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von Korporal Mina von Nachtschatten (RUM)
Online seit 13. 04. 2012
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Ein Epilog aus einer anderen Perspektive.

Spolierwarnung: Dieser Text nimmt unmittelbar auf Ereignisse in "Funktionsstörung" und "Rogi Feinstich" Bezug. Um der Handlung nicht vorwegzugreifen, sind bitte zunächst diese beiden Singles zu lesen.


Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

1... 2... 3... 4...

Es passierte, gerade als sie Ophelia im Lazarett untergebracht hatten.
Just, als danach die Tür wieder hinter ihr ins Schloss gefallen war.
Es ging los... genau in dem Moment, als die allererste Anspannung nachließ.
Doch damit war zu rechnen gewesen.
Leider.

9... 10... 11... 12...

Die Frage war wohin jetzt? Nach oben ins Büro? Aber auf dem Weg dahin würde man zweifelsohne Anderen begegnen und die würden Fragen haben, zu denen ihr allerdings selbst noch die Antworten fehlten. Auf der anderen Seite würde auch leugnen wenig Sinn machen. Eine zerberstende Holztür verursacht nicht eben wenig Lärm.

17... 18... 19...

Also vielleicht besser nach unten? Und dann? Zurück zum Schauplatz der Szene, welchen sie gerade erst verlassen hatte? Versuchen, sich nützlich zu machen, irgendwie? Nein... nicht in diesem Zustand.

21... 22... 23...

Das Arsenal! Da würde sich im Moment bestimmt niemand aufhalten. Nur fünf Minuten allein, nur ganz kurz Ruhe, dann würde es wieder gehen.
Hoffentlich.

27... 28... 29... 30... 31... 32... 33... 34... 35...

Ein kurzes Gefühl der Dankbarkeit überkam sie, als sie schließlich die Türklinke unter den Fingern spürte. Eilig zog sie ihren Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und verschwand mit einem letzten Blick über die Schulter in dem großen Raum. Niemand hatte auf sie geachtet. Gut.
Nach nur wenigen Schritten befand sie sich auch schon inmitten des RUM-Fundus, in dieser vertrauten Umgebung aus ordentlich aufgehangenen Kleidungsstücken und Kisten mit allerlei Requisiten und Krimskrams. Mina lehnte sich gegen eines der Regale, glitt daran zu Boden und ließ endlich zu, dass die Übelkeit sie wie eine große dunkle Wolke überrollte. Nur das zählen nicht vergessen!

63... 64... 65... 66... 67... 68... 69... 70... 71...

Es dauerte ein wenig, bis Mina vorsichtig blinzelnd die Augen wieder öffnete. Zwar fühlte sie sich immer noch elend und ihr ganzes Denken schien aus einem watteartigen Etwas zu bestehen, doch wenigstens drehte sich der Raum nicht mehr und auch der Würgereiz hatte nachgelassen. Allerdings war dem Frieden noch lange nicht zu trauen, bedachte man, dass die Vampirin noch immer diesen Geruch in der Nase hatte... diesen Gestank nach frischem Tod und Blut... viel zu viel Blut. Mina verzog das Gesicht. Schon allein bei dem Gedanken daran wurde ihr wieder schwindelig! Dass diese Eindrücke um ein so vielfaches nachdrücklicher sein mussten als Bilder oder Geräusche! Sie schafften es alles andere, zumindest für den Moment, in den Hintergrund zu drängen: Die Erinnerungen an Ophelias plötzliche Präsenz in ihrem Kopf und den abrupten Abbruch der Verbindung, den Anblick, der sich im Keller des Wachhauses geboten hatte, den rot besudelten Igor, Feldwebel Feinstichs offene Leiche...
Wenn man lange Jahre einen Igor im Haus gehabt hatte, war man zwar zumindest in der Theorie mit deren Gepflogenheiten vertraut, was den Umgang mit Verstorbenen betraf. Dass es eine gewisse Art der, nun ja, Wiederverwertung gab. Dass Igors Tote aus einem anderen Blickwinkel sahen... Trotzdem, es änderte nichts an der Brutalität der Szenerie. Wer war der Kerl da im Keller eigentlich genau gewesen und was hatte er dort zu suchen gehabt? Die Vampirin konnte sich noch keinen genauen Reim auf die Hintergründe machen, die zu dieser Tragödie geführt hatten, geschweige denn, wie die Protagonisten derer genau miteinander zusammenhingen - aber anscheinend hatte Ophelia sich erneut in eine Lage gebracht, die sich am Ende ihrer Kontrolle entzog. Das war nun schon das dritte Mal - wie viele Traumata konnte ein Mensch eigentlich verkraften? Mina hatte angenommen, dass ihre stellvertretende Abteilungsleiterin ihr Limit mit dem Ende des Falles Ascher erreicht hatte und die kleinen Anzeichen von geistiger Abwesenheit oder Angespanntheit der letzten Tage immer noch auf die Nachwirkungen dessen geschoben. Aber ganz offenbar hatte sie sich da gründlich getäuscht. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, Ophelia nicht gezielt darauf anzusprechen, aber das wäre Mina als unangebrachte Neugier erschienen. Dazu kam, dass die Kollegin momentan emotional derart mitteilsam war, dass die Vampirin sogar gelegentlich Empfindungen nur geringer Intensität wahrnehmen konnte, die von der anderen ausgingen. Das dürfte so eigentlich gar nicht funktionieren, ebenso wenig, wie Ophelias plötzliches Einfallen in den Geist gleich vierer Wächter vorhin. Und das über mehrere Stockwerke hinweg! Wie machte die Frau das nur? Natürlich, sie gab sich Mühe, dieses unbewusste Senden abzustellen, wenn man sie darauf hinwies. Aber da es sich im Falle der RUM-Stellvertreterin meist um Gefühle der Frustration oder Sorge handelte, war es der Sache auch kaum zuträglich, ihr das immer und immer wieder vorzuhalten. Das Problem war nur, dass Ophelia nie von sich aus den Mund aufmachte, wenn sie Hilfe gebrauchen konnte. Dass immer erst etwas passieren musste...
Draußen auf dem Gang wurde es kurz hektisch, eilige Schritte hasteten vorbei und eine laute befehlsgewohnte Stimme gab Anweisungen, welche die Vampirin jedoch akustisch nicht genau verstand. Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt sich wieder blicken zu lassen, sie hatte sich jetzt wirklich lange genug hier verkrochen. Mina stütze sich am Regal hinter ihr ab und richtete sich auf. Ob sie dabei einfach nur zu viel Schwung an den Tag gelegt hatte oder es generell noch keine gute Idee gewesen war war nebensächlich: Der Vampirin wurde umgehend schwarz vor Augen und in ihren Eingeweiden rumorte es bedrohlich. Auch wenn es ihr nicht gefiel - sie würde wohl noch ein wenig hier ausharren müssen.

93... 94... 95... 96...

Resignierend ließ Mina sich an dem Holz wieder hinab rutschen und ein leises Poltern verriet ihr, dass sie dabei wohl irgendetwas mit dem Ellenbogen angestoßen und nach unten befördert haben musste. Etwas kleines, rundes torkelte an ihrem rechten Fuß vorbei und verschwand dann in der staubigen Schwärze unter dem Regal. Und wenn schon! Aufräumen konnte man später immer noch und es würde ganz sicher nicht ausgerechnet in dieser Sekunde jemand hier hereinkommen um nach exakt diesem Objekt zu suchen... um was auch immer es sich dabei gehandelt hatte.

99... 100... 101...

Das Zählen hatte bis jetzt immer seinen Zweck erfüllt, wenn es einmal zu heftig wurde - es war eigentlich nichts weiter als eine simple Form der Ablenkung und eine Hilfe, um zu verhindern, dass... gewisse Dinge, die sie vielleicht gegessen hatte ihren Rückweg antraten. Normalerweise bekam sie sich auf diese Weise ziemlich schnell wieder in den Griff, aber heute wollte es anscheinend so gar nicht funktionieren. Mina schlug frustriert mit der flachen Hand auf den Boden. Das war doch lächerlich, sie war ein Vampir, verdammt nochmal! Sie sollte keine solchen Probleme mit derartiger Materie haben! Aber es grenzte ja schon beinahe an ein Wunder, dass es sie vorhin nicht gleich im Türrahmen der Zelle kalt erwischt hatte. Eine mögliche Erklärung war vielleicht, dass sich im ersten Entsetzen und während der Handlungen, die instinktiv erfolgten, einige Dinge schlicht ausblenden ließen. Um die Konzentration zu fokussieren, wenn um einen herum das Chaos ausbrach. Denn wie sollte man den Zustand in der Zelle schon viel anders beschreiben? Bevor man auch nur anfing zu begreifen, waren die Ereignisse schon weiter vorangeschritten und Mina konnte sich nicht daran erinnern, den Kommandeur der Stadtwache jemals so wütend gesehen zu haben. Etwas in ihrem Unterbewusstsein hatte zwar darauf hingewiesen, dass Breguyars Reaktion so vermutlich nicht ganz angemessen war, aber dieser kleine Teil hatte sie in dem Moment nicht sonderlich gekümmert. Da waren andere Dinge wirklich wichtiger gewesen. Und bei dem Anblick, der sich den Wächtern in der Zelle geboten hatte, konnte sie das Verhalten des Vorgesetzten sogar beinahe verstehen - Mina wusste nicht genau, ob sie an seiner Stelle anders gehandelt hätte. Schließlich hatten sie alle für einen Moment vom Schlimmsten ausgehen müssen. Obwohl... diese Bezeichnung war relativ. Eigentlich war das Schlimmste da ja schon geschehen gewesen.
Mina konnte nicht gerade behaupten, Rogi Feinstich besonders gut gekannt zu haben. Damals bei GRUND hatte sie nur wenig mit ihr zu tun gehabt; die Vampirin hatte ihre dortige Ausbildung schon beinahe abgeschlossen, als die Igorina in die Abteilung zurückwechselte. Danach war man sich zwar hin und wieder über den Weg gelaufen, im Einsatz oder auch im Wachhaus, aber ansonsten war Rogi einfach eine beständige Präsenz gewesen, von der man sich im Notfall sicher sein konnte, dass sie da war. Was im Falle einer Igorina ein besonders beruhigendes Gefühl bedeutete - in gewissem Maße war das wohl einfach auch so ein Vampirding... Sie drehte den Gedanken einen Moment hin und her und kam zu dem Schluss, dass er sich wesentlich herzloser anhörte, als er tatsächlich gemeint war. Nein, es tat ihr ehrlich leid um die Sanitäterin. Aber noch mehr bedauerte Mina, dass es nichts weiter gab, was sie dem noch hinzufügen konnte.
 
104... 105... 106...

Vampire haben eine etwas andere Einstellung zum Tod als die meisten Spezies, besonders natürlich, wenn es um Angehörige der eigenen Art ging: Es war einfach schwierig, einen Aschenhaufen zu betrauern, der in 100 Jahren vielleicht wieder putzmunter vor einem stehen konnte. Was dann fehlte, war dieses Gefühl von Endgültigkeit. Darüber hinaus kam man als derart langlebige Existenzform unweigerlich häufiger mit Trauerfällen in Berührung, als die meisten Sterblichen - es machte etwas mit einem, wenn man es gewohnt war, der Welt um sich herum beim Sterben zuzusehen. Dieser Umstand allein verbot zwar keine Trauer und minderte auch in keiner Weise die Tragik so manchen Verlustes, es war nur... eben anderes. Und kein Thema, über das man gern ausgiebig nachdachte.
Nun stand ihnen wohl eines der Begräbnisse ohne Zurück bevor, eines bei dem sich zudem viele Wächter einfinden und die Anteilnahme groß sein würde - sowohl auf die eine, als auch auf die andere Art. Die Igorina war nicht nur ein schmerzlicher Verlust für eine Handvoll Menschen – sie würde eine nur schwer zu füllende Lücke in der Wache selbst hinterlassen. So etwas konnte die Leute dazu bringen, seltsame, wenn nicht sogar unüberlegte, Dinge zu tun...
Wie viele im Wachhaus wohl jetzt schon Kenntnis von den Ereignissen hatten? Und ob es schon bis an die Außenstellen in der Kröselstraße und ins Boucherie vorgedrungen war? Nun, wenn das zu dieser späten Stunde noch nicht der Fall war, so würden es spätestens morgen früh alle wissen. Danach war es nur noch eine Frage von Stunden, bis die Gerüchteküche überkochte. Und sollte sich zudem aufgrund gewisser Details auch noch IA einschalten, konnte es noch einmal richtig unschön werden. Vielleicht, dachte Mina, wäre es besser, wenn in diesem Fall nicht alle Einzelheiten nach draußen dringen würden. Das wäre zwar nicht ganz im Sinne der Internen - aber würde es so nicht für alle Beteiligten einfacher, irgendwann mit der Angelegenheit abzuschließen? Wäre es nicht gnädiger, gerade erst heilende Wunden nicht erneut aufzureißen? Die Vampirin legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Nein, darüber nachzudenken war ihr im Moment noch zu anstrengend und man würde ohnehin erst einmal abwarten müssen, wohin sich die Dinge entwickelten. Unter Umständen gab ja auch die Aussage des festgenommenen Igors eine erste Richtung vor. Vielleicht war man in dieser Hinsicht ja schon weiter? Sie lauschte konzentriert in Richtung Gang. Die größte Aufregung schien sich vorerst gelegt zu haben, allerdings hatte Mina auch nur eine vage Vorstellung davon, wie viel Zeit sie eigentlich genau im Arsenal verbracht hatte. Sie beschloss, einen zweiten – langsameren - Versuch zu starten, auf die Beine zu kommen. Diesmal blieb der Schwindel aus und sie hatte das erste Mal den Eindruck, sich wieder in der Gewalt zu haben. Das war zumindest ein Anfang.

109... 110.

Mina seufzte. 110. Es wurde schlimmer. Früher war sie höchstens bis 80, vielleicht auch einmal bis 90 gekommen, bevor sie wieder überzeugend den Anschein der Normalität hatte aufrecht erhalten können. Jetzt also schon 110. Das war nicht gut. Wenn das so weiter ging... Die Vampirin schüttelte energisch den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Dieses Problem konnte wirklich warten. Jetzt musste sie sehen, ob sie da draußen nicht doch noch irgendwie helfen konnte - vielleicht nur nicht unmittelbar in der Zelle selbst, welche noch bis vor kurzem Rogi Feinstichs Büro gewesen war. Irgendeine Beschäftigung, etwas zu tun - das klang gut. Außerdem würde es sie von weiterer Grübelei ablenken. Entschlossen drückte die Vampirin die Klinke und trat wieder auf den Gang im Kellergeschoss des Wachhauses Pseudopolisplatz. Das Ding unter dem Fundusregal hatte sie zu dem Zeitpunkt schon längst vergessen.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

14.4.2012

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Du es wirklich wahr gemacht und diesen Epilog geschrieben und am gleichen Tag noch hochgeladen hast. Es war einfach toll, nicht nur selber die Single anderen zur Verfügung zu stellen, sondern sogar mit einem Schmankerl aus unbekannter Sicht verwöhnt zu werden. Es hat Spaß gemacht, das kleine Stück zu lesen und dabei zu verfolgen, wie das Inganggesetzte sich verselbstständigt. Danke! ^^

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