Tod im Perlendock

Lieber Calfredyn,

ich bin jetzt seit ein paar Tagen wieder in Ankh-Morpork. Wenn Du meine Briefe bekommen hast, die ich Dir unterwegs geschrieben habe, dann weißt Du ja was alles passiert ist.[1] Hier ist alles seltsam. Einerseits so gewohnt aber andereseits auch so fremd. Zum Beispiel bin ich nicht mehr Hauptgefreiter, sondern Lance-Korporal, so eine Art Unteroffizier. "

Ruppert erinnerte sich an seine Rückkehr. Sein Büro hatte er verwaist vorgefunden weil Michael Machwas nicht mehr zum Dienst erschienen war. Auf dem staubigen Schreibtisch lag die ebenfalls eingestaubte Ernennungsurkunde, aber zu seiner eigenen Überraschung war ihm die Beförderung egal geblieben.

Aber das macht nicht viel aus. Gut, ich kann jetzt allen Gefreiten und Rekruten Befehle erteilen. Als ob ich darauf Wert legen würde!. Schön, die Bezahlung ist etwas besser, ich will mich ja auch gar nicht beschweren. Nur kommt es mir so unwichtig und kindisch vor. Du weißt schon, dieses Salutieren und Strammstehen, nur weil ein Wächter vorbeikommt, der ein paar Streifen mehr an der Uniform kleben hat. Der größte Witz ist, dass wir einen neuen Stellvertreter der Abteilungsleiterin haben. Der Kerl hat keine Ahnung von seinem eigentlichen Job, ist aber Hauptfeldwebel und kommandiert alle herum. Außerdem ist er ein Kobold und entsprechend närrisch benimmt er sich auch.

Ruppert hatte an die Tür des stellvertretenden Abteilungsleiters geklopft und war eingetreten. Statt des erwarteten Kannichgut Zwiebels stand ein Winzling auf dem Schreibtisch und starrte ihn an.
"Ähm, ich wollte zu Kannich. Weißt du wo er ist?", hatte er irritiert gefragt und war von den darauf folgenden Beschimpfungen derart überrascht gewesen, dass er nur dagestanden und den auf und ab hüpfenden kleinen Kerl angestarrt hatte. Allmählich war ihm klar geworden, dass es einen Wechsel gegeben hatte und er dem neuen Stellvertreter von Rea gegenüberstand. Als dieser endlich einmal tief Luft holte, salutierte Ruppert lässig und sagte "Hauptgefreiter ag LochMoloch meldet sich zum Dienst zurück, Sir."

Dieser Knubbel wollte mir tatsächlich ein Verfahren wegen unerlaubten Fernbleibens anhängen. Ich habe ihm viel Spaß dabei gewünscht und bin gegangen. Was soll's, ich werde ohnehin die Abteilung wechseln. Am liebsten noch bevor Rea ihren Urlaub beendet. Vielleicht nehme ich selber auch noch ein paar Tage frei. Ich denke, nach den Ereignissen der letzten Monate wird mir das wohl nicht verwehrt werden. Allerdings habe ich mich entschieden zuerst einmal in der Wache zu bleiben. Meine Idee, wieder nach Hause zu kommen, habe ich fallen gelassen, lieber Bruder. Ich glaube nicht, dass es mir besser gehen würde, wenn ich wieder bei euch bin. Auch wenn ihr mir noch so sehr fehlt.
Ich muss immer wieder an die anderen denken, an das was ich unterwegs erlebt habe. Ruppert hat gesagt, das wird vergehen und er wird wohl wie immer recht haben. Ich bin froh, dass ich ihn um Rat fragen kann. Obwohl er doch um einiges älter ist als ich, ist er mir ein sehr guter Freund geworden. Eigentlich der beste Freund, den ich jemals hatte.

Ja, sein Freund Ruppert, der Werwolf, der wegen Mordes an einem verräterischen Wächter unehrenhaft entlassen worden war und den er lange nicht richtig einschätzen konnte. Ohne ihn würde er nicht mehr leben. Wenn er auch ohne ihn auch nie in Lebensgefahr gekommen wäre, das gestand er sich leise lächelnd ein.

In den paar Monaten, in denen ich nicht hier war, hat sich eine neue Mode ausgebreitet. Jeder hier hat eine kleine Musikmaschine bei sich und lässt ständig seine Lieblingsmelodie klingen. Es handelt sich dabei nicht um so etwas technomantisches mit Daemonen sondern es ist rein mechanisch. Und so klingt es auch. Und weil jede Maschine, sie nennen es Spieluhr obwohl keine Zeit angezeigt wird, nur eine einzige Melodie kennt, ist das ganze in meinen Augen ziemlicher Unfug.
So, mein Lieber, ich beende jetzt diesen Brief und versuche mich wieder hier einzuleben. Ich halte dich auf dem Laufenden. Bitte schreib mir auch bald, damit ich weiß, wie es euch zu Hause geht.

Die Dich liebender Bruder
Ruppert

Ruppert faltete den Brief zusammen und klebte ihn zu. Er würde ihn bald in Klein-Llamedos abgeben, denn die Post von Ankh-Morpork hatte immer noch keine regelmäßige Verbindung ins llamedonische Hochland. Irgendein Händler oder Reisender würde den Brief mitnehmen und entweder selber abgeben oder ihn an jemand anderes weitergeben. Das funktionierte erstaunlich gut.
Da er keine Diensteinteilung hatte, beschloss Ruppert alleine los zu ziehen. Er wusste natürlich, dass das irregulär war, aber das hinderte ihn nicht daran es trotzdem zu tun. Mit einem Anflug von Trotz schrieb er seinen Namen auf die Liste und verließ das Wachhaus in Richtung Hafen.

Als er eine gute Stunde später auf der Stadtmauer saß und beobachtete wie der träge Fluss in Richtung des Runden Meeres kroch, wurde er ruhig. Ein großer Überseesegler pflügte sich mit vollen Segeln langsam in die Stadt hinein. Ruppert hörte den typischen Arbeits-Sprechgesang der britneyschen[2] Matrosen, die scheinbar planlos auf dem Deck des großen Seglers zwischen hohen Aufbauten und einer verwirrenden Anzahl von Tauen hin- und herliefen und hier und da an Seilenden zogen oder sie losbanden. Die See hatte ihn schon immer fasziniert, wenn er auch nie die Idee gehabt hätte auf ihr herumzufahren. Lächelnd verließ er die Stadtmauer und tauchte ins Gewimmel in den Straßen rund um die großen Docks ein.

