Es war schon immer typisch für die Wache, zu untypischen Mitteln zu greifen. Eine Wichtelsingle.
Dafür vergebene Note: 12
Der Schmerz war weitaus geringer, als sie ihn sich vorgestellt hätte. Keine endlosen Qualen in ihrem Körper, die wie flüssiges Feuer durch die Venen schossen, keine Krämpfe, die sie mit der Hand eines Riesen gepackt hielten und zu zerpressen drohten, keine kerkerdimensionale Kälte in Brust und Seele.
Nichts dergleichen. Nur ein schwacher Schmerz in ihrem Schädel, eine tiefgreifende Benommenheit und die hilflose Schwäche von jemandem, der auf der Schwelle des Todes gestanden hatte. Um die Augen zu öffnen, fehlte ihr der Mut, deshalb gab sie sich mit einem halblauten Stöhnen zufrieden und zappelte ein wenig in den Lederbändern, die sie an dem Untergrund fixiert hielten.
"Ruhig, Hatscha, ich bin ja da...", erklärte eine Stimme aus unmittelbarer Nähe, gefolgt von dem Geräusch einer abgestellten Tasse auf Holz, sowie dem Quietschen von altem Leder. "Ich muss gestehen, dass ich mir nicht sicher war, ob du wieder zu dir kommen würdest, immerhin bin ich keine Rogi..." Die Sprecherin war an ihre Seite getreten, mit Verspätung erkannte die Liegende Rea Dubiata. Schwach stieg ihr der Fenchelmundgeruch in die Nase, als sich die SEALS-Abteilungsleiterin über ihr Gesicht beugte. Es kribbelte warnend auf ihrer Haut. "Wie fühlst du dich? Kannst du sprechen?"
Eine kühle Hand fuhr ihr über die Stirn. Hatscha nieste. Die Pause währte nur den Bruchteil eines Augenblicks, bevor sich die Hand entfernte. Sie hörte, dass Stoff auf Stoff rieb.
"Nun...", seufzte Rea, "immerhin daran scheint sich nichts geändert zu haben. Ich nehme das als gutes Zeichen."
Al Nasa fuhr sich mit der Zunge mehrfach durch den Mund, bis genug Speichel versammelt war, dass sie zu Sprechen wagte. Es funktionierte erstaunlich gut: "Wo...?"
"Im Gebäude der Stadtwache am Pseudopolisplatz, in meinem Büro. Auf meiner Bahre. Ich habe dich festgebunden, damit du nicht herunter fällst. Weißt du, wer du bist?"
"Ja..."
"Weißt du, wer ich bin?"
Hatscha nickte schwach. "Rea... Du bist Rea."
"Gut." Die Erleichterung in dem kleinen Wort war unüberhörbar. "Ich war mir nicht sicher... Ratti konnte das verwendete Gift nicht eindeutig bestimmen, wir mussten also von allerlei Beiwirkungen rechnen." Wasser schwappte, plätscherte dann auf Metall, kurz darauf grunzte
etwas vernehmlich. Hatscha spürte deutlich die Hitze, die zu ihr hinüberwallte. "Ich denke, ein Tee wird dir gut tun, wenn du schlucken kannst."
Die erst kürzlich versetzte Chief-Korporal wendete den Kopf in Richtung von Reas Stimme. "Du sagtest 'Gift'..."
"Ein scheußliches Gemisch, obwohl es augenscheinlich nicht zum Tod führen sollte. Es wurde intravenös verabreicht. Erinnerst du dich?"
"Ja..."
Dubiata zögerte kurz, doch als Hatscha nichts hinzufügen zu wollen schien, erklärte sie: "Ich habe dir einige Kräutersude verabreicht, die das meiste Gift aus deinem Körper ziehen sollten. Der Rest wird dann selbst abgebaut, denke ich. Wir müssen nur sehr vorsichtig sein, um passend auf nachträgliche Wirkungen reagieren zu können. Und natürlich habe ich dir präventiv Schmerzmittel verabreicht."
Darauf herrschte wieder Stille, nur unterbrochen von sich langsam erhitzenden Wasser und dem Knistern von trockenen Kräutern, die zwischen Händen zerrieben wurden. Scharfe Gerüche, die Hatscha nicht zuordnen konnte, reizten sie zu zwei weiteren Niesern, wobei sich jedesmal die Kopfschmerzen ein wenig verschlimmerten.
Zwar verbanden die Kontakterin in Ausbildung und die langjährige Abteilunsleiterin keine freundschaftlichen Banden, doch der Liegenden wurde die Stille unbehaglich. "Rea?"
"Ja? Ich werde dich gleich losbinden, nur noch einen kurzen Augenblick..."
"Das ist es nicht..." In Wahrheit hatte Hatscha die Lederriemen bereits wieder vergessen. "Ist es hell in deinem Zimmer? Ich habe Angst, dass die Schmerzen in meinem Kopf noch schlimmer werden, wenn ich die Augen aufmache..."
Dieses Mal dauerte das Zögern erheblich länger. "Hatscha..." Das Rascheln der Kleider verriet, dass die Fähnrich sich wieder zu ihrer Bahre bewegte. Die Hand berührte abermals ihre Wange. "Hatscha, deine Augen sind offen..."
