Family Affairs

Bisher haben 7 bewertet.Du hast schon bewertet!

von Feldwebel Breda Krulock (SUSI)
Online seit 02. 11. 2012
PDF-Version

Nach ihrem Abteilungswechsel hat Breda nicht viel Zeit, in ihre neue Rolle zu schlüpfen. Ein heißer Fall erwartet sie.

Dafür vergebene Note: 11

Ohne ein weiteres Wort nahm Breda den Koffer, der den ganzen Tag schon hinter ihrem Schreibtisch gestanden hatte, und verließ das Boucherie, aber nicht ohne noch einmal zurückzuschauen.
Mit einem Gefühl, das sich am besten als Wehmut beschreiben ließ, stand die Vampirin vor dem Gebäude, in dem sie die letzten sieben Jahre verbracht hatte. Es waren gute Jahre gewesen, doch die Zeit drängte nach etwas Neuem. Ihr Name und auch ihr Rang als Feldwebel hatte sich in den Tiefen des internen Gildenbuschfunks herumgesprochen und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die Tarnung des Boucheries und damit die Arbeit der gesamten Abteilung DOG auffliegen würde. Auch lag es nicht in ihrer Natur, zulange an einem Ort zu verweilen. Man konnte fast sagen, dass es dem untoten Feldwebel ein wenig langweilig geworden war, sich ausschließlich mit Gilden und deren Systemen zu beschäftigen. Anfangs hatte es noch seinen Reiz gehabt, die schlecht kodierten Anfragen und Aufträge zu entziffern, die neuesten Fälschungstechniken für Quittungen zu entdecken und als Fachmann vor Ort ohne einen Wimpernschlag sagen zu können, dass es sich hierbei um ein Verbrechen handelt, oder eben doch nur um die Überreste einer langen Assassinen-Arbeitsnacht.
Doch der Einfallsreichtum der Gilden und deren Nachahmer schien erschöpft, es gab immer weniger Gelegenheiten für DOG-Einsätze. In manchen Gesprächen unter Wächtern wurde gar die Notwendigkeit einer Außenstelle in Frage gestellt. Und so stieg Bredas Unmut.
Umso gelegener kam es ihr, als sie in dem Fall Kohlen eng mit den Chief-Korporal Magane zusammenarbeiten konnte. Die Abteilung Suchen und Sichern schien ihr bis dahin nie besonders spannend gewesen, ganz im Gegenteil. Doch mit den voranschreitenden Ermittlungen und direkten Eindrücken in die Arbeit der SuSen sah Breda Potenzial, sich wieder aktiv und nützlich in das Geschehen der Wache einzubringen. Auch wenn dies hieß, den Abteilungsleiterposten abzugeben.
Dünne Nebelschwaden bedeckten das feuchte Kopfsteinpflaster, als die Vampirin ihren Blick abwandte. Um diese Uhrzeit waren die Straßen ruhig und so gut wie menschenleer und außer ein paar nachtaktiven Geschöpfen begegnete Breda niemanden auf ihrem Weg zum Mondteichweg. Ihre neue Bleibe hatte sie über einige Kontakte bekommen, die sie in den letzten Jahren geknüft hatte. Das Viertel um den Mondteichweg gehörte zu den besseren der Stadt und die Mieten waren dementsprechend hoch. Doch ihre Rücklagen waren ausreichend und die ruhige Umgebung sprach für sich. Der Morgen dämmerte bereits, als Breda die Tür zu ihrer Wohnung im dritten Stock aufschloss und sich auf die neuen Herausforderungen freute, die ihr bevorstanden.

