Die Suche nach einer neuen Trolldroge konfrontiert Opal mit seiner Vergangenheit... und mit vielen Herausforderungen. (Wichtelgeschichte)
Dafür vergebene Note: 13
Ein alter Witz auf der Scheibenwelt geht so: „Woran kann man in Ankh-Morpork die Intelligenz einer Kreatur messen?“ Worauf die Antwort lautet: „An der Geschwindigkeit, mit der sie sich auf das Stadttor zu bewegt.“
[1] Natürlich ist das eine grobe Vereinfachung. Vampire zum Beispiel würden die Stadt immer auf dem direkten Luftweg verlassen, statt den Umweg über ein Stadttor zu wählen. Dennoch ist es eine Tatsache, dass die Metropole in Bezug auf Lebenskomfort irgendwo zwischen „aktiver Vulkan“ und „Grund des Ozeans“ rangiert. Wer hier wohnt – egal, zu welcher Spezies er gehört – sucht meistens nach Gelegenheiten, zu vergessen, dass er hier wohnt. Insofern wäre eine treffendere Antwort auf die Frage vielleicht: „An der Menge von Rauschmitteln, die seine Spezies entwickelt hat.“
[2] Tatsächlich kennt jede intelligente Spezies der Scheibenwelt, und nicht nur solche, die in Ankh-Morpork leben, ihre eigenen bewusstseinsverändernden Substanzen. Was den Menschen Alkohol oder Sumpfkrautrauch ist, ist den Zwergen ihr Stollenblätterpilz oder... mehr Alkohol. Vampire genießen zur Entspannung einen der oben genannten Menschen oder Zwerge, und Gerüchten zufolge gibt es sogar geheime Golemtreffen, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig psychedelische Gedichte und Cocktailrezepte in den Kopf stecken.
Auch Trolle kennen eine Vielzahl von Drogen - und da leider mindestens die Hälfte von ihnen eine gesteigerte Aggressivität zur Folge haben, legt die Stadtwache Wert darauf, über alle aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet stets auf dem Laufenden zu sein. Für die verschiedenen Abteilungen ist dies immer eine willkommene Gelegenheit, sich über Zuständigkeiten zu streiten: SEALS fühlt sich für die Dealer und den Straßenhandel, RUM für die Beschaffungskriminalität und DOG für die Ermittlung der Hintermänner zuständig, SUSI brennt darauf, die Wirkung und Zusammensetzung der Drogen zu untersuchen, und FROG wartet nur darauf, zuschlagen und die ganze Bande hochnehmen zu können.
"Du siehst also", beendete Harry seinen Vortrag, "bei diesem Thema sind alle Abteilungen betroffen."
Er saß auf dem Tisch eines großen Besprechungsraumes in der Kröselstraße. Eigentlich verließ er nur ungern sein Büro mit der heimelig eingerichteten Puppenstube, wenn es sich vermeiden ließ, aber das Gebäude, in dem die DOG untergebracht waren, war leider nicht auf Besucher mit einer Körpergröße von knapp zweieinhalb Metern ausgelegt. Selbst hier musste sein Gegenüber, der Trollrekrut Opal, sich in den Türen ducken, um nicht gegen die Türrahmen zu stoßen – ein Problem, dass er mit den anderen Trollen der Wache, die teilweise noch größer waren als er, gemeinsam hatte. Oberhalb vieler Türen des Wachhauses gab es deshalb inzwischen trollkopfförmige Löcher in der Mauer.
Der Troll Opal zählte an seinen Fingern ab. "SEALS, RUM, DOG, SUSI, FROG." Er hielt alle fünf Finger der linken Hand hoch. "Aber ich..." Er sah seine Hand kritisch an und suchte nach einem sechsten Finger, bis er schließlich aufgab und die Hand wieder sinken ließ. "Ich nicht Grund..."
"Nicht?" Harry sah verwundert auf die Notizen vor sich. "'Rekrut Opal', steht hier. Bist du inzwischen befördert worden?"
"Nein, ich GRUND. Aber ich nicht
sehen Grund, warum ich hier - weil ich GRUND, und nicht..." Er hielt seine fünf Finger noch einmal zur Erklärung hoch, offensichtlich verwirrt von seiner eigenen Rede.
Harry nickte. „Kurz gesagt meinte der Kommandeur, dass deine Biographie dich für diesen Einsatz prädestiniert – das heißt“, ergänzte er, als er den verständnislosen Gesichtsausdruck seines Gegenübers sah, „du kennst dich noch von früher in der Szene aus. Außerdem haben wir nicht viele Trolle in der Wache, die für solch einen Einsatz geeignet wären. Die Sache ist nämlich die: Es scheint hier in der Stadt eine neue Trolldroge zu geben. Ich persönlich habe in den letzten Wochen einige Straßendeals beobachtet. Unsere Informanten wissen nichts darüber - oder sagen nichts. Du kennst die Szene, deswegen sollst du für uns ermitteln."