*'*'*
Im Atem des Kommandörs lag unmäßige Anspannung. Hatscha brauchte keine Augen, um das Gesicht des Vorgesetzten ahnen zu können: Der Mund zu einem Strich zusammengepresst, das verbliebene Auge verengt und mit starrem Blick auf sie, Korporal Goldwart oder irgendeinen Gegenstand im Raum gerichtet.
Das Schweigen dauerte nun schon unangenehm lang.
Ein leises, unbewusstes Räuspern verriet ihr, dass Araghast es zu brechen beabsichtigte, bevor er sprach: "Das dürfen wir nicht unbeantwortet lassen. Ich werde eine offizielle Beschwerde beim Patrizier einreichen und hoffe das reicht, um den Verantwortlichen eine gehörige-"
"Nein", unterbrach al Nasa ihn hastig, aber bestimmt. Zog Breguyar verärgert die Augenbrauen in die Höhe? Wahrscheinlich.
"Nein?"
"Ich denke, das sollten wir nicht tun, Sör", erklärte die kürzlich Erblindete.
Braggasch schluckte.
Der Kommandör schnaubte leise durch die Nase. "Und wieso nicht, Chief-Korporal?"
Al Nasa befeuchtete sich die Lippen, um ein wenig Zeit zum Nachdenken herauszuschlagen, und antwortete dann in einem, wie sie hoffte, ruhigen Tonfall: "Verzeih mir, Sör. Wie du weißt, habe ich sehr lange bei DOG gedient und somit ein wenig Ahnung von den Gildenstrukturen. Wenn wir Beschwerde einlegen, wird die Wache offiziell Stellung zu den Vorkommnissen nehmen. Momentan wissen die Assassinen nicht, so hoffen wir zumindest, dass wir in diese Angelegenheit verwickelt sind. Sie gehen von einem Akt der Diebesgilde aus. In diesem Glauben sollten wir sie lassen, denn auch wenn Lord Witwenmacher selbstverständlich niemals etwas gegen die Stadtwache unternehmen würde, so könnten aufgrund des Affronts gewisse... Unfälle passieren."
"Das klingt einleuchtend." Das Knarzen des Holzes zeigte an, dass sich Araghast zurücklehnte. "Gibt es noch weitere Gründe?"
"Sör?", entgegenete Hatscha unschuldig.
"Ich muss alles genau abwägen..."
Die Kontakterin in Ausbildung war keine Püschologin, doch konnte sie deutlich heraushören, dass der Kommandör ihr nicht glaubte. Doch das war unwichtig. Selbst, wenn er seinen Verräterzwerg auf sie ansetzen würde, konnte Hatscha stur auf ihrer Aussage beharren - immerhin erholte sie sich gerade erst von einer starken Vergiftung, wer würde es ihr da anlasten, dass sie unter Gedächnislücken litt? Allerdings merkte der Chief-Korporal deutlich, wie sich Goldwart neben ihr in seinem Sitz wand und schauderte. Der blonde Stellvertreter des FROG-Abteilungsleiters war bekannt dafür, bei dem kleinsten psychischen Druck zusammenzubrechen. Noch dazu war er mit dem Intörnal-Affärs-Stammagenten gut befreundet... Konnte sie sich drauf verlassen, dass er dicht hielt?
Als hätte Breguyar ihre Gedanken gelesen, richteten sich seine nächsten Worte an Braggasch: "Gibt es noch etwas hinzuzufügen, Korporal?"
Hatscha verkrampfte sich, der Atem des Zwergs geriet ins Stocken. "Äh..." Ohne sehen zu können, wusste die langjährige Wächterin sich doch ein sehr genaues Bild von der Situation zu malen: Der stechende Blick, unentwegt auf die wässrig-grünen Augen gerichtet. "Äh..." Die verärgert und ungeduldig ineinander gepressten Hände des Halbvampirs. "Äh..." Der Angstschweiß, der dem Späher aus jeder vorhandenen Pore rann. "Ich glaube, Chief-Korporal Hatscha hat das ganz, äh, gut, zusammengefasst...", murmelte Goldwart erbärmlich.
Al Nasa entspannte sich ein wenig.
"Was also soll ich eurer Meinung nach unternehmen?", seufzte der Kommandör verärgert.
"Sör, wenn du gestattest, gewähre dem Korporal und mir freie Hand. Wir werden diese missliche Lage wieder gerade biegen." Sie konnte den panischen Blick des unzwergischen Zwergs geradezu
spüren.
"Und wenn nicht?"
"Werden wir sehr vermutlich bei dem Versuch sterben. So oder so wird die Wache nicht in diese Sache mit hinein gezogen, genau so, wie es von Anfang an geplant war."
"Von Anfang an war geplant, dass ihr euch nicht erwischen lasst", hielt Araghast entgegen.
Hatscha zuckte mit dem letzten Rest von Beiläufigkeit, den sie aufbringen konnte, mit den Schultern. "Wie heißt es doch immer? Ein Plan überlebt nie den ersten Angriff..."
*'*'*
Das regelmäßige stampfen der Druckerpresse ging Hatscha von Anfang an gehörig auf die Nerven. Dennoch hatte sie ihren ungewollten Komplizen gebeten, die Maschine anzustellen, um die Gefahr eines Mithörers zu minimieren. Al Nasa wusste aus dem Kantinenklatsch, dass die Schreiber der
Rohrpost verärgert darüber waren, dass der Chefredakteur immer seltener neue Ausgaben abdruckte. Dieser schob es allem Anschein nach auf den Stress, der deutlich gestiegen war, seit er bei FROG der stellvertreter des Abteilungsleiters geworden war. Andererseits wusste jeder, dass Breguyar seinem Helfer kaum mehr als Schreibarbeit zutraute - und diese ließ er am liebsten noch von seiner Frau erledigen.
