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Eine weitere kurze Sequenz im Anschluß an die Doppel-Singel "Rogi Feinstich"(> Rogi) und "Funktionsstörung"(> Ophelia).
Ein Lesen dieser beiden Geschichten, vor dem Konsum der hier folgenden, sei empfohlen, um die Ruinierung der Spannung zu verhindern.
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Jeder Mensch geht mit schlimmen Geschehnissen auf seine Art um. Der eine verzieht sich in die Einsamkeit, der nächste führt Selbstgespräche. Wieder andere planen in heimischer Atmosphäre Vergeltung...
Für diese Mission wurde keine Note vergeben.
Routiniert wich Lena der nach ihr grapschenden Hand aus und wenige Sekunden später zierte ein leuchtend roter, fünf-fingriger Abdruck die Wange des übermütigen Trinkers. Die Zecherrunde lachte noch hämisch über den missglückten Versuch ihres Kumpanen, als die junge Frau schon den nächsten Tisch erreicht und ihre zerbrechliche Ware vor den wartenden Kunden abgestellt hatte.
Während sie das Geld einstrich, warf sie zum bestimmt hundertsten Mal an diesem Abend einen Blick in die abgeschirmte Ecke, in der eine dunkle Gestalt saß und soeben den dritten leeren Bierkrug vor sich abstellte.
Lena seufzte und ging zurück zum Tresen, an dem ihr Vater und ihre ältere Schwester mit einstudierten Bewegungen Bier ausschenkten und leere Krüge säuberten.
„Kannst du bitte mal übernehmen, Magrit? So kann das nicht weiter gehen.“, raunte die Jüngste der Maats ihrer Schwester zu und nickte mit den Kopf in Richtung des einsamen Trinkers. Diese zwinkerte ihr nur zu und schob einen schon vorbereiteten Krug über den Tresen, der jedoch statt mit Bier, mit verdünntem Wein gefüllt war. Dankbar lächelnd griff Lena nach dem Krug und ging langsam in Richtung der dunklen Ecke. Sie wusste sehr genau, dass ihre Familie sie und Ettark schon eine ganze Weile sehr genau beobachteten. Aber sollten die nur. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den Tisch erreichte und sich gegenüber des Wächters auf einen Stuhl setzte.
Dieser blickte jedoch nicht mal auf, sondern ergriff nur den Krug, den Lena vor sich gestellt hatte und nahm einen großen Schluck, bevor er merkte, womit dieser gefüllt war.
„Was zum...“
Zum ersten Mal an diesem Abend blickte er der Frau gegenüber in die Augen; und was diese dort sah, erschreckte sie bis ins Mark. Einen ähnlichen Blick hatte sie gesehen, als Miriel gestorben war, doch diesmal war der Zorn in den Augen nicht von Trauer verdeckt. Dieses Mal stand er alleine, ein mörderischer, brennender Zorn.
Zwar hatte sie gehört, dass am Abend ein junger Wächter in den Schatten ermordet worden war, ein solch groß angelegter Einsatz der Wache innerhalb der Schatten blieb schließlich kein Geheimnis, doch selbst wenn er mit Ettark in den Schatten gewesen war, mit einer solchen Wut hatte sie nicht gerechnet.
Der Augenkontakt brach ab, bevor Lena auch nur eins der sorgsam zurecht gelegten Wörter hervor bringen konnte und Ettark stierte wieder in den Krug, mit dessen Inhalt er offensichtlich überhaupt nicht zufrieden war.
Sie hatte schon einige Male versucht, ihn zum Reden zu bringen, doch jedesmal hatte er nur den Kopf geschüttelt und sich völlig damit beschäftigt, die großen Krüge, die sie ihm brachte, zu leeren. Aber genug war genug!
„Ettark... was ist passiert?“, fragte sie schließlich und griff nach seiner Hand, welche er neben dem Krug abgelegt hatte.
„Ist es wegen dieses Wächters in den Schatten?“
Mit zusammengepressten Lippen hob er den Blick wieder, erwiderte den Druck ihrer Hand kurz, bevor er sich befreite und den Krug in einem Zug austrank.
Dann nickte er langsam.
„Michael... Ja. Auch wegen Michael... “ Mit einem Krachen landete der nun ebenfalls leere Krug auf dem Tisch und Ettark ballte die rechte Hand zur Faust.
„Auch?“, setze Lena vorsichtig nach und betrachtete ihr Gegenüber genau. War noch jemand gestorben? Die Gerüchte erzählten nur von einem Toten, angeblich von einem der Joram-Brüder erschossen.
„Rogi!“, brachte Ettark zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, bevor die Knöchel der geballten Faust gegen die Stirn zu schlagen begannen, so dass Lena, trotz des allgemeinen Lärms, das Krachen von Knochen gegen Knochen vernehmen konnte. Schnell ergriff sie die Hand wieder und hielt sie mit beiden Händen fest.
Rogi...
Lena schluckte. Das war eine der wenigen Wächterinnen, die Ettark öfter erwähnt hatte und, außer Miriel, die einzige, bei deren Nennung ein wenig Sympathie, wenn nicht sogar Bewunderung in der Stimme mitgeschwungen hatte.
Lena wusste, dass die Igorina ihm das Leben gerettet hatte und trotz der Distanz, die Ettark zwischen sich und seine Kindheit in Überwald gebracht hatte... eine Lebensschuld wog schwer im Weltbild des Bergigers. Langsam begann sie zu verstehen.