"He, Wächter!" Ein bulliger Dockarbeiter kam auf ihn zu. An seinem Gürtel baumelten zwei Schauerhaken, aber er machte keinen aggressiven Eindruck. "Da liegt einer so zwischen den Kisten rum. Ich glaube ja fast, der ist man hinüber."
Der Vektor zögerte etwas. Normalerweise waren solche Situationen genau der Grund, warum man nur zu zweit unterwegs sein sollte. Dann nickte er dem Mann zu. "Ich schau' es mir an. Führ mich bitte hin."
Tatsächlich lag ein Mann zwischen zwei hohen Kistenstapeln. Um ihn herum war eine große Blutlache, soweit Ruppert es in dem dämmrigen Licht erkennen konnte. Er beugte sich vorsichtig über den Mann und sah angeekelt den zerschmetterten Schädel. Kein Zweifel, hier konnte er nicht mehr helfen.
"Gut, danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Ich muss meine Kollegen holen und ich brauche Deine Aussage, also bleib bitte noch hier."
"Bei dem Toten?" Der Arbeiter klang erschrocken.
"Nein, du kannst mit mir da drüben warten."
Ruppert kritzelte eine Meldung auf einen kleinen Zettel, band ihn der Taube, die er normalerweise dabei hatte, ans Bein und warf sie in die Luft.
"So, ich denke in einer halben Stunde werden sie hier sein." Er zog einen Block aus der Tasche und begann zu schreiben. "Also, zuerst einmal: Wie heißt du?"

***

Am nächsten Tag fegte Ruppert gerade sein Büro aus, als es in der Wand polterte und die Rohrpostklappe aufflog. "Nachricht von den Leichenfledderern", krähte es und eine zerknäulte Botschaft landete auf dem Boden. Er glättete sie und fand die Aufforderung sich zu melden. Unterschrieben war die Nachricht von Feldwebel Magane. Neugierig machte er sich auf den Weg über den Korridor und klopfte an ihre Tür.
"Herein!", rief es von drinnen und der Lance-Korporal betrat das Büro des Feldwebels.
"Ach, ag LochMoloch, nicht wahr?", begrüßte sie ihn. "Danke, dass du so schnell gekommen bist. Ich habe da ein kleines Problem mit deiner Leiche von gestern."
"Und wie kann ich da helfen, Frau Feldwebel?"
"Du hast den Mann gefunden ...."
Ruppert unterbrach ihn. "Nicht direkt, aber ich war der erste Wächter. Das stimmt."
Die Gerichtsmedizinerin nickte und machte sich eine Notiz. "Gut, vielleicht ist es besser, wenn ich dir einfach sage wo mein Problem liegt. Ich weiß nämlich nicht ob der Mann von einem der Stapel gestürzt ist", sie schob Ruppert eine Ikonographie zu, auf der die beiden Kistenstapel deutlich zu erkennen waren, "oder ob er erschlagen wurde. Klar ist, dass das Blut auf dem Boden von ihm stammt. Kein Wunder bei dieser Kopfwunde. Er muss noch ein paar Minuten gelebt haben um so stark geblutet zu haben, aber er war mit Sicherheit bewusstlos. An seinem Körper finden sich Spuren von frischen Prellungen, die aber sowohl von Kisten stammen können, an die er stieß als er fiel als auch von scharfkantigen Latten, mit denen er vielleicht geschlagen wurde." Der Feldwebel seufzte. "Und da dachte ich, dir ist vielleicht etwas aufgefallen, das mir bei meiner Beurteilung helfen könnte."
Sie stand auf und zeigte Ruppert eine kleine Kiste, in der mehrer Gegenstände lagen. "Das hatte er bei sich, aber es hilft uns nicht viel weiter."
Ruppert sah neugierig in de Kiste. "Darf ich?", fragte er und deutete auf den Inhalt. Magane nickte und Ruppert griff hinein.
"Nun, er lag so da, dass ich zuerst dachte, dass er gestürzt ist." Er öffnete einen Lederbeutel und fand zu seiner Überraschung ziemlich viel Geld darin vor.
"Mehr als vierzig Dollar", erklärte die Medizinerin.
"Hmm, also wohl kein Raubüberfall, Frau Feldwebel?"
"Vermutlich nicht. Aber der Mann trug die übliche Kleidung der Dockarbeiter und das hier sind mehr als zwei Monatslöhne für einen von denen. Woher hatte er so viel Geld?"
"Ein verdeckter Ermittler?", scherzte der Vektor und hob eine der allgegenwärtigen Spieluhren aus der Kiste. Er drehte die Kurbel und eine erstaunlich zarte Melodie ertönte. "Erstaunlich, man sollte bei einem einfachen Arbeiter eher ein Volkslied oder so etwas erwarten", murmelte er und drehte weiter bis ein Misston erklang. "Upps, die hat wohl auch was abbekommen". Er legte sie zurück und nahm das kurze Messer in die Hand, das der Tote ebenfalls bei sich getragen hatte. "Aber ich habe die Aussage des Mannes, der für diese Lagerhalle zuständig ist und er sagte mir, dass dieser Stapel seit ein paar Wochen auf ein Schiff wartet, das überfällig ist. Also hatte unsere Leiche dort nichts zu arbeiten. Das lässt eher auf einen Mord schließen. Denn normalerweise hätte sich erst dann wieder jemand dort zu schaffen zu machen, wenn die Kisten abgeholt würden."
Magane sah Ruppert zu, der sich die einzelnen Gegenstände ansah. "Was du über einen verdeckten Ermittler sagst, ist nicht dumm, denn der Mann hatte nicht die Hände von jemandem, der in den Docks arbeitet und Schiffe be- und entlädt."
"Ein Dieb? Hat die Diebesgilde jemanden als vermisst gemeldet?"
"Nein. Der Oberhaupt der Gilde hat sich den Mann angesehen und kennt ihn nicht Außerdem zahlen die Betreiber der Halle ihren Beitrag an die Gilde."
"Ich vermute, dass an den Kisten kein Blut zu finden war?"
"Doch, aber leider nicht oben sondern nur vom Boden bis etwa eineinhalb Meter Höhe. Allerdings auch keine Spuren seiner Kleidung, wie man erwarten sollte, wenn er gestürzt wäre."
Ruppert überlegte und schüttelte dann den Kopf. "Tut mir Leid, aber ich fürchte, mehr kann ich nicht sagen. Aber ich höre mich gerne in der Gegend um."
Als er die ablehnende Mine der Gerichtsmedizinerin sah, ergänzte er: "Keine Ermittlungen natürlich, nur ein Herumhören. Was die Leute so sagen eben."
Magane nickte zögernd. "Ich verlasse mich drauf, keine Ermittlungen auf eigene Faust, verstanden?"
Ruppert salutierte. "Verstanden, Mä'am."

***

Auf dem Weg zu seinem Büro grüßte Ruppert verschiedene Kollegen. Aber ihm wurde bewusst, dass er keinen von ihnen näher kannte. Klar, manchmal traf man sich nach Dienstende im Eimer und er wurde dann oft gebeten zu singen und zu spielen. Aber dann ging jeder seine Wege und irgendwann traf man wieder zusammen, entweder um zu arbeiten oder zu trinken. Am Aushangplan für die Tagesbefehle sah er, dass man ihn dazu auserkoren hatte einem Rudel fortgeschrittener Rekruten die Tätigkeiten eines Vektors zu zeigen. Und zwar auf einem normalen Rundgang.