"Du, äh, hast ihn belogen!", jammerte Goldwart nicht zum ersten Mal. "
Wir haben ihn belogen! Er ist Püschologe, er merkt sowas!"
"Und? Was soll er schon tun?", bellte Hatscha bissiger als sie gewollt hatte und rieb sich das Gesicht. Zwar konnte sie den Zwerg nicht beobachten, doch das An- und Abschwellen der Lautstärke seiner Stimme brachte sie zu der Überzeugung, dass er in dem kleinen Raum hin und her lief. Hatscha selbst stand vollständig still - allein beim hereinkommen hatte sie sich trotz Goldwarts Führung ein halbes dutzend Mal an irgendwelchen absonderlich Dingen gestoßen. "Er kann nicht offen gegen uns vorgehen, weil unser Auftrag geheim war. Nur die Abteilungsleiter und wir wissen davon. Es existieren keine Akten und somit auch keine Grundlage für irgendwelche Anklagen."
"Gürtel weiß ebenfalls, äh, Bescheid!" Weinte der Korporal etwa?
"Ja, aber dein Freund hat das gleiche Problem wie der Kommandör!"
"Wir hätten es ihm einfach
sagen sollen!"
Al Nasas Geduld war erschöpft. "Halt die Klappe! Halt die Klappe! Halt die Klappe!", rief sie, atmete zuviel des allgegenwärtigen Staubs ein und nieste lange und ausgiebig. Goldwart widersprach nicht. Irgendetwas klirrte. Der Chief-Korporal nahm an, dass der Zwerg an einer seiner kleinen, unnützen Mechanismen herumfingerte, um sich abzulenken. "Vielleicht wäre es niemals so weit gekommen, wenn du nicht plötzlich verschwunden wärst, als dieser Daniel Irgendwas mir eine Spritze in den Arm gerammt hat."
"Er hieß, äh, Kostspiel", schniefte Braggasch. "Und was hätte ich tun sollen? Ich hatte gerade einmal genug Zeit, um mich aus dem Fenster hängen zu lassen, bevor er, äh, reinkam. Selbst wenn ich mit dem Nagelwerfer auf ihn geschossen hätte, wären wir ihm nicht, äh, gewachsen gewesen. Er ist Assasine! Und wir keine ausgebildeten, äh, Kämpfer..."
Hatscha wusste, dass ihr Kollege Recht hatte, auch wenn sie annahm, dass es vor allem Angst gewesen war, die den Blonden am Handeln gehindert hatte. Außerdem änderte das Warum nichts an der beschissenen Situation, in welcher sie sich befand.
"Also hast du mitbekommen, was er gesagt hat?"
"Äh... ja! Er wusste, wer du bist! Die Gilde weiß, dass die Wache hinter all dem steckt! Das muss der, äh, Kommandör erfahren!"
"Wenn du alles mit angehört hast, dann weißt du auch, warum das nicht geht."
Der Korporal zögerte. "Ja...", gab er schließlich mit deutlich weniger quengelnder Stimme zu. Dann zitierte er näselnd: "'Geehrte Frau al Nasa! Es ist uns eine große Ehre, dass Sie uns die Gunst eines versuchten Diebstahls gewähren. Natürlich müssen wir auf eine solche Tat entsprechend reagieren. Keine Sorge, es wird kein Inhumierungsauftrag auf Sie ausgestellt werden, dennoch wurde ich angewiesen, für einen Denkzettel zu sorgen. Man wird Sie in der Nähe des Wachhauses finden und sicherlich passend versorgen. Bevor sie jedoch mit dem Gedanken spielen, diesen offenen Bruch unseres so heiß geliebten Friedens zu melden, erinnern Sie sich bitte an folgende Worte: Sie haben einen ganz reizenden Sohn. Kai, nicht wahr? Wie alt müsste er jetzt sein? Sieben? Kommt ganz nach Ihnen und weniger nach seinem Vater... und dabei ist er so häufig nur in Begleitung seiner Tante bei Ihnen daheim... Wenn Sie nun kurz stillhalten könnten, Frau al Nasa?'" Braggasch machte eine Pause. Fingernägel kratzten über den Stahl eines Helms. "Äh... oder zumindest so ähnlich."
Hatscha nickte. "Ziemlich genau, würde ich sagen. Deshalb danke ich dir auch, dass du es in Gegenwart des Kommandörs nicht angesprochen hast."
Für eine lange Weile waren das metallische Stampfen und Goldwarts nervöse Bastelei das einzig Hörbare im Raum. Der Chief-Korporal kniff die nutzlosen Augen zusammen. Die Geräuschkulisse passte gut zu dem Dröhnen in ihrem Kopf; zu den Gedanken, die sich überschlugen, übersprangen, übereilten...
"Was... äh... machen wir denn jetzt?"
Hatscha schüttelte den Kopf. "Ich bin vor wenigen Stunden nach einer schweren Vergiftung aus dem Koma erwacht und werde mit dem möglichen Tod meines Sohnes erpresst. Ich brauche Zeit zum nachdenken."
