, wie auf dem Bild dargestellt, von der Kieferkante unter das Augenlid zu reichen. Außerdem hatte er eine große Beule auf der rechten Seite der Stirn. Jargon hatte von Braggasch erfahren, woher sie stammte, und bei näherem Hinsehen schien sie in merkwürdigen Farben zu schimmern.
"Und?"
Die Stimme des Mannes war tief, kratzig, wie erwartet. Und ruhig. Die übertriebene Selbstsicherheit schien fast von seinen Schultern zu schwappen, als er sich zurücklehnte.
"Wollen sie mir jetzt Angst machen, indem sie mir mit der Todesstrafe drohen? Damit, mich der Assassinengilde zu übergeben? Oder dem Patrizier vielleicht?"
Er gab ein verächtliches Grunzen, ein unterdrücktes Lachen von sich, das er oft geübt haben musste. Seine von Handschellen auf den Rücken gefesselten Hände bewegten sich kurz, Metall klirrte.
"Ich habe schon lang keine Angst mehr vor dem Tod." Seine Augen fixierten Jargon, suchten Augenkontakt. Schneidgut schlug stattdessen das Buch auf.
"Wenn ich das hatte tun wollen, hätte ich dieses Buch gebraucht. Nein, alles was wir hier tun werden, ist, ihre Straftat zu definieren und iihr Strafmaß festzulegen. Da sie ihren Namen nicht nennen wollen, hätte ich-" Er hielt beim Blättern inne, als er unterbrochen wurde.
"Mein Strafmaß? Ich habe versucht, einen unlizensierten Mord zu begehen, ich weiß, womit-" Diesmal unterbrach Jargon ihn.
"Das normalerweise bestraft wird?" Jargon blätterte ungerührt weiter. "Das weiß ich auch. In den meisten Fällen entschließt man sich auf das Drängen der Assassinengilde dazu, den Verhafteten ihrer internen Justizvollstreckung zu übergeben."
"Was soll das heißen, in den meisten Fällen? Das wird so gemacht, und ich-" Er hielt inne, und dann schwieg er plötzlich.
"Was wollten sie sagen?"
Jargon musterte das Gesicht seines Gegenübers interessiert und gespannt. Wieder klirrten die Handschellen. Die Augen des Mannes funkelten, in dem fahlen Kellerlicht erkannte Jargon die Augenfarbe, ein farbloses Grau. Der Mann schwieg, und strahlte etwas aus, was Schneidgut nicht definieren konnte. War es Unsicherheit? Eine stumme Drohung? Überspieltes Amüsement? Seine Nackenhaare stellen sich auf, und er griff unter der Tischplatte nach seinem Schwertgriff.
"Nichts."
Stille. Jargon wusste nicht, was er tun sollte. Weiterreden? Aufstehen, und die Fesseln kontrollieren? Er wusste, er hätte warten sollen, bis Bjorn - oder ein anderer Wächter, der bereit war mit him das Verhör durchzuführen - da war. Er hatte keine Ahnung wie er diesen Mann einschätzen sollte. War es nun ein gerissener, ehemaliger Assassine? Oder einfach nur ein größenwahnsinniger Killer?[5]
Er riss sich zusammen. Es gab keinen Grund, warum dieser Kerl noch zögern sollte, sich auf ihn zu stürzen, hätte er sich befreit.
"Also. In den meisten Fällen." Jargon sah in das Gesicht seines Gegenübers, das keine Regung zeigte.
"Aber", sagte er dann und folgte einer plötzlichen Eingebung, "in ihrem Fall ist das Strafmaß noch unklar. Wer soll mir sagen, dass sie tatsächlich einen Mord begehen wollten? Es könnte genauso gut sein, dass sie einfach ein begeisterter Zuschauer waren, der den unglücklichen Fehler beging, im falschen Moment-"
"Nein! Ich wollte ihn umbringen!" Die Gesichtszüge entgleißten dem Kerl, er hatte die Zähne aufeinandergebissen und wippte vor und zurück. "Ich hatte meinen Degen dabei! Ich wollte ihn in sein Herz bohren!"
"Ach so?" Jargon lehnte sich zurück. Grübelnd. Herr Auftragskiller schien es recht eilig zu haben, der Assassinengilde ausgeliefert zu werden.
"Ja!"
"Und das soll ich ihnen einfach so abnehmen? Mir scheint, ich sollte eher ein püschologisches Gutachten einholen, um festzustellen, dass sie bei dem Bühnenunfall keinen mentalen Knacks erlitten haben." So langsam machte ihm die Sache Spaß.
"Warum tun sie das? Warum liefern sie mich nicht einfach aus, damit das ganze schnell erledigt ist?" Der Festgenommene schien verzweifelt.
"Wie wäre es, wenn sie mir zuerst einmal ihren Namen sagen, bevor sie hier Forderungen stellen und voreilige Geständnisse ablegen?"
Der Mann starrte ihn fassungslos an. Jargon beugte sich etwas vor.
"Je nachdem- wenn sie wirklich ein so gefährlicher Verbrecher sind, uns bekannt und vorbestraft, könnte das ihr Strafmaß-"
"Schneidauge." Der Man sah ihn an und wirkte etwas beherrschter, aber immer noch sehr angespannt. "Schmier Schneidauge. Ich werde von der Assassinengilde gesucht, bin ein ehemaliger Absolvent und habe mich selbstständig gemacht." Er starrte in Jargons Gesicht. "Die Regeln und die Abgaben stanken mir." Er sah zur Tür und zum Fenster, lehnte sich etwas nach vorne. "Ich bin mir sicher, Lord Witwenmacher wäre sehr erfreut, wenn die Stadtwache mich ausliefert, und würde sich... erkenntlich zeigen."
Einen Moment lang steckten Jargons Gedanken in einer Sackgasse, ob dieses merkwürdig verdrehten Verhörs.
"Nun mal langsam, Herr Schneidauge", sagte er. "Sie können viel behaupten, aber-"
"Schicken sie doch einen Klacker! Ich garantiere ihnen, dass man mich dort tot sehen will."
Na gut, dachte Schneidgut. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich ihn ausliefern soll oder nicht. Entweder hat er dort einen Komplizen oder Verbindungen, die ihn rausholen würden... oder er spielt das hier vor, damit ich das denke und ihn nicht ausliefere.
Er sah zur Tür, dann wieder zu Schmier. Der Mann schwitzte. Wenn ich jetzt eine Klackernachricht schicke, oder eine Taube, wird die eventuell abgefangen oder anderweitig blockiert... vielleicht weiß man schon, dass er hier ist...sollte er tatsächlich Verbindungen haben.
Schneidgut leckte sich über die Lippen. Vorerst entschied er sich dagegen, eine Nachricht zu verschicken.
"Herr Schneidauge", begann er wieder, "haben sie irgendeine andere Möglichkeit, sich zu identifizieren?" Die Daumen des Gefreiten pochten sacht auf die Tischplatte. "Durch irgendeinen Auftraggeber vielleicht? Sie sagten ja bereits, dass sie sich 'selbstständig' gemacht haben, wie sie es nennen."
Der Auftragskiller starrte zu Boden und schien mit sich selbst zu ringen. Na schön... legen wir die Karten auf den Tisch, dachte Jargon.
"Wenn sie ein umfangreiches Geständnis ablegen, bin ich bereit, all meine Mittel zu nutzen um eine Auslieferung an die Gilde zu veranlassen."
Schmier konnte nur grinsen. "Also sagen sie mir, dass sie mir mit einer Gefängsnisstrafe drohen, wenn ich nicht geständig bin? Anstatt mir die schlimmere Strafe zu geben?"
Jargon sah ihn an und wurde sich bewusst, dass er die Auslieferung nicht veranlassen können würde, wenn er wusste, dass er Schneidauge damit die Flucht ermöglichen würde. Es würde sein Pflichtbewusstsein verletzen.
"Das kommt drauf an, was für sie die schlimmere Strafe ist."
Schneidauge schüttelte nur den Kopf und lehnte sich zurück. "Ich sag kein Wort mehr."
Ich hätte damit rechnen sollen. Na gut, dann kriegt er, was er verdient.
"Sie sind nicht geständig."
Schmier nickte. "Nicht ohne meinen Anwalt."
Jargon erhob sich und bewegte sich richtung Tür. "Ich werde ihnen einen-"
"Nein. Ich habe einen."
"Oh." Schneidgut hielt inne und holte dann ein Blatt und einen Stift hervor. "Wie ist sein Name?"