Opal sah auf den Gnom vor sich herab, der nicht größer als sein Zeigefinger war. Natürlich hatte er sich in der Szene bis vor kurzem gut ausgekannt, aber mit den Drogen hatte er auch den Kontakten dort den Rücken gekehrt. Er wusste nicht einmal, ob seine Bekannten von damals ihn noch erkennen würden. Andererseits – wenn der Kommandeur persönlich ihn für präsidiert hielt, dann wollte er diese Chance auf alle Fälle nutzen. Vielleicht würde er ja dadurch endlich seine Beförderung bekommen? Er war sich nicht sicher, was 'präsidiert' bedeutete, aber einen Moment stellte er sich vor, wie Kommandeur Breguyar ihn vor versammelter Mannschaft zum Präsidenten beförderte.
Harry hatte inzwischen weiter geredet, ohne dass Opal viel davon mitbekommen hatte. Jetzt machte der Gnom eine Pause und sah ihn fragend an. „Noch Fragen, Rekrut?“
"Nein, Sör", entgegnete Opal laut und salutierte so zackig, dass es wie eine Abrissbirne klang.
Wenn man Ankh-Morpork mit, sagen wir, einem gennuanischen Gumbo vergleicht, dann gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten: Dir triviale („Das eine ist eine Stadt, das andere eine Mahlzeit“), die offensichtliche („Gumbo riecht besser, schmeckt besser und ist ungefährlicher – außerdem nimmt er weniger Platz ein“) und die metaphorische. Metaphorisch gesprochen könnten beispielsweise die Menschen die Fischbrocken sein, die im Topf schwimmen: Große und kleine, von allen Fischen, die das Meer hergibt, manche appetitlicher als andere. Dazwischen vereinzelt ein paar Stücke Krebsfleisch, die zunächst gar nicht auffallen, weil man sie für Fisch hält: Das sind die Spezies, die zwischen den Menschen leben und sich kaum von ihnen unterscheiden, solange sie sich nicht zu erkennen geben – Vampire, vielleicht sogar einige Werwölfe oder anthropomorphe Personifizierungen irgendeiner Art. Sie sind oft hoch angesehen, besitzen „altes Geld“ und leben unbehelligt zwischen den Fischbrocken.
Dann haben wir Krabben – sie sind klein, fallen zwischen den Fischstücken kaum auf und sinken meistens auf den Grund des Topfes. Das sind die Zwerge: Einige leben oben – dort, wo die Menschen sind. Manche sind reich, einige weniger. Viele ziehen den Untergrund vor – leben in den Resten des alten Ankh-Morpork, wo neue Häuser auf alten entstanden sind. Es ist günstig, und es erinnert sie an zu Hause.
Aber Trolle – Trolle sind anders. Trolle sind die harten Nelken und Lorbeerblätter zwischen all den weichen Meeresfrüchten: Sie gehören irgendwie dazu und tragen zum Gesamtgeschmack bei, aber keiner möchte sie in seinem Mund haben – und wer welche auf seinem Teller findet, schiebt sie diskret an den Rand – ausgenommen vielleicht ein paar, die wie Fisch aussehen: Das sind die Trolle, die sich den Menschen soweit anpassen, dass... aber vielleicht ist es sinnvoller, die Metapher an dieser Stelle abzubrechen, bevor sie über ihre Belastungsgrenze heraus strapaziert wird. Auf jeden Fall muss man sich so ungefähr die Entstehung von Gahuarrg
[3] vorstellen. Ankh-abwärts, außerhalb der alten Stadtmauern und etwa dort, wo der Ankh am meisten stinkt, bilden einige grobe Verschläge aus Brettern und Steinen die Unterkünfte für all die Stadttrolle, die sich keine Menschenwohnung mit drei Meter hohen Decken leisten können – was auf fast alle zutrifft. Und wiederum ganz am Rand von Gahuarrg lag Zweite-Straße-Links.
Seit er zur Wache gekommen war, war Opal nicht mehr hier gewesen, und als er sich jetzt seinem Ziel näherte, hatte er das Gefühl, misstrauische Blicke in seinem Rücken zu spüren, obwohl jetzt um diese Tageszeit in den Gassen des Trollviertels nie viel los war. Trolle sind von Natur aus nachtaktiv, und auch wenn sie sich in der Stadt an einen menschlichen Tagesrhythmus anpassen, bevorzugen sie doch die Dämmerung – selbst wenn wie jetzt, in der kalten Jahreszeit, nicht mit lähmender Mittagshitze und ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten.