***


Träge wand sich die Mittagssonne durch die Wolkendecke, die an diesem frühen Nachtmittag über den Dächern von Ankh-Morpork hing. Der Herbst hatte Einzug gehalten und trieb die kühle Luft der Ebenen durch die Gassen der Stadt. Laub, Müll und kaum identifizierbarer Unrat wehten über das Kopfsteinpflaster. Es war die Zeit, in der man an so manch einem Morgen den Frost riechen und den kommenden Winter schmecken konnte.
Die junge Frau zog ihre dünne Wolljacke enger, um die empfindliche Haut an ihrem Nacken vor der Kälte zu schützen. Die Schicht im Kaffeehaus Sternbecher war wieder einmal länger gegangen als gedacht. Bezahlt bekam sie die Überstunden leider nicht. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte keine netten Worte für den Blutsauger finden, der den Laden betrieb. Dennoch war es immer noch besser als nichts und das Trinkgeld war an manchen Tagen nicht zu verachten. Mira Galecki ging weiter die Strassen entlang, bis sie das Haus ihrer Mutter erblickte. Trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre wohnte sie noch daheim. Der plötzliche Tod ihres Vaters vor einem Jahr hatte ihre Mutter schwer getroffen und sie fühlte sich verpflichtet, bei ihr zu bleiben. Sie hatten sich arrangiert, auch wenn ihre Mutter den Lebensstil ihrer Tochter alles andere als gut hieß. Mira seuftzte, als sie an die peinlichen Momente dachte, die das Zusammenleben mit sich brachten. Sie kam wie heute spät nach Haus und staunte nicht schlecht, als man ihr den Sohn des Bingoclub-Bruders ihrer Mutter vorstellte. Ein kleiner, hagerer junger Bursche mit feuerrotem Haar und mehr Sommerprossen im Gesicht als der Kunstturm Stufen hatte. Doch er hatte Geld, ein Haus in einem der besseren Viertel und eine Anstellung bei Richter und Sohn, einem der renomierten Rechtsverdreher der Stadt. Sie waren auf Drängen ihrer Eltern einige Male miteinander ausgegangen. Doch der Sohn hatte dabei mehr Interesse an dem klatschianischen Kellner gezeigt als an Mira. Im Interesse aller Parteien, und vor Allem dem Ruf des Anwalts wegen, trennte man sich still und einvernehmlich. Seitdem spielte ihre Mutter auch kein Bingo mehr.
Klirrend schlugen die Schlüssel aneinander, als Mira an die Eingangstüre kam. Die Tür gab nach, als der klobige Schlüssel ins Türschloss rutschte, und schwang langsam knarrend auf. Mira stand einige Sekunden reglos da, mit dem Schlüssel in der Hand. Warum war die Tür nicht verschlossen?
"Mama?"
Die leere Wohnung schien jedes Wort zu schlucken und nur ein dumpfes Wummern blieb zurück. In Miras Kopf hämmerten die Gedanken und träge nahm ihr Gehirn die ihm dargebotenen Fakten auf. Der umgeworfene Beistelltisch neben der Tür, auf dem ihre Mutter immer eine Vase frischer Schnittblumen drapierte. Die gelben Vorhänge mit grünem Brokatmuster, die ihr Vater vor Jahren von einer Reise mitgebracht und über die ihre Mutter sich so gefreut hatte. Der ausgekippte Inhalt der Schubladen in der offenen Kochnische. Weiße Scherben knirschten unter Miras Füßen, als sie durch die Wohnung schritt.
"Mama?" Sie hasste die Furcht in ihrer Stimme, doch die Ungewissheit drang ihr bis ins Mark. Was war hier passiert?
Vereinzelte Sonnenstrahlen drangen durch die Fenster, deren Vorhänge zerrissen an den Stangen hingen. Mira näherte sich der einzigen geschlossenen Tür in der Wohnung, dahinter lag das Schlafzimmer. Sie merkte nicht, wie sie die Luft anhielt, als sie mit einer Hand die Tür aufschob. Die braune Holztür öffnete sich nach innen und Mira entließ ächzend einen Laut, aus dem pure Angst klang.