Es waren fünf Rekruten, die sich mittags am Tresen eingefunden hatten. Durchweg Menschen, was ihn etwas verwunderte, früher hatte er bei solchen Lehr'gängen' immer den einen oder anderen Zwerg dabei gehabt. Einer von den Rekruten erinnerte ihn vage an seinen ehemaligen Bürokollegen Damien G. Bleicht.
"Ich bin Ruppert ag LochMoloch und ich werde euch heute auf meinen Rundgang mitnehmen. Dabei erhaltet ihr einen Einblick in die vielfältigen Aufgaben des V.E.K.T.O.Rs. Normalerweise gehen wir einfach auf Streife und sehen und werden gesehen. Heute haben wir eine zusätzliche Aufgabe. Gestern wurde ein Toter gefunden. Ich habe hier für jeden von euch eine Ikonographie. Wir werden um die Docks herum fragen ob jemand den Toten kennt. Wie gesagt, Hauptaufgabe ist es zu sehen und gesehen zu werden. Fragen könnt ihr unterwegs stellen."
Mit den Rekruten im Schlepptau ging er zu den Docks. Er fand diese Gegend faszinierend. Der Teil, der an die Schatten grenzte war ein Umschlagplatz für Fracht und im Perlendock legten traditionell die Segler aus den fernsten Ecken der Scheibe an. Es war hier bei weitem nicht so gefährlich wie in den Schatten, denn hier wurde hart gearbeitet und darauf geachtet, dass das Ergebnis der harten Arbeit im eigenen Besitz blieb. Wer zehn Stunden und mehr am Tag Schiffsfracht bewegte, neigte dazu recht kräftig zu werden. Das hatte das übliche Gesindel gelernt zu respektieren.
Auf der Morpork-Seite wurden Schiffe gebaut und repariert. Hier roch es angenehm nach Holz, Teer und Marmelade.[3] Es gab einige Docks, an denen wertvolle und exklusivere Fracht an Land gebracht wurde. Und auch wenn die Schmugglergilde ihr Gildenhaus auf der Ankh-Seite hatte, so machte sie hier ihre größten Geschäfte. Sehr zum Wohl der Stadt, denn statt Steuern zahlte sie entsprechende Gebühren an die Stadt und das am besten gehütete Geheimnis der Gilde, eines das nur ängstlich schaudernd von Oberhaupt zu Oberhaupt weiter gegeben wurde, war, dass diese Gebühren höher waren als die eingesparten Steuern. Natürlich gab es auf beiden Seiten des Flusses Häuser der Näherinnen, der Spieler und aller Gilden, die für die Zerstreuung der Matrosen nach langer Seefahrt sorgten.

Einige der Rekruten waren neugierig, andere eher schüchtern und trauten sich kaum ihn etwas zu fragen. Aber sie machten alle einen willigen Eindruck. Als sie Am Perlendock angekommen waren teilte Ruppert die Gruppe auf. Er selber würde mit zwei Rekruten zusammen losziehen und die anderen drei würden die zweite Gruppe bilden.
"In einer halben Stunde treffen wir uns wieder hier. Wichtig ist: Niemand verlässt seine Gruppe, ihr behaltet einander immer im Auge! Verstanden?"
"Ja, Herr!"
Die beiden Rekruten, die zu Rupperts Gruppe gehörten, waren Vincent Trocken und Gauß Rho-theos.
"Sir, eine Frage, wenn ich darf?"
"Ja, Rekrut Rho-theos?"
"Der Ankh ist hier ziemlich flüssig obwohl er doch weiter in der Stadt fast schon fest ist. Wie kommt das, Sir?"
"Das hat mit den Gezeiten des Runden Meeres zu tun. Bei Flut wird Salzwasser in die Ankh-Mündung gedrückt und löst so den Dreck etwas auf. Nur deshalb können die großen Schiffe überhaupt an den Docks hier anlegen."
"Und wo kommen die Schiffe her?", fragte der Albino staunend und betrachtete den Wald von Masten.
"Oh, die kommen aus aller Welt. Hauptsächlich von den Ländern, die am Runden Meer liegen, aber auch aus dem Wiewunderland oder Krull und leider sogar aus dem Achatenen Reich."
"Leider, Sir?"
"Ja, leider. Aber das ist eine lange Geschichte."
Rupperts plötzlich harte Stimme unterband jede weitere Nachfrage.

Als LochMoloch am Abend seinen Bericht schrieb musste er schmunzeln. Die Rekruten waren zum Teil ziemlich schräg drauf gewesen und hatten die Befragung von Arbeitern und Passanten auf sehr unterschiedliche Weise durchgeführt. Leider hatte niemand den Toten erkannt. Er schrieb ein paar Zeilen an Feldwebel Magane und schickte ihn per Rohrpost in die Gerichtsmedizin. Für ihn war der Fall damit erledigt.

***

Die Ankh-Morpork-Times hatte begonnen im hinteren Teil jeder Ausgabe immer dann einen "Bericht von der Stadtwache" abzudrucken, wenn es etwas Schauriges zu berichten gab. Hier erschien einige Tage später das Bild des Toten mit einem Bericht über die Umstände des Fundes und der Frage "Wer kennt diesen Mann?".
Noch am gleichen Tag kam eine aufgeregte Frau ins Wachhaus und knallte dem Wachhabenden die Zeitung auf den Tresen. "Alfred Mops! Das ist Alfred Mops!"
Der Rekrut Rochus Wildgrube, der mit Ruppert unterwegs gewesen war und daher wusste, dass der zuständig war, brachte sie ins Büro des Lance-Korporals.
"Sir, hier ist eine Zeugin, die behauptet den Toten aus den Docks zu kennen."
Die Frau schob ihn resolut zur Seite. "Was heißt hier 'behauptet' - ich werde doch meinen Mieter kennen."
Ruppert stand auf, gab ihr die Hand und bat sie sich zu setzen.
"Nun, Frau ..."
"Sondermann, Karola, Bugbogenstraße 2, geboren am 24. Ick im Jahre der wutschnaubenden Waldechse, verwitwet ..."
Ruppert unterbrach sie lachend: "Nicht so schnell, Frau Sondermann. Nicht so schnell. Du kennst also den Mann auf dem Bild?" Er reichte ihr eine der Ikonographien, die immer noch auf seinem Schreibtisch lagen.
"Ja, das ist mein Mieter. Alfred Mops. Was ist mit ihm passiert?"
"Das wissen wir noch nicht. Wir sind dabei das herauszufinden. Vielleicht kannst du mir ein wenig von Herrn Mops erzählen?"
"Nun, um ehrlich zu sein. So viel weiß ich nicht von ihm. Er hat die untere Wohnung in meinem Haus gemietet. Vor etwa zwei Jahren war das. Er arbeitet beim Großen Strang. Ab und zu haben wir uns getroffen und uns ein wenig unterhalten. Er war immer sehr freundlich." Sie begann zu schluchzen.
"Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?"
Sie schniefte noch einmal und dachte nach. "Anfang des Monats, als er mir die Miete gezahlt hat. Also vor zehn Tagen."
"Und ist dir irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Seit dem oder auch vorher?"
"Ich weiß nicht. Oder doch, ja, als er mir die Miete gezahlt hat, hat er gesagt, dass er demnächst neue Möbel kaufen wollte. Ob ich ihm einen guten Tischler empfehlen könne. Als ich meinte, dass das aber teuer werden könnte, da hat er nur gelacht und gemeint, das würde keine Rolle spielen. Ist das wichtig? Ich meine, weil er doch nicht so gut verdient hat beim Strang, da hat mich das schon gewundert."
Ruppert nickte und notierte sich alles.
"Na gut, Frau Sondermann, ich schlage vor, wir gehen jetzt zu der Wohnung und ich schaue sie mir einmal an, ob ich etwas Auffälliges finde. Du hast doch einen Schlüssel zu der Wohnung?"
Dabei fiel ihm ein, dass bei der Leiche keine Schlüssel gefunden worden waren.
"Nun, und ich denke, wir nehmen den einen oder anderen Kollegen mit."