Von Anstand, in seine beste Reisekleidung gehüllt, stand im Innenhof seines Anwesens. Sein letzter Diener hatte die Kutsche bereits vorbereitet und die nötigsten Sachen gepackt. Bertram sah noch einmal zurück. Es war alles schief gelaufen. Nicht einmal der 'Untergrund'-Assassine, den sein Spion aufgetrieben hatte, war fähig gewesen, diesen Schmutzfleck aus der Stadt zu tilgen, der sich Kinder vom Ankh nannte. Er hatte nicht gewusst, was ihn dazu verleitet hatte, sich so sehr auf diese Gruppe an Individuen zu versteifen anstatt die kleinen Partikel auszumerzen, die in Zusammenarbeit die Kultur der Stadt zunichte machten. Womöglich die geradezu freche Art und Weise, auf die sie seine früheren Drohungen ignoriert hatten.
Nun, es war zu spät. Der Großteil seiner Dienerschaft war schon entlassen und mundtot gemacht worden - die Dümmeren mit Geld, die Klügeren durch den inoffiziellen Auftragskiller. Die Assassinengilde hatte die Zusammenarbeit verweigert, nachdem ihr Mitglied bei dem Feuer ums Leben gekommen war und er sich weigerte, eine Entschädigung zu zahlen, weil er nicht auf eventuelle Gefahren hingewiesen hatte.
Jetzt war vermutlich auf seinen eigenen Kopf eine nicht gerade geringe Summe ausgesetzt, und die Stadtwache würde ihn auch bald suchen. Schmier Schneidauge hatte keinen Grund, die Idendität seines Auftraggebers lange zu verheimlichen, wenn er dadurch eine geringere Strafe in Aussicht hatte.
Und jetzt wurde er, Bertram von Anstand, selbst nur darauf bedacht, die wertvollen Traditionen und Kulturellen Merkmale Ankh-Morporks mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten, selber zu einem Verräter an seiner Heimatstadt.
Er seufzte. Nun, zumindest wusste er, dass die Traditionen in Überwald in Ehre gehalten wurden.