***


Das graue Rußpulver glitzerte flackernd im Schein der Kerzen, als Hauptfeldwebel Sillybos mit leicht kreisenden Bewegungen den feinen Pinsel über die Oberfläche bewegte. Langsam bildeten sich feine, leicht geschwungene Linien zwischen den schwarzen Partikeln. Gleichzeitig bildeten die geschwungenen Lippen des Hauptfeldwebels ein seichtes Lächeln.
"Habe ich dich", sagte er leise, mehr zu sich selbst. "Ich wusste, dass ich dich finde."
Breda Krulock hockte neben ihrem Ausbilder und ergänzte ihre Notizen.
"Woher wusstest du, dass du ausgerechnet hier einen Abdruck findest?" Sie blickte kurz auf, als sie die Frage stellte, um dann den Ikonographen aus der Tasche zu nehmen. Der Salamander summte leise, als er seine Position einnahm.
"Jedes Lebewesen hinterlässt seine Spuren. Immer. Überall. Weiß man sie zu deuten, kann man ein ganzes Leben darin lesen, ohne die betroffene Person auch nur ein einziges Mal getroffen zu haben. Spuren auf dem Fensterbrett, im Sand. Spuren im Herzen anderer und in den Seelen von Fremden. Wie ein Buch des Lebens, das aufgeschlagen und gelesen werden will."
Das Zimmer wurde in gleißendes Licht getaucht, als der Salamander zündete und der Kobold ein Bild des Fingerabdrucks malte.
"Was Silly damit sagen will", sagte Charlie, "es gibt bestimmte Ortungspunkte an einem Tatort, die priorisiert geprüft werden. Dazu gehören Fenster inklusive Rahmen und Bänken, Türgriffe, Geschirr in den Küchen, potenzielle Tatwaffen ..."
"So wie Küchenmesser?"
"So wie Küchenmesser." Charlie wickelte das blutverschmierte Messer in eine Beweistüte und beschriftete sie gewissenhaft. "Nicht alles, was wir finden, ist relevant. Viele gefundene Teile sind einfach nur unwichtige Überbleibsel, ohne jegliche Bedeutung. Man darf sich nicht in die Irre führen lassen, jedoch sind Ermittlungen in mehrere Richtungen an der Tagesordnung. Man fängt langsam an, schließt immer mehr Möglichkeiten aus. Am Ende hat man die richtige Spur."
Bredas Stift kratzte über das Papier, als sie ihren Notizen weitere Anmerkungen hinzufügte. In den letzten Wochen hatte sie eine ganze Menge über die Ermittlungsarbeit gelernt und die Kombination Charlie-Sillybos erwies sich als besonders ergiebig.
"Also ähnlich wie beim Fall Herzberg", sagte Breda.
"Ein abschreckendes Beispiel dafür, dass unbefugte Personen nichts am Tatort zu suchen haben. Die vielen Fußspuren und verwischten Abdrücke haben uns Tage gekostet."
"Und dem Bankier viel Geld. Wir hätten die Täter viel früher schnappen können."
Der Fall Herzberg war eine laufende Ermittlung gewesen, in die Breda eingestiegen war. Eine Fehlinformation der Bank führte dazu, dass dutzende Schaulustige das Gebäude stürmten und beinahe alles an Beweisen vernichteten, was vorhanden war. Die Auswertungen hatten das dreifache der üblichen Zeit beansprucht. Aber immerhin wusste Breda nun sehr ausführlich, wie man Beweise kategorisierte.
Mit S.T.A.u.B. unterm Arm folgte sie ihren beiden Kollegen zum eigentlichen Tatort, dem Schlafzimmer. Der Geruch von Kupfer war allgegenwärtig und hüllte den kleinen Raum in ein verlockendes Aroma, das Breda schwer zu schaffen machte. In der Mitte des kleinen Raumes stand ein zerwühltes Bett. Die einst weißen Laken schimmerten dunkelrot, wo Blut in den weichen Stoff gesickert war. Das Fenster an der Längseite des Zimmers war mit dicken Vorhängen abgedunkelt. Nur durch einen fingerbreiten Spalt drang das flackernde Licht der Straßenlaternen. Der Fußschemel lag auf der Seite und auch hier wies der helle Bezug die dunklen, roten Flecken auf, die als vereinzelte Spritzer aussahen wie eine Perlenkette. Am herausragendsten war jedoch der blutige Handabdruck, der an der Innenseite der Tür prangte. Wie eine Warnung leuchtete das Rot und obwohl es so offensichtlich war, erkannte man das wichtigste Detail erst auf den zweiten Blick: Dem Abdruck fehlte der Ringfinger.
Charlie nahm seiner Kollegin den Koffer ab, entnahm ein paar Handschuhe, Wattetupfer und ein paar Petrischälchen. Sachte tupfte er mit der Watte an dem blutigen Abdruck, versiegelte die Probe und notierte sich Position und Uhrzeit.
Währenddessen fertigte Sillybos Ikonografien des Bettes und der dortigen Blutspuren an, während Breda sich im Raum umsah. Vorsichtige bewegte sie einen Fuß vor den anderen. Zwischen den Blitzen des Salamanders blickte sie auf die blutgetränkten Laken und murmelte leise vor sich hin.
"Was sagt sie?" Charlie verstaute die Vermessungsdaten in seine Tasche und stand auf.
"Venös", wiederholte Breda. "Das Blut. Es sind keine arteriellen Spritzer. Dafür ist die Reichweite zu gering. Da." Sie zeigte auf die Spuren. "Die Reichweite ist nicht länger als eine Elle. Bei einem tödlichen Treffer, zum Beispiel am Hals oder an der Hüfte, wäre das Blut stärker aus den Adern herausgedrückt worden."
"Sie hat Recht", sagte Sillybos und nickte. "Was auch immer hier passiert ist, der oder die Verletzte lebt noch."