"Wir werden nicht viel Zeit haben. Je länger wir untätig bleiben, desto mehr wird der Kommandör nachforschen, äh..."
"... und je mehr er bohrt, desto unsicherer wird das Leben meines kleinen Kai", vollendete die Kontakterin in Ausbildung den begonnen Gedanken Goldwarts tonlos. Noch war sie nicht in der Lage wirklich zu realisieren, was dies bedeutete. Irgendwann würden Panik und Tränen kommen, das war so sicher wie ein Troll auf Eis. Sie musste handeln, solange sie noch in der Lage dazu war.
Burkhars Sohn räusperte sich vernehmlich. "Können wir nicht Melas bitten..."
"Nein! Ich habe meinen Mann schon zu sehr in diese Sache hinein gezogen. Du kennst die Akten aus dem DOG-Archiv nicht, aber es steht außer Frage, wie die Gilde auf Assassinen reagiert, die sich als untreu herausstellen. Ich will nicht meinen Sohn retten, um ihn dann ohne Vater aufwachsen zu lassen."
"Wahrscheinlich hast du recht...", seufzte der Zwerg und tiefe Verzweiflung schwang in seinen Worten mit. Dann drückte er Hatscha einen länglichen Gegenstand in die Hand. "Äh... hier. Mir ist auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen, wie ich dir helfen kann. Es ist ein Teleskopstock mit einer weichen, langen Metallfeder am Ende. Eigentlich müsste... äh... du müsstest jetzt Dinge ertasten können, ohne sie anzufassen oder mit einem normalen Stab direkt an ihnen hängen zu bleiben, wie zum Beispiel, äh, an unebenem Boden. Ich nenne es Stock-mit-Feder-für-seheingeschränkte-humanoide-Wesen."
Hatscha schüttelte erstaunt den Kopf und brachte trotz aller Ereignisse ein schwaches Lächeln zustande. Sie grifft mit er freien Hand nach vorne, erwischte den Helm Goldwarts, arbeitete sich an dem schüttern behaarten Gesicht zur Schulter hinunter und drückte diese dankbar. Dann fuhr sie mit dem Stock versuchsweise hierhin und dorthin, entschied sich aber für den Anfang für die bewährte Methode des an-den-Wänden-entlangtastens.
Man überließ es dem Rekruten Opal, sie sicher nach Hause zu begleiten.
*'*'*
"Wer hat dir das angetan?"
"Das kann ich dir nicht sagen."
"Wieso?"
"Es wäre zu gefährlich."
"Hat es etwas mit dem zu tun, was ich dir letztens erzählt habe?"
"Nein."
"Also ja... Das bedeutet, ich bin Schuld."
"Nein, mein Liebster, nur ich habe Schuld."
"Ich kann nicht... Ich... ich bin..."
"Ich weiß. Ich fühle deine Tränen. Es wird alles wieder gut."
"Auch du weinst."
"Ja."
"Wird es wieder vergehen?"
"Ich weiß es nicht."
"Vielleicht kannst du Kai nie wieder sehen."
"... Nein..."
"Meine Blüte, was ist?"
"Nichts... Nichts. Ich werde ihn hören können und fühlen, mein Liebster, das reicht mir schon."
"Ich bringe den um, der da getan hat!"
"Nein!"
"Aber ich muss-"
"Nein! Du musst gar nichts. Kümmer dich um Kai, beruhige ihn. Ich bringe alles wieder in Ordnung."
*'*'*
Am nächsten Tag hätte sie sich innerhalb des Wachegebäudes fast verlaufen, wäre nicht das Stampfen der Druckmaschine gewesen, die Braggasch vorrausschauend bereits angestellt hatte. Für die Zukunft schwor sie sich, die Türen zu zählen.
Der Plan, den sie hatte, war kaum fertig durchdacht, dennoch spürte sie eine eigenartige Gelassenheit, weil sie überhaupt etwas tun konnte. Entgegen ihrer Befürchtung geriet Burkhards Sohn nicht wie am gestrigen Tag in Panik, sondern blieb auf eine angespannte Art und Weise ruhig. Er lauschte ihr aufmerksam und ohne zu unterbrechen. Nur hin und wieder verriet ein leises Gähnen seinen Schlafmangel und der darin mitgetragene Alkoholgeruch den Grund dafür.
Als sie fertig war, schwieg er lange. Dann: "Es wird nicht, äh, leicht..."
"Nein, das wird es nicht."
"Und wir können nicht sicher sein, ob es überhaupt funktioniert."
"Auch das nicht. Aber ich habe lange bei DOG gedient. Ich weiß etwas über Assassinen. Sie machen keine solchen Fehler."
Das leise metallsiche Reiben verriet, dass der Zwerg sich wiederholt am Helm kratzte. Für einen kurzen Moment verwunderte es Hatscha, dies über den Lärm der Druckerpresse hinaus wahrnehmen zu können. "Äh... könnten wir nicht vielleicht einen Püschologen anonym nach einem Tipp fragen?"
"Nicht, ohne zu viel zu verraten. Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber ich bilde mir ein, dass dieser Kostspiel mir eine Aufgabe gegeben hat. Er hat mich nicht umgebracht und er setzt mich unter Druck. Dennoch hat er niemals etwas handfestes gesagt, was ich gegen ihn verwenden könnte. Aber er weiß, dass wir es schon einmal geschafft haben, in das Gildengebäude einzudringen. Und auch die Assassinen müssen sich an das Spiel der Gilden halten."