Er hatte mit seiner Vermutung recht behalten. Als er mit der Tatortwächterin Kathiopeja in der Wohnung ankam und die Tür aufschloss, sahen sie auf den ersten Blick, dass sie durchwühlt wurden war. Kathi stöhnte und öffnete ihren S.T.Au.B. Ruppert seufzte und zog das Absperrband aus ihrem Koffer.
"Ich sperre den Gang ab und befrage die Nachbarn, Kathi. Viel Spaß da drin." Sie streckte ihm die Zunge raus und begann mit ihrer Arbeit.

Am Abend hatte Ruppert ihren Bericht auf dem Tisch liegen. Er überflog ihn, stellte fest, dass es eigentlich nichts zu berichten gab und ging damit zum Büro von Romulus von Grauhaar.
"Sir", sagte er, nachdem ihn der Oberfeldwebel zum Eintreten aufgefordert hatte, "ich habe hier einen Fall für dich. Er legte ihm die Berichte von SUSI auf den Tisch und Grauhaar überflog sie. Nach kurzem Nachdenken schob er den Bericht an LochMoloch zurück. "Ich will ehrlich sein, Lance-Korporal, wir stecken hier bis über die Augenbrauen in Arbeit. Einen weiteren Fall können gerade wir nicht bearbeiten. Außerdem geht aus den Unterlagen ja konkret nichts von Raub und Mord hervor - auch wenn ich zugebe, dass das sehr wahrscheinlich ist. Ich bitte dich deshalb weiter zu ermitteln. Ich werde das mit Rea, nein, mit Rib", er seufzte, "absprechen. Natürlich sollen deine Ermittlungen nicht über das hinausgehen, was du normalerweise machst. Also keine verdeckten Einsätze oder so, verstanden? Nachdem Du vor ein paar Monaten zusammen mit Samaxsohn schon einmal einen Fall glänzend gelöst hast, vertraue ich dir diesen Fall an. Du kannst das natürlich ablehnen ..."
Ruppert fragte sich, was das unausgesprochene "Aber" wohl bedeutet hätte, aber er war viel zu angetan von der Idee weiter zu ermitteln.
"Gerne, Sir. Ich meine, wenn Rea, ähm ihr Stellvertreter meine ich, zustimmt, dann mache ich weiter."
"Wie stehst du denn zu ihm?", wollte der Werwolf wissen.
"Nun, Sir, tja, ich glaube, wir hatten keinen soo guten Start."
Grauhaar grinste. "Na, dann werde ich dafür Sorgen, dass du bestraft wirst. Und zwar mit diesem Auftrag, lass mich nur machen. Weißt du, Rib ist gar nicht so übel, aber furchtbar kompliziert weil er so einfach gestrickt ist."

Eine halbe Stunde später wurde Ruppert zu Rib zitiert. Der Kobold stand, die Hände auf die Hüften gestützt, auf dem Schreibtisch.
"Also erst unerlaubtes Entfernen vom Dienst und jetzt auch noch Arbeitsverweigerung? Na, du bist mir ein Früchtchen. Aber so geht's ja mal gar nicht. Nur, dass wir uns verstehen, der Fall mit dem Mops bleibt bei uns, das habe ich Grauhaar klipp und klargemacht." Dann schloss er triumphierend: "Und er hat sofort klein beigegeben."
Ruppert machte ein möglichst bekümmertes Gesicht und seufzte leise: "Ja, Sir, selbstverständlich. Tut mir Leid, Sir."
Dann zog er sich mit gesenktem Kopf zurück.

Ruppert hatte schon mit den verschiedensten Wächtern zusammen gearbeitet und ihnen allen ein wenig abgeschaut. Er versuchte das jetzt einzusetzen und kam sich dabei recht professionell vor.
Nach ein paar Tagen allerdings musste er feststellen, dass er nicht herausgefunden hatte. Alle Spuren verliefen im Sande. Mops war kein kontaktfreudiger Mensch gewesen. In seiner Freizeit hatte er sich mit Klackercodes und Klackertechnik beschäftigt. Kannichgut Zwiebel hatte sich mit Begeisterung auf die unzähligen Seiten mit Notizen und Skizzen gestürzt. Allerdings war er zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich dabei um größtenteils bereits umgesetzte Verbesserungen handelte.
Die Gesellschaft des Großen Strangs hatte bestätigt, dass Mops ein Tüftler gewesen war, der dafür bezahlt worden war an der Weiterentwicklung der Klackertechnik mit zu arbeiten. Er war besessen von seiner Arbeit, so die Aussage seines Vorgesetzten, aber kein besonders helles Licht gewesen. Hauptsächlich hatte er daran gearbeitet neue Ideen umsetzbar zu machen.
Freunde und Verwandte schien es keine gegeben zu haben. Ettark Bergig hatte sich bei seinen Kontakten umgehört, aber auch von denen konnte ihm niemand etwas über Mops erzählen.
Lediglich der Chefentwickler des Stranges, ein gewisser Stanley Suselmann, hatte sich mit ihm angefreundet. Wahrscheinlich hatte er sich nur wegen dieser Freundschaft überhaupt in seinem Beruf halten können. Dumm nur, dass Suselmann vor einigen Wochen verstorben war und so auch nicht mehr befragt werden konnte.
Ruppert wollte schon seinen Abschlußbericht schreiben, als Feldwebel Magane ihn bat in die Pathologie zu kommen.

***

"Hallo, Ruppert, schön, dass du gleich kommst. Ich glaube, wir haben ein Problem. Sie deutete auf einen Toten, der auf einem der Tische lag. Ruppert sah ihn an aber er kannte ihn nicht.
"Ja, Frau Feldwebel, und wo ist das Problem?"
"Er wurde in derselben Halle gefunden wie Mops. Er lag bestimmt schon einen Tag da, als ihn jemand gefunden hat. Genau gesagt lag er neben demselben Kistenstapel. Und auch wenn ich schon lange nicht mehr selbst ermittle, dann sehe ich, dass es da einen Zusammenhang gibt." Sie grinste. "Und da RUM offenbar kein Interesse an diesem Fall hat, dachte ich, dass SUSI und SELAS ein gutes Team abgeben würden. Und nenn mich nicht immer Frau Feldwebel."
Er lächelte sie an. "Gerne ... Magane?"
Sie nickte und reichte ihm eine kleine Kiste mit den Habseligkeiten des Toten.
"Diesmal ist es etwas einfacher, denn wir wissen schon wer er ist."
Ruppert legte den Inhalt nebeneinander auf einen freien Tisch. "Hmm, wieder mehr Geld als ein normaler Bürger dabei hat, eine Tabakspfeife, eine Spieluhr, ein schwerer Dolch, Spielwürfel, Kleinkram. Wer ist ... war er?" Ruppert drehte gedankenverloren an der kleinen Musikmaschine, während die Gerichtsmedizinerin in den Unterlagen blätterte.
"Hier, Heribert Großfinger, wohnt in der Unendlichen Straße, direkt am Ankh und rate mal wo er arbeitet."
Die Musik endete mit einem Missklang. "Beim Klacker?"
"Ja, genau. Und ich denke ..."
"Ja, ich auch. Ich bin schon unterwegs."