***


Die Wohnung roch so, wie Wohnungen von alten Menschen eben riechen. Eine Mischung aus Mottenpulver, Kernseife und feuchten Wänden verband sich zu einem muffigen Odor, der der SuSi-Abteilungsleitung in der Nase brannte. Magane hatte daher dankend abgelehnt, als die alte Dame ihr einen Platz auf dem moosgrünen Sessel angeboten hatte und war im Türrahmen stehengeblieben. Urzula Bensch bewohnte die Wohnung gegenüber des Tatorts und war, wie es alte Damen so oft waren, sofort an Ort und Stelle gewesen, um der Wache bei ihrer Arbeit zu helfen. Zu Maganes Überraschung konnte Frau Bensch tatsächlich einige Lichtstrahlen ins Dunkel bringen. Allerdings verbargen sich diese erhellenden Perlen zwischen einem Haufen zähem, langweiligen Seetang.
"Moppel jagte gerne Katzen", wiederholte Magane müde und mühte sich, die Fassung zu bewahren.
"Allerdings", sagte Frau Bensch erheitert. "Er war ein wildes Ding. So wie ich früher in meinen jungen Jahren."
"Das glaube ich Ihnen gern. Hören Sie, Sie sagten etwas von einem Besucher?"
Frau Bensch nahm einen Schluck von ihrem Tee und nickte dabei. Ihre grauen Haare klebten dabei wie Beton an ihrem vorbestimmten Platz. "Die Galecki hatte es faustdick hinter den Ohren. War damals schon ein freches Ding."
"Sie kannten sich schon länger?"
"Allerdings! Sie und ihr Mann zogen hier vor Jahren ein. Dann kam die kleine Mira und beide wurden etwas vernünftiger."
Magane löste sich vom Türrahmen. "Haben Sie in den letzten Tagen oder Wochen etwas ungewöhnliches bemerkt? Irgendwelche Abweichungen vom üblichen Alltag?"
Für einen kurzen Augenblick zögerte die alte Frau und Magane meinte, ein Blitzen in den trüben Augen zu erkennen. Doch der Moment war zu kurz, um ihn zu greifen. "Da sagen Sie was, Mädchen. Allerdings!" Knochen knackten und Gelenke knirschten, als Frau Bensch sich mühsam erhob. Aus einer Schublade der hölzernen Anrichte zog sie ein Bündel Ikonographien. Erst jetzt bemerkte Magane den kleinen Kasten auf dem Tisch neben der Sitzecke. Das Gerät musste eines der ersten Ikonographen auf dem Markt gewesen sein und ihre Vermutung bestätigte sich, als Frau Bensch ihr die Fotos hinhielt.
"Hier, sehen Sie."
Magane nahm ein Bild und sah einen dicken Mops, der mit hängender Zunge sabbernd in die Kamera blickte. Das Bild war vergilbt und in schwarz-weiß.
"Mein Moppel", sagte Frau Bensch und lächelte zahnlos. Dann reichte sie ihr eine weitere Graphie. "Hat Ähnlichkeiten mit dem hier."
Das Bild zeigte einen schwarzen Mann. Die rassistische Bemerkung ignorierend betrachtete die Wächterin das Bild genauer. Der Mann musste zwischen vierzig und fünfzig sein, sein Kopf war glatt rasiert und sein muskulöser Körper steckte in einem gut sitzenden Abendanzug. Auf dem Bild erkannte sie eine schlichte Kutsche, die auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Haus stand.
"Haben Sie das Foto gemacht?", fragte Magane.
"Reine Sicherheitsmaßnahme", versicherte Frau Bensch. "Hier läuft am Abend allerlei Kroppzeugs rum."
"Wann wurde dieses Bild aufgenommen?"
Wieder zögerte die Frau, doch diesmal hatte Magane keine Geduld für Spielereien.
"Sie sagen mir am besten gleich alles, ansonsten muss ich Sie mit zur Wache nehmen."
Frau Benschs Gesicht wurde starr wie eine Maske. "Das würden Sie nicht tun!"
Magane nickte. "Behinderung von Ermittlungsarbeit, was da wohl die Nachbarn zu sagen?"
Eine runzelige Unterlippe schob sich nach vorn, als Frau Bensch ihre Optionen durchging.
"Also schön", sagte sie schließlich. "Ich will ja keinen Ärger." Ein rauer Seufzer entkam ihrer Kehle. "Die Galecki bekam seit zehn Tagen regelmäßig Besuch von diesem Herrn. Ich kenne seinen Namen nicht, aber er kam jeden Tag um zehn Uhr in der Früh und beide fuhren dann fort. In der Regel blieben sie vier oder fünf Stunden fort. Dann brachte er sie nach Hause, als ob nichts geschehen wäre."
"Sie sagen also, die Mutter hatte eine Affäre?"
"Keine Affäre, mein Kind. Einen Freund hatte das Ding. Und das, wo ihr Mann doch erst seit zwei Jahren unter der Erde ist."