Nur vereinzelt war ein Troll vor einer Hütte zu sehen – alte, moosbewachsene Gestalten beim Würfelspiel, orientierungslos vor sich hin starrende Trolle, die aussahen, als wären sie frisch aus den Spitzhornbergen gekommen, und ein oder zwei andere. Einmal sah er sogar flüchtig einen Troll mit etwas im Arm, das wie ein Jungkiesel aussah – ein überaus seltener Anblick in einer Stadt, deren Trollpopulation sich fast ausschließlich aus Einwanderern zusammensetzte.
Über die Lebensweise von Trollen in ihrer natürlichen Umgebung (das heißt, im Gebirge) ist wenig bekannt
[4]. Man weiß, dass sie dort nicht aufhören zu wachsen, sondern nach Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, die Größe kleiner Berge annehmen, wobei sie immer träger und unbeweglicher werden, bis sie eines Tages zu Bergen erstarren und tiefsinnigen philosophischen Gedanken nachgehen. Laut Berichten von Reisenden neigen sie außerdem dazu, bei Tageslicht, zumindest im Sommer, komplett zu Stein zu erstarren, und beginnen ihr Leben zudem als Lavamasse im inneren aktiver Vulkane. Niemand weiß genau, wieso sich Trolle, sobald sie nach Ankh-Morpork kommen, so massiv verändern, aber der Professor für Biomineralogie an der Unsichtbaren Universität vermutet, dass es mit dem massiven Einfluss der morphogenetischen Felder von einer Million dicht an dicht lebenden Menschen zu tun hat, kombiniert mit der intensiven magischen Hintergrundstrahlung der Universität selbst. Auf jeden Fall unterscheiden Stadttrolle sich so extrem von ihren Verwandten im Gebirge, dass manche Forscher sie schon als verschiedene Spezies bezeichnen: Die Stadttrolle werden nur selten größer als drei Meter (in ganz Ankh-Morpork war nur ein einziges sehr altes Exemplar über vier Meter bekannt – das zufälligerweise vor kurzem ebenfalls bei der Wache angefangen hatte), der Effekt von Wärme und Sonnenlicht ist deutlich geringer als bei den Gebirgsexemplaren, und aus der Tatsache, dass es, trotz des mangels an aktiven Vulkanen, tatsächlich bereits eine, wenn auch kleine, erste Generation von stadtgeborenen Jungtrollen gibt, muss man wohl folgern, dass auch das mit der Fortpflanzung bei Stadttrollen irgendwie anders funktioniert. Trotzdem waren in der Stadt geborene (oder gekalbte, oder erstarrte, oder wie auch immer sie entstehen – außer Trollen weiß es niemand, und bisher hat sich keiner dazu durchringen können, einen von ihnen zu fragen) Trolle weiterhin eine Seltenheit – die allermeisten Mitglieder der Spezies, die man in Ankh-Morpork treffen konnte, waren weiterhin Einwanderer.
Der Troll mit dem Jungkiesel war in einer Hütte verschwunden, bevor Opal sich die beiden genauer anschauen konnte. Er blieb kurz stehen und orientierte sich: Die Gegend hatte sich geändert – neue Hütten waren hinzugekommen, ein paar alte waren abgerissen worden – aber Zweite-Straße-Links war dennoch leicht zu finden, ebenso wie die Hütte, die sein Ziel war. Er musste nur seiner Nase folgen.
Trollen machen organische Gerüche nichts aus, weswegen die Lage der Siedlung am Ankh-Ufer an sich kein Problem für sie darstellte. Mineralische Gerüche hingegen – nun, das war etwas anderes. Und genau aus dem Grund lag die Hütte, auf die er jetzt zu schritt, ganz am Rande der Siedlung, und alle anderen Hütten hielten einen respektvollen Abstand – denn hier wohnte Sulphit.
Wir wissen nicht einmal, wie diese Droge heißt, hatte Harry ihm gesagt.
Wenn wir einen Troll mit ihr erwischen, vernichtet er sie und leugnet alles vehement. Von meinen Observierungen weiß ich, dass sie wie blaue Kieselsteine aussieht - das ist alles.Wenn einer über alles, was mit Trolldrogen zu tun hatte, Bescheid wusste, dann war das Sulphit. Der alte Jugendfreund von Opal kannte alles - Platte, Scheibe, Kies, Knirsch, und sogar Grus. Nicht viele wollten etwas mit Sulphit zu tun haben – woran nicht nur der Geruch Schuld war, denn an seinem Verstand hatte der jahrelange Konsum tiefe Spuren hinterlassen - aber Opal hatte sich trotzdem immer gut mit ihm verstanden.