Papier raschelte. Jargon und Bjorn saßen nebeneinander an dem Tisch in Raum 004 und sahen dem Anwalt Schneidauges zu, wie er einen kleinen Stapel von Blättern vor sich hinschichtete.
Der Mann hieß Zurecht Traufe, und er wirkte um ein vielfaches professioneller als jeder Pflichtanwalt, den Jargon zur Verfügung hättte stellen lassen.
"Meine Herren", sagt er und las von dem Blatt vor sich ab, "mein Mandant, Schmier Schneidauge, behält sich jede Aussage vor, die ihn belasten könnte, nach Paragraph-"
"Wir wissen Bescheid, danke", unterbrach ihn Bjorn. "Soweit brauchen wir kaum noch Aussagen. Wir haben mehrere Zeugen, die Bezeugen, dass er Alexander Laie eine zuvor gestohlene Gitarre verkauft hatte, und dass er bei einem Konzert versucht hat, selbigen mit einem Degen zu ermorden. Ohne Lizenz." Er lehnte sich etwas zurück. den Daumen an das Kinn gelegt und sah kurz zu Jargon, der nickte.
"Welche Zeugen wären das?" Traufe lehnte sich vor, lächelnd.
"Mehrere Besucher des Konzertes von vorgestern, unter anderem drei Stadtwächter-"
"Nicht zu dem", der Anwalt machte eine Anführungszeichen andeutende Geste, "'Mordversuch'. Zu dem Diebstahl."
"Nun, das wären wohl..." Jargn sah auf seine Notizen. "Sail Lassfallen, Jockel Verratekeinen, Janni Williams und Henker Seppala. Wie ich finde,-"
"Also alles Mitglieder der Band, nicht wahr?", unterbrach Traufe.
"...ja", antwortete der kleine Mann zögerlich und bekam ein ungutes Gefühl.
"Also alle Befangene, nach Absatz 24 im Strafgesetzbuch der Stadt Ankh-Morprok. Mitglieder in einer Gesellschaft, die sich dadurch auszeichnet, einen gewissen Zusammenhalt zu pflegen, fallen im Fall einer Zeugenaussage, die einen Fall betrifft, bei dem es um eine Person aus ihrer eigenen Gesellschaft-"
"Schon gut, wir verstehen!", unterbrach ihn Bjorn.
Es war kurz still.
"Können sie weitere Zeugen oder Beweise vorweisen?"
"Ja", sagt Bjorn knurrig, was Jargon überrascht in seine Richtung blicken ließ.
"Dieses Gutachten", er legte eine Mappe auf den Tisch. "Es beweißt, dass die Vitrine, in der die Gitarre aufbewahrt worden war, von einem scharfen, metallenen Gegenstand zerstört worden war. Wie zum Beispiel mittels des Degens, den ihr Mandat auch bei dem Konzert mit sich führte."
Zurecht wirkte leicht überrascht. "Die... wächterlichen Gutachter müssen eine hervorragende Fachkenntnis haben."
Der Zwerg nickte. "An den Rändern der Scherben, durch die der Einschlag erfolgte, fanden sich Spuren von schwarzem Abdeckpulver, dass in geringer Menge auch auf dem Degen gefunden wurde."
Jargon wurde klar, dass Bjorn seinerseits weiter ermittelt hatte. Offenbar war SUSI später doch fähig gewesen, Beweismittel vom Tatort zu sammeln.
"Diese Pulver wird benutzt, um eine Lichtreflexion von der Waffe zu verhindern, wenn es um Auftritte von höherer Diskretion geht." Der Zwerg wirkte zufrieden.
"Dieses Mittel hätte von jedem benutzt werden können-"
"Nicht in diesem Fall." Noch eine Akte landete auf dem Tisch. Obergefreiter Bjornson lief zur Höchstform auf. "Es stammt nämlich unzweifelhaft aus den Lagern der Assassinengilde, auf die nur Mitglieder selbiger Zugriff haben. Und wie Herr Schneidauge freundlicherweise schon gestanden hat, ist er ein ehemaliges Mitglied selbiger. Und dies hier-"
Eine weitere Akte klatschte auf billiges Plattenholz. "Ist eine veraltete Akte zu einem unlizensierten Diebstahl in der Assassinengilde. Wo eine nicht unwesentliche Menge an Material an jenem Tag aus den Lagern entfernt wurde, an dem ein gewisser Student Schneidauge aus den Büchern gestrichen worden war."
"Woher weißt du denn jetzt das?", entfuhr es Jargon.
"Damien war nicht untätig", brummte ihm Bjorn zu.
Das Herz beider Rechtsexperten schlug schneller als sonst, während Zurecht Traufe in seinen Unterlagen wühlte und sein Gesichtsausdruck langsam immer verkniffener wurde.
"Nun", murmelte er dann, und lies das Wühlen sein, "ich schätze, das muss dann der Richter entscheiden."
"Jetzt haben wir also den Vorwurf des Diebstahls, der Unterschiebung von Beweismitteln und des versuchten Mordes. Jedenfalls sind das die aktuellen, bekannten Anzeigen." Bjorn grinste. "Ich bin mir sicher, wir finden noch einige anderen, ungeklärte Fälle, die wir Herr Schneidauge zuweisen können."
Traufe schwieg. Dann wandter er sich an seinen Mandanten, und die beiden verfielen in das bekannte Anwalt-Mandantengetuschel. Nach kurzer Zeit verstummten Beide, und Schneidauge nickte.
"Mein Mandant möchte sich als Kronzeuge bereitstellen."
Die beiden Wächter sahen sich an. Dann fragte Jargon: "In was für einem Prozess?"
"Der Prozess gegen Bertram von Anstand."
Die Wächter verstanden.