***


Leise brodelnd dampfte die rote Flüssigkeit vor sich hin, als Ratti die Pipette zur Hand nahm und in den Behälter tauchte. Die letzten zwanzig Minuten war sie damit beschäftigt gewesen zu warten. Und Geduld war keine von Rattis Tugenden.
"Wann genau noch mal hast du das Boucherie verlassen?"
Breda Krulock sah von dem Mikroskop auf, das auf einem der Labortische gestanden hatte. "Vor sechs Wochen. Ich hatte dir eine Nachricht hinterlassen, dass ich in deine Abteilung wechseln werde und somit ausziehen musste aus dem Büro."
Ratti runzellte ihre Stirn. "Echt?"
Es musste ihr irgendwie entgangen sein, dass ihre Mitbewohnerin ausgezogen war. Und das, wo sie doch erst vor drei Tagen ins Boucherie gezogen war. Oder war das schon länger her?
"Ja, echt!" Breda kam ihrer Freundin entgegen. "Aber ich hab dich auch vermisst. Und jetzt sag mir, was mit dem Blut ist."
"Du denkst auch immer nur ans Essen", lachte Ratti und began mit der Auswertung. Sie legte die filtrierten Proben unter das Mikroskop und schaute durch das Okular. Sie justierte den Kreuztisch und wechselte das Objektiv, dann schien sie zufrieden.
"Es sind zwei Personen verletzt gewesen."
Beda kam näher und blickte selbst durch das Objektiv. Was sie sah, sagte ihr gar nichts. "Tatsächlich?"
"Das Blut an der Tür ist A-Positiv, die häufigste Blutgruppe. Die Proben vom Bett und vom Schemel sind identisch: B-positiv. Kommt nicht ganz so häufig vor. Allerdings können wir dies der Mutter zuordnen, da die Tochter dieselbe Blutgruppe hat."
"Das heißt, die Mutter hat beim Kampf den Angreifer verletzt, ihm mit dem Messer einen Finger abgehackt."
"Die Fingerabdrücke auf dem Messer sind die der Mutter, soviel steht fest."
"Sympathische Frau."
"Falls sie noch lebt, wenn wir sie endlich finden, kannst du mit ihr ja einen Kaffee trinken gehen", sagte Ratti. "Wir suchen also einen Mann mit vier Fingern an der rechten Hand mit der Blutgruppe A-Positiv. Ein Kinderspiel."

***


Lance-Korporal Kannichgut Zwiebel, Kommunikationsexperte der SEALS, fühlte sich sichtlich unwohl. Richtig wohl fühlten sich in der Pathologie vermutlich nur die Gerichtsmediziner von SUSI.
"Wenn ihr mich dann nicht mehr braucht ...", begann er zaghaft.
"Doch, doch!", versicherte Magane, die neben der Zwergin Avalania stand und zusammen mit ihr die Leiche eines etwa fünfzigjährigen dunkelhäutigen Mannes begutachtete. Ab und zu prüfte sie mit einem Blick über die Schulter, ob Kannichgut noch an der Tür stand. "Die Beschreibung passt perfekt. Jetzt muss Ratti uns nur noch bestätigen, dass der Tote hier die gleiche Blutgruppe hat wie die am Tatort gefundene." Sie drehte sich zu Kannichgut um. "Wie kommt es, dass ein Mann am hellichten Tage, im besten Viertel der Stadt in einer offenen Kutsche ..."
"Einer Hinterntritt!"
"Wie bitte?" Magane schaute Kannichgut verwirrt an.
"Einer Lemogallo Hinterntritt LP700-4! Ein ziemlich neues Modell. Sündhaft teuer. Die Lemogallos fertigen nur zehn Stück davon im Jahr."
"Aha", sagte Magane. "Ist das irgendwie wichtig für den Fall?"
"Äh", stammelte Kannichgut, "vermutlich nicht."
"Gut ... wo war ich? Ah, genau! Am hellichten Tage erstochen ... Das muss doch Zeugen geben, oder nicht?"
"Kathi und Olga haben die Kutsche gesichert und sich in der Umgebung umgehört, unterstützt von Nyria und Ettark. Wir haben den Toten sogar auf einer Blitz-Ikonographie, also da lebte er noch. Er ist mit nem Affenzahn die Verlängerte entlang gebrettert, war wohl auf direktem Weg nach Stadtmitte. Aber an der Stelle, wo wir ihn gefunden haben, wies die Hinterntritt stadtauswärts, also ist er vielleicht umgedreht."
"Was hat es mit dem Finger auf sich?", fragte Avalania.
"Rache", vermutete Magane halbherzig. "Hat man das fehlende Glied gefunden?"
"Bisher nicht. Aber Charlie hat die Akte über den toten Vater angefordert, vielleicht hilft uns die weiter."

