Viola: Tacet!

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Magane (SUSI)
Online seit 30. 05. 2011
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 31. 12. 2009 datiert
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Der Unterschied zwischen einem Sarg und einer Bratsche? Beim Sarg ist der tote Körper innen.

Dafür vergebene Note: 11

[1]

# Einige Tage vor Silvester #

"Ich hab gesehn, du hast den Dienst an Silvester getauscht."
"Ja, ich bin eingeladen, außerdem brauche ich dieses Jahr nicht unbedingt den Gruselfaktor dieser speziellen Nacht..."
"Eingeladen?"
"Silvesterball einer Gilde."
"Seit wann kennst du Gildenleute?"
"Seit ein paar Jahren..."
"Welche Gilde?"
Statt einer Antwort schob Magane ihrer Freundin und Abteilungsleiterin lächelnd die Einladungskarte über den Tisch. Die anthrazitfarbene Karte sah auf den ersten Blick nach schlichtem unaufdringlichem Geld aus, der zweite Blick wurde allerdings geschickt auf das geprägte Wappen gelenkt.
"Die?"
"Die!"

# Silvester, 19:00 #

Der Silvesterabend kam mit klirrender Kälte, schneidenden Winden und leichtem Nieselregen.
Kein Abend an dem festliche Stimmung aufkommen konnte.
Wenigstens lag kein Schnee.
Nicht wie damals, als... Magane musste sich zwingen nicht daran zu denken, die Arbeit hatte die Erinnerung klein gehalten, aber nun hatte sie frei, steckte in einem langen glänzenden bordeauxfarbenen Ballkleid und würde tanzen gehen. Tom war unten bei seinen Urgroßeltern, die sich wie echte ankh-morporker Großeltern benahmen und den Fünfjährigen nach Strich und Faden verwöhnten.
Damals hatte Schnee gelegen.
Das Kleid war zusammen mit der Einladung zugestellt worden, alles etwas merkwürdig. Eigentlich kannte sie ja niemanden von denen. Zumindest nicht so gut, dass sie eine Erklärung für Kleid und Einladung hatte. Sicher hatte es Kontakte gegeben, die Wache kam ohne Kontakte zu den Gilden nicht aus und grade wenn man Mörder jagt kommt man nicht umhin gelegentlich mit den Berufsmörder zusammen zu arbeiten. Aber diese Kontakte waren selten und wohl kaum eine Erklärung.
Sein Mörder war immer noch frei.
Natürlich war da auch noch der offene Kontrakt. Aber dabei ging es ja doch um eine vergleichsweise kleine Summe, gemessen an anderen Kontrakten, was man so hört.
Also auch nicht wirklich ein Grund.
Warum war sie eingeladen worden.
Von wem genau.
Jemand, den sie nicht kannte, führte sie zum tanzen aus. Geh nicht mit Fremden mit! Ihre Tante hätte keine Kompromisse gekannt, Fremde sind böse, das stand fest. Das Böse hatte sie in so vielen Gestalten getroffen. Das Böse hatte ihr zwei Männer genommen. Aber damals war es kein Fremder gewesen. Und heute, soviel stand für sie fest, war sie nirgendwo sicherer als in den Händen eines Assassienen. Für ihr Ableben hatte noch niemand bezahlt, das hatte man ihr bei DOG versichert - schließlich war das kleine Mädchen von damals zwar erwachsen geworden, aber nicht vollkommen leichtsinnig. Jedenfalls wer auch immer dieses Kleid gekauft und ihre Maße in Erfahrung gebracht hatte, derjenige hatte Geschmack. Das Kleid war wie für sie gemacht - vermutlich war es das auch - es saß perfekt. Die Farbe schmeichelte ihr, dunkelrot und antrazit ergänzten sich perfekt und wirkten nicht aufdringlich.
Trotzdem fühlte es sich falsch an, ausgerechnet an diesem Abend.

Ktrask war schon lange oben. Dabei wollte er doch nur schnell in das Kostüm schlüpfen und dann mit den Geschenken wieder herunter kommen. Sie hielt das für ziemlichen Quatsch, schließlich war Tom grade mal sieben Monate alt und würde sich später nicht erinnern. Aber er hatte darauf bestanden, das Schneevaterfest sei für die Kinder so wichtig und er wolle es richtig machen. Jetzt schlief der Kleine und sie ging nachsehen. Ktrask hatte eine Laterne angezündet und an einen Nagel gehängt. Das Licht warf gespenstische Schatten. Der Wind hatte Schneeflocken durch das Fenster auf den Dachboden geweht. Ein leises Knarren erschreckte sie und sie drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Ein umgestoßener Stuhl. Das Kostüm. Ktrask. Das Gesicht im Tod verzerrt. Leise schwingt er hin und her. Das kann nicht sein. Niemals hätte er Selbstmord begangen.