Zusammen mit Lantania von Silberwald und Boris Machtnichts, den beiden VEKTOR Auszubildenden der Abteilung, die ihm von einem gutgelaunten Rib zugeteilt worden waren ("Wenn sie von dir schon nichts lernen können, dann haben sie wenigstens Auslauf"), machte sich Ruppert auf den Weg zum Haus des Toten. Olga-Maria Inös war schon da und lächelte ihn schüchtern an. Die Tatortwächterin war von einem anderen Tatort abgerufen worden und erwartete ihre Kollegen.
"So, Sir, schön, dass wir ... äh ... ich meine, herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Sir ...", sie wurde verlegen. Ruppert mochte die schmale Tatortwächterin, mit der er schon oft zusammen gearbeitet hatte. Sie war sehr kompetent und weitaus weniger anstrengend als ihre Kollegin Kathiopeja.
"Lass mal, Olga, ich war noch Rekrut, als du hier schon deinen Job gemacht hast. Eigentlich müsste ich Sir zu dir sagen." Er musste grinsen als er an den "Fall" dachte, bei dem sie sich kennen gelernt hatten[4]. Sie dachte wohl auch gerade daran und lachte. "Weißt du noch ... diese alte Frau und ihre roten Unterhosen?" Dann räusperte sie sich und wurde ernst.
Ruppert nickte und ging zur Tür. Sie war abgeschlossen. Ruppert las das Schild neben der Tür und sagte zu seinen Begleitern. "Wir haben ein Problem. Dieses Haus ist Magiegesichert. Da kommen wir nicht rein. Lantania und Boris, ihr geht sofort zur Unsichtbaren Universität und sucht dort Professor Hei Sekurety. Bitte bestellt ihm einen schönen Gruß von mir und er möchte bitte schnellstens hierher kommen." Er deutet auf das Schild, auf dem der Name des Zauberers stand, der den Schutzzauber verhängt hatte. "Und lasst euch nicht abwimmeln. Wenn er gar nicht will, dann lasst ihr die Bemerkung fallen, dass ihr dann leider den Erzkanzler bitten müsst den Zauber zu brechen. Das sollte wirken."
Die beiden Auszubildenden sahen sich erschrocken an. "Ach ja, und lasst euch nicht verzaubern. Das ist gegen die Dienstvorschrift."
Olga-Maria sah den beiden nach. "Du bist gemein, Ruppert. Die beiden einfach in die Universität zu schicken. Du weißt doch, wie diese Zauberer sein können."
Ruppert lachte. "Schon. Aber das müssen sie lernen. Und außerdem kenne ich diesen Sekurety. Er ist für einen Zauberer ungewöhnlich hilfsbereit. Naja, ich habe ihm auch schon den einen oder anderen Kunden besorgt. Und du weißt ja, eine Hand wäscht die andere."
"Ach so, und ich dachte schon ...", sie wurde wieder verlegen.
"Komm, wir warten da drüben. Da ist eine Taverne und wir haben das Haus im Blick. Ich lade dich ein. Mal schauen was sie so zu bieten haben."
Die Taverne hieß "Zur Fähre" und die beiden Wächter konnten sowohl das Haus Großfingers als auch die ein- und auslaufenden Schiffe beobachten. Es wehte ein milder Wind vom Runden Meer her, so dass der Gestank des Flusses und der Stadt von ihnen weggeweht wurde.
"Schau, da drüben liegt das Perlendock. Und da, in dem blauen Lagerhaus wurden die beiden Toten gefunden. Olga-Maria nickte und trank einen kleinen Schluck aus ihrem Ankh-Spezial, ein garantiert alkoholfreier Drink aus Früchten, die garantiert nicht aus Ankh-Morpork stammten und der sehr gut schmeckte. Wir werden nachher die Fährleute fragen, ob sie Großfuß kannten."
"Großfinger, Ruppert, Großfinger, nicht Großfuß."
Ruppert schaute sie an und bemerkte dann seinen Versprecher. "Ach so, ja stimmt. Der Wirt hat gesagt, dass er ihn kannte, weil er ab und zu hier zu Abend gegessen hat. Außerdem ist interessant, dass die Bugbogenstraße auch um die Ecke liegt. Sie mündet gleich hinter der Ankhstraße in die Unendliche Straße. Großfinger und Mops haben sich also vielleicht auch privat gekannt. Das Klackerbüro besuche ich nachher auch noch mit den zwei "Kleinen". Aber zuerst müssen wir wissen ob wir irgend etwas Interessantes in seinem Haus finden."
"Und dazu braucht ihr meine Hilfe?"
Inös und ag LochMoloch zuckten erschrocken zusammen, denn urplötzlich saß ein dritter Mann an ihrem Tisch, der Kleidung zufolge eindeutig ein Zauberer.
"Professor Sekurety!", rief Ruppert aus und sprang auf. "Schön, dass du so schnell gekommen bist. Wo sind ...? Und wie ...?"
"Deine beiden Mitarbeiter kommen bestimmt bald. Ich dachte mir, ich probier einmal meine neuen Schuhe aus. Er deutet auf ein paar schwarze Schuhe mit je drei weißen Streifen. "Das ist die kleine Version der Sieben-Meilen-Stiefel, drei Meter mit jedem Schritt. Sozusagen smart in der Stadt unterwegs. Meine neueste Erfindung!"
Ruppert stellte dem Zauberer seine Kollegin vor und bezahlte die Getränke. Auf dem kurzen Weg zum Haus erklärte Ruppert dem Zauberer noch einmal warum er in das Haus hinein musste.
Der wurde sehr ernst. "Nun, Herr ag LochMoloch, das ist schon seltsam. Ich bekam nämlich gestern am frühen Morgen eine Klackerbotschaft mit genau derselben Bitte. Der Absender war die Büroadresse von Herrn Großfinger."