***


Die Fenster des Besprechungsraumes waren geschlossen und der kalte Wind pfiff zwischen den undichten Fensterrahmen hindurch. Die SuSen saßen in Zweierreihen vor der grünen Schiefertafel und gingen unter Anleitung der Abteilungsleitung die aktuellen Fälle durch. Als Neuling hatte Breda die Ehre, die neuesten Erkenntnisse des Falls Galecki vorzutragen. Den größten Durchbruch hatte natürlich die Leiche gebracht. Arend Nouel. Mitglied der Yen-Buddhisten.
Er zog vor zehn Jahren nach Ankh-Morpork, um hier einen Job zu finden. Seine Leiche fand man auf der Rückbank seiner Kutsche in der Sperlingsgasse. Das dazugehörige Pferd des Einspänners stand unweit davon auf einem spärlich mit Gras befleckten Stück Vorgarten und wieherte unbeeindruckt, als die SEALS es mitnahmen.
In der Kutsche fanden Kathiopeja und Olga Fingerabdrücke, die von dem Toten stammten, und ein Schmuckstück, das unter den Kutschbock gerutscht war. Ein silbernes Kreuzamulett in der Größe eines Fingers. Mira Galecki war im Besitz eines ähnlichen Schmuckstückes. Eine weitere Befragung der Tochter war bereits veranlasst worden. Neben dem Blut, das sich derzeit im Labor zur genaueren Untersuchung befand, gab es keinerlei Hinweise auf einen Kampf. Der Körper lag mit neun ineinander gefalteten Fingern unter einer schwarzen Pferdedecke und auf den Augen hatte der Täter zwei Silbermünzen platziert.
"Welcher normale Mörder gibt seinem Opfer Geld für den Fährmann?", fragte Tussnelda und lutschte schmatzend an einem Bonbon. "Er entführt die Freundin, bringt den Kerl um und zahlt dem dann noch die Überfahrt?"
"Das klingt wirklich merkwürdig", sagte Laiza. "Im Yen-Buddhismus gibt es dieses Ritual nicht. In keiner Aufzeichnung konnte ich etwas darüber finden."
"Dann wird es wohl kaum ein Sektenmitglied gewesen sein", sagte Breda. "Wir sollten in der Sekte nachfragen, mit welchen Personen sich das Opfer umgeben hat. Es gibt eine Verbindung zwischen der Entführung und dem Mord, wir sehen sie nur nicht."
Ein Moment der Stille entstand und vereinzelte Mitglieder der Abteilung blickten interessiert auf die Bodendielen, während andere den Blick zwischen Breda und der am Pult stehenden Magane hin und her schweifen ließen.
"Ehem", räusperte sich die Abteilungsleiterin. "Wenn ich dürfte?"
Magane trat vor die Tafel. Breda reichte ihr die Unterlagen und setzte sich zu den anderen. Entweder wollte sie es nicht bemerken oder sie tat es wirklich nicht. Magane mochte es nicht, wenn man ihre Autorität untergrub, aber in diesem Fall konnte sie nicht anders.
"Breda hat Recht, es gibt eine Verbindung. Der Vater, Leopold Galecki, wurde vor knapp zwei Jahren ermordet aufgefunden. Auch hier lagen zwei Silbermünzen auf den Augen des Toten. Todesursache war ebenfalls ein Stich mitten ins Herz. Der Fall konnte damals nicht gelöst werden aus Mangel an Beweisen. Wir dürfen davon ausgehen, dass es sich hier um denselben Täter handelt. Je schneller wir die Zusammenhänge finden, umso schneller finden wir auch die Mutter. Ich bin sicher, dass sie noch lebt, denn ansonsten hätte wir ihre Leiche schon längst gefunden. Die Kutsche von Arend Nouel war nicht versteckt, also können wir davon ausgehen, dass sie gefunden werden sollte." Magane legte die Unterlagen zur Seite. "Laiza und ich werden zur Mittagszeit die Yen-Buddhisten aufsuchen. Ich habe gehört, die machen ein gutes Curry-Hähnchen."

