Bisher hat keiner bewertet.
Seit Monaten hat sich Kolumbini nicht mehr im Wachhaus blicken lassen. Eine Geschichte von dem was passiert ist und wie es anfing zu enden.
Dafür vergebene Note: 11
Fliegen surren ziellos in der Luft umher, stoßen gegen schmierige Fensterscheiben, verfangen sich in staubbedeckten Spinnweben und landen auf meiner Schnauze. Wie sie bei dieser drückenden Luft überhaupt fliegen können bleibt mir ein Rätsel. Ich versuche lustlos nach einigen von ihnen zu schnappen, aber ich bin wie gelähmt. Da bin ich nicht der einzige, übrigens. Mein Herrchen liegt mit dem Kopf auf seiner unaufgeräumten Schreibtischplatte. Sein Heimbüro ist vollgestopft mit Unrat, den er Igor verboten hat aufzuräumen. Er könnte immerhin eine wichtige Spur enthalten. Irgendwo in dem Chaos habe ich einen Knochen vergraben, aber ich weiß nicht mehr wo.
Die Türglocke schellt. Erstaunlich, dass bei dieser Hitze überhaupt jemand auf die Straße geht. Igor öffnet wie gewohnt schnell die Tür, wobei selbst er bei der drückenden Luft einige Augenblicke langsamer ist als sonst. Es dauert nicht lange, bis ich den Besucher identifiziert habe, als er langsam die Treppe hinaufsteigt. Diesen Geruch können wir immer erkennen. Werwolf! Meine Nackenhaare entspannen sich wieder, als ich erkenne, dass es nur der vegetarische Wächterwerwolf ist, mit dem mein Herrchen befreundet ist. Langsam öffnet er die Tür zum Büro und riecht überrascht, als er die Berge an Papier, Akten herumfliegenden Wein- und Whiskyflaschen und eventuell sogar meinen Knochen sieht.
"Fred?" fragt er vorsichtig, vielleicht für den Fall, dass der Unrat ihn anspringen könnte. "Fred??"
Langsam rührt sich mein Herrchen und richtet sich mühsam auf. Nach einem kurzen Schmatzen und Stöhnen, blickt er aus müden Augen zu dem Ort, wo die Tür sich gezeigt hätte, wäre das Büro kein heilloses Chaos gewesen.
"Huh?" ist das einzige, was er herausbringt.
"Bist du irgendwo da drinnen?" erkundigt sich der Werwolf.
"Ja. Ähm, links an dem Aktenstapel vorbei, pass auf die Flasche GlännDies auf. Links, rechts, zweimal links, bei der Flasche ephebianischen Rotweines rechts und beim toten Dachs links abbiegen."
Der Gast riecht jetzt leicht angewidert, als er der Beschreibung folgt und ungläubig den Müll beäugt, bis er schließlich vor dem großen, alten Schreibtisch steht.
"Was bei allen Göttern ist hier passiert, Fred?"
"Nichts weiter. Habe nur versucht den Fall zu lösen."
"Hast du davon immer noch nicht abgelassen? Der Blumentopfmörder ist nicht mehr aktiv, Fred! Erinnerst du dich daran, dass wir dich von dem Fall abgezogen haben und du dich ein wenig ausruhen solltest? Es ist nicht gesund, wenn man sich so sehr in einen Fall hineinsteigert", der Kollege meines Herrchens riecht verärgert, aber auch besorgt, als er das sagt. Mir fällt erst jetzt auf, dass Herrchen in der letzten Zeit ungewöhnlich oft zu Hause war.
"Hm", ist alles, was Herrchen dazu herausbringt.
"Was hast du in der ganzen Zeit gemacht?"
"Ermittelt. Getrunken. Weiter ermittelt. Getrunken. Nicht zwangsweise in der Reihenfolge."
Jetzt riecht der Werwolf doch sehr besorgt. Er schnappt sich einen Stuhl, leert den darauf befindlichen Müll auf den Boden und setzt sich.
"Ich bin gekommen, um dir eine Nachricht vom Kommandeur zu bringen. Wir beide machen uns Sorgen, da wir keine Berichte mehr bekommen haben. Jetzt wo ich dieses Chaos sehe, werden meine Befürchtungen noch stärker. Du musst den Blumentopfmörder endlich loslassen, Fred."
"Nein", bricht es aus Herrchen heraus, während er die Faust auf den Tisch schlägt, dass ein großer Stapel Papier zur Seite umfällt. "Ich kriege diesen verdammten Mistkerl."
"Wir wissen noch nicht einmal, ob es sich um einen "er" handelt, Fred", gibt der Werwolf zu bedenken, was mein Herrchen nicht zu interessieren scheint. "Bregs hat gesagt, dass wenn du keine Ergebnisse vorzeigen kannst, oder bereit bist, endlich diesen Fall ruhen zu lassen, wir dich suspendieren müssen."
Stille folgt auf diese Feststellung. Ich vermute Herrchen hätte geschockt gerochen, könnte ich irgendetwas durch seine Fahne riechen. Es dauert ein wenig bis er seine Stimme wiedergefunden hat.
"Warum?" bringt er schließlich heraus.
