1. Single: Tee, Ruß und eine Ratte

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von Wächterin Senray Rattenfaenger (GRUND)
Online seit 01. 07. 2012
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 17. 03. 2012 datiert
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 Außerdem kommt vor: Pismire

Es ist dein allererster Tag. Damit der Ausbildungsleiter in Ruhe deinen Ausbildungsplan finden kann, stellt er dir eine einfache Aufgabe: Finde die Kochgelegenheit - und wenn Du schon dabei bist, bring mir doch bitte einen Kräutertee mit. Danach besprechen wir dann in aller Ruhe den Ablauf deiner Ausbildung.
Klingt einfach.
Dabei sollte doch eigentlich nichts schiefgegen können - oder?

Dafür vergebene Note: 11

Hätte man ihr jemals gesagt, sie solle einen Weg beschreiben oder die Straßen und Gässchen aufzählen, durch die sie ging, Senray hätte dagestanden und nicht mehr weiter gewusst. Sie vertraute einfach ihren Füßen, irgendwo musste sie ja landen. Erstaunlicherweise sogar meistens dort, wo sie hin wollte. Immer vorausgesetzt sie hatte überhaupt ein Ziel.
Wer einige Jahre einfach zu Fuß über die Scheibenwelt gereist war, ohne sich jemals Gedanken über das "wohin" zu machen aber immer einen Ort zum Schlafen gefunden hatte, der machte das vermutlich so. Irgendwann hatte Senray sich einmal eine Karte von der Scheibenwelt gekauft, in der Hoffnung, sich so wenigstens die Namen der Orte an denen sie war zu merken und diese vielleicht sogar wieder zu finden. Bei diesem Versuch stellte sie fest, dass sie keine Ahnung hatte wo sie war und was oben und unten bei der Karte hätte sein müssen. Ähnlich verhielt es sich mit Straßenkarten und den meisten Straßennamen. Sie vermutete zwar, dass das noch zu einem Problem in der Wache werden könnte, hoffte aber, dass es erst einmal nicht weiter auffiel.
Auf dem Weg zur Kröselstraße überlegte sie sich, ob sie wirklich alles, was sie brauchte, bei sich hatte. Ihr Mittagessen, einige AM$ und zwei Packungen Streichhölzer. Was konnte sie am ersten Tag sonst noch brauchen?
Während sie noch darüber nachdachte, was man als Wächter alles benötigt, bog sie auch schon in die Kröselstraße ein.
Als sie das Wachhaus betrat dachte sie zum ersten Mal darüber nach, wo sie ihr Fischbrötchen ablegen könnte, ohne das es jemand aß während sie ... nun, eben was auch immer man in der Wächterausbildung machte. Am Tresen standen zwei junge Rekruten.
"Guten, guten Morgen. Also, ich, ... wenn ich euch, Sie, ich meine, ich habe eine Frage. Und zwar, weil ... also, es geht darum, dass ..."
"Jetzt komm doch bitte mal zur Sache!"
Senray zuckte bei den Worten zusammen und sah ein wenig oder auch etwas mehr verschreckt aus. "Es tut mir leid, ich wollte nicht stören, ich, ich ... "
"Schon gut, ganz ruhig", kam der andere Rekrut ihr zur Hilfe, "Mein Kollege hier ist nur übermüdet, mach dir da nichts draus, wir hatten Nachtschicht." Er schenkte Senray ein aufmunterndes Grinsen. "Also, was braucht du?"
"Ich ..." Sie holte tief Luft. "Ich müsste bitte zu Hauptmann Pismire. Heute ist mein erster Ausbildungstag, ich, also ich werde auch Wächter." Jetzt war es raus.
Nun, immerhin erntete sie nur leicht ungläubige Blicke und nicht gleich irgendwelche dummen Kommentare. Eine stammelnde, unsichere, zu klein geratene und ... rund gebaute junge Frau kam hier rein und meinte, sie würde Wächterin werden. Immerhin hatte sie selbst von Rosmalia [1] einiges anhören müssen, dass sie doch lieber bei ihr im Laden half oder irgendwo hier in der Stadt. Nur nicht ausgerechnet bei der Wache. Doch auch hier war sie stur geblieben und sie war sich ziemlich sicher, dass sie es nicht bereuen würde. Sie hoffte es zumindest.
Einer der Rekruten bot sich an ihr den Weg zu zeigen und gesagt, getan. Praktisch von einem Moment auf den anderen stand sie vor dem Büro des Hauptmanns, und plötzlich wusste Senray nicht mehr, was sie tun sollte. Einfach anklopfen? Und dann?
"Na, willst du nicht anklopfen?"
Bei der Frage machte sie einen kleinen Satz in die Luft.
"Ich, also, ich ... ja, natürlich, ich meine, ich ..."
Der Rekrut lachte. "Na, mach dir mal keine Sorgen. Wir waren alle mal so da gestanden. Mehr, oder weniger." Er grinste sie noch einmal an, dann ging er wieder in Richtung Tresen.

Während sie an die Tür des Hauptmanns klopfte sah sie noch einmal zurück. Dabei bemerkte sie, wie der junge Mann von eben sie noch einmal betrachtete. Vermutlich bot sie auch einen interessanten Anblick, dachte sie. Ihr rotbraunes Haar hatte sie zu einem einfachen, losen Knoten nach oben gebunden, ihre helle Haut stand im Kontrast zu dem schwarzen, ärmellosen Oberteil das sie trug. Es war eng anliegend, so dass es ihren weiblichen Körperbau betonte und gut in Szene setzte. Senray allerdings machte sich keinerlei Gedanken über derartiges, sie mochte es und trug es, weil sie damit beim Klettern und auch allem anderem praktisch nie hängen blieb. Ihre Hose hingegen war hellbraun und ein wenig weiter, an ihr waren viele Taschen, und sie war schon mehrmals geflickt worden. Sie sah, genauso wie die ebenfalls hellbraunen, abgetragenen Stiefel, so aus, als würde sie von ihrer Trägerin über alles geliebt und jedem anderen Kleidungsstück vorgezogen. Nun, dem war ja auch so. Das einzige, was ein wenig Farbe in ihre Erscheinung brachte war ihr Halstuch. Der Grundton war cremefarben und dunkelrote Ranken schlangen sich über das ganze Tuch, strebten zu ebenso dunklen Blumen in der Mitte.