***


Der Vorraum des Gebäudes funkelte wie ein Bonbon-Laden. Bunte Töpfe, Bilder und Statuen zierten den kleinen Raum. Der Duft von Weihrauch schwängerte die Luft und gab eine erste Impression, was seinen Besucher als nächstes erwartete.
Magane und Laiza mussten nicht lange warten, bis der Sekretär der Yen-Buddhisten Zeit für sie fand und in einen angenehmer riechenden Raum führte. Er stellte sich als Fred Wild vor und bot den beiden Wächterin eine Tasse Ingwertee an, den beide dankend annahmen.
"Sie kommen wegen Arend Nouel."
"Das ist richtig. Wir ermitteln in einem Fall, der seine Person betrifft. Sie wären uns eine große Hilfe, wenn Sie uns einige Fragen beantworten könnten."
"Selbstverständlich."
Laiza nickte und stellte ihre Teetasse zu Seite. "Wann haben Sie Herrn Nouel zuletzt gesehen?"
"Vor circa vierzehn Tagen. Er sagte, er habe eine private Angelegenheit zu klären."
"Welcher Natur?"
"Nun", Fred Wild drückte seine Faust gegen sein Kinn, bevor er weitersprach. "Genaues sagte er mir nicht. Er beantragte seinen Urlaub, gab mir das Formular und das war's. Ich dachte ..."
"Sie dachten was?"
"Sein Sohn, ich dachte, es wäre wegen ihm."
"Arend Nouel hatte einen Sohn?"
"Hat", verbesserte er Magane, "Eric."
"Ist er zu sprechen?"
"Oh nein, sie missverstehen", lachte der Sekretär. "Eric ist nicht bei uns. Er hat sich seit zwei Jahren nicht mehr bei seinem Vater gemeldet."
"Und seine Mutter?"
"Eric hat keine Mutter. Zumindest nicht mehr seit seinem ersten Lebensjahr. Er wuchs bei seinem Vater auf."
Laiza blickte von ihren Notizen auf. "Wo ist die Mutter jetzt?"
"Sie wohnt ebenfalls in der Stadt. Arend und Eric sind vor zehn Jahren hierher gezogen. Arend hat seinem Sohn nie erzählt, dass seine Mutter keine fünf Straßen weiter wohnt."
"Warum nicht?"
"Weshalb wollen Sie das wissen? Ist der Junge in Schwierigkeiten?"
"Das wissen wir noch nicht. Aber wir müssen mit ihm sprechen."
"Seine Mutter war verheiratet, als er zur Welt kam. Allerdings nicht mit Arend und in der damaligen Gesellschaft waren Mischpaare nicht gern gesehen. Also verließ sie beide und ging zurück zu ihrem Mann."
"Und bekam eine Tochter."
"Woher wissen Sie das? He, halt!"
Der Sekretär blickte den beiden Frauen verwirrt nach, als diese rauschend den Raum verließen.