Vor Sulphits Verschlag angekommen, stampfte er kräftig mit dem Fuß auf
[5]. "Sulphit? Du hier?"
Es dauerte eine Weile, bis Sulphits vertraute, leicht knirschend klingende Stimme antwortete: "Nicht Sulphit. Hier Gorim Schienbeintreter, Erbe von Zwergenthron von Khazad-Dôf."
Nun, das war ein gutes Zeichen. Das letzte Mal, als Opal Sulphit getroffen hatte, hatte dieser sich für eine Hufeisenfledermaus gehalten und nur in Form schriller Schreie kommuniziert. Da war ein Zwerg eindeutig ein Schritt in die richtige Richtung.
"Du also Zwerg?"
"Ja, ich Zwerg. Ich Prinz von großem Zwergenclan. Wer da?"
Beide waren in die Mischung aus Morporkianisch und alter Trollsprache verfallen, die Trolle gerne benutzten, wenn sie unter sich waren, und die ein bisschen wie eine sehr langsame Gerölllawine klang (Auf Grund der besseren Lesbarkeit wird diese Sprache hier in der Geschichte in das besser lesbare "einfache Morporkianisch" übersetzt).
"Ich Opal. Du mich noch kennen?"
Ein Poltern war die Antwort, und kurz darauf öffnete sich die Tür. Ein fauliger Gestank strömte aus dem Gebäude, und dann stand Sulphit vor ihm. Er war noch gelber, als Opal ihn in Erinnerung hatte, und der dichte Flechtenbewuchs zeugte von einem massiven Mangel an grundlegender Körperpflege. Im Gesichtsbereich hatte er seinen Bewuchs so lang werden lassen, dass dieser entfernt an einen Zwergenbart erinnerte - wenn Zwergenbärte grün und moosig wären.
"Opal? Kleines Omgraho?"
[6]"Opal immer noch kein Frauenname", gab Opal gutmütig zurück. Sulphit hatte ihn immer damit aufgezogen, dass sein Name "weiblich" klang.
"Reinkommen!" Sulphit machte eine weite Geste und Opal betrat die Hütte.
Das Innere war eng und dunkel, wie die meisten Trollhütten, und der Faule-Eier-Geruch, den Sulphit absonderte, war hier so unangenehm, dass Opal beschloss, sich kurz zu fassen. "Hör zu, Sulphit..."
"Nicht Sulphit. Gorim."
"Gorim, dann." Opal hatte sich vorgenommen, nicht darauf einzugehen, aber dann siegte doch die Neugier. "Seit wann du Zwerg?"
"Ich nicht Zwerg. Ich Troll!"
"Ich denken..."
"Früher ich Zwerg gewesen. Dann, vor vielen Jahren, ich finden magische Kette, die mich verwandeln in Troll, der denken, er Fledermaus. Ich verstoßen und gehen nach Ankh-Morpork. Erst seit Kurzem ich mich erinnern an Zeit als Zwerg."
Opal nickte ernsthaft, als glaube er jedes Wort. "Nun... Gorim... du mir können helfen? Soll geben neues Ding auf Straße. Kleine, blaue Kiesel, die letzter Schrei unter Trollen."
Sulphit runzelte die Stirn, was wie eine Kontinentalverschiebung im Miniaturformat aussah. "Blaue Kiesel? Nicht wissen... komm, ich dir was zeigen."
Sulphit schritt zu einer Truhe, die in einer Ecke des höhlenartigen Zimmers stand, und öffnete sie. Opal griff instinktiv nach der silbernen Schöpfkelle, die er um den Hals trug, und dachte an das dreifache Bittgebet der Anoia:
Möge dieses Behältnis / sich problemlos öffnen lassen / einen nützlichen Inhalt haben / und sich problemlos wieder schließen lassen[7]In diesem Fall gefiel es offenbar seiner Göttin, dass die Truhe sich öffnen ließ - und das sie eine Sammlung verschiedenfarbiger Substanzen enthielt: Beutel mit weißem Pulver, dunkelgraue und teilweise angebissene Feldsteine, Scheiben von etwas, das wie ockerfarbener Ton aussah, und vieles andere. In einem früheren Leben hätte Opal diese Truhe für das Paradies gehalten, und in seinem aktuellen hätte sie eigentlich ausreichen müssen, um ihren Besitzer sofort zu verhaften - aber Opal fühlte sich seinem alten Freund immer noch zu verbunden, als dass er das auch nur für einen Moment in Erwägung gezogen hätte.