Als der Rekrut ihren Blick bemerkte grinste er noch einmal und drehte sich um. Dennoch hätte sie wohl schwören können, einen sanften Hauch Röte in seinem Gesicht gesehen zu haben. Oder doch nicht? War das nur Einbildung? Wenn nicht, was hatte sie gemacht, welchen Anlass konnte sie bieten?
Allerdings hatte Senray keine Zeit mehr sich genauere Gedanken darüber zu machen, denn schon hörte sie ein "Herein" aus dem Büro. Sie holte noch einmal tief Luft und machte die Tür auf.
"Sör, Guten Morgen, Sör! Ich bin, also, ich ... Sör, Senray Rattenfaenger, Sör, ich habe mich schon einmal, nun, eben, also vorgestellte, also ich meine, Sör, ich war da und habe ... "
Sie war durch die Tür in das Büro des Hauptmanns getreten, vor den Schreibtisch und hatte salutiert. Hätte sie es jetzt noch geschafft sich ohne zu Stammeln vorzustellen, wäre sie richtig stolz auf sich gewesen. Hauptmann Pismire sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und wohlwollender Neugier an.
"Guten Morgen, Rekrutin Rattenfaenger. Ja, ich erinnere mich an dich. Das Ergebnis deines Rekrutentests war sehr gut, ich freue mich schon darauf zu sehen, wie du in der Ausbildung abschneiden wirst."
Senrays Augen weiteten sich vor Überraschung und Unglauben, und ihre Wangen verfärbten sich rot.
"I- Ich Sör? Verwechselt Ihr mich auch nicht?" Unsicherheit vermischte sich mit Freude und Stolz und sie hoffte nur, dass Pismire sie nicht verwechselte.
"Ich bin mir sicher, Rekrutin."
Freudestrahlend salutierte sie noch einmal. "Danke, Sör! Sör!"
Der Hauptmann beobachtete sie leicht belustigt. Scheinbar kam nicht jeden Tag ein neuer Rekrut, der sich so leicht begeistern ließ wie Senray.
"Nun, nachdem du jetzt offiziell ein Mitglied der Wache und heute dein erster Ausbildungstag ist, denke ich, wir sollten auch gleich beginnen. Ich schlage vor du machst dich erst einmal mit dem Wachhaus vertraut, schaust dir alles an und fragst die anderen Rekruten nach dem Alltag hier. Dabei kannst du dir auch gleich zeigen lassen, wo unser Aufenthaltsraum ist und du alles Nötige finden kannst, um mir einen Kräutertee zu machen. Wenn du das geschafft hast, bringst du ihn mir am besten gleich, dann gebe ich dir deinen Ausbildungsplan und es kann wirklich losgehen. Also, noch Fragen?"
Senray machte den Mund auf, nur um ihn direkt wieder zu schließen und ihren Kopf zu schütteln. "Nein, Sör! Glaube ich ..."
Sie salutierte noch einmal und auf das Nicken ihres Ausbilders hin verließ sie sein Büro und schloss hinter sich die Tür.

´Und jetzt?´, dachte sie. Einen Moment überlegte sie ob sie wieder die Rekruten am Tresen um Hilfe fragen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Ein bisschen auf eigene Faust umschauen konnte ja nicht schaden, nicht wahr?
Na gut, bei ihrem ersten Versuch sich im Wachhaus umzusehen landete Senray in einer Art Abstellkammer. Dafür war es aber eine sehr ... schöne Abstellkammer. Nur einige wenige Mäuse oder vielleicht auch ... Ratten. Nicht, dass Senray Angst vor Ratten hatte. Sie hatte Panik vor ihnen, Todesangst. Es gab definitiv nichts was sie mehr fürchtete. Selbst der Tod schien annehmbar im Vergleich zu der Begegnung mit einem jener Nagetiere.
Folglich hatte sie sich aus Reflex einen Besen als Waffe geschnappt, nur um mit ihm schreiend aus der Kammer zu rennen und am erstbesten, was sie sah, hinauf zu klettern. Wäre dies kein Troll gewesen, nun, es hätte wohl niemanden interessiert. Oder vielleicht doch: Immerhin hatte sie mit ihrem Geschrei so ziemlich jeden wachen Wächter aufgescheucht, und die, die geschlafen hatten aufgeweckt. Allein das schien Grund genug zu sein, nachzusehen, was dort vor sich ging.
Plötzlich sah sich Senray Rattenfaenger auf dem Kopf eines Trolls von anderen Rekruten und Ausbildern umgeben. Zum Glück war sie so in Panik wegen den Ratten, dass sie nicht einmal auf die Idee kam sich Gedanken darüber zu machen. Unter den Rekruten waren ein paar Zwerge, die noch kein ordentliches Frühstückt gehabt hatten oder vielleicht auch einfach Lust auf ein zweites Frühstück hatten, so dass die Rattenplage schnell beseitigt werden konnte.