Braggasch stöhnte. "Manchmal habe ich das Gefühl, alles in dieser Stadt basiert auf, äh, Betrug und Verrat. Der Patrizier betrügt die Gilden, die sich untereinander und sogar die Einzelnen Mitglieder betrügen ihre Gilden... äh... und wir betrügen den Kommandör..."
"... damit der wiederrum nicht den Patrizier betrügen muss oder so offen gegen die Gilden vorgeht, dass alle einen Nachteil daraus ziehen."
"Das Spiel der Gilden..."
"So haben wir es zumindest bei DOG genannt."
"Und wir sind dumme Spielfiguren?" Goldwarts Stimme nahm wieder den üblichen, jammernden Tonfall an.
Hatscha jedoch schüttelte energisch den Kopf und klopfte mit ihrem neuen Blindenstock leise auf den Boden. "Nein. Heute Nacht sind wir Mitspieler."
*'*'*
Die dunkelgrauen Mäntel verhüllten die beiden ungleichen Schemen auf dem Dach in der bewölkten Nacht ausnehmend gut. Hatscha erinnerte sich an ihren ersten Versuch, als Braggasch ihr die Wahl der Farbe nahegelegt hatte und sie wiederum entgegenhalte konnte, dass ihr Gatte auf das übliche Schwarz der Assassinen schwörte. Goldwart setzte sich sowohl mit dem Grau als auch dem engen Schnitt der Kleidung durch - denn, so seine Worte, anders als die Berufsmörder waren sie beide nicht auf einen eleganten Auftritt aus.
Die Route der Wache war anscheinend nicht geändert worden, wie der Späher leise meldete. Mehr als alles andere bestärkte dies al Nasa in ihrer Ansicht über die Absichten Daniel Kostspiels. Lebhaft erinnerte sie sich an das Gespräch mit Melas, während dessen sie durch geschicktes Fragen und mehrere Gedankenspiele schließlich herausgefunden hatte, wer den Wachdienst im Gildengebäude der Assassinengilde in dieser Woche übernahm, wodurch er sich auszeichnete und wie seine Route verlief. Das Wichtigste jedoch: Wie man ihn erkennen konnte, während das ganze, herrschaftliche Haus doch wie ausgestorben wirkte. Hatscha zweifelte nicht daran, dass Melas sich bereits seinen Teil dachte. Unwillkürlich kam ihr das Abendessen vor wenigen Tagen in den Sinn. Ihr Mann war spät und völlig verärgert von der Arbeit gekommen - so verärgert, dass er einige Dinge im Zorn erzählt hatte, die sonst verschwiegen geblieben wären. Der Diamant, der Streit mit der Diebesgilde... Hatscha selbst hatte es ihrem neuen Abteilungsleiter Romulus von Grauhaar erzählt und damit diese ganze Sache ins Rollen gebracht.
Sie zuckte leicht zusammen, als in der - für ankh-morporkische Verhältnisse - stillen Nacht das scharfe Klicken von Metall auf Stein ertönte. Goldwart hatte seine modifizierte Armbrust mit der Mini-Harpune abgeschossen, genau so wie an jenem Abend, an dem sie bereits zuvor eingedrungen waren. Schon bildete sich Hatscha ein, Alarmrufe und sirrende Bolzen zu hören, doch alles blieb ruhig. Die Kontakterin in Ausbildung erinnerte sich daran, wie sie während ihres ersten geheimen Auftrags auf diesem Dach fastziniert dabei zugesehen hatte, als der Späher anhand des dünnen, abgeschossenen Drahts ein dickeres Kletterseil zu dem Gebäude der Assasinen gezogen hatte. Mittels irgendeiner mechanischen Vorrichtung, die sie nicht verstand, wurde dann jenes Kletterseil wie von Zauberhand an der anderen Seite befestigt, so dass sie hinüber gelangen konnten. Freilich sah al Nasa in dieser Nacht nichts von alledem, sondern spürte nur die langen, feinen Hände des Zwergs, während er sie zum Seil führte.
Die ehemalige DOG-Mitarbeiterin war nie eine große Sportlerin gewesen. Aus diesem Grund erfüllte sie die Aussicht viele Meter über dem Boden an einem Seil entlangzuhangeln, während der Wind an ihr zerrte und der Tod nach ihr rief, auch bei diesem zweiten Mal mit tiefer Sorge. Die Tatsache, dass sie blind war, half da nicht wirklich. Dass die Wahl für den ersten, geheimen Auftrag dennoch auf sie gefallen war, verdankte sie einzig der Tatsache, dass sie die Meldung gemacht hatte und aus diesem Grund bereits mit der Angelegenheit vertraut war. Jeder weitere Mitwisser wäre ein Risiko gewesen. Zudem verfügte sie als ehemalige DOG-Mitarbeiterin über das Wissen über den Aufbau des Gildengebäudes der Assasinen, sie kannte die vielen Gerüchte über die Fallen und Mechanismen, und sie konnte erahnen, wo sich der Diamant befinden musste. Braggasch als langjähriger Späher, Erfinder und bekannter Schlösserknacker war für den Diebstahl dahingegen die naheliegendste Wahl des Partners gewesen.