Ein Klopfen riss sie aus den Erinnerungen, die sie krampfhaft hatte aussperren wollen. Ihre Oma kündigte einen Herren an, der unten auf sie wartete. Sie schüttelte den Kopf um die Düsternis und die beklemmenden Gedanken zu verscheuchen. Die schwarzen Handschuhe mit der Rosenspitze, die zum ersten Mal seit Jahren wieder die narbigen Hände bedeckten, saßen; die bereitliegende Handtasche war bereits gepackt, mit viel zu wenigem nach ihrem Geschmack. In die Schuhe war sie schnell geschlüpft und ein letzter Blick in den Spiegel verriet, dass die Frisur saß und nicht nach der vielen Arbeit aussah, die in ihr steckte. Der dunkelgraue Kurzmantel - der einzige der fein genug war für ein Ballkleid, auch wenn sie ihn sonst nur zu Beerdigungen trug - komplettierte ihre Erscheinung. Magane ging vorsichtig die Treppen herunter.
Natürlich hatte dieser unbekannte Herr gewartet. Er vertrieb sich die Zeit mit dem Studium des Schaufensters, in dem Bögen aus verschiedenen Hölzern, zwei handliche Armbrüste und auch diverse Pfeile und Bolzen dekoriert waren. Er war groß, vielleicht einen halben Kopf größer als sie und strahlte Kraft aus.
Nach einem Moment - der eben lang genug war für eine kurze Musterung und die Bildung einer ersten Meinung, aber kurz genug um aufmerksam und höflich zu wirken - drehte er sich um. Die Fragen, die sich im Vorfeld gestellt hatten verblassten und wurden von dem großen gefährlichen Warum verdrängt. Vor ihr stand ein Mann, den sie nicht wirklich kannte. Vor drei Monaten waren sie sich ein mal kurz begegnet. Eine flüchtige Begegnung, der sie keine Bedeutung zugemessen hatte. Ein Fremder, der sie in einer Kneipe angesprochen und tief verunsichert hatte - auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollte [2]. Er hatte sich nicht vorgestellt im Weißen Kamel aber damals war ihr die unaufdringlich schwarze Kleigung aufgefallen, die dezent, aber deutlich, Assassiene sagte.
"Guten Abend, Fräulein Magane, darf ich mein Versäumnis unserer letzten Begegnung ausräumen indem ich mich in aller Form vorstelle: David Schnitzer", er verbeugte sich tief und wies danach auf die unauffällige Kutsche, die an der Ecke wartete und auf sein Zeichen näher kam.
"Nun, Herr Schnitzer, es freut mich in aller Form ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, vielleicht bietet sich im Laufe des Abends noch Gelegenheit für die eine oder andere Erklärung." Sie ergriff die angebotene Hand und stieg in die Kutsche.
"Das ihr Wächter immer alles erklärt haben wollt..."
Er schwang sich zu ihr in die geschlossene Kutsche, deren stiller Kutscher offenbar bestens wusste, wo es hin ging, auch ohne, dass man etwas zu ihm sagte.

# 20:00 #

Der Ballsaal war riesig und durch die hohen dunklen Fenster in denen sich alles spiegelte wirkte er noch größer. Der Saal war festlich und edel geschmückt, an den Fenstern standen üppige Blumengestecke. Es war beinahe unmöglich zu schätzen wie viele Personen anwesend waren. Damen und Herren vom oberen Ende der gesellschaftlichen Pyramide, die in Grüppchen zusammen standen und Konversation betrieben. Manche stibitzten verstohlen Kleinigkeiten vom noch nicht eröffneten Buffet, andere tanzten zur dezenten Musik. Die Musiker, ein Streichquintett, saßen etwas erhöht dem Buffet gegenüber. Sie spielten mehr oder minder kunstvoll Stücke, die sicherlich von berühmten Komponisten geschrieben worden waren und sie spielten eben laut genug um sich privat unterhalten zu können.
Herr Schnitzer erwies sich als guter Tänzer - weit besser als Magane, die zwar den einen oder anderen Schritt gelernt hatte, aber kaum Gelegenheit gehabt hatte diese Fähigkeit zu üben. Sie plauderten belangloses, sparten dabei großzügig die jeweilige Arbeit aus - kaum merklich verstrich Zeit. Gelegentlich stellte er ihr interessante, einflussreiche oder einfach nur reiche Leute vor. Sie lächelte viel, gab sich alle Mühe den Anschein zu erwecken sich auf diesem Parkett heimisch zu fühlen. Vielleicht hätte sie sich mehr amüsiert, wenn ihr nicht die Anwesenheit all der wirklich wichtigen Leute bewusst gewesen wäre. Nur wenige kannte sie persönlich, aber als Zeitungsleser kannte man Gesichter und Namen. Der einzig tröstliche Gedanke daran war, dass diese wichtigen Leute sie kaum wahrnehmen würden, schließlich war sie niemand.

# 21:03 #

Magane sah ihn zuerst nur aus dem Augenwinkel.
Ein schwarzer Schatten, der sich zur Musik bewegte.
Als sie sich in seine Richtung drehte war er immer noch da.
Dann winkte der Schatten ihr zu.
Der Schatten war bei genauerem Hinsehen ein großes Skelett in einer Kutte.
Tod tanzte auf dem Ball.
Seine Sense wirkte als Tanzpartnerin doch etwas steif.
Wer hatte ihn eingeladen?
Der Gedanke hallte noch nach, als etwas hölzernes scheppernd auf dem Marmorboden zerbrach. Wobei, wenn man genau hinhörte fiel es erst wohlklingend zu Boden und knirschte dann unter einem Fuß, unter einem skelettierten Fuß.
Tod hob den Geist der Bratsche auf und spielte.
Sein Spiel war grauenhaft [3]. Nur gut, dass es den meisten Anwesenden entging. Maggie trat zögerlich näher. Der Bratscher war in einem Krampf erstarrt zusammengebrochen, sein Instrument war nicht allein gestorben. Das traurige Lied, welches der Schnitter angestimmt hatte - wobei angestimmt das falsche Wort war, schließlich war es um seine Musikalität nicht gut bestellt - fand sein Ende. Sanft legte er die Viola zur Seite und schwang dann die Sense um den glitzernden Geisterfaden zu durchtrennen, der den Bratscher mit seinem Körper verband. Danach grüßte er kurz in Maganes Richtung und verschwand.

# 21:05 #

Für einen Moment war es still, die übrigen Musiker starrten entsetzt ihren Kollegen an. Aber dieser Schreckmoment dauerte nicht lange, dann blätterten die verbliebenen vier ihre Noten um und spielten weiter. Der Saal war in Unruhe geraten, die aber auch schnell wieder abebbte, die meisten Anwesenden hatten schon interessanteres gesehen. Ein kleiner Junge zupfte Magane am Kleid und reichte ihr dann einen Zettel.
'Ihr Auftritt, Chief-Korporal.
V.'

Mit ihm hatte sie nun nicht gerechnet, sicher er war die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide und ganz nebenbei auch Assassiene, aber hatte sie deswegen damit rechnen können, dass er heute Nacht in diesem Saal war? Irgendwie war er ja überall in der Stadt. Es gab bekanntlich nichts was ihm entging... Wie hatte sie nur glauben können die Anonymität einer großen Menschenmasse genießen zu können, die Arbeit findet einen Wächter immer. Wahrscheinlich war sie noch nicht einmal der einzige Wächter im Saal. Sie war sich fast sicher, dass der Kommandör ebenfalls irgendwo hier war, in Begleitung seiner Frau in einer Plaudergruppe stand, sich nicht amüsierte und sie natürlich aus dem Augenwinkel beobachtete. Sie bekämpfte einen Anflug von Verfolgungswahn, aber vermutlich beobachteten sie sie tatsächlich. Nur ein einziges mal hatte sie an Silvester frei haben wollen und jetzt stand sie allein vor einem Toten und alle beobachteten sie. Naja, nicht ganz allein...
"Wer wäre so dumm, in einem Raum voller Assassienen einen Mord zu begehen?"
"So sicher, dass es Mord war?" Magane und David waren näher an die Bühne geschlendert, auch mit offiziellem Auftrag wollte sie keinen Wirbel machen.
"Schau dir seine Lippen und seine Fingerspitzen an, sie sind grünlich verfärbt, das deutet auf das Gift des Sumpfschönliebchen hin."
"Klar, als Berufsmörder weiß man sowas." Vor Mitternacht würde keiner gehen und um dafür zu sorgen, dass sich da alle dran hielten waren die Pförtner angewiesen worden niemanden hinaus zu lassen. Es war 21:27, also hatte sie zwei Stunden und dreiunddreißig Minuten Zeit um diese Sache dezent zu klären.
"Wahrscheinlich nicht jeder... aber ich war Jahrgangsbester in Giften", er versuchte ein entschuldigendes Lächeln und fügte nach einer Pause hinzu: "Ich wäre dir dankbar wenn du mich nicht so nennen würdest, nicht jeder, der die Gildenschule absolviert hat, geht auch dem Gildengeschäft nach."
"Ach ja? Dann erzähl mir mal was über das Gift des Sumpfschönliebchen, Herr Jahrgangsbester."
"Die technischen Daten? Hochwirksames Kontaktgift, die Wirkgeschwindigkeit variiert stark je nach Konzentration und Größe der Kontaktfläche. Es wirkt lautlos, da es sofort starke Muskelkrämpfe auslöst, die es dem Opfer unmöglich machen zu schreien. Nebenbei bemerkt, ist das Sumpfschönliebchen eine Pflanze, die in den Ankhauen zwischen der Stadt und der Mündung heimisch ist."
"Kann das ein Unfall sein?"
"Sicher, wenn man mit dem aufbereiteten Gift arbeitet kann es zu Unfällen kommen, aber als Musiker..."
"Nach einer Quittung brauch ich wohl nicht zu suchen... Mist, ich hab nichts dabei."
"Das wichtigste ist, dass niemand mit ungeschützter Haut irgendetwas, was das Opfer berührt hat, berührt, aber du trägst ja Handschuhe... Die behandelte Fläche müsste intensiv nach Grünschnitt riechen, aber pass auf deine Nase auf."
"Kannst du mir einen Ikonographen besorgen?"
"Klar." Schnell aber unauffällig glitt David durch die Menge und verschwand schließlich durch eine Tapetentür, die hinterher wieder unsichtbar war.