Es dauerte eine Weile bis wirkliche alle Rekruten wieder an ihre Arbeit gingen und bis Senray sich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie bereit war wieder auf den Fußboden zu klettern.
Schließlich gelang es ihr dann aber doch, und sie stand mit einem Besen in der Hand vor dem Troll und Hauptmann Pismire.
"Ich, ich, also, ich meine, es, also, es tut mir leid, ich, auf keinen Fall wollte ich, also, ich meine, ich wollte nicht, dass, also, dieses Chaos und, ich meine, ... Ratte?"
Verzweifelt sah sie von einem zum anderen und versuchte sich daran zu erinnern, wie man einen klaren, ordentlichen Satz aufbaut. Irgendwie gelang ihr das nicht so recht, das einzige was sie zustande brachte war scheinbar unzusammenhängendes Gestammel.
Hauptmann Pismire betrachtete sie mit einer gewissen Art von Unverständnis, der Senray öfter begegnete. Just in dem Moment, in dem der Hauptmann Anstalten machte, etwas sagen zu wollen, konnte man die grollende Stimme des Trolles hören.
"Du sein klein wie Rasenschmuck, aber nicht haben Bart und haben Angst vor Ratten. Und du klettern auf meinen Kopf. Was du sein?"
Im ersten Moment war Senray nur verwirrt, immerhin war sie nicht zu schwer als Mensch zu identifizieren. Doch dann viel ihr ein bestimmtes Wort auf, das sie von Trollen nur zu oft in Zusammenhang mit Zwergen gehört hatte.
"Was meinst du mit -", fing sie an, doch auch sie konnte, wie zuvor der Hauptmann, ihren Satz nicht zu Ende bringen.
"Nun, Opal, das", ein Wink in ihre Richtung, "ist unsere neue Rekrutin Senray Rattenfaenger. Zeig ihr doch bitte das Wachhaus, ich will nicht, dass es noch einmal zu solch einem ... Zwischenfall kommt, ja?"
Äußerst verlegen sah Senray zu Boden und bemerkte dabei, dass sie den Besen die ganze Zeit über in ihrer Hand gehalten hatte.
"Äh, Sör, Verzeihung, aber ... Also, Sör, was soll ich damit, ich meine, mit dem Besen, also, was soll ich damit machen? Sör?"
Die Rekrutin sah ein wenig ängstlich zur Tür der Besenkammer, immerhin waren hinter ihr höchstwahrscheinlich immer noch Ratten. Der Hauptmann seufzte.
"Ist schon ok, gib ihn einfach mir. Und jetzt, Opal, zeig Senray das Wachhaus und bring sie zum Aufenthaltsraum. Wegtreten."
"Danke Sör, tut mir leid Sör und danke Sör!", hörte er noch von der Rekrutin, während die versuchte mit dem Troll Schritt zu halten.
Hauptmann Pismire seufzte noch ein Mal. Als er den Besen aufräumte, musste er zugeben, dass es schon arg viele Ratten in der Kammer gewesen waren. Vielleicht sollte er die Zwerge mit einem Spezialauftrag betrauen? Sein neuer Schützling würde es ihm sicher nicht übel nehmen.
Als er in sein Büro ging, war er immer noch in Gedanken. Plötzlich kam ihm aber ein seltsamer Geruch in die Nase. Irgendwie roch es nach Fisch aber anders. Was konnte das sein und vor allem: Wo war die Quelle des Geruchs?

"Wo gehen wir jetzt hin?", fragte Senray den Troll neben ihr.
Opal antwortete, untypisch für die Trolle die Senray kannte, wie aus der Pistole geschossen: "Wir nicht gehen, wir streifen! [2] Du dir das merken!"
"Hm, aber ... ich meine ...", setzte sie an, "also ... aber wir gehen doch, oder? Und war nicht Streifendienst eigentlich was ganz eigenes, ich meine, mit Route und so, und wo man eben Außen läuft und, also die Augen offen hat, eben weil man da, naja ..."
"Du neu sein, du nicht wissen. Ich wissen: Wir sein Wächter, wir streifen!"
Sie musste zugeben, das war ein gutes Argument, auch wenn das Grollen die junge Frau zusammenzucken lies. Gleichzeitig realisierte sie etwas und ein Funken Stolz kam in ihr auf. Er hat mich auch als einen Wächter bezeichnet!, schoss es ihr durch den Kopf. Fast hätte sie einen Luftsprung gemacht. Stattdessen strahlte sie über beide Ohren. Ich bin ein Wächter!
"Ok! Dann streifen wir gerade.", stellte sie fest.
"Du haben verstanden." Ein anerkennendes Grollen.
"Aber wohin streifen wir den jetzt eigentlich?"
"Zum Abort."

Nachdem Opal sie durch alle wichtigen Orte im Wachhaus geführt hatte, brachte er sie in den Aufenthaltsraum. Er umriss, wie zuvor in allen anderen Räumen, die wichtigsten Funktionen und Gegenstände. Zu ihrer Überraschung war außer den beiden Rekruten niemand hier.
Senray bedankte sich in ihrer typischen, sich wiederholenden Art. Gerade als sie damit beginnen wollte, sich genauer zu orientieren um den Tee für den Hauptmann zu kochen, begann Opal erneut zu reden.
"Wie dein Name sein gewesen?", fragte er und die Rekrutin gewann den Eindruck, dass er die ganze Zeit während er sie durchs Wachhaus führte, darüber nachgedacht haben musste.
"Senray Rattenfaenger."
Stille. Senray wusste nicht so recht was sie davon halten sollte. Sie sah den Trollwächter an, der wiederum sie sehr eindringlich musterte.
"Du sicher du sein kein Rasenschmuck?", kam es schließlich von ihm.
"Wa-? Nein, ich bin, also ich sein, ach, ich meine, ich nicht Rasenschmuck, aber, also, ich mag das Wort nicht aber, mmhh, ich bin ein Mensch." Sie selbst merkte wie dürftig und verwirrt sich das anhörte, so dass sie noch einmal ansetzte: "Und ich meine, ich habe weder Bart noch Appetit auf Ratten, ich kann gar kein Zwerg sein! Ich meine, also, ich habe Panik vor Ratten! Also, hast du jemals einen Zwerg getroffen der eben auch nur irgendwie ansatzweise ein bisschen Angst vor diesen widerlichen Monstern hatte?"
Aus diesem ganzen Wortschwall hatte sich für den Troll immerhin eine klare Aussage herauskristallisiert.
"Du Nicht-Rasenschmuck sein?"
"Ja, genau." Senray war froh das dies geklärt schien.
Die beiden Rekruten betrachteten sich noch kurz, dann nickte Opal.
"Ich dich gebracht haben hier, ich jetzt streifen zu nächster Aufgabe. Viel Glück du haben mit deiner Aufgabe, Nicht-Rasenschmuck Senray!"
Er salutierte, augenscheinlich darauf bedacht sich nicht selbst zu treffen. Überrascht tat es ihm die junge Frau gleich.
"Ich, ja, ich, also, danke, eben, und, also, auch viel Glück. Aber warum Glück? Ich, was, aber, eigentlich, und, wa- warte!"