"Weil der letzte Mord schon ein halbes Jahr her ist, Fred, deshalb!"
Einige hartnäckige Vögel läuten den Tag langsam aus, als Herrchen und ich im goldenen Abendlicht im Garten sitzen. Nachdem Herrchen zuviel geflucht hat, weil er irgend ein wichtiges Dokument nicht finden kann, hat Igor ihn herausgeschmissen, um "Den Mifthaufen auftfuräumen" hat er glaube ich gesagt. Seither bringt er hin und wieder etwas in den Garten, wo Herrchen sitzt und auf dem Gartentisch versucht etwas in den Massen an Notizen zu finden.
Derweil halte ich nach verdächtig aussehenden Eichhörnchen Ausschau, die uns etwas stibitzen könnten. Bisher konnte ich keine erschnuppern, weshalb ich die Zeit nutze, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen und das Duftgemisch von Spätsommer, Pfeifentabak, Tee, frechen Katzen, die ihr Revier markiert haben, während ich mit Herrchen drinnen die Stellung gehalten habe, trockener Erde, diversen Blumen und dem fortwährend präsenten Geruch des Ankhs, in seiner Fülle aufzusaugen. Das sind wohl die letzten wirklich heißen Tage dieses Jahr, also genieße ich die Sonnenstrahlen, bevor die kalten ungemütlichen Spaziergänge des Winters nahen. In der Abendluft ist die Hitze nicht mehr so unerträglich, wie tagsüber in dem stickigen Büro.
Herrchen brummelt vor sich hin, als er die einzelnen Notizen "auswertet" wie er es nennt. Für mich sieht es so aus, als starre er sie einfach so lange an, bis sie ihm von selbst verraten, welches Geheimnis sie bergen. Selten hat er so viel in seinem Büro vor sich hin geredet bei einem Fall. Aber was die assoziativen Gedanken meines Herrchens bedeuten verschließt sich mir zu oft. Irgendeine wichtigere Sache hindert mich daran, seine Gedanken zu Ende - AU FLOH!! Hah, hab ich dich, du hinterhältiges Wesen. Mein Magen knurrt, was mich zu einem Wimmern bewegt. Mein Herrchen lässt jedoch sichtlich unbeeindruckt.
"Was verbindet die Opfer? Ich muss irgend etwas übersehen haben", brummelt er nur und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse.
Langsam krieche ich zu seinem kleinen Tisch, den er unter der überdimensionalen Hundehütte, die er Pavillon nennt, aufgestellt hat. Dort wiederhole ich mein Wimmern, in der Hoffnung, nun die erwünschte Aufmerksamkeit zu bekommen. Wieder keine Reaktion.
"Ich habe Hunger", sage ich unmissverständlich, doch Herrchen reagiert gerade so, als hätte ich sinnlos vor mich hin gebellt. Manchmal frage ich mich, ob er mich überhaupt so versteht, wie ich ihn. Ich wiederhole meine Forderung nach Essen und wimmere noch eindrucksvoller, gefolgt von meinem Mitleidsblick. Endlich scheint Herrchen verstanden zu haben.
"Was ist denn Hund? Hast du ein Eichhörnchen gesehen?"
Keine Reaktion meinerseits für diese eindeutige Missdeutung.
"Hast du Hunger?"
Dies bedenke ich mit einer heftigen Bestätigung in Form von Auf-Und-Ab-Springen-An-Herrchens-Bein-Mit-Abschlecken.
"Ja, ja. Ist ja schon gut, ich lass Igor...achso er räumt ja auf. Na gut ich hole dir was, aber bleib hier und pass auf, dass nichts von meinen Notizen wegkommt."
Herrchen verschwindet ins Haus und ich bleibe zurück, um mit wachsamem Blick und Schnüffeln die Umgebung in Auge und Schnauze zu behalten. Keine Eichhörnchen scheint sich an unseren wertvollen Dingen gütlich tun zu wollen und keine Katze ihr Revier markieren zu wollen. Ich nutze den Moment, um in den Blumenbeeten und den anderen Ecken des Gartens den Besitzanspruch auf dieses Revier klarzustellen. Danach begebe ich mich wieder zu der großen Hundehütte.
Ich warte und wache. Dann wache ich noch etwas mehr und schließlich warte ich noch weiter. Herrchen kommt nicht. Vielleicht weiß er nicht, wo Igor mein Futter aufbewahrt. Da erschnuppere ich plötzlich die Fährte eines Eichhörnchens. Es scheint auf dem Dach der Hundehütte zu sitzen, also springe ich kurzerhand auf den Tisch, nur um dadurch mitsamt einiger Notizen auf der anderen Seite herunterzusegeln. Wer hätte auch gedacht, dass diese Blätter kein sicherer Halt sind. Vorsichtig klettere ich wieder zurück auf den Tisch, diesmal mit Halt. Ich blicke mich um, doch das Eichhörnchen ist nirgends zu sehen, oder riechen.
"BÖSER HUND!" ruft Herrchen plötzlich hinter mir. Als ich mich umdrehe sieht er mich und die verstreuten Notizen böse an. Gerade als ich ihm erklären will, dass ich nur ein Eichhörnchen abhalten wollte, sich die Notizen zu krallen, wiederholt Herrchen seine Beschimpfung.
"BÖSER HUND! Was hast du da nur gemacht? Runter Da!!" brüllt Herrchen.
Leise wimmernd klettere ich vom Tisch herunter. Herrchen knallt mir den Futternapf mit etwas Wurst in eine Ecke des Pavillons und macht sich daran, seine Notizen wieder aufzusammeln. Als er sie auf den Tisch legen will hält er kurz inne.
"Ach, Hund! Du hast die Akte hier schmutzig gemacht. Was geht nur in deinem dämlichen Hundehirn vor, dass du Wacheeigentum so verschmutzt?"
Herrchen nimmt die Akte und versucht meinen Pfotenabdruck wegzuwischen. Doch dann hält er inne und riecht plötzlich überrascht. Er reibt sich kurz die Augen und riecht dann erleichtert.
"Ha! Perfekt! Wie konnte ich das übersehen? Das ist es, was ich gesucht habe. Ich habe eine neue Spur!"
Dann packt mich Herrchen plötzlich und trotz meines Wimmerns drückt er mir die Luft mit beiden Armen ab und presst mich fest an sich.
"Danke, alter Junge! Wie auch immer du das gewusst hast, du hast mich auf eine neue Spur gebracht! Hah! Romulus wird nicht übel staunen, wenn er das sieht. Ich bin wieder im Rennen!"
Mit diesem Wortschwall und einer überbordenden Portion Glücksgeruch rennt er plötzlich in Richtung Haus und lässt mich perplex zurück. Anscheinend hat er etwas gefunden. Eine Spur? Durch mich? Ein echter Spürhund, was? Ich suhle mich eine Weile in meinem Triumph, bis ich merke, dass mein Magen knurrt. Gemächlich verschlinge ich die Wurst, die Herrchen mir hingestellt hat, aber sie reicht nicht annähernd, um meinen Energieverlust zu tragen, den ich durch die Lösung des Falls hatte. Also tue ich das, was jeder Spürhund in meiner Situation tun würde. Ich belle, bis mich jemand hört und sehe meine Rettung dann mitleidvoll an. Bei Herrchen funktioniert das immer hervorragend. Es dauert eine Weile, bis sich im Haus etwas rührt und das junge Weibchen aus Herrchens Rudel, das er Yvonne nennt kommt in den Garten.
"Was ist denn, Hund? Du bellst ja, als wäre dein Leben in Gefahr. Ich war gerade dabei, Freds Büro mit Igor auszumisten", sagt sie unfreundlich. Menschen verstehen es anscheinend nicht, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, bevor sie sich unwichtigen Dingen, wie dem Säubern eines unwichtigen Raums widmen.
"Wo ist Fred nur so schnell hin verschwunden? Er ist einfach aus dem Haus gerannt und hat gerufen "Ich hab's, ich hab's!"...hast du etwas damit zu tun?" Sie schaut mich an und krault mich geistesabwesend. "Ach, du wirst mir nie antworten können." Da irrt sie sich, sie würde mich nur nicht verstehen. "Aber vermutlich ist es dir auch egal." Da hat sie sehr recht...immerhin verhungere ich. Sie setzt sich zu mir und fängt an mich zu kraulen. "Naja, was solls. Immerhin ist er wieder aus dem Haus. Dieser Fall hat ihn ja regelrecht aufgefressen. Dieses Chaos dort oben ist unglaublich. Igor meint, wir werden mit Sicherheit noch drei Stunden beschäftigt sein. Der Gestank...ich möchte nicht wissen, wie viele Fliegen dort an der Decke rumgeflogen sind. Selbst als das Fenster offen war, sind sie immer noch stupide an die Decke gestoßen...aber inzwischen sind sie sicher im Freien."
Wie Herrchen, denke ich, genieße das Kraulen und versuche sie schließlich zu überreden, mir noch etwas zu essen zu bringen.
"Was ist denn Hund? Hast du wieder ein Eichhörnchen gesehen? Oder hast du schon wieder Hunger du verfressen Viech?"
"Was heißt hier verfressen? Ein Spürhundintellekt will entsprechend gefüttert werden", meine ich empört, aber natürlich reagiert sie wieder nicht. Menschen. Sie tun gerade so als seien sie die intelligentesten Wesen überhaupt. Dabei rennen sie doch nur sinnlos rum und beschäftigen sich immerzu mit belanglosen Dingen, wie wer wen gebissen oder getötet hat, oder gar warum sie auf der Welt sind und so Sachen was sie dann Phil-o-sofie nennen, was auch immer Phil mit Sofie zu tun hat. So Sachen hat Herrchen auch immer wieder vor sich hin gebrummelt, als er voller Wein in seinem Büro versunken ist. "Was ist der Sinn von allem, heh?" hat er immer wieder gefragt und dabei die Fliegen angestarrt, wie sie gegen die Decke geflogen sind. Dabei ist das doch gar keine so schwere Frage, nach dem Sinn und so, denn immerhin - OH EICHHÖRNCHEN!
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