"Hier alles, was ich kennen", erklärte Sulphit. "Blaue Kiesel ich nicht sehen, ich fürchten. Du vielleicht wollen ein bisschen Mergel?" Er nahm einen der angebissenen Feldsteine heraus, biss mit seinen Diamantzähnen ein Stück ab - es klang wie das tausendfach verstärkte Geräusch einer Pfeffermühle - und hielt Opal den Rest auffordernd hin. "Mergel mir hat gezeigt meine Zwergennatur. Seitdem ich suchen nach Möglichkeit, Fluch zu brechen."
"Danke, nein." Opal hatte sich mit einem flüchtigen Blick vergewissert, dass die Truhe tatsächlich nichts enthielt, das Harrys Beschreibung entsprach. "Du jemanden kennen, der kennen könnte?"
"Vielleicht Zauberer an Universität? Die vieles wissen. Aber leider nicht glaube, dass bekomme Termin bei ihnen.“
"Wieso Zauberer sollten - nein, ich nicht meinen Weg zu brechen deinen Fluch. Ich meinen blaue Kiesel."
"Oh. Also, wenn ich nicht kennen... du schon gefragt Tigerauge?"
"Wer das?"
"Nicht echter Name. Aber Tigerauge alles beschaffen, was wollen. Wenn irgendwer brauchen, Tigerauge kennen. Er meistens zu finden in Kaverne."
Opal war seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr in der Kaverne gewesen. Dies war ein Teil seines Lebens, den er hinter sich hatte - oder vor sich, wenn man dem traditionellen trollischen Konzept von Zeit folgte
[7a]. Auch den Troll, der jetzt als Türsteher an der Stelle stand, an der er früher zahllose Nächte verbracht hatte, kannte er nicht. Er war gut einen Trollkopf kleiner als der Wächter, aber dafür deutlich breiter. Seine leichte Rotfärbung und die Narben auf seinem Oberkörper ließen ihn fast wie eine Backsteinmauer aussehen.
Opal nickte ihm kurz zu und wollte das Gebäude betreten, aber der andere hielt ihn auf.
"Halt!"
Opal blieb stehen und sah ihn fragend an, aber die Mauer schien dem nichts hinzufügen zu wollen.
"Warum halt?", fragte der Rekrut schließlich nach.
"Weil nicht rein dürfen."
Wieder schloss sich dieser Aussage ein kurzes Schweigen an.
"Wieso nicht?"
Die Mauer runzelte ihre Stirn. "Du Opal, richtig? Ich von dir gehört. Du Wache, du nicht mehr willkommen hier."
Das war unerwartet. Opal dachte eine Weile nach. Um hier hereinzukommen, würde er einen Plan brauchen. Irgendwie musste er am Türsteher vorbei, ohne Verdacht zu erregen - aber wie?
Einige Minuten stand er reglos vor dem anderen Troll und starrte ihn an, während dieser ebenso reglos zurück starrte. In Opals Kopf wirbelte es. Pläne entstanden, wurden verbessert, wurden wieder verworfen und machten anderen, noch besseren Plänen Platz. Schließlich jedoch war seine Strategie komplett.
Opal holte tief Luft. "Ich nicht Opal", verkündete er. "Ich anderer Troll."
Die Mauer schaute ihn skeptisch an. "Wieso du dann tragen Wachemarke?"
Opal sah auf das Abzeichen an seiner Brust herab.
Mist. Und er war so stolz auf seinen Plan gewesen...
"Anderer Troll auch Wächter", erklärte er. "Also - ich. Ich anderer Troll, der auch Wächter ist."
"Und wieso dann stehen OPAL auf Marke?"
Opal hatte sich so in Fahrt improvisiert, dass die nächste Antwort wie aus der Armbrust geschossen folgte. "Habe Marke zu Hause vergessen. Deshalb die von Opal geliehen."
Das schien seinen Gegenüber zu überzeugen. Der Türsteher machte einen Schritt zur Seite, um Opal den Weg frei zu machen, hielt dann aber wieder inne, als sei ihm etwas eingefallen. "Aber mir gesagt, ich nicht dürfen reinlassen Opal und auch andere Wächter."
Opal schüttelte den Kopf. Sein Nachfolger war ganz offensichtlich etwas begriffsstutzig. "Ich nicht Opal und auch andere Wächter. Ich nur andere Wächter, ohne Opal. Also du mich reinlassen?"