Opal hatte den Raum bereits verlassen und Senray wunderte sich, wieso er so schnell sein konnte. Andererseits hatte sie auch einige Augenblicke verwirrt dagestanden und sich umgesehen.
Nun, dann würde sie eben von nun an wieder alleine alles herausfinden. Oder zumindest wo Tassen, Tee und ein Kessel stehen.
Gedacht - fast getan, schlenderte die junge Frau also in Richtung Ofen. Es dauerte nicht lange und sie hatte einen alten Kessel gefunden und mit Wasser gefüllt. Jetzt musste dieses also nur noch heiß bekommen werden.
Gut gelaunt, da nun ja wirklich nichts mehr schief gehen konnte, öffnete Senray also den Ofen. Ihr blieb die Luft weg bei dem Bild das sich ihr bot. Asche über Asche, die Wände voller Ruß. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Noch nie, nie, nie hatte sie einen armen, schlechter behandelten Ofen gesehen. Es dauerte tatsächlich einige Minuten bis sie sich wieder gefangen hatte.
"Ohje ... Armer kleiner ... Warte, ich helf´dir ..."
Vorsichtig zog sie den überquellenden Ascheschub heraus. Sie musste sehr vorsichtig laufen, um nicht die Asche im halben Wachhaus zu verteilen. Immer wieder viel ihr Blick auf die luftig graue Masse. Erinnerungen kamen hoch, an Feuer und Rauch, an ein brennendes Haus. Asche und Staub, das Krachen der einstürzenden Balken, Schreie. Das hohe Fiepen der Ratten, die Schreie ihres Großvaters und das Heulen ihrer Mutter.
Anstatt Senray zu suchen hatte sie sich damals ins Gras geworfen und geweint. Sie hatte das Mädchen auch nicht beschützt, als der Großvater sie in die Scheune sperrte. Überhaupt war ihre Mutter kein Musterbeispiel an Mütterlichkeit. Und ihr Großvater...
Die junge Frau schüttelte den Kopf. Es war Jahre her, warum jetzt daran denken? Es nützte doch nichts. Sie würde es nicht besser verstehen und die Narben würden auch nicht weggehen. Als sie eine Art Komposthaufen gefunden hatte, leerte sie den Ascheschub aus. Ein Blick zurück über die Schulter, ein Kopfschütteln.
Sie musste noch ein zweites Mal mit dem Ascheschub laufen, so voll war der Ofen noch gewesen.

Schon wieder kopfschüttelnd kam sie an ihrem Ursprungsort an. So ganz glauben, dass sich einfach niemand um diesen Ofen kümmerte konnte sie nicht. Immerhin wusste doch jeder, dass man sich um seinen Ofen kümmern musste. Es wusste doch jeder, oder?
Verwirrt betrachtete Senray das Objekt ihrer Sorge.
´Wenn aber schon der Ascheschub nicht ausgeleert ist ... Ob sie dann wohl den Kamin haben fegen lassen?´ Begründete Zweifel veranlassten die junge Wächterin einen genaueren Blick in den Ofen zu werfen. Sie sah im wahrsten Sinne des Wortes schwarz. Und tatsächlich nur noch schwarz.
Seufzend kam die Rekrutin wieder hervor gekrochen. Nun gut. Damit kannte sie sich wenigstens aus.
Feuer war nun einmal ihre größte Leidenschaft. Während sie über die Scheibenwelt gereist war hatte sie immer wieder mit dem Feuer gearbeitet, mit ihm experimentiert. Irgendwo, in einem kleinen Dorf auf dem Land, hatte sie quasi das Ausbildungszentrum der Schornsteinfeger gefunden. Dort hatte sie sich am wohl längsten aufgehalten. Eine Weile hatte sie sogar darüber nachgedacht dort zu bleiben.
Letztendlich ... nun letztendlich war sie doch weiter gezogen. Aber sie hatte viel gelernt bei den Schornsteinfegern. Auf diese Weise hatte sie oft ihr Geld verdient.
Von Dorf zu Dorf ziehen, immer wieder Kamine überprüfen und reinigen.

Da Senray ihre Ausrüstung nicht bei sich hatte, baute sie sich behelfsmäßigen Ersatz. Nun, immerhin hatte sie einen zufällig vorbei laufenden Rekruten überreden können für sie in die Besenkammer zu gehen. Sie musste jetzt nur noch das hierhin tun, oh, und hier einen Knoten ... Nein, lieber zwei. Sicherheitshalber. Ach ja, und das hier noch.
Unterdessen begann Hauptmann Pismire sich zu fragen, wo denn die Neue blieb. Sie sollte doch nur einen Tee machen. Es hätte ja sogar gereicht wenn, sie ihm kochendes Wasser gebracht hätte. Außerdem hatte er immer noch nicht die Quelle dieses seltsamen Geruchs ausgemacht ...