Hatscha erreichte das Ende des Seils ohne Zwischenfälle und kletterte auf den schmalen Fenstersims des Turmfensters. Der schlanke Zierturm lag im Schatten eines Größeren und war deshalb eine der wenigen, nicht von überall einsehbaren Stellen des schlossähnlichen Hauses. Goldwart folgte ihr leise, knackte den Fensterriegel wie beim ersten Mal, ließ sie ein und entfernte mittels seiner mechanischen Absonderlichkeit das Kletterseil wieder, so dass allein der geschwärzte Draht in der Nacht zurück blieb. Dann folgte er ihr ins Innere und schloss das Fenster.
Sie zog den Blindenstock hervor und beugte sich dem warmen Atem des Zwergs entgegen. "Wir nehmen vorsichtshalber einen etwas anderen Weg..." Das Schweigen des Zwergs nahm sie als zustimmende Antwort.
Al Nasa entrollte den gedanklichen Gebäudeplan und begann sich, dank der von Braggasch so gerühmten, weichen Metallfeder an ihrem Stock, leise durch die Treppen und Flure zu tasten.
Der stoßweise, angestrengte Atem Goldwarts in ihrem Rücken verriet seine Anspannung, sie selbst jedoch verweilte noch immer in ausgeglichener innerer Ruhe. Ging es um das Leben ihres Kindes, so hatte al Nasa irgendwann einmal gelesen, dann waren Mütter zu erstaunlichen Leistungen fähig. Anscheinend bezog sich dies nicht nur auf körperliche, sondern auch mentale Leistungen.
Das Parkett der Assassinengilde zog langsam unter ihren Schleichsohlen hinweg. Drei Türen öffnete und verschloss Goldwart auf ihrem Weg, eine Falle blockierte er, eine andere löste er kontrolliert aus, nachdem Hatscha ihn auf ihr Dasein hingewiesen hatte. Dann standen sie wieder vor dem Portal.
Der Späher ließ den Atem zischend entweichen und das leise Klicken verriet, dass er sich wie damals an dem Schloss versuchte. Wie nicht unerwartet benötigte er dieses Mal weit weniger Zeit.
Leise schwang die Tür nach innen.
Trotz des ruhigen Zustands drängten sich ihr sofort die Erinnerungen an den dahinter liegenden Raum auf: Düster eingerichtet mit edlem, dunklem Holz; ganz ähnlich eines Büros: mit einer Sofaecke, einem Sekretär, einem Schränkchen zur Verwahrung alkoholischer Getränke... doch in Wahrheit ein fallenstarrendes Todeszimmer, in welchem die wichtigsten Dokumente und wertvollsten Gegenstände der Berufsmörder aufbewahrt wurden. In diesem Raum war es gewesen, als Daniel Kostspiel sie entdeckt hatte. Hier hatte sich Braggasch aus dem Fenster geschwungen, um sich zu retten und hier hatte sie das Gift injiziert und das Ultimatum gestellt bekommen. Zum ersten Mal fiel Hatscha das hauchzarte Knarzen der Dielenbretter auf, als sie den Raum betraten. Ob wohl jemand hierrunter sein Zimmer hatte? Kostspiel vielleicht? Ein leichter Zigarrenrauch lag noch in der Luft und der Hauch von Cognac stieg ihr in die Nase. Eilig unterdrückte Hatscha ein nur allzu bekanntes Kribbeln. Das Holz der Möbel roch alt und ölig, die Sitzmöglichkeiten hatten den leichten Gestank verschiedenster Hintern angenommen. Ein kaum wahrnehmbares Surren erfüllte den Raum, fast überdeckt von Goldwarts leiser Suche. Hier konnte Hatscha nichts ausrichten, sie überließ es dem Kollegen, den Raum - erneut - auf den Kopf zu stellen. Doch die Zeit verging, ohne dass von Braggasch etwas anderes als ein enttäuschtes Seufzen gekommen wäre.
Nach einer gefühlten Ewigkeit zog er sie leicht am Ärmel, damit sie sich hinunterbeugte.
"Es ist, äh, nichts zu finden", flüsterte er verzweifelt. "Das heißt - ich finde viel. In doppelten Böden, Geheimfächern, hinter Klingen und Giftfallen... äh... aber alles nur Papiere und kleine Phiolen und wunderschöne Waffen und..."
Der Chief-Korporal unterbrach Burkhards Sohn mit einer gehobenen Hand. "Was ist das?"
"Was?"
"Das Summen."
"Ich, äh, höre nichts."
"Es kommt von da. Was ist dort?"
Goldwart zögerte. "Die Rückwand des, äh, großen Schreibtischs. Aber die Schubladen habe ich natürlich schon durchsucht, da ist nichts, was..."
Wieder brachte ihn seine blinde Einbruchspartnerin zum Schweigen. "Such die Rückwand ab."
Ohne zu widersprechen entfernte sich der Späher und kurz darauf vernahm sie das leise Reiben seiner über Holz fahrenden Finger. "Äh... nichts."
"Lass mich mal." Mit Braggaschs Hilfe kniete sie sich vor der Rückwand des Schreibtischs nieder und legte die Hände darauf. Ein leises Lächeln huschte über das Gesicht, als sie zum ersten mal in ihrem Leben die Maserung von poliertem Holz ertastete. "Es ist schön..."