Die Mauer dachte kurz darüber nach und gab sich dann geschlagen. "Du rein können", verkündete sie und deutete auf die Eingangstür.
Opal schritt, stolz erhobenen Hauptes, an ihm vorbei in die Kaverne. Sicher würden der Kommandeur und die anderen Abteilungsleiter stolz auf ihn sein, wenn sie seinen Bericht lasen. Seine Beförderung zum Präsidenten war nur noch eine Frage der Zeit.
Opal kannte den derzeitigen Besitzer der Kaverne, einen selbst für einen Troll grobschlächtigen Kerl mit dem wenig furchteinflößenden Namen Bimsstein, nur flüchtig. Der offizielle Besitzer der Trollkneipe wechselte häufiger als ein
Grougha seinen
Agrahagga, wie eine alte Troll-Redewendung besagte
[9]. Immer, wenn irgendwelche schmutzigen Geschäfte in dem Etablissement ans Licht kamen, wurde der Besitzer ausgetauscht, um die Wache zufriedenzustellen. Natürlich zog stets irgendwo im Hintergrund Chrysopras die Strippen, und bis auf den Namen des offiziellen Besitzers änderte sich nie etwas - nicht die Einrichtung, nicht die Gäste, und schon gar nicht das Essen, von dem böse Zungen behaupteten, dass es sich um direkt im Hinterhof des Gebäudes gesammelten Kies und Schotter handelte.
Der Rekrut kannte diesen Ort wie die Verwerfungslinien seiner eigenen Handfläche. Zielstrebig bahnte er sich seinen Weg, vorbei an ein paar aufreizend in einige Schichten dicker Pelze gekleideten Trolldamen, die sich in verführerischen Posen im Korridor räkelten
[10]. An der Wand befand sich eine Tür, die jetzt offen stand, sich aber im Fall ungebetener Gäste - beispielsweise einer Gruppe neugieriger Wächter - so schließen ließ, dass man sie nicht mehr vom Rest der Wand unterscheiden konnte. Hinter der Tür folgte eine Treppe aus breiten Stufen, die sich tief in die Erde wendelte. Hier befand sich die Höhle, die dem ganzen Gebäude den Namen gab - einer der wenigen Orte in der Stadt, wo Trolle noch ungestört Trolle sein konnten.
Das Untergeschoss der Kaverne war der Treffpunkt für die wilderen und ungestümeren Trolle der Stadt. Hier schepperte rund um die Uhr das, was Trolle unter Musik verstanden (zumindest die jüngeren - traditionsbewusste Trolle beschwerten sich oft, dass es einfach nicht richtig klang, wenn die Musiker nur gegen leere Rüstungen und nicht gegen echte Zwergenkrieger schlugen, und dass echte Schmerzensschreie nicht mit dem "Aaah! Aaah! Aaah!" der trollischen Sängerin zu vergleichen waren)
"Hallo, Blagrugga
[11]", sprach ihn eine etwas untersetzte Trolldame mit blau funkelnden Augen an, die einen farblich dazu passenden Daunenmantel trug. "Ich Saphir. Du allein? Du hier für Spaß?"
Trolle können nicht erröten, aber sie kennen ein ähnliches Gefühl namens "Blagh-Ulga-Gor" (wörtlich: 'Zu Kieseln zerfallen wollen'). Opal verspürte es oft, wenn er von Trollfrauen angesprochen wurde. Trotz seiner protzigen Tätowierung (seinen linken Oberarm zierte eine üppig bekleidete Trollfrau – dieses Bild hatte er sich früher stechen lassen, um als Türsteher besser respektiert zu werden) war er in Gegenwart von weiblichen Trollen immer eher unbeholfen und schüchtern. Obwohl sein früherer Arbeitsplatz ihn ständig mit flirtwilligen Trollinnen in Berührung gebracht hatte, hatte er kaum einschlägige Erfahrungen gesammelt - was vor allem daran lag, dass selbst Trolle an ein kontaktanbahnendes Gespräch höhere Anforderungen stellten als "Urgh" und "Grbml".
Aber jemand, der mit einer genialen List den Türsteher überwunden hatte, ließ sich auch von einer hübschen Trollin nicht so leicht aus dem Konzept bringen. "Ich allein", bestätigte er - und fügte hinzu, um in seiner Rolle als Drogenkäufer zu bleiben: "Und ich hier für Spaß. Ich suchen Tigerauge - du gesehen? Hören, er verkaufen blaue Kiesel."
Saphir grinste so breit, dass das Licht der Laternen, die hier an den Wänden befestigt waren und die Höhle in mehr Schatten als Licht tauchten, in ihren Diamantzähnen funkelte. "Sicher, Blagrugga"; entgegnete sie, die Anrede dieses Mal besonders betonend. "Du machen dein Geschäft und kommen schnell wieder, ja? Tigerauge immer warten auf Kunden dort an Wand links."
Opal dankte kurz und bemerkte den seltsamen Blick, den Saphir ihm hinterher warf, nicht weiter. Durch eine Masse tanzender - oder zumindest zuckender - Troll-Leiber bahnte er sich seinen Weg durch die geräumige Höhle, bis er die Wand, auf die Saphir gezeigt hatte, erreichte. Ringsherum am Rand der Höhle waren mehrere Nischen in den Fels gehauen - einige mit Vorhängen verhangen, andere einfach dunkle Ausbuchtungen, in denen nur schemenhaft Trolle erkennbar waren, die irgendwelchen undefinierbaren Geschäften nachgingen. Selbst mitten im Sommer war es angenehm kühl hier unten - weswegen diese Nischen auch gerne von Geschäftstrollen für Verhandlungen genutzt wurden, die sich von der Temperatur einen Intelligenzschub erhofften. Vor einer dieser Nischen stand ein Troll, bei dem es sich um Tigerauge handeln musste - er trug eine selbstgebastelte Mütze aus Tigerfell und hatte einen riesigen Bauchladen umgeschnallt, auf dem diverse Tütchen und Schachteln gestapelt waren.
"Du Tigerauge?", fragte Opal ihn zur Sicherheit.
"Wer das wissen will?"
"Ich", erklärte Opal und fügte nach kurzer Pause auf den fragenden Blick seines Gegenübers hin hinzu: "Ich Nicht-Opal."
"Und was du wollen, Nichtopal?"
"Hören, du haben neue Sache. Blaue Steinchen."
Tigerauge bedachte den Rekruten mit einem Grinsen, und Opal sah, dass der Händler sich Facetten in seine Zähne geschliffen hatte, so dass sie das schwache Licht in alle Richtungen reflektierten. Er nahm ein kleines Stoffsäckchen vom Bauchladen und öffnete es. "Du wollen? Einen Dollar pro Stück, und damit Ich-Selbst-Auf-Urin-Treiben." Den letzten Teil betete her herunter wie auswendig gelernt, und irgendetwas daran kam Opal nicht ganz richtig vor.
"Und wie wirken?", fragte er nach.
"Oh, wirken gut. Haben stundenlang Spaß, oder Geld zurück."
Opal zögerte kurz, dann händigte er dem anderen Troll eine Dollarmünze aus und bekam dafür einen der kleinen Steine in die Hand gedrückt, den er gleich in eine Tasche gleiten ließ. Auftrag erledigt - SUSI konnte das jetzt sicher analysieren und seine Wirkung feststellen.
"Viel Spaß", verabschiedete sich Tigerauge, als Opal sich zum Gehen wandte. "Du nicht enttäuscht sein werden." Opal nickte kurz und machte sich über die Tanzfläche hinweg zurück in Richtung Ausgang.
Saphir lauerte an der Treppe auf ihn. "Blagrugga! Du Erfolg gehabt?"
Opal nickte und machte einen Schritt zur Seite, um die Trollin zu umgehen. "Ja. Aber ich jetzt gehen muss."
"Nichts da!" Saphir versperrte ihm den Weg. "Du gesagt, du hier für Spaß, richtig? Also, die mitkommen!" Resolut packte sie den Rekruten und zog ihn hinter sich her in Richtung einer der Wandnischen.
"Aber... ich jetzt nicht in Stimmung für Drogen. Ist für später!" Opel riss sich von der erstaunlich kräftigen Trollfrau los.
"Drogen?" Saphir stutzte. "Du Pech, Blagrugga. Ist keine Droge."
"Ist nicht? Was dann?"
Und sie erzählte es ihm.
Behutsam legte Opal die Pille, die etwa so groß war wie Harrys Unterarm, vor diesem ab.
"Heißen Ooagrahar", erklärte er und spürte einen Anflug von Blagh-Ulga-Gor. "Wird verwendet von Trollmännern, um..." Er machte eine vielsagende Geste und sah Harry hilflos an.
"Um Rohre zu reinigen?"
"Nein!" Opal sah sich hilfesuchend um und versucht es erneut, dieses Mal mit einer anderen Geste.
"Um Karren zu schieben? Um Pudel zu frisieren? Um“ - er stockte und wurde blass. "Um Gnome zu erwürgen?“
"Nein, um...“ Der Troll machte einen dritten Versuch.
"Oh.