Und, wie es so kam, gab es keinen Prozess gegen Bertram von Anstand. Der Mann war schon weit weg geflohen, und niemand wusste etwas. Seine Dienerschaft war ebenfalls unauffindbar, wenn ihre Namen denn irgendwie ermittelt werden konnten.
Sein Herrenhaus wurde durchsucht, und man fand auch die nötigen Beweise, um festzustellen, was vorgefallen war:
Von Anstand, ein Liebhaber der traditionellen Kultur, verabscheute alles, was die neuen Entwicklungen der Stadt brachten und tat alles, um sie zu unterbinden, was in seiner Macht stand. Zu Beginn vor allem durch Bestechung und Drohungen, später uferte es dann in der Anheuerung Schneidauges aus, der aussagte den Diebstahl und Verkauf der Gitarre und den Mordversuch auf Alexander Laie durchgeführt zu haben. Trotz den Zweifeln Jargons wurde er vom Richter der Assassinengilde übergeben, und man hat seitdem nichts mehr von ihm gehört.
Die Kinder vom Ankh, die eine Geldstrafe wegen der Zerstörung fremden Eigentums zahlen mussten, blieben noch eine Weile in der Stadt, bis sie irgendwann weiterzogen.
Der junge Mann (namentlich Nifel Grunzer), wurde zu gemeinnütziger Arbeit und einer Geldstrafe verurteilt.