Außer einem geflüsterten: "Äh...", erwiderte der Zwerg nichts.
Die seit dem Beginn ihrer Blindheit sensibler gewordenen Finger tasteten über das Holz. Noch einmal und nocheinmal. Spührte sie da nicht eine hauchfeine Spalte? Ja, dort; sie war der Maserung nachempfunden und so fein, dass man sie eigentlich nicht wahrnehmen konnte... Hatscha drückte sanft hier und sanft dort. Als sie schon einräumen wollte, dass sie sich geirrt hatte, verschob sich etwas. Braggasch schnappte nach Luft.
"Ich sage doch, die Assasinen tun nichts ohne Grund...", murmelte al Nasa mit feinem Lächeln. "Jetzt bist du dran."
"Äh... gut. Ich entferne die Platte... dahinter ist ein Muster aus ganz feinen Drähten. Jetzt kann ich auch hören, wie sie summen! Und dahinter... äh... er ist wirklich groß!"
Die Kontakterin in Ausbildung entspannte sich etwas und überlies dem Zwerg die Arbeit. Irgendwie gelang es Goldwart mithilfe seines Diebeswerkzeugs an den Drähten vorbei zu kommen, ohne die damit verbundete Falle auszulösen. In kurzem Flüstern einigten sie sich darauf, dass Braggasch den erbeuteten Diamanten an sich nehmen sollte. Alles wurde fein säuberlich wieder hergerichtet und Hatscha rückte die Platte wieder an ihren Ursprungsort.
Mit einigen Handgriffen war die Tür zu dem Düsterniss atmenden Zimmer wieder verschlossen und Hatscha führte sie Beide auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Spuren wurden verwischt, Fallen wieder aktiviert, Durchgänge geöffnet und verriegelt - und über Allem lag bedrohlich die Stille des Gildengebäudes, welche für die angespannten Nerven wirkte, als wolle sie jeden Moment durchbrochen werden.
In dem Türmchen angekommen öffnete Goldwart das Fenster und vergewisserte sich, dass sie nicht beobachtet wurden. Schon von drinnen vernahm Hatscha das leise Plätschern von Nieselregen, den die Wolken wohl nicht mehr hatten halten können. Das würde es einem Ausschau haltenden Wächter noch schwerer machen, sie zu erkennen. Der Späher überprüfte dem Geräusch nach zu urteilen noch einmal den Aufenthalt des Diamanten in einer seiner Westentaschen. Ein leises
'zing' bedeutete Hatscha, dass das das Kletterseil wieder herangezogen, gespannt und befestigt wurde. Mit einer ungeduldigen Berührung bat Braggasch seine Kollegin, voraus zu klettern. Sie schwang die Beine um das Seil und hangelte sich vorwärts.
Doch irgendetwas stimmte nicht. Der Nieselregen hatte das Seil glitschig gemacht. Sie rutschte, verhedderte sich in dem Draht, der nur zum Einholen gedient hatte. Mühsam und schmerzhaft zog sie die eingeklemmte Hand hevor, doch die Andere konnte das Gewicht nicht halten und glitt ebenfalls ab, dann folgten ihre Beine...
Hatscha befand sich in freiem Fall, noch bevor ihr klar wurde, was eigentlich passiert war. Über ihr hörte sie den erstickten Schrei Goldwarts, doch sie selbst befand sich noch immer in der Phase ihrer Ruhe. Der einzige Gedanke, der die stürzende Einbrecherin begleitete, lautete: "Mein Sohn ist in Sicherheit".
Sie schrammte an einer Wand entlang und prallte von irgendetwas ab, bevor sie weiter fiel. Der Aufprall war heftig und drückte ihr die Luft aus den Lungen, doch anders als erwartet. Sie landete nicht auf hartem Stein, sondern in zwei starken Armen. Hatscha öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton hervor.
Dann hörte sie die tiefe Stimme Melas': "Komm nach Hause, meine Blüte. Und wenn du so etwas noch einmal tust, bringe ich dich um." Al Nasa konnte nicht anders - sie musste lachen. Nicht laut, sondern voller Energie und unterdrückt, doch so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Hatte sie doch gewusst, dass sie ihren Mann nicht täuschen konnte.
*'*'*
Sebulon weckte Braggasch aus dem unruhigen Schlummer, in den er gefallen war. Energisch pochte er an die Tür zu dem kleinen Büro direkt unter dem Raum mit der Druckerpresse. Sich den Schlaf aus den Augen reibend öffnete der Späher und blickte seinen Freund an.
"Oh... hast du noch geschlafen? Es ist doch bereits fast Mittag...", eröffnete Samax Sohn unschuldig.
Goldwart schüttelte den Kopf und ließ den Zwergischeren der beiden ein. Zwar war er in jeglichen Belangen von Püschologie eine Niete, doch kannte er Sebulon lange genug, um herauszufiltern, dass dieser ihm soeben mitgeteilt hatte: IA hat ein Auge auf die gestrigen Aktivitäten geworfen, konnte jedoch nicht genug Wissen sammeln, um jemanden ernsthaft zu belasten. Das beruhigte Burkhards Sohn ungemein - gab es doch kaum etwas, wovor er so viel Angst hatte, wie vor einem Bruch der Freundschaft mit dem Agenten.