Dazu also."
"Genau. Ist keine Droge, ist eher... Medizin."
"Verstehe. Kein Wunder, dass die Trolle, die wir damit gesehen haben, lieber ein Geheimnis daraus gemacht haben. Gute Arbeit, Rekrut. Ich gebe das hier an SUSI zur Analyse und werde dem Kommandeur von deinem hervorragenden Erfolg erzählen."
Opal salutierte und wandte sich zum Gehen, während Harry begann, mit Hilfe des Diktierdämons das Übergabeprotokoll zu erstellen. "Beweisstück 1 - trollisches Medikament, blau, rautenförmig. Name: Ooagraha. Geruchlos..."
Opal wandte sich an der Tür noch einmal um. "Und schmeckt ein bisschen wie frische Kreide", ergänzte er hilfsbereit.
[1] Registriernummer LM-AO-239, Witzeregister der Narrengilde von Ankh-Morpork
[2] Dies ist kein Versuch, einen offiziellen Narrengildenwitz abzuwandeln. Der Autor stellt hier lediglich eine hypothetische Möglichkeit dar, und erhebt keinen Anspruch auf Witzigkeit oder Gildenkonformität des Ergebnisses
[12][3] Trollisch: Mutterstein, beziehungsweise 'Heimat'
[4] außer bei Trollen natürlich, aber die zählen nicht, da sie keinen Doktortitel haben
[5] Trolle klopfen nicht, da dies meist zu Obdachlosigkeit und bösem Blut führt
[6] Wörtlich: "Kleiner Edelstein", hier ein trollischer Kosename für kleine Mädchen
[7] Heutzutage wurde Anoia eigentlich nur noch mit "Dingen, die sich in Schubladen verklemmen" in Erinnerung gebracht, aber im konservativen Flügel der Anoia-Kirche galt sie als Schutzgöttin aller Behältnisse, ihres Inhalts und ihrer Funktionsfähigkeit – wahrscheinlich in einem verzweifelten Versuch ihrer Anhänger, dem Wandel der Zuständigkeit ihrer Göttin von Vulkanen zu Schubladen und ähnlichen Dingen einen Sinn zu geben, denn ist ein Vulkan nicht auch nur ein Behälter, von dem man im voraus nicht weiß, ob er Lava enthält oder nicht? Tatsächlich war einer ihrer fundamentalen Lehrsätze dieses Flügels der Anoia-Kirche, dass der Inhalt jedes verschlossenen Behälters von Anoia erst im Moment des Öffnens festgelegt wird - vorausgesetzt natürlich, dass er sich überhaupt öffnen ließ.
[7a] welches oft missverstanden wird: Trolle glauben zwar tatsächlich, dass sie sich rückwärts durch die Zeit bewegen - aber das bedeutet nicht, dass sie denken, dass sie sich aus der Zukunft in die Vergangenheit bewegen, sondern nur, dass sie sich
rückwärts bewegen - also mit den Augen Richtung Vergangenheit, während der Rücken zur Zukunft zeigt und sie vorsichtige Trippelschritte nach hinten - also Richtung Zukunft - machen. Wie sonst ließe es sich erklären, dass man die Vergangenheit kennt und die Zukunft nicht?
[9] tatsächlich war sie so alt, dass heutzutage kein Troll mehr wusste, was ein
Grougha oder ein
Agrahagga sein sollten - trotzdem, oder gerade deswegen, erfreute sie sich unter traditionsbewussten Trollen großer Beliebtheit
[10] Menschen waren häufig verwirrt, weshalb Trolle, im Gegensatz zu allen anderen intelligenten oder semi-intelligenten Spezies, das andere Geschlecht im extrem an- statt im fast ausgezogenen Zustand besonders attraktiv fanden. Die Erklärung hierzu ist einfach und hat, ganz im Gegensatz zur vorherrschenden Theorie, nichts mit dem bereits erwähnten trollischen Zeitverständnis zu tun: Historisch haben Trolle immer gerne in wärmeren Gefilden nach Partnern gesucht, da dort bekanntlich die Intelligenz der Spezies rapide abnimmt, so dass die besagten potenziellen Partner deutlich weniger wählerisch und anspruchsvoll werden. Mit dicker Kleidung signalisiert ein Troll also im Grunde nichts anderes als 'Ich bin dumm, also bin ich leicht zu haben'
[11] wörtlich: 'Harter Stein'
[12] Offizieller Haftungsausschluss gemäß Formulierungsgrundlagenverordnung der Anwaltsgilde von Ankh-Morpork, Fassung vom 2. Gruni im Jahr der Singenden Schnake
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