# 22:08 #

Sie sah auf die große mechanische Uhr, unbarmherzig tickte sie dem Jahreswechsel entgegen. Bevor sie nicht den Ikonografen hatte konnte sie auch nicht wirklich anfangen. Was sie machen konnte war die Musiker befragen, aber schön einzeln und die anderen müssten dabei weiterspielen. Sie ging zu dem ersten Geiger, kramte in ihrem Handtäschchen nach Wachemarke, Blöckchen und Stift [4].

# 1. Geige #

"Guten Abend, Stadtwache Ankh-Morpork, dürfte ich ihnen kurz ein paar Fragen stellen?"
"Ich werde fürs Spielen bezahlt nicht fürs Quatschen."
"Ihr Kollege ist grade tot vom Stuhl gekippt, sie werden mit mir reden."
"Okay, spielt weiter, ich bin gleich wieder da." Er stand auf, legte Geige und Bogen nahezu lautlos auf seinen Stuhl und folgte der Wächterin in eine Ecke.
"Nun Herr..."
"Brinkmann."
"Herr Brinkmann... ist es normal, dass ein Musiker während eines Konzertes tot zusammen bricht?"
"Nein, natürlich nicht."
"Wieso haben sie dann so schnell weiter gespielt?"
"Die Musik muss weitergehen... wenn man auf einem sinkenden Schiff spielt, dann stoppt einen erst das Wasser im Instrument; wenn die Welt untergeht, dann spielen die Musiker bis zum Schluss. Solange die Musiker spielen bricht keine Panik aus... besagt die Theorie."
"Aber es muss doch ein Problem darstellen wenn plötzlich eine Stimme ausfällt."
"Gute Musiker können sowas kompensieren, wir spielen schon sehr lange miteinander und sind auf alle Eventualitäten eingestellt."
"Also sind sie jederzeit darauf eingestellt, dass einer ausfällt und das macht ihnen gar nichts."
"Naja, so mitten drin ist noch nie jemand ausgefallen, aber zum Beispiel damals als der Niko beschuldigt wurde Gildengeld veruntreut zu haben und deswegen nicht mit uns auftreten konnte, da mussten wir auch zu viert auskommen."
"Und war da was dran, an den Vorwürfen?"
"Wer weiß das schon, jedenfalls hat die Marina ihm damals aus der Patsche geholfen, hat ihm das Geld geliehen und ein gutes Wort für ihn eingelegt. Jetzt würde er alles für sie tun."
"Alles also... Vielen Dank, Herr Brinkmann. Sie haben mir schon sehr geholfen. Jetzt möchte ich sie nicht länger von der Arbeit abhalten."

# 22:31 #

Schon dieses erste Gespräch hatte Magane davon überzeugt, dass der Täter entweder unter diesen vier Kollegen oder im nicht anwesenden persönlichen Umfeld des Opfers zu finden sein musste. Sie machte sich routiniert einige Notizen, wobei sie die Größe der Schrift der des Papiers anpassen musste, um nicht in der totalen Unübersichtlichkeit zu enden.

# 2. Geige #

"Mit mir wollen sie wohl auch sprechen."
"Sie spielen die zweite Geige?"
"Ja, Niko Pütz, mein Name. Haben sie schon einen Verdacht?"
"Verdächtig ist erstmal jeder."
"Jeder, auch wir?"
"Vor allem sie vier, sie kannten ihn am besten."
"Ja, aber wir sind doch schon ewig miteinander befreundet."
"Freunde werden schnell zu Feinden."
"Wir haben immer zueinander gehalten, auch als die Gilde mich suspendiert hat, aber warum auch nicht, Stefan und André waren auch keine Engel, obwohl André ruhiger geworden war, seit er verheiratet war."
"Also haben sie alle Dinge getan auf die sie nicht stolz sind?"
"Bei André waren es immer nur die Bemühungen sein fehlendes Talent zu verbergen, er übte eindeutig zu selten und ihm fehlte das Gehör um die feinen Nuancen wahrzunehmen."
"Wieso haben sie ihn nicht aus dem Quintett geworfen wenn er so schlecht war?"
"Es gibt keine guten Bratscher [5], das Spiel mit ihm war nicht leicht, aber okay. Vielleicht hätten wir ihn hinausgeworfen, wenn sich ein besserer gefunden hätte."
"Okay, ich habe verstanden. Und was ist Stefans Schwäche?"
"Bei Stefan sind es die Frauen, er war schon immer leicht zu entflammen, in der Schule schärmte er ständig für irgendwelche Flötistinnen oder Harfinistinnen und jetzt schwärmt er für Marina, wenn man das noch schwärmen nennen kann."
"Er übertreibt es?"
"Das kann man so nicht sagen, er himmelt sie halt an, aber er würde ihr nie zu nahe kommen."
"Sehr interessant. Vielen Dank, Herr Pütz."

# 22:50 #

Plötzlich stand David mit dem Ikonographen hinter der Wächterin. Er tippte sie auf eine seltsam vertraute Art an und entschuldigte sich dann fast unhörbar für die Verzögerung, der Ikonograph sei nicht dort gewesen wo er ihn vermutet hatte. Magane verabschiedete sich mit einem Nicken von ihrem aktuellen Gesprächspartner und widmete ihre Aufmerksamkeit der Leiche. Der Bratscher lag unverändert zusammengekrümmt, allerdings inzwischen etwas abseits von den anderen Musikern, die von ihm weg gerückt waren. Sie beschränkte sich auf einige wenige Ikonographien, schließlich gehörten weder Dämon noch Blitzsalamander der Wache und da musste man schon mal kürzer treten, zumal das Blitzlicht die Gesellschaft in Unruhe versetzte. Danach suchte sie nach verdächtigen Kleinigkeiten am Opfer und seinem Instrument. In dem schummerigen Licht war es alles andere als einfach die blassen grünen Flecken auf der Haut des Opfers zu erkennen. Fingerspitzen und Lippen, hatte David gesagt, waren die Stellen an denen sich das Gift zeigte, aber würde nicht auch die Stelle grün sein wo es eingedrungen war? War das ein grüner Fleck am Kinn oder nur ein Schatten?
Die Bratsche war, dank Tods aktiver Mithilfe, am Hals zerbrochen, aber der Klangkörper war unbeschädigt. Magane hob sie auf und bemerkte sofort den Geruch nach frisch geschnittenem Gras. Ohne Zweifel handelte es sich um die Mordwaffe.
An welchen Stellen berührte ein Geiger sein Instrument? Mit den Händen an Saiten, Griffbrett, Hals und Bogen. Die Wächterin sah sich um, da musste es doch noch etwas geben.
Die Cellistin berührte ihr Instrument mit den Knien.
Die Geiger hatten ihre Geigen auf Arm und Schulter aufliegen und klemmten es mit dem Kinn fest.
Das Kinn.
Sie schnupperte vorsichtig am unteren Ende der Viola. Der Geruch entströmte dem Kinnhalter.
Jetzt wäre ein Beweisbeutel Gold wert. Blöd nur, dass man nicht mit der kompletten Ausrüstung zu einem Ball gehen kann. Als Behelfsbeweisbeutel musste wohl die angestammte Verpackung des Instruments herhalten.

# Cello #

"Er war so unzuverlässig, wir haben oft ohne ihn geprobt. Aber das er sich mitten in einem Auftritt verabschiedet, das hätte ich ihm nicht zugetraut." Die Cellistin betrachtete ihre Fingernägel und wurde Magane mit jedem Atemzug unsympathischer. Sie war so eine hübsche, oberflächlich, desinteressiert, flach. Anscheinend lagen ihr die drei verbliebenen Männer des Quintetts zu Füßen und sie sonnte sich darin.
"Man kann es sich nicht aussuchen wann man ermordet wird."
"Ja, aber mitten im Auftritt, wer macht denn sowas?"
"Genau das versuche ich herauszufinden."
"Ich versteh das nicht."
Was genau, du Huhn? "Was verstehn sie nicht?"
"Wieso ist ausgerechnet dann wenn ein Mord geschieht ein Wächter zur Stelle?"
Wenn ich das wüsste, Huhn. "Ich würde auch lieber meinen freien Abend genießen, also ist ihnen irgendetwas komisches an ihrem Kollegen aufgefallen, Fräulein...?"
"Kreusch, Marina Kreusch. Nein, er war eigentlich wie immer."
"Er hat auch nicht besser oder schlechter gespielt als sonst?"
"Schlechter geht ja wohl kaum. Wir haben ihm schon so oft nahe gelegt daheim mehr zu üben, aber er schien zu glauben, dass die gemeinsamen Proben und die Auftritte als Übung reichen müssen."
"Also war er faul?"
"Nein, ich glaube nur, er hatte zu viel zu tun. Aber er nahm ja auch jede Aufgabe an. Letztens hat er sogar bei mir die Wohnung gestrichen, obwohl seine Frau zuhause auf ihn wartete."
"Ach, er war verheiratet?"
"Ja, aber um die Ehe stand es nicht gut. Ich glaube Elise hatte eine Affäre...", sie kam näher und senkte die Stimme noch weiter, "mit Ruben..."
"Mit wem?
"Ruben Brinkmann, erste Geige."
"So so, wusste das Opfer davon?"
"Schwer zu sagen, sie waren immer sehr diskret..."
"Nun, ich denke das reicht fürs erste. Vielen Dank, Fräulein Kreusch."

# 23:19 #

"Die Gilde hat einen der Jungen zur Wache geschickt, kurz nach Mitternacht kommt jemand mit einem Karren."
Magane zuckte zusammen als David sie von hinten ansprach. Sie hatte ihre Notizzettel auf einem der Stehtische ausgebreitet und grübelte. Die Notizen waren inzwischen auf einen Umfang von vier Zetteln angewachsen, drei Verdächtigenzettel, die um einen Opferzettel gruppiert und mit Pfeilen untereinander verbunden waren. Sie würde das abschreiben müssen, bevor sie es an RUM weitergab, durch dieses Durcheinander würde sonst nur schwer jemand durchsteigen. Der Fall war ohnehin mehr als undurchsichtig. Die drei Verdächtigen die sie bisher befragt hatte hatten jeder versucht die Aufmerksamkeit auf einen der anderen zu lenken, damit machen sie sich nur verdächtiger. Beinahe war sie gespannt welchen dieser drei der Bassist belasten würde.

# Kontrabass #

"So, sie sind der letzte... Stefan, hab ich recht?"
"Ja, Stefan Rade."
"André, Nico und ich sind zusammen zur Schule gegangen, wir waren immer ganz gute Freunde. Aber André hat sich in den letzten Jahren immer weiter von uns entfernt, warum weiß ich leider nicht."
"Vielleicht lag das an seiner Ehe?"
"Das mag sein, Partner haben einen großen Einfluss auf Freundschaften."
"Also haben sie nur noch wenig zusammen unternommen?"
"Hin und wieder sind wir was trinken gegangen und wir hatten ja die Auftritte und die Proben."
"Hin und wieder?"
"Ja, nach der letzten Probe waren wir beide, also André und ich, noch was trinken. Nico konnte nicht mitkommen, der hatte noch was vor."
"Wann war das?"
"Wir proben immer montags, also letzten Montag."
"Interessant, wissen sie ob André mehr als eine Bratsche hatte?"
"Hatte er nicht, wir können uns alle keine zwei Instrumente leisten."
"Gut... Ihre Kollegen sagen sie hätten sich zu Fräulein Kreusch hingezogen gefühlt."
"Ja, meine Kollegen sind große Schwätzer. Sicher, ich mag Marina, aber solange sie mit ihrem Blümchentypen zusammen ist werd ich mich zu beherrschen wissen."
"Blümchentyp?"
"Ja, Marina hat eine Beziehung zu einem Pflanzenkundler. Nimmt sie mit auf Spaziergänge ins Grüne und erzählt ihr Dinge über Blumen, die keinen normalen Menschen interessieren."
"Zum Beispiel über Gifte?"
"Ja, auch darüber."
"Gifte, wie das an dem ihr Kollege und Freund gestorben ist."
"Was wollen sie damit sagen?"
"Na, was wohl..."
"Ihr könnt uns gar nichts beweisen."
"Da hast du vollkommen recht. Heute nacht und hier kann ich nichts beweisen. Hier kann ich nur Verdächtige finden. Hab kein Labor, kann nicht weg, bin allein. Aber wer hier heute als Verdächtiger den Saal verlässt ist noch am leben. Die Assassienen verstehen überhaupt keinen Spaß bei unlizensierten Morden in ihren Räumlichkeiten."
"Die können uns nicht alle töten."
"Nein? Bist du da so sicher?"
Der Bassist wirkte alles andere als sicher, er zeigte deutliche Zeichen von Angst. In einem Verhörraum wäre er wahrscheinlich schon zusammengebrochen, aber unter diesen Bedingungen hielt er sich noch.
"Ich sag jetzt gar nichts mehr."

# 23:52 #

Die vier Musiker spielten wieder. Die Stimmung erinnerte ein wenig an ein sinkendes Schiff.
"Ich denke, ich weiß wie es abgelaufen ist... aber beweisen kann ich nichts."
"Du hast getan was du konntest", er hielt ihr einen Teller mit dem besten was die Buffetreste hergaben hin, "Iss was."
"Schade um den Abend, hätte schön werden können."
"Vielleicht nächstes Jahr."
"Vielleicht."
"Hast du immer deine Marke dabei?"
"Immer, erfahrungsgemäß findet einen die Arbeit überall und in jeder Lebenslage, da ist es besser man kann sich ausweisen."
"Interessante Einstellung. Aber du wirst diesen Fall abgeben?"
"Der Tote gehört in die Pathologie, die Bratsche ins Labor, die Verdächtigen in Untersuchungshaft und die Ermittlungen in die Hände eines Ermittlers. Meine Arbeit ist getan, wenn ich meine Notizen abgeschrieben habe."
Die Musik brach ab und es wurde still im Saal. Die große Standuhr bereitete sich mit einem Surren der Zahnräder auf den Stundenschlag vor.
Dann begann sie zu schlagen und nach und nach stimmten die Glocken der Gilden mit ein. Feuerwerk wurde abgebrannt. Das Jahr des komplizierten Affen wurde gebührend willkommen geheißen.
Der Ball blieb steif und förmlich, niemand fiel sich hier in die Arme oder küsste sich stürmisch, man wünschte sich ein frohes neues Jahr. Die Streicher spielten wie geplant ihren letzten Tanz - nur würde es entgegen der Planung ihr allerletzter werden. David und Magane tanzten, angeblich brachte es Unglück den letzten Tanz eines Balles auszulassen, sagte zumindest David. In sowas kannte er sich sicherlich weit besser aus als sie, schließlich hatte sie bisher keinerlei nennenswerte Sozialkontakte gehabt. Vielleicht war es nützlich ein wenig mehr über die bessere Gesellschaft zu lernen, man konnte ja nie wissen wo einen der Dienst hinführte.
Mit einem wehmütigen Lächeln legte die Cellistin am Ende des Tanzes den Bogen zur Seite und ließ den Applaus über sich schwappen, dann stand sie auf.
"Gentlemen, es war mir eine Ehre heute mit ihnen spielen zu dürfen". [6]
Sie ließ sich bereitwillig festnehmen und ihre Kollegen folgten ihrem Beispiel. Ohne Gegenwehr gingen die vier Musiker in den Vorraum, wo schon drei Rekruten und ihr Ausbilder warteten.

# Einige Tage nach Silvester #

Nach ein paar Tagen war der Fall erledigt. Wie erwartet hatte der Bassist Steffan als erster die Nerven verloren, sein Verhörprotokoll war ausgesprochen kurz. Seine Rolle hatte wohl darin bestanden das Opfer nach der letzten gemeinsamen Probe abzulenken. Eine ähnliche Aufgabe hatte der erste Geiger Ruben, der seine Affäre mit der Ehefrau dazu genutzt hatte sie aus dem Haus zu locken und ein Fenster offen zulassen. Dadurch konnte Niko, die zweite Geige in das Haus der Opfers eindringen und das Instrument mit dem von der Cellistin besorgten Gift zu bestreichen. Gescheitert waren die vier Streicher daran, dass ihr Kollege nicht übte. Also genau an dem Umstand, der sie an ihm am meisten gestört hatte. Hätte er geübt wäre er zuhause gestorben, er wäre nicht beim nächsten Auftritt - dem Silvesterball der Assassienengilde - zusammengebrochen.
Magane schloss die Akte und stellte sie weg.
Ein weiterer gelöster Fall.
Eine weitere handvoll zerstörter leben.
Sie löschte die Lampe und verließ das Archiv.
[1] Kurze Erklärung zum Titel: Viola = Bratsche; Tacet (lat. er/sie/es schweigt) ist eine Spielanweisung in der Musik, sie gebietet das Schweigen. Die Punktirung ist frei nach Brecht... Ich hätte das ganze auch "Das Schweigen der Geigen" nennen können, aber der Plural wäre unpassend gewesen und Geige zu ungenau. Viel Spaß.

[2] s. S. "Auf ewig vereint" letzter Absatz

[3] Es mangelt Tod weder an Taktgefühl, noch an Geduld und er übt gewiss schon sehr lange, aber aus irgendeinem Grund erinnert sein Spiel an mit stumpfen Messer geschittenes Styropor, begleitet von langen Fingernägeln auf Schultafeln

[4] Dabei handelte es sich um die absolute Minimalausrüstung, diese drei Dinge mussten immer mit dabei sein.

[5] An dieser Stelle fühle ich mich genötigt zu unterstreichen, dass es sich hierbei keinesfalls um meine Meinung handelt, sondern um ein Klischee.

[6] Wer mag darf gerne dieses Filmzitat raten ;)




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Feedback:

Von Lilli Baum

31.5.2011

Mich wundert es ein bisschen, dass du nicht noch Bratschenwitze.de erwähnt hast; das ist doch die Seite zu dem Thema - und erklärt außerdem woher dieses Bratschen-Klischee kommt.

Die Geschichte fand ich relativ bodenständig. Du hast einen Fall gebracht, ein wenig vehört, die Lösung gefunden und dazu noch ein recht plausibles Motiv gebracht. Allerdings hat die Geschichte etwas farblos gewirkt und nach einer Weile wurde mir auch klar wieso; deine Dialoge bestehen nur aus Dialog - beschreibende Sequenzen fehlen in denen (fast) völlig. Und damit verschenkst du in meinen Auigen unheimlich viel Potential, weil Körpersprache meines Erachtens mindestens genauso wichtig ist wie das eigentliche gesprochene Wort. Dadurch wirken alle agierenden Charaktere - abgesehen von Magane - viel flacher, als sie es sein müssten. Schade, denn so habe ich mich nicht wirklich als Leser in die Schicksale der Figuren involviert gefühlt.
Nichts desto trotz war das Lesen recht amüsant, was daran liegen muss, dass ich selber bratsche. ;)

Von Ruppert ag LochMoloch

25.6.2011

???
Sorry, aber diese Geschichte ist für mich völlig rätselhaft. Weniger vom Inhalt her als von der Motivation sie "so" zu veröffentlichen.
Seltsame Einladung - Rückblick auf die Vergangenheit - Mord - sofort wissen wer der Täter ist - Ende ohne die Beschreibung jeglicher Ermittlungsarbeit ...
Das, was (für mich) mysteriös anfängt, wird später gar nicht mehr erwähnt, spielt keine Rolle im Fall und wird auch nicht aufgelöst.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier etwas zehn Seiten fehlen um eine komplette Geschichte zu haben.

Von Sebulon, Sohn des Samax

14.6.2011

Ohne böse klingen zu wollen: Es wundert mich nicht, dass es Tod schwer fällt, auf einer Bratsche schöne Musik machen. Ist ja schon für die Lebenden eine Sache der Unmöglichkeit. *über das Klischee feix*
Tatsächlich finde ich einen reinen Verweis auf den das Haus schließenden Pförtner etwas milde. Die Mörder in Ankh-Morpork verschwinden ja häufiger aus Fenstern und über Dächer hinweg ... aber gut, es war ein Nahkontaktgiftangriff. Der schon im heimischen Stübchen vorbereitet worden war. Obwohl er in der Mitte des Konzerts zusammenbricht. (Hat bis dahin wohl Pause gehabt, da das Gift ja "sofort starke Muskelkrämpfe auslöst" ...)
Thema Filmzitat raten: Filme über berühmte sinkende Schiffe sind ja selten ...

Insgesamt fällt es mir schwer, deinem Schreibstil zu folgen. Ich bin mir noch nicht sicher, woran genau das liegt, darum keine hilfreichen Hinweise von mir. Vielleicht kann ich das bei der nächsten Geschichte klarer sagen.

Von Magane

26.06.2011 23:24

Ich persönlich glaub ja nicht, dass das Klischee seinen Ursprung auf besagter Webseite hat, die ich natürlich kenne, aber sie für schlecht gemacht halte.



Jedenfalls bin ich froh, dass sich in immerhin 26 Tagen ganze 10 Leser gefunden haben von denen mir 8 durchschnittlich eine 11 gegeben haben. Vielen Dank den treuen Lesern... motivierend, dass es noch 10 geworden sind.

Von Lilli Baum

27.06.2011 10:10

Du hast mich falsch verstanden, Maggie. Der Ursprung ist natürlich nicht die Seite; aber auf ihr steht irgendwo die Erklärung wie es zu dem Klischee kam. Und natürlich ist sie "schlecht" gemacht. Ist schließlich von einem Bratscher ;)

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