Was aber nicht erklärte, warum Ettark hier saß und sich betrank. Sie bildete sich ein, den Wächter inzwischen ziemlich gut zu kennen. Doch dass er nach dem Tode zweier Wächter, die ihm so nahe gestanden hatten, hier saß und sich betrank, statt die Schuldigen zu jagen, ließ sie kurz daran zweifeln.
Langsam ließ sie seine Hand los, stand auf, schob den Stuhl wieder an den Tisch und setzte sich neben Ettark.
„Erzähl!“, sagte sie dann mit einer Stimme, in der sie beinahe ihre eigene Mutter zu erkennen glaubte.
Ettark blickte sie an und strich ihr dann, scheinbar in Gedanken verloren, eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Flechtzopf befreit hatte. Dann versenkte er den Kopf in den Händen, die Arme auf den Tisch gestützt. Er begann mit leiser Stimme zu erzählen.
Er berichtete von der Streife mit Michael und dessen nervigem Hund, von dem Abstecher in die Schatten, der kurzen Auseinandersetzung, als er einen der Jorams entdeckt hatte und schließlich, wie er vollkommen hilflos zusehen musste, wie Michael vor seinen Augen hingerichtet wurde. Nachdem er die Wache verständigt und gewartet hatte, bis diese den Joram-Bruder verhaftet hatte, war er, auf Umwegen, zum Pseudopolisplatz zurückgekehrt. Dort angekommen hatte er erfahren, dass Rogi den Wächter nicht mehr hatte retten können. Nicht, dass er damit gerechnet hatte. Schließlich war ihm die Präzision des Schußes auf so kurze Entfernung nicht entgangen, doch die Fähigkeiten der Igorina hatten ein wenig Hoffnung am Leben erhalten. Das Geständnis des Mörders hatte ihn zwar aus der Zwickmühle befreit, gegen ihn auszusagen und damit seine Anonymität zu gefährden, doch ihm auch die Chance genommen, ihn persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Also war er zur Abteilungsleitung gegangen und hatte einen kurzen, mündlichen Bericht abgegeben, denn schließlich wusste die Hexe ziemlich genau, mit wem Michael auf Streife gegangen war. Noch während er in Dubiatas Büro stand, war eine hektische Betriebsamkeit im Wachhaus ausgebrochen und als er sich schließlich in den Keller begeben wollte, um doch noch einige Zeit mit Basti Joram... unter vier Augen zu verbringen, hatte ihm ein völlig schockierter Jargon erzählt, was in Rogis Zelle geschehen war.
So gesehen, dachte Lena, war es wohl eine gute Sache, dass Ettark nun hier saß und nur die Alkoholvorräte ihres Vaters vernichtete. Sie mochte sich gar nicht ausdenken, was er ansonsten hätte anrichten können.
Ettark atmete tief durch, das Gesicht immer noch hinter den Händen verborgen. Es überraschte ihn, wie gut es getan hatte, über das Geschehene zu reden. Doch es blieb die Frage, was er jetzt tun sollte.
Zwei Wächter waren ermordet worden. Und beide Mörder saßen sicher in ihren Zellen im Wachhaus, einer der wenigen Ort innerhalb der Stadtmauern, wo sie, zumindest momentan, außerhalb seiner Reichweite waren. Natürlich konnte er, vermummt, diesem Basti in seiner Zelle einen Besuch abstatten. Kaum einer der anderen Wächter würde ihn daran hindern, dessen war er sich sicher. Aber sobald die 'Diskusion' sichtbare Spuren hinterließ, würden die Aufpasser sicherlich nicht mehr schweigen können.
Zwar wusste Ettark genau, wohin er schlagen konnte, ohne solch verräterische Spuren zu hinterlassen, doch das wäre schlussendlich nur wenig befriedigend.
Und dieser Igor, der Rogi ermordet hatte?
Jargon hatte erzählt, dass der Kommandeur sich persönlich um diesen gekümmert hatte und sich auch weiterhin um das Verhör kümmern würde. Der leicht entsetzte Ausdruck im Gesicht des Sealswächters hatte Ettark ziemlich deutlich gezeigt, dass auch Breguyar nicht unbedingt zimperlich mit dem Mörder umgegangen war. Doch durch diese persönliche 'Fürsorge' war auch der Igor sicher. Auf jeden Fall vor der Rache des Bergigers. Zumindest momentan.
Aber falls der Kommandeur das Interesse verlieren sollte...
Der warme Arm, der sich plötzlich um ihn legte, riss den Informantenkontakter aus seinen Gedanken und er blickte auf, als Lena sich an ihn lehnte und ihren Kopf auf seine Schulter legte.
Sie hatte, seit er zu erklären aufgehört hatte, kein Wort mehr gesprochen. Doch diese Umarmung spendete ihm mehr, als jedes Wort des Mitleids es hätte bewirken können.
Er seufzte und versenkte seinen Kopf wieder in den Händen.
Irgendetwas musste er doch tun... irgendwas!
Nun zumindest war noch einer der Joram-Brüder auf freiem Fuß und der Wächter hatte eine ziemlich genaue Ahnung davon, wo sich das 'ach so geheime' Quartier der Jorams befand. Und Rea hatte irgend etwas von einer Organisation Namens HIRN erwähnt...
Vielleicht konnte er in den nächsten Tagen doch etwas... Sinnvolles tun? Außerdem kam er vielleicht an diesen Igor heran. Vielleicht.
Doch erst einmal - er blickte auf die schöne Frau an seiner Seite - wollte er einfach nur hier sitzen bleiben.
Außerdem hätte er gerne noch ein Bier. Oder zwei. Ein solcher Tag rechtfertigte das seiner Meinung mehr als genug.
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