Sebulon ließ sich auf die zerknautschte Pritsche des Korporals nieder. "Ich dachte mir, dich interessiert vielleicht, dass eine offizielle Meldung an alle wichtigen Stellen gegangen ist, in der sich die Gilde der Assasinen offiziell bei der Diebesgilde entschuldigt. Anscheinend ging es um einen Erbstreit zweier Mitglieder. Genauer gesagt um einen unverschämt großen Diamanten. Die exakten Hintergründe müssen noch geklärt werden, aber die Sache wäre wohl fast in einem handfesten Gildenstreit gegipfelt. Vor allem, da die Diebesgilde einen höheren Anspruch auf den Stein gehabt hätte. Ein Streit, der die ganze Stadt in Mitleidenschaft gezogen hätte..." Der Stammagent musterte seinen Freund lange, doch dieser lächelte nur freundlich und sagte nichts. "Jedenfalls entschuldigt sich die Assasinengilde ausdrücklich und gibt an, nach mehreren internen Diskussionen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass man den Diamanten an die Diebesgilde in einer Feierlichkeit übergeben würde. Ärgerlicherweise ist der Stein nach einem - angeblich zuvor schon einmal geschehenen, doch vereitelten - unlizensierten Einbruch gestohlen worden. Lord Witwenmacher bietet der Gilde der Diebe an, bei ihren internen Untersuchungen nach bester Tatkraft mitzuwirken. Er hat ein hohes Lösegeld auf die Festnahme jenes Diebes ausgesetzt. Der offene Streit scheint damit abgewendet." Daraufhin senkte Samax Sohn deutlich die Stimme. "Ist doch komisch, dass jemand nur zwei Nächte später genau den Plan umsetzt, der hier unter Ausschluss der übrigen Wächter im Geheimen geschlossen wurde, nicht wahr?"
Braggaschs Lächeln schwankte, hielt aber stand. "Weißt du, äh, Gürtel... es passieren schon sehr seltsame Dinge im Spiel der Gilden..."
Sein Freund stutze, lachte dann jedoch leise. Er stand auf und schloss den Größeren in die Arme. "Ich bin froh, dass es dir gut geht, Goldi." Burkhards Sohn erwiderte die Umarmung dankbar. Fast schon wieder an der Tür, drehte sich Sebulon noch einmal um. "Übrigens... in letzter Zeit lief die Druckerpresse erstaunlich häufig... ist die neue
Rohrpost etwa fertig?"
"
Ausgabe Sieben. Werde sie, äh, noch heute verteilen." Nachdem Samax Sohn die Tür wieder geschlossen hatte lachte der Späher sehr vergnügt und gelöst über dessen Gesichtsausdruck in sich hinein.
Dem Tribut der wenigen Stunden Schlaf folgend ließ sich Goldwart wieder auf seiner Pritsche nieder. Während er in wohligem Schlummer versank, dachte er darüber nach, ob Hatscha wirklich Recht gehabt hatte oder sie beide nur von unglaublichem Glück verfolgt worden waren. Das Spiel der Gilden schien dem Zwerg viel zu kompliziert, um es jemals durchschauen zu können. Sie waren in das Gildengebäude eingedrungen, um durch den Diebstahl des Diamanten einen stadtübergreifenden Streit zwischen Dieben und Assassinen zu verhindern - dieser Plan war grandios gescheitert. Hatte Daniel Kostspiel wirklich damit gerechnet, dass sie es nach seinem Ultimatum noch einmal versuchen würden? Hatte er es geplant? Waren sie letzendlich doch nur Spielsteinchen gewesen?
*'*'*
Hatscha verstummte, nachdem sie den nun sanft vor sich hin atmenden Kai ins Bett gebracht und ihm ein Schlaflied vorgesungen hatte, welches vergleichsweise selten durch Nieser unterbrochen worden war. Sanft und liebevoll strich sie über das kleine Gesicht und versuchte sich sämtliche ertasteten Formen einzuprägen. Dann schnappte sie sich ihren Stock und ging zurück zu ihrem Schlafzimmer.
Melas wartete bereits im Bett, war jedoch, wie sie an den Geräuschen identifizierte, noch immer angezogen.
"Alles in Ordnung?"
"Du hast Post."
Al Nasa verharrte. "Wie bitte?"
Melas stand auf, nahm sie bei der Hand und führte sie zum Bett. "Ein Laufbursche hat heute etwas abgegeben, meine Blüte. Ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit, die ich nicht kenne... und ein leeres Stück Papier." Er drückte ihr beides in die Hand.
Verdutzt betastete die Kontakterin in Ausbildung die Phiole, konnte aber nichts Außergewöhnliches erkennen, dann wandte sie sich dem Blatt zu. So fein, dass wahrscheinlich nur ein Blinder es erspüren konnte, waren dort einige Worte deutlich eingeritzt:
Betrachte die Angelegenheit als erledigt. Gegengift beigelegt."Was ist?", wollte Melas wissen.
"Nichts, mein Liebster", antwortete Hatscha, strich ihrem Mann beruhigend über die Wange und tastete sich zur Küche, um den Zettel dort in die letzte Glut des Kochfeuers zu werfen. Auf ihrem Weg musste sie kurz an die Fälschung des Diamanten denken, welche nun gut gesichert in der Wache verwahrt wurde. Man konnte nur hoffen, dass die Diebesgilde niemals die Wahrheit erfahren würde...
Zählt als Patch-Mission für den Späher-Patch.
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