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***SPOILERWARNUNG: Bitte vor dieser Single "Funktionsstörung" oder "Rogi Feinstich" (am besten beide) lesen! Diese Geschichte bezieht sich auf bestimmte Ereignisse die in diesen Beiden Geschichten geschehen - bitte erhaltet euch die Spannung, indem ihr zuerst eine der Grundgeschichten lest***
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Mit trüben Augen saß Jargon an seinem Tisch. Es war tief in der Nacht, und die üblichen Geräusche der Schatten ertönten in den Straßen um sein Haus herum, deutlich zu vernehmen ob eines mangelnden Lärmschutzes. Das improvisierte Dach, das dank der Hilfe von Sebulon und Braggasch - und natürlich Ophelias großzügiger Spende - jetzt auf den verkohlten Mauerresten seiner Behausung ruhte war nicht besonders Schalldicht, ganz zu Schweigen von den deckenverhangenen Lücken im Mauerwerk, wo einmal Fenster gewesen waren. Er hatte schon dreimal versucht zu schlafen, aber jedesmal war er mit rasendem Herzen und einem zum Kreischen angeschwollenen Keuchen aus grässlichen Alpträumen hochgefahren. Jedesmal, wenn er die Augen länger als zum Blinzeln schloss, sah er die toten Überreste Rogis vor sich. Jedesmal kochte in ihm die Erinnerung an den wahnsinnig dreinblickenden Igor mit Ophelia in den verkrampften Händen hoch, jedesmal sah er ihren erschlafften Körper vor sich. Die Bilder von Blut und Eingeweide stachen jedesmal mit unerbittlicher Wucht in sein Bewusstsein und seinen Magen. Und damit auch gleichzeitig das Wissen über den Unstatthaften Tod seiner ehemaligen Ausbilderin.
Mit einem Ruck erhob sich der Obergefreite und schlurfte schwankend zu seinem Bett. Im Schatten unter dem Holzgestell verbarg sich eine Flasche mit einem bräunlich-durchsichtigen Farbton. Wie schon zweimal zuvor entkorkte er das Gefäß, trank ein, zwei große Schlucke und warf die Flasche fast schon angewidert wieder unter die zerfledderten Latten. Er trank nicht oft. Um genau zu sein, hatte er noch nie so viel getrunken wie heute Abend. Jedesmal hoffte er, dass die brennende Flüssigkeit die Bilder in seinem Gedächtnis irgendwie abschwächen oder verschwinden lassen würde. Doch nichts dergleichen geschah, eigentlich wurde es nur schlimmer. Während er sich mit stark getrübtem Gleichgewichtssinn auf den Boden plumpsen ließ, verschwamm sein Sichtfeld und wieder tauchten die grässlichen Bilder auf, die sich im Keller des Wachhauses in sein Bewusstsein genagelt hatten. Hinzu mischten sich die Fragen, die er sich schon mindestens zwanzigmal immer wieder in der gleichen Reihenfolge gefragt hatte.
Wie würde es jetzt weitergehen? Was war mit Ophelia? Wer war der fremde Igor, der Rogi offenbar getötet hatte? Hatte er das wirklich? Seine Reaktion bei der Festnahme schien irgendwie dagegen zu sprechen.
Die Augen des kleinen Mannes öffneten sich wieder blinzelnd, und er sah hoch in die Finsternis des aus einem Teppich zusammengeschusterten Dachgebälks. Er hatte nie wirklich viel über Igors bescheid gewusst. Rogi war die einzige Person dieser Spezies, mit der er überhaupt jemals zu tun gehabt hatte. Ein bisschen Wissen über ihre Traditionen lernte man quasi, wenn man den orts-und Wachhausansässigen Gerüchten ein wenig lauschte, außerdem hatte er einmal in einem Buch gelesen, in dem kurzfristig von der Rechtslage gegenüber Igors in Überwald die Rede war. Er wusste um die Tradition der "Wiederverwertung", deshalb vermutete er, dass der Wahnsinnige genau dies mit Rogi vorgehabt hatte. Eine andere Erklärung fiel ihm im Moment nicht ein, und aufgrund seines verminderten Denkvermögens, das durch den Alkohol ausgelöst worden war, gab er sich damit zufrieden. Im Moment ging es darum, die Nacht zu überstehen, bevor der neue Morgen hoffentlich mehr Klarheit brachte.
Was hatte Ophelia damit zu tun? Wieso war sie auch in dem Keller gewesen? Wieso hatte der fremde Igor darauf bestanden, nur mit ihr reden zu wollen?
Er fand keine genaue Antwort, doch mit einem Mal kam ihm wieder das Gespräch in den Sinn, das er gestern (oder war es vorgestern?) nach dem abgebrochenen Kampftraining mit ihr gehabt hatte. Sie hatte so merkwürdig nervös, verhalten gewirkt, auch wenn sie scheinbar über ihr Problem geredet hatte. Hatte sie vielleicht doch noch etwas verborgen? Aber was, und vor allem, wieso? Er war sich natürlich im Klaren, dass sie keinen wirklichen Grund hatte, ihm zu vertrauen, aber irgendwie widerstrebte ihm der Gedanke, dass Wächter wichtige Dinge vor sich geheim hielten. Er starrte stumm hoch und vollendete den Gedanken. Geheim halten war das Stichwort, nicht wahr?
Mit einer Kraftanstrengung klappte Jargon seinen Oberkörper hoch und erhob sich zitternd auf seine Knie. Dann schlurfte er wieder zum Tisch und sah mit merkwürdig irrlichternden Augen auf das Formular, das dort lag.
Hinweis!
Intörnal Affärs
Stadtwache Pseudopolisplatz
Ankh-Morpork
Ein merkwürdiges Blubbern schien in seinem Kopf zu rumoren, während er die Worte zum dritten mal las und sich klar machte, wieso er dieses spezielle Blatt aus seiner Jacke gekramt hatte. In seinem benebelten Bewusstsein tauchten die Bilder des Kommandeurs auf. Wie er auf den passiven Igor einschlug, ihn an die Wand presste, ihm dem Arm unnötig weit verdrehte.
Schnaufend ließ sich der Rechtsexperte auf den Stuhl fallen.
Und ich habe ihm danach seine Rechte verlesen, als wäre nichts gewesen...
Er erschrak beinahe, als er plötzlich deutlich vor sich sah, wie Araghast einige Zähne aus dem vernarbten Kiefer schlug. Auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass dieses Bild nur seiner Fantasie entsprungen war, verkrampfte er sich merkürdig.
Gleiches Recht für alle!
Das war sein Motto. Er hatte es sogar als seine Klackeradresse angegeben. Dieses Motto war eigentlich der einzige Grund, wshalb er zur Stadtwache gegangen war. Um Gleichberechtigung für alle zu schaffen. Die Unmöglichkeit, diesen Wahlspruch auf die ganze Stadt zu beziehen war ihm sehr wohl klar. Aber wo er konnte, da wollte er es tun. Und jetzt hatte er die Möglichkeit dazu.
Er mochte den Kommandeur eigentlich. Bisher war er ihm nur sympathisch aufgefallen, wie ein freundlicher Vorgesetzter eben. Teilweise mit harter Hand durchgreifend und Respekt einflößend, aber fair. Und der letzte Punkt stand jetzt gedanklich auf der Kippe. Natürlich hatte Breguyar seine Beweggründe gehabt. Wut über den Verlust einer seiner besten Wächterinnen, und womöglich einer weiteren. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen, und Jargon war sich sicher, dass er es selbst bereits bereute.
Aber war das ein Grund, die Ereignisse unausgesprochen versickern zu lassen? Der Igor war ganz klar unrechtmäßig behandelt worden. Auch wenn er bedrohlich gewirkt hatte, er hatte sich nicht einmal körperlich gegen die Verhaftung gewehrt.
Wie von selbst griffen die Finger Schneidguts zu einem Stift, der neben dem Zettel lag. Der Alkohol machte es irgendwie einfacher.
Wenn ich das jetzt ignoriere, wird mir das ewig nachhängen, dachte er. Ich habe die Möglichkeit, ein Unrecht zu bestrafen. Ich kann nicht einfach meine Prinzipien vergessen.
Sobald der Gedanke wieder abgetaucht war, stellte der Obergefreite schon beinahe erschrocken fest, dass er das Formular ganz ausgefüllt hatte. Letzte Zweifel wollten in ihm aufsteigen, aber der Alkohol hatte ihn mutig gemacht und ertränkte die mahnenden Stimmen in wohliger, pflichtbewusster, gerecht wirkender Wärme.
"Ich tu' d's Richtige. Ich darf d's jetzt nich' noch länger rauszög'n", murmelte er lallend vor sich hin, erhob sich und warf sich ungeschickt seine Jacke über. Dann stand er kurz zögernd an der Tür. Es war eine kalte Nacht. Vorsichtshalber nahm er noch einen Schluck aus der Unterbettflasche. Dann machte er sich auf den Weg.
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