Im Taubenschlag herrschte reger Aufruhr, als Senray ihn durchquerte. Auf dem Weg hierher war sie und vor allem ihre Werkzeuge irritiert von den anderen Wächtern beobachtet worden. Scheinbar hatte dieses Wachhaus wirklich noch nie einen Schlotfeger gesehen.
Die junge Frau bahnte sich ihren Weg durch die aufgeschreckten Vögel, bis zu einem der Fenster. Es dauerte einen Moment bis sie es geöffnet hatte, und sie war nur froh, dass es nicht zu hoch angelegt war. So zog sie sich am Fensterbrett hoch und lies ihre Beine auf der anderen Seite heraus baumeln. Unter ihren Füßen waren die alten Ziegel des Wachhauses, an manchen Stellen fehlte auch der ein oder andere. Zum Glück, dachte Senray, war es die letzten Tage trocken gewesen.
Vorsichtig, bei jedem Schritt auf den Halt ihres Untergrunds achtend, bahnte sie sich ihren Weg zum Schornstein. Auch von oben war die Aussicht nicht viel besser.
´Ohje, das wird einiges an Putzarbeit nachher. Aber na gut. Bevor es einen Rußbrand gibt ... Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass das noch nicht passiert ist.`, dachte sie. ´Genauso das es noch keine Stauungen bei dem Rauch gab ... Wirklich erstaunlich.´
So begann sie, sich an ihre Arbeit zu machen. Mit dem behelfsmäßig angefertigten Stoßbesen löste sie den Ruß, soweit sie ihn erreichen konnte. Kleine schwarze Wölkchen stiegen auf zu ihr und sie wollte gar nicht wissen wie es jetzt unten aussah. Zu spät war ihr bewusst geworden, dass ein Auffangbehälter bei der Menge an Ruß Pflicht gewesen wäre.
Nun, solange niemand gerade jetzt unten die Ofentür öffnete, war es kein Problem. Wesentlich schlimmer war die Tatsache, dass der Besen den sie sich ebenfalls mit hoch genommen hatte, gerade dabei war, vom Dach zu rutschen. Einen Moment beobachtete sie ihn, arbeitete noch zwei, drei Sekunden weiter, dann realisierte sie, was sie gerade gesehen hatte.
„Oh nein, nein, nein, nein!“
Schnell zog sie den improvisierten Stoßbesen aus dem Kamin und sprang selbst dem Besen hinterher. Gerade noch auf der Kante erwischte sie ihn, lag dafür aber selbst auf dem Dach, den Blick nach unten auf den Hof.

Zwei Seals, die gerade auf Streife waren, bogen auf den Hof des Wachhauses in der Kröselstraße ein. Sie hatten einen Umweg machen sollen, um Pismire noch einen Bericht zur Unterschrift vorbeizubringen. Es sei zwar wichtig, aber nicht zu eilig, und immerhin wären sie ja eh in der Ecke …
Als die beiden Wächter nun also in den Hof einbogen, bot sich ihnen ein interessanter Blick. Einige Rekruten rannten hektisch durcheinander, ganz offensichtlich wusste keiner was er tun sollte. Am Wachhaus hing ein Besen herab und an diesem Besen hing eine junge Frau. Weder sah sie verzweifelt noch sonst irgendwie beängstigt aus, eher genervt von der Situation und ein wenig verwirrt.
Der eine der beiden Seals, höchstwahrscheinlich ein Vektor, schnappte sich einen der Rekruten und ging mit ihm los, um ebenfalls aufs Dach zu kommen. Der andere kam näher an die Kante und sah hoch zu dem Besen und in das Gesicht der Frau.
„Mach dir keine Sorgen, mein Kollege ist auf dem Weg zu dir. Aber was machst du mit einem Besen auf dem Dach?“, rief er hoch zu Senray
Diese sah ihn etwas mürrisch an. Sie hatte versucht den Besen hoch zu schwingen, war dabei aber weiter nach unten gerutscht. Und fallen lassen wollte sie ihn nicht, immerhin war er Eigentum der Wache [3] und sie würde ihren ersten Sold erst am Ende des Monats bekommen. Da noch nicht einmal die Hälfte dieser Zeitspanne vergangen war, hielt sie den Besen bloß noch fester umklammert.
„Entschuldigung, aber, also, könnten Sie, du, ach, eben, den Besen fangen?“, fragte sie nach unten.
"Was?! Ähm, ja, natürlich." Der Wächter sah sie nun wirklich irritiert an.
Vorsichtig lies Senray den Besen los und tatsächlich, der Andere fing ihn. Erleichtert atmete sie auf. Jetzt war es immerhin nicht mehr ihre Schuld. Nun musste sie nur noch aufstehen ohne runter zu fallen.
Der Einfachheit halber stützte sie sich mit ihren Armen ab, lies ihre Beine gleichzeitig vorsichtig das Dach hinunter rutschen. Mit geweiteten Augen beobachtete sie der Seal und lies den Besen fallen.
"Was machst du denn?! Warte einfach kurz, er ist gleich da! Jetzt, hörst du mir zu?!"
Senray gab sich tatsächlich alle Mühe ihn zu ignorieren. Ihre ganze Konzentration galt ihr selbst, schließlich war sie diejenige auf dem Dach. Als sie genau auf der Kante lag setzte sie sich auf. Ein erleichtertes Seufzen konnte sie nicht vermeiden.
´Dieses Mal war es wirklich knapp´, dachte sie und sah wieder hinunter. ´Vor allem ist der Boden da unten gepflastert.´ Ein leichtes Schaudern.

Als die kleine Rothaarige es geschafft hatte wieder aufzustehen, kam der zweite Seal gerade durchs Fenster.
"Oh", sagte er während er zu ihr ging, "so viel Hilfe scheinst du gar nicht gebraucht zu haben. Tatsächlich scheint es dir recht gut zu gehen." Er musterte sie von oben bis unten, wobei sein Blick einen Augenblick lang an der Dienstmarke hängen blieb, die sie bereits bekommen hatte.
Senray sah verlegen auf ihre Füße.
"Tut mir, also, Leid, Sör, ich, also ich wollte nicht, eben Umstände machen, also ... "
Der Wächter winkte ab. Dann sah er zu seinem Kollegen auf dem Hof, der bedenklich blass geworden war. Ob vor Sorge um Senray oder vor Wut über ihr komplettes Ignorieren seiner Person war nicht ganz klar.
"Und was sagst du? Ich hätte mir die Treppen doch glatt sparen können."
"Ich sage, dass die werte Dame von Glück sagen kann, keine Rekrutin zu sein, sonst würde ich ihrem Ausbilder sagen er soll ihr schön ein paar Strafaufgaben geben!"
Die Stimme des Mannes erinnerte an ein wütendes Knurren und die Angesprochene schien immer kleiner zu werden. In sich geduckt öffnete sie mehrmals den Mund, nur um ihn stumm wieder zu schließen und verzweifelt von einem zum anderen zu sehen. Ihre Ausbildung hatte noch nicht einmal wirklich begonnen!
Der Mann neben ihr nickte seinem Partner verstehend zu.
"Ja, du hast vollkommen Recht, sie hat wirklich Glück keine Rekrutin zu sein. Es könnte sonst jetzt sehr unangenehm für sie werden ... "
Wieder nickte er, und eine blasse, verunsicherte Senray sah ihn an.
"Nun lass uns aber vom Dach gehen. Oder hast du noch etwas zu tun?"
Sie öffnete wieder den Mund, sah dann zum Schornstein. Eigentlich war sie soweit fertig, besser als zuvor war es alle Mal und es kam schließlich auf die Regelmäßigkeit an.
"Ich, ich denke, ich, also, habe alles getan, Sör, also was ich, nun, eben zu tun hatte, Sör."
Im Vorbeigehen sammelten sie ihren Stoßbesen ein. Als die beiden Wächter am Fenster waren, sah Senray den Mann unsicher an.
"Wa ... Warum haben Sie nicht, also, gesagt das ich ... ich meine, eben eine Rekrutin bin, Sör? Ich, ich meine, ich also, danke Ihnen, weil, Sör, aber, ich verstehe nicht ... "
"Oh, mach dir mal keine Gedanken. Er meint es auch nicht so. Es sah von unten nur wirklich bedrohlich aus, wie du auf dem Dach lagst, da kann man schon mal etwas ausfallender werden wenn man merkt, dass man selbst nichts machen kann."
Senray nickte stumm, auch wenn sie nicht ganz sicher war, dass das wirklich vollkommen so stimmte. Auf jeden Fall war sie froh, keine weiteren Konsequenzen erwarten zu müssen. Sie seufzte noch einmal. Während sie durchs Fenster kletterte, fiel der jungen Frau plötzlich wieder ihre eigentliche Aufgabe ein.
"Oh nein, ich muss verhindern das jemand anderes den Ofen aufmacht!"

Und schon war sie weg. Verdutzt sah ihr der Mann hinterher und entschied sich, ihr zu folgen. Während er gemütlich die Treppen hinunterschlenderte überlegte er sich, dass es für ihren Ausbilder eine sicherlich interessante Zeit werden würde oder bereits war. Als er durch die Tür des Aufenthaltsraums trat, sah er gerade noch wie eine Person in einer schwarzen Wolke verschwand.
Hustend und prustend kam die junge Frau wieder aus der Rußwolke hervor.
Belustigt beobachtete sie der Wächter in der Tür. Nachdem sich die Wolke gelegt hatte, war Senray bereits damit beschäftigt den Ruß aus dem Ofen in eine alte Wanne zu schieben. Immer wieder stocherte sie dafür nach oben in den Kamin, um eventuelle Blockaden zu lösen.
Mit einem dumpfen Aufprall landete etwas rabenschwarzes im Ruß. Automatisch machte die Rekrutin einen kleinen Satz nach hinten. Erst als sie bemerkte, dass es nicht summte und brummte kam sie wieder näher. Nicht selten kamen aus Kaminen Wespen- oder Hornissennester, deren Bewohner nicht unbedingt freundlich aufgelegt waren. Sie betrachtete das schwarze Etwas, das scheinbar in den Schornstein gefallen und hängen geblieben war.
Die Form ... Senray Nackenhaare stellten sich zu berge. Das war eindeutig, es bestand kein Zweifel. Der Seal kam neugierig näher.
"Was ist denn da?"
"Es, also, Sör, ich, eine ... eine, Ra-…, Ratte. Sör. Sie scheint, also, im Schornstein hängen geblieben zu sein, Sör."
"Nun, dann dürfte sie jetzt geräuchert sein. Heißt das, sie hat den Kamin blockiert?"
Die Rekrutin nickte, denn Blick starr auf die Ratte. Hatte sie sich gerade bewegt? Oder bildete sie sich das ein?
"Ja und nein, Sör. Wahrscheinlich gab es bereits eine Blockade aus Ruß, in der die Ratte hängen geblieben ist, damit aber auch blockiert hat, Sör."
Der Blick der jungen Frau war immer noch auf den Nager fixiert, während der Wächter sie beobachtete. Erstaunt stellte er fest, dass das der erste klare, strukturierte Satz gewesen war. Scheinbar war die Ratte etwas Bedeutendes. Nun, dann ...
Er suchte kurz in seiner Tasche nach dem eigentlichen Grund warum die Seals hier her gekommen waren.
"Wenn das so ist, dann solltest du sie mitnehmen und Hauptmann Pismire bringen. Immerhin ist sie dann ein Beweismittel, sozusagen.", sagte er, ein Grinsen unterdrückend, "Oh und bei der Gelegenheit kannst du ihm auch gleich das hier geben, das müsste er bitte durchlesen und unterschreiben."
Er reichte der geschockten Rekrutin einen Bericht, dann ging er wieder in Richtung Tür.
"Einen guten Tag noch."
"Sör, Sör, warten Sie, Sör, ich, also, ich kann doch nicht, die, ich meine, Ra-, Ratte mit mir, Sör, bitte, ich … "
Doch er war schon weg.

Leicht verzweifelt sah sich Senray die Bescherung an. Dann seufzte sie. Denn Bericht legte sie auf den Tisch, so dass er nicht schmutzig würde. Dann nahm sie ein Stofftaschentuch aus einer ihrer vielen Hosentaschen. Vorsichtig, darauf bedacht es nicht direkt zu berühren, wickelte sie das Nagetier darin ein. So müsste sie es zumindest nicht sehen. Dann band sie das Tuch mit einem Knoten zu einem kleinen Beutel, den sie vorsichtig an ihrem Gürtel befestigte.
Sie atmete tief ein und aus. ´Ruhig bleiben. Sie ist tot. Sie ist tot. Atmen. Ruhig bleiben. Konzentrier dich auf deine Aufgabe. Ruß sammeln, weg bringen, Feuer machen, Tee kochen. Das kannst du, bleib ruhig.´
Langsam begann Senray wieder, sich zu bewegen und tatsächlich dauerte es nicht lang, bis sie den bedrohlichen Beutel vergessen hatte und wieder voll in ihrer Aufgabe aufging.


Es war bereits später Nachmittag als die junge Rekrutin vor der Tür zu Hauptmann Pismires Büro stand. Doch dieses Mal überlegte sie nicht ob, sondern wie sie anklopfen sollte, immerhin hielt sie in der einen Hand den Kräutertee und in der anderen die Dokumente die die SEALS ihr mitgegeben hatten. Ein wenig unkoordiniert klemmte sich Senray den Bericht unter den Tee-Arm und klopfte mit der anderen Hand an die Bürotür, wobei sie kleine schwarze Abdrücke hinterließ.
"Herein."
Noch einmal Luft holen, dann öffnete Senray die Tür. Sie trat vor den Schreibtisch des Hauptmanns, salutierte und legte gleich los:
"Sör, ich bringe Ihren Tee, Sör, es tut mir Leid, also, ich meine, weil es hat ja länger gedauert, aber Sör, wissen Sie, es ist so, Sör, der Ofen war recht schmutzig, Sör, und auch der Kamin, Sör, ich meine, das ist ein Risiko, Sör, das verstehen Sie doch, Sör, oder Sör? Und deswegen, Sör, also weil -"
Der Hauptmann unterbrach sie mit einer abrupten Handbewegung.
"Langsam Rekrutin. Was ist mit dem Tee? Und was war das für ein Aufstand vorhin?"
Verwirrtheit machte sich auf Senrays Gesicht breit.
"Was soll mit Ihrem Tee sein, Sör? Ich habe ihn hier, Sie wollten ja einen wenn ich mir das Wachhaus angesehen habe, nicht wahr Sör? Einen Kräutertee, hier, bitte schön, Sör!", fing sie wieder an, dieses Mal aber zumindest langsamer als bei ihrem Erklärungsversuch zuvor.
Senray reichte dem Hauptmann vorsichtig die Tasse, die von ihren schwarzen Fingerabdrücken übersät war. Mit einem kritischen Blick betrachtete Pismire eben jene Fingerabdrücke und den Tee, von dem er nur hoffte, dass kein Ruß hinein gekommen war.
"Nun, danke Rekrutin Rattenfaenger. Und was war das jetzt für ein Aufstand?" Während er das fragte stellte er vorsichtig die Tasse auf seinen Schreibtisch, aber nicht bevor er ein Taschentuch untergelegt hatte. Man konnte ja nie wissen.
"Sör, ich weiß nicht so recht, also, was Sie meinen, Sör ... Oh, oder meinen Sie, naja, weil die SEALS also da gekommen sind, Sör? Ja, ich war ja am Dach, also wegen dem Schornstein, der war ja total schmutzig, Sör, dann bekommt der Ofen keinen Abzug und ... Halt, Stopp, ich hab ja hier den Bericht für Sie, den sollen Sie ja lesen und unterschreiben, glaub ich, Sör!"
Aufgeregt und glücklich das sie daran gedacht hatte überreichte sie ihm den Bericht, der mittlerweile auch schwarze Fingerabdrücke aufwies. Das war aber nicht, was Senray auffiel. Während sie die Mappe über den Tisch reichte kam ihr ein schwacher Geruch nach Bo´s speziellem Räucherfischbrötchen in die Nase, und sie sah sogar ihr eingepacktes Brötchen.
"Oh, Sör, vielen vielen Dank! Ich mein, das ist doch meins, oder? Oder kaufen Sie auch bei Bo, Sör? Kann ich nur empfehlen, also wirklich, Sör, aber sagen Sie, haben Sies gefunden oder hatte ich es heute Morgen hier vergessen, Sör? Aber es ist ja toll, dass Sie es gefunden haben und nicht aufgegessen haben, Sör, oh ich bin ja so froh, ich hab so einen Hunger, ich merke es erst jetzt richtig, Sör."
Nun war es an Hauptmann Pismire, verwirrt zu sein. "In dem Bericht steht ... und, was? Heißt das, das war ein Fischbrötchen? Denn ganzen Tag hat es in meinem Büro gestunken und ich konnte die Quelle nicht finden." Er seufzte. Aus irgendeinem Grund hatte er die Vermutung, in nächster Zeit noch mehr Arbeit zu haben. Allerdings konnte er den Reiz, den diese Situation, diese Tatsache aufwies auch nicht leugnen.
Während der Hauptmann so darüber nachdachte und Senray immer noch über ihr Fischbrötchen und Bo redete, fiel Pismire etwas auf. Ein rußgeschwärztes Taschentuch hing, umfunktioniert zu einem Beutel an ihrem Gürtel. Das war zwar an sich schon irritierend genug, dass sich nun etwas in diesem eindeutig provisorischen Beutel bewegte, setzte dem ganzen allerdings die Krone auf. Während er diese Bewegung beobachtete, steckte sich ein großer Nagetierkopf, genauso rußschwarz wie im Moment Senray, aus einem Loch.
Ungläubig beobachtete der Hauptmann, wie die Ratte in der Gegend und an Senray herum schnüffelte. Es konnte ja wohl nicht wahr sein, dass die junge Frau heute Morgen noch das halbe Wachhaus aufgescheucht hatte wegen der Ratten in der Besenkammer und jetzt eine direkt am Körper trug! Oder wusste sie überhaupt nichts davon? Das wäre allerdings herzlich unwahrscheinlich. Allerdings, da war sich der Hauptmann sicher, hatte sich der Beutel bisher nicht bewegt, also vielleicht dachte sie ja, das Tier wäre tot gewesen? Dennoch ...
"Rekrutin Rattenfaenger, ich habe eine Frage. Was ist in dem Beutel da an deiner Seite?"
Die Angesprochene sah erst etwas überrascht aus, dann wieder erfreut, dass er sie daran erinnert hatte. Ohne hinzusehen löste sie den Beutel um ihn ihrem Ausbilder zu zeigen.
"Das, Sör, ist einer der Gründe warum der Kamin verstopft war, Sör, der -", sagte sie, als ihr Blick auf die ganz eindeutig lebendige Ratte viel.
Extrem geschockt schnappte sie nach Luft, lies den Beutel fallen, wollte nach hinten ausweichen. Dabei stolperte sie über irgendetwas, sie selbst wusste gar nicht was es war und schlug mit dem Kopf hart auf den Boden auf.
Schwärze senkte sich über sie und in einem letzten klaren Moment betete sie, das der Hauptmann das Monster von ihr fernhalten würde.

"So, das war mein erster Arbeitstag. Was denkt ihr?", fragte eine immer noch rußverschmierte Senray, mit einem schmuddeligen Verband um den Kopf und einer Tasse heißen Kakao in den Händen.
Ihre Freundin und Vermieterin Rosmalia sah entsetzt auf den Verband an ihrem Kopf und schien die richtigen Worte zu suchen. Doch bevor sie auch nur einen Satz über Senrays Unfähigkeit als Wächterin oder die Gefahren dieses Jobs sagen konnte, lachte Bo, seines Zeichens Zwerg, Räucherspezialitätenverkäufer und ebenfalls ein guter Freund von Senray, laut los. Es dauerte einige Minuten bis er sich soweit hatte das er einen Satz sagen konnte und Senray war sich fast sicher klitzekleine Lachtränen in seinen Augen gesehen zu haben.
"Du hast gleich am ersten Tag die halbe Wache durcheinander gebracht!", rief er, immer noch schallend lachend.
Dann beruhigte er sich noch etwas mehr und grinste sie an. "Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Mal schauen was in Zukunft noch alles passiert, wenn du jetzt schon so loslegst. Auf jeden Fall musst du mir wieder alles erzählen!"
[1] Eine alte Freundin von Senray. Die beiden sind zusammen groß geworden, Rosmalias Familie zog jedoch aus den Spitzhornbergen in die Stadt, ungefähr ein Jahr bevor auch Senray die Gegend verlies. Danach verloren sie den Kontakt. Durch einen Zufall kam Senray in Rosmalias Laden [4], die beiden Frauen erkannten sich wieder und tauschten Abends bei Kakao und Wein Geschichten aus. Auch wenn viel passiert war und sie sich vollkommen unterschiedlich entwickelt hatten verstanden sie sich wieder schlagartig und so entschloss Rosmalia, dass Senray von nun an bei ihr im Dachgeschoss wohnen würde. Ihr Wesen ist eher herrisch, Rosmalia kommt gut mit Menschen aus und ist die geborene Verkäuferin. Sie ist sehr stur und gerade heraus. Seit sie Senrays zahlreiche Narben bemerkt hat, sorgt sie sich auch dauernd um die Freundin und will ihr alles Gefährliche verbieten, so auch die Wache.

[2]  Zivilisten gehen - Wächter streifen!

[3]  Was Folgendes bedeutet: Machst Du ihn kaputt, zahlst Du den Neuen. Ausgenommen sind davon Zielscheiben und Stockpuppen. Immerhin soll man die treffen.

[4] Kräuter, Tees, fremdländische Spezialitäten! Getrocknetes oder gelantiertes Obst und Früchte! Kaffee! Hier finden Sie was Sie suchen!




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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

01.7.2012

Eine runde Einstiegssingle zur G.R.U.N.D.-Zeit. Dein Chara ist interessant und hat auch schon erste Anknüpfungspunkte an andere Wächter, die Gepflogenheiten im Wachhaus und an eine individuelle Außenwelt mit ihren Freunden vorzuweisen. Du hast Humor und das auch einfließen lassen. Gerne weiter so und auf zu großen Taten. :-) Der Wesenszug allerdings, ständig zu Haspeln und keine vollständigen Sätze von sich zu geben, machte das Lesen sehr anstrengend.

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