***


"Daher das Amulett, die gleichen Blutgruppen, die Silbermünzen auf den Augen, ... Es ist seine Familie. Oder das an Familie, was er nie gehabt hat." Laiza schnaufte, als sie neben Valdimier van Varwald herlief und ihn mit allen nötigen Informationen fütterte.
"Er nimmt Rache. An seiner Mutter, die ihn aus gesellschaftlichen Gründen weggab, an dem Mann, mit dem die Mutter glücklich war, an seinem Vater, der ihm nie die Wahrheit sagte, und mit aller Wahrscheinlichkeit auch an der Schwester, die alles hatte. Ihr müsst euch beeilen!"
"Wir sind dabei", sagte der FROG und stürmte voran.
Laiza verlangsamte ihren Schritt und ein halbes Dutzend FROGs rannten an ihr vorbei, auf dem Weg zum Tatort. Es war eine blinde Vermutung, dass Eric seine Mutter erneut dorthin brachte. Doch Mira Galecki war nicht zum vereinbarten Termin in der Wache erschienen und auf ihrer Arbeitsstelle fehlte sie seit dem Überfall. Araghast Breguyar selbst hatte deshalb die Überprüfung der Wohnung angeordnet und dann war alles ganz schnell gegangen.
Die FROGs stürmten die Wohnung und fanden die an einem Stuhl gefesselte Mutter im Schlafzimmer vor. Auf dem blutbesudelten Fußschemel saß Mira und beiden gegenüber, auf dem Bett, hockte ein junger Mann mit einer Haut wie Milchkaffee. Als die Wächter ihre Forderungen durch die Tür brüllten, sprang der junge Mann auf und zog ein Messer aus seiner Jacke. Bevor die Klinge die Brust der Mutter erreichen konnte, traf ihn der Bolzen und schleuderte ihn zurück. Eric keuchte und blutiger Speichel spritze auf, als er hustete.
"Einen Sanitäter, schnell!" Valdimier stürzte in das Zimmer und sicherte die Lage, trat das zu Boden gefallene Messer außer Reichweite und zielte mit seiner Armbrust auf Erics Herz. "Liegenbleiben!", befahl er den Angeschossenen. Erst dann befreite man Mutter und Tochter.

***


"Wird er durchkommen?"
Breda Krulock nickte und setzte sich an den Schreibtisch gegenüber ihrer Abteilungsleitung. "Der Schuss ging geradedurch, nix wichtiges getroffen. Er wird's überleben."
"Und die Mutter?"
"Hat einige Schürfwunden und Prellungen abbekommen. Er hat sie ganz schön malträtiert, aber nichts ernstes."
Magane las den Bericht erneut. Für sie war es nicht nachvollziehbar, wie eine Mutter ihr Kind alleine lassen konnte, nur weil es nicht den Konventionen entsprach. Das klang nicht nur falsch, sondern war es auch.
"Er hatte eine gute Kindheit. Es fehlte ihm an nichts. Der Vater hatte sogar eine neue Frau kennengelernt. Diese zog aber nicht mit nach Ankh-Morpork und so waren es wieder einmal nur Vater und Sohn. Vor drei Wochen trafen sich Lynn Galecki und Arend durch Zufall wieder. Beide wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Eric ihr kleines Geheimnis bereits kannte. Also trafen sie sich regelmäßig. Er holte sie mit der Kutsche ab und sie genossen ihren zweiten Frühling. Wer weiß, hätten sich beide damals in Ankh-Morpork getroffen, wäre die Geschichte vielleicht anders ausgegangen."
"Wie geht es Mira?"
Breda zog die Augenbrauen hoch. "Sie hat seit drei Tagen einen mörderischen Halbbruder, der ihren Vater auf dem Gewissen hat und ihre Mutter umbringen wollte. Ich würde sagen, ihre Gefühle sind etwas zwiespältig."
Magane lachte. "Da wirst du wohl Recht haben."


ENDE
Zählt als Ausbildungsmission zum/zur Tatortwächter i.A..



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

20.11.2012

Ich fand den Aufbau der Geschichte etwas verwirrend. Zum Einen habe ich erst sehr spät verstanden, dass es um mehr Beteiligte ging, als ich erst gedacht hatte. Zudem habe ich lange überlegt, warum der "schwarze Mann" sich anscheinend völlig atypisch verhielt, da er ja keinerlei Vorliebe für Türen zum Dahinterverstecken etc. zu haben schien. ;-) Die Thematik der Rassendiskriminierung ganz schlicht aufgrund der Hautfarbe lag mir gedanklich auf der Scheibenwelt einfach zu abseits, als dass ich gleich darauf gekommen wäre. Und letztlich habe ich bis zum Schluss nicht verstanden, warum und wie dieser Rachefeldzug nun genau von statten ging, vor allem bezüglich des Verschwindens von Mutter und Tochter und was die Kutsche nun überhaupt damit zu tun hatte, warum die Fingerabdrücke der Mutter auf dem Messer so hervorgehoben wurden, wenn es anscheinend doch der Sohn war...

Ansonsten natürlich ein guter Vorlagenbezug inhaltlich durch Bredas Einstieg bei den Susen. :-)

Von Sebulon, Sohn des Samax

05.11.2012

Gut erzählt, spannend gebaut - ein gelungener und erstaunlich knisternder Einstieg bei Suchen und Sichern. *Daumenhoch*

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung