Ein Diebstahl und ein Vampirangriff auf offener Straße - wie hängt das miteinander zusammen? Und was hat das mit diesem neuen Trend zu tun, der unter den Jugendlichen in der Stadt die Runde macht?
Dafür vergebene Note: 11
Die Kerze flackerte schwach in einem Windhauch. Etwas Wachs tropfte auf eine Pappunterlage, die jemand unter den kleinen, gusseisernen Kerzenständer gelegt hatte. Die Schatten winziger Insekten, die das Licht umschwirrten, flackerten riesig an den Wänden des kleinen Zimmers. Drei Gestalten saßen im Kreis auf einem kleinen Bett und flüsterten leise. Glas klirrte.
"Vorsicht!", meinte die größte der drei Gestalten. Die Stimme klang männlich, erwachsen. Es steckte etwas von einem großen Bruder in ihr.
"Ich
bin vorsichtig, vielen Dank!", antwortete eine höhere Stimme. Sie klang eher nach einer Schwester, aber es gab keine Verwandschaft zwischen den Stimmen.
Dann war es still in dem Zimmer. Eine Flüssigkeit tropfte langsam in ein Glas, das auf dem Bett stand. Das Wasser darin verfärbte sich dunkelblau.
"Jetzt jeder einen Schluck", sagte die erste Stimme. Ihr Besitzer nahm das Glas und setzte an.
Der Vorhang wehte kurz in einem stärkerem Windstoß, und das Mondlicht das durch den so entstandenen Spalt schien, leuchtete auf die verträumten, abwesenden Gesichter von drei Jugendlichen, die nun auf dem Bett lagen. Sie hatten ihre Augen geschlossen, merkwürdige Gase geisterten durch ihre Gehirne. Sie regten sich kaum, aber manchmal zuckte einer von ihnen. Dann öffneten sich blitzartig wieder die Augen des Ältesten. Sie waren scharlachrot.
Der Morgen brach an und brachte Regen. Er durchnässte Passanten, in Gräben liegende Schnapsleichen, Stoffe, die auf dem Markt verkauft werden sollten und Wohnungen mit undichten Dächern. Er durchnässte auch patroullierende Wächter.
"...und so ist es gekommen, dass der Klackerkasten vom Semaphorenturm gefallen ist und um ein Haar den unten vorbeilaufenden Feldwebel Feinstich verfehlt hat."
"Wie bist du da denn wieder heil rausgekommen?"
Kannichgut Zwiebel zuckte mit den Schultern. "Es gab halt ein wenig Ärger, aber" - er warf im Vorbeigehen einen Blick in eine Seitengasse - "ich wurde deswegen nicht degradiert oder so."
Damien nickte und grinste. "Das kommt halt davon, wenn man-"
Ein Schrei ertönte.
Schlamm spritzte, als die beiden Wächter losrannten und scharf um die Ecke der nächsten Straße bogen. Im dunkeln Schatten eines Hauseingangs bemerkten sie die Ursache für den Schrei - eine junge Frau wurde offenbar von einem ganz in Schwarz gekleideten Mann bedrängt. Er hatte sie an den Armen gepackt und senkte gerade den Kopf auf ihr Gesicht zu.
"He!", schrie Damien als er und Kannichgut näher kamen, "Hände weg von der Frau!"
Der Mann drehte den Kopf und die Augen der beiden Streifengänger wurden groß: seine Augen waren purpurrot und er hatte lange weiße Schneidezähne.
Ein Vampir!, schoss es Kannich durch den Kopf.
Das gleiche schien auch sein Partner zu denken, der erbleichte
[1], aber dennoch sein Schwert zog.
"Lassen sie sofort die Frau los!"
Der Vampir betrachetet den bewaffneten Wächter kurz, dann stieß er ihn zurück und sprang in die Luft. Damien fiel in den Schlamm, dann schien eine Sekunde lang die Zeit stillzustehen. Eine Fledermaus flog hastig durch den Regen davon. Kannich wollte gerade seine Armbrust schussbereit machen, aber dann sah er ein, dass das wenig Sinn machte.
"Verflucht nochmal was war das denn?!", rief er und sah dem flatternden Tier nach.
Sein Kollege rappelte sich auf und erkundigte sich bei der Frau, ob mit ihr alles in Ordnung war.
"J- ja", antwortete sie mit zittriger Stimme. "Er- ich wollte gerade nach Hause gehen, und, und dann- er - er stand einfach auf einmal neben mir."
Damien nickte und klopfte ihr behutsam auf die Schulter.
"Vorerst sollte die Gefahr abgewendet sein. Wenn sie wollen können sie auch Personenschutz beantragen, Fräulein..."
"Wiesenberg. L- Lara Wiesenberg heiße ich." Sie schluchzte noch einmal, dann atmete sie tief durch.
"D... denken sie er wird noch einmal zurückkommen?"
Kannich warf Damien einen Blick zu, der sagte: 'Ich weiß nicht, du?'
"Ausschließen können wir es nicht.", meinte der Bleichhäutige und kratzte sich am Kopf. "Kannich, schick am besten gleich eine Taube ans Wachhaus." Er sah zum Himmel und machte ein nachdenkliches Gesicht. "Wenn Vampire anfangen am hellichten Tag über die Bevölkerung herzufallen sollte man immer auf Nummer sicher gehen...
"Das ist in der Tat äußerst ungewöhnlich", meinte Rea, als Damien mit seiner Erzählung fertig war (Kannich hatte wieder Streifendienst).
"Ein Vampir, der in Ankh-Morpork auf offener Straße seine Opfer angreift? Und das auch noch am hellichten Tag?"
Damien nickte.
"Nicht alle Vampire in der Stadt sind Schwarzbandler", meinte er. "Und ein echter Überwaldianischer Vampir wird sich bestimmt nicht auf die lange Reise nach Ankh-Morpork begeben, nur um sein Leben bei einer solchen Aktion zu riskieren. Ich vermute einfach mal, dass es sich um einen durchgeknallten Stadtvampir handelt. Es könnte aber natürlich auch sein, dass es ein ausfällig gewordener Schwarzbandler ist."
"So sehe ich das auch", stimmte die Abteilungsleiterin zu. "Wer ist jetzt eigentlich bei der Frau?"
Damien kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf.
"Kannich hat die Taube eigentlich an den Bereitschaftsraum geschickt... als Jargon aufgekreuzt ist, haben wir ihn aber darum gebeten vielleicht doch lieber Ruppert bescheid zu sagen, der auch gerade im Wachhaus war. Naja.."
Rea nickte wissend.
"War vermutlich die bessere Entscheidung."
"Ruppert war zwar nicht besonders glücklich weil er eigentlich noch einen Diebstahl aufklären muss, aber ich schätze mal es ist besser wenn sich einfach Jargon im Gegenzug darum kümmert."
"Ja, das wird schon in Ordnung gehen." Sie zog eine Schublade an ihrem Schreibtisch auf und holte ein Blatt Papier heraus.
"Ich werde mal die Liga der Schwarzbandler anschreiben und nachfragen, ob ihnen ein Mitglied ihrer Gemeinschaft abhanden gekommen sein könnte... soweit ich weiß veranstalten die ja immer solche Treffen. Versuch du mal, dich umzuhören."
Damien nickte. "Wenn so etwas öfter vorkommt, werde ich das garantiert merken."
"Hm hm", murmelte Jargon als er die - unfertige - Diebstahlakte von Ruppert ag LochMoloch durchlas, die er gerade erhalten hatte.
Einbruch in Apotheke, Birgbergstraße 22b am 12. August - Ilbrecht Grühn (Besitzer, in seinen Siebzigern) unversichert, (Betrug ausgeschlossen, Befragung steht aus) - Beweismittel 1: Fußabdruck in zäher Flüssigkeit, aus zerbrochenem Gefäß ausgelaufen, vrmtl. während Tathergang heruntergefallen (Profil im Anhang) - Beweismittel 2 bis 5: Ikonographien des Tatorts (im Anhang) Ein Einbruch in eine Apotheke also, dachte der Rechtsexperte als er umblätterte.
Das verspricht interessant zu werden.An diesem Morgen erwachten Annette und Annie mit einem ordentlichen Brummen im Kopf, wie es auch schon am Abend zuvor geschehen war, in Annettes Bett. Das Glas lag auf dem Boden, und das Fenster stand offen. Ein warmer Hauch wehte durch das Zimmer.
"Hm...", brachte Annier hervor und richtete sich langsam auf. "Wo steckt denn Ergolt?" Tatsächlich war das Dritte Mitglied ihres Clubs merkwürdigerweise verschwunden.
Ihre beste Freundin sah sich verwirrt in dem Zimmer um. Ihr Kopf war ungewöhnlich rot.
"Keine Ahnung... vielleicht ist er schon wieder heimgegangen."
Plötzlich klopfte es an der Tür.
Hastig sprang Annette auf und beförderte das leere Glas mit einem Tritt unters Bett.
"Ja?"
Ihre Mutter sah herein.
"Seid ihr denn endlich wach?" Sie schüttelte den Kopf. "Robert und Nils sind da. Sie wollen Ergolt abholen." Plötzlich bemerkte sie seine Abwesenheit.
"Wo steckt er denn?"
Wie aus einem Munde antworteten die beiden Mädchen:
"Keine Ahnung."
"Herr Grühn? Sind sie zuhause?"
Blinzelnd öffnete sich das eisblaue Auge des alten Mannes, der, die Arme verschränkt, auf dem Küchentisch eingeschlafen war.
Er binzelte noch zweimal. Es klopfte.
"Herr Grühn?"
Der Apotheker erhob sich und schlurfte zur Tür.
"Ja, ich komme!"
Jargons erwartungsvoll-eifriges Gesicht schaute zu Herrn Grüns altem, müdem Gesicht auf. Seine Augen waren Blutunterlaufen und er trug immer noch seinen Apothekerkittel.
"Guten Tag, Herr Grühn. Stadtwache Ankh-Morpork."
Jargon zeigte seine Marke. "Darf.. darf ich ihnen ein paar Fragen stellen?"
Der Obergefreite war etwas eingeschüchtert von der missmutig wirkenden Gestalt des Mannes der vor ihm stand. "Wegen der Apotheke?"
"Ja, sicher. Kommen sie rein", erwiederte Herr Grühn mit belegter, trockener Stimme. Er fuhr sich übers Gesicht und übers Haar, als versuche er, ein wenig Ordnung in die weißen Borsten zu bringen, dann deutete mit einer Hand auf einen Stuhl am Küchentisch. Die Küche wirkte, als wäre sie nach einer langen Phase großer Ordnung ziemlich durcheinandergekommen. Gläser mit Resten von Alkohol stapelten sich in der altmodischen Spüle, die Schränke standen offen. Mehl war über dem Boden verstreut, ein halber Pfannkuchen lag auf einem Teller, der zusammen mit einer Gabel auf dem Tisch stand.
"Ent-", Grühn gähnte apathisch, "Entschuldigen sie die Unordnung."
Jargon nickte nur und wartete, bis sich der Apotheker gesetzt hatte.
"Dann fragen sie mal, Herr..."
"Schneidgut. Also... was ist denn gestohlen worden, Herr Grühn?"
Ilbrecht Grühn starrte den Wächter kurz aus trüben Augen an. Dann sagte er:
"Konzentriertes Hämoglobin und ein paar Ampullen Betäubungsmittel. Ach und ein wenig Färbemittel. Außerdem hat der Einbrecher die Kasse auf den Boden geschmettert und das Geld aufgesammelt, wenn ich das richtig gedeutet habe."
"Mhm, in Ordnug." Es ertönte das Geräusch von einem Blestift, der auf Papier kritzelte.
Dann verzog Jargon kurz das Gesicht, was seine Falten in heftige Bewegung brachte.
"Wofür braucht man dieses Hämo-globiehn?"
Der Apotheker kratzte sich an der Nase und schloss kurz die Augen.
"Man benutzt es als Blutbildungsmittel für Leute, die... eben nicht so gut Blut bilden können."
"Soso. Gab es denn dafür Stammkunden?"
Auf diese Frage antwortete Grühn mit einem Schulterzucken. "Soweit ich weiß nicht. Elke - Elke Schlimmer, meine Aushilfe - übernimmt manchmal den Laden. Die sollten sie auch mal fragen. Oh und Olaf und Gerbrecht, die passen immer auf den Laden auf."
"Ach richtig, Olaf hat den Einbruch gemeldet."
Der Obergefreite blickte auf seinen Zettel und runzelte die Stirn.
Der Zeuge Olaf sagte aus, er wäre um etwa null Uhr "nur schnell Kippen holen" gewesen. Bei seiner Rückkehr war der Laden so zugerichtet gewesen. Seiner Aussage nach hat er die "Kippen" von einem Gemischtwarenladen, der auch Nachts offenhat und etwa drei Minuten entfernt liegt. Aussage wirkt glaubwürdig, aber Prüfung des Alibis nötig."Ist ihnen in den Tagen vor dem Einbruch vielleicht jemand besonderes aufgefallen?"
Kopfschütteln.
"Nein. Es war alles in Ordnung." Grühn schaute auf den Pfannkuchen. Seine Augen wirkten leer.
"Na schön", meinte Jargon. Er dachte kurz nach. "Sie verkaufen bestimmte Waren nur an Kunden mit Arztlizenzen, richtig?"
"Jawohl. Sonst würde mir die Apothekergilde im Gegenzug
meine Lizenz wegnehmen."
"Wird das denn kontrolliert?"
"Es gibt- gab einen kleinen Dämon im Laden - er ist abgehauen - der jede Kundenlizenz durchsehen musste. Aber ich verstehe nicht, worauf sie hinauswollen."
"Wurden denn schon Lizenzen zurückgewiesen?"
Herr Grühn wirkte genervt. "Natürlich! Das hier ist Ankh-Morpork! Es hat auch schon Leute gegeben die mehrmals mit falschen Lizenzen aufgekreuzt sind!"
"Hm, na schön. Darf ich ihnen noch eine letzte Frage stellen?"
"Schießen sie los."
"Glauben sie dass es Olaf gewesen ist? Oder er und Gerbrecht?"
Der alte Mann wirkte ein wenig entrüstet.
"Niemals. Die beiden passen schon seit Jahre auf, und es hat nie Probleme gegeben."
"In Ordnung. Wenn sie mir noch die Adresse von Frau Schlimmer nennen könnten wars das dann, Herr Grühn."
"Elke wohnt am Fliederweg. Das kleine Haus mit dem knallroten Dach."
"Gut, vielen Dank." Jargon erhob sich. "Ich hoffe, sie kommen mit ihrem Geschäft wieder auf die Beine."
Sein Gegenüber seufzte nur wieder und murmelte "Ich wollte mich sowieso bald zur Ruhe setzen."
Der kleine Mann trat auf die vom Regen feuchte Straße. Schlamm quoll durch den Rinnstein und schwemmte den üblichen Abfall Ankh-Morporks mit sich - zerfetztes Papier, eine tote Ratte, ein Süßgebäck das wohl zwei Raufbolde in ihrem Eifer fallen gelassen hatten, ein
Manschettenknopf, leere Flaschen, Zigarettenstummel und so weiter. Jargon überquerte vorsichtig die Straße und machte je einen kleinen Satz, um seine Stiefel nicht noch mehr zu beschmutzen als sie ohnehin schon waren.
Wer würde Hämoglobiehn und Betäubungsmittel aus einer Apotheke stehlen? Und wozu das Färbemitel? Er wich der Schlammfontäne aus, die ein vorbeifahrender Wagen aufwirbelte.
Vielleicht jemand der an der Bluterkrankheit leidet aber es sich nicht leisten kann das Hämoglobiehn zu kaufen? Schon fast routinemäßig wich er einem entgegenkommenden rennenden Straßenjungen aus, der von einem wütenden Metzger verfolgt wurde.
"Haltet den Bengel auf!"
Der Wächter eilte durch eine finstere Seitengasse und achtete so wenig er konnte auf die merkwürdige Gestalt, die auf dem Boden saß und offenbar eine Ratte verspeiste. Als er wieder auf der Straße ankam sah er schnell auf einen Zettel.
Olaf Bergboot, Baubergstraße 12Ruppert saß unbequem auf einem kleinen Hocker. Er befand sich in Fräulein Wiesenbergs Küche und war sich nicht sicher, ob seine Anwesenheit überhaupt notwenig war. Bisher hatte der Vampir nicht wieder zugeschlagen und, so vermutete der Llamedosianer, würde es auch nicht tun, solange er auf die Frau aufpasste. Fräulein Wiesenberg war gerade dabei, Mittagessen für ihren Mann zu kochen, der gerade seine Mittagspause als Bauarbeiter nahm, und war so freundlich, auch für ihn etwas zuzubereiten.
"Reichst du mir mal bitte den
Kreuzkümmel, Liebling?"
Der angesprochene Herr Wiesenberg sah kurz auf das Küchenregal.
"Er ist leer."
"Oh."
"War sowieso viel zu teuer das Zeug."
Laras Gatte war ein kleiner, muskulöser Mann mit geröteter Haut. Er beäugte Ruppert ein wenig argwöhnisch
[2], war aber freundlich. Die Nachricht, dass seine Frau attackiert worden war, hatte ihn ziemlich durcheinandergebracht, weil er Vampire bisher nur als zwar komische, aber harmlose Personen kennen gelernt hatte. Natürlich hatte er zuerst darauf bestanden, dass er selbst gut genug auf seine Frau aufpassen könne, aber sie machte ihm klar, dass das aufpassen nichts nützte, wenn sie beide auf der Straße saßen. Der Duft von Essen verbreitete sich in der kleinen Wohnung, die im obersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses lag. Das Haus war der typische Wohnort mehrerer Familien aus der oberen Unterschicht: zwar waren die Wohnungen allgemein klein, aber nett eingerichtet und im Vergleich zu manchen anderen Behausungen fast schon geräumig. Ins Schlafzimmer passten neben dem Bett noch eine Kommode
und sogar ein Kleiderschrank, ohne dass man beim Betreten den Atem anhalten musste, um hineinzupassen. Und das Beste war: außer dem Schlafzimmer hatte man sogar noch eine Küche!
"Sieht schon wieder nach Regen aus", murmelte Herr Wiesenberg missmutig bei einem Blick aus dem Fenster. "Dabei bin ich heut morgen beim Arbeiten schon nass geworden. So ein Mist."
Ruppert nickte nur zustimmend, und als hätte er damit die Prophezeihung des Mannes bestätigt, begann es draußen erneut zu nieseln.
"Hm? Was gibtsn?", grummelte es hinter der Tür.
"S...Stadtwache Ankh-Morpork...", kam die schüchterne Antowort. "Sind- sind sie Herr Bergboot?"
Mit einem Grunzen wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet und ein bulliges Gesicht zeigte sich.
"Ich dacht' die Sache wär schon unter'm Tisch! Der letzte Fuzzi hat irgendwas vonnem
Verfahrensfehler gelabert!"
Jargon wich vor der Tür zurück. Er schluckte, dann fasste er sich (fast) und meinte:
"Darum geht es nicht. Ich bin wegen dem Einbruch in die Apotheke hier."
Das Gesicht zeigte milde Überraschung, dann schlich sich ein wenig Weichheit hinein.
"Na wenn das so ist..." Olaf öffnete die Tür ganz und grinste. Er hatte nicht das übliche Schläger-Grinsen das man erwartet hätte, sondern ein eigentlich ganz freundlich wirkendes, allerdings fast zahnloses Lächeln.
"Kommen se doch rein." Der Türsteher stapfte in das Innere seiner Wohnung. Nach kurzem Zögern folgte der schüchterne Mann und sah sich neugierig um. Die Wohnung war klein und sah ziemlich vollgestopft aus. Merkwürdige Gläser mit farbigen Flüssigkeiten standen auf einer winzigen Kommode hinter der Tür und ein offensichtlich falscher Totenschädel hing an der Wand
[3].
Die beiden betraten das winzige Wohnzimmer, in dem ein Sofa und ein Sessel standen. Der ebenfalls winzige Wohnzimmertisch stand voller leerer Bierflaschen und ausgedrückter Zigaretten. Der Teppich sah aus als käme er direkt aus dem Kamin und beherbergte eine Kolonie aus Flöhen. In einer Zimmerecke lag ein großer schwarzer Hund, der im Schlaf zuckte.
Olaf ließ sich ächzend auf dem Sofa nieder, und so setzte sich Jargon auf den Sessel (nicht ohne ihn vorher vorsichtig zu begutachten).
"Nun, Herr Bergboot", begann er und sah kurz auf sein Blatt, "ich wüsste gern ob ihnen einer der Personen die sie in den letzten Wochen", er suchte kurz nach dem richtigen Wort, "hinausbefördert haben auf besondere Weise aufgefallen ist."
Der kräftige Mann schloss die Augen und verzog sein Gesicht. Er wirkte angestrengt.
"Ähm, ja, da war dieser alte Mann mit Brille. War'n komischer Kauz. Hat dreimal immer mit der gleichen falschen Lizenz versucht, an Teebaumöl
[4] zu kommen."
Jargon schüttelte den Kopf.
"Hm, das ist nicht das wonach ich suche. Ist ihnen sonst noch jemand aufgefallen?"
"Ne", meinte Olaf. "Tut mir Leid."
Für eine Weile war es still in dem Zimmer.
"Also... was war das nochmal für ein Geschäft, in dem sie ihre... Kippen holen gegangen sind?"
"Das is der Krämerladen vom Himmelsfeger... der hat die ganze Nacht offen für Leute wie mich. Die Adresse is Gerbergasse 17. Gleich geg'nüber vom Gerber Rimsstein."
"In Ordnung. Vielen Dank." Nachdem er die Adresse notiert hatte, wollte sich der Wächter erheben.
Aber plötzlich schnippte sein gegenüber mit den Fingern und sprang auf.
"Warten sie! Mir is grad was eingefallen!"
Er öffnete eine Schublade, die an der Wand stand und kramte hastig darin herum. Der Hund hob verschlafen den Kopf und gähnte. Glas klirrte.
"Einen Moment... ich habs gleich..." Mehr Glas wurde bewegt, dann zog Olaf eine kleine Papiertüte aus dem Fach.
"Das da hab ich vor der Tür der Apotheke gefund'n nachdem ich zurück gekomm'n bin."
Jargon nahm das Papiertütchen entgegen und sah ihn verwirrt an.
"Warum haben sie das nicht den Leuten von der Spurensicherung gegeben?"
"Ich hatts
[5] schon wieder vergessen", erwiederte der Türsteher und wirkte deutlich verlegen. "Daheim hab ich dann meine Taschen ausgeleert und in die Schublade gelegt. Das mach ich immer so. Meine Mama hat immer gesagt ich muss Ordnung halten."
"Hm, soso."
Schneidgut öffnete das Tütchen und sah hinein. Ein rotes Pulver war darin.
"Merkwürdig", meinte er. "Ich werde das mal überprüfen lassen. Haben sie das Tütchen irgendwie manipuliert nachdem sie es gefunden haben?"
Olaf, der gerade seinem Hund den Kopf getätschelt hatte, blinzelte verwirrt. "Mani- was?"
"Haben sie irgendetwas mit dem Tütchen gemacht außer es hierherzubringen?", fragte Jargon und nahm sich vor, weniger komplizierte Wörter zu benutzen.
"Nein..."
"Gut, vielen Dank für ihre Hilfe." Der Obergefreite steckte das Tütchen ein. "Das war dann alles."
Gerade als die Tür des Türstehers hinter ihm ins Schloss fiel verstärkte sich der Regen. Er verstärkte sich kräftig. Es schüttete, um es einfach aber richtig zu sagen, wie aus tausenden riesigen, nie leer werdenden Gießkannen. Wasser sammelte sich in sekundenschnelle im Rinnstein, Abflussrohre spuckten wahre Fontänen aus.
Fluchende Passanten stürmten an Jargon vorbei, langsam verwandelte sich die Straße in eine schlammige Masse. Eine solche Flut an Regen hatte es in diesem Sommer bisher noch nicht gegeben, und es schien als wollten sich die Wolken ein für alle mal ausregnen.
Wasser floss von Dächern, von Wägen, von Mänteln und Rohren, von Fensterscheiben und Wasserspeiern. Es donnerte.
"Verfluchter Mist", murmelte Ruppert als er aus dem Fenster sah. Gewaltige Pfützen bedeckten die Wege und Straßen der Stadt. Es gurgelte und plätscherte, und selbst hier in der Wohnung hörte man deutlich das Rauschen des Regens. Die Tropfen hämmerten auf Fenster und Dach, und trotz des Feuers im Kamin kam keine so richtig gemütliche Stimmung auf.
"Oh je", meinte Lara besorgt. "Ich hoffe Mark geht es gut."
Der Hauptgefreite nickte leicht abwesend.
Etwas pochte laut auf dem Dach.
Sofort sprang Ruppert von seinem Stuhl auf und tastete nach seinem Schwert.
"Was war das?!", rief Frau Wiesenberg erschrocken und wich vom Fenster zurück.
Misstrauisch schielte der Wächter durch das geschlossene Fenster nach oben.
"Das klang wie wenn jemand auf das Dach gesprungen wäre", meinte er. Seine Gedanken beschleunigten sich. Sollte er aufs Dach gehen und nachsehen ob es wirklich, wie er befürchetete, der Vampir war? Oder war es besser, bei der Frau zu bleiben? Seine Entscheidung wurde ihm abgenommen: ein Schemen
fiel von oben herab in sein durch das Fenster eingeschränktes Sichtfeld. Was immer es auch war, es klammerte sich mit beiden Händen an die horizontal verlaufende Regenrinne des gegenüberliegenden Hauses. Der kampferfahrene Wächter zog sein Schwert, als er sah wie das Ding den Kopf drehte. Es war der Vampir. Sein Mund war rot verschmiert und seine Augen funkelten wie zwei große Blutstropfen im spärlichen Tageslicht. Die Zeit schien langsamer zu werden, als er sich mit übermenschlicher Kraft von der Wand abstieß, sich drehte - und gegen das Fenster prallte. Die Glasscheibe und der Rahmen krachten bedrohlich, ein Sprung erschien an der Stelle, an der der Vampir aufgeprallt war. Dann fiel er benommen nach hinten weg, dem Boden entgegen.
Wäre er nicht so angespannt gewesen, Ruppert hätte beinahe gelacht angesichts dieses bizarren Anblicks. Mit weit aufgerissenen Augen öffnete er schnell das Fenster und sah nach unten. Regen tropfte ihm in den Nacken. Deutlich sah er wie der Körper des Angreifers mit merkwürdig verdrehtem Arm unten lag.
"Na so was", meinte er.
Die kleine Glocke an der Ladentür bimmelte, als Jargon den winzigen Krämerladen betrat. Schritte ertönten, und eine kleine Gestalt tauchte hinter dem Tresen auf.
"Was gibts'n?", fragte sie.
"Stadtwache", erwiederte der Wächter und bemerkte, dass die Regale hinter dem Tresen vor allem Zigarettenschachteln und Flaschen mit Alkohol behrbergten. Es stank nach Tabak und starkem Schnaps.
"Ich müsste ihnen kurz eine Frage stellen."
"Geht klar", antwortete der kleine Verkäufer. Jargon sah von ihm nicht mehr als eine dunkle Lederkappe, die über der Holztheke hervorlugte.
"War vor drei Tagen Nachts, etwa gegen Mitternacht, ein großer, kräftig gebauter Mann bei ihnen?"
"Sie mein'n Olaf, den alt'n Schlot! Ja, der war hier und hat sich'n paar Kippen geholt."
"Wie lange war er denn etwa hier?"
"Och", eine kleine Hand kam zum Vorschein und kratzte den Kopf der Gestalt, "wir ham noch ne Weile geplappert, versteh'n se? War bestimmt so ne halbe Stunde."
"Vielen Dank", antwortete Schneidgut und schrieb die Aussage nieder.
So viel zu 'nur kurz Kippen holen', dachte er.
"Das war's dann auch schon. Auf Wiedersehen."
"Guten Tach, auf Wiederhör'n!"
Hin- und hergerissen zwischen Beschützerpflicht und dem Drang, sich von der Ohnmacht des Vampirs zu überzeugen stand Ruppert am Fenster und starrte hinab. Die Gestalt am Boden regte sich nicht. Schließlich riss er sich von dem Anblick los und wandte sich vom Fenster ab. Das Geräusch des Regens wurde leiser, als er es behutsam schloss.
"Frau Wiesenberg? Ich würde sagen es ist am besten, wenn wir gemeinsam nach unten gehen, damit ich sie nicht allein lassen muss." Sie nickte stumm (sie war noch immer ein wenig blass) und holte ihren Mantel.
Während die beiden die Treppe hinabstiegen hörten sie, dass der Aufprall wohl auch bei den anderen Hausbewohnern Aufsehen erregt hatte. Gemurmel und weitere Schrittgeräusche vermischten sich mit dem gedämpften Geräusch der Regentropfen, die auf das Dach schlugen. Auf dem Weg nach unten gesellten sich zwei weitere Personen zu ihnen, ein älterer Mann mit Stock und ein verärgert wirkender Zwerg.
"Nicht mal in Ruhe nach Hause schreiben kann man hier", brummelte Letzterer in seinen Bart, während die Treppe unter dem Gewicht der vier Personen knarrte.
Der Regen durchnässte sie, sobald der Wächter die Tür öffnete und über die riesige Pfütze sprang, die sich aufgrund des verstopften Abflusses gebildet hatte.
Der Vampir lag immer noch in der Gasse. Sein Mantel glänzte im trüben Abendlicht. Als sich die Gruppe näherte, ächzte er plötzlich.
Ruppert eilte zu ihm und zog sein Schwert, dann wandte er sich an den Zwerg.
"Würden sie bitte schnell zum Wachhaus am Pseudoplolisplatz rennen und dort Bescheid geben, dass ich hier zwei oder drei Leute von FROG brauche?" Der Regen wurde noch heftiger. "Und wenn möglich auch einen Personentransportwagen?"
Der Zwerg nickte, fluchte, und rannte los.
Schlimmer, stand in geschwungenen, grünen Buchstaben auf dem Schildchen über dem Türklopfer. Jemand hatte mit Kreide, die durch die Feuchtigkeit kaum sichtbar war,
Geht kaum darübergeschrieben.
Jargon klopfte. Kurz darauf öffnete sich der Briefschlitz unter dem Klopfer.
"Was?!", ertönte eine kratzige Stimme. Der Briefschlitz war nicht ganz auf seiner Augenhöhe, also senkte der Wächter sein Knie, um mit der alten Frau zu reden, die ihn unfreundlich anblickte. Ein wenig verwirrt fragte er dann.
"Frau Schlimmer?"
"
Fräulein Schlimmer, wenn ich bitten darf!"
Jargon wurde knallrot. Der Regen schien kurz lauter zu prasseln.
"Entschuldigung."
"Was sollen sie? Warum belästigen sie eine alte Frau?! Sollten sie an einem Tag wie heute nicht lieber daheim hocken?"
Der Obergefreite war äußerst verblüfft. Ein Regentropfen lief an seinem Gesicht herab und fand einen Weg in seinen Bart.
"Ähm, also, ich-"
"Reden sie, Mann! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."
"Stadtwache Ankh-Morpork, ich-"
"Dienstmarke?"
Er zeigte sie ihr.
Die Tür sprang nach innen auf. Eine nahezu winzige Frau stand vor Jargon. Sie trug eine runde, bronzefarbene Brille und hatte kurzes, glattes, graues Haar.
"Na warum denn nicht gleich? Kommen sie rein. Wollen sie einen Tee? Schreckliches Wetter heute, nicht wahr?"
Sie schob ihn geradezu hinein und bugsierte ihn in ihre Küche. Eine Teekanne stand auf dem Tisch und dampfte. Elke kletterte auf einen Stuhl, während Jargon in dem Zimmer stand wie ein begossener Pudel
[6].
"Na los, setz dich. Du wirst mir schon nicht den Stuhl dreckig machen." Während er ihrem Befehl nachkam, sah sich der Wächter vorsichtig um.
Die Küche war klein, aber gemütlich. Der Boden war mit großen Steinen gefließt und die Einrichtung bestand fast gänzlich aus grauem Holz. Die Teekanne glänzte rot und bildete einen hübschen Kontrast zur Farbe des Tisches. Frau Schlimmer stellte eine Tasse, die mit lustigen, farbigen Teddybären geschmückt war, vor dem Jargon hin und groß Tee hinein.
"Was führt dich denn hierher, Herr Wächter?"
"Ich-" Er fasste sich. "Ich bin wegen dem Ein-"
"Ach, der Einbruch ins Geschäft."
Elke verzog das Gesicht. Jargon, wegen der Unterbrechung, ebenfalls.
"Schreckliche Sache. Und dabei hatte ich gehofft meine Rente ruhig antreten zu können. Stattdessen bricht am vorletzten Tag irgendein Dschankieh in den Laden ein, schlägt alles kaputt und ruiniert das Geschäft." Sie seufzte. "Der arme Ingo. Was soll er denn jetzt nur machen?"
"Ähm, ich-"
"Die Apotheke war sein ganzer Stolz, wissen sie? Von klein auf hat er sie geführt, weil sein armer Vater, Io habe ihn selig, so früh gestorben ist." Sie schlürfte an dem Tee. Jargon nutzte die Pause.
"Also, was ich sie fragen wollte ist, haben sie eine Vermutung, wer es gewesen sein könnte?"
Sie sah ihn ein wenig entrüstet an. "Jetzt hast du mich unterbrochen! Aber, ja, ich habe tatsächlich eine Vermutung."
Papier raschelte, als der Obergefreite ein Blatt und einen Stift aus der Tasche zog.
"Ich glaube, es war einer dieser merkwürdigen Blutsaugerverehrer."
Jargon lies seinen Stift fallen.
"
Wer?"
"Du hast mich schon verstanden, Jungchen", meinte Elke und sah ihn scharf an. "In letzter Zeit sind am Geschäft immer wieder diese... diese
Personen vorbeigelaufen. Die ziehen sich ganz komisch an und tragen mehr Schminke als ein vernünftiger Clown benutzen würde. Außerdem", meinte sie und beugte sich verschwörerisch zu ihm vor, "hab ich gesehn wie eine von ihnen so Bissspuren am Hals hatte."
"Was?!" Der Obergefreite riss die Augen auf. In der Stadt sollten eigentlich kaum noch echte Vampire herumlaufen. Und dass es Leute gab, die diese Art von Vampir noch verhehrten... das erschreckte ihn.
"Aber was fangen die denn mit dem Zeug an, das sie geklaut haben?"
Die alte Dame nahm noch einen Schluck Tee.
"Also wenn sie mich fragen, glaube ich, dass sie damit einen Vampir anzulocken versuchen. Es ist allgemein bekannt, dass sich ein wilder Vampir von Blut ernährt, weil er das Hämoglobin braucht. Und dann rühren die Kinder einfach eine Mischung aus diesem Zeug und Betäubungsmittel und glauben, so einen fangen zu können."
Jargon stellten sich die Nackenhaare auf.
"Was will man denn mit einem eingefangenen Vampir machen?"
"Ich schätze mal, sie wollen Forderungen an ihn stellen. Dass er sie auch zu Vampiren macht oder so etwas."
"Wieso sollte jemand freiwillig ein Vampir werden wollen?!"
"Also mal abgesehen davon, dass man dadurch viele außergewöhnliche und für manche bestimmt begehrenswerte Fähigkeiten und Eigenschaften erhält... keine Ahnung."
Nachdenklich trank Jargon seinen Tee, während er mit einem Ohr dem Geplapper der Frau lauschte.
"...und hast du schon von der neuen
Herdprämie gehört, die der Patrizier einführen will? Meiner Meinung nach ist das nur ein Vorwand, um die ganzen Aufstrebenden Backofenfirmen vom Markt zu verdrängen, immerhin gibt es hier in der Stadt..."
Eigentlich klingt das ja ganz plausibel, dachte er.
Jugendlich, die sich nach Macht sehnen... dann werden sie übermütig, weil sie irgendein dummes Gerücht gehört haben von wegen Vampire lassen sich betäuben, klauen das Zeug aus einer Apotheke, und-"He, hörst du mir überhaupt zu?!"
Die alte Tür sprang aus den Angeln und fiel mit einem lauten Krachen ins Innere des Gebäudes. Langsam lies Shelley - den Namen hatte sie sich selber gegeben, weil Anette zu normal klang - das Brecheisen sinken und sah in den Schuppen hinein. Ihre schmutzig-blonden Haare hatte sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden, und ihr Gesicht war mit weiß-schwarzem Make-up vollgeschmiert.
"Die Luft ist zwar nicht rein, aber es kuckt keiner zu! Los jetzt!" Gefolgt von Annie, Robert und Nils, welcher der kleine Bruder von Robert war (sie hatten sich noch nicht auf "spezielle" Namen einigen können) betrat sie das alte Lagerhaus. Der Regen tropfte durch mehrere undichte Stellen im Dach, aber für ihre Zwecke würde es reichen.
"Hast du das Zeug?", fragte sie Robert, der nickte.
"Gut so. Dann gehört ihr zwei jetzt offiziell dazu." Sie sah ihn abschätzend an, dann fragte sie: "Wo hast du's denn her?"
"Ich habs aus der alten Apotheke in der Birgbergstraße", antwortete er stolz und holte eine Tasche unter seinem Mantel hervor.
"
Was?!", zischte Annie, die schon länger 'dazu gehörte', und starrte ihn entgeistert an. "ich hab dir gesagt du sollst es vom
Schwarzmarkt holen, du Vollidiot!"
"Ich hab dir doch gesagt, dass ich kein Geld hab, du blöde Zicke!", antwortete er genauso giftig.
"Ach, du nennst mich eine blöde Zicke?! Ich-"
"Ruhe", erklang eine leise Stimme. Sofort verstummten die beiden Jugendlichen. Der Blick aller vier zog sich auf einen Schatten, der auf einer alten Kiste stand. Im Licht der untergehenden Sonne erkannte man die Umrisse einer aufrecht stehenden Gestalt.
"Verzeiht, Meister", murmelten Robert und Annie gleichzeitig und senkten den Kopf.
Für kurze Zeit war alles still.
"Wo ist Ergolt?"
Shelley warf einen verstohlenen Blick zu den Anderen. Die zuckten mit den Schultern. Ergolt war der älteste Bruder von Robert und Nils und mit Annie und Shelley der Erste in der 'Gemeinschaft des Blutes' gewesen.
"Wir wissen es nicht, Meister."
Die Gestalt sprang von der Kiste herab und trat auf sie zu. Kurz vor Robert bleib sie stehen.
"Zeig mir die Zutaten."
Der Angesprochene gab ihm seine Tasche und wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Glas klirrte. Ein zufriedenes Grunzen erklang.
"Das ist in Ordnung." Er lies die Tasche auf den Boden plumpsen. "Wann habt ihr Ergolt zuletzt gesehen?"
Shelley ergriff wieder das Wort.
"Das war, als wir die Reste von letztem Mal daheim aufbrauchen wollten, Meister", sagte sie.
Der hohe Schatten zischte plötzlich.
"Ihr habt
was gemacht?!"
"Wir-" Sie verstummte plötzlich, als eine Klaue sie am Hals packte und hochob.
Ein graues Gesicht mit roten Augen bewegte sich auf ihres zu. Entsetzt starrte sie in die schwarzen Pupillen.
"Ich habe euch doch gesagt, ihr dürft es nur unter meiner Aufsicht machen!", flüsterte er Bedrohlich. "Sonst könnte etwas... unvorhergesehenes passieren."
Ohne ein weiteres Wort ließ er sie auf den Boden plumpsen und sprang zur Decke hoch.
"Fangt an", sagt er dann. In den Schatten nahm sein Gesicht einen gierigen Ausdruck an.
Hufgeklapper ertönte, als Jargon wieder am Wachhaus am Pseudopolisplatz ankam. Der Personentransportwagen fuhr gerade am Wachhaus vorbei, offenbar auf dem Weg zur hinteren Einfahrt.
Die haben's gut, dachte er als er das Gebäude betrat und seine schlammigen Stiefel abtrat. Eine kleine Pfütze bildete sich um den Fußabtreter herum, und seine nassen Haare hingen ihm ins Gesicht. Der Regen plätscherte draußen weiter, aber das Unwetter ließ langsam nach. Als er auf dem Weg zum Labor, wo er das rote Pulver, das er von Olaf erhalten hatte, untersuchen lassen wollte, die Treppe hinaufstieg, hörte er wie der Wagen in den Hof einfuhr.
Kurz darauf klopfte es an die Tür des Labors, und eine knarzige Stimme sagte "Herein."
Von den Laboranten war gerade (zu seiner großen Erleichterung - er fürchtete sich vor Lady Rattenklein) nur Huitztli anwesend, der vorsichtig mit einem Glas hantierte, in dem sich eine grüne Flüssigkeit befand. Er sah nicht auf.
"Ähm, hallo", sagte Jargon vorsichtig und blieb im Türrahmen stehen.
"Tagchen", erwiederte der Wasserspeier und rührte ein wenig in dem Glas.
"Ich hab hier eine... Substanz, die man untersuchen müsste."
Kurze Zeit war Stille.
"Legt sie einfach auf meinen Tisch... Ich kümmere mich darum, sobald ich hiermit fertig bin."
Der Obergefreite nickte, ging zum Tisch und legte das Tütchen in eine weitere Schicht Papier aus seinen Taschen eingewickelt auf den Tisch - allerdings nicht, ohne vorher "Ogfr. Schneidgut" auf das Papier zu schreiben.
"Danke... rechne in den nächsten Stunden damit. Jedenfalls, solange es nichts allzu kompliziertes ist."
"Danke, aber ich bin wahrscheinlich erst morgen wieder hier", erwiederte Jargon seinerseits.
Der Wasserspeier nickte langsam.
Schneidgut verließ das Labor wieder und schloss vorsichtig die Tür hinter sich. Das Licht schwand deutlich, die einzigen Lichtquellen im Wachhaus waren nun die Kerzenhalter an den Wänden. Die Nacht war angebrochen. Schneidgut gähnte. Den Fall würde er morgen garantiert aufklären, jetzt war er zu müde um weiter zu ermitteln.
Er ging nach Hause.
Betäubt lagen die vier Vampirverehrer auf dem Boden des Lagerhauses. Ihre Gesichter hatten einen verträumten Ausdruck angenommen, das Glas mit der dunkelblauen Spezialmixtur lag fast leer auf dem Boden. Der Schatten lies sich von der Decke fallen und landete direkt neben dem mit Schlafmittel vollgepumpten Körper von Shelley. Gierig beugte er sich über ihren Hals, die Schlagader pochte kräftig. Er schlug ohne Sanftheit seine Zähne hinein. Er hatte ohnehin schon genug von diesen kindischen Gören gehabt. Jetzt würde er sich so richtig satt trinken. Und dann war es an der Zeit, seinen Bruder zu fragen, wie es bei ihm gelaufen war.
Ergolt erwachte durch ein dumpfes Dröhnen, das seinen Geist erfüllte. Schritte, die lauter klangen als sie sein konnten gesellten sich zu dem Wummern hinzu, das seinen Kopf mit Schmerz erfüllte. Ein Klirren mischte sich in die Geräuschkulisse. Dann kamen Stimmen.
"
Foo, dann wollen wir unf daf mal anfehen..."
Seine Wahrnehmung klärte sich ein wenig, er öffnete die Augen. Dann begann der Schmerz in seinem Arm deutlicher zu werden.
"Argh!", schrie er, als jemand den Arm packte und ihn ruckartig einrenkte.
"Jetft fei nicht fo tfimperlich! Der Arm könnte genaufo gut gebrochen fein!"
Die verschwommenen Konturen nahmen langsam Gestalt an und fügten sich zu einem Gesicht zusammen.
"Argh!", schrie er, als er deutlich sah, was ihn da anstarrte.
Rogi seufzte. Man hätte meinen können, dass wenigstens ein Vampir beim Anblick einer Igorina nicht sofort erschrecken würde. Aber dann fiel ihr etwas auf: seine Augen waren nicht rot. Sie griff nach seinem Kiefer und zog die Oberlippe hoch.
"Na fo waf", murmelte sie. "Fehr inereffant."
Ergolt versucht, seine Zunge zum Reden zu bewegen.
"Waf - was denn?"
Sie warf ihm nur einen Blick zu, der einerseits von wissenschaftlichem Interesse und andererseits von Verwirrtheit zeugte.
"Ruppert?", rief sie dann. "Bift du dir ficher daff daf der richtige ift?"
Die Zellentür öffnete sich, und der Hauptgefreite warf einen Blick auf das Gesicht des vermeintlichen Vampirs.
"Ja, das ist er, aber... merkwürdig. Ich hätte schwören können, dass seine Augen vorhin noch rot waren."
In Ergolts Kopf setzte sich die Denk- und Erinnerungsmaschinerie in Bewegung. Stolz präsentierte ihm sein innerer Gedächtnisprotokollschreiber das Ergebnis der letzten zwei Nächte.
"Oh bei Io", murmelte er.
"Was hat er gesagt?"
Rogi stupste ihn an.
"Von waf redeft du?"
Er zögerte kurz, dann sagt er: "Ich sage gar nichts."
Die Igorina schüttelte nur beinahe belustigt den Kopf.
"Na dann mach dich mal auf ein paar Jahre Gefängnif gefafft", meinte sie und stand auf. "Wir fehen unf."
Ruppert warf noch einen verwirrten Blick auf Ergolt, dann folgte er ihr und schloss die Tür ab.
Das Gesicht des Gefangenen nahm einen verzweifelten Ausdruck an.
"Ähm, wartet!", rief er dann.
"Hmm?", brummte der muskulöse Llamedosianer und drehte sich langsam um.
"W... was ist mit den anderen?"
Rogi und Ruppert warfen sich einen vielversprechenden Blick zu.
"Du willst, dass wir dir etwas erzählen? Dafür musst du erst einmal uns etwas erzählen."
Ergolt fasste einen Entschluss.
"Na schön", sagt er.
Die Zellentür öffnete sich.
Die Nacht hatte sich auf die Stadt herabgesenkt. Finsternis erfüllte die Gassen, und die letzten, vereinzelteren Regentropfen des Gewitters glänzten im Licht der Straßenlaternen und des Mondes. Jargon huschte durch die Schatten der Schatten
[7]. Das Licht der Straßenlaternen war hier nur sehr schwach, weil irgendjemand wohl gedacht hatte, in den Schatten könne man Licht sparen, weil sich sowieso kaum jemand im Licht aufhielt. Auf dem Weg nach Hause begegnete er ein paar merkwürdigen Gestalten. Sie waren allesamt weiß-schwarz geschminkt und die drei Mädchen unter ihnen hatten knallroten Lippenstift aufgetragen. Alle trugen schwarz, manche hatten Nietenarm- und Halsbänder. Der Wächter hätte sie für Näherinnen mit Begleitung gehalten, aber dafür schienen sie eigentlich zu jung. Außerdem haftete ihnen eine merkwürdige, düstere Ausstrahlung an. Neugierig blickte Jargon zurück, nachdem er sie überholt hatte. Blitzartig fiel ihm ein, was Fräulein Schlimmer gesagt hatte. Sollten diese Kinder etwa die 'Blutsaugerverehrer' sein, von denen sie gesprochen hatte? Vorsichtig drehte er um und folgte den fünfen. Was taten fünf so junge Leute eigentlich so spät noch in den Schatten? Fürchteten sie sich nicht? Die Jugendlichen bogen in eine Seitengasse ein. Das Licht einer Straßenlaterne meidend schlich sich der Wächter hinter ihnen her. Schließlich blieben sie vor einem alten Haus stehen, das sich in der Nähe der Docks befand, wie Jargon wusste. Die Unbesonnenheitsstraße war ganz in der Nähe. Er beobachtete die vermeintlichen Vampirverehrer von der gegenüberliegenden Straße aus und meinte zu hören, wie sie sich leise unterhielten. Allerdings verstand er kein Wort. Dann, plötzlich, öffnete sich die Tür, die fünf traten ein und ein leises Klicken kündete davon, dass weitere Besucher unerwünscht waren.
Verflixt, dachte er und schlich sich näher an das Haus heran. An der Fassade gab es nur ein Fenster, und das lag im ersten Stock. Er schielte zur Regenrinne hinüber, die direkt an der Hauswand verlief. Sie schien stabil genug, sein geringes Gewicht auszuhalten. Vorsichtig kletterte er daran hoch - zum Glück hatte er etwas Übung darin, in seiner Kindheit war er so oft vor Verfolgern entkommen - und versucht, in das Zimmer zu spähen. Allerdings waren die Vorhänge vorgezogen. Alles was er sah, war das schwache Licht einer Kerze. Dann, plötzlich, hörte er, wie etwas auf dem Dach landete. Es folgten leise Schritte in seine Richtung. Ängstlich lies sich der Obergefreite, so leise er konnte, nach unten gleiten.
Das ist bestimmt der Vampir, den sie zu fangen versuchen!, dachte er panisch und landete auf dem Pflaster.
Diese naiven Kinder glauben doch nicht etwa, dass sie ihm etwas anhaben könnten? Ich muss Hilfe holen!Hastig schlich sich der Obergefreite fort, während sich das Fenster öffnete und der Schatten hineinglitt. Kaum, dass er um die Ecke war, sprintete Jargon in Richtung Kröselstraße los, in der Hoffnung dort jemanden zu finden, der sich im Kampf gegen Vampire auskannte. Oder zumindest eine Brieftaube.
"Na schön, lass mich das mal alles zusammenfassen", begann Ruppert, der mit Ergolt im Verhörraum saß. Die Kerze flackerte ein wenig, als er tief Luft holte.
"Du, deine Freundin und ihre Schwester haben sich gedacht, es wäre", er hob die Finger und deutete Anführungszeichen an, "'genial', einem Vampir, der kein Schwarzbandler ist, einen Handel vorzuschlagen."
Der Verhörte nickte nur.
"Und dieser Handel bestand darin, dass ihr ihm euer Blut gebt während er euch zu Vampiren macht?"
Wieder kam ein Nicken als Antwort.
"Und er hat euch erzählt, dass er spezielle Zutaten bräuchte, um aus euch ordentliche Vampire zu machen - und diese Zutaten waren Hämoglobin und..." Er sah auf seinen Zettel. "...Methadon? Und dunkelblaues Färbemittel?"
"Ja."
"Und nachdem ihr diese Mixtur zum ersten Mal probiert habt, seid ihr allesamt in Ohnmacht gefallen und seid ein paar Stunden später mit Bisswunden am Hals aufgewacht... das klingt für mich aber nicht, als hätter er seinen Teil des Handels eingehalten."
Ergolt schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, aber er zögerte erst noch. Dann meinte er: "Der Mei- der Vampir hat gesagt es dauert ein bisschen länger, und dass in uns eigentlich schon ein Teil vampirisches drinsteckt."
"Und das hat sich dann bewahrheitet, sagst du?"
Er nickte heftig. "Ganz genau. Als wird wieder daheim waren, haben wir noch einen Rest von den Sachen gehabt und wollten es ausprobieren. Und es hat wirklich geklappt! Das Zeug hat aus mir einen Vampir gemacht!"
Für eine Weile schwieg Ruppert.
"Und plötzlich wirst du wieder zu einem normalen Menschen? Ich glaube das hat nicht ganz so geklappt, oder?"
Wieder herrschte kurz Stille.
"Keiner der anderen ist zum Vampir geworden. Ich- ich glaube, er hat mir am meisten seines Einflusses zukommen lassen, weil ich ja der älteste bin, und am meisten Blut in mir habe und so."
Ergibt das Sinn?, dachte der Wächter,
kann ein Vampir nur ein wenig... Vampirisches in seine Opfer einfließen lassen, wenn er will? Und kann er das beeinflussen? Gedanklich war er gerade dabei, seine Anzahl an Fragen, die er einem seiner vampirischen Kollegen stellen wollte, zu
inkrementieren, als sein Gegenüber plötzlich wieder anfing zu reden.
"Ich- ich habe Jagd auf Menschen gemacht", stammelte er, "ich wollte eine junge Frau anfallen, und... und ich habe Ratten ausgesaugt weil ich nichts zu essen fand, und alle sind schreiend vor mir weggerannt... und ich konnte mich in eine Fledermaus verwandeln, aber das war nicht schön, das tat weh, und..." Er verstummt wieder. Der Hauptgefreite schenkte ihm einen mitleidigen Blick.
"Wie alt bist du jetzt?"
"Achtzehn", brachte Ergolt hervor. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Plötzlich sprang er auf und hastete zur Tür.
"Was ist mit meinen Brüdern?! Jemand muss sie retten! Und was ist mit Anette?!" Ruppert packte ihn an der Schulter. "Wo wolltet ihr euch das nächste mal treffen?", sagt er hastig.
"I-im alten Lagerhaus in der Grubengasse - d-das mit den v-vernagelten Fenstern und dem grünen Dach, bitte, ich-"
"
Wann?!"
Der Junge hielt kurz inne. "W-wie spät ist es?"
"Es ist schon Nacht!"
Er schluchzte. "H-heute Abend." Dann sackte er auf dem steinernen Boden zusammen und heulte. Der Hauptgefreite rannte los.
Jargon erreichte keuchend das Wachhaus. Die Lichter waren an. Er sprintete durch die Tür, rannte am Tresen vorbei und hastete zur dritten Tür rechts.
"B-Braggsasch!", rief er und prallte gegen den Zwerg, der gerade sein Büro verlassen wollte. Die beiden gingen zu Boden.
"Äh, Jargon?!"
Der kleine Mann rappelte sich hastig auf und schnaufte hingebungsvoll. Der blonde Zwerg brauchte etwas länger.
"Sch-sofort, Taube, FROG!"
Einen Moment lang starrte ihn Braggasch erstaunt an.
"Ähm, wieso denn?"
"Vampir und Kinder in 'm alten Haus", Jargon schnaufte, "Beilstraße, nur ein Fenster anner Fassade."
Der Zwerg rannte die Treppe hoch.
Wieso muss der Taubenschlag auch im obersten Stockwerk sein?!, dachte er.
Die Tür des Lagerhauses sprang auf und Ruppert, Ettark und Bjorn stürzten hinein. Vier Körper lagen auf dem Boden, alle bleich und reglos. Schnell schritt Ruppert auf sie zu und beugte sich zu ihnen herab. Zwei der Jugendlichen, ein Mädchen und offenbar der jüngste Junge, hatten offene Wunden am Hals. Der Vampir hatte sich schon an ihnen gütlich getan. Die alten Holzplanken waren voller Blut. Der Hauptgefreite verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Dann erhob er sich und sagte: "Bjorn, kümmere du dich um die Verwundeten, Ettark und ich-"
Ein Poltern ertönte, als eine Gestalt hinter den Dreien auf dem Boden landete. Sie wirbelten herum. Als der Vampir den Kopf hob, leuchteten die Augen so hell, dass die Gesicht der Wächter in ein mattes Rot getaucht wurden.
"
Seid ihr auch hier, um euch mir zu Opfern?"
Ettark betätigte den Auslöser der Armbrust. Der hölzerne Bolzen schlug mit einem dumpfen Pochen in der Brust des Vampirs ein. Bjorn sprang an die geschockte Gestalt heran und schlug ihr mit einem kräftigen Hieb den Kopf ab. Staub sackte zu Boden. Stille herrschte nun in dem Raum. Der Gestank von Blut erfüllte die Luft. Ruppert holte einen Handfeger hervor und kehrte die Überreste des größenwahnsinnigen Vampirs zusammen, bevor das Blut seiner Opfer sie wieder zusammenfügen konnte. Dann sprinteten er und Ettark los um Rogi zu holen, während Bjorn versuchte, die Blutungen am Hals der Jugendlichen zu stoppen.
"Seid ihr bereit?", ertönte plötzlich eine Stimme. Die fünf Jugendlich, die in der Zimmermitte saßen, hatten nicht bemerkt, dass eine Gestalt schon eine ganze Weile im Schatten der Vorhänge stand. Erschrocken sahen sie auf. Der Junge, der der Gestalt am nächsten war, wich ein Stück vor ihr zurück.
"Heute Nacht wird eure letzte Nacht als gewöhnlicher Mensch sein. Ihr werdet übermenschliche Kräfte besitzen...", mit einem Krach zerbrach das Bett, dass an der Wand stand. "Unglaublich schnell sein", fügte die Stimme hinzu, die nun aus der gegenüberliegenden Ecke kam, "und vor allem... werdet ihr nach Blut dürsten."
Eines der Mädchen schrie auf, als sie plötzlich einen warmen Hauch im Nacken spürte.
"Aber nicht, doch, nur die Ruhe", murmelte der Vampir. "Glaubt ihr etwa wirklich ich beiße euch, einfach so? Zuerst müsst ihr-" Plötzlich verstummte er. Einiges Zeit stand er wie erstarrt im Raum. Verängstigt sahen ihn die Jugendlichen an. Er lauschte.
Dann zersprang das Fenster, und mit einem mal steckten zwei kleine Armbrustbolzen in seinem Rücken.
Alle fünf Jugendliche schrieen auf.
"Du vergreifst dich also an Kindern?!", rief eine Stimme und plötzlich stand ein zweiter Vampir im Zimmer.
"Schande über deine Familie!" Mit einem Pochen verwandelte sich die erste Gestalt in einen Haufen Asche.
Dann öffnete sich die Tür, und ein hochgewachsener Mann mit Augenklappe betrat das Zimmer.
"Da sind wir wohl gerade rechtzeitig gekommen", sagte er schwer atmend. Nachdem er sich kurz im Zimmer umgschaut hatte, das sich als ein einfaches Kinderzimmer der Unterschicht herausstellte, bedeutete er den Kindern, aufzustehen. "Ihr habt Glück, dass ihr noch mit dem Leben davongekommen seid. Aber jetzt müsst ihr uns erstmal zum Wachhaus begleiten."
"Was?! Wieso? Was ist hier los?", fragte ein Junge, der nicht älter als sechzehn sein konnte.
Valdimier sammelte das Aschehäufchen auf und verzog angewidert das Gesicht. "Wie der sich an ihrer Angst erfreut hat! Widerlich! Man hat quasi schon die
Lustbeule in seiner Hose gesehen!"
Ein Mädchen mit schwarz umrandeten Augen sah ihn groß an.
Der Vampir richtete einen abschätzenden Blick auf die Teenager
[7a].
Bregs machte einen Schritt zur Tür.
"Kommt jetzt! Wir haben euch gerade vor einer großen Dummheit bewahrt!"
"Unsinn!", fauchte ein Mädchen, dass Fledermausohrringe trug. "Wir waren gerade kurz davor, die Unsterblichkeit zu erlangen!"
"Ach?! Glaubst du wirklich ein Vampir lässt sich auf so etwas ein? Glaubt ihr,
ihr hättet Forderungen an ihn stellen können?"
Sie verstummte.
"Ihr seid für ihn nichts anderes gewesen als leichte Beute! Kapiert ihr das?"
Sie starrten ihn nur an. Er seufzte.
"Kommt. Gehen wir."
Nachdem sie ein Stück Weg zurückgelegt hatten, kam ihnen ein schwer atmender Jargon entgegen.
"Ihr habt es geschafft?!", rief er freudig, als er die unbeschadeten Jugendlichen sah.
Der Kommandeur sah den vor Euphorie strotzenden Wächter kurz an.
"Du kannst von Glück sagen, dass Feldwebel van Varwald und ich gerade Bereitschaft hatten", meinte er dann. "Aber immerhin warst du nicht so dumm zu glauben, du hättest ihn alleine töten können."
"Oh, naja", meinte der Obergefreite eingeschüchtert. "Mit Dummheit hat das eher wenig zu tun."
Shelley alias Anette und Nils hatten die Begegnung mit dem Vampir nur knapp überlebt. Beide hatten ein Trauma erlitten, und auch Robert und Annie waren geschockt. Rogi hatte gesagt, das es ein Wunder war, dass der Blutsauger ihnen in seinem durch das zusätzliche Hämoglobin verursachten Blutrausch nicht einfach die Kehle aufgerissen hatte. Außerdem empfahl sie, dass alle vier versuchen sollten, in den nächsten Tagen direktes Sonnenlicht zu meiden, bis das letzte Bisschen Vampirigkeit aus ihren Körpern verschwunden war.
Der zweite Vampir stellte sich als ein Verwandter des ersten heraus: Beide stammten aus dem alten Rupfus von Blütgestein-Clan, der von den meisten Vertretern ihrer Art als besonders absonderlich bezeichnet wurde. Im Verhör meinte Gringart von Blütgestein, dass es doch eine Schande wäre, seinen Verwandten nicht von dieser Goldgrube an naiven Vampirverehrern zu berichten und zeigte sich stolz. Solange jedenfalls, bis er und sein Bruder den Strafvollziehern des Patriziers übergeben wurden.
Es stellte sich heraus, dass Shelley nicht die Erste war, die auf die Idee gekommen war, sich 'vampirisieren' zu lassen. Diese fixe Idee hatte sich in ihrem und in dem Kopf anderer Jugendlicher festgesetzt, als eine Buchreihe in den höheren Schichten die Runde gemacht hatte und, wie es mit Ankh-Morporkianischen Trends so ist, auch die Schichten erreicht hatte, die nicht des Lesens fähig waren. Allerdings waren jene Schichten dann auch beschränkt genug, sich tatsächlich auf die Suche nach echten Vampiren zu begeben. Das hatte dann nur in den seltensten Fällen Erfolg (wie zum Biespiel in Shelleys Fall), endete aber auch meistens damit, dass der Vampir den Jugendlichen den Vogel zeigte und verschwand. Jedenfalls taten das diejenigen, die den Anstand hatten, sie nicht als Beute zu missbrauchen. Unglücklicherweise gab es aber dennoch Vampire, die diesen Anstand nicht hatten - eben die Blütgesteins.
Letztendlich war Jargon mit dem Ausgang seines Falls zufrieden - ein kurzes Verhör mit Robert brachte ihm die restlichen Informationen, die er brauchte (und immerhin war der Junge klug genug, nichts abzustreiten). Etwas schwieriger jedoch gestaltete sich das Finden eines angemessenen Urteils - einerseits war es Bestrafung genug, was den Kindern geschehen war, aber andererseits schien eine Entschädigung des Apothekers nötig. Man einigte sich darauf, dass Robert zusammen mit seinen Geschwistern, Shelley und Annie dabei halfen, die Apotheke wieder aufzubauen. Herr Grühn schaffte es, wieder Fuß im Geschäft zu fassen, hielt aber nicht lange durch und verkaufte seinen Laden schließlich, um sich mit seinem Ersparten zur Ruhe zu setzen.
Die Wacheleitung beschloss, Plakate in der Stadt aufhängen zu lassen, die, natürlich mit der Genehmigung der Schwarzbandler-Vereinigung, vor der Gefahr echter Vampire warnten. Außerdem schickte sie einen Brief an die Autorin der Bücher, die ein allzu romantisches Licht auf die wilderen Vertreter der blutsaugenden Spezies warf und bat sie darum, einen deutlichen Hinweis zu Verfassen, der diese Romantisierung hervorhob und verdeutlichte. Es blieb zu hoffen, dass die weniger belesenen, jugendlichen Einwohner der Stadt auch von diesen Warnungen hörte. Ein weiterer Vorfall wie der, der der
Gemeinschaft des Blutes zugestoßen war, würde bestimmt nicht wieder so glimpflich ablaufen.
[1] das heißt, er würde erbleichen wenn das ginge.
[2] Nicht zuletzt wegen dem Kilt.
[3] Wenn man mit einem Hammer darauf geschlagen hätte, hätte er bestimmt ein lustiges Quietschen von sich gegeben.
[4] Das Öl des Teebaums wird aus den Blättern der namensgebenden Pflanze gewonnen und wird in heißes Wasser gegeben, um schnell und einfach Tee zu machen. Allerdings wirkt ein solcher Tee auf Grund der hohen Konzentration des Öls wie ein starkes Aufputschmittel und ist deswegen nur mit einer Arztlizenz zu erwerben. (Warnung: Das gilt nur für das Scheibenwelt-Äquivalent des Teebaumöls. Nicht daheim ausprobieren.)
[5] ,natürlich,
[6] zumindest Ersteres stimmte eigentlich auch.
[7] Also, die Schatten des Stadtteils.
[7a] Der Name rührt davon her, dass die 'coolen' Jugendlichen Ankh-Morporks gewöhnliche Tätigkeiten als zu normal empfinden. Deshalb sagt man als Erwachsener scherzhaft, sie würden Tee nicht trinken, sondern an ihm nagen, weil das 'cooler' ist.
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