"Du hast doch nicht etwa schon geöffnet?", fragte Ruppert erschrocken.
"Nein, zum Glück nicht. Ich bin erst gestern Nacht von einem Kongress in Sto-Helit zurück gekommen." Er reichte Ruppert die Nachricht. Bitte Zauber beseitigen, habe Schlüssel verloren. Heribert Großfinger.
"Interessant. Wer auch immer das geschrieben hat, hat den Schlüssel also nicht."
"Das muss nicht zwangsläufig so ein. Weißt du, ich habe hier etwas besonderes, naja ausprobiert." Der Zauberer schmunzelte. "Eigentlich kann jeder ganz einfach in das Haus einbrechen. Es liegt kein besonderer Schutz darauf. Wer den Schlüssel hat, kommt auch problemlos hinein. Also keine Prägung Schlüssel - Schloss - Eigentümer, wenn du verstehst."
Ruppert nickte; sein Freund von Himmelfleck hatte ihm viel von dem neuen technomantischen Spielereien der Unsichtbaren Universität erzählt.
"Aber was geschieht dann? Wie ist das Haus gesichert."
"Also ... wenn jemand einbricht oder die Tür aufschließt ohne Heribert Großfinger zu sein, dann kommen die Wächter zum Einsatz."
"Die Wächter?"
Sekurety schmunzelte wieder. "Ich habe eine Koboldfamilie im Keller einquartiert. Kommt jemand ungebeten ins Haus, bekommen sie ein Signal und dann dürfen sie mit ihm machen was sie wollen. Außer ihn umbringen oder allzu sehr verletzen. Einer von euren Leuten hat mich auf die Idee gebracht, einer der wenigen Koboldwächter, ziemlich hohes Tier, aber ich habe den Namen vergessen."
Ruppert seufzte leise und meinte mehr zu sich selbst: "Ich weiß schon wer das ist." Dann stutzte er und meinte: "Das könnte aber doch bedeuten, dass derjenige weiß, dass es diese Sicherung gibt. Sonst hätte er den Schlüssel einfach ausprobiert - wenn er einen Schlüssel hat. Und ich bin sicher, er hat ihn."
Als die drei vor dem Haus standen klopfte der Zauberer zur Verwunderung der beiden Wächter nur mit seinem Stab gegen die Tür und brüllte: "He! Iggy, komm raus!"
Nach wenigen Sekunden öffnete sich eine kleine Tür in der Tür, die Ruppert vorher nicht bemerkt hatte und eine kleine blaue Gestalt kam heraus. "Prof! Was willste denn? Lang nicht gesehen, lass uns einen heben!"
"Das ist Iggy, der Chef der Kobolde hier im Haus. Iggy, das hier sind Wächter von der Stadtwache und ich möchte, dass du sie in Ruhe lässt, wenn sie ins Haus gehen. Klar?"
"Klar, Mann! Aber was wird der Stinkfinger sagen, wenn er kommt?"
Ruppert war auf ein Knie gesunken und beugte sich zu dem Kobold herab. "Der wird nicht mehr kommen, denn er ist tot. und wir wollen wissen warum er getötet wurde."
"Klar, Mann, verstehe ich. Aber, he Mann, was wird aus uns?"
Der Professor schüttelte den Kopf. "Weiß ich nicht, aber wenn ihr hier nicht bleiben könnt, dann finde ich einen anderen Dschob für euch. Kein Problem!"
Der Kobold ging ins Haus und kurz darauf öffnete sich die Haustür. Olga-Maria ging als erste rein, Ruppert folgte ihr. Der Professor setzte sich auf die Stufen, zündete sich eine Pfeife an und begann sich mit Iggy zu unterhalten.
Die beiden Wächter betraten eine Diele, von der zwei Türen abgingen. Eine führte in eine Küche, die sehr ordentlich aufgeräumt war, sah man von etwas schmutzigem Geschirr und einem Topf auf dem Herd ab, aus dem es penetrant nach Fisch roch. Die andere Tür führte in ein großes Wohnzimmer. Der Parkettboden war fast vollständig mit Teppichen belegt. Helles Tageslicht drang durch die Gardinen vor den großen Fenstern. Die Möbel waren hell und das ganze Zimmer strahlte eine ungeheure Behaglichkeit aus. Dazu mochte beitragen, dass es ganz offensichtlich oft benutzt wurde und sich hier jemand wirklich wohl fühlte. Alles war aufgeräumt ohne aber penibel zu wirken.
"O, das ist aber schön hier", sagte Olga-Maria staunend. "Das hätte ich in so einem Haus im Hafenviertel nicht erwartet. Ich schaue mich um, Ruppert, geh du schon mal nach oben."
Ruppert nickte und stieg die Treppe in den oberen Stock. Auch hier gingen zwei Türen von der Diele ab und eine Falltür in der Decke zeigte, dass es auch unter dem Dach noch etwas gab.
Er warf einen Blick in das eine Zimmer und fand ein Schlafzimmer, dass ebenso gemütlich wie das Wohnzimmer wirkte. Der Raum daneben weckte allerdings das größte Interesse in ihm, denn er war hier eindeutig im Arbeitszimmer Großfingers gelandet. Das war ebenso ordentlich wie der Rest der Wohnung und so blätterte Ruppert mehrere Ordner durch, die aber nur Rechnungen, Verträge und einige Briefe enthielten. Dann zog er die Schublade des Schreibtisches auf und fand neben einigem Schreibmaterial einen Umschlag mit dem Logo der Klackergesellschaft. Er öffnete ihn und fand einen Brief, der mit Stanley Suselmann unterschrieben war. Nachdem er ihn gelesen hatte, kannte er zumindest das Motiv das hinter den Morden steckte.

***

In einem Besprechungsraum der Klackergesellschaft saßen drei Mitarbeiter und drei Wächter an einem Tisch. Die drei Männer vom Klacker waren nervös und schauten auf Ruppert und die beiden Auszubildenden.
"Ich muss euch leider mitteilen, dass nach Alfred Mops auch Heribert Großfinger tot ist."
Einer der Männer sprang auf und die beiden anderen wurden blass.
"Ich sehe, dass ihr da genau wie ich einen Zusammenhang seht. In Herrn Großfingers Haus habe ich das gefunden." Ruppert hob das Schreiben hoch, dass er in dem Schreibtisch gefunden hatte. "Ich vermute, ihr kennt es."
Der Mann, der aufgesprungen war, sank in seinen Stuhl und nickte. Die beiden anderen sahen ihn an, rührten sich aber sonst nicht. "Ja", sagte er, "wir haben diesen Brief auch bekommen. Vor zwei Wochen oder so. Aber so recht verstanden haben wir ihn nicht."
"Habt ihr miteinander darüber geredet?"
"Ja, haben wir. Alfred, Heribert, Urdo und Wolfi haben sich mit mir zusammengesetzt und wir haben gerätselt, was das wohl bedeuten soll."
Urdo Karlsknecht, Wolfi Katzer und Staphan Fischey waren aus ihren Büros geholt und zu den Wächtern gebracht worden. Vom Tod Mops' wussten sie schon, aber dass auch Großfinger nicht mehr lebte hatte sie entsetzt.
"Der verstorbene Chefkonstrukteur des Klackerstrangs, Stanley Suselmann, hat jedem von euch fünfen einen gleichlautenden Brief geschrieben. Darin steht, dass er euch die Schlüssel zu seinen neuesten Erfindungen hinterlassen hat. Was bedeutet das?" Ruppert sah fragend in die Runde. Fischey, der offenbar der Mutigste der Gruppe war, zuckte nur mit den Schultern. "Wir wissen das auch nicht. Das ist ja das Verrückte. Keiner von uns hat irgendeinen Schlüssel in seinem Umschlag gehabt. Weder einen realen noch einen Codeschlüssel oder so. Wir haben nur diesen Brief bekommen."
Karlsknecht sah auf. "In jedem Brief steht, wer ihn noch bekommen hat. Wir haben alles ausprobiert. Übereinandergelegt, nach Geheimtinte gesucht, na, was man so kennt eben. Aber war nichts."
Katzer nickte. Er war der jüngste in der Gruppe und war am aufgeregtesten. Er stotterte: "Ja, u-und A-A-Alfred wollte u-uns nicht glauben, dass da ni-ni-nichts war. Aber er hatte do-doch auch nichts gefunden."
"Kamen die Briefe mit der Post? Oder über die interne Post?", wollte Boris wissen. Ruppert war beeindruckt, dass der junge Gefreite sich nicht nur traute eine Frage zu stellen, sondern auch noch eine sehr intelligente dazu. Er nickte ihm aufmunternd zu.
Fischey schüttelte den Kopf. "Nein, Stan hat uns die Briefe selber gegeben. Weißt du, er war sehr krank und wusste, dass er mit ihm zu Ende ging. Er hatte starke Schmerzen, weißt du? Und wir glauben, dass er sich letztlich selber umgebracht hat, so schnell wie es dann ging. Aber wir haben nichts gesagt, weil", er stockte, "naja, es hätte doch nur Gerede gegeben."
Die beiden anderen nickten.
"Warum gerade euch?", warf nun auch Lantania ein.
"Waren seine engsten Mitarbeiter", antwortete Karlsknecht.
"U-Und er hat i-i-immer gesagt, dass wir Freunde wären."
Ruppert war ratlos. "Und dann bleibt nichts als so ein Brief", sagte er nachdenklich.
Fischey lächelte traurig. "Und die Spieluhr." Er griff in seine Tasche und holte ein kleines Lederetui heraus. "Die hat er mir geschenkt als er mir den Umschlag gab. Sie ist zwar ein wenig kaputt, aber das macht sie nicht weniger wertvoll für mich."
"Na, jeder hat wohl heutzutage so ein Ding bei sich, außer mir", murmelte Ruppert. Boris wurde rot und Lantania starrte ausdruckslos auf den Tisch.
Katzer griff nun auch in seine Hosentasche und holte ein ähnliches Etui wie Fischey heraus. "Stan mo-mochte die kleinen Di-Dinger. A-Aber die hier i-ist auch kaputt."
Jetzt horchte Ruppert endlich auf. "Kaputt? Hast du die auch von Herrn Suselmann bekommen?"
"J-Ja", nickte der junge Mann.
"Und du, Herr Karlsknecht?"
"Hat mir auch eine geschenkt als er mir den Brief gab. Komisch, meine hat auch eine Macke. Einer der Töne stimmt nicht. Aber ist egal, wird mich immer an ihn erinnern."
Ruppert dachte nach.
"So, nur mal für die Akten: Bitte sagt mir doch, was eure Aufgabe bei der Gesellschaft ist."
Die drei sahen sich an und wieder begann Fischey: "Ich war sein technischer Assistent. Also der von Stan. Ich war dafür zuständig, dass seine Anweisungen von den Konstrukteuren umgesetzt wurden und habe selber mit an den Verbesserungen gearbeitet. Jetzt arbeite ich als sein Nachfolger, aber ich fürchte, dass ich an sein Genie nicht heranreichen werde."
Katzer kratzte sich am Kopf. "I-ich habe mit He-Heribert im Bü-Büro gearbeitet. Wir haben a-an neuen Codes gearbeitet, d-die Stan ausgetü-tüftelt hat. Da-damit hätte alles fa-fast doppelt so schnell geklackert we-werden können."
Karlsknecht sagte knapp: "Ich war sein Sekretär und Faktotum. Mann für alles eben."
Ruppert stand auf und blieb hinter Wolfi Katzer stehen. "Ein Kollege von mir ist Klackerexperte. Er hat mir mal erklärt, dass die neuen Codes dämonisch schwer zu knacken sind. Gerade auch wenn es um Geschäftsgeheimnisse geht, da muss man immer wieder aktuelle Codes haben."
Wolfi nickte und drehte seinen Oberkörper um den Wächter besser sehen zu können.
"Ich denke, dass ihr in der Gesellschaft immer die neuesten Codes verwendet, auch intern, oder?"
"Natürlich", bestätigte Fischey ungehalten, "Was soll das. Was ..."
"Bitte, lass mich weiter nachdenken", unterbrach ihn Ruppert. "Herr Fischey, wo warst du gestern Vormittag?"
Fischey überlegte und sagte schroff: "Vorstandssitzung beim Präsidenten in seiner Villa bis zum späten Nachmittag."
"Herr Karlsknecht?"
"Ich war die vergangenen drei Tage in Sto-Helit auf einem internationalen Kongress über neue Codierungsverfahren." Er verzog das Gesicht. "Technomagie in Verbindung mit der Klackertechnik. Ich habe kein Wort verstanden, außer, dass es in den nächsten zehn Jahren nicht funktionieren wird. Stan hat auch daran gearbeitet, aber wir haben nichts in seinen Unterlagen gefunden."
"War dort auch Professor Sekurety anwesend?", fragte Ruppert nach.
"Ja, mit dem bin ich mitten in der Nacht hier angekommen. Netter Kerl - für einen Zauberer. Kennst du ihn?"
"Hm", brummte Ruppert zustimmend und sah Katzer an.
"Also, Herr Katzer ..:"
"Ich war den ganzen Tag ...", er stockte.
"Ja, du warst den ganzen Tag in deinem Büro, nicht wahr?"
Katzer senkte den Blick und schwieg.
Die beiden anderen sahen verblüfft auf den Vektor und auch seine Kollegen sahen ihn fragend an.
"Wenn zwei Männer eng zusammen arbeiten, dann bekommt man doch bestimmt so einiges mit. Zum Beispiel auch wie man eine Klackernachricht im Namen des anderen absendet, nicht wahr?"
Katzer schwieg. Er ballte seine Hände unter der Tischplatte zu Fäusten, aber er schwieg.
"Lasst mich raten, Herr Suselmann war bestimmt auch in seiner Freizeit jemand, der sich fanatisch mit Rätseln beschäftigte."
Karlsknecht nickte und Fischey brummte zustimmend.
"Und er hat eine Art von Testament hinterlassen, das ihr nicht verstanden habt. Wieder eines seiner Rätsel. Deshalb habt ihr nach Codes gesucht, Geheimtinte und so."
"Ja, aber was soll das?", brauste Fischey auf.
Ruppert sah ihn an. "Ihr habt alle etwas übersehen. Herr Wolfi Katzer, ich nehme dich hiermit fest, weil ich dich verdächtige verdächtig zu sein deine Kollegen Mops und Großfinger ermordet zu haben. Du hast das Recht umgehend die Tat zu gestehen und so den Verhören der Stufen 1 bis 6 des fünfstufigen Verhörs der Stadtwache zu entgehen."