***


Es war der Abend nach der letzten Grichtsverhandlung. Jargon und Bjorn waren gerade ins Wachhaus zurückgekehrt, die schweren Gesetzbücher unter den Armen, und stiegen die Teppe hinauf.
"Und?", meinte Bjorn, "was meinst du? Ist der Job des Rechtsexperten was für dich?"
Schneidgut schwieg kurz, während sie den spärlich beleuchteten Gang zu ihrem Büro entlangliefen.
"Es ist sehr... kompliziert", meinte er dann und folgte seinem Kollegen nach drinnen.
"Normalerweise", der Zwerg ließ seine Bücher auf die Schreibtischplatte fallen, "ist es etwas einfacher." Er sah zu Jargon, der aus dem Fenster starrte.
"Der Fall hier ist um einiges größer geworden, als es zuerst schien. Die ganze Sache mir Schneidauge und diesem Von Anstand war eigentlich gar nicht mehr dein Fachbereich."
Mit einem Seufzen sah Bjorn auf seinen Schreibkram.
"Beim nächsten Fall holst du dir Hilfe, ja? Die ganze Sache ist dir dann doch ein wenig über den Kopf gewachsen, glaube ich."
"Ja", murmelte Schneidgut. "Spätestens als ich das Verhör alleine durchführen wollte... gut, dass du später dazugekommen bist."
Sein Ausbilder nickte und lief zu ihm herüber.
"Du hast dich trotzdem ziemlich gut geschlagen. Was den Rechtsexperten angeht, bist du glaube ich mittlerweile fertig ausgebildet. Du brauchst nur noch etwas... grundsätzliche Erfahrung."
Jargon nickte bedächtig. "Du hast wohl recht."
Er schloss das Fenster, durch das erste herbstliche Nebelschwaden ihre Finger schlängelten.
Dann gähnte er.
"Wird Zeit, dass ich ins Bett komme."
[1] Niemand weiß, warum sich dies durchgesetzt hatte, aber einige der Fans meinten, es verleihe dem Ganzen 'ein besonderes etwas'.

[2] ein Schwarzer.

[3]  "der fast mit der Ausbildung fertig ist"

[4]  Was ein Zeichen dafür war, dass das Wohnzimmer über eine bessere Schallisolierung verfügte als der Proberaum. Vermutlich Absicht.

[5] Und - gibt es da überhaupt einen Unterschied?

Zählt als Patch-Mission für den Rechtsexperte-Patch.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

15.7.2013

Hat mir gut gefallen. Du hast einen schönen Schreibstil, so leicht und unprätentiös, angenehm runterzulesen. Der behandelte Fall war logisch nachvollziehbar, wenn mir das Motiv auch ein klein Wenig zu schwach für den Aufwand erschien. Aber das war trotzdem ok. Wenn ich die Single nochmal durchdenke, dann sind es vor allem viele Kleinigkeiten und Details, die sie so besonders machen. Vor allem die eingeschobenen Liedtexte geben ihr Würze. Und die spontane Gefahrenreaktion Jargons war wieder grandios. :-) Weiter so!

Von Rea Dubiata

13.7.2013

Schöne Geschichte. ich finde, dass dein Stil noch etwas ausbaufähig ist. Manche Sätze wirken etwas stockend. Aber das kommt durch Übung. :)

Von Valdimier van Varwald

31.8.2013

Dein Schreibstil ist gut und flüssig zu lesen. Leider ließ der Plot etwas an Spannung vermissen und wirkte auf mich im insgesammten, doch etwas zu glatt. Aber trotzdem noch eine nette Geschichte. Ob Bregs aber wirklich mit der Armbrust arbeiten würde, tue ich mal bezweifeln ;)

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