Es gibt die großen Fälle - nervenaufreibend, kompliziert, gefährlich. Und dann gibt es noch andere - lästig, unspektakulär, anscheinend überflüssig; die Aufgaben, die eigentlich keiner haben will. Aber einer muss sie ja machen. Ein nicht ganz alltäglicher Einsatz für RUM.
Dafür vergebene Note: 12
Dienstag, der 2. AscheEs war immer wieder die gleiche Szene, welche sich seit einigen Jahren zu Beginn des Monats Asche abspielte: Fünf Personen begaben sich an einem bestimmten Tag ins Büro des Kommandeurs der Stadtwache von Ankh-Morpork und kamen nach nicht allzu langer Zeit wieder heraus - mit schicksalsergebenen Gesichtern, starren Mienen oder auch verschränkten Armen. Das an sich wäre noch nichts besonderes gewesen, doch auch wenn die Besetzung gelegentlich wechselte und das ein oder andere Detail nicht mit den Vorjahren übereinstimmte: Die direkt daran anschließenden Handlungen waren stets von frappierender Ähnlichkeit und folgten mittlerweile einem wie einstudiert wirkenden Schema.
Die Tür fiel ins Schloss und fünf Kehlen entrang sich ein kollektives Seufzen. Dann herrschte Schweigen, bis irgendjemand die entscheidende Frage stellte:
"Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr?" Diesmal handelte es sich dabei um Fähnrich Dubiata und wie immer war die einzige Reaktion darauf ein widerstrebendes Nicken.
"Wer ist diesmal dran?"
"Also, da SUSI letztes Jahr die... Ehre hatte, habe ich dafür schon etwas vorbereitet."
Stoff raschelte, dann präsentierte Fähnrich Harmonie ihren Kollegen vier schleimfarbene Federn - auf den ersten Blick sahen sie alle gleich aus. "Ihr dürft."
"Sind die von eurem Geier?", fragte Kanndra gedehnt, während sie zögernd die Hand ausstreckte. Sie schien nur wenig begeistert von der Aussicht, mit Teilen der Befiederung eines in der Pathologie hausenden Wesens nähere Bekanntschaft zu schließen.
"Ja, aber keine Sorge, ich habe sie ihm nicht ausgerissen", erwiderte die SUSI-Abteilungsleiterin, was ihrer FROG-Kollegin aber nicht sehr zu beruhigen schien. Damit waren die Dinger ja offensichtlich vom Boden aufgesammelt worden... wer wusste schon, was vorher auf speziell diesem geklebt hatte? Dennoch griff sie beherzt zu und atmete erleichtert aus - die Feder war komplett.
"Der nächste."
Rea beeilte sich, das Beste aus der nun schon eingeschränkteren Auswahl zu machen und zog - ebenfalls eine ganze Feder. Blieben noch zwei.
Breda Krulock und Romulus von Grauhaar sahen sich einen Moment an, bevor der Werwolf nickte und der Dame den Vortritt ließ. Kurz darauf bereute er diesen Entschluss: Denn auch mit dem Exemplar, welches die Vampirin nun in der Hand hielt, hätte man problemlos einen Brief schreiben können.
Der Rest war nur noch Formsache: Laiza überreichte dem RUM-Abteilungsleiter unter den mitleidigen Blicken der anderen die letzte Feder - sie war in der Mitte des Schafts gekappt.
"Tja, dann ist es wohl diesmal an uns...", meinte der Werwolf zerknirscht. Er würde in Zukunft darauf bestehen, dass auch GRUND hieran teilnehmen musste...
Normalerweise hielt sich Chin Lu gern im Büro seines Vaters auf: Die glänzenden Lackmöbel mit ihren zierlichen Intarsienarbeiten; all die Kostbarkeiten und Antiquitäten, welche beinahe jeden Zentimeter des Raumes bedeckten; der unvergleichlich teure Teppich, auf welchem man das Gefühl hatte auf Wolken zu gehen... Sich daran satt zu sehen hätte länger als ein Menschenleben benötigt. Doch heute war das genaue Gegenteil der Fall - der junge Mann hätte alles gegeben, den Raum schnellstmöglich wieder verlassen zu können. Ja, sogar dass sich der Boden auftäte und ihn verschlänge, sah er momentan als echte Alternative. Aber das Schicksal hatte im Würfelspiel der Götter anscheinend wieder die beste Augenzahl erzielt und beschlossen, ihn das hier durchleiden zu lassen, bis zum bitteren Ende - wie auch immer dieses aussehen mochte.
"Was hast du dil eigentlich dabei gedacht? Nein, hast du übelhaupt deinen Verstand benutzt, bevol du dich zu diesel, diesel... Tolheit hast hinleißen lassen? Schau mich an, wenn ich mit dil spleche!"
Chin Lu zuckte zusammen und es kostete ihn alle Kraft, den Blick zu heben. Trotzig wollte er aussehen, doch dieser Entschluss verflüchtigte sich vor dem grimmigen Blick seines Gegenüber wie Nebel unter einer gnadenlos brennenden Sonne.
"Ich wusste, du kannst mit Geld nicht umgehen. Mil wal auch bekannt, dass es nicht latsam ist, dich mit einem anmutigen Mädchen allein zu lassen. Und dennoch habe ich dil bishel fleie Hand gelassen, in gutem Glauben und Veltlauen... und so dankst du es mil? Deine ehlwüldige Muttel, Schönste allel Kilschblüten, sie wülde sich im Glabe umdlehen!" Die Nasenflügel des Alten bebten zornig. "Du hast mich wilklich schwel enttäuscht, mein Sohn!"
"Vatel, ich..."
"Sei still!"
Der junge Achate kniff die Lippen zusammen und starrte angestrengt auf die Sammlung unbezahlbarer Miniaturporzellanvasen in einer Vitrine ganz hinten im Raum. Natürlich war die Sache ein Fehler gewesen, aber wie hätte er denn ahnen können, dass ausgerechnet diese Spielhölle dem Familienfeind Nummer eins gehörte und die ausnehmende Schönheit an der Bar die erstgeborene Tochter eben jener Yangs war?
"Weißt du, was uns in unselel Position hält? Das Gleichgewicht untel den Familien", wetterte sein Vater unterdessen weiter. "Du hast es empfindlich geschwächt, Sohn! Wenn du schon Schulden machen musst, walum dann nicht bei den Teng? Odel den Ching-Chang? Fang Too-Ze habe ich auch immel noch mit einem entsplechenden... Zugeständnis beschwichtigen können. Abel weißt du, was es mich gekostet hat, Peng Yang übelhaupt zu Velhandlungen zu bewegen, nachdem du seine Tochtel entehlt hast? Ich sollte dich entelben, velbannen, zulück nach..." Chin Lus Vater keuchte und griff sich ans Herz und es vergingen ein paar Sekunden, bevor er weitersprechen konnte. "Wie du weißt habe ich übelaus dlastische Maßnahmen elgleifen müssen", fuhr der Alte nun ruhiger fort und man sah ihm die Mühe an, die es ihn kostete, einigermaßen beherrscht zu bleiben. "Auch wenn del Vellust fül mich unelsetzlich ist - es liegt alles beleit. Und du wilst es zu Ende blingen!"
Der Jüngere riss die Augen auf. Ein Treffen mit den Yang-Abgesandten - da war selbst der Tod die bessere Wahl!
"Sie hat mil nicht gesagt, wel sie ist", platzte es aus ihm heraus. "Vatel, es tut mil Leid, ich wusste nicht was ich tat, ich wal betlunken und..."
Der Alte war mit wenigen Schritten bei ihm und gab dem Sohn eine Ohrfeige, die ihn zu Boden gehen ließ.
"Du musst lelnen fül deine Handlungen Velantwortung zu übelnehmen, Chin Lu!", brüllte er. "Eines Tages sollst du meinen Platz übelnehmen - elweise dich dem als wüldig! Und jetzt geh mil aus den Augen!"
"Ja, Vatel..."
Halb kriechend, halb gehend gelang es Chin Lu die Zimmertür zwischen sich und den Vater zu bringen. Sein Herz raste und es dauerte einen Weile, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Was er jetzt brauchte, war eine wirklich gute Idee.
"Der Waffelback... was?"
Er hatte gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde: Entgeisterte Blicke, verständnisloses Kopfschütteln und Leute, die bereits tief Luft holten, um ihm ein 'Für so etwas habe ich gerade wirkliche keine Zeit' entgegenzuhalten. Ja, wer hatte das schon? Aber vielleicht wäre es doch klüger gewesen, die Aktion bis zum Ende der Besprechung einfach nur mit "Sondereinsatz" zu betiteln.
Der Werwolf wandte sich von der vergrößerten Darstellung des Bezirks Sirupminenstraße ab und schaute in die Runde. Die improvisierte Karte hing über der aufklappbaren Wandtafel, ohne das sich jemand die Mühe gemacht hätte, das schon daran befestigte kleinteiligere Notizmaterial vorher zu entfernen. Das machte die ganze Sache zwar ein wenig... bauschig, aber dies tat der Präsentation an sich keinen Abbruch.
"Ich habe mir das nicht selbst ausgedacht - wir haben es hier mit einer Anweisung von oben zu tun und werden das ordentlich über die Bühne bringen. Die Wache wurde offiziell für diese Angelegenheit angefordert, es wäre also schön, wenn ihr euch ein wenig zusammenreißen könntet", meinte der Abteilungsleiter nun streng.
"Darf man fragen, wer sich so sehr für die Sicherheit dieser "Festivität" interessiert?" Korporal Kolumbini schien im Hinblick auf diese Sache noch nicht bereit zu einem einfachen "Ja und Amen". "Ich meine, so etwas wie 'Die kürzlich stattgefundene Wohltätigkeitsveranstaltung zur Unterstützung des Sonnenscheinheims für kranke Drachen wurde von einigen brutalen Raubanschlägen überschattet' halte ich für eine eher unwahrscheinliche Schlagzeile. Zumal ja auch in den letzten Jahren anscheinend nichts passiert ist."
Romulus griff automatisch nach einer Namensliste auf seinem Schreibtisch, entschied sich dann aber für eine eher generelle Antwort.
"Es gibt da ein paar Damen der oberen Gesellschaftsschicht, denen sehr an einem Erfolg des Ganzen gelegen ist."
"Du meinst die gleichen Damen, die in ihrer Freizeit Drachensch... Drachenhinterlassenschaften wegschaufeln?" Auf den verärgerten Blick seines Vorgesetzten hin hob Fred abwehrend die Hände. "Das war nur eine Frage", bemerkte er ruhig. Er wusste, dass er Recht hatte - und das reichte ihm.
Romulus schnaufte.
"Noch irgendwelche Anmerkungen?", knurrte er
"Ähm Sör? Ich habe mir überlegt... also, gehört so etwas nicht eigentlich in die Zuständigkeit von SEALS?", warf Mimosa vorsichtig ein. "Oder vielleicht sogar FROG? Die werden doch bestimmt nicht begeistert sein, wenn wir die Angelegenheit so einfach an uns reißen."
"Darum geht es hier nicht, Obergefreite." Romulus überlegte, wie er den Sachverhalt noch einmal deutlicher darlegen konnte, als er es schon getan hatte, als die verdeckte Ermittlerin Unterstützung von anderer Seite erhielt. Allerdings drückte sich diese wesentlich weniger taktvoll aus:
"Da sehe ich mich durchaus gezwungen, meiner verehrten Kollegin beizupflichten. Warum sollte es zu unserem Aufgabenbereich gehören, derartige Veranstaltungen zu überwachen?" Dagomar Ignatius Volkwin von Omnien, seines Zeichens neustes RUM-Mitglied, rümpfte die Nase. "Haben diese Personen Angst, dass ihnen jemand das Mehl raubt oder gar die Butter meuchelt?"
"Leute, es geht hier um Präsenz."
'Und darum, dass ich die kürzeste Feder gezogen habe.', fügte der Abteilungsleiter im Stillen hinzu, aber davon wusste zum Glück nicht einmal seine Stellvertreterin. Laut fuhr er fort: "Da das kein Einsatz ist, der andere Voraussetzungen erfordert als Grundkenntnisse im Streife-Gehen, ist es der Wacheleitung egal, wer ihn übernimmt. RUM ist in den letzten Jahren davon verschont geblieben und ihr werdet ja wenigstens für ein paar Stunden so tun können, als ob euch das Wohl dieser Veranstaltung interessiert! Und wer versucht sich zu drücken, der teilt sich in den nächsten zwei Wochen die morgendlichen Tresendienste mit den Rekruten. Ja, Fynn, die um 07:05 Uhr, aber das sollte eigentlich allen hier ein Begriff sein."
Der Gefreite nahm die Hand schnell wieder herunter. Seine eigentliche Frage konnte warten.
Dafür entstand nun Unruhe in den Reihen der verdeckten Ermittler: Man steckte die Köpfe zusammen und offenbar wurde ein bestimmter Aspekt recht energisch diskutiert. Lilli hatte die Arme verschränkt und eine entschlossene Miene aufgesetzt, Mimosa kaute auf ihrer Unterlippe herum, während Septimus sich soweit von seinem Stuhl zu den anderen hinüberbeugte, dass er ernsthaft Gefahr lief von der Sitzfläche zu fallen. Für seine geringe Körpergröße hatte er eine wirklich beeindruckende Gestik. Mina sagte irgendetwas, woraufhin Ophelia nickte und sich mit besorgter Miene dem Werwolf zuwandte.
"Und? Zu welchem Ergebnis ist dieses konspirative Treffen gekommen?", wollte dieser in einem Anflug von Zynismus wissen.
"Nun Sör, wenn wir das richtig verstanden haben, wird es unsere Aufgabe sein mehrere Stunden in offizieller Funktion die Wache zu repräsentieren?"
"So kann man es ausdrücken."
Seine Stellvertreterin dachte kurz nach und als sie dann antwortete war sie offensichtlich darauf bedacht, die richtigen Worte zu wählen:
"Wir wollen dir die Angelegenheit wirklich nicht unnötig erschweren, aber so wird das nicht gehen. Über einen längeren Zeitraum in solch großen Menschenmenge bewusst als Wächter wahrgenommen zu werden, birgt für die verdeckten Ermittler unserer Abteilung ein zu großes Risiko für zukünftige Einsätze. Selbst wenn man nur einem Kleinkriminellen über den Weg läuft - die langfristigen Folgen könnten fatal sein." Sie lächelte entschuldigend. "Wir sind aber durchaus bereit in zivil anwesend zu sein, wenn das der Sache zuträglich ist."
Romulus nickte langsam. Das war in der Tat ein nicht von der Hand zu weisender Punkt. Warum hatte er noch nicht selbst daran gedacht? Vielleicht war es doch an der Zeit, ein paar Tage Urlaub zu nehmen...
"In Ordnung. Allerdings hätte ich gern von jedem einen Bericht. Das gilt übrigens auch für den Rest von euch. Nutzt den Tag irgendwie sinnvoll; ich will von niemandem lesen, er habe nur Waffeln gegessen."
Vereinzeltes Seufzen war die Antwort und besonders der Gefreite Rundumschlag sah nun aus irgendeinem Grund besonders zerknirscht drein.
"Nachdem das nun geklärt ist..." Romulus wandte sich rasch wieder seinem Stadtplan zu, um seine anfänglichen Ausführungen fortzusetzen und niemandem mehr die Gelegenheit zu weiteren Einwänden zu liefern. "Laut Veranstalter wird sich das Festgelände die gesamte Morphische Straße entlang erstrecken, wobei der Bereich für die Sumpfdrachenzüchter direkt neben dem Sonnenscheinheim am Ankh gelegen sein wird..."
Donnerstag, der 4. Asche"Chef, Chef, Chef!!! Du wirst nicht glauben, was ich gerade erfahren habe! Da... ha-hatschi!" Tränen schossen Ernesto Buitoni in die Augen, aber er wagte es nicht sie wegzuwischen. Nicht vor dem Boss, nein, dass wäre ja ein Zeichen von Schwäche. Und dafür, dass man den ewigen Zigarrenqualm nicht vertrug, was in diesem Job quasi ein Ausschlusskriterium darstellte. Er blinzelte heftig und versuchte gleichzeitig, seinen Prinzipal im Halbdunkel des Raumes zu entdecken. Doch dessen Stimme kam ihm kurz darauf zu Hilfe und ließ den Mitarbeiter herumfahren:
"Was werde ich denn nicht glauben, Ernesto? Drück dich klarer aus, du weißt, ich mag keine Ratespiele."
Giovanni Parmesello hatte es sich in einem altmodischen Ohrensessel fast direkt neben der Tür bequem gemacht. Eigentlich ein ungeeignetes Möbelstück für einen Mann seiner Größe, ließ es ihn doch noch kleiner und schmächtiger erscheinen, als er es ohnehin schon war. Doch wer hätte es schon gewagt, ihn darauf hinzuweisen? Zumindest niemand, der auf der Gehaltsliste des Muffioso stand und eine gesunde Abneigung gegen Schuhe aus Beton besaß.
Beides traf auf Buitoni zu. Er schluckte.
"Natürlich Chef. Keine Ratespiele, Chef."
"Gut. Also?"
Genüsslich paffte Parmesello eine weitere dicke Rauchwolke in die Luft und fixierte den Untergebenen mit stechendem Blick.
"Nun, ich habe aus sicherer Quelle erfahren, und der Mann ist wirklich zuverlässig, bis jetzt konnte man sich immer auf seine Informationen..."
"Zur Sache, Ernesto!"
"Nun... da gibt es so einen Kerl, der anscheinend in den Besitz der
Viertausend Winde gelangt ist und das Ding in einer Woche meistbietend verhökern will."
Parmesello zog fragend eine Augenbraue nach oben und tippte nachdenklich mit der Zigarrenhand auf die Armlehne. Es roch kurz angeschmort, als einige Glutflocken Löcher in das Leder brannten.
"Die
Viertausend Winde? Das Original? Das wurde bis jetzt von den Besitzern verdammt gut unter Verschluss gehalten."
"Ja, aber mein Kontakt ist sich da sicher." Ernesto kratzte sich achtlos am Hinterkopf, was einen kleinen Wirbel im ansonsten sorgsam geölten Haar hinterließ. "Er hat mir auch genau gesagt, wann und wo das Ganze über die Bühne gehen soll."
"Aha." Parmesello seufzte. "Und wo ist das Problem?"
"Problem, Chef?"
"Ernesto, ich bitte dich! Immer wenn du ohne anzuklopfen in mein Büro gestürzt kommst, ist irgendetwas nicht in Ordnung und da deine Neuigkeiten bis jetzt erstaunlich positiven Inhalts waren..."
Der Untergebene nickte niedergeschlagen.
"Es ist natürlich zeitlich schon etwas knapp", begann er langsam, "Ich meine, wenn selbst wir Wind davon bekommen haben..."
Der Handlanger verstummte abrupt, als Giovanni Parmesello sich langsam aus seinem Sessel erhob und ein Stück auf ihn zutrat.
"Mein lieber Ernesto, was genau willst du damit sagen?", fragte er mit vollkommen ruhiger Stimme.
Beton schoss es diesem durch den Kopf und wie auf Kommando begannen seine Knie zu zittern.
"Na ja... Konkurrenz gibt es doch immer, nicht wahr?" Buitoni lachte unsicher. "Man muss eben nur schneller sein als die oder..."
"Besser zahlen?"
"Äh... ja?"
Parmesello nickte versonnen. Ein Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben.
"Dann machen wir ihm doch einfach ein Angebot, das er nicht ablehnen kann." Er strich eine Ascheflocke von seinem Revers. "Und nun sage mir doch, wie sich dieser besagte "Kerl" nennt und unter welchen Bedingungen dieses Geschäft abgewickelt werden soll."
Donnerstag, der 12. AscheDas alljährliche Waffelbacken zugunsten des Sonnenscheinheims für kranke Drachen war eine typisch ankh-morporker Veranstaltung: Zu Anfang noch der Auftritt einer Handvoll Wohltätiger in einem Hinterhof, hatte es den Aufstieg zur seriöse Spendenaktion in erstaunlich kurzer Zeit geschafft, nur um dann ebenso rasant auf Volksfestniveau abzustürzen. Und dort saß es nun fest, doch das schien niemanden weiter zu stören - schließlich hatte das letztendlich zu einem Anstieg der Besucherzahlen und damit der Einnahmen geführt. Quantität statt Qualität. Ein Konzept, dass hier jeder verstand - und das mittlerweile auch groß geplant wurde. Der Zuspruch was auf jeden Fall unübersehbar: Dicht an dicht drängten sich kleine Holzbuden am Straßenrand, in denen mehr oder weniger versierte Bäcker versuchten, Teig in eine essbare Form zu bringen. Der süßliche Geruch von karamellisiertem Zucker und Vanille hätte angenehm sein können, besonders im Vergleich zum üblichen Ankh-Morpork-Mief - wenn es sich denn im Rahmen gehalten hätte. Doch in der allgegenwärtigen Variante, vermischt mit den Aromen anderer Zutaten und den unvermeidlichen menschlichen Ausdünstungen, sowie ab und an einem Stich Verbranntem war es vor allem eins: Penetrant. Dem gemeinen Bürger der Zwillingsstadt, ausgestattet mit einem nahezu unzerstörbaren Geruchsorgan, machte das natürlich wenig aus. Doch gab es ebenfalls einige empfindlichere Zeitgenossen...
Als sehr repräsentativ konnte man die Gruppe aus sechs Wächtern wirklich nicht bezeichnen, welche sich durch die Menschenmassen kämpfte, von der die Morphische Straße schon am Vormittag bevölkert wurde: Angeführt von einem Offizier, der sich immer wieder ein Taschentuch vor die Nase halten musste, stolperten der Rest der Truppe hinterdrein, sowohl behindert durch einen schlichten Mangel an Platz wie auch nicht ganz passende Rüstungsteile, welche man zu dieser Gelegenheit hervorgekramt hatte. Dass sie dabei das kleine Männchen nicht aus den Augen verloren, welches sich ihnen einige Minuten zuvor als Organisator Gustav Krummholz vorgestellt hatte, hatte zwei einfache Gründe: Schon allein seine schreiend grüne Fliege leuchtete weithin wie eine Signalfahne und biss sich dazu auch noch ganz vorzüglich mit dem tiefen aubergine seines Anzuges. Ob ihm schon einmal jemand gesagt hatte, dass die Hose eigentlich zu kurz war? Und ob die zwei verschiedenfarbigen Socken Absicht oder Versehen waren, darüber konnte man auch nur spekulieren... Angesichts dessen schien eine offizielle Beschränkung der Farben, die ein Individuum auf einmal tragen durfte, durchaus eine Überlegung wert - und sei es nur um
so etwas zu verhindern. Zum anderen zählte Krummholz unter die Kategorie "so breit wie hoch", auch wenn letzterer Begriff schon wieder relativ zu verstehen war. Man konnte es wie folgt ausdrücken: Für einen Zwerg wäre er immer noch... höher gewesen. Auf jeden Fall trieb seine schiere Masse einen Keil in die Menge, welche das Vorankommen des Organisators auf vergleichsweise flüssige Weise gewährleistete.
"Ich finde es wunderbar, dass Sie auch diesmal wieder unserer Bitte nachgekommen sind, ein wachsames Auge auf diese traditionsreiche Veranstaltung zu werfen. Wun-der-bar!"
Er warf einen kurzen Blick zurück und lächelte strahlend. "Natürlich wird die Wache Anteil an dem Prestige des heutigen Tages haben, dafür verbürge ich mich, jawohl! Während ihre Leute dann schon die Arbeit aufnehmen, werde ich Ihnen selbstverständlich jeden unserer Ehrengäste persönlich vorstellen, Herr Hauptmann."
"Oberfeldwebel", schniefte Romulus zum wiederholten Mal und sah sich im Geiste wohl schon die Reihen der Pseudoprominenz abschreiten und ungezählte Hände schütteln.
Krummholz ignorierte ihn. "Speziell die geladenen Sumpfdrachenzüchter sind eine finanzielle wie ideelle Stütze unserer Veranstaltung, auf deren Sicherheit besonders acht gegeben werden sollte. Es handelt sich dabei zumeist um Freunde und Bekannte von Madame Devant-Molei, unserer entzückenden Gastgeberin. Ganz ent-zü-ckend!"
Sie kamen an einer provisorisch anmutenden Bühne vorbei, auf der gerade eine Zwergenkapelle ihre Instrumente vorbereitete, um dem allgemeinen Lärm noch die Krone aufzusetzen. Nicht nur die Augen des Gefreiten von Omnien weiteten sich entsetzt, als er eine ganze Reihe Blechbläser und Pauken von einem Kaliber registrierte, welches wohl durchaus im Stande war den Zuhörer bei unsachgemäßer Anwendung taub werden zu lassen.
Er warf dem neben ihm gehenden Reiner Rundumschlag einen Seitenblick zu.
"Kann man dein Volk als gute Musiker bezeichnen?", fragte er vorsichtig.
"Hmm, klar", kam die prompte Antwort, aber Reiner schien nicht ganz bei der Sache: Sein Blick fixierte die Stände an den Straßenrändern und wie zur Bestätigung knurrte sein Magen vernehmlich.
Der Ominaner wollte gerade zu einer kritischen Bemerkung über die Missachtung von Kollegen ansetzen, als er gegen Fynn Düstergut stieß und beide fast der Länge nach hingeschlagen wäre. Der Ermittler in Ausbildung warf ihm einen ärgerlichen Blich zu und klaubte seinen Helm vom Boden auf. Die Gruppe war stehen geblieben und Krummholz zeigte mit einem dicken Finger auf die Bühne.
"Dort wird später auch der Sieger gekürt, also ein weiterer wichtiger, wich-ti-ger Ort des Geschehens."
"Sieger?" Korporal Kolumbini schnalzte erstaunt mit der Zunge und selbst der Abteilungsleiter schien von dieser Neuigkeit überrascht.
Der Organisator warf sich in die Brust. "Ja, wir wollten unseren Bäckern dieses Jahr einen besonderen Anreiz bieten: Wer die meisten Waffeln verkauft und somit den meisten Umsatz macht, der zu einem großen Teil an das Sonnenscheinheim gespendet wird, den ehren wir als Gewinner. Der Preis ist dieser achatische
Glücksdrache."
Er drehte sich einmal um die eigene Achse und wies stolz auf eine goldene Statue, welche man einige Meter entfernt auf einer übermannsgroßen Säule mitten im Gewühl platziert hatte: Es handelte sich um einen etwa 50 cm großen Sumpfdrachen, der aus weit aufgerissenen Augen etwas dümmlich in die Welt glotzte. Das Tierchen trug ein rotes Halsband mit einem Glöckchen daran und war auf den Hinterbeinen sitzend dargestellt, eine kleine ovale Tafel mit dem aktuellen Jahr vor dem Bauch
[1] Es glitzerte und blinkte und jeder einzelne Sonnenstrahl schien von der glänzenden Oberfläche aufgefangen und tausendfach vervielfältigt zu werden; der schiere Glanz sprach entweder für ein extrem kostspieliges Exponat - oder aber für Kitsch übelster Sorte. Wobei man in einer Stadt wie Ankh-Morpork eigentlich nur letzteres derart schutzlos einer breiten Öffentlichkeit präsentieren konnte. Am meisten irritierte allerdings die erhobene linke Vorderpranke der Statue, welche sich unaufhörlich auf und ab bewegte, auf und ab, auf und ab...
Dagomar Ignatius Volkwin von Omnien blinzelte angestrengt, um ein aufkommendes Schwindelgefühl zu verscheuchen, während der Gefreite Rundumschlag anscheinend einen neuen Fixpunkt gefunden hatte und mit offenem Mund starrte.
"Solange der Drache winkt, darf gebacken werden", erklärte Gustav Krummholz, "Danach wird ausgewertet."
"Und wenn er nun herunterfällt?" Der zwergische Kontakter der Abteilung schüttelte sich bei dem Gedanken.
Krummholz lächelte schlau. "Keine Sorge, das ist kein gewöhnliches Podest. Es handelt sich hier um einen extra zu diesem Zweck bereitgestellten
Klebesockel und die Statue lässt sich nur mit einem speziellen Lösungsmittel... nun ja, lösen." Er klopfte mit dem Finger gegen seine Nase. "Raffiniert, was? Ra-ffi-niert! So kann ihn auch keiner stehlen."
Reiner nickte beruhigt, während der Gefreite Düstergut nachdenklich die Stirn runzelte.
"So wertvoll ist so ein Glücksdrache doch aber nicht, oder?", fuhr er fort, "Sind das nicht die Teile, die man beim Achater um die Ecke kaufen kann und in denen sich diese Zettelchen mit den kryptischen Voraussagungen befinden?" Fynn legte den Kopf schief. "Soweit ich weiß gibt es das gleiche Prinzip auch mit Keksen. Das ist ja nun wirklich keine angemessene..."
In diesem Augenblick begann die Musikformation mit ihrer Darbietung und die Worte des Gefreiten gingen darin vollständig unter.
"We... keine Frag... jetzt ihre Arbeit... lassen", brüllte Krummholz kaum verständlich und tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Glatze. "Kommen S.. Hauptm..."
Romulus Lippen bildeten erneut das Wort "Oberfeldwebel", dann verschwand er mit dem Organisator in der Menschenmenge.
Die übrigen Wächter beeilten sich, sich ein Stück vom Epizentrum des Krawalls zu entfernen, auf das man wenigstens die eigenen Worte wieder verstehen konnte und auch nicht Gefahr lief, von der nun aufrückenden Menge niedergetrampelt zu werden.
"Gut, dass wir Thask im Wachhaus gelassen haben", Kolumbini schüttelte den Kopf. Die Abteilungsleitung hatte beschlossen, wenigstens einen RUMler die Stellung halten zu lassen und die Wahl war aus gutem Grund auf den Zombie gefallen. "Ansonsten hätten wir heute Nachmittag noch seine Einzelteile suchen dürfen."
"Ich sag das nicht gern, aber unsere Kollegen von den Verdeckten sind schon zu beneiden", knurrte Jack Narrator. "Schwirren hier irgendwo rum, haben keine lästigen Pflichtauftritte zu absolvieren und müssen auch nicht ihr Gewicht in Blech mit sich herumschleppen." Vergebens kratzte er über einen Rostfleck auf seinem Harnisch.
"Und jetzt?" Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen der ewig gelangweilte Ausdruck aus Dagomars Gesicht verschwunden war - beinahe schon verzweifelt betastete er das, was der Helm aus seinem höfischen Zopf gemacht hatte.
"Jetzt?" Ein gemeines Grinsen stahl sich in Jacks Miene und er schlug seinem Auszubildenden gönnerhaft mit der Hand auf die Schulter. "Jetzt verbinden wir die Pflicht mit dem Nützlichen. Ich habe da eine hübsche kleine püschologische Aufgabe für dich..."
Er nickte seinen beiden Kollegen zu und zog den Püschologen in Ausbildung zum nächstgelegenen Stand.
Fred starrte ihnen einen Moment nach und seufzte dann resigniert. Mit einem Kopfnicken bedeutete er Fynn, ihm zu folgen.
"Also Gefreiter, da nur noch wir beide übrig bleiben..."
"Äh, Sör?"
"...und man eine Streife nach Vorschrift ohnehin zu zweit gehen soll, obwohl ich nicht verstehe, was wir hier..."
"Sör?"
"Hmm?"
Fynn begutachtete noch einmal genau seine nähere Umgebung; stellte sich sogar auf die Zehenspitzen, um dann nachdenklich wippend wieder abzusinken.
"Wo ist eigentlich Reiner, Sör?"
"Entschuldigung, darf ich hier vielleicht mal kurz... Entschuldigung... auuu, so nehmen Sie doch Ihren Ellenbogen aus meinem Gesicht!... Entschuldigung, Wächter im Dienst... Verzeihung, aber
ich muss hier durch!"
Ein hünenhafter Mensch drehte sich langsam um und sah fragend auf den Zwerg hinab.
"Äh, ich kann natürlich auch dort hinten lang gehen, nichts für ungut..."
Um es kurz zu machen: Reiner war verloren... worden. Von seinen Kollegen. Oder er hatte sie verloren, was dem Zwerg allerdings im Moment herzlich gleichgültig war. Die Menge um ihn herum wogte hin und her, bildete ganz eigene Strömungen und wer einmal von solch einer erfasst worden war, der konnte sicher sein, an einer anderen Stelle herauszukommen, als er es ursprünglich beabsichtigt hatte. Da halfen auch Dienstmarke und Uniform nicht weiter.
Der RUM Kontakter versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. Was konnte schlimmstenfalls schon passieren? Dass er erst zum Feierabend wieder mit den anderen zusammentraf? Bestimmt würde man ihm dann die Leviten lesen... aber da konnte er jetzt auch das Beste aus der Situation machen. Und darunter zählte vor allem, seinen Magen zufrieden zu stellen - bestimmt gab es hier irgendwo einen zwergischen Bäcker. Im Geiste sah der Gefreite sich schon eine gigantische Rattenwaffel verzehren, auch wenn seine Augen in der Realität momentan nicht viel mehr erkennen konnten als drängelnde Passanten. Er hob den Blick ein wenig und ja, da ragte diese komische Statue empor, nur ein paar Schritte zu seiner Rechten... das bedeutete links halten, um irgendwann an den Straßenrand zu gelangen. Und wenn er dort hinübersah... Ein großer Troll mit einer überdimensionalen weißen Kochmütze auf dem Kopf schob sich in sein Blickfeld und zerteilte das Menschenmeer ohne Probleme. Vielleicht verarbeitete der ja geologisch seltenes Material in seinem Teig? Abgesehen davon war das hier auch sein Ticket heraus aus dieser Vielzahl an Lebewesen, worauf wartete er also noch? Im Schatten des Steinriesen fiel Reiner das Gehen gleich viel leichter. All dieser Platz, das war ja der pure Luxus! Schon bald war man am höchsten Stand angekommen, den der Zwerg bis jetzt hier gesehen hatte - und auch am leersten. Vielleicht lag das aber schlicht an den Bäckern nebenan: Einige verbissen dreinblickende Achater streuten Unmengen exotisch anmutender Gewürze in Rührschüsseln und die fertigen Ergebnisse rochen auch entsprechend... eigen. Dagegen schienen selbst Schnappers Würstchen als regelrechte Gourmetkost.
Reiner zuckte mit den Schultern und warf einen neugierigen Blick auf die Arbeitsfläche des Trolls. Hmm, war das da ein klatschianischer Wüstengranit, den er mit nur einem Hieb seiner Faust zu feinem Mehl zertrümmerte?
"Was vermischst du denn da?", fragte der Gefreite.
"Trollteig."
"Und was ist das genau?"
"Sein Teig für Trollwaffeln."
"Aber was sind die Zutaten?"
Der Troll hielt inne und blinzelte den Zwerg irritiert an.
"Du Wächter?"
"Ja, warum?"
"Weil du tragen Uniform?"
Reiner wollte etwas erwidern, überlegte es sich aber anders. Die Hitze der Öfen schien dem Trollgehirn nicht gut zu tun. Stattdessen wies er lieber auf eine Schüssel mit grauen Bröseln.
"Was ist das da?"
"
Wurzelzement."
Dem Zwerg traten fast die Augen aus dem Kopf.
"Du verarbeitest
Zähne???", stieß er hervor.
Ein weiteres irritiertes Blinzeln.
"Zähne? Sein Wurzeln. Alte Wurzeln. Sein geworden Stein. Sein geheimes Trollgewürz."
"Ach so..."
"Du können kosten."
Eine steinerne Hand reichte Reiner eine Art tortenstückförmigen Fels. Für den Troll wohl nicht mehr als ein Krümel - für Reiner beinahe mehr, als er mit einer Hand tragen konnte.
"Uff... das ist also... wirklich nicht gerade..."
Doch der Troll sollte nie erfahren, was Reiner hatte sagen wollen, denn in diesem Moment ergriff jemand den Zwerg bei der Schulter.
"Sie da, Herr Wächter!"
Eine beeindruckende Matrone mit einem noch viel beeindruckenderen Hut
[2] hatte sich hinter dem Zwerg aufgebaut und tappte ungeduldig mit dem Fuss. "Sie können mir einen Gefallen tun", fuhr sie in einem Tonfall fort, der eine Alternative von vornherein ausschloss. "Geben Sie doch einen Moment auf meinen Eustachius acht. Sein Bruder Ebenezer, dieser Tunichtgut, ist mir hier abhanden gekommen und ich muss ihn finden, bevor er sich womöglich zu sehr aufregt. Sie verstehen, das wäre sehr
sehr ungünstig."
Erst jetzt gewahrte Reiner die Leine und das schuppige Tier zu Füßen der Dame, halb verdeckt von deren raumgreifendem Rock. Rauch stieg aus den Nüstern des Sumpfdrachen, während er den Zwerg argwöhnisch musterte. Dieser wurde blass. Nach allem was man hörte, waren diese Viecher tickende Zeitbomben!
"Also, gute Frau, ich will ja nicht unhöflich erscheinen", stotterte der Wächter, während er verzweifelt nach einer guten Ausrede suchte, warum er diese Aufgabe unmöglich übernehmen konnte. "Aber denken Sie nicht, es wäre besser, jemanden kompetentes..."
Sie beugte sich zu ihm hinunter, bis sich ihr Doppelkinn auf Augenhöhe des Kontakters befand.
"Heißt es nicht immer, 'Die Wache, dein Freund und Helfer'?", meinte sie schnippisch.
"Ja, schon..."
"Und Sie sind doch ein Wächter?"
"Das er sein", meldete sich der Trollbäcker grollend zu Wort.
"Dann sollte es Ihre vordringlichste Pflicht sein, mir in dieser schwierigen Lage beizustehen." Die Frau drückte Reiner die Lederschnur in die Hand. "Ich hoffe, Sie sind sich der Verantwortung bewusst: Eustachius Alberecht III ist ein
Rekordler, er hat fünf Jahre hintereinander den Quirmer Drachenzuchtwettbewerb gewonnen. Trotzdem ist er äußerst sensibel und mit einer sehr empfindlichen Verdauung geschlagen. Vermeiden Sie also unnötige Aufregung und geben Sie ihm ja nichts zu fressen." Sie richtete ich ruckartig auf und wandte sich zum Gehen. "Ich schätze, in etwa zwei Stunden können Sie ihn mir dann wieder zurückbringen, Herr Wächter."
"Und wo finde ich Sie?", rief der Zwerg noch, aber die Dame war schon wieder von der Menge geschluckt worden. Der sensible Eustachius stieß eine kleine Flamme aus und fauchte Reiner an. Verunsichert sah dieser auf seine Hände herab: In der einen hielt er immer noch das Stück einer steinernen Waffel, in der anderen nun eine Leine, an deren Ende sich ein schlecht gelaunter Sumpfdrache befand.
"Äh... Hilfe?"
Sie waren wirklich zu beneiden - die Kollegen in Uniform. Zumindest verfügten diese noch über eine gewisse Restautorität und wurden nicht ständig von der Seite angequatscht oder in irgendwelche Verkaufsgespräche verwickelt. Schwer atmend lehnte sich Mimosa gegen die Seitenwand eines Standes der Bäckergilde, um kurz zu verschnaufen. Es ging hier doch nur um Backware und trotzdem legte sich mancher ins Zeug, als hinge das Geschäft seines Lebens davon ab! Vielleicht hätte sie sich doch lieber einen erhöhten Aussichtsposten suchen sollen, um dem ganzen als stiller Beobachter beizuwohnen. Denn zu sehen gab es so einiges und wenn man nicht unmittelbar Teil der vielhundertköpfigen Menge war, hätte der Anblick durchaus amüsant sein können: Es war erstaunlich, wer hier alles zusammengekommen war, um auf seine Weise ein Stück vom Kuchen, pardon, von der Waffel abzubekommen: Dabei am meisten auf
Effekthascherei bedacht waren ein paar Alchemisten, die aller Nase lang bunte Wölkchen aufsteigen ließen und um deren hölzernen Aufbau - mehr Feldlabor als mobile Backstube - ein grüner Nebel waberte, gelegentlich durchzuckt von fluoreszierenden blauen Flämmchen. Hier und da sah man jemanden, der einem Bettler Geld zusteckte, damit sich dieser vor dem Stand der Konkurrenz platzierte, um Kundenströme umzulenken. Direkt vor Mimosas Nase schob sich gerade ein großer Trupp Zauberer vorbei und lamentierte lautstark darüber, dass für die akademische Elite der Stadt keine gratis Kostproben gab, während der Bibliothekar der Unsichtbaren Universität dieses Problem schlicht mit einem sehr breiten Lächeln löste. Niemand kam dann noch auf die Idee, den Affen abzuweisen. Ganz in der Nähe hatten sogar die städtischen Tempel ihr Personal postiert: Einige Novizinnen der Anoia klapperten lauthals fluchend mit Rührbesteck, während ihre Hohepriesterin würdevoll auf und ab schritt und die fertigen Backwaren großzügig mit Weihwasser aus einer goldenen Kelle besprenkelte - misstrauisch beäugt von einem Akolythen des Offler am Stand nebenan. Er hatte mit seinem Konzept "Würstchen für den Krokodilgott gegen Waffeln für den Gläubigen" bisher keinen großen Erfolg gehabt. Er drehte ein paar Münzen in den Händen und schien zu überlegen, ob dieses geringe Budget für einen der mietbaren Marktschreier reichte, als es passierte: Es knallte ohrenbetäubend, das Geräusch einer Explosion echote von den Häuserwänden zurück, erreichte jedes Ohr auf der Morphischen Straße und darüber hinaus. Mimosa warf sich instinktiv auf den Boden und wartete mit angehaltenem Atem ab. Für den Bruchteil einer Sekunde war es ganz still. Bis die ersten anfingen zu kreischen.
"Treten Sie zurück, gehen sie weiter; kein Grund, sich aufzuregen. Ja, weitergehen, weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen."
"Was ist das dann für ein Fleck?" Ein kleiner Junge deutete anklagend auf einen rußschwarzen Bereich der Mauer, an dem außerdem einige nicht mehr identifizierbare
Dinge klebten.
Fynn seufzte schwer und stellte sich zum wiederholten Male die selbe Frage: Warum war er nicht seinem ursprünglichen Plan gefolgt, am heutigen Tag aus 'gesundheitlichen Gründen' nicht zum Dienst zu erscheinen?
"Das ist ein Tatort und äh... geht dich nichts an", meinte der Gefreite.
Der Kleine kratzte sich an der Nase. "Darf ich trotzdem mal sehen?", fragte er dann und Fynn gelang es gerade noch ihn an der Schulter zu erwischen, als er sich aus der Menge und an den Wächtern vorbei drängeln wollte.
Warum haben wir kein Absperrband mitgenommen? war auch eine sehr schöne Frage.
Glücklicherweise war es nicht zu einer Massenpanik gekommen - man hatte ziemlich schnell gemerkt, dass es bei nur einem Knall bleiben würde und dann hatte die typische Ankh-Morpork Neugier Überhand genommen: Wo und vor allem wer war hier in die Luft gegangen? Was allerdings auch das Problem mit sich gebracht hatte, dass der Mob schneller vor Ort gewesen war als die wenigen, verstreuten Wächter. Ob die Explosion also noch etwas anderes hinterlassen hatte, als eben erwähnten Fleck war nicht mehr nachzuvollziehen - zu viele Füße auf zu kleinem Raum hatten alle potentiellen Beweismittel zunichte gemacht. Wenigstens war bei dem Vorfall niemand zu schaden gekommen - zumindest niemand, von dem man wusste. Nur die Bewohnerin des betroffenen Hauses stand offensichtlich unter Schock: Wie vom Donner gerührt starrte sie mit offenem Mund auf die Mauer, während eine frisch aufgetragene
Gurkenmaske scheibchenweise zu Boden ging. Die Beruhigungsversuche Jack Narrators schien sie ebenso wenig wahrzunehmen wie den auffrischenden Wind, der ihren rosafarbenen Bademantel bisweilen gefährlich weit nach oben blähte.
Romulus ließ seinen Blick über die neugierig gaffende Menge schweifen: Seine Stellvertreterin hatte er schon entdeckt und ihr mit einem Kopfschütteln zu verstehen gegeben, dass eine Offenbarung ihrerseits noch nicht von Nöten war. Die anderen... waren bestimmt auch irgendwo.
Der Abteilungsleiter wandte sich an den neben ihm stehenden Dagomar.
"Gefreiter, lauf zur Kröselstraße und gib SUSI Bescheid, die sollen hier schleunigst einen Tatortwächter antanzen lassen."
Der Püschologe in Ausbildung rührte sich nicht und schien mit seinen Gedanken ganz woanders - und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen handelte es sich dabei um einen eher unangenehmen Ort.
Romulus räusperte sich vernehmlich.
"Gefreiter, ich habe dir gerade eine Anweisung erteilt..."
Dagomars Kopf fuhr herum und er sah seinen Vorgesetzten verstört an.
"Ich wollte das alles gar nicht wissen!", platzte er heraus. "Aber Korporal Narrator meinte, es wäre eine gute Übung..."
Der Werwolf zog die Augenbrauen nach oben und beschloss, seinen Mitarbeiter bei Gelegenheit einmal zu fragen, was er mit seinem Auszubildenden angestellt hatte.
"Wenn du trotzdem bei SUSI Bescheid geben könntest...", setzte er erneut an und diesmal nickte der Angesprochene eifrig.
"Natürlich Sör, SUSI Sör", sprachs und machte sich auf den Weg.
Der Werwolf sah ihm kopfschüttelnd nach.
"Ich weiß wirklich nicht, was ich hiervon halten soll", meinte er dann an seinen Kollegen und Freund Kolumbini gerichtet. "Wenn du mich fragst, riecht es hier nicht nach einer Explosion mithilfe von, sagen wir mal, Pulver Nr. 1."
"Und wenn du mich fragst", Freds Nase befand sich nur noch wenige Zentimeter vom Mauerwerk entfernt, während er einen bestimmten Punkt einer eingehenden Betrachtung unterzog, "sieht das irgendwie... schuppig aus."
"Schuppig?"
"Ja. Dieser kleine grüne Fetzen hier."
"Aber was..."
"Sör, tut mir leid, Sör, aber ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte." Ein Zwerg quetschte sich mühsam durch die Menge Schaulustiger und kam dann keuchend vor dem Abteilungsleiter zu stehen. "Hab die Explosion gehört, wurde aber ein wenig, nun ja, aufgehalten, Sör."
Die letzten Worte Reiners nahm der Oberfeldwebel allerdings kaum noch wahr: Gelbe Reptilienaugen starrten ihn herausfordernd an und er wollte sich lieber nicht vorstellen, was geschah, wenn er sich ernsthaft auf dieses Blickduell einließ - und am Ende gar gewann.
"Gefreiter Rundumschlag, wo hast du den her?"
"Oh, der... er heißt Eustachius, Sör, und", Reiner räusperte sich mehrfach und begann dann seine Antwort sehr sorgsam zu formulieren, während er fest auf einen Punkt irgendwo über der rechten Schulter seines Vorgesetzten schaute, "wurde mir aufgrund meiner wächterlichen Autorität zur Beaufsichtigung anvertraut."
Wie lange er wohl an diesem Satz gefeilt hatte? Der Werwolf betrachtete stirnrunzelnd den Sumpfdrachen, welche mittlerweile hingebungsvoll seine nähere Umgebung beschnüffelte und gierige Blicke auf Fynns Stiefel warf.
"Ich an deiner Stelle würde mich mit ihm von größeren Menschenmengen fern halten", meinte er dann langsam. "Eine Explosion pro Tag ist ausreichend und ich für meinen Teil würde es begrüßen, wenn das Schuppentier nicht auch noch..." Er hielt inne.
Schuppentier? Konnte das sein?
"Vielleicht solltest du einfach hier warten, bis SUSI auftaucht", fuhr Romulus fort, "Du könntest dem Gefreiten Düstergut helfen, die Gaffer zurückzuhalten." Was nicht weiter schwierig sein sollte, wenn man ein Tier dabeihatte, das chemischer als jedes Alchemistenlabor stank. "Und vielleicht kann der entsprechende Tatortwächter Eustachius auch gleich für einen groben Probenabgleich gebrauchen."
Reiner legte fragend den Kopf schief.
"Probenabgleich, Sör?"
Bevor Romulus allerdings überhaupt eine Antwort formulieren konnte, packte ihn jemand am linken Arm - nein, er schien ihn vielmehr ausreißen zu wollen: Gustav Krummholz hing mit seinem ganzen Gewicht unterhalb von Romulus Ellenbogens und starrte mit panisch geweiteten Augen zum RUM-Abteilungsleiter hinauf.
"Helfen Sie mir! Die bringen mich sonst um!", hauchte der Organisator.
"Er ist weg, einfach weg und... und wenn ich ihn nicht wieder beschaffe, dann war's das mit mir!" Krummholz schien kurz davor vor lauter Angst in Ohnmacht zu fallen. Immer wieder warf er nervöse Blicke nach links und rechts und hätte sich wohl am liebsten hinter einem der beiden verbliebenen Wächter versteckt - wenn sein Bauchumfang ein solches Vorhaben zugelassen hätte. Gemessen an der Aufregung des Mannes schien der dazugehörige Grund geradezu banal: Ja, die Säule in der Mitte der Straße war leer - keine Spur mehr von irgendeinem Glücksdrachen. Aber bedachte man den Wert des Objekts und seine vorgesehene Bestimmung... das war nun wirklich kein Motiv für eine Morddrohung.
"Ich verstehe gar nicht, wie das passieren konnte. Man hatte mir versichert, der Klebesockel würde funktionieren", jammerte der kleine Dicke weiter. "Kurz vor der Explosion war auch noch alles gut und dann dreh ich mich um und der Drache ist weg und ich bin erledigt!"
"Aber wer sollte Sie denn wegen so einem billigen Ding umbringen wollen?" Fred Kolumbini zog gereizt an seiner Pfeife. "Besorgen Sie doch einfach einen neuen!"
Gustav Krummholz sah ihn groß an.
"Sie haben ja
gar keine Ahnung!", zeterte er dann und rang die Hände. "Es war doch alles vorbereitet, alles..."
"Was war vorbereitet?", unterbrach ihn Romulus scharf.
Für einen Moment schien der Organisator in Tränen ausbrechen zu wollen, aber dann ließ er sich am Fuß der leeren Säule zu Boden sacken und beschränkte sich auf ein niedergeschlagenes Seufzen.
"Vor ein paar Tagen hat mich so ein fremdländisch aussehender Typ besucht", begann er zu erzählen, "Er hat mir eine Menge Geld geboten und im Gegenzug wollte er das
Rezept haben."
"Welches Rezept?"
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte so etwas wie Verärgerung in den Augen des kleinen Mannes auf.
"Woher soll ich das wissen? Er hat sich nunmal nicht deutlicher ausgedrückt! 'Ich wisse schon Bescheid', pah! Woher denn? Aber so viel Geld lasse ich mir doch nicht entgehen, ich bin ja nicht blöd! Ich habe einfach das erfolgreichste Rezept vom letzten Jahr genommen, es in der Trophäe versteckt und ihm gesagt, er solle ein Team für den Wettbewerb stellen - ich würde dafür sorgen, dass diese Leute gewinnen."
"Daher der ganze Aufwand mit dem Glücksdrachen?" Fred warf seinem Abteilungsleiter einen langen Blick zu, der in etwa das ausdrückte, was Romulus selbst dachte: Manche Leute, also
manche Leute...
Doch wider Erwarten schüttelte Gustav Krummholz den Kopf. "Nein, den hätte es so oder so gegeben. Ich habe ihn vor einiger Zeit zu diesem Zweck angeboten bekommen und hielt es für einen netten Gedanken. Von ein paar Achatern. Die wollten wohl einfach ein bisschen Werbung für ihre Produkte machen, gekostet hat mich der Spaß zumindest nichts und den Klebesockel haben sie gleich mit dazu geliefert..." Er hielt mitten im Satz inne und seine Lippen formten ein erschrockenes "O". "Sie meinen doch nicht etwa, dass die... aber das macht doch gar keinen Sinn!"
Romulus kratzte sich nachdenklich am Kinn. Da hatte der Organisator Recht. Warum etwas stehlen, was vorher freiwillig hergegeben worden war?
"Wusste noch jemand von dem Dokument in der Statue?", hakte er nach.
"Ich habe es niemandem erzählt", erwiderte Krummholz mit Nachdruck.
"Gibt es zufälligerweise Achater unter ihren Teilnehmern?"
Gustav Krummholz überlegte kurz, dann zog er zerknittertes Blatt Papier aus der Jackentasche und fuhr mit dem Finger eine längere Namensliste entlang.
"Ja. Woher wussten Sie das?"
"War nur so eine Idee", seufzte Kolumbini.
"Standnummer 25. Das ist hier ganz in der Nähe." Der Organisator nickte, dann raffte er sich auf und ging voran.
"Vielleicht sollte jemand ein Auge auf die Säule haben - es könnten Fingerabdrücke daran sein", meinte Romulus noch, zu laut, als man es nur zu sich selbst sagen würde.
Das brachte ihm zwar einen irritierten Blick des anderen Ermittlers ein - erzielte auf der anderen Seite aber genau die gewünschte Wirkung: Wie zufällig traten eine rothaarige und eine schwarzhaarige Frau an die Stelle, an welcher er selbst gerade noch gestanden hatte und begannen sich zu unterhalten. Gut, wenn Mina und Ophelia das hier übernahmen, dann hatte er noch Lilli, Septimus und Mimosa, welche sich hoffentlich auch in der Nähe ihrer Gruppe aufhielten. Wahrscheinlich würde er sie noch brauchen.
Krummholz hatte von all dem nichts bemerkt. "Der Stand läuft auf einen gewissen Peng Yang", informierte er die Wächter noch, während er weiter nach einem potentiellen Mörder Ausschau hielt und derweil seine Liste zwischen den Fingern zerpflückte.
Das Straßenbild gestaltete sich an dieser Stelle schon wesentlich übersichtlicher als vor der Explosion: Ein guter Teil derjenigen, die keinen Logenplatz am Tatort hatten ergattern können, waren wohl im Interesse ihrer eigenen Gesundheit gegangen, denn man wusste ja nie... Abgesehen davon war der spannendste Teil des Tages mit diesem Ereignis ohnehin vorbei gewesen. So erreichte die Gruppe recht schnell den betreffenden Abschnitt am Straßenrand.
"Da sind wir. Es ist der da neben dem Troll. Aber das ist nicht die Person, von der ich den Drachen erhalten habe." Krummholz wies mit zitterndem Finger auf einen schon im Abbau begriffenen Stand. Eine einzelne Person war gerade damit beschäftigt, Rührschüsseln und Löffel in einem Korb zu verstauen.
Die beiden Wächter nickten sich stumm zu und traten dann an den Stand heran.
"Herr Yang?"
Der Mann sah auf. Er war nur einen halben Kopf größer als Krummholz, hätte aber von der Fülle her mehrfach in diesen hineingepasst. Er war eher drahtig. Wendig. Und viel zu wenig überrascht, als ihm Romulus und Fred ihre Dienstmarken zeigten.
"Welchel?", wollte er wissen.
"Peng Yang."
Der Achate schüttelte bedauernd mit dem Kopf.
"Nein, diesel Hell Yang ist leidel nicht mehl hiel, kann ich etwas fül Sie tun? Ich bin Fu Yang."
"Wir hätten ein paar Fragen im Zusammenhang mit der Explosion vorhin", übernahm Kolumbini die Befragung während sein Abteilungsleiter sich auf's Beobachten verlegte. Das hier war ein guter Praxistest für seine bisherigen püschologischen Kenntnisse.
"Sichel. Alleldings habe ich sie von hiel aus nicht dilekt gesehen."
"Aber Sie haben hier doch zumindest einen vorzüglichen Blick auf die Säule da in der Straßenmitte." Kolumbini sah sich demonstrativ um. "Ist Ihnen vielleicht jemand aufgefallen, der sich kurz nach dem Ereignis daran zu schaffen gemacht hat?"
Fu Yang lächelte entschuldigend.
"Nein, tut mil Leid, dalauf habe ich nicht geachtet."
"Er nichts gesehen haben kann", meldete sich da eine weitere Stimme zu Wort. Der Troll nebenan erhob sich schwankend. Ein Beutel mit Eiswürfeln auf seinem Kopf verrutschte leicht und ein Schwall Wasser ergoss sich über das felsige Gesicht. "Er gar nicht da gewesen sein. Er und andere erst danach zurückgekommen. Sie große...", der Troll räusperte sich und es klang als würde er dabei mit Kieseln gurgeln, "Heimlichtuer."
Auf einmal ging alles sehr schnell:
Krummholz, der sich die ganze Zeit hinter Fred und Romulus gehalten hatte, schnappte entsetzt nach Luft.
"Da ist er! Er hat mich gefunden, bei Om, ich muss... ich..." Der Organisator wurde kreideweiß, verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein, wobei er Fred in den Rücken fiel und diesen dabei unter sich begrub. Dies lenkte Romulus gerade so lange von dem Achaten ab, dass Fu Yang dieses Überraschungsmoment nutzen konnte. Mit einem gezielten Tritt brachte er den hölzernen Aufbau vor sich zum Einsturz und mehrere Teile trafen den Oberfeldwebel vor die Schienbeine, sodass er ebenfalls das Gleichgewicht verlor. Sein erschrockener Aufschrei wurde allerdings übertönt: Just in diesem Moment hatte die Zwergenkapelle beschlossen, ihre Darbietung fortzusetzen und im Vergleich zu dem nun erzeugten Krach erschien alles vorherige als bloßes
Vorspiel zu höheren kakophonischen Taten.
Der Achate unterdessen sprang die Treppe zu dem direkt hinter ihm befindlichen Gebäude hinauf und verschwand im Innern.
"Kümmert euch darum!", brüllte der Werwolf über die Misstöne hinweg, während er Sperrholzteile zur Seite schob.
Drei Schatten huschten eilig vorbei und Fu Yang hinterher, während ein vierter in die Gasse direkt neben dem Haus huschte. Moment... wieso vier?
Der Eingangsbereich war dunkel und vorsichtig schob Lilli Baum die Tür zum angrenzenden Raum einen Spalt weit auf. Eigentlich war das hier Wahnsinn: Sie waren nur zu dritt, minimal bewaffnet und hatten keine Ahnung, was für kriminelle Subjekte sie erwarteten. Was, wenn das eine Falle war?
Zu ihren Füßen gab Septimus aufmunternde Handzeichen.
"Lass uns nur einen Blick hineinwerfen, im Zweifelsfall können wir ja immer noch auf den Chef warten", flüsterte er und Mimosa nickte bestätigend. Lilli zögerte eine weitere Sekunde - schließlich hatte sie als Ranghöchste die Verantwortung für die beiden anderen - doch dann öffnete sie die Tür ganz und die Wächter traten ein. Sie befanden sich anscheinend in einem kleinen, typisch achatisch eingerichteten Restaurant, doch es fehlte sowohl jedes Personal als auch irgendwelche Gäste. Kurz glaubten sie ein Flüstern aus einer Ecke zu hören, dann ein Türklappern weiter hinten...
"Tleten Sie nähel, nul keine Angst."
Mimosa entfuhr ein kleiner erschrockener Laut und auch Lilli zuckte zusammen: Der Sprecher schien näher, als zu vermuten gewesen war.
"Hiel dlüben."
Jetzt, da sie wussten, wo genau sie suchen mussten und sich ihre Augen außerdem an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, gewahrten die drei Wächter einen älteren Mann mit deutlich achatischen Gesichtszügen an einem Tisch auf der rechten Seite, der gelassen in einer Teetasse rührte. Er sah auf und lächelte.
"Wiegen Sie sich nicht in del falschen Sichelheit, ich wäle hiel allein, abel keine Solge: Mein Anliegen ist es lediglich ein paal Unklalheiten aus del Welt schaffen. Mein Name ist Peng Yang."
Lilli vernahm ein leises Klirren, als Mimosa einen Dolch hervorzog und sicherheitshalber tat sie es der Kollegin gleich, denn zumindest für den Feldwebel stand fest, dass nichts Gutes von jemandem kommen konnte, der Grünpflanzen in derart kleine Töpfchen quetschte und dann im Halbdunkel auf Tischen vor sich hin vegetieren ließ.
Der Achate griff neben sich uns stellte etwas auf den Tisch. Selbst das wenige Licht im Raum wurde von der goldenen Oberfläche des Glücksrachen reflektiert und ein ganz leises Klacken lies ahnen, dass dessen Vorderpfote immer noch - oder schon wieder? - in Bewegung war.
"Ich möchte mich fül jedwede Unannehmlichkeit entschuldigen und dies hiel zulückgeben. Das Mitglied einel... andelen Familie wollte uns auf diesem Weg etwas zukommen lassen. Alleldings hat es wohl eine bedaueliche Velwechslung gegeben." Peng Yang seufzte. "Ulsplünglich sollten wil mit diesel Statue ein Schliftstück von gloßem Welt elhalten. Haben Sie schon einmal etwas von den
Vieltausend Winden gehölt?"
Die verdeckten Ermittler schüttelten den Kopf.
Der Achate lächelte, diesmal verträumt. "Ein Meistelwelk del achatischen Dichtkunst aus dem 5. Jahlhundelt. Und außeldem ein hevollagendes Lezept fül das Lieblingsgelicht des damaligen Sonnenkaisels. Geschlieben auf Seidenpapiel mit einel Tinte dulchsetzt mit Silbelpaltikeln. Ich hatte mich schon sehl dalauf gefleut. Abel anscheinend hatte man mich falsch infolmielt." Er hob den Drachen an und zog ein gerolltes Stück Papier heraus. "Man nehme zweihundelt Glamm Mehl, dlei Eiel...", las er vor, "Das ist nicht ganz das, was ich mil volgestellt habe. Abel plobielen Sie es luhig einmal aus, vielleicht ist es gut. Fül mich ist die Angelegenheit damit zwal nicht abgeschlossen, doch del weitele Foltgang del Dinge muss die Wache nicht mehl intelessielen."
"Und was ist mit der Explosion?", wagte Mimosa einzuwerfen.
"Ich weiß nicht, wovon Sie splechen, Flau Wächtelin." Er trank und stellte die Tasse wieder ganz akkurat vor sich ab. "Bestellen Sie Helln Klummholz einen schönen Gluß. Uns muss el nicht fülchten, wil welden diese Angelegenheit... inteln klälen. Auf Wiedelsehen."
Mimosa warf Lilli einen unsicheren Blick zu. Festnehmen oder nicht? Der Feldwebel sah ihrerseits zu Septimus hinunter, doch auch dieser zuckte nur unschlüssig mit den Schultern. Und als Lilli erneut zu Peng Yang hinüberschauen wollte... lag dessen Platz verwaist da. Bis auf eine dampfende Tasse und den goldenen Drachen zeugte nichts mehr von seiner vormaligen Anwesenheit.
Ernesto Buitoni stieg behutsam von der Kiste unter dem Fenster hinunter. Jetzt hieß es schleunigst diese Gasse verlassen, bevor noch jemand seine Anwesenheit bemerken konnte. Er hatte weder Lust, sich mit einer der wichtigeren Yakuzzafamilien noch mit der Wache anzulegen. Zweihundert Gramm Mehl... wie peinlich! Wenn er das seinem Chef gebracht hätte... Parmesello wäre durch die Decke gegangen. Und die ganze Sache war auf seinem Mist gewachsen. Wie sollte er diesen Fehlschlag erklären?
Buitoni erreichte die Straße und spähte vorsichtig um die Ecke. Da, vor den Stufen zum Restaurant, diskutierten die Wächter und auch dieser oberschlaue Organisator schien wieder bei Bewusstsein.
"Und ihr habt ihn nicht festgehalten?", schimpfte der Größte, der Vorgesetzte soeben.
"Wir hatten nichts in der Hand, Sör!" Die Blasse mit den rötlichen Haaren starrte betreten auf ihre Fußspitzen, während ihre Kollegin nur nickte.
"Er hat uns das Ding freiwillig zurückgegeben", fügte ein Gnom hinzu. "Es wäre das falsche Rezept darin gewesen. Angeblich sollte etwas viel wertvolleres in der Figur stecken."
Der Vorgesetzte drehte sich zu seinem Kollegen um, der den Organisator mit der einen Hand aufrecht und sich mit der anderen den Kopf hielt. Selbst auf diese Entfernung war eine größere Beule zu erkennen.
"Wollen Sie uns noch irgendetwas sagen, Herr Krummholz?"
Der kleine Dicke biss sich auf die Unterlippe.
"Ich weiß nicht", stotterte er. "Es war schon ein Zettel in dem Drachen, aber da ist ja immer einer. Diesmal war er sogar auf achatisch und das kann ja kaum einer lesen... ich hab ihn weggeworfen."
"Wohin?"
Der Organisator ging fast wieder in die Knie.
"Ich habe einen Kamin zu Hause..."
Buitoni knirschte mit den Zähnen und hätte am liebsten seinen Kopf gegen die Mauer geschlagen. Der Kerl war gar kein Hehler - der war einfach nur ahnungslos und unfähig! Warum hatte er ihn nicht vorher überprüft? Alles musste man selber machen, auf niemanden war mehr Verlass!
Der Muffioso schlug seinen Mantelkragen nach oben und machte sich aus dem Staub - er hatte genug gehört. Zunächst würde er sich seinen Kontakt vorknöpfen, der ihm von Krummholz erzählt hatte. Und dann durfte sein Chef nie die Wahrheit erfahren!
Freitag, der 13. Asche"Herein?"
"Hier hast du meinen Bericht zu der gestrigen Katastr... zum gestrigen Einsatz, Sör."
"Leg ihn einfach zu den anderen." Romulus deutete müde auf einen Stapel von vielen, die sich auf seinem Schreibtisch türmten. Noch verhältnismäßig frisch angelegt, balancierte er gefährlich auf einem papierenen Untergrund, der jederzeit zur Seite wegrutschen konnte. Das war wohl auch dem RUM-Püschologen bewusst, wie auch die Tatsache, dass er den ganzen Kram würde aufheben und neu stapeln müssen, sollte er wegen ihm zu Boden gehen. Geradezu kunstvoll drapierte Jack die dünne Mappe obenauf und trat dann schnell einen Schritt zurück - der Turm hielt. Nun fehlten nur noch die Zusammenfassung des Abteilungsleiters selbst und die würde im Grunde wenig spektakulär ausfallen: Den Achatern um Peng Yang war nicht viel nachzuweisen, außer dass sie ein vollkommen wertloses Objekt widerrechtlich in ihren Besitz gebracht und am Ende freiwillig wieder ausgehändigt hatten. Im Anbetracht der Umstände hatte Gustav Krummholz auf eine Anzeige wegen Diebstahl verzichtet und war dann Hals über Kopf abgereist - er hatte irgendetwas von Verwandten im Ausland gestammelt. Die Explosion... ja, die hatte man niemandem mehr zuschreiben können. SUSI hatte Romulus' Vermutung zwar bestätigt, dass es sich an der Wand um die Überreste eines Sumpfdrachen handelte und die Angelegenheit bekam einen noch makaberen Anstrich, als ein Tatortwächter etwas abseits ein Halsband mit dem Namen "Ebenezer" gefunden hatte... Aber das wer, wie und warum genau ließ sich beim besten Willen nicht eindeutig rekonstruieren. Ein Ablenkungsmanöver von Seiten der Achater lag zwar nahe - nur beweisen konnte man es nicht. Und was Krummholz "fremdländischen Kerl" und die Morddrohung anging... diese Spur war ebenso im Sande verlaufen, die nur vage Beschreibung von Seiten des Organisators reichte nicht einmal für eine Fahndung. Alles in allem hatte der vergangene Tag nicht mehr als ein paar blaue Flecke bei mehreren Beteiligten gebracht - was für eine Verschwendung von Zeit! Nur gut, dass RUM wenigstens im nächsten Jahr nicht von diesem Zirkus bedroht sein würde. Und das war wahrscheinlich für das Nervenkostüm manchen Wächters auch besser so. Apropos...
"Jack?"
Der Püschologe ließ die Türklinke wieder los und wandte sich erneut seinem Abteilungsleiter zu.
"Was hast du eigentlich mit deinem Auszubildenden gemacht? Er schien mir gestern ein wenig durch den Wind."
Korporal Narrator lächelte hintersinnig.
"Ich habe mich ein wenig um seine Ausbildung gekümmert. Das püschologische Verhör. Eigentlich sollte er nur die jeweilige Geheimzutat eines jeden anwesenden Waffelbäckers herausfinden und er war gut, hat noch ganz andere Sachen herausgefunden, der Junge. Allerdings waren so gesehen der Damenzirkel und direkt danach die Abordnung vom Club des Neuen Anfangs wohl ein bisschen viel für ihn..."
[1] Zumindest hätte dies ein Kenner des achatischen Zahlensystems feststellen können, wenn auch vielleicht nicht unbedingt auf diese Entfernung.
[2] Durch das Dekor war ein Obsthändler wahrscheinlich zu einem sehr reichen Mann geworden.
Zählt als Patch-Mission für den Verdeckte Ermittlerin-Patch.
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