***

Am Abend stand der Lance-Korporal ag LochMoloch vor gleich drei Abteilungsleitern, genau genommen sogar vor vier, denn auch der Kommandeur und Leiter von FROG hatte sich eingefunden und verfolgte interessiert den abteilungsinternen Kampf um diesen Fall.
Rea Dubiata, die ihren Urlaub eigentlich erst am kommenden Tag beendet hätte, war informiert worden und umgehend ins Wachhaus gekommen.
Rea sah wütend auf ihre Kollegen. "Würde mir bitte jemand erklären, warum einer meiner Leute von euch eingesetzt wird? Wir haben nämlich auch Aufgaben, die erledigt werden müssen. Auch wenn sich herausgestellt hat, dass meine Leute", sie sah stolz auf Ruppert, "offenbar überall ihren Mann stehen."
von Grauhaar schnaubte. "Er wollte doch ermitteln und dein Stellvertreter hat es ja geradezu von mir erzwungen."
"Mir hat er selber angeboten zu ermitteln, warum sollte ich ihn da nicht unterstützen?", fauchte Magane.
Ruppert seufzte innerlich und ahnte, dass es wieder einmal an ihm hängen bleiben würde. Tatsächlich sahen ihn nun die SEALS-, SUSI- und RUM-Abteilungsleiter gemeinsam böse an.
Aragast Breguyar hatte das amüsiert beobachtet und räusperte sich laut. "Wie wäre es, wenn wir ihn einfach erklären ließen, was nun eigentlich passiert ist. Dann können wir immer noch sehen wer Schuld und wer Recht hat - wenn das überhaupt notwendig ist." Das letzte hatte er ziemlich scharf gesagt.
"Nun, ja. Also. Das war so. Ich meine ...", Ruppert begann zu stottern und verlor den Faden.
Rea hatte nun doch etwas Erbarmen mit ihm. "Setz dich hin, Ruppert, und erzähle einfach los. Wir wissen, dass es zwei Morde gab und du den Mörder festgenommen hast."
"Ja, genau. Es gab zwei Tote in einem Lagerhaus am Perlendock. Beide wurden dort von Wolfi Katzer hingelockt und hinterrücks erschlagen. Er hatte den Verdacht, dass die anderen vier ihn hintergehen würden."
"Die anderen vier?", fragte Breguyar.
Ruppert nickte und begann die Ermittlungen darzulegen.
"Als ich ihm auf den Kopf zugesagt habe, dass er der Mörder ist, da hat er erst alles geleugnet."
"Wie bist du überhaupt auf ihn gekommen?", fragte Romulus.
"Er war der einzige, der die falsche Klackernachricht an den Zauberer absenden konnte. Sie kam aus der Zentrale der Klackergesellschaft und er war der einzige, der zu diesem Zeitpunkt dort war. Dass es einer von den dreien war, lag ja nahe, als ich dieses Testament gelesen habe.
Ja, das habe ich ihm dann auch erklärt und da ist er eben zusammengebrochen. Die anderen hätten ihn nicht ernst genommen, über ihn gelacht, ihn nur ausgenutzt und wollten ihn von dem Erbe fernhalten. Irgendwie hätten sie es geschafft an seinen Schlüssel zu kommen. Der Kerl steckt voller Komplexe, aber das müssen die Püschologen klären."
"Und warum war der erste, dieser Mops, als Dockarbeiter verkleidet?", wollte Magane wissen.
Ruppert lachte kurz auf. "Die haben alle eine Macke bei den Klackern, scheint mir. Gerade die Leute um Suselmann sind ja geradezu vernarrt in Rätsel, Verschlüsselungen und so was. Alle fünf haben versucht etwas Verborgenes in dem Testament zu finden. Mops und Katzer haben sind als Dockarbeiter verkleidet in die Lagerhalle gegangen, weil Katzer Mops weisgemacht hat, dass er das Rätsel gelöst habe und der Schatz, also die Unterlagen, in einer Kiste dort auf sie warten würde. Dort hat er ihn erschlagen, dann die Wohnung durchsucht und natürlich nichts gefunden. Den anderen, Großfinger, hat er mit derselben Geschichte dorthin gelockt.
Aber der wahre Schlüssel waren die Spieluhren. Als ich mir die Sachen der beiden Toten angeschaut habe, habe ich bemerkt, dass ihre Spieluhren einen falschen Ton hatten. Aber dem keine Bedeutung beigemessen. Erst als die anderen drei nebenbei erwähnten, dass ihre auch eine Macke haben, da sah ich einen Zusammenhang. Nun hatte ich also theoretisch einen Schlüssel. Fehlten noch ein Schloss und etwas, was verschlossen sein könnte. Das war schnell gefunden, denn Karlsknecht hatte etwas von nicht vorhandenen Forschungsunterlagen erzählt."
"Moment", unterbrach ihn Rea, "Was für einen Schlüssel hattest du? Das verstehe ich nicht."
"Die fünf falschen Töne der Spieluhr mussten eine Bedeutung haben. In Suselmanns Büro haben wir einen Tresor gefunden, der kein Schlüsselloch oder ein Zahlenschloss hatte. Einen von diesem neumodisch technomantischen Kramzeugs. Die Riegel in der Tür werden von fünf Daemonen verschoben, von denen jeder auf einen anderen Ton reagiert. Und nur wenn alle fünf Töne in wenigen Sekunden abgespielt werden, dann öffnet sich die Tür. Und dahinter waren die Unterlagen. Ob sie das alles wert waren, wird sich zeigen."
"Katzer hat gestanden?", fragte der Kommandeur.
"Ja, Herr. Er war sich sicher, dass die anderen ihm etwas Wertvolles vorenthalten wollten. Das hat ihn schier umgebracht, mit seinen Minderwertigkeitskomplexen."
"Von denen wird ihn Herr Truper befreien", bemerkte Magane trocken und die anderen lachten.
Breguyar hob die Hand. "Ich denke, der Lance-Korporal hat im Rahmen seiner Aufgabe als Vektor vollkommen im Sinne SEALS' gearbeitet. Ich sehe das als perfekte Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen und nicht als Einmischung in die Angelegenheiten einer anderen Abteilung." Er stand auf und verließ den Raum.
Auch die Abteilungsleiter standen auf, sahen sich an, zuckten mit den Schultern und grinsten sich an. Dann gingen Romulus von Grauhaar und Magane.
"Also, Ruppert, willkommen zurück, Glückwunsch zur Beförderung. Und jetzt erzähl mal, was in den letzten Monaten so alles passiert ist." Rea lächelte ihn an und Ruppert begann zu erzählen ... [5]

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[1] siehe Single "Adios Werwolf, Teil drei" – so etwa in einem Jahr ...

[2] Groß-Britney ist eine recht unbekannte Insel im Runden Meer und wird von Ihrer Majestät Lizzy II regiert. Vielleicht erzählt uns Ruppert von Himmelfleck einmal von seinen Erlebnissen dort.

[3] Warum gerade nach Marmelade war Ruppert ein Geheimnis geblieben.

[4] Single "Es muss nicht immer Harfe sein"

[5] siehe